Biogas Journal 3_2019

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BI

Fachverband Biogas e.V. | ZKZ 50073

| 22. Jahrgang

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GAS Journal

Das Fachmagazin der Biogas-Branche

Papierfabrik: Biomethan aus Abwasser S. 46

Bio-Kondensatoren: Supercaps aus Gärrest S. 66

Frankreich: Biomethan aus Kundensicht S. 78

BIOMETHAN


INHALT

BIOGAS JOURNAL

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TITELTHEMA BIOMETHAN 26 Kleiner Anlagenzubau im Jahr 2018 Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann 30 Biomethan auf die Straße bringen – Marktanreize und Fördermechanismen Von Dipl.-Ing. Alexey Mozgovoy

26 EDITORIAL 3 Wo bleibt die Biogasstrategie der Bundesregierung? Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer des Fachverbandes Biogas e.V.

AKTUELLES 6 Meldungen 8 Bücher & Termine 12 Stoffkreisläufe für mehr Klimaschutz Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph 16 Landwirtschaftliche Produktivität gesteigert ohne Zunahme der Klimagasemissionen Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann 20 Regionale Vermarktung im Fokus des Pooltreffens BSN Von M.Sc. Georg Friedl und Rainer Weng 22 Artenschutz geht uns alle an Von Dipl.-Ing. agr. Andrea Horbelt

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POLITIK 24 Klimaschutzgesetz Zerreißprobe für die Politik und Hoffnungsträger für die Erneuerbaren Von Sandra Rostek und Dr. Guido Ehrhardt

PRAXIS

WISSENSCHAFT 52 Zuckerrübe: vielversprechendes Spitzenlastsubstrat Von M.Sc. Biol. Kerstin Maurus, Dr. Sharif Ahmed und Prof. Dr. Marian Kazda 58 Mehr Flexibilität mit vorhandenem Gasspeicher möglich Von Dipl.-Ing. · Dipl. Journ. Martina Bräsel

34 Interview Durchwachsene Silphie – Anbau sachlich planen Interviewer: Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann

62 Konversion von Biomasse zu Wasserstoff und Methan Von Robert Manig, Denise Münch, Jürgen Tenbrink, Jörg-Uwe Ackermann und Hartmut Krause

36 Checkliste Silphieanbau Von Dennis Schiele

66 Bio-Supercaps aus Gärresten Von Dipl.-Ing. · Dipl. Journ. Martina Bräsel

38 Flexibel Strom produzieren und die Wärme zu 100 Prozent nutzen Von Thomas Gaul 42 Messen, was drin ist Von Steffen Bach 46 Biogas aus dem Pelletsschlamm Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph


INHALT

TITELFOTO: CARMEN RUDOLPH I FOTOS: HZI BIOMETHAN GMBH, CARMEN RUDOLPH, MARTINA BRÄSEL

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46 INTERNATIONAL

58 RECHT

Europa 70 LNG: Ein globales Pokerspiel um Zukunftspositionen ist im Gange Von Eur. Ing. Marie-Luise Schaller

92 Energetisches Quartierskonzept bringt Biogasanlagenbetreiber und Bürger zusammen Von Gerrit Müller-Rüster

Frankreich 78 Biomethanprodukte – Privatverbraucher sind noch wenig informiert Von Prof. Dr. Carsten Herbes

95 Interview TRAS-Regeln bilden Anhaltspunkte für behördliche Entscheidungen Interviewer: Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann

VERBAND Aus der Geschäftsstelle 82 Biogas – Quo vadis? Von Dr. Stefan Rauh und Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk

PRODUKTNEWS 100 Produktnews 102 Impressum

98 Voten zum Landschaftspflege-Bonus und zur Vergütungsverringerung bei Meldeverstößen veröffentlicht Von Beatrice Brunner und Elena Richter

86 Aus den Regionalbüros 88 Firmen diskutierten über die Zukunft von Biogas in Deutschland Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Manuel Maciejczyk 90 Mischpreisverfahren Von Dr. Simone Peter, BEE

Beilagenhinweis: Das Biogas Journal enthält Beilagen der Firmen 2G, agrikomp, greentec, BEEREPOOT & VOSKAMP, SaM-Power und UNION Instruments.

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AKTUELLES

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Stoffkreisläufe für mehr Klimaschutz Blick in den Dülfersaal der Technischen Universität Dresden während der Abfallvergärungstagung.

Experten für die Vergärung biologisch abbaubarer Abfälle diskutierten in Dresden über den derzeitigen Stand, Rahmenbedingungen und Perspektiven der Branche. Von Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph

