Fred R. Bornschein
Gesandt, um zu
DIENEN Die Diakonie als Herausforderung an die Kirche
Fred R. Bornschein
Gesandt, um zu DIENEN Die Diakonie als Herausforderung an die Kirche 1. Ausgabe
Curitiba/PR 2019
Fred R. Bornschein
Gesandt, um zu dienen
Die Diakonie als Herausforderung an die Kirche Redaktionelle Koordination: Claudio Beckert Jr. Übersetzer: Heinz Ehlert Revision: Elvira Wolf Buchcover: Sandro Bier Redaktion: Josiane Zanon Moreschi Dados Internacionais de Catalogação na Publicação (CIP) (Câmara Brasileira do Livro, SP, Brasil) Bornschein, Fred R. Gesandt, um zu dienen : Die Diakonie als Herausforderung an die Kirche / Fred R. Bornschein. - - 1. ed. - - Curitiba, PR : Editora Esperança, 2014. Bibliografia ISBN 978-85-7839-272-7 1. Comunidade 2. Igreja e o mundo 3. Vida religiosa I. Título. 14-12152
CDD-261.1
Índices para catálogo sistemático: 1. Comunidade, Igreja e sociedade : Teologia social 261.1
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Inhalt
Einleitung.................................................................................7 1 Liebe in der Theologie des Johannes...............................11 1.1 Die Bedeutsamkeit von Liebe in der Theologie des Johannes..............................................11 1.2 Die Praxis der Liebe in der Theologie des Johannes................................................................17 1.3 Weisungen zu einem geweihten Leben ausgehend von Texten des Johannes.......................20 2 Die Diakonie.......................................................................23 2.1 Verwendung der AusdrĂźcke im Neuen Testament........................................................24 2.1.1 Dienen (diakoneo, douleuo)..................................24
2.1.2 Dienst (Diakonia)................................................27 2.1.3 Knecht (Diakonos, Doulos).................................28 2.2 Jesus Christus als Diener............................................32 2.3 Die Gemeinde als Dienerin.......................................39 2.4 Schlussfolgerung bezüglich der Reflexion über die Diakonie........................................................41 3 Koinonia............................................................................43 3.1 Der biblische Begriff von Koinonia...........................44 3.2 Die Notwendigkeit des Lebens in Gemeinschaft..............................................................47 3.3 Beschluss der Reflexion über Koinonia....................55 4 Der Zölibat.........................................................................59 4.1 Zölibat – Begriffsbestimmung...................................59 4.2 Biblische Begründung des Zölibats..........................61 4.2.1 Die Lehre Jesu Christi.......................................61 4.2.2 Die Lehre des Apostels Paulus........................67 4.3 Zölibat als Charisma...................................................79 4.4 Das Ziel des Zölibats..................................................81 4.4.1 Die Weihe für Jesus Christus............................81 4.4.2 Die mystische Verbindung mit Jesus Christus.....................................................82 4.4.3 Der apostolische Grund....................................86 4.4.4 Der eschatologische Grund..............................86 4.5 Zölibat und Sexualität................................................89 4.6 Zölibat und die evangelischen Kirchen...................92 4.7 Abschluss der Gedanken über den Zölibat...........94
5 Die christliche Gemeinde.................................................97 5.1 Wesentliche Elemente für das Leben der Gemeinde..............................................................98 5.2 Die Gemeinde und das geweihte Leben...............105 5.2.1 Theologische Definition der religiösen Gemeinschaften geweihten Lebens...............106 5.2.2 Das geweihte Leben und die Spiritualität......................................................109 6 Die Diakoniegemeinschaft Irmandade Evangélica
