Jörg Gläscher: LutherLand (Leseprobe)

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Wartburg — Eisenach, Oktober 2016

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Jörg Gläscher

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LutherLand

Mit einem Vorwort von Christian Schüle

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Passionsfestspiele — Verne, März 2016

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Christusbruderschaft Selbitz — Petersberg, Oktober 2015

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Christival — Karlsruhe, Mai 2016

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Lutherfigur — Lutherstadt Wittenberg, Juli 2016

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Vorwort

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Der Mensch glaubt, weil er vertrauen muss.

Christian SchĂźle

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Unbefleckte Empfängnis? Da lacht heute jeder. Wundertaten eines Heiligen? Nette Märchengeschichten. Wiederauferstehung? Ist höchstens einmal passiert und heute reichlich unglaubwürdig. Leben nach dem Tod? Schöne Idee, aber völlig unbewiesen. Der allmächtige Gott im Himmel? Mal ehrlich: Gestaltet wird die Welt durch Geld und Algorithmen. Jesus als Erlöser? Ist bei allen Kriegen und Katastrophen der vergangenen 2000 Jahre kein einziges Mal vorgekommen. Aber: Wer glaubt, der Glaube sei am Ende, der irrt allzu menschlich, denn wer glaubt, der Mensch komme ohne Glauben aus, glaubt erstens selbst und macht zweitens die Rechnung ohne die eigene Spezies. Der Mensch glaubt, weil er gar nicht anders kann als glauben. Der Mensch ist von Natur aus religiös, selbst der Atheist ist ein homo naturaliter religiosus. Einen Gott braucht er nicht unbedingt. Der nach Prinzipien der Kausalität und Rationalität erzogene Zeitgenosse lebt diesertage in einer totalvermittelten Medienwelt: Für jedes Gefühl gibt es ein Medium, für jeden Erdwinkel ein Bild, für jede Frage eine Wikipedia-Antwort, für jede Sorge eine Belehrung, für jeden Schmerz eine Pille. Aber das reicht nicht. So gut wie alle Riten und Zeremonien, die in älteren Kulturen mit dem Mythischen und Geheimnisvollen verbunden waren – Geisterbeschwörungen etwa, Sonnenwendfeiern oder Opferkulte – sind im Zuge einer unterkühlten Zweck-Mittel-Rationalisierung während des technischen Fortschritts entzaubert und entwertet worden. Die helle Ratio allein, diese Axt der Vernunft, aber schlägt offenbar keine Bresche mehr zum Glück, der rationalisierte Mensch sehnt sich nach dem Überrationalen. Weil das Individuum ans Übersinnliche andocken will, besucht es Workshops oder Spirituelle Sommerakademien mit dem beispielhaften Titel „Aus der Fülle des Nichts“, um sich bei einem Fest der Sinne in Meditationen und Kontemplationen an den eigenen Ursprung zu wagen. Es ist die Sehnsucht nach Übersetzung des kleinen Ich ins große Ganze. Der Blick geht dabei immer nach oben, dorthin, wo es offen und unbestimmt ist, weil unten doch alles bestimmt und determiniert scheint. Der Mensch ist ja mehr als nur ein vernunftbegabtes Tier. Er will über sich hinaus. Er will sich selbst transzendieren, überschreiten. Er hungert nach Sinn. Er will spüren: sich selbst und das Sein. Er will mitgerissen werden, in eine andere Dimension geraten. Er will Unmittelbarkeit erleben und auffahren. Im mystischen Erlebnis der Verschmelzung mit diesem diffusen ‚Irgendwohin‘ seiner Auffahrt ist er selbst das Medium – Körper und Geist, Leib und Seele schließen sich kurz. In der Selbsttranszendenz verfügt er allein über sich allein. Vielleicht ist der Glaubende, Hoffende, Liebende dann in der Wahrnehmung seiner selbst verändert, jedenfalls fühlt er sich für einen – wie lang auch immer währenden – Moment nicht länger überflüssig und zufällig, sondern aufgehoben, geborgen und gewollt.

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