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ie Herausforderungen im Bereich der Vergärung biologischer Abfälle – sowohl bei der Entfernung von Folien und Verpackungen aus dem Stoffstrom als auch die spezifischen Möglichkeiten der Branche bei der Sicherung einer gesellschaftlich angestrebten, stabilen Kreislaufwirtschaft – waren Gegenstand der Abfallvergärungstagung vom 11. bis 13. März in Dresden. Die ausgebuchte Fachkonferenz organisierten der Fachverband Biogas, das Forum für Abfallwirtschaft und Altlasten, die Gütegemeinschaft Gärprodukte und die Technische Universität (TU) Dresden erstmals gemeinsam. Etwa 120 Praktiker, Wissenschaftler und Behördenvertreter reisten dafür in die sächsische Landeshauptstadt. An den ersten beiden Veranstaltungstagen im Dülfersaal der TU Dresden, in dem sich auch Firmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen präsentierten, bestimmten Fachvorträge über Praxiserfahrungen, rechtliche Neuerungen und Forschungsergebnisse sowie die sich daran anschließende Diskussion das Programm. Guten Anklang fand der Austausch in Networking-Gruppen zu Themen, die die Konferenzteilnehmer zuvor selbst bestimmten. Für den dritten Veranstaltungstag hatten die Organisatoren zwei Lehrfahrten organisiert. Sie führten zu einer Bioabfallanlage, die Inhalte der kommunalen Biotonne vergärt, und zu einem Reaktorsystem, in dem aus Resten bei der Milchverarbeitung Energie und Gärprodukte erzeugt werden.

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Unterschiede bei der Erfassung von Bioabfall Mehrere Referenten beleuchteten in ihren Vorträgen die derzeitigen Rahmenbedingungen für die Vergärung biogener Abfälle sowie die Ansprüche, denen sich die Akteure jetzt und zukünftig stellen müssen. Die Menge an biologisch abbaubaren Materialien, die in den Abfallbehandlungsanlagen jährlich verarbeitet wird, bezifferte Prof. Dr. Christina Dornack, Leiterin des Instituts für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der TU Dresden, mit 15,6 Millionen (Mio.) Tonnen (t). Davon kommen 9 Mio. t aus der getrennten Erfassung von Bioabfällen und 3 Mio. t aus der Lebensmittelindustrie. „Betrachtet man das erfasste Aufkommen genauer, zeigt sich bei den Flächenländern eine Trennlinie zwischen West und Ost“, verdeutlichte Dornack anhand einer Balkengrafik. Sie zeigt, dass alle ostdeutschen Länder beim Aufkommen unter dem Bundesdurchschnitt von 109 Kilogramm (kg) pro Erwachsenem und Jahr liegen. Schlusslicht ist Brandenburg mit 39 kg. Zum Vergleich: Jeder erwachsene Niedersachse sammelt im statistischen Mittel jährlich 144 kg Bioabfall. Das ist fast dreimal so viel wie in Sachsen (knapp 51 kg). „In einer Biopotenzialstudie haben wir dieses Phänomen untersucht und als Hauptgründe die Faktoren Kosten und Service ausgemacht“, berichtet die Wissenschaftlerin. So seien zum einen die Restabfallgebühren in den alten Bundesländern oft deutlich höher und dadurch sei der Anreiz größer, das Angebot der Biotonne


AKTUELLES

FOTOS: CARMEN RUDOLPH

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Dr. Christian Abendroth, TU Dresden

Prof. Dr. Christina Dornack, TU Dresden

zu nutzen. Zum anderen böten Kommunen im Westen ein dichteres Netz von Annahmestellen mit bürgerfreundlichen Öffnungszeiten. Vorherrschende Methode bei der Verarbeitung von Bioabfall sei noch die Kompostierung. Doch die Vergärung hole mengenmäßig auf und liege mit 6,5 Mio. t nur noch 1 Mio. t hinter der Kompostierung. Dies könne jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Substratgemisch aller bundesweit mehr als 9.000 Biogasanlagen insgesamt nur zu 4,2 Prozent aus kommunalen Abfällen und zu 2,4 Prozent aus gewerblichen Reststoffen besteht. Obwohl Kompostanlagen 15 bis 80 Kilowattstunden (kWh) pro Tonne Input verbrauchten, während sich bei der Vergärung pro Tonne etwa 200 kWh an Stromüberschuss und Wärme erzielen ließen, würden sich noch viele Kommunen wegen des größeren technischen Aufwandes und der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen vor dem Bau einer Vergärungsanlage für den Bioabfall scheuen. „Abhängig von der Inputqualität und dem Behandlungsverfahren entstehen bei der Vergärung aus einer Tonne Bioabfall 80 bis 140 Normkubikmeter Biogas. Das ist vergleichbar mit Substraten wie Geflügelmist oder Grassilage“, nennt Dornack als Faustformel. Der Präsident des Fachverbandes Biogas e. V. Horst Seide beleuchtete die aktuellen Entwicklungen aus Sicht seines Verbandes. Dabei verwies er auf nachdrückliche Forderungen aus der Politik, wonach eine Weiterentwicklung der Branche nur mit sauberen, effizienten und sicheren Biogasanlagen erfolgen kann. Anlass für die kritische Sicht seien Unfälle und Störungen mit teils erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt und einem entsprechenden Medienecho. Die verschärften Verordnungen in den „Technischen Regeln für die Anlagensicherheit von Biogasanlagen“ (TRAS 120) seien eine Folge solcher Schadensereignisse. „Die zweite Ausschreibungsrunde für den Anlagenzubau blieb mit einem Gebotsumfang der 79 Teilnehmer von insgesamt 76,5 Megawatt (MW) erneut weit unter dem Ausschreibungsvolumen von 225,8 MW“, informiert Seide. Das zeige, dass das Ausschreibungsprozedere einer Überarbeitung bedürfe. Eine Untersuchung des Fachverbandes habe ergeben, dass die Hälfte der

Peter Ewens, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit

Horst Seide, Fachverband Biogas e.V.