Betânia und das geweihte Leben..................................113 6.1 Geschichtlicher Überblick über die Diakoniegemeinschaft Irmandade Evangélica Betânia....................................................114 6.1.1 Die Kaiserswerther Mutterhäuser.................114 6.1.2 Der Deutsche Gemeinschafts Diakonieverband (DGD).................................121 6.1.3 Das Amt der Diakonissen in Brasilien.........123 6.1.3.1 Die Entsendung der ersten Diakonissen nach Brasilien.................123 6.1.3.2 Das brasilianische Mutterhaus..........124 6.1.3.3 Paradigmenwechsel...........................125 6.1.3.4 Das gemeinschaftliche Leben in der Diakoniegemeinschaft Irmandade Evangélica Betânia..........128 6.2. Abschliessendes Ergebnis der Reflexion über die Irmandade Evangélica Betânia..............129
Abschluss.............................................................................131 Bibliographische Referenzen..............................................135
Einleitung
Der Titel dieses Buches ist dem Wort Jesu entnommen: „Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch.” (Joh 20, 21b). Jesus wurde vom Vater in die Welt gesandt, um zu dienen. Er hat diesen Dienst bis zur äußersten Konsequenz geübt, nämlich sein Leben zur Erlösung der Menschheit hingegeben. Jesu Jünger werden von ihm zu demselben Zweck ausgesandt: Um zu dienen! Gott und den Mitmenschen! Auf vielfältige Weise dienen, dienen je nach der einzigartigen Lebenslage und Berufung eines jeden. Der Hauptton dieses Werkes liegt auf dem Dienen. Es geht um einen Dienst, der geboren ist aus der persönlichen Erfahrung mit der Liebe Gottes. Ein Dienst geübt im
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Kontext einer Gemeinde. Ein Dienst, der je nach dem Ruf und der Gabe Gottes unter Verzicht auf jedwede andere Verpflichtung in ganzer Hingabe an Gottes Vorsatz gelebt werden kann. In diesem Buche wollen wir - unter besonderer Beachtung der Lehren des Apostels Johannes - Themen im Zusammenhang mit der größeren Thematik des Dienstes behandeln: 1. Den Vorrang der Liebe in der Theologie des Johannes (Kap. 1); 2. Die Diakonie als Kernausdruck des christlichen Lebens (Kap. 2) 3. Koinonia, Gemeinschaft, als Grundbedürfnis für christliches Leben und Dienst (Kap. 3) 4. Der Zölibat als Lebensform für Menschen, die mit dieser Gnadengabe beschenkt wurden und damit von anderen Aufgaben befreit - zur Ausübung von besonderen Ämtern geeignet sind (Kap.4) 5. Die christliche Gemeinde als geeigneter Ort, ein solches Leben und das Amt des Dienstes zu führen. Die Kirche ist die christliche Basisgemeinde und ihr Grund, aber sie findet ihren Ausdruck in vielfältiger Form. . Eine davon sind „Gemeinschaften geweihten Lebens”, wo Menschen in Gemeinschaftsform ihre gemeinsame Berufung leben. Dazu gehört auch die Irmandade Evangélica Betânia1 (Evangelische Diakoniegemeinschaft Betânia), die in diesem Buch als 1 “Irmandade” ist ein portugiesischer Begriff was beinhaltet die bedeutung von Schwesternschaft und Bruderschaft. In dieser Arbeit wird verwendet an vielen Orten “Irmandade” anstelle von “Diakoniegemeinschaft Irmandade Evangélica Betânia”.
Einleitung
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ein Beispiel solchen gemeinsamen Lebens dargestellt wird (Kap. 5). 6. Die Evangelische Schwesternschaft Betânia ist ein Beispiel unter anderen, die genannt werden könnten, für eine Gemeinschaft von Diakonissen, die für einen bestimmten Zeitraum oder lebenslänglich auf Heirat verzichtet haben, um frei von den Verpflichtungen einer Familie sich ausschließlich dem Dienst zu widmen, zu dem sie berufen und von Gott gesandt wurden. Diese „Irmandade” (Diakoniegemeinschaft/ Bruder- bzw. Schwesternschaft) setzt sich außer den Diakonissen auch aus Männern und Frauen zusammen, die sich – ob ledig oder verheiratet - dem Dienst zuwenden, der ihrer Berufung entspricht. Dieses Buch wurde verfasst in der Hoffnung, ein Beitrag zu sein, dass ein Leben im Dienst der Liebe, im Besonderen in der umstrittensten Art, nämlich als Zölibat, in den evangelischen Kirchen als ein Amt bekannt, anerkannt, geschätzt und ausgeübt werde möge.
