01/2013
EINBLICK
Preisexplosion wegen Nahrungsmittelspekulation
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Mit Essen spielt man nicht
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Akteure und Mechanismen
Spekulation – eine Frage des Masses Das Nahrungsmittelpoker destabilisiert die Realwirtschaft
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Auswirkungen im Weltsüden
Wenn Essen unbezahlbar wird
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Situation in der Schweiz
Schweizer Banken spekulieren mit 3,6 Milliarden Franken auf Agrarrohstoffe
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Forderungen und Lösungsansätze
«Gegen die Nahrungsmittelspekulation zu kämpfen ist wichtig.»
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Regulierungen sind erwünscht – ein Umdenken ist nötig
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Das Thema ist lanciert – auch in der Schweiz
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Alternativen zum globalen Nahrungsmittelcasino
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Impressum Herausgeberinnen: Brot für alle / Fastenopfer, September 2013 Redaktion: Pascale Schnyder AutorInnen: Yvan Maillard Ardenti, Pascale Schnyder Korrektorat: Sylvia Garatti Gestaltung: Spinas Civil Voices, Zürich Bilder: ACT Alliance, Fastenopfer, Shutterstock, 123RF, iStockphoto Druck: Cavelti AG, Druck und Media, Gossau Auflage: 12 000 deutsch / 3 600 französisch Preis: 5 CHF
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Edito
«Mit Essen spielt man nicht» lernen wir schon als Kinder. Ein Grundsatz, der für die Finanzbranche scheinbar nicht (mehr) gilt: Seit einigen Jahren haben Banken, Pensionskassen und Versicherungen das Nahrungsmittelgeschäft für sich entdeckt. Sie wetten mit Milliardenbeträgen auf die zukünftigen Preisentwicklungen von Mais, Weizen, Reis und anderen Grundnahrungsmitteln, ohne ein effektives Interesse an den Gütern zu haben. Dass sie damit enorme Preisschwankungen auf den Realmärkten provoziert, hat die Finanzbranche lange Zeit abgestritten. In jüngster Zeit häufen sich jedoch von Seiten der Wissenschaft und der Politik die Belege, dass die seit 2003 massiv zugenommenen Nahrungsmittelspekulationen einen erheblichen Einfluss darauf haben, zu welchen Preisen Grundnahrungsmittel schlussendlich auf dem Weltmarkt gehandelt werden. In Ländern des Südens wendet ein Haushalt zwischen 50 und 90 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel auf. Verdreifachen sich die Lebensmittelpreise von einem Tag auf den anderen, wird die Situation für Familien in Asien, Lateinamerika und Afrika lebensbedrohlich. Kein Wunder, haben die Preisanstiege von 2007/2008 sowie 2010/2011 in zahlreichen Ländern des Südens zu Hungeraufständen geführt. Und bis heute sind die erhöhten Nahrungsmittelpreise dafür verantwortlich, dass Millionen von Menschen schmerzhafte Abstriche bei Gesundheit und Bildung machen müssen – und ihre Armut so für weitere Generationen zementiert wird. Aus christlicher Sicht haben Geld und Wirtschaft im Dienst des Lebens zu stehen. Das Recht auf Nahrung und ein Leben in Würde stehen vor Gewinnmaximierung und Profit. Tatsächlich haben jedoch auch heute noch mehr als 900 Millionen Menschen keinen Zugang zu Nahrung. Gleichzeitig lässt die nationale und internationale Gesetzeslage Wirtschaftsaktivitäten zu, welche die Ernährungssicherheit und damit das Überleben von Menschen im Süden gefährden. «Unser täglich Brot gib uns heute» – diese zentrale Bitte des Vaterunser ist gleichzeitig eine Aufforderung, dass wir uns gegen den Hunger engagieren und dafür, dass das Recht auf Nahrung für alle Menschen Wirklichkeit wird. Dazu gehört auch, dass die Spekulation mit Nahrungsmitteln in ihrer heutigen, exzessiven und unkontrollierten Form gestoppt wird. Denn Nahrung ist unsere Lebensgrundlage und kein Wetteinsatz. Susann Schüepp
Miges Baumann
Leiterin Entwicklungspolitik und Grundlagen Fastenopfer
Leiter Entwicklungspolitik Brot für alle
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Einführung
Mit Essen spielt man nicht
Gewaltige Preisanstiege bei Grundnahrungsmitteln haben in den Jahren 2007/2008 und 2010/2011 Millionen von Menschen im Süden in den Hunger getrieben und weltweit Hungerrevolten ausgelöst. Dabei häufen sich die Belege, dass die Finanzbranche mit ihrer Spekulation auf Agrarrohstoffe eine erhebliche Mitschuld an den Preisschwankungen trägt. Schweizer Banken sind mit rund 3,6 Milliarden Schweizer Franken am Wettgeschäft beteiligt. 2008 kam es in 37 Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas zu Hunger-Aufständen. Der Grund: Ein massiver Anstieg der Nahrungsmittelpreise an den Rohstoffbörsen liess die Lebensmittelkosten in vielen Ländern explodieren. In Bangladesh, wo viele ArbeiterInnen nur 25 Dollar pro Monat verdienen, hatte sich der Preis für Reis binnen Jahresfrist verdoppelt. In Kambodscha, wo das tägliche Durchschnittseinkommen 4
50 Cent betrug, stieg der Preis für ein Kilo Reis auf einen US-Dollar an. Und in der Elfenbeinküste waren die Lebensmittelpreise generell um 30 bis 60 Prozent angestiegen. 90 Prozent des Einkommens für Essen Was war geschehen? Im Zuge der Finanzkrise von 2007 und 2008 waren die Preise für Agrarrohstoffe auf den globalen Märkten förmlich explodiert. Die Preisspitzen für
Mais, Reis, Weizen und Öl hatten massgeblich dazu beigetragen, die Zahl der Hungernden in den Entwicklungsländern von 850 Millionen auf über eine Milliarde ansteigen zu lassen. Nach einem starken Preisverfall Ende 2008 schnellten die Preise Anfang 2010 erneut hoch. Dadurch wurden laut der Weltbank 44 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut getrieben. Innerhalb nur eines Jahres stiegen alleine die Getreidepreise laut der Uno-Welternährungsorganisation (FAO) um 70 Prozent an. Heute sind die Preise von Reis, Mais und Weizen durchschnittlich zweieinhalb Mal höher als noch vor zehn Jahren. In Ländern des Südens wendet ein Haushalt zwischen 50 und 90 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel auf (in Ländern des Nordens beträgt der Anteil lediglich 10 bis 20 Prozent). Der Anstieg von Lebensmittelpreisen wird damit zur absoluten Existenzfrage. Gerade für Kleinkinder hat Unter- oder Mangelernährung ein Leben lang Folgen: Selbst wenn der Mangel nur eine kurze Zeit dauert, führen Folgeschäden lebenslänglich zu gravierenden Beeinträchtigungen (vgl. S. 18).
«Diese verhängnisvolle Entwicklung schafft ein giftiges Gemisch aus menschlichem Leid und sozialer Aufruhr.» Robert Zoellick, Präsident der Weltbank von 2007-2012
Zu viel Geld auf den Agrarmärkten Seit 2008 wird in Politik und Wirtschaft eine intensive Debatte über die Gründe für die Preisschwankungen geführt. Dabei argumentieren insbesondere die VertreterInnen der Finanzbranche, dass alle Schwankungen über Fundamentaldaten erklärbar sind. Dazu gehören etwa das Bevölkerungswachstum, die Erhöhung des Erdölpreises, die Bewegungen des Dollarkurses, die Veränderungen der klimatischen Verhältnisse und die Zunahme von Agrotreibstoffen.
Entwicklung der Nahrungsmittelpreise 170 160 150 140 130 120 110 100 90 80 70 60 1990
1995
2000
2005
2010
Quelle: FAO Food Price Index 5
Auf der anderen Seite häufen sich die wissenschaftlichen Untersuchungen, die belegen, dass die Spekulation den Anstieg und die Volatilität der Rohstoffpreise massgeblich mitbeeinflusst hat (vgl. S. 15). Als Folge der geplatzten Internetblase und der Finanzkrise hat die Finanzbranche Zuflucht im Warentermingeschäft mit Agrarrohstoffen gesucht. Nebst den physischen KäuferInnen und VerkäuferInnen drängten somit immer mehr Akteure auf den Agrarmarkt, die versuchten, mittels Wetten auf künftige Preisschwankungen Profit zu erzielen und damit ihre Renditen zu sichern (vgl. S. 7-9). Die so genannte Finanzialisierung der Roh-
stoffmärkte hat diese aus dem Gleichgewicht gebracht. Schweiz ist auch involviert Auch die Schweizer Banken sind mit rund 3,6 Milliarden Schweizer Franken am Wettgeschäft mit Agrarrohstoffen beteiligt, wie Recherchen von Brot für alle, Fastenopfer und Alliance Sud aufzeigen (vgl. S. 23-25). Allen voran die Credit Suisse mit einem Investitionsvolumen von 2,4 Milliarden Franken. Die Konsequenzen dieser Situation sind gut ersichtlich und die Folgen spürbar: Sobald die Preise steigen, leiden zusätzliche Millionen von Menschen an Hunger.