Betreiber, die sich an Ausschreibungen beteiligen, ihre Anlagen durch Überbauung nach vorne entwickeln, während die andere Hälfte ihre Betriebsgenehmigung nicht anfasse und die Leistung teilweise bis auf die Hälfte reduziere. In den Verhandlungen zum Energiesammelgesetz (EnSaG) habe man mit Rückenwind aus den Ländern für das EEG mehr erreicht als erwartet. Das betreffe beispielsweise den Flexdeckel. Dieser reduzierte sich zwar auf 1 GW und würde daher voraussichtlich bereits in diesem Frühjahr erreicht. Doch gleichzeitig habe sich die Karenzzeit auf 16 Monate verlängert. „Das bedeutet für flexwillige Betreiber bis Mitte 2020 Investitionssicherheit. Machen Sie was draus“, ermuntert Seide.

Alles verwerten, um Quoten zu erreichen Die in der Abfallrahmenrichtlinie vereinbarten verbindlichen Recycling-Quoten machen es nach Ansicht von Hans-Peter Ewens vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) erforderlich, die Bioabfälle, die mittlerweile ein Viertel der Siedlungsabfälle ausmachen, vollständig zu verwerten. Seit der Aufnahme einer Verpflichtung im Kreislaufwirtschaftsgesetz zur Getrenntsammlung habe die Menge an erfassten Bioabfällen deutlich zugenommen. Jüngste Statistiken weisen einen Zuwachs von rund 6 kg je Einwohner aus. Doch ein großer Teil der Bioabfälle würde immer noch über die graue Tonne entsorgt, sodass von einem ungenutzten Potenzial von 3 bis 4 Mio. t ausgegangen werden könne. Mit Blick auf die fast schon zu Ende verhandelte EUDüngemittelverordnung verweist der Referent in diesem Zusammenhang darauf, dass der Entwurf auch Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft von behandelten Bioabfällen (Komposten) als frei auf dem Binnenmarkt handelbare Düngeprodukte enthält. Bestimmte Düngeprodukte, das können auch behandelte Bioabfälle sein, wären damit europaweit frei handelbar. „Wir sind aber guter Hoffnung, dass die Hürden für die Einführung solcher Produkte, beispielsweise durch die geforderte CE-Kennzeichnung, so hoch sind, dass nicht zu viele solcher Produkte ohne weitere Regelung, ohne Dünge-

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AKTUELLES

Stefan Hüsch, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

BIOGAS JOURNAL

Dr. Andreas Kirsch, Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V.

mittelrecht oder Bioabfallverordnung auf Flächen in Deutschland aufgebracht werden“, so Ewens. Als Reaktion auf den Fund großer Mengen von Kunststoffverpackungen in einem norddeutschen Gewässer habe der Bundesrat im September 2018 eine Entschließung zur Vermeidung von Kunststoffabfällen in der Umwelt bei der Entsorgung verpackter Lebensmittel verabschiedet. Gegenwärtig werde eine bundesweit einheitliche Regelung zur schadlosen und ordnungsgemäßen Verwertung von verpackten Lebensmitteln erarbeitet. Sie soll noch 2019 vorliegen. Die Verbände würden einbezogen. Mit Blick auf die Diskussion um Kunststoffe in der Umwelt legte Dr. Andreas Kirsch von der Bundesgütegemeinschaft Kompost e.V. (BGK) dar, dass entgegen negativer Pressemeldungen der Kunststoffanteil in den bei der Gütesicherung analysierten flüssigen Gärprodukten mit im Mittel 0,023 Prozent auf Trockenmasse bezogen weit unter dem Grenzwert von 0,1 Prozent liege. Nach Schätzungen der BGK fallen in Deutschland jährlich etwa 750.000 t verpackter Lebensmittel als Biomüll an. Der Gewichtsanteil der Verpackungsmaterialien betrage 10 bis 15 Prozent. „Die in jüngster Zeit verstärkt erhobene Forderung nach einer umfassenderen Kunststoffabtrennung bereits vor der Vergärung würde technologisch bedingt einen höheren Verlust an organischer Substanz im Biogasinput und damit eine geringere Gasausbeute sowie weniger Nährstoffe und Humus im Gärprodukt bedeuten“, gibt Kirsch zu bedenken. Über Zwänge, denen die Bundesregierung bei der erneuten Überarbeitung der Düngeverordnung (DüV) unterliege, informierte Stefan Hüsch vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

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Prof. Dr.-Ing. Frank Scholwin, Institut für Biogas, Kreislaufwirtschaft und Energie

Die Nitratgehalte im Grundwasser und in Oberflächengewässern müssten in einem überschaubaren Zeitrahmen sinken und die Forderungen der EU-Kommission umgesetzt werden. Sonst drohten ein Zweitverfahren und Bußgelder von täglich bis zu 858.000 Euro. Das Ministerium überlege, die Auswirkungen der nochmals verschärften DüV in bestimmten Gebieten durch ein Bundesprogramm Gülle abzumildern. Als angedachte Maßnahmen nennt Hüsch die Gülleseparation, die Herstellung von exportwürdigem Phosphatdünger, die Ansäuerung von Gülle mit Schwefelsäure, wie sie in Dänemark verbreitet ist, und den Einsatz der NIRSTechnologie zur Ermittlung der Nährstoffgehalte in Gülle und Gärprodukten.

