EinBlick
1/2011
«Water Grabbing» – der grosse Durst nach fremdem Wasser Der Ausverkauf von Wasserrechten vergrössert den Hunger und schürt Konflikte
Inhaltsverzeichnis Editorial Einführung ins Thema «Water Grabbing» – die versteckte Agenda «Water Grabbing» führt zu Menschenrechtsverletzungen und Konflikten Eine schwere Hypothek für die betroffenen Länder und Bevölkerungen
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Fallbeispiele Sierra Leone: Wasser spielt auch Schlüsselrolle beim Agrotreibstoffprojekt von Addax Bioenergy Brasilien: Wasserprojekt für die Agrarindustrie bedroht Existenz von Kleinbauernfamilien Madagaskar: «Die Gefahr der Land-Deals ist nicht gebannt»
18–19 20–21
Die internationale Gemeinschaft und die Schweiz Reichen Empfehlungen und freiwillige Verpflichtungen?
22–25
16–17
Handlungsmöglichkeiten Dort ansetzen, wo wir leben und Einfluss haben 26–27 Das tun Brot für alle und Fastenopfer 28 Das können wir tun 29 Quellenhinweise und Links 30 Impressum 31
Titelbild: Bauer in einem ausgetrockneten Flussbett bei Hyderabad, Indien
© Mahesh Kumar / Keystone
Editorial Im Frühjahr 2010 haben wir einen EinBlick zum «Land Grabbing» publiziert. Private Investoren und Staaten wie China oder die Golfstaaten sichern sich Millionen von Hektar Ackerland in Ländern des Südens. Gemäss der Universität Kopenhagen wurden bis 2010 allein in Afrika rund 60 Millionen Hektar veräussert. In Mosambik existieren beispielsweise Landverträge für über 20 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Der wohl wichtigste Grund, sich langfristig Landrechte zu sichern, ist das Wasser. Nur bewässerbares Land ist für die industrielle Landwirtschaft brauchbar. Ohne die mit dem Land verknüpften Wasserrechte sind Investitionen in Land uninteressant. Hinter dem «Land Grabbing» steht «Water Grabbing», das «Abgraben von Wasser». So schwärmt Susan Payne, Managerin des erfolgreichen African Agricultural Land Fund: «Wasser wird ein fantastisch knappes Anlagegut sein.» Die Verfügungsrechte über Wasser sind das eigentliche Investitions- und Spekulationsgut. Weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen unter Trinkwassermangel. Die Wasserknappheit wird durch Klimawandel und nicht nachhaltige Wassernutzung verschärft. Die neuen agroindustriellen Betriebe pumpen Wasser aus dem Boden und aus Flüssen. Vielerorts in Afrika mühen sich Frauen mehrere Stunden pro Tag ab, um Wasser für die Fa-
milie und den Haushalt zu besorgen. Vom sinkenden Grundwasserspiegel sind sie als Erste betroffen. Fehlender Zugang zu Wasser ist Ursache vieler Konflikte. Was, wenn der in Äthiopien entspringende Nil zu wenig Wasser führt, weil das Grundwasser für die von ausländischen Investoren bebauten Flächen in Äthiopien verwendet wird? Konflikte zwischen Ägypten, Sudan und Äthiopien sind absehbar. Für die Herstellung von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Agrotreibstoffen wird Wasser benötigt. Um einen Liter Treibstoff aus Zuckerrohr zu produzieren, braucht es beispielsweise rund 3500 Liter Wasser. Wir konsumieren mit allen importieren Produkten dieses «virtuelle» Wasser. Unser Handeln als Konsumentinnen und Konsumenten ist daher gefragt. «Water Grabbing» verletzt elementare Menschenrechte. Deshalb unterstützen Brot für alle und Fastenopfer Partner im Süden, die sich gegen den Ausverkauf von Land- und Wasserrechten zur Wehr setzen. Dieser EinBlick beleuchtet Hintergründe und zeigt Handlungsansätze bei uns auf. Es geht dabei nicht nur um einen haushälterischen Umgang mit einem knappen Gut, es geht auch um Macht und Armut, um Investitionsregeln und den Kampf um ein öffentliches Gut, und nicht zuletzt um Verteilungsgerechtigkeit.
Miges Baumann, Brot für alle Leiter Entwicklungspolitik
Markus Brun, Fastenopfer Leiter Entwicklungspolitische Grundlagen 3
Einführung ins Thema
«Water Grabbing» – die versteckte Agenda Miges Baumann, Leiter Ressort Entwicklungspolitik, Brot für alle
Länder wie Saudi-Arabien verlagern ihre Nahrungsmittelproduktion ins Ausland, um eigene Wasserressourcen zu schonen.