Menschen waschen sich in den Strassen von Kalkutta, Indien: Für Arme in Städten sind Preisanstiege bei Lebensmitteln besonders dramatisch. 6
Akteure und Mechanismen
Spekulation – eine Frage des Masses
Beim Handel mit Agrarrohstoffen spielten SpekulantInnen an den Terminbörsen lange Zeit die Rolle des Zwischenhandels und ermöglichten damit, dass der Handel flüssig blieb. Im Zuge der Finanzmarktliberalisierung verlor die Spekulation jedoch jeglichen Bezug zum realen Warenaustausch und wurde damit zur Gefahr. Beim Handel mit Rohstoffen wie Weizen, Reis und Mais war Spekulation seit jeher ein fester Bestandteil. Sie bot den Bauern und Bäuerinnen beim Absatz ihrer Produkte eine gewisse Sicherheit über die Preisentwicklung. Sie konnten ihre Waren an den Warenterminbörsen im Voraus über standardisierte Kontrakte mit im vornherein vereinbarten Preisen, Mengen und Lieferdaten (so genannte Futures) verkaufen
(vgl. Beispiel S. 10-11). Die AbnehmerInnen ihrerseits kauften die Waren am Terminmarkt zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sie brauchten. Die SpekulantInnen spielten bei dem Geschäft die Rolle des Zwischenhandels, indem sie für die Transaktionen stets eine Gegenpartei boten. Risiko und Gewinn der Preisschwankungen wurden damit auf einen Dritten übergewälzt, der bereit war, sie zu tragen. Eine gewisse Dosis an Speku7
Die führenden Warenterminbörsen
Intercontinental Exchange ICE • New York • Winnipeg • London
London Metal Exchange • London
Dalian Commodity Exchange • Dalian
Shanghai Futures Exchange • Shanghai NYSE-Euronext • London • Paris (Matif) CME Group • Chicago (CBOT, CME) • New York (Nymex)
Quelle: Foodwatch (2011): Die Hungermacher CME-Group: Führende Warenterminbörse weltweit, insbesondere für Soja und Getreide Intercontinental Exchange ICE: Wichtigste Börse für Öl-Futures und Soft Commodities wie Kakao, Kaffee und Baumwolle London Metall Exchange: Führender Platz für den Handel mit Nichteisenmetallen NYSE-Euronext: Im Jahr 2007 durch die Fusion der europäischen Mehrländerbörse Euronext mit
lation ist in diesem Fall also sinnvoll. Sie trägt dazu bei, dass genügend Geld zur Verfügung steht, um die Handelstransaktionen zwischen Kaufenden und Verkaufenden von Termingeschäften zu erleichtern. Tatsächlich wissen die Bäuerinnen und Bauern so bevor sie gesät haben, welche Getreidemengen sie zu welchem Preis verkaufen können. Die Planung des Anbaus wird damit erleichtert. Gleichzeitig können die KäuferInnen, zum Beispiel Mühlebetreiber und Brothersteller, ihre Produktion besser planen und kalkulieren, da sowohl die 8
Multi Commodity Exchange of India • Mumbai
der New York Stock Exchange entstanden. Matif in Paris ist die wichtigste Getreidebörse Europas. Shanghai Futures Exchange: 1998 gegründete Warenterminbörse für verschiedene Rohstoffe Dalian Commodity Exchange: Chinesische Warenterminbörse, die auf den Futures-Handel mit Landwirtschaftsprodukte und Erdöl spezialisiert ist. Multi Commodity Exchange: Indische Warenterminbörse für Eisen- und Nichteisenmetalle, Energie sowie verschiedene Landwirtschaftsprodukte (Kardamon, Kartoffeln, Palmöl etc.).
Mengen als auch die Preise von Anfang an festgelegt sind (vgl. Beispiel S. 10-11). Am Anfang war die Regulierung 1848 wurde die Terminbörse von Chicago (Chicago Board of Trade) gegründet und mit ihr die grösste Börse für Termingeschäfte in ihrer modernen Form. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise nahm der internationale Handel mit Nahrungsmitteln ab. Die Märkte wurden weitgehend reglementiert, insbesondere in den USA, wo 1936 das Rohstoffbörsengesetz (CEA –
Commodity and Exchange Act) in Kraft trat. Es verpflichtete die Investoren dazu, die Gesamtheit der Derivate (vgl. S. 11) auf organisierten Märkten zu handeln, um so die Tendenz zu übertriebenen Spekulationen einzuschränken. In den USA betrug der Anteil der SpekulantInnen lange Zeit weniger als 20 Prozent, womit dieser mehr oder weniger funktionierte. Dabei gab es für die Finanzakteure wie Banken, Pensionskassen und Versicherungen klare Begrenzungen für die Anzahl von Termingeschäften pro Akteur (so genannte Positionslimits). Neue Spielregeln auf dem Finanzmarkt In den 1990er Jahren änderten sich jedoch die Spielregeln: Auf Druck der Banken wurden die Finanzmärkte zunehmend liberalisiert und die Positionslimits für SpekulantInnen aufgeweicht. Ausserdem wurde den Banken erlaubt, den Handel an der Börse zu umgehen und direkt an KundInnen zu verkaufen (Over The Counter, OTC). Diese direkten Transaktionen zwischen Kaufenden und Verkaufenden sind kaum reglementiert und bieten daher Hand für 1
hochspekulative Geschäfte. Parallel dazu erleichterten neue IT-Entwicklungen den Hochfrequenzhandel, der dank automatisierten Börsentransaktionen darauf abzielt, von kleinsten Schwankungen der Rohstoffkurse zu profitieren (vgl. S. 14). Mit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 kam es schliesslich zu einer regelrechten Flucht in Rohstoffe: Insbesondere die grossen Indexfonds und die aggressiven Hedge-Fonds strömten mit ihrem Kapital auf den Terminmarkt. Mit der Finanzialisierung des Rohstoffmarktes wurden die FinanzspekulantInnen zur dominierenden Händlergruppe auf diesem Markt. Beim Chicagoer Weizenfuture sank der Anteil physischer Absicherer (‹Hedger›) von 88 Prozent im Jahr 1996 auf 35 Prozent im Jahr 2008.1 Das Verhältnis von US-Weizenfutures zur physischen US-Weizenproduktion stieg dagegen vom 11-fachen im Jahr 2002 auf das 73-fache im Jahr 2011. Die Agrarrohstoffe wurden so vom Nutzwert zur Geldanlage. Sie waren nicht mehr abhängig von den Bedürfnissen der Menschen, sondern von der Logik des Finanzmarktes.
Weed (2012): Was hat Weizen mit Spekulation zu tun? www.weed.org
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So funktioniert der Futures-Handel Ein Bauer will sich für den Zeitpunkt seines Ernteverkaufs einen gewissen Verkaufspreis sichern. Als Produzent riskiert er, dass der Kurs von der Aussaat im Oktober 2013 bis zum Verkauf im August 2014 sinkt. Aus diesem Grund sichert er sich am Terminmarkt ab. Im Oktober 2013 liegt der Tagespreis einer Tonne Weizen bei 100$/T. Der Bauer schliesst ein sogenanntes Sicherungsgeschäft ab. Er legt einen Verkaufserlös von 110$/T fest, den er zum Verkaufszeitpunkt erreichen will. Nun konsultiert er die Notierung des Weizens auf dem Terminmarkt. Er stellt fest, dass der Preis zum Termin «August 2014» just bei 110$/T liegt. Um von diesem Preis zu profitieren, verkauft er auf diesen Termin hin eine Anzahl Kontrakte, entsprechend der Menge, die er zu ernten glaubt.
Szenario 1: Der Weizenpreis sinkt Im August 2014 bricht der Tageskurs für Weizen von 100$/T auf 80$/T ein, während jener der Termingeschäfte von 110$/T auf 80$/T fällt (Zusammenlaufen des Preises zum Termin mit dem Tagespreis bei Ablauf des Geschäfts). Der Landwirt verkauft seine Ernte auf dem Kassamarkt für 80$/T mit einem Verlust von 20$/T im Vergleich zum Tageskurs im Oktober 2013. Parallel dazu kauft er für 80$/T auf den Termin «August 2014» die gleiche Anzahl Kontrakte, die er im Oktober 2013 verkauft hatte (man sagt, er «stellt seine Position glatt»). Da er im Oktober ein Termingeschäft zu 110$/T mit Ablauf «August 2014» verkauft hatte, macht er auf dem Terminmarkt einen Gewinn von 30$/T. Er hat also sowohl auf dem Kassamarkt (Tageskurs) als auch auf dem Terminmarkt (Zukunft) Transaktionen durchgeführt und sich so einen Preis von 110$/T (80 + 30) gesichert.
Physischer (Kassa-) Markt
Terminmarkt
Transaktion vom Oktober 2013
Er sät Weizen. Tagespreis der Tonne Weizen = 100$
Verkauf von Geschäften mit Termin «August 2013» zum Preis bei Ablauf von 110$/T
Transaktion vom August 2014
Weizenverkauf zum Tagespreis von 80$/T
Kauf von Geschäften mit Termin «August 2013» zum Preis von 80$/T
Saldo der Transaktionen
Verlust von - 20$/T
Gewinn von +30$/T
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Szenario 2: Der Weizenpreis steigt Diese Sicherung funktioniert auch im Falle einer Preiserhöhung. Steigt der Preis im August 2014 auf 140$/T, verliert der Landwirt auf dem Terminmarkt 30$/T, weil er die Menge des auf dem Terminmarkt verkauften Weizens teurer zurückkaufen muss. Da er aber 140$/T auf dem Realmarkt erhält, erreicht er dennoch den angestrebten Erlös von 110$/T (140 – 30). Zwar hätte der Bauer ohne die Transaktion auf dem Terminmarkt ein besseres Ergebnis erzielt, doch im Oktober 2013 zog er einen sicheren Preis von 110$/T einem höheren aber unsicheren Preis vor. Physischer (Kassa-) Markt
Terminmarkt
Transaktion vom Oktober 2013
Er sät Weizen. Tagespreis der Tonne Weizen = 100$
Verkauf von Geschäften mit Termin «August 2013» zum Preis bei Ablauf von 110$
Transaktion vom August 2014
Weizenverkauf, geliefert zum Tagespreis von 140$/T
Kauf von Geschäften mit Termin «August 2013» zum Preis von 140$/T
Saldo der Transaktionen
Gewinn von + 40$/T
Verlust von - 30$/T
Glossar Spekulation. Spekulation bezeichnet eine wirtschaftliche Tätigkeit, bei der man von Preisveränderungen eines gehaltenen Guts profitiert, um zu einem späteren Zeitpunkt daraus Gewinn zu erzielen. Derivat. Mit Derivaten werden jegliche Art von Finanztermingeschäften bezeichnet, die an oder ausserhalb der Börse gehandelt werden und die an die Entwicklung eines Basiswerts gebunden oder davon abgeleitet sind (Indices, Aktien, Rohstoffe etc.). Derivate sind reine Finanzinstrumente. Termingeschäft. Ein (Waren)Termingeschäft ist ein Vertrag über die zukünftige Lieferung und Abnahme einer Ware zu einem fest vereinbarten Preis. Man unterscheidet zwei Hauptarten – Futures und Optionen. Bei Futures sind die Kaufenden verpflichtet, die jeweilige Ware anzunehmen, bei einer Option haben sie die Wahl. Termingeschäfte werden meist nicht mit einer Warenlieferung beendet, die Differenz wird finanziell ausgeglichen. Indexfonds. Indexfonds sind Investmentfonds, welche die Fondsperformance an einen Index binden. Investmentfonds setzen sich aus verschiedenen Anlagen (Aktien, Obligationen ebenso wie z.B. Rohstoffen) zusammen. Hochfrequenzhandel. Dabei handelt es sich um Finanztransaktionen, die in einer extrem hohen Geschwindigkeit (Millisekunden) durchgeführt werden. Sie werden algorithmisch berechnet und durch Computerprogramme automatisch abgewickelt. Ausserbörslicher Handel (oder Over The Counter / OTC-Handel). Gemeint ist damit der Handel von Finanzprodukten zwischen Marktteilnehmern ausserhalb der eigentlichen Börsen. Diese Geschäfte sind von börseninternen Kontrollen und Regelungen ausgenommen.