Es werde Licht im Biogas-Reaktor Spannende Ergebnisse aus der Forschung präsentierten Wissenschaftler der TU Dresden. So berichtete Anne Geißler über ihre Versuche zur optimalen Vergärung von stickstoffreichen Substraten. Stickstoff kann bereits ab einer Konzentration von 0,15 Gramm pro Liter Prozessstörungen verursachen. In ihren Testserien mit verschiedenen Substraten und unterschiedlichen Hochleistungsreaktoren aus dem Bereich der Abwasserreinigung zeigte sich der Rieselbettreaktor durch eine schnelle Anpassung der Mikroben an den Aufwuchsträgern am robustesten gegenüber wechselnden Substrateigenschaften und einer hohen Stickstoffbelastung. Bei Untersuchungen der Mikrobiologie in Biogasreaktoren fiel Dr. Christian Abendroth die Gattung der Methanosarcina auf. Diese „Superbakterien“ haben die Fähigkeit, auf direktem Wege Elektronen untereinander auszutauschen, und können auf

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Anne Geißler, TU Dresden

verschiedenen Stoffwechselwegen und aus unterschiedlichen Substraten Methan produzieren. Zwar werde dadurch aus der gleichen Menge an Input nicht mehr Methan erzeugt, aber durch eine Anreicherung der Methanosarcina im Fermenter ließe sich der Gärprozess auch bei wechselnder Substratzusammensetzung, wie dies für die Abfallvergärung typisch ist, stabilisieren. Zufällig entdeckte Abendroth bei Versuchen in einem Glasreaktor, dass sich Methanosarcina unter dem Einfluss von Licht deutlich schneller reproduzieren. „Damit eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für eine gezielte Steuerung der Mikrobenpopulationen bei der Biogasproduktion“, sagt der Wissenschaftler. Prof. Dr.-Ing. Frank Scholwin, Leiter des Instituts für Biogas, Kreislaufwirtschaft und Energie, entwarf zum Abschluss der Tagung einen Maßnahmenkatalog für eine stärkere stoffliche und energetische Nutzung von Bioabfall und gab einen Überblick zu Trends in der Biogasbranche, wie die Kopplung der Biogaserzeugung mit Bioraffinerieprozessen, die Veredlung des Biomethans zu gasförmigen und flüssigen Biokraftstoffen oder die Separation einzelner Nährstoffe aus Gärprodukten. Scholwin ermunterte die Tagungsteilnehmer, Neues zu wagen und gute Beispiele selbstbewusst zu präsentieren. Autor Dipl.-Journ. Wolfgang Rudolph Freier Journalist Rudolph Reportagen – Landwirtschaft Umwelt, Erneuerbare Energien Kirchweg 10 · 04651 Bad Lausick 03 43 45/26 90 40 info@rudolph-reportagen.de www.rudolph-reportagen.de


PRAXIS / TITEL

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BIOMETHAN

Kleiner Anlagenzubau im Jahr 2018 Der Neubau von Anlagen, die Biomethan ins Erdgasnetz einspeisen, stagniert weiter im unteren einstelligen Bereich. Dennoch erreichte die Gesamtanlagenzahl die magische Schwelle von 200. Von Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann

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m vergangenen Jahr sind vier neue Biomethaneinspeiseanlagen ans deutsche Erdgasnetz angeschlossen worden (siehe Abbildung 1). Das ist eine Anlage mehr als in 2017. Ende 2018 speisten insgesamt 200 Anlagen Biomethan in das deutsche Erdgasnetz ein. Die neu errichtete Rohgasaufbereitungskapazität erreichte im vergangenen Jahr 3.200 Normkubikmeter pro Stunde (siehe Abbildung 2). Zwei der neuen Einspeiseanlagen wurden in Mecklenburg-Vorpommern, eine in Rheinland-Pfalz und eine in Hessen gebaut. Insgesamt verteilen sich die Anlagen auf die Bundesländer wie folgt: Niedersachsen: 31 Sachsen-Anhalt: 33 Bayern: 18

Brandenburg: 24 Hessen: 14 (+1) Nordrhein-Westfalen: 14 Mecklenburg-Vorpommern: 18 (+2) Sachsen: 13 Baden-Württemberg: 13 Thüringen: 9 Schleswig-Holstein: 4 Rheinland-Pfalz: 6 (+1) Berlin, Saarland, Hamburg: je 1 Die Einspeiseanlagen verfügen über Rohgasaufbereitungskapazitäten zwischen 500 von 1.400 Normkubikmetern pro Stunde. Die Rohgasaufbereitungskapazität beträgt in Summe für das zurückliegende Jahr

3.200 Normkubikmeter pro Stunde. Sie liegt damit 1.700 Normkubikmeter niedriger als in 2017. Die gesamte in Deutschland errichtete Rohgasaufbereitungskapazität stieg bis Ende 2018 auf 210.765 Normkubikmeter pro Stunde an. In der Zahl enthalten ist auch der Austausch einer alten Aufbereitungsanlage durch ein neues, leistungsfähigeres System. Eine der neuen Anlagen des vergangenen Jahres vergärt nachwachsende Rohstoffe. Die anderen drei setzen Bioabfall und industrielle Abfälle ein. Eine der Anlagen reinigt das Rohgas mittels Membrantechnik, eine nutzt ein physikalisches Waschverfahren, die dritte Anlage reinigt das Rohgas mit der drucklosen Aminwäsche. Für die vierte Anlage konnte bis Redaktionsschluss das Reinigungsverfahren nicht ermittelt werden.