Siebzig Prozent des global verfügbaren Süsswassers werden für die Produktion von Nahrungsmitteln und Agrotreibstoffen verbraucht. Dessen Verknappung macht es zu einem lukrativen Anlagegut. Seit einigen Jahren sind Regierungen, Firmen und Investmentfonds auf der Suche nach Agrarland in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Das Land wird gekauft oder über lange Zeit (bis 99 Jahre) gepachtet. Dieser Hunger nach Land wird als «Land Grabbing» bezeichnet (siehe EinBlick 1/2010). Die Land-Deals gehen fast immer auf Kosten von 4
© Photo Researchers / Keystone
Bauernfamilien, die das Land verlieren, das ihnen bisher zur Verfügung stand. Folgen dieser Entwicklung sind unter anderem mehr Armut, Hunger und Migration. «In Wirklichkeit ist aber das, was als ‹Land Grabbing› beschrieben wird, ‹Water Grabbing›», erklärt Karin Smaller vom Internationalen Institut für Nachhaltige Entwicklung IISD.1 Denn Wasser ist der wichtigste treibende Faktor hinter den Hunderten von Landverträgen über Millionen von Hektaren, die in den letzten Jahren in Afrika und auf anderen Kontinenten abgeschlossen wurden. «Water Grabbing» – am besten vielleicht mit «Wasser
abgraben» übersetzt – ist der mit Landverträgen verbundene Erwerb von Verfügungsrechten über Grundwasser oder Wasser aus Flüssen und Bächen. Diese Verfügungsrechte sind oft schon im nationalen Recht mit dem Land verbunden oder sie werden in den Investitionsverträgen namentlich aufgeführt. «Zahlen zum ‹Water Grabbing› zu erhalten ist schwierig», sagt Henk Hobbelink von GRAIN, jener Organisation, die das Thema «Land Grabbing» international auf die Agenda gebracht hat. Und während «Land Grabbing» nun von vielen Organisationen aufgegriffen wird und am Weltsozialform 2011 in Dakar das heisse Thema war, erhält das «Water Grabbing» in der Öffentlichkeit praktisch noch keine Aufmerksamkeit. Wasser als treibender Faktor von «Land Grabbing» Es ist unmöglich, einen genauen Überblick über alle Land-Deals zu behalten. Das Global Land Project in Kopenhagen errechnete im August 2010, dass in 27 afrikanischen Ländern mit 177 Verträgen zwischen 51 und 63 Millionen Hektar Land verpachtet worden sind. Je zehn Millionen Hektar in den Ländern Mosambik, Demokratische Republik Kongo und Kongo-Brazzaville sowie mindestens je drei Millionen Hektar im Sudan, in Äthiopien und Madagaskar. 2 Gemäss Oxfam werden zwei Drittel aller Landverträge in A frika abgeschlossen. Wasser ist einer der wichtigsten langfristigen Faktoren hinter den boomenden Investitionen in Land. Rund 70 Prozent des global verfügbaren Süsswassers werden in der Landwirtschaft verbraucht. Die Möglichkeit, Land zu bewässern, ist ausschlaggebend, wenn es um Investitionen in Land geht. Die Bewässerung von Flächen
nimmt weltweit schnell zu. Zwischen 1962 und 1998 betrug der Zuwachs jährlich 1,6 Prozent, insgesamt 100 Millionen Hektar. «Water Grabbing» verschärft diesen Trend. Afrika südlich der Sahara verwendet nur etwa zwei Prozent seiner Frischwasser-Ressourcen für die Bewässerung. Die Region wird deshalb für Investoren als Gebiet mit einem hohen ungenutzten Potenzial für die bewässerte Landwirtschaft angesehen. Im Sudan, wo riesige Landflächen veräussert wurden, sind die bewässerten Flächen seit den 1970er-Jahren mit Investitionen aus den Golfstaaten stark ausgedehnt worden und betragen nun über zehn Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Darauf wird mehr als die Hälfte der Agrargüter des Sudans produziert. Mosambik hat mit rund 36 Millionen Hektar ein ebenso grosses Bewässerungspotenzial. Im Jahr 2002 wurden erst drei Prozent der Fläche bewässert. Mosambik ist deshalb zurzeit einer der Hauptschauplätze des «Land Grabbing». Bereits heute ist über ein Fünftel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche an ausländische Investoren verpachtet.
Derzeitige Nutzung
Potenzielle Nutzung
60 50 40 30 20 10 0 Sammeln von Niederschlag/ Oberflächenabfluss
Bewässerung
Bewirtschaftung von Talgründen
Wassermanagementpotenzial in Afrika (Flächen in Millionen Hektar).
Bewässerungspotenzial Afrikas © FAO AQUASTAT
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Der Anbau von wasserintensiven Treibstoff-Pflanzen wie Zuckerrohr verstärkt den Druck auf bewässerbares Land.