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Liebe in der Theologie des Johannes
Die Absicht dieses Kapitels ist es, die Bedeutung von Liebe und Dienst Gott und dem Nächsten gegenüber zu untersuchen, welche den Kern des christlichen Lebens ausmacht. Bei dieser Untersuchung werden wir uns auf die Schriften des Johannes stützen, weil die darin verwendeten Begriffe so überaus wichtig sind.
1.1 Die Bedeutsamkeit von Liebe in der Theologie des Johannes Die Bedeutsamkeit, welche die Liebe in den Schriften des Johannes einnimmt, kann man aus der Häufigkeit erkennen, in der diese Begriffe verwendet warden: „Liebe” (agape) und lieben”(agapao) als die üblichen Ausdrücke, wenn
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von Liebe und lieben im gesamten Neuen Testament (NT) die Rede ist. Im NT ist Liebe einer der zentralen Gedanken, um den ganzen Inhalt des christlichen Glaubens zum Ausdruck zu bringen. Gott ist die Liebe und ihn verlangt im Gegenzug nach der Liebe des Menschen. Liebe beschreibt, vornehmlich im Johannesevangelium, das innige und tiefe Verhältnis zwischen Gott, dem Vater, und seinem Sohn Jesus: „Der Vater hat den Sohn lieb” (Joh 3,35); „Darum liebt mich meinVater” (Joh.10,17) und „Ich liebe den Vater”(Joh14,31); „Wie mich der Vater geliebt” (Joh 15,9). Die Liebe des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater ist also das wesentliche Modell und die ursprüngliche Quelle aller Liebe. Das Verb lieben (agapao) beschreibt auch die Zuwendung und das Handeln Gottes gegenüber der Menschheit. Die Liebe Gottes ist eine so einschneidende Wirklichkeit, dass der Apostel Johannes ganz kategorisch erklärt: „Gott ist die Liebe” (1Joh 4,8) Die Liebe „ist die Höchste und regierende Gestalt des göttlichen Willens, ist der herrschende Grundzug in allem göttlichen Wollen und Walten. Seine Liebe bewog Gott, die Welt zu schaffen und sie regiert sein ganzes Wirken [...]. Darum sind alle Worte und Werke Gottes allein aus der Liebe Gottes zu verstehe”.2 In den Texten des Johannes umschreiben „lieben” und „Liebe” ebenso das Leben Jesu: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe” (Joh 13,34). „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch“ (Joh. 15,9); „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde” (Joh 15,13). In den 2 SCHLATTER, 1964. S. 90-91.
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Johannestexten ist der Opfertod Jesu der höchste Ausdruck der Liebe des Vaters, der seinen Sohn zur Rettung der Menschheit dahingegeben hat,3 und des Sohnes, der sein Leben aus Liebe zu uns dahingegeben hat. Es war eine Selbsthingabe an die Seinen in absoluter Form […], „„... erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende” (Joh. 13,1). Er liebte sie also bis zur letzten Konsequenz. In der Theologie des Johannes liegt der höchste Ausdruck der Liebe Gottes in dem Opfertod Jesu „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns gelassen hat“ (1Joh 3,16). Dies wird in veschiedenen Texten hervorgehoben. Johannes der Täufer stellt Jesus dar als das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt (Joh 1,29), er beschreibt ihn also als den, der durch sein Opfer erfüllt, worauf die Opfer des AltenTestamentes hinwiesen. Das Johannesevangelium erwähnt die Schlange, die in der Wüste erhöht wurde, als Sinnbild für den am Kreuz erhöhten Christus (Joh 3,14 ff). Jesus selbst bezeichnet sich als den guten Hirten, der sein Leben für die Schafe dahingegeben hat (Joh 10,11.15). Als die Griechen ihn aufsuchen und er spürt, dass die Stunde seines Opfers sich naht, bedient Jesus sich des Bildes vom Weizenkorn, das in die Erde fällt und sterben muss, damit es Frucht bringe (Joh 12,23).
3 „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab” (Joh 3,16); „Darin ist erschienen die Liebe Gottes [...] dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden” (1Joh 4,9-10).