Entwicklung der Zahl der Biomethaneinspeiseanlagen in Deutschland, jährlicher seit 2006 Abbildung 1: Entwicklung der Zahl der Biomethaneinspeiseanlagen in Deutschland, jährlicher Zubau Zubau seit 2006 35

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QUELLE: FACHVERBAND BIOGAS E.V., STAND: 08. APRIL 2019

Quelle: Fachverband Biogas e.V., Stand: 08. April 2019

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PRAXIS / TITEL

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Entwicklung der Rohgasaufbereitungskapazität in Nm3/h in Deutschland, jährlicher Zubau seit 2006 und kumuliert Abbildung 2: Entwicklung der Rohgasaufbereitungskapazität in Nm3/h in Deutschland, jährlicher Zubau seit 2006 und kumuliert 250.000

200.000

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202.665

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125.065

89.865

100.000 36.835 50.000 1.000

3.950 2.950

28.250 4.635 8.585

56.665 19.830

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QUELLE: FACHVERBAND BIOGAS E.V., STAND: 08. APRIL 2019

Quelle: Fachverband Biogas e.V., Stand: 08. April 2019

Bei einer durchschnittlichen jährlichen Laufzeit von rund 8.500 Stunden können die 200 am Erdgasnetz befindlichen Anlagen 1,79 Milliarden (Mrd.) Kubikmeter Rohbiogas verarbeiten. Setzt man einen Methangehalt des Rohbiogases von durchschnittlich 55 Prozent an, weil die überwiegende Zahl der Anlagen nachwachsende Rohstoffe vergärt, so können jährlich theoretisch rund 985 Millionen Kubikmeter Biomethan ins deutsche Erdgasnetz eingespeist werden. Das entspricht etwa 16 Prozent des 2018 in Deutschland geförderten Erdgases. Die heimische Erdgasförderung ist in 2018 um 12,7 Prozent auf 61,6 Mrd. Kilowattstunden (kWh) zurückgegangen. Bezogen auf den Erdgasverbrauch in Deutschland im vergangenen Jahr stammt aus Biomethan 1 Prozent. Die aktuelle Produktionsmenge reicht zudem, um rund 2,8 Millionen deutsche Haushalte (Verbrauch von 3.500 kWh Wärme pro Jahr) mit Biomethan voll zu versorgen. Ausblick: Der Neubau von Biomethaneinspeiseanlagen wird in 2019 voraussichtlich im einstelligen Bereich bleiben. Eine Anlage war Anfang dieses Jahres in Betrieb gegangen, drei weitere Anlagen befanden sich mit Stand April noch in der Bauphase.

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Jährl. Zubau d. Rohgasaufbereitungskapazität in Nm³/h Kumulierter Zubau d. Rohgasaufbereitungskapazität

im Gesamtjahr hatten zudem der weitere Anstieg der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie die Preisentwicklung“, erklärt die AG Energiebilanzen. Die AG schreibt weiter: „Der Erdgasverbrauch erreichte 2018 einen Wert von 3.071 Petajoule (PJ) und lag damit um 1,6 Prozent unter dem Vorjahr. Hauptgrund für diesen Rückgang war der geringere Erdgaseinsatz für Wärmezwecke, da es um rund 7,5 Prozent wärmer war als 2017 und um 12,3 Prozent milder als im langjährigen Durchschnitt. Gegen Jahresende führte der Produktionsrückgang in der chemischen Industrie zu einer rückläufigen Nachfrage nach Erdgas. Zudem wurde 2018 weniger Erdgas zur Stromerzeugung eingesetzt.“ Im Bericht der AG Energiebilanzen wird weiter ausgeführt: „Der Anteil von Erdgas am gesamten Primärenergieverbrauch stieg verglichen mit 2017 von 23,2 auf 23,8 Prozent im Jahr 2018. In Summe wurde der Erdgasverbrauch Deutschlands zu rund 6 Prozent aus inländischen Erdgasquellen gedeckt. […] Rund 70 Prozent seines Energiebedarfs muss Deutschland durch Importe decken. Zum mit Abstand wichtigsten Lieferanten hat sich Russland entwickelt.“

2018: Erdgasverbrauch gesunken Der Erdgasverbrauch in Deutschland ging 2018 laut AG Energiebilanzen um gut 7,3 Prozent auf 933,9 Milliarden Kilowattstunden (kWh) oder auf rund 93 Mrd. Kubikmeter Gas zurück. „Nachdem die kalte Witterung im 1. Quartal für einen deutlichen Verbrauchsanstieg gesorgt hatte, kam es im Jahresverlauf durch höhere Temperaturen zu Verbrauchsrückgängen im Raumwärmemarkt. Einfluss auf den Verbrauchsrückgang

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Autor Dipl.-Ing. agr. (FH) Martin Bensmann Redakteur Biogas Journal Fachverband Biogas e.V. 0 54 09/90 69 426 martin.bensmann@biogas.org


WISSENSCHAFT Das Hessische Bio-

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gaszentrum hat einen eigenen Energiepflanzen-Versuchsgarten. Hier werden auch verschiedene Substrate angebaut und im eigenen Labor getestet.

