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Multiprofessionalität als mutige Umsetzung einer neuen Kultur kirchlichen Handelns
Rut
Aufbruch aus der Not heraus
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Nicole Chibici-Revneanu
Ruth im Feld des Boaz. Julius Schnorr von Carolsfeld (1828), CC0
Viele biblische Geschichten erzählen von Aufbrüchen ins Ungewisse – und längst nicht jeder Aufbruch steht unter einer großen Verheißung wie bei Abraham. Als Noomi aufbricht, um aus Moab in ihre Heimat Betlehem zurückzukehren, ist sie mutlos und enttäuscht. Mann und Söhne sind ihr gestorben, und in der Welt, in der sie lebt, ist eine Frau allein nichts wert. Es ist ein bitterer Aufbruch ganz ohne Verheißung, eine Rückkehr mit leeren Händen.
Mutige Schritte
Da ist aber auch noch Rut, eine von Noomis moabitischen Schwiegertöchtern. Sie will mitkommen, den Aufbruch der entmutigten Noomi auch zu ihrem Aufbruch machen. Noomi wehrt ab, aber Rut hält fest: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Das ist mutig, sogar riskant. Zwei verwitwete Frauen, was soll das werden? Rut könnte es einfacher haben, zurückkehren in ihr Elternhaus, später wieder heiraten und Kinder bekommen. Orpa, die andere Schwiegertochter, wählt diesen Weg: So bleibt sie zuhause und versorgt. Wenn Rut mit Noomi mitgeht, wird sie in Armut leben und eine Ausländerin sein.
Gebeugte Schritte
Es ist mühsam für die beiden Witwen in Betlehem. Damit sie nicht verhungern, nimmt Rut ein Recht in Anspruch, das den Armen in Israel zusteht: Wenn auf den Feldern geerntet wird, dürfen sie die übrigen Ähren auflesen. So geht Rut nun übers Feld, die Augen fest auf den Boden geheftet. Für jede Ähre muss sie sich bücken, und wie viele Ähren wird es wohl brauchen, um satt zu werden? Und was für Übergriffe hat sie zu erwarten, als alleinstehende fremde Frau?
Ermutigte Schritte
Ganz leicht geht Rut abends nach Hause. Der Mann, dem der Acker gehört, ist erstaunlich freundlich gewesen. Er hatte schon von den beiden Frauen gehört und hat gute Worte gefunden für das, was Rut für Noomi tut. Sie darf nicht nur weiter auf seinem Feld sammeln, er hat auch sichergestellt, dass Rut keine Übergriffe zu befürchten hat. Trinken durfte sie und sich satt essen, und für Noomi reichlich Gerste auflesen. Noomi kennt den Ackerbesitzer, er ist ein Verwandter ihres verstorbenen Mannes. Nach israelischem Recht könnte er Eigentum und Familie des Verstorbenen „lösen“ und deren Fortbestand sichern. Wenn er das will.
Verstohlene Schritte
Leise läuft Rut durch die beginnende Nacht. Gebadet und gesalbt hat sie sich, wie Noomi gesagt hat. Nun ist sie unterwegs zu Boas, dem Ackerbesitzer. Wenn er schläft, wird sie sich zu seinen Füßen legen. Rut ist kein Kind mehr. Sie weiß, dass sie gerade viel aufs Spiel setzt. Es könnte alles gut werden. Oder viel schlimmer, wenn Boas sie fortjagt und dann alle denken, sie ist so eine, die sich nachts zu Männern schleicht.
Schritte Richtung Zukunft
Es ist eine Eigenart des biblischen Buches Rut, dass Rut im letzten Kapitel gar nicht mehr auftaucht. Boas regelt alles im Kreis der Ältesten. Noomi wird im Kreis der Frauen beglückwünscht. Ganz knapp nur heißt es dazwischen, dass Rut Boas’ Frau geworden ist und ihm einen Sohn geboren hat. Obed, der später der Großvater des großen Königs David werden wird. Wenn Gott aus Ruts Aufbruch in die Fremde und in Armut so Großes werden lassen kann – was mag seine Verheißung sein für eine Kirche, die sich von manchem Wohlstand verabschieden muss und vielen fremd geworden ist?
Literatur:
Jutta Hausmann: Rut. Miteinander auf dem Weg, Leipzig 2005.
Nicole Chibici-Revneanu ist Pastorin der Nordkirche und leitet das Bibelzentrum Barth.
PGP für die Praxis
Jeremias Treu
Auch Veränderungsprozesse in den Kirchen brauchen mutige Entscheidungen. Das Heft Mut ist voller Ideen und Erfahrungen, die in der gemeindepädagogischen Praxis zu mutigen Schritten anregen können.