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Das Nahrungsmittelpoker destabilisiert die Realwirtschaft
Seit 2003 haben Banken, Versicherungen und Pensionskassen Milliardenbeträge von anderen Anlagen auf die Rohstoffmärkte umgeschichtet. Ihre Tätigkeiten haben die realen Nahrungsmittelpreise massgeblich beeinflusst. Vor der Jahrtausendwende wurden die Terminmärkte noch hauptsächlich von ProduzentInnen, HändlerInnen und der verarbeitenden Industrie genutzt, um sich gegen die Risiken der Preisschwankungen bei Agrarprodukten abzusichern (vgl. S. 7-9). Ab 2003 tauchten auf den Rohstoffmärkten neue Akteure auf: Institutionelle InvestorInnen (z.B. Pensionskassen), Banken (via Anlagefonds) und Hedgefonds begannen damit, riesige Geldsummen von anderen Anlagen auf die Terminmärkte für Rohstoffe umzulagern. Gleichzeitig wuchs die Anzahl Termingeschäfte mit Mais von 500 000 im Jahr 2003 auf 2,5 Millionen im Jahr 2008.1 Die Zunahme an Termingeschäften hat die Preise der Derivate (Futures) automatisch nach oben getrieben. Zusätzlich genährt wurde dieses Phänomen durch das Her-
denverhalten der Investoren, die stets wachsende Renditen erwarteten und deshalb die Terminmärkte fluteten. Die Zutaten für das Entstehen einer spekulativen Blase waren so vereint (vgl. Grafik S. 14). Die Preise stiegen weiterhin, ohne jeden Bezug zu den Fundamentaldaten, sondern einfach aufgrund des Erscheinens neuer GrossinvestorInnen. Rohstoffpreise im Schleudersitz Die Preisanstiege der Termingeschäfte (Futures) haben den Tageskurs, auch Kassakurs genannt, direkt beeinflusst. Tatsächlich stützen sich die Kaufenden auf dem Realmarkt für ihre gegenwärtigen Entscheidungen auf die zukünftige Entwicklung der Rohstoffpreise am Terminmarkt. Im Juli 2008 fielen die Preise dann massiv ab. Man kann dieses Phänomen mit der Tatsache erklären,
World Development Movement, T. Lines (2010), Speculation in food commodity markets.
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dass die institutionellen Investoren und die Hedgefonds sahen, dass sich die Finanzkrise ausweitete und sie gleichzeitig die Rohstoffinvestitionen als zu riskant einschätzten. Aus diesem Grund wandten sie sich Gütern mit weit geringerem Risiko zu, wie etwa Staatsanleihen. Sie stiessen die Rohstoffe ab und provozierten damit einen Preissturz. Warum Nahrungsmittel? Das grosse Interesse am Termingeschäft entstand insbesondere durch die abnehmende Attraktivität traditioneller Anlagen wie Aktien und Obligationen. Tatsächlich hatten die geplatzte Internetblase im Jahr 2000 und die Immobilienkrise im Jahr 2007 Investitionen in Aktien weniger interessant gemacht. Aufgrund von guten Gewinnaussichten auf längere Sicht wurden die Rohstoffmärkte zu einer guten Alternative. 2013 führten noch lediglich 3 Prozent der Rohstoff-Termingeschäfte tatsächlich zu
einer Warenlieferung. Die verbleibenden 97 Prozent werden durch Spekulantinnen und Spekulanten vor Ablauf wieder verkauft.2 Die spekulativen Tätigkeiten hatten sich also gänzlich vom realen Warenaustausch losgelöst. Im Jahr 2011 lag die Menge von gehandeltem Weizen an der Börse von Chicago bei etwa 4400 Millionen Tonnen, während die weltweite jährliche Ernte nur 670 Millionen Tonnen betrug.3 Neue Player auf dem Rohstoffmarkt Massgeblich für das neue Nahrungsmittelpoker sind vor allem zwei «neue» Formen der Spekulation: Die Indexfonds auf Rohstoffe und die Hedgefonds. Erstere entwickelten sich in den letzten Jahren geradezu explosionsartig: Laut Zahlen der BarclaysBank4 wuchs ihr Volumen zwischen 2003 und 2012 von 13 auf 419 Milliarden USDollar. Indexfonds auf Rohstoffe orientieren sich in der Regel an einem Index, der die Wertentwicklung eines Korbes verschiede-
Handel versus Spekulation Oktober 1998
Oktober 2008
7 % 16 %
IndexspekulantInnen Klassischer Handel
31 % 41 %
Klassische SpekulantInnen
77 % 28 %
Michael W. Masters / Adam Knight mit Daten der Commodity Futures Trading Commission
und 3 Oxfam (2013), Réforme bancaire: ces banques françaises qui spéculent sur la faim, Seite 8. Barclays Capital, Commodities Research, 29.02.2012 im Bericht von Solidar Suisse, (2013): Nahrungsmittelspekulation. Wie sich Banken, Pensionskassen und Hedgefonds am Welthunger mitschuldig machen.
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Anlagen in Indexfonds und Rohstoffpreise
S&P GSCI
SP-GSCI
DJ-AIG
Andere
Kapitalanlagen in Rohstoff-Fonds (in Milliarden US-Dollar)
S&G GSCI spot price commodity index 700
$ 300
600
$ 250
500
$ 200
400
$ 150
300
$ 100
200
$ 50
100 1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
Quelle: Jean Kregel (2008): The impact of changing financial flows on trade and production in developing countries.
ner Rohstoffe abbildet. Die Versprechen, die von den Fonds gegenüber den AnlegerInnen gemacht werden, führen direkt oder indirekt fast immer zum Kauf von Futures an den Terminbörsen und zwar in der Regel als Wette auf steigende Preise. Um eine gute Diversifizierung des Portfolios zu gewährleisten, empfehlen BankberaterInnen heute ihrer Kundschaft in der Regel, zwischen 10 und 20 Prozent eines Portfolios in alternative Anlagen zu investieren, davon rund 5 Prozent in Rohstoffe. Wenn Aktien den Preis für Mastvieh bestimmen Daneben haben auch die risikofreudigen und aggressiven Hedge-Fonds die Rohstoffmärke als Geschäftsfeld für sich entdeckt. So kaufte ein Hedge-Fonds Mitte 2010 den gesamten Kakaomarkt in London leer und trieb damit die Preise in die Höhe.5 Andere Hedge-Fonds setzen auf den
computerisierten Hochfrequenzhandel, bei dem mit Hilfe von mathematischen Formeln kurze und kürzeste Preistrends ausgenutzt werden, um Profit abzuschöpfen. Zwei Ökonomen der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD ist es gelungen, die wichtige Rolle des Hochfrequenzhandels in der Preisbestimmung von Agrarrohstoffen nachzuweisen.6 Sie konnten aufzeigen, dass sich die Preisentwicklungen bei Öl, Weizen, Mais, Soja, Zucker und sogar Mastvieh seit dem Herbst 2008 immer wieder während kurzer Zeitspannen von einigen Sekunden gleichlaufend zu den Finanzmärkten verhielten. «Die parallelen Schwankungen bei Rohstoffen und gewissen Börsenindizes können nicht veränderte Fundamentaldaten widerspiegeln. Mir scheint es jedenfalls schwierig, damit zu erklären, weshalb der Preis von Mastvieh synchron zum amerikanischen Aktienmarkt verläuft», erklärt David Bicchetti, Co-Autor der Studie.
Weed (2012): Was hat Weizen mit Spekulation zu tun? Seite 8. UNCTAD, D. Bicchetti, N. Maystre (2012): The synchronized and long-lasting structural change on commodity markets: evidence from high frequency data.
