Praxis Gemeindepädagogik 3-2022

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Rut Aufbruch aus der Not heraus Nicole Chibici-Revneanu

Ruth im Feld des Boaz. Julius Schnorr von Carolsfeld (1828), CC0

Viele biblische Geschichten erzählen von Aufbrüchen ins Ungewisse – und längst nicht jeder Aufbruch steht unter einer großen Verheißung wie bei Abraham. Als Noomi aufbricht, um aus Moab in ihre Heimat Betlehem zurückzukehren, ist sie mutlos und enttäuscht. Mann und Söhne sind ihr gestorben, und in der Welt, in der sie lebt, ist eine Frau allein nichts wert. Es ist ein bitterer Aufbruch ganz ohne Verheißung, eine Rückkehr mit leeren Händen. Mutige Schritte Da ist aber auch noch Rut, eine von Noomis moabitischen Schwiegertöchtern. Sie will mitkommen, den Aufbruch der entmutigten Noomi auch zu ihrem Aufbruch machen. Noomi wehrt ab, aber Rut hält fest: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ Das ist mutig, sogar riskant. Zwei verwitwete Frauen, was soll das werden? Rut könnte es einfacher haben, zurückkehren in ihr Elternhaus, später wieder heiraten und Kinder bekommen. Orpa, die andere Schwiegertochter, wählt diesen Weg: So bleibt sie zuhause und versorgt. Wenn Rut mit Noomi mitgeht, wird sie in Armut leben und eine Ausländerin sein. Gebeugte Schritte Es ist mühsam für die beiden Witwen in Betlehem. Damit sie nicht verhungern, nimmt Rut ein Recht in Anspruch, das den Armen in Israel zusteht: Wenn auf den Feldern geerntet wird, dürfen sie die übrigen Ähren auflesen. So geht Rut nun übers Feld, die Augen fest auf den Boden geheftet. Für jede Ähre muss sie sich bücken, und wie viele Ähren wird es wohl brauchen, um satt zu werden? Und was für Übergriffe hat sie zu erwarten, als alleinstehende fremde Frau? Ermutigte Schritte Ganz leicht geht Rut abends nach Hause. Der Mann, dem der Acker gehört, ist erstaunlich freundlich gewesen. Er hatte schon von den beiden Frauen gehört und hat gute Worte gefunden für das, was Rut für Noomi tut. Sie darf nicht nur weiter auf seinem Feld sammeln, er hat auch sichergestellt,

dass Rut keine Übergriffe zu befürchten hat. Trinken durfte sie und sich satt essen, und für Noomi reichlich Gerste auflesen. Noomi kennt den Ackerbesitzer, er ist ein Verwandter ihres verstorbenen Mannes. Nach israelischem Recht könnte er Eigentum und Familie des Verstorbenen „lösen“ und deren Fortbestand sichern. Wenn er das will. Verstohlene Schritte Leise läuft Rut durch die beginnende Nacht. Gebadet und gesalbt hat sie sich, wie Noomi gesagt hat. Nun ist sie unterwegs zu Boas, dem Ackerbesitzer. Wenn er schläft, wird sie sich zu seinen Füßen legen. Rut ist kein Kind mehr. Sie weiß, dass sie gerade viel aufs Spiel setzt. Es könnte alles gut werden. Oder viel schlimmer, wenn Boas sie fortjagt und dann alle denken, sie ist so eine, die sich nachts zu Männern schleicht. Schritte Richtung Zukunft Es ist eine Eigenart des biblischen Buches Rut, dass Rut im letzten Kapitel gar nicht mehr auftaucht. Boas regelt alles im Kreis der Ältesten. Noomi wird im Kreis der Frauen beglückwünscht. Ganz knapp nur heißt es dazwischen, dass Rut Boas’ Frau geworden ist und ihm einen Sohn geboren hat. Obed, der später der Großvater des großen Königs David werden wird. Wenn Gott aus Ruts Aufbruch in die Fremde und in Armut so Großes werden lassen kann – was mag seine Verheißung sein für eine Kirche, die sich von manchem Wohlstand verabschieden muss und vielen fremd geworden ist? Literatur: Jutta Hausmann: Rut. Miteinander auf dem Weg, Leipzig 2005.

Nicole Chibici-Revneanu ist Pastorin der Nordkirche und leitet das Bibelzentrum Barth.


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