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Laut Brown:4,5 Die Wichtigkeit des Blutvergießens in der Laufbahn Jesu wird in dem Abschnitt hervorgehoben: „Dies ist der, der durch Wasser und Blut gekommen ist: Jesus Christus, nicht durch Wasser allein, sondern durch Wasser und Blut” (IJoh. 5,6). Den wahren Menschen Jesus, der getauft wurde und sein Blut vergossen hat, ist der, den der Autor als „wahren Menschen und ewiges Leben” bezeichnet (IJoh 5,20).
Der Apostel Johannes sagt, dass die Liebe darin erkannt (im Griechischen: ginosko) wird, dass Christus sein Leben für uns dahingegeben hat (1Joh 3,16). Das Neue Testament (NT) folgt damit mit dem Ausdruck ginosko, der Bedeutung, die es im Alten Testament (AT) hat. „Das Alte Testament sieht damit das ‚Erkennen’ als etwas an, das fortwährend durch eine persönliche Beziehung entsteht”.6 In den johannäischen Schriften ist das Erkennen Gottes ein Erkennen, das wir durch die Offenbarung Gottes in der Person Jesu erhalten. Wer also Jesus kennt, der kennt auch den Vater (nach Joh 14,7). In der Theologie des Johannes gibt es keine Erkenntnis Gottes unabhängig von der Offenbarung in Jesus, denn das ewige Leben besteht darin, den Vater zu erkennen, den einzig wahren Gott und Jesus Christus, vom Vater gesandt (Joh 17,3). So konnte Jesus zu Philippus sagen: „[…] So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater?” (Joh 14,9) Jesus selbst wird erkannt durch die Erfahrung, durch persönliche Begegnung und nicht bloß durch theoretisches 4 BROWN (1983, S. 127) kommentiert, dass in folgenden Stellen des Johannesevangeliums „leichte Hinweise auf den erlösenden Tod Jesu zu finden sind”: 6,51; 11,51s; 12,24;18,14. 5 vgl BROWN, 1983, S. 127. 6 SCHMITZ, 1981. S. 476.
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Wissen. Nach seiner Begegnung mit Christus erklärt Philippus: […] Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, Josefs Sohn, aus Nazareth (Joh. 1,45). Natanael ruft in seiner Begeisterung angesichts der Person des Herrn aus: […] Meister, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels (V.49). Der Apostel Petrus hat sozusagen als Sprachrohr der übrigen Jünger und als Frucht seines Zusammenlebens mit Jesus erklärt: „… wir haben geglaubt und erkannt (ginosko): Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,69). Jesus erkennen, heißt seine Liebe erkennen, die sich darin offenbarte, „dass er sein Leben für uns dahingab” (1Joh 3,16). Die Liebe wurde erkenntlich, sichtbar, konkret, am Kreuz Christi, und die Erkenntnis dieser Liebe bedeutete eine umwandelnde Erfahrung im Leben der Jünger. In den Schriften des Johannes hatte Liebe also ein Kerngewicht aufgrund von zwei Tatbeständen: • Zuerst: Die Liebe ist das Zeichen, das den Jünger Jesu kennzeichnet, sie ist das Markenzeichen des Christen. Jesus hat gesagt: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt” (Joh 13,35). “Dieser Abschnitt offenbart das Zeichen, das Jesus bestimmt, einen Christen zu kennzeichnen […] zu allen Zeiten und an allen Orten […]. Der Hauptpunkt ist der, dass man Christ sein kann, ohne eine Kennzeichnung zu tragen, aber wenn man erwartet, dass Nichtchristen wissen sollen, wer wir sind, ist es nötig, dass wir es zeigen.”7
• Zweitens, weil die Liebe das ist, was Schaeffer8 die “Endapologetik” nennt. Er begründet es mit der 7 SCHAEFFER, 1970, S.168,9. 8 SCHAEFFER, 1970, S. 176.