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Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen: Spekulation beeinflusst die Nahrungsmittelpreise Viele VertreterInnen der Finanzbranche erklären die Preisanstiege bei Rohstoffen hauptsächlich mit der Veränderung so genannter Fundamentaldaten: Sie führen langfristige makroökonomische Faktoren wie Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern, demografische Veränderungen, Wirtschaftspolitik oder die starke Zunahme von Agrotreibstoffen (in den USA werden 40 Prozent der Maisernte zu Agrotreibstoffen verarbeitet) ins Feld. Zu den kurzfristigen Faktoren, welche die Nahrungsmittelpreise beeinflussen, zählen sie den Preisanstieg von Rohöl und Dünger sowie klimatische Veränderungen (z.B. Dürren und Überschwemmungen). Noch immer umstritten ist dagegen die Auswirkung der Spekulation auf die Preisentwicklung und die Volatilität der Rohstoffpreise. Und dies, obwohl immer mehr empirische Beweise vorliegen, die den Zusammenhang deutlich aufzeigen: Schon 2006 schätzte die Bank Merill Lynch, dass die Preise durch Spekulation um 50 Prozent in die Höhe getrieben waren.7 2010 klagte Klaus Josef Stutz, Vorstandsmitglied von Europas grösstem Agrarhändler BayWa: «70 Prozent der Preisaufschläge sind den Spekulanten geschuldet.» Auch die Weltbank machte 2010 geltend: «Wir nehmen an, dass Indexfondsaktivität … eine Schlüsselrolle bei der Preisspitze von 2008 gespielt hat. Biosprit spielte auch eine gewisse Rolle, aber viel weniger, als ursprünglich gedacht. Wir finden keine Belege, dass die angeblich gestiegene Nachfrage aus Schwellenländern irgendeinen Effekt auf die Weltmarktpreise hatte.»8 Immer stärker wird auch die Kritik von Seiten der Wissenschaft: Seit 2010 zeigten zahlreiche Ökonomen statistisch auf, dass die Indexfonds den Preisanstieg der Rohstoffe signifikant beeinflusst haben.9 Für die UNCTAD ist es offensichtlich, dass die Rohstoffmärkte nunmehr zum Finanzmarkt gehören und damit den Gesetzmässigkeiten der Spekulation unterliegen. Kürzlich haben Ökonomen der UNCTAD zusammen mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich eine Studie veröffentlicht.10 Darin konnten sie anhand von mathematischen Modellen aufzeigen, dass nahezu 70 Prozent der Schwankungen bei den Rohstoffkursen nicht auf neue Informationen zurückzuführen waren, welche die Nachfrage oder das Angebot hätten beeinflussen können, sondern vielmehr auf das Herdenverhalten verschiedener Finanzinvestoren auf diesen Märkten.
Bloomberg Businessweek, E. Thornton (12.06.2012): Inside Wall Street’s culture of risk. World Bank, J. Baffes, T. Haniotis (2010): Placing the 2006/2008 Commodity Price Boom into Perspective. 9 UNCTAD, D. Bicchetti, N. Maystre (2012): The synchronized and long-lasting structural change on commodity markets: evidence from high frequency data / Institute for Agriculture and Trade Policy, P. Basu und W. T. Gavin (2011): What Explains the Growth in Commodity Derivatives, Excessive Speculation in Agricultural Commodities / World Bank, J. Baffes, T. Haniotis (2010): Placing the 2006/08 Commodity, Price Boom into Perspective, in: Policy Research Working Paper 5371 / The New England Complex Systems Institute , M. Lagi, Y. Bar-Yam, K. Z. Bertrand und Y. Bar-Yam (2011): The Food Crises: A quantitative model of food prices including speculators and ethanol conversion. 10 V. Filimonova, D. Bicchetti, N. Maystreb, D. Sornettea (2013): Quantification of the High Level of Endogeneity and of Structural Regime Shifts in Commodity Markets. 7 8
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Auswirkungen im Weltsüden
Wenn Essen unbezahlbar wird
Die Preisspitzen bei den Grundnahrungsmitteln haben zu Hungerrevolten in zahlreichen Ländern des Südens geführt. Für viele Menschen, die bereits zuvor bis zu 90 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben mussten, wurde der Preisanstieg zur Überlebensfrage. Das Jahr 2008 begann mit einer Welle von Hunger-Aufständen in vielen Teilen der Welt: In Haiti schossen Uno-Blauhelme auf hungrige und wütende Menschenmengen und töteten mindestens fünf Menschen. Die Regierung wurde kurz darauf gestürzt. In Bangladesh, wo viele ArbeiterInnen 25 Dollar monatlich verdienen und sich die Reispreise im vorangegangenen Jahr verdoppelt hatten, fanden grosse Demonstrationen statt. Auch diese wurden von der Polizei mit Gewehrsalven aufgelöst. In Kairo wurden bei Protesten zwei Menschen getötet und Hunderte verhaftet. In der kambodschani16
schen Hauptstadt Phnom Phen, wo das tägliche Durchschnittseinkommen 50 Cent beträgt und der Preis für ein Kilo Reis auf einen Dollar angestiegen war, marschierten die Demonstrierenden ins Parlament. Auch in der Elfenbeinküste, wo die Lebensmittelpreise bis zu 60 Prozent gestiegen waren, versammelten sich Tausende vor der Villa des Präsidenten und schrien: «Wir sind hungrig!» und «Das Leben ist zu teuer, ihr tötet uns!»1 Zu diesem Zeitpunkt stellte die Uno-Welternährungsorganisation FAO fest, dass in 37 Ländern (21 davon in Afrika) eine Lebens-
Preisentwicklung von Grundnahrungsmitteln und Erdöl 2003-2013
Mais Weizen Reis
Index
Erdöl
550 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Quelle: Weltbank
mittelkrise ausgebrochen war. Die Nahrungsmittelpreise waren zwischen 2006 und 2008 regelrecht explodiert. Der Preis für Mais, Reis und Weizen hatte sein höchstes Niveau seit 30 Jahren erreicht. Auf Haiti wussten sich Frauen nicht anders zu helfen, als «Fladenbrote» aus Lehm, Salz und etwas Pflanzenfett zu backen, mit denen sie ihre Familien über den Tag zu bringen versuchten. Manche konnten sich aber nicht einmal diese menschenunwürdigen, meist mit Parasiten und Giften verseuchten Fladen leisten, die schwere Mangelerscheinungen und Verdauungsstörungen hervorrufen. Richtige Nahrungsmittel wie Reis, Bohnen und Obst waren für die Leute nach einer mehr als 50-prozentigen Preissteigerung nicht mehr erschwinglich.2 Ein Einwohner von Bangladesh erklärte damals
gegenüber einem Vertreter von Oxfam «Ich habe Angst, auf den Markt zu gehen und nach den einzelnen Preisen für die Lebensmittel zu fragen.» Und auch für die EinwohnerInnen von El Salvador war die Situation schwierig geworden. «Zuvor konnte ich mit 20 US-$ einen grossen Korb mit Esswaren füllen, nun reichen nicht mal mehr 40 US-$ aus. Mein Geld reicht einfach nicht mehr, es ist alles so teuer geworden», sagte eine Frau gegenüber Oxfam.3 Obwohl die Preise danach wieder sanken, blieb der Rohstoffmarkt deutlich volatiler als zuvor. Im Jahr 2010 stiegen die Preise der Nahrungsmittel erneut um über 30 Prozent an und liessen 44 Millionen Menschen zusätzlich unter die Grenze für extreme Armut fallen.4
Talktogether 25/2008: www.talktogether.org Herald Bulletin, 25. April, 2008 3 Oxfam Deutschland (2012), Mit Essen spielt man nicht. Seite 11 und 12 4 World Bank: Food Prise Hike Drives 44 Million People into Poverty, Press release 15.02.2011 1 2
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Hunger und seine Folgen Während wir im Westen zwischen 10 und 20 Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, macht der Kauf von Grundnahrungsmitteln in Ländern des Südens zwischen 50 und 90 Prozent des Haushaltsbudgets aus.5 Steigen die Nahrungsmittelpreise auch nur leicht an, werden die Folgen sehr schnell zu einer Überlebensfrage: Hungernde Menschen können nicht normal wachsen, lernen und arbeiten. Sie sind anfällig für Infektionskrankheiten und Parasiten. Am schlimmsten trifft Unterernährung Mütter und Kinder während der ersten fünf Lebensjahre: Fast ein Drittel aller Kinder in Entwicklungsländern kommt untergewichtig zur Welt. Über ein Drittel der 7,6 Millionen Kinder unter fünf Jahren, die 2010 weltweit gestorben sind, hätten mit besserer Ernährung gerettet werden können.6 Grundsätzlich haben Preissteigerungen bei Lebensmitteln zur Folge, dass Menschen auf gesunde und teurere Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse verzichten müssen. Familien verschulden sich und verkaufen ihr Hab und Gut, um sich zu ernähren. Ausgaben für Gesundheit und Bildung werden gekürzt. Gerade für die Ärmsten hat sich die Chancenungleichheit damit noch mehr verstärkt: Weil sie die Schulgelder nicht mehr bezahlen können, sind sie gezwungen, die Kinder aus der Schule zu nehmen. Victor Nzuzi, ehemaliger Lehrer und Bauer in der Region Bakango in der Demokratischen Republik Kongo, kennt die Folgen gut. «Bereits ohne Preisanstiege auf Nahrungsmittel hat der grösste Teil der kongolesischen Bevölkerung nur eine Mahlzeit am Tag. Die Kindersterblichkeit ist enorm hoch und mehr als 16 Millionen KongolesInnen leiden an Hunger. Unser Volk ist am Sterben», sagt Victor Nzuzi. «Die Menschen geben einen grossen Teil ihres Geldes für 18
Nahrungsmittel aus – wenn die Lebensmittelpreise steigen, wirkt sich das direkt auf andere Lebensbereiche aus. Eines von fünf Kindern beendet das Schuljahr nicht, weil seine Eltern die Schulgebühren nicht mehr bezahlen können», weiss Nzuzi. «Es gibt Kinder, die deswegen drei bis viermal dasselbe Schuljahr beginnen, ohne es je zu beenden.» 7 Stärkung der Kleinbauernfamilien macht unabhängiger Eigentlich könnte man sich vorstellen, dass Victor Nzuzi als Bauer von den gestiegenen Lebensmittelpreisen profitiert. «Nein», sagt er. «Mit den Nahrungsmittelpreisen steigen auch die Preise für Benzin und Transport.» Im Gegenteil, meint er: «Ich kämpfe immer mehr mit ausländischen und steuerbefreiten Konkurrenzprodukten, die die Märkte von Kinshasa überfluten und dazu führen, dass ich meine Produkte nur noch schlecht verkaufen kann.» Die lokale Landwirtschaft wurde von Regierungen und internationalen Organisationen jahrzehntelang vernachlässigt. Und dies, obwohl die Stärkung der Kleinbauernfamilien eine Grundvoraussetzung für eine gesunde Entwicklung eines Landes ist. Und sie ist auch eine wichtige Strategie gegen das zunehmende «Verrücktspielen» der globalen Finanz- und Agrarmärkte. Denn je besser ein Land sich und seine BewohnerInnen selber versorgen kann, desto weniger anfällig ist es. Ein Beispiel dafür ist Alphonce Azebaze aus Kamerun. Der Agronom arbeitet seit vielen Jahren für CIPCRE, eine Partnerorganisation von Brot für alle in der Stadt Bafoussam im Südwesten Kameruns mit bald 250 000 Einwohnerinnen und Einwohnern. «Meine Frau, die zwei Kinder und ich, dazu eine Witwe und immer wieder weitere Mitglieder der Familie, leben zu 80 bis
Eine Frau verkauft Gemüse auf einem Markt in Malawi: Wer sich selber versorgen kann, ist weniger verletzlich gegenüber hohen Nahrungsmittelpreisen.