Da ist z.B. der Beitrag von Steffen Bauer ( S.32). Er beschreibt vier Dimensionen des Mutes: sich mutig der Realität stellen, mutig Vertrautes hinter sich lassen, mutig Unwissenheit eingestehen, mutig ausprobieren und erkunden. In Gemeindegruppen und auch im Kirchenvorstand könnten diese vier Dimensionen anregen (zu jeder Dimension fragen: Wo müssen wir ...?), über eigene mutige Schritte in der Gemeinde ins Gespräch zu kommen.
Von mutigen Menschen aus der Bibel erzählt Nicole Chibici-Revneanu. Petrus (S. 16) und Rut (S. 18) werden als mutige Beispiele porträtiert. Diese Texte eignen sich hervorragend, um in Gemeindekreisen Petrus und Rut als Beispiele vorzustellen. Dazu könnten Bilder als der Kunstgeschichte zu Petrus und Rut gezeigt werden. Anschließen könnten die Teilnehmenden ihre eigenen Mutgeschichten erzählen.
Mut anderer Menschen ermutigt und führt zu neuen Erfahrungen. Im Redaktionteam haben wir eigne Mutgeschichten gesammelt. Davon finden sie (S. 6 f.) ein Auswahl. Diese Mutgeschichten könnten anregen, eigene Mutgeschichten auszuschreiben. Sie könnten dann im Gottesdienst oder im Gemeindebrief eine Öffentlichkeit finden.
Der Beitrag von Christian Grethlein zu Mut in Lebensaltern (S. 34) regt zu einer Biographiearbeit an. Jedes Lebensalter hat seine eigenen Entwicklungsaufgaben und erfordert Mut. Vorstellbar sind Tisch-Stationen, die eine Lebensphase repräsentieren. Auf den Stationen findet sich ein kurzer Text zu der Lebensphase und Fotos, die dazu passen. Die Teilnehmenden erzählen sich an den Stationen ihre Erfahrungen und Erinnerungen der jeweiligen Lebensphase. Das wird sicher ein spannender und intensiver Austausch.
Der sehr persönliche Bericht von Sophie Weidenmüller (S. 12) über ihre Erfahrungen als Seenotretterin auf dem Mittelmeer könnte als Impuls für ein Gespräch über zivilgesellschaftliches Engagement dienen.
Mutmacher Beten als Beruf der Bibel Offene Kirchen Seenotrettung: mutiges Eintreten Gebetsinseln Kann man Beten lehren? Über Mutproben bei Jugendlichen Mut zum Frieden
75. Jahrgang // Heft 3 // Juli – September 2022
PRAXIS GEMEINDEPÄDAGOGIK
ZEITSCHRIFT FÜR EVANGELISCHE BILDUNGSARBEIT
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MUT
www.praxis-gemeindepaedagogik.de
Vielleicht gibt es auch Menschen aus dem gemeindlichen Umfeld, die sich zivilgesellschaftlich engagieren und zu einem Gespräch eingeladen werden können. Aus welchen Quellen schöpfen diese mutigen Menschen und warum geben sie der Angst nicht das letzte Wort? Konfis können Interviews mit diesen Menschen führen und dann in einer Reihe im Gemeindebrief veröffentlichen oder eine kleine Ausstellung in der Kirche dazu erstellen. Ein ganz besonderes Umweltprojekt aus der Nordkirche wird von Inga Hillig-Stöven vorgestellt (S. 20). Dass Mut auch tatsächlich wächst, stellt sie eindrücklich in drei Beispielen vor: Da sind die samenfesten Gemüsesorten, die Bedeutung von Humus und die Rolle von Blühpflanzen für Insekten. Dass wir ein neues Klimabewußtsein brauchen, um die Schöpfung Gottes zu bewahren und nicht zu zerstören, ist unbestritten. Dieses veränderte Klimabewußtsein braucht Kenntnisse, damit wir Zusammenhänge besser verstehen und unser Handeln ändern. Diese drei Beispiele zeigen Handlungsoptionen. Warum nicht mit den Kindern des Kindergartens, den Konfis oder der Christenlehre im Pfarrgarten gärtnern. Die einzelnen Schritte könnten dokumentiert und dann in Form einer Ausstellung präsentiert werden. Auch könnte der Beitrag als Grundlage eines Gesprächs in einem Gesprächskreis über „Klimabewußtsein konkret“ dienen.
Inga Rohoff hat Lieder, die Mut machen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zusammengestellt (S. 54). Einen Gottesdienst nur mit Mutmachliedern: Gemeindekreise werden gebeten, ihre Mutmachlieder mitzuteilen. Im Gottesdienst können sie dann ihre Mutmachlieder mit einem kurzen Kommentar den anderen vorstellen.
Jeremias Treu ist Studienleiter für Konfirmandenarbeit im Amt für kirchliche Dienste der EKBO und Mitglied der PGP-Redaktion.