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Schrecken, Schnecken und Schlemihls Schatten

Mit „Der Scha en im Exil“ ist dem Rumänen Norman Manea ein bewegender Roman über ein beschädigtes Leben geglückt

Peter Schlemihl verkau dem Teufel seinen Schatten gegen einen stets vollen Beutel Gold. Die Schattenlosigkeit aber macht ihn zu einem Ausgestoßenen. Seine Seele gegen den Schatten einzutauschen, wie ihm der Teufel vorschlägt, lehnt Schlemihl ab. Stattdessen erwirbt er Siebenmeilenstiefel und eilt um die Welt. Der Mann ohne Schatten geht schließlich ganz im Studium der Natur auf.

Diese 1814 erschienene Erzählung Adelbert von Chamissos dient dem rumänischen Schri steller Norman Manea als partielle Matrix für seinen großen Roman. Wie Chamisso, der französische Flüchtling vor den Stürmen der Französischen Revolution, der die Sprache seines Zufluchtslandes annahm, sieht sich Manea, geboren in der Bukowina, Überlebender der Shoah in Transnistrien, als Schri steller zwischen den Welten: seiner rumänischen Heimat, die seiner Familie Grauenha es angetan hat, und den Vereinigten Staaten, in die er 1986 emigriert ist.

Der collageartig angelegte Roman kreist um den Schrecken der Shoah, den der Protagonist, N. M. genannt, ein zurückgezogen lebender Gelehrter, Spezialist für die Geschichte des Zirkus, nur in seltenen Momenten zu benennen vermag – und dann ist es der infernalische Geruch in den rumänischen Deportationszügen. Er und seine Halbschwester überlebten den Massenmord.

Die beiden verschmelzen in einer inzestuösen Beziehung miteinander, die auch von dem kommunistischen Geheimdienst Securitate nicht entdeckt wird. Schließlich gelangt N.M. mit Hilfe der Schwester in die Vereinigten Staaten, wo beide aber nicht mehr wirklich zueinanderfinden. Der Protagonist erhält nach längerer Su- che eine Stelle an einem College. Die Schwester nimmt sich schließlich das Leben.

So weit das Skelett einer Handlung, die schnell erzählt ist. Dem Roman geht es aber um anderes: um die Grunderfahrung des Exils, um das Schicksal des Judentums, die Fremde. Meditationen kreisen um das Thema des Schattens: in fiktiven Essays von College-Studenten, die Chamissos Erzählung ausdeuten, oder in einem komplexen Gewebe literarischer Bezüge, das sich von Pindar bis Pessoa spannt.

Es wird viel geschwiegen. Die intensivsten Gespräche werden mit Toten geführt, etwa am Grab der Dante-Forscherin Irma Brandeis, die den Dichter Eugenio Montale zur Figur der Clizia inspiriert hat. Clizia ist so präsent, dass nicht immer klar ist, ob sie nicht doch lebt. Eine weitere Figur, der Rumäniendeutsche Günther, versucht, durch die begeisterte Unterstützung des Kommunismus die Schuld der Deutschen zu sühnen. Wie der Protagonist scheitert aber auch er am byzantinischen Marxismus Rumäniens und geht nach West-Berlin ins Exil. Günther bleibt letztlich ebenso schattenha wie Oberst Tudor, der zynische Securitate-Offizier, der selbst den Therapeuten des Protagonisten als Spitzel rekrutiert hat.

Schemenha bleibt auch die rumänische Heimat. Sie taucht als Schrecknis im Exil des Protagonisten auf: Ceauşescus farbloser Enkel und seine Mutter versuchen, den Exilanten als Integrationshelfer zu gewinnen. Es bleiben vage Bilder von einem Land, dessen Exotik dem Emigranten immerhin ermöglicht, die Aufmerksamkeit amerikanischer College-Präsidenten zu wecken. Vor allem aber bleiben die Trauer und die Angst vor der Ab- gründigkeit eines Landes der faschistischen Mörder und kommunistischen Spitzel.

Die fast meditative Stimmung des Romans wird immer wieder jäh unterbrochen: durch die Erinnerung an die Shoah, den 11. September, den Selbstmord der Halbschwester. Insgesamt aber dominiert die bewusste Verlangsamung, für die sinnbildlich die Schnecken stehen, an denen der Protagonist geradezu obsessiv interessiert ist. Wie Schlemihl, der sich ebenfalls in die Naturbetrachtung rettet, findet N.M. Phasen der trügerischen Ruhe: Die Schnecken beeindrucken ihn durch die Kunst ihres Liebesspiels, noch mehr aber durch ihre Fähigkeit, sich durch einen ausgedehnten Dämmerschlaf der Realität zu entziehen.

Der Roman strahlt eine tiefe Traurigkeit und Müdigkeit aus, was indes nicht bedeutet, dass der Eros aus dem Leben des Exilanten verschwunden ist. Im Gegenteil, die abgründige Liebe zur Halbschwester, die Innigkeit des Zwiegesprächs mit Clizia, die real existierende Eva Lombardini loten dessen Möglichkeiten in einem durch die Shoah zutiefst verletzten Leben aus. Norman Manea ist ein bewegender Roman über das Ich und dessen Schatten in einem Zeitalter der Verwüstung gelungen.

OLIVER JENS SCHMITT

Norman Manea: Der Scha en im Exil. Roman. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Hanser, 320 S., € 28,80

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