Mehr Flexibilität mit vorhandenem Gasspeicher möglich Damit Biogasanlagen effizient in das Versorgungssystem integriert werden können, müssen sie flexibler werden. Ein Forschungsprojekt untersuchte, wie sich Biogasanlagen kostengünstig optimieren lassen. Von Dipl.-Ing. · Dipl. Journ. Martina Bräsel

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anlage zu verbessern. Für Henning Hahn ist in der Praxis eine Einsparung des Gasspeichervolumens zwischen 20 und 40 Prozent durchaus realistisch. „Auf jeden Fall kann der Anlagenbetreiber eine höhere Flexibilität anbieten, als sie der Gasspeicher momentan bietet.“

Substrat- und Fütterungsstrategie Im Projekt konnte nachgewiesen werden, dass die Flexibilisierung der Gasproduktion von Biogasanlagen durch ein angepasstes Fütterungsmanagement möglich ist und ein hohes Potenzial in sich birgt. Eine Kombination von schnell und langsam abbaubaren Substraten und eine gezielte Fütterungsstrategie bringen erhebliche Vorteile und reduzieren das notwendige Gasspeichervolumen. Zu den Forschungspartnern des IEE gehörten die Maschinenring Kommunalservice GmbH Kassel, der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) und der Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL). Die Laborversuche führte der LHL mit verschiedenen Kulturen durch. Getestet wurden unter anderem: Mais, Gülle und Mist, Getreideschrot und Ganzpflanzensilage, es kamen aber auch Wildpflanzenmischungen, Silphie und Zuckerrübe zum Einsatz. Um auf große Gasspeicher zu verzichten, sei es eine wichtige VoraussetFOTOS: MARTINA BRÄSEL

Die Biogasanlage besteht aus zwei Fermentern. Der Forschungsfermenter in der Mitte besitzt eine Betondecke, damit die produzierte Gasmenge exakt erfasst werden kann.

eim Upgrading von Bestandsbiogasanlagen hin zu flexiblen Energieerzeugern können deutlich Kosten eingespart werden. Dies fanden Wissenschaftler in einem dreijährigen Forschungsprojekt heraus, in dessen Mittelpunkt die bedarfsorientierte Dynamisierung der Biogasproduktion mit Blick auf die Prozessbiologie und die Anlagentechnik stand. „Für Bestandsanlagen bietet sich die Möglichkeit, mit geringem Aufwand bedarfsorientiert elektrische Energie bereitzustellen“, erklärt Dr. Henning Hahn vom Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE). Es sei möglich, die Gasspeicherkapazitäten effektiver zu nutzen und dadurch die Wirtschaftlichkeit der Biogas-

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zung, dass die Gasproduktion zügig einsetze. „Noch wichtiger ist, dass sie während Verstromungspausen möglichst schnell auf ein Minimum reduziert werden kann“, so Dr. Fabian Jacobi vom LHL. Zucker- und stärkehaltige Pflanzen würden prinzipiell schneller vergoren und eigneten sich deswegen gut für eine schnelle Biogasproduktion. „Im Labor zeigte sich, dass der notwendige Speicher unter den richtigen Bedingungen bis zu 50 Prozent reduziert werden konnte. Bei der richtigen „Fütterungsstrategie“ hätten aus Anbausicht ökologisch vorteilhafte Substrate wie Kleegras-Luzerne, Silphie und Wildpflanzenmischungen ähnliche Einsparpotenziale wie der Mais gezeigt. „In den Praxisversuchen an der großtechnischen Forschungsanlage mussten wir uns allerdings auf die drei vielversprechendsten Mischungen beschränken“, erklärt Dr. Hahn. Die besten Ergebnisse brachte ein Substratmix aus Rinderfestmist und Zuckerrüben. Die zweite Substratmischung bestand aus Gülle, Silphie und Getreideschrot. Die dritte Zusammensetzung, die großtechnisch erforscht wurde, bestand aus Gülle und Maissilage. Das Ergebnis war unerwartet: Alle drei Versuchsmischungen brachten bei der richtigen Fütterung Gasspeichereinsparungen von über 40 Prozent. Bei dieser erfolgreichen „Fütterungsstrategie“ wurde die Biogasanlage am Wochenanfang deutlich höher beschickt. „Wenn es möglich ist, sollten dann auch die schwer vergärbaren Substrate gefüttert werden“, verdeutlicht der IEE-Wissenschaftler. Im Verlauf der Woche sollte die Substratmenge verringert und sollten zunehmend leicht vergärbare Substrate eingebracht werden. Am Wochenende wird die BGA bis auf einen „kleinen Appetitanreger“ am Sonntagabend auf Nulldiät gesetzt.