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Bitte, die Jesus an den Vater richtet laut Joh 17,21: „[…] damit sie alle eins seien […] damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast”. Diese Wahrheit wird ein zweites Mal von Jesus unterstrichen, indem er jetzt den Begriff „erkennen” verwendet: „[ …] damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast” (Joh 17,23). In Johannesevangelium Kap 13 ging es darum, dass wenn ein Christ den anderen Christen nicht Liebe erweist, so darf die Welt ihn für einen Nichtchristen halten. Aber hier in Joh.17 behauptet Jesus etwas viel Einschneidenderes, etwas viel Tieferes. Man kann nicht erwarten, dass die Welt glaube, der Vater habe den Sohn gesandt, die Behauptungen Jesu seien wahrhaftig, und das Christsein sei wahrhaftig, es sei denn, die Welt beobachte etwas Wirkliches in der Einheit der wahren Christen”.9
Daraus folgt: Die Liebe, die in der Einheit der Christen zum Ausdruck kommt, ist das vornehmste Zeugnis dafür, dass Jesus wirklich von Gott gesandt ist. Da die Forderung der Liebe alle johannäischen Schriften durchzieht, kann man fragen, ob es möglich ist, sie zu fordern. Johannes Antwort ist bemerkenswert: Wir lieben, weil wir geliebt wurden. Unsere Liebe ist immer ein zweiter Akt als Antwort auf den ersten Akt der Liebe Gottes und Christi. Ehe er fordert, dass wir lieben sollen, hat Gott uns geliebt; bevor wir ermahnt werden, unser Leben für die Brüder hinzugeben, haben wir die Liebe Christi erkannt, der sein Leben für uns dahingegeben hat (nach 1Joh. 3,16). Wahrscheinlich stammt diese Sicht aus der Beobachtung, dass, als Jesus seinen Jüngern das neue Gebot der Liebe gab, er den Imperativ, „dass ihr euch untereinander liebt” dem Indikativ unterordnet „wie ich euch geliebt habe”. 9 SCHAFFER, 1970, S. 177.
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Diese Tatsache ist zusammengefasst in der Aussage: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt” (1Joh.4,19). Die päpstliche Enzyklika „Deus caritas est” sagt: Die Liebe ist nun dadurch, daß Gott uns zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4, 10), nicht mehr nur ein “Gebot”, sondern Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins, mit dem Gott uns entgegengeht. [...] Er hat uns zuerst geliebt und liebt uns zuerst; deswegen können auch wir mit Liebe antworten. Gott schreibt uns nicht ein Gefühl vor, das wir nicht herbeirufen können. Er liebt uns, läßt uns seine Liebe sehen und spüren, und aus diesem “Zuerst” Gottes kann als Antwort auch in uns die Liebe aufkeimen. [...] So ist es nicht mehr “Gebot” von außen her, das uns Unmögliches vorschreibt, sondern geschenkte Erfahrung der Liebe von innen her.10
1.2 Die Praxis der Liebe in der Theologie des Johannes Gemäß der Theologie des Johannes muss Liebe sich in konkreten Taten und Werken erweisen und kann niemals nur im Bereich der Ideen, in der Theorie oder bloßen Rede verbleiben. So ermahnt er die Gemeinde: „Meine Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit“ (1Joh.3,18). Nach Brown ist es so, als ob es für Johannes nur ein einziges Gebot gäbe, das alle anderen einschließt: „Das ist mein Gebot: Liebet euch untereinander, wie ich euch geliebt habe” (Joh.15,12). Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt (Joh 13,35.) Der Verfasser der Epistel, obwohl er von Geboten (Plural) spricht, ordnet alles der brüderlichen Liebe unter. (1Joh 3,22-24; 4,21; 5,3). Das einzige besondere Gebot, das er erwähnen kann, ist dieses „uns untereinander zu 10 BENEDIKT XVI. Enzyklica Deus caritas est. 2005. n. 1 ,17, 18.