90 Prozent von den Erträgen unseres Landes». Seinen Lohn nutzt Azebaze, um seine ältere Tochter in eine zweisprachige und damit teurere Schule zu schicken. «Das ist wichtig, denn so erhält sie eine bessere Ausbildung.» CIPCRE-Chauffeur Roger hat über einen Verwandten Land gepachtet, um sich und seine Familie zu ernähren. «Dank Selbstversorgung sind wir unabhängig.» Zudem hält er sich so seinen Wunsch offen, später Bauer zu werden. Dank Fair Trade liegt der Preis für Bananen – und ebenso für
Ananas, Avocados oder Mangos – zwar um die Hälfte und mehr über dem Preis, den die Bauern und Bäuerinnen auf dem lokalen Markt erhalten würden. Dazu wird er erst noch im Voraus ausbezahlt. Die Schere zwischen den steigenden Preisen und einem stagnierenden Einkommen plagen ihn aber trotz Selbstversorgung: «In den letzten Jahren hat sich der Preis von Palmöl auf 800 FCFA (1,70 Franken) vervierfacht, Petrol für die Lampen auf 600 FCFA verdreifacht und Seife kostet heute 350 FCFA statt 150 FCFA.»
World Development Movement (2010): The Great Hunger Lottery. Weltagrarbericht: www.weltagrarbericht.de 7 Interview mit Victor Nzuzi vom 16.04.2013 5 6
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Es kostet 20 Rappen pro Tag, um ein hungriges Kind zu ernähren und damit sein Leben grundlegend zu verändern.
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Nahrung ist das grundlegendste menschliche Bedürfnis zum Überleben. Dennoch geht durchschnittlich eine von acht Personen weltweit hungrig zu Bett.
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Sambia
Hunger tötet, verstümmelt und vermindert das Denkvermögen. Er führt zu Einkommenseinbussen, zu Schulabsenz und verhindert Wirtschaftswachstum.
Mauritius
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Hungerkarte 2012 Prozentanteil der unterernährten Bevölkerung 2010-2012.
<5% Fehlende oder unzureichende Vergleichszahlen.
Sehr tiefe Unterernährung.
5-14%
15-24%
25-34%
Relativ tiefe Unterernährung
Relativ hohe Unterernährung.
Hohe Unterernährung
35% und mehr Sehr hohe Unterernährung
Keine Zahlen vorhanden
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Hunger hat viele Ursachen Die Nahrungsmittelspekulation hat das Problem des weltweiten Hungers zusätzlich verschärft. Gründe dafür, dass heute fast eine Milliarde Menschen an Hunger leiden, sind jedoch noch andere: Vernachlässigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft: Die meisten in Armut lebenden Menschen wohnen in ländlichen Gebieten. Sie haben nicht genug Anbaufläche, um sich und ihre Familien zu ernähren. Zudem hat die jahrelange Vernachlässigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft durch Politik, Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit dazu geführt, dass viele Kleinbauernfamilien aufgeben mussten. Mit der Folge, dass viele Länder heute Lebensmittel importieren müssen und so von globalen Preisschwankungen abhängig sind. Klimawandel: Der Klimawandel verändert Anbau- und Erntezeiten. Immer häufiger zerstören oder verringern Dürren und Überschwemmungen die Ernten. Bodendegradation: Immer mehr Böden werden durch eine extensive und chemielastige Landwirtschaft unfruchtbar gemacht. Der Nahrungsmittelanbau wird dadurch massiv erschwert. Land Grabbing: Ohne Rücksicht auf Rechte der lokalen Bevölkerung kaufen oder pachten InvestorInnen riesige Landflächen auf deren Kosten. Die Flächen werden für eine industrialisierte Landwirtschaft oder den Anbau von Agrotreibstoffen genutzt oder dienen der Spekulation. Anbau von Agrotreibstoffen: Auf Millionen von Hektaren Land werden heute Agrotreibstoffpflanzen angebaut – Flächen, die eigentlich zum Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden müssten. Erhöhte Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten: Aufgrund des wachsenden Wohlstands in Schwellenländern wie China und Indien essen die Menschen weltweit mehr Fleisch und Milchprodukte. Damit steigen der Bedarf an Getreide für Tierfutter und die Preise für Grundnahrungsmittel. Geschlechterungerechtigkeit: Frauen und Mädchen sind besonders von Armut und Hunger betroffen. Und dies, obwohl sie einen Grossteil der landwirtschaftlichen Arbeit verrichten und meist die Verantwortung für die Ernährung der Familie tragen. Ungerechte Handelsstrukturen: Reiche Länder schirmen ihre Märkte durch Agrarzölle ab und subventionieren gleichzeitig die eigenen Agrarexporte. Die Kleinbauernfamilien in armen Ländern können dabei nicht mithalten, ihre Landwirtschaft gerät unter Druck. Finanz- und Wirtschaftskrise: Die weltweite Wirtschaftskrise hat die Entwicklungs- und Schwellenländer durch Investitions- und Entwicklungshilfekürzungen besonders hart getroffen. Korruption und Steuerflucht: Weit verbreitete Korruption und Steuerflucht führen dazu, dass in vielen Ländern das Geld für Grundlegendes wie Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung fehlt. Steigende Energiepreise: Der hohe Ölpreis verteuert die Kosten für Erzeugung, Verarbeitung und Transport von Nahrungsmitteln. Bewaffnete Konflikte: Bewaffnete Konflikte, Vertreibung und Flucht verschärfen Armut und Hunger. Keine Prävention von Hungerkrisen: Die wenigsten Länder haben eine strukturierte Vorsorge für Hungerkrisen. Regierungen könnten Hungersnöten vorbeugen, indem sie gemeinsam ausreichend Nahrungsmittelreserven aufbauen.
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Situation in der Schweiz
Schweizer Banken spekulieren mit 3,6 Milliarden Franken auf Agrarrohstoffe
In der Schweiz bieten zahlreiche Banken Anlagefonds an, welche Teile ihres Kapitals in landwirtschaftliche Erzeugnisse investieren. Am Wettgeschäft beteiligt sind auch gewisse Kantonalbanken und Pensionskassen. Kürzlich gemachte Recherchen von Brot für alle, Fastenopfer und Alliance Sud haben ergeben, dass Schweizer Banken1 rund 3,6 Milliarden Schweizer Franken in Derivate auf landwirtschaftliche Produkte angelegt haben.2 Diese Summe ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Denn sie berücksichtigt weder traditionelle Fonds noch Hedgefonds, welche institutionellen KundInnen (zum Beispiel Pensionskassen) und sehr wohlhabenden KundInnen direkt verkauft werden. Auch beinhalten sie weder die direkten Investitionen der Banken noch die strukturierten Produkte auf Rohstoffen. Begünstigt durch die Deregulierung der Rohstoffmärkte im Jahr 2000 ist das Han-
deln mit Derivaten via Anlagefonds nunmehr jedem Bankkunden zugänglich, ob vermögend oder nicht. Credit Suisse an einsamer Spitze Unter den analysierten Finanzinstituten ist die Credit Suisse mit Investitionen von 2,4 Milliarden Franken in Agrarprodukte bei weitem die wichtigste Akteurin. Der grösste Rohstoff-Anlagefonds, der Credit Suisse Commodity Return Strategy Fund, wiegt allein bereits 4,6 Milliarden Franken, davon sind rund 35 Prozent in Agrarprodukte investiert. Auch die UBS bietet ihrer Kundschaft mindestens zwei Fonds sowie drei passiv verwaltete Exchange Traded Funds
Die Recherchen umfassen Credit Suisse / UBS / Bank J. Safra Sarasin / Julius Bär / Pictet / Bank Vontobel / Lombard Odier / Waadtländer Kantonalbank / Zürcher Kantonalbank / Swisscanto. 2 www.brotfueralle.ch/spekulation 1
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an, die in Rohstoffe investieren. Etwa ein Drittel des platzierten Kapitals ist in Futures auf landwirtschaftliche Erzeugnisse angelegt. Die UBS preist ihre Fonds besonders verlockend an: «Dieser Fonds verschafft Anlegern mit einer einzigen Transaktion die Möglichkeit, über ein gut diversifiziertes Portfolio am Entwicklungspotenzial der Rohstoffpreise teilzuhaben . .(…). . und stellt ein effizientes Gegengewicht zu Aktien und Anleihen dar und wirkt damit wertstabilisierend.»3 Einige Kantonalbanken machen mit Julius Bär, Vontobel, Pictet, Lombard Odier und Sarasin – fünf Banken, die sich einzig an eine «Private Banking»-Kundschaft richten – bieten hausgemachte Fonds an, welche Agrarrohstoffe beinhalten. Speziell zu erwähnen ist der «Vontobel Fund – Belvista Dynamic Commodity», von dem mehr als ein Drittel der Aktiven in Agrarprodukte investiert wird. Die Ambitionen werden klar deklariert: «Der Fonds wird aktiv verwaltet und strebt eine Überrendite zum Vergleichsindex von 6 bis 8 Prozent pro Jahr an.»4 Sogar einige Kantonalbanken sind inzwischen auf den Agrarrohstoffmärkten anzutreffen. Die Waadtländer und die Zürcher Kantonalbank sowie Swisscanto verwalten fast 140 Millionen CHF in Fonds, welche in Derivate auf Agrarrohstoffe investiert sind. Und dies, obwohl Swisscanto von sich sagt, im deutschsprachigen Raum zu den anerkannten Marktführern im Bereich nachhaltiger Investmentfonds zu gehören.5
Hedgefonds mögen die Schweiz Auf dem Derivatemarkt sind aber auch andere Finanzakteure sehr aktiv. Laut Jörg Mayer, Chefökonom bei der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD, spielen die Hedgefonds auf dem Rohstoffmarkt eine immer wichtigere Rolle.6 Diskreter als die Banken wenden diese Unternehmen undurchsichtige und aggressive Strategien an und wetten gleichzeitig auf das Ansteigen wie auch auf das Sinken von Nahrungsmittelpreisen. Sie haben auf dem Markt eine grosse Destabilisierungsmacht. In der Schweiz werden zahlreiche Hedgefonds diskret von Genf oder dem Raum Zürich aus verwaltet. So etwa die in Dietikon ansässige Portas Capital, die einen Commodity Fund mit 320 Millionen US$ Fondsvermögen verwaltet.7 Auch verschiedene Rohstoffunternehmen mischen inzwischen auf den Finanzmärkten mit. In Genf bietet die Rohstoffhandelsfirma Cargill den Hedgefonds Black River8 an, welcher Anlagemöglichkeiten für Investitionen institutioneller KundInnen bietet. Und Cargill ist bei weitem nicht der einzige Rohstoffriese, der nebst dem Rohstoffhandel via Tochterfirma auch auf dem Finanzmarkt für Rohstoffe mitspielt – teilweise mit Milliardengewinnen. Diese Diversifizierung ist heute bei Rohstoffkonzernen gängig – und äusserst problematisch, denn die geballte Marktmacht in Kombination mit umfassendem Insiderwissen gibt diesen Firmen die Möglichkeit, beide Märkte gegeneinander auszuspielen und zu manipulieren.