Ökonomische Analyse Aufbauend auf diesen Versuchsergebnissen betrachteten die Forscher die Wirtschaftlichkeit verschiedener Flexibilisierungsarten. „Bei unserer ökonomischen Analyse haben wir angenommen, dass ein Anlagenbetreiber vor der Entscheidung steht, ob es sich rechnet, den Anlagenbetrieb zu flexibilisieren“, so Hahn. Die damit verbundenen Investitionen möchte er jedoch nur tätigen, wenn die Rentabilität des eingesetzten Kapitals ausreichend ist. Bei der Abschätzung wurden drei verschiedene Fälle betrachtet: eine kontinuierliche Gasproduktion mit Gasspeichererweiterung, die flexible Gasproduktion mit Gasspeichererweiterung und die flexible Produktion ohne Erweiterung des Gasspeichers. In allen Fällen galt die Annahme, dass täglich (montags bis freitags) zweimal vier Stunden lang verstromt werden sollte. Am Wochenende stand das BHKW. Als Referenz diente eine typische NawaRo-Biogasanlage mit einer Stromvergütung nach dem EEG 2012. Es wurde angenommen, dass die Anlage eine installierte elektrische Leistung von 600 Kilowatt (kW) (500 kWel Bemessungsleistung) besitzt und mit diesen 8.000

Die Herausforderung war, sehr kleine Gasmengen zu messen. Die vorhandene Messblendenmessung brachte nur bei größeren Volumenströmen gute Ergebnisse. Bei der Messblendenmessung wird in regelmäßigen Abständen druckgesteuert Gas abgezogen und durch die Messblende geschickt.

Die Versuche in den Laborfermentern des LHL (Landesbetrieb Hessisches Landeslabor) zeigten, dass der notwendige Gasspeicher unter den richtigen Bedingungen bis zu 40 Prozent reduziert werden kann.

Volllaststunden erreicht. Zudem sollten 30 Prozent der auskoppelbaren Abwärme extern genutzt und mit 2 Cent pro Kilowattstunde thermische Energie (ct/kWhth) vergütet werden. Als „typische Substrate“ gingen Gülle, Getreide-GPS und Maissilage in die Berechnung ein. „Wir sind bei unserer Referenzanlage von einem Doppelmembrangasspeicher auf den Gärbehältern und einer Speicherkapazität von rund elf Stunden (bzw. 4.638 Kubikmeter) ausgegangen“, so der Forscher. Diese Speichergröße diene zum Ausgleich von Produktionsschwankungen und zur Überbrückung von Wartungszeiten bei kontinuierlicher Gasproduktion. Zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit sollte die Flexibilisierung der Anlage im zehnten Jahr der Anlagenlaufzeit für eine Restlaufzeit von zehn Jahren geschehen. Nach der Flexibilisierung sollte die installierte elektrische Leistung 2,1 Megawatt (MW) betragen. In den Fällen 2a und 2b wurde die Reduktion der Gasproduktion in den Zeiten ohne Verstromung um 40 Prozent (hoch) und 20 Prozent (gering) angesetzt und die Auswirkung der Flexibilität der Gasproduktion bewertet. Bei „hoch“ wurde angenommen, dass 40 Prozent des nutzbaren Gasspeicherbedarfs gegenüber der Anlage mit der kontinuierlichen Gasproduktion eingespart werden können. „Bei einer Investitionsbeurteilung mittels Annuitätenmethode ist die Wirtschaftlichkeit bei einer Annuität größer null gegeben, dann wäre der Kapitaldienst gedeckt und die erwünschte Rendite erfüllt“, erklärt Dr. Hahn. Die Ergebnisse zeigen: Bei gleicher Verstromungsflexibilität, aber kontinuierlicher Gasproduktion (Fall 1) und zusätzlicher Gasspeicherkapazität ist die

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WISSENSCHAFT

Der Laborleiter des Fraunhofer IEE, Dipl.Ing. Frank Schünemeyer, ließ sich etwas einfallen, damit die Gasmesstechnik des Forschungsfermenters auch bei sehr kleinen Volumenströmen funktionierte.

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BIOGAS JOURNAL

Annuität am geringsten. Sie beträgt 619 Euro. Die an die Investition gestellten Erwartungen (Verzinsung des eingesetzten Kapitals, Entlohnung der Arbeit etc.) wurden trotzdem erfüllt. „Ein Anlagenbetreiber würde sich auch in diesem Fall für die Investition in die Erweiterung der Anlage entscheiden“, verdeutlicht der Wissenschaftler. Vor der Investition sollte sich der Betreiber fragen, ob die Annuität bei einer wirtschaftlichen Abschätzung ausreichend zur Entlohnung der Arbeitskraft und Verzinsung des eingesetzten Kapitals ist. „Die ökonomische Analyse zeigt, dass der Fall 2b (hoch) die wirtschaftlichste Variante ist“, so Hahn. Hierbei handelt es sich um die flexible Gasproduktion ohne Gasspeichererweiterung. In dem angenommenen Fall erzielte sie die höchste Annuität und wäre für Anlagenbetreiber die attraktivste Option. „Wenn der Gasspeicher kleiner ausfällt oder nicht nötig ist, reduzieren sich die Investitionskosten deutlich“, so Hahn. „Aus unserer Sicht ist für eine bedarfsgerechte Einspeisung eine Überbauung der Verstromungsaggregate notwendig, doch die zusätzliche Gasspeicherkapazität sollte möglichst effizient genutzt werden“, verdeutlicht Hahn. Übergroße Speicher hätten deutliche Nachteile: Neben dem größeren Investitionsaufwand, steigenden Betriebskosten und dem höheren Platzbedarf seien oft auch zusätzliche Sicherheits- und Genehmigungsauflagen zu erfüllen. Wenn der Anlagenbetreiber seine Anlage mit einem gezielten Fütterungsmanagement flexibilisieren will, dann gibt es einiges zu beachten: „Der Betreiber sollte ein anlagenspezifisches Konzept erstellen“, so der IEEForscher. Die Grundlage sollte ein festgelegter Verstromungsplan sein, auf dessen Basis ein Fütterungsplan aus Substraten mit unterschiedlichen Eigenschaften erstellt werden kann. Zudem sollten die geänderten Arbeitsabläufe (zum Beispiel Arbeitsspitzen unter der Woche und Entlastung an den Wochenenden) in das Betriebskonzept passen.