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Gesandt, um zu dienen lieben, wie es das Gebot sagt” (1Joh. 3,23) “Ein solches Gebot haben wir von ihm empfangen: Wer Gott liebt, der liebe auch seinen Bruder” (1Joh 4,21) […] Folglich ist die einzige besondere Sünde, die der Autor erwähnt, wenn er die Separatisten angreift, ihre Missachtung der Gebote, also, wenn sie die Brüder nicht lieben (1 Joh. 2,9-11; 3,11-18; 4,20).11
So wie Jesus seine Liebe zu uns dadurch erwiesen hat, dass er sein Leben für uns dahingab, so kann niemand besser seine Liebe unter Beweis stellen als durch die Hingabe des eigenen Lebens für die Brüder (1Joh 3,16). Diese Tatsache wird in der Constitutio Lumen Gentium hervorgehoben: Der höchste Akt der Liebe, die Hingabe seines Lebens durch Jesus, wird vom Autor als Muster für Liebe hingestellt, wonach die Gemeinde sich richten soll. In derselben Weise, wie “Christus sein Leben für uns dahingegeben hat”, sollen auch wir “unser Leben für die Brüder dahingeben” (1Joh 3,16). Die Lebensweihe des Christen an Gott muss ohne jede Einschränkung sein. Aber auch die Geschichte der Kirche und der Menschheit zeigen immer wieder beachtenswerte Beispiele von Hingabe und Liebe von Menschen, die buchstäblich bereit waren zu sterben und ihr Leben dahingegeben haben zum Wohl ihrer Brüder und Mitmenschen.12
Allerdings meint das von Johannes benutzte Beispiel, um zu erläutern, was es heißt, „das Leben für die Brüder dahingeben”, nicht unbedingt sterben, sondern die Bedürfnisse des Bruders wahrnehmen und Abhilfe schaffen „Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat und sieht seinen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibt dann die Liebe Gottes in ihm?” (1Joh 3,17). Oder positiv ausgedrückt: „Wer Güter besitzt und den Bruder darben sieht und Abhilfe schafft, der bleibt in der Liebe Gottes”. Was der Autor sagt, ist praktisch und realistisch: Es gibt die, die „Güter 11 Vgl. BROWN, 1983, S. 137. 12 LUMEN GENTIUM, 1964. n. 42.
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haben” und die, „die bedürftig sind”. Dieser Kontrast ist beständig und findet sich sowohl in Kirchengemeinden als auch in der Gesellschaft im Allgemeinen, sowohl in der Vergangenheit als auch in unseren Tagen. Selbst angesichts der Tatsache, dass die menschlichen Nöte unzählige sind, so betont der Text doch, in seiner Ausdrucksweise, die materiellen Nöte. Die Notleidenden sind vornehmlich die Armen. Nach 1Joh 3,17 beginnt der Einsatz zugunsten der Notleidenden mit dem Hinschauen: „Wer seinen Bruder darben sieht …”13 Der Mensch muss die Notlage der Mitmenschen sehen. So sieht er den Lazarus vor seiner Tür, den Überfallenen am Wegesrand, den Obdachlosen, dem geholfen werden muss, und schafft Abhilfe. Alle diakonische Hilfe beginnt also mit dem Sehen der Nöte, das dann zu einem konkreten Akt führt, Abhilfe zu schaffen. Diese Sichtweise spricht aus der apostolischen Exortation Vita Consecrata: Die Suche nach der göttlichen Schönheit veranlasst die Personen des geweihten Lebens dazu, sich für das in den Gesichtern von Brüdern und Schwestern entstellte göttliche Abbild zu sorgen, Gesichter, die durch Hunger verzerrt, Gesichter, die von politischen Versprechungen enttäuscht sind, gedemütigte Gesichter, die die Schmähung ihrer Kultur erleben, erschrockene Gesichter angesichts täglicher und wahlloser Gewalt, verängstigte Gesichter von Minderjährigen, Gesichter beleidigter und gedemütigter Frauen, müde Gesichter von Emigranten, die keine würdige Aufnahme finden, Gesichter alter Menschen ohne geringste Voraussetzungen für ein würdiges Leben.14
13 Der Ausdruck „sehen”, theoreo, bedeutet nach Strong (2005, g2334): Beobachter sein, sehen, beobachten, aufmerksam hinsehen, eine Sicht haben, untersuchen, mit den Augen wahrnehmen, feststellen, unterscheiden, einschätzen. 14 VITA Consecrata. Exortação apostólica pós-sinodal. JOÃO PAULO II. (1996), n. 75.