Fact sheet «UBS Commodity (CHF)» (Juni 2013) Fact sheet «Vontobel Fund - Belvista Dynamic Commodity» 5 www.swisscanto.ch/ch/de/ueber-uns/about-us.html 6 Interview mit Jörg Mayer, Chefökonom Unctad, 23.04.2013 7 Fact sheet «Commodity Hedge Fund Portfolio», Portas Capital. (Januar 2012) 8 www.black-river.com 3 4
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Auch Rentengelder involviert Obwohl die Banken eine wesentliche Rolle spielen, sollten auch diejenigen Institutionen beleuchtet werden, die unsere Rentenvermögen verwalten. In der Schweiz werden fast 655 Milliarden Franken9 durch Pensionskassen verwaltet. Laut einer Studie der Credit Suisse aus dem Jahr 2012 sind 5,2 Prozent dieses Vermögens in alternative Anlagen investiert, zu denen auch Agrarrohstoffe gehören.10 Da Pensionskassen ihr Vermögen über spezialisierte Anleger laufen lassen, ist es sehr schwierig, ausfindig zu machen, wie viele Pensionskassengelder effektiv in Nahrungsmittelwetten fliessen. Wenn die Banken für Anlagen auf Nahrungsmittel werben, argumentieren sie in erster Linie damit, dass sich die Preise von Rohstoffen nicht gleich entwickeln wie diejenigen der Aktien und Obligationen. Diese Tatsache soll es den Investoren erlauben,
ihre Anlagen zu diversifizieren und die Risiken einzuschränken. Doch Nicolas Maystre, Ökonom bei der UNCTAD, ist anderer Meinung: «Die Banken sind mit ihren Kunden nicht ehrlich, wenn sie ihre Verkaufsargumente weiterhin auf die Tatsache abstützen, dass Rohstoffe sich nicht wie Aktien und Obligationen verhalten».11 In der Tat würden zahlreiche Studien belegen, dass die Rohstoffpreise und die Aktienpreise nunmehr gleichsam verlaufen (seit 2008 konnte eine positive Korrelation zwischen Renditen von Termingeschäften und Aktieninvestitionen beobachtet werden).12 Der Grund, warum Finanzakteure für Rohstoffanlagen werben, ist laut Nicolas Maystre an einem anderen Ort zu suchen: «Die Banken haben mit grossem Einsatz ganze Teams von Rohstoffspezialisten aufgebaut; nun muss sich diese Investition auszahlen – deshalb müssen sie den Mythos aufrechterhalten.»13
OECD, Pension Markets in Focus, September 2012, Issue 9 Credit Suisse, Schweizer Pensionskassen Index, 3. Quartal 2012 11 Interview mit Nicolas Maystre vom 23.04.2013 12 David Bicchetti, Nicolas Maystre (2012): The synchronized and long-lasting structural change on commodity markets: Evidence from high-frequency data. Discussion Paper n° 208, Geneva: http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/osgdp2012d2_en.pdf 13 Interview mit Nicolas Maystre vom 23.04.2013 9
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Forderungen und Lösungsansätze
«Gegen die Nahrungsmittelspekulation zu kämpfen ist wichtig.»
Für Olivier de Schutter, Uno-Spezialberichterstatter für das Recht auf Nahrung, müssen die Finanzmärkte stärker reguliert und die Nahrungsmittelspekulation eingedämmt werden. Um die weltweite Ernährung zu sichern, braucht es aber vor allem eine Stärkung der Landwirtschaft sowie ein Moratorium für Agrotreibstoffe. Die Fachwelt war lange geteilter Meinung, was die negativen Auswirkungen der Finanzspekulationen auf die Agrarmärkte betrifft. An welchem Punkt ist die Debatte heute angelangt? Unter Experten – internationale Organisationen inbegriffen – setzt sich die Erkenntnis durch, dass Spekulationen die schwankende Kursentwicklung beeinflussen, auch wenn sie in der gegenwärtigen Krise eine kleinere Rolle spielen als noch 2008. Die Preisschwankungen bei Agrarrohstoffen be26
hindern die Produzenten jedoch weiterhin, da sie ihre Produktion nicht mehr planen können und einem steigenden Risiko ausgesetzt sind. Die Volatilität kann auch zu panikartigen Situationen führen: Wenn ein Anlagefonds nach oben ausschlägt, wollen die Kaufenden möglichst rasch kaufen, während die Verkäufer den Verkauf zu verzögern versuchen. So entsteht eine künstliche Verknappung. Spekulation verstärkt die Preisschwankungen. Ich anerkenne aber auch, dass sie für
die steigenden oder fallenden Preise nicht der «entscheidende» Faktor ist. Ein Markt für derivative Finanzinstrumente, auf dem Kaufs- und Verkaufsversprechen auf Termin ausgetauscht werden, ist bis zu einem gewissen Grad sogar nötig. Er erlaubt es den Akteuren, sich vor den natürlichen Schwankungen auf den Märkten der Agrarprodukte zu schützen. Doch wenn der Austausch auf den Derivatmärkten nicht reguliert ist, destabilisiert er die Warenmärkte, weil die gesendeten Signale unlesbar werden. Die Entwicklung von Indexfonds auf Rohstoffen und die finanzielle Logik, die sich mehr und mehr aufdrängt, lösen die Landwirtschaftsmärkte von der realen Wirtschaft ab: Es bilden sich Blasen, die dann platzen, ohne dass dies auf Fundamentaldaten wie Vorräte, Angebot und Nachfrage zurückgeführt werden kann. Deshalb ist es wichtig, den Markt zu reglementieren und klar zwischen gewerbsmässigen Händlern und reinen Finanzinvestoren zu unterscheiden.
nosen, die selbsterfüllende Auswirkungen haben können (die Preise steigen, weil eine grosse Anzahl Spekulanten glaubt, dass sie steigen werden) und weil die Finanzakteure ein Herdenverhalten an den Tag legen (ich mache, was mein Nachbar macht, oder was ich glaube, was er machen wird).
Oxfam hat in Deutschland und in Frankreich erreicht, dass grosse Banken gewisse Fonds schlossen, die in Agrarrohstoffe (Soft Commodities) investierten. Haben sie damit nur ihr Image aufpolieren wollen? Es ist erfreulich, dass mehrere europäische Finanzinstitute angekündigt haben, auf den Verkauf von derivativen Produkten auf landwirtschaftlichen Rohstoffen verzichten zu wollen. Leider sind es bislang nur wenige Banken, die sich dieser Bewegung angeschlossen haben. Für die DZ Bank, die Commerzbank oder die PNB Paribas ist dies jedoch nicht nur eine simple kosmetische Aktion. Sie anerkennen damit, dass die Finanzialisierung der Agrarmärkte dazu geführt hat, dass die Preise nicht mehr durch Vorräte, Angebot und Nachfrage definiert werden. Bestimmend sind vielmehr Prog-
Die USA haben ihre Regulierungen über den Dodd-Frank Act verstärkt und zum Beispiel Positionslimits eingeführt. Müsste man nicht auf internationaler Ebene Massnahmen ergreifen, damit sie auch wirklich wirksam sind? Die USA haben einen bescheidenen Schritt vorwärts getan, denn die Tragweite des Dodd-Frank Act aus dem Jahr 2010 zur Überwachung der Märkte wurde durch die Finanzlobby stark abgeschwächt. Tatsächlich sind die Fortschritte enttäuschend. Die Arbeit der Commodities Futures Trading Commission, Umsetzungsorgan für das Gesetz, wird durch fehlende Mittel und ein immer enger werdendes Mandat behindert. Gegen die Nahrungsmittelspekulation zu kämpfen ist wichtig. Gleichzeitig braucht es aber auch mehr Transparenz auf den physi-
«Es ist wichtig, den Markt zu reglementieren und klar zwischen gewerbsmässigen Händlern und reinen Finanzinvestoren zu unterscheiden.»