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Während des Forschungsprojektes durfte die Überdrucksicherung des Forschungsfermenters möglichst nicht anspringen.

„Natürlich sollte sich der Gasspeicher für einen flexiblen Betrieb eignen und ausreichend groß sein“, fügt er hinzu. Wichtig sei auch, die Gasqualität regelmäßig zu kontrollieren und den Gasspeicherfüllstand und die Gasproduktionsrate richtig zu erfassen, mögliche Unsicherheiten sollten berücksichtigt werden. „Des Weiteren muss der gewählte Substratmix wirtschaftlich sein“, so Hahn, dazu sollte jeder Landwirt berücksichtigen, welche Substrate ihm regional und saisonal zur Verfügung stehen. „Der Betreiber sollte sich auch fragen, welche Möglichkeiten bestehen, kontinuierlich anfallende Substrate zwischenzulagern“, so der Forscher. Wichtig sei auch, die Anlagenfütterung über ein Wochenprogramm zu steuern. Auch sollte sich das Beschickungssystem für eine Substratumstellung eignen. „Sonst kann die Anlagentechnik Probleme bereiten“, verdeutlicht Henning Hahn. Nicht jede Biogasanlage verkrafte alle Substratrohstoffe, Zusammensetzungen und zeitlich erhöhte Fütterungsmengen. Für die Praxis bedeute dies, dass neben der Anpassung von Verstromungsaggregaten und Gasspeicherkapazitäten vor allem auch die Einbringtechnik „auf die hierfür notwendige Schlagkräftigkeit“ geprüft werden müsse. Zu prüfen sei, ob es bei hohen Substratzugaben in kurzer Zeit (Stoßbelastung) zu Kurzschlussströmen beim Überlauf in den Nachgärer kommen kann. „Es muss sicher sein, dass die Rührwerkstechnik für größere Substratstöße ausgelegt ist“, so Hahn.


BIOGAS JOURNAL |

WISSENSCHAFT

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Annuität der untersuchten Anlagenkonzepte zur flexiblen Verstromung Investitionskosten in €

Fall 1

Fall 2a (hoch)

Fall 2a (gering)

Fall 2b (hoch)

718.673

718.673

718.673

674.915

607.088

56.499

56.499

56.499

41.499

41.499

Gaslagererweiterungen

335.110

172.615

253.529

0

0

Erweiterung Periperie

177.216

177.216

177.216

56.742

53.051

9.500

9.500

9.500

9.500

9.500

Anlagenzertifikat > 1 MW el Mittelspannungsrichtlinie 2014

13.000

13.000

13.000

13.000

13.000

Planung und Genehmigung

65.500

57.375

61.421

39.783

36.207

105.000

105.000

105.000

85.000

85.000

BHKW-Anschaffungskosten – durch Flexibilisierung verursacht Verstärkung Netzanschluss

Genehmigungen, Umweltgutachten

Wärmespeicher Rückbau

Invest, gesamt

Fall 2b (gering)

61.500

65.546

42.908

39.332

1.550.122

1.371.378

1.460.383

963.346

884.676

108.200

84.939

96.522

37.535

36.124

69.625

Jährliche Kosten und Einnahmen in €/a Kapitalgebundene Kosten Betriebsgebunde Kosten Bedarfsgebundene Kosten Sonstige Kosten

Kosten, gesamt

65.283

61.897

63.583

52.181

47.157

-13.970

-13.970

-13.970

-13.970

-13.970

16.152

14.289

15.217

10.038

9.218

175.665

147.155

161.352

85.783

78.528

Zusatzerlös Strom

24.784

24.784

24.784

19.410

14.259

Erlös Regelenergie

15.000

15.000

15.000

10.000

10.000

Flexprämie

136.500

136.500

136.500

120.000

78.000

Erlöse, gesamt

176.284

176.284

176.284

149.410

102.259

619

29.129

14.933

63.627

23.731

Annuität

Legende: Fall 1: kontinuierliche Gasproduktion und Gasspeichererweiterung Fall 2a: flexible Gasproduktion, reduzierte Gasspeichererweiterung, Verstromung wie in Fall 1 Fall 2b: flexible Gasproduktion, keine Gasspeicherweiterung, geringere Flexibilität der Verstromung geg. Fall 1 und 2a

Flüssigeinbringungstechniken seien hier vermutlich am geeignetsten, da sie bereits für eine weitgehende Einmischung und Verteilung der Substrate im Fermenter sorgen würden. „Und natürlich müssen die möglichen Mehrerlöse mit einem erfahrenen Stromvermarkter abgestimmt und den Kosten für die Flexibilisierung gegenübergestellt werden“, so der Wissenschaftler.

Autorin Dipl.-Ing. · Dipl. Journ. Martina Bräsel Freie Journalistin Hohlgraben 27 · 71701 Schwieberdingen 0 71 50/9 21 87 72 braesel@mb-saj.de www.mb-saj.de

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