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Gesandt, um zu dienen
1.3 Weisungen zu einem geweihten Leben ausgehend von Texten des Johannes Die Theologie der Schriften des Johannes in sämtlichen Texten, unter Hervorhebung von 1. Johannes 3,16-18 mit seiner Betonung von Liebe und Dienst, ist eine Quelle der Weisung und Inspiration für die Christen, die die Vision haben, ein Leben der Weihe und des Dienstes an Gott und den Nächsten zu führen. Unter diesen Wahrnehmungen führen wir auf: a. Das Wesen Gottes ist Liebe: „Gott ist Liebe” (1Joh 4,8). Die Liebe Gottes ist eine unbeschränkte Liebe, welche “die Welt” (Joh 3,16) auf bedingungslose Weise umfasst und einhüllt. „Diese Liebe wird der Menschheit offenbart durch den Tod Jesu Christi, seines Sohnes, dessen Selbstopfer die Sünden der Menschen ausgetilgt hat. Wenn wir wissen wollen, was Liebe ist, so sehen wir es auf´s Höchste in diesem Akt.”15 b. Die Liebe muss „erkannt” werden, was eine persönliche Erfahrung impliziert und nicht bloß eine theoretische Erkenntnis. c. „Die Liebe zu Gott muss im Gehorsam gegenüber seinem Gebot zum Ausdruck kommen, das uns gebietet, einander zu lieben.”16 d. Unsere Liebe ist immer eine Antwort auf die Liebe Gottes, der uns zuerst geliebt hat. Das Geschenk der Liebe Gottes befähigt uns, unsern Nächsten zu lieben. 15 MARSHALL, 2007, S. 466. 16 MARSHALL, 2007, S. 466.
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e. Das Selbstopfer Christi, der „sein Leben für uns dahingab”, war das Höchstmaß seiner Weihe an Gott. Im Gehorsam gegen Gottes Berufung (Joh 4,3234) verzichtete er darauf, eine Familie zu gründen, um ganz seinem Auftrag zur Verfügung zu sein (Joh. 17,4). So ist die Weihe Christi Beispiel und Inspiration und Kraft für alle, die - dem Ruf Gottes folgend - ihr Leben Gott weihen und vorziehen, ehelos zu bleiben um des Reiches Gottes willen. f. Der Apostel Johannnes unterstreicht in seiner ersten Epistel, dass Christus dadurch diente, dass er sein Leben am Kreuz dahingab, und in seinem Evangelium zeichnet er Jesus als Diener, der seinen Jüngern die Füße wusch (Joh 13,5-17). In der johanneischen Lehre müssen wir, weil Jesus die Jüngerfüße gewaschen hat, einander die Füße waschen. So wie er sein Leben für uns dahingegeben hat, sollten wir unser Leben für die Brüder geben. Dieses “Geben des Lebens” wird vom Apostel verstanden, die Bedürfnisse der Brüder zu sehen sieht und sie zu erfüllen. g. Die Liebe Gottes soll nicht nur erkannt werden, sondern muss im Herzen “bleiben” (ménein). Dieser Ausdruck ménein ist Schlüsselwort für die christliche Gemeinde. Es handelt sich nicht nur darum, die Liebe Christi zu erkennen, sondern in Christus zu bleiben (Joh 15, 4-7) wie eine Rebe am Weinstock, und in der Liebe Christi (Joh 15,9ff) und in der Liebe Gottes (1Joh 3,17) zu bleiben. Denn wer sein Herz vor dem Bruder in seiner Not verschließt, in dem bleibt die Liebe Gottes nicht (siehe 1 Joh 3,17).
„Gesandt, um zu dienen“ ist mehr als der Titel eines Buches. Es ist das wichtige Kennzeichen eines Christen. Jesus Christus würdigt uns, Beteiligte an der göttlichen Berufung zu sein: „So wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch.” Der Autor, Theologe und Lehrer Fred Bornschein führt uns in eine tiefgründige Reflektion als einer, der diese Sendung mit Freuden lebt. Die Diakoniegemeinschaft Irmandade Evangélica Betânia sieht es als ein Privileg, Pastor Fred Bornschein seit vielen Jahren in der Leitung zu haben. Er war acht Jahre auch Präsident der Irmandade. Ich danke ihm, dass er dieses Buch geschrieben hat. Jesus Christus sucht Menschen, die unabhängig von Alter, Beruf oder Familienstand so antworten: „Hier bin ich!” Gabriele Kumm