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schen Märkten sowie eine verantwortungsvollere Landwirtschaftspolitik. Die USA oder die EU könnten heute ein starkes Signal aussenden: Sie könnten entscheiden, ihrer Unterstützungspolitik für Agrotreibstoffe ein Moratorium aufzuerlegen. Ihre Agrotreibstoffpolitik wurde zu einem Zeitpunkt beschlossen, zu dem wir noch nicht wussten, welchen Einfluss Agrotreibstoffe auf die Volatilität und das Preisniveau der Landwirtschaftsprodukte haben würden. 40 Prozent der US-Maisproduktion wird heute für die Herstellung von Ethanol gebraucht. Der Mais, der von US-Autos verbraucht wird, ent-
spricht 13 Prozent der weltweiten Ernte, also der gesamten Produktion der EU. Idealerweise sollten die G20 eine klare Haltung einnehmen in Bezug auf die Spekulationen durch Finanzakteure und die Agrotreibstoffe. Es wäre ebenfalls wünschenswert, dass sie eine Empfehlung an die Staaten abgeben würden, Nahrungsmittelreserven für den Notfall anzulegen. Dies wurde bereits am G20-Treffen zu Landwirtschaft vom 22. – 23. Juni 2011 diskutiert: Seither sind wir nur wenig vorwärtsgekommen. Und dies trotz der guten Absichten, die damals bekundet wurden.
Zur Person Olivier de Schutter Der belgische Menschenrechtsprofessor Olivier de Schutter ist seit 2008 Uno-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.
Börse New York 28
Regulierungen sind erwünscht – ein Umdenken ist nötig
Sowohl in den USA wie in Europa gibt es Bestrebungen, die Finanzmärkte wieder verstärkt an die kurze Leine zu nehmen. Noch effektiver ist es jedoch, die Finanzakteure selbst dazu zu bewegen, aus dem Wettgeschäft mit Nahrungsmittelpreisen auszusteigen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, spekulative Aktivitäten von Investoren und Investorinnen zu unterbinden. Gemäss David Bicchetti, Ökonom bei der UNCTAD, «sollte die Finanzspekulation an den Terminbörsen nicht mehr als 20 Prozent des Gesamtvolumens betragen.»1 Heute machen diese Spekulationen rund 60 Prozent aus. In den USA, wo die Spekulation auf Nahrungsmittel unvergleichlich grösser ist als in Europa, hat der Kongress 2010 den Dodd-Frank Act verabschiedet. Mit diesem Gesetzespaket sollen die spekulativen Tätigkeiten stärker reguliert werden. Der DoddFrank Act sieht unter anderem Positionslimits (eine Beschränkte Anzahl von Futures und Optionen pro InvestorIn) für Rohstoffe vor sowie eine verstärkte Transparenz bei den ausserbörslichen Over-the-Counter-
Transaktionen. Verschiedene Fachleute2 monieren jedoch, dass Positionslimits alleine nicht genügen, da an die Stelle von grossen Investoren einfach viele kleine treten können. Wirksamer wären so genannte «aggregierte Positionslimits», also eine absolute Obergrenze für den Anteil der Spekulation am Terminhandel insgesamt. Auch sonst bleibt die Gesetzesvorlage ein schwaches Instrument: «Die Tragweite des Dodd-Frank Act wurde durch die Finanzlobby massiv abgeschwächt. Die Arbeit der Commodities Futures Trading Commission, das Umsetzungsorgan für das Gesetz, wird durch fehlende Mittel und ein immer enger werdendes Mandat behindert», kritisiert Oliver de Schutter, Uno-Spezialberichterstatter für das Recht auf Nahrung. (vgl. S. 27)
Interview mit David Bicchetti vom 23.04.2013 So etwa Adair Turner, Vorsitzender der britischen Finanzmarktaufsichtsbehörde (FSA)
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Unterscheidung von SpekulantInnen und HändlerInnen Laut Olivier de Schutter sind verschiedene Lösungsansätze zur Eindämmung der exzessiven Spekulation mit Derivaten auf Rohstoffen zu prüfen.3 Dazu gehören: • Die Kompetenzstärkung der Regulierungsorgane durch den Einbezug von zusätzlichen Rohstoffmarkt-ExpertInnen. • Die Unterscheidung zwischen Marktteilnehmenden, die sich gegen ökonomische Risiken absichern wollen (Hedgers) und spekulativen InvestorInnen, welche alleine den Profit suchen. • Die Unterscheidung von Finanzderivaten und Derivaten auf Rohstoffen. Sie gehören nicht in dieselbe Kategorie der Finanzinstrumente. Für diese Unterscheidung braucht es eine starke Regulationsinstanz, die den Markt beobachtet und im Fall einer sich abzeichnenden Spekulationsblase intervenieren könnte. • Eine Verminderung der Anreize zur Spekulation, indem die AkteurInnen dazu gezwungen werden, eine bestimmte Menge der Rohstoffe effektiv zu liefern oder indem die von der Börse geforderte Hinterlegungssumme hochgesetzt wird. Revision der Richtlinien auch in Europa Innerhalb der Europäischen Union befindet sich die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) derzeit ebenfalls in Revision. Eine der Schlüsselforderungen ist diejenige der individuellen Positionslimits. Die grosse Schwierigkeit liegt bei der Unterscheidung von SpekulantInnen und HändlerInnen. Denn immer mehr Finanzakteure sind inzwischen auch im physischen Rohstoffhandel aktiv. Umgekehrt betreiben auch die grossen Handelskonzerne für Mais, Weizen etc. inzwischen umfang-
reiche Finanzgeschäfte (vgl. S. 24). Zudem besteht auch hier das Problem, dass viele kleine Player den Markt genauso stören können wie wenige grosse. Organisationen wie Oxfam Deutschland und Foodwatch fordern deshalb aggregierte Positionslimits. Weiter kritisieren sie, dass der ausserbörsliche OTC-Handel, über den ein sehr grosser Teil der Rohstoffwetten abgeschlossen werden, von der neuen MiFID-Reglementierung ausgeschlossen ist. Erste Banken ziehen sich zurück Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass Regulierungen alleine die Problematik der Spekulation nicht vollkommen lösen können. Deshalb ist es zentral, das Problem bei den Wurzeln zu packen und den Dialog mit den grossen Investorinnen (Banken, Versicherungen und Pensionskassen) zu suchen. Sie müssen dazu gebracht werden, ihre Aktivitäten auf dem Rohstoffmarkt aus eigenen Stücken einzuschränken oder gar damit aufzuhören. In Frankreich und in Deutschland haben bereits verschiedene Banken ihre Rohstofffonds auf Druck der Entwicklungsorganisation Oxfam geschlossen. 2012 haben die Deka Bank, die Landesbank Baden-Württemberg, die Commerzbank und die DZ Bank nach öffentlichen NGO-Kampagnen angekündigt, sich aus dem Wettgeschäft mit Nahrungsmitteln zurückzuziehen. Die Deutsche Bank hat dies 2012 ebenfalls angekündigt, ihre Tätigkeiten 2013 jedoch wieder aufgenommen. In Frankreich hat BNP Paribas auf Druck von Oxfam im Februar 2013 entschieden, zwei Fonds zu schliessen, welche auf Agrarrohstoffe spekulierten. Ihr folgte im März 2013 die Société Générale. Sie schloss alle Fonds, in denen mit Agrarrohstoffen spekuliert wurde.
Olivier de Schutter (2010): Commodities Speculation and Food Price Crises, Briefing Note.
3
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Das Thema ist lanciert – auch in der Schweiz
Spätestens mit dem Start der Initiative «Stoppt die Nahrungsmittelspekulation» im vergangenen Oktober ist das Thema auch im Parlament und in der Öffentlichkeit wieder präsent. Bundesrat und Verwaltung warten einmal mehr auf das Ausland. Im Oktober 2012 haben die Jungsozialisten JUSO mit der Unterstützung von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen die Initiative «Stoppt die Nahrungsmittelspekulation» lanciert. Sie will Banken, Pensionskassen und Versicherungen verbieten, auf Agrarrohstoffe zu spekulieren. Ziel der JUSO ist es, einen Gesetzesartikel unter dem Titel «Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln» in der Verfassung zu verankern. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln soll komplett
gestoppt werden, «indem Banken und sämtlichen FinanzakteurInnen (Vermögensverwaltungen, Privatversicherungen, Hedgefonds, Investmentfonds, Pensionskassen, AHV und IV) mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz verboten wird, direkt oder indirekt in Finanzinstrumente zu investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen.» «Wir wollen nicht mehr, dass unser Geld dazu beiträgt, den weltweiten Hunger zu verschärfen. Wir möchten weiter gehen als die USA, indem wir den 31
Austausch von Futures auf Nahrungsmitteln komplett verbieten», sagt François Clément, Koordinator der Initiative in der welschen Schweiz.1 Mehr als 90 000 Unterschriften wurden bis Ende Juni bereits gesammelt. Parallel dazu führen die JUSO kantonale Aktionen durch, mit denen sie die Pensionskassen der öffentlichen Hand dazu auffordern, nicht mehr in Agrarrohstoffe zu investieren. «Bis jetzt sind die Pensionskassen der Zürcher und Waadtländer Staatsangestellten daran, die Frage zu analysieren», sagt Clément. Er freut sich festzustellen, dass beispielsweise die Pensionskasse der Staatsangestellten im Kanton Freiburg aufgrund eines Entscheids des Stiftungsrates seit mehreren Jahren ihre Gelder nicht mehr in Nahrungsmitteln anlegt.2 Bundesrat ist zurückhaltend Bereits jetzt ist klar, dass das Unterschriftensoll locker erreicht werden wird. Die Initiative hat dem Thema in den Medien, in der Öffentlichkeit und im Parlament erneut zu Präsenz verholfen und den Bundesrat dazu gezwungen, öffentlich Stellung zu nehmen. Dieser gibt sich bislang zurück32
haltend: «Gemäss den meisten Studien kann die Entwicklung der Preise für Agrarrohstoffe im letzten Jahrzehnt hauptsächlich auf realwirtschaftliche Einflüsse (globale Nachfrage, langsame Reaktion des Angebots, Wettereinflüsse, Exportrestriktionen) zurückgeführt werden. Dennoch rückte jüngst auch die Rolle der Märkte für Rohstoffderivate sowie deren Regulierung in den Fokus der internationalen Debatte.»3 Noch im Jahr 2008 hatte er als Antwort auf eine Interpellation von Adèle Thorens Goumaz geantwortet: «Es gibt bis zum heutigen Tag keine ausreichenden Analysen, um Massnahmen gegen die die Spekulationen auf internationaler Ebene zu ergreifen».4 Rohstoffplatz Schweiz in der Kritik Zunehmend unter Beschuss geraten sind auch die Tätigkeiten der grossen Rohstoffhändler, von denen viele einen Sitz in der Schweiz haben. Viele von ihnen haben Tochterfirmen in Form von Hedge-Fonds gegründet, die beim Wettgeschäft mit Nahrungsmitteln kräftig mitmischen. Damit tragen sie dazu bei, die Volatilität und Instabilität der Rohstoffmärkte weiter zu verschärfen. Wie wichtig die Schweiz als
Rohstoffdrehscheibe ist, zeigte nicht zuletzt die Tatsache, dass der internationale Rohstoffgipfel im April 2013 bereits zum zweiten Mal in Lausanne stattfand. Organisiert von der Financial Times, nahmen an dem Kolloquium die weltweit wichtigsten Rohstoffgesellschaften wie Glencore, Total, Rio Tinto, Goldman Sachs teil, um über die Zukunft des Sektors zu sprechen. Mehr als 800 Personen demonstrierten in Lausanne anlässlich des Gipfels und kritisierten unter anderem die Nahrungsmittelspekulation der grossen Gesellschaften, die Steuervorteile, welche den Unternehmen eingeräumt werden, sowie die menschenrechtlichen und ökologischen Probleme, die der Rohstoffabbau in den Ländern des Südens verursacht. Die Mobilisierung für die Veranstaltung hat die Erwartungen der Organisationen weit übertroffen. Das Kollektiv führt sein Engagement mit einer neuen Aktion 2014 fort.
Wie stehen wir zur JUSO-Initiative? Brot für alle und Fastenopfer unterstützen das Anliegen der JUSO-Initiative, die Spekulation auf Nahrungsmitteln zu unterbinden. Wir bearbeiten das Thema jedoch unabhängig von der Initiative (vgl. S. 24-25) und sind keine Trägerorganisationen.
Interview mit François Clément vom 15.05.13 Telefon mit Claude Schafer, Verwalter der Pensionskasse Freiburg vom 16.05.2013 3 www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20123853 4 www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20083261 1 2
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Alternativen zum globalen Nahrungsmittelcasino Die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln muss gestoppt werden. Dies fordern auch Brot für alle und Fastenopfer. Mit einer Aktion sollen einzelne Banken dazu gebracht werden, keine Spekulation mehr zu betreiben mit lebenswichtigen Grundnahrungsmitteln. Bei der Entwicklungszusammenarbeit setzen die beiden Werke auf die Stärkung von Kleinbauern und den Fairen Handel. Mit einer Aktion wollen Brot für alle und Fastenopfer einzelne einzelne Banken zur Aufgabe der Spekulation auf Nahrungsmitteln bringen. Denn wie Recherchen von Brot für alle, Fastenopfer und Alliance Sud belegen konnten, haben Schweizer Banken rund 3,6 Milliarden Schweizer Franken in Derivate auf Nahrungsmitteln angelegt (vgl. S. 23-25). Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Brot für alle und Fastenopfer setzen in der Schweiz in erster Linie auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Denn fast alle SchweizerInnen haben ein Bankkonto oder sind bei einer Pensionskasse versichert. Fragen Sie deshalb nach, was Ihre Bank oder Ihre Pensionskasse mit Ihren Ersparnissen macht (vgl. Lupe). Internationale Regulierungen gefordert Ein Grossteil des Wettgeschäfts mit Nahrungsmitteln findet in den USA (Chicago 34
und New York) statt. Wichtig sind zudem die Börsen von London und Paris, Schanghai, Dalian (China) und Mumbai (Indien). Regulierungen, die das Wettgeschäft mit Nahrungsmitteln einschränken, müssen deshalb
Wissen Sie, was Ihr Geld macht? Stellen Sie sicher, dass mit Ihren Ersparnissen nicht auf Nahrungsmittel spekuliert wird. Wenden Sie sich deshalb direkt an Ihre Bank oder an Ihre Pensionskasse. Entsprechende Modellbriefe finden Sie auf: www.brotfueralle.ch/spekulation
international angelegt sein. Brot für alle und Fastenopfer unterstützen die Forderungen von Olivier de Schutter (vgl. S. 26-28, Oxfam, WEED und Foodwatch): • Einführung von aggregierten Positionslimits, welche eine absolute Obergrenze für den Anteil der Spekulation am gesamten Terminhandel festlegen. Da es in der Realität sehr schwierig ist, HändlerInnen und SpekulantInnen voneinander zu unterscheiden und immer mehr Zwischenformen existieren, braucht es eine Aufsichtsbehörde, welche die Geschäfte an den Warenterminbörsen überwacht und im Fall einer Marktverzerrung eingreifen kann. • Rohstoffspekulation muss an der Quelle bekämpft werden. Aus diesem Grund unterstützen wir die Forderung nach dem Ausschluss von institutionellen Investoren (Pensionsfonds, Versicherungen, Stiftungen und Vermögensverwalter) vom Rohstoffwettgeschäft. Die Ersparnisse von Millionen ArbeitnehmerInnen, die Prämien von VersicherungskundInnen oder das Vermögen von Stiftungen gehört nicht an die Rohstoffbörse. • Nebst den institutionellen InvestorInnen sind auch sogenannte Publikumsfonds von Bedeutung, die sich an individuelle AnlegerInnen richten. Sie stellen mittlerweile einen Drittel der gesamten Anlagesummen auf den Märkten für Rohstoffderivate und müssen gesetzlich verboten werden. Alternative Handelskanäle fördern Als Mitbegründer von Max Havelaar und claro fair trade engagieren sich Brot für alle und Fastenopfer seit 1992 für alternative Handelsformen. Die Handelskanäle von Fair Trade International (Max Havelaar) ermöglichen stabile Handelsbeziehungen und faire Preise, welche die Kosten einer nach-
haltigen Produktion decken. Dank vorfinanzierten Ernten und Preisgarantien sind die Kleinbauern und -bäuerinnen vor den Launen des Weltmarktes geschützt. Zudem ermöglicht die Fairhandels-Prämie den Produzentenkooperationen Projekte aufzuziehen, welche der sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Entwicklung dienen. Damit führt der Faire Handel klar zu mehr Empowerment und Selbstorganisation der bäuerlichen ProduzentInnen und PlantagenarbeiterInnen. Kleinbauern und -bäuerinnen unabhängig machen von Weltmarktexzessen Bei der Projektarbeit setzten Brot für alle und Fastenopfer auf die Ernährungssicherung durch die Stärkung der ökologischen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Beide Organisationen unterstützen zahlreiche Projekte, welche dazu beitragen, die Landbevölkerung zu stärken, etwa durch die Vermittlung von Kenntnissen in biologischer und regional angepasster Landwirtschaft oder über Instrumente wie Saatguttauschbörsen. Damit können die Bauern und Bäuerinnen ihre Selbstbestimmung und Unabhängigkeit verbessern und sind weniger verletzlich gegenüber Preisschwankungen und Preiserhöhungen auf den globalen Saatgut- und Lebensmittelmärkten. Brot für alle und Fastenopfer fordern, dass das Recht auf Nahrung als grundlegendes Recht vor sämtlichen ökonomischen Aktivitäten steht. Wirtschaftstätigkeiten und -zweige, welche die Ernährungssicherung der Bevölkerung gefährden, müssen deshalb verboten oder eingeschränkt werden. Wirtschaftsformen, welche das Recht auf Nahrung sichern, sind dagegen weiterzuentwickeln und zu fördern.
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Seit 2003 spekulieren Banken, Pensionskassen und Hedgefonds mit immer grösseren Geldsummen auf die Preisentwicklung von Agrarrohstoffen. Damit provozieren sie Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln und treiben Milliarden von Menschen im Süden in den Hunger.
Bürenstrasse 12 Postfach 1015 3000 Bern 23 Telefon 031 380 65 65 Fax 031 380 65 64 www.brotfueralle.ch bfa@bfa-ppp.ch
Brot für alle ist die protestantische Entwicklungsorganisation der Schweiz. Wir bewegen Menschen zu einer Lebensweise, welche Ausbeutung und Ungerechtigkeit von der Wurzel her bekämpft. In den Ländern des Südens unterstützen wir rund 350 PartnerProjekte, die nachhaltig Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Im Norden sind wir die entwicklungspolitische Stimme für ethisches Wirtschaften und das Recht auf Nahrung.
Alpenquai 4 Postfach 2856 6002 Luzern Telefon 041 227 59 59 Fax 041 227 59 10 www.fastenopfer.ch mail@fastenopfer.ch
Fastenopfer ist das Hilfswerk der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz. Wir setzen uns im Norden wie im Süden für eine gerechte Welt ein, in der die Menschen miteinander teilen und jeder gleichermassen ein würdiges Leben führen kann. In weltweit 400 Projekten engagieren wir uns gemeinschaftlich mit unseren Partnern gegen die Armut und für die Rechte der Menschen – egal welcher Herkunft, Religion oder politischen Gesinnung.