Die Golfstaaten hingegen, die zu den Hauptakteuren des «Land Grabbing» zählen, nutzen über 80 Prozent ihres Frischwassers für die Landwirtschaft. Saudi-Arabien, das während vieler Jahre die inländische Weizenproduktion förderte, hat sich entschlossen, diese bis 2016 aufzugeben. Deshalb gründete der Wüstenstaat 2008 einen 3,5 Milliarden USDollar schweren Fonds, dessen Hauptzweck ausländische Land- und Nahrungsmittel-Investitionen sind und der als ausdrückliches Ziel nennt, die eigenen Wasserressourcen zu schonen. Nicht zufällig zählen jene Staaten, die selbst stark unter Wasserknappheit leiden und einen hohen Importbedarf an Nahrungsund Futtermitteln haben, zu den aktivsten Landkäufern in Afrika. Dazu gehören China, Saudi-Arabien und die Golfstaaten, Südkorea, Israel und Indien. 6
© Miges Baumann / Brot für alle
Wasserverbrauch und -mangel nehmen stetig zu Das Wasser, das für die Herstellung eines landwirtschaftlichen oder industriellen Gutes benötigt wird, wird als «virtuelles Wasser» bezeichnet. Wenn ein Land ein wasserintensives Produkt ausführt, exportiert es Wasser in virtueller Form. «Der Handel mit Nahrungsmitteln ist nichts anderes als ein Handel mit virtuellem Wasser», erklärte der ehemalige Nestlé-Chef Peter Brabeck. Die Herstellung von Nahrungsmitteln und Agrotreibstoffen ist sehr wasserintensiv. Um ein Kilogramm Rindfleisch herzustellen braucht es beispielsweise rund 15 500 Liter virtuelles Wasser. Und hinter einem 1,5 dl-Becher Pausenkaffee verbergen sich etwa 208 Liter Wasser. Produkte hinterlassen einen Wasser-Fussabdruck.
Der weltweite Wasserverbrauch hat sich in 50 Jahren vervierfacht. Er nimmt etwa doppelt so schnell zu wie die Bevölkerung. Mehr als eine Milliarde Menschen lebt in Ländern, in denen Wasser knapp ist. Bis 2050 wird voraussichtlich ein Viertel der Weltbevölkerung unter chronischem Wassermangel leiden. Agrotreibstoffe verschärfen Wassermangel Pflanzen, die für die Herstellung von Agrotreibstoffen verwendet werden, benötigen überdurchschnittlich viel Wasser. Das International Water Management Institute IWMI hat berechnet, dass im weltweiten Durchschnitt die Biomasse, die für einen Liter Agrotreibstoff benötigt wird, während ihres Wachstums zwischen 1000 und 4000 Liter Wasser verbraucht und verdunstet. In Indien zum Beispiel braucht es für die Bewässerung der Menge Zuckerrohr, aus der ein Liter Ethanol gewonnen wird, 3500 Liter Wasser. In vielen Ländern beansprucht der zunehmende Anbau von Agrotreibstoff-Pflanzen die schon knappen Wasserressourcen zusätzlich. In Indien und China ist die Situation schon heute gravierend. «Auch ohne eine erhöhte Produktion von Agrotreibstoffen wird sich die Wasserknappheit in diesen Ländern noch verschärfen, da steigende Einkommen und eine wachsende Bevölkerung die Nachfrage nach Nahrungsmitteln hochtreiben», prognostiziert Charlotte de Fraiture vom IWMI. 3 Mehr als ein Viertel des verfügbaren Wassers virtuell gehandelt Ungefähr 1340 km3 Wasser, das heisst über ein Viertel des weltweit für die Landwirtschaft verfügbaren Wassers, wird virtuell ge-
handelt. Da der Trend für den Handel mit Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen steil nach oben zeigt, wird der gehandelte Wasseranteil künftig noch massiv zunehmen. Beim Getreide werden sich bis 2020 die gehandelten Mengen gegenüber 1993 verdoppeln, bei Fleisch gar verdreifachen. «Es sind nicht nur die gesamten Ernten, die zu Gütern werden; vielmehr sind es Land und Wasser für die Landwirtschaft selbst, die zunehmend zu Handelsgütern und deren Zugangsrechte globalisiert werden», stellen Karin Smaller und Howard Mann vom IISD fest.
1340 km 3 Wasser werden jährlich in Form von Lebensmitteln und Agrotreibstoffen exportiert. Bei einem Pegel von 50 cm würde diese Menge 2,68 Millionen km 2 – einen grossen Teil Europas – bedecken.
Der Wasser-Fussabdruck der Schweiz Der tägliche Pro-Kopf-Wasserverbrauch der Schweiz ist mit 6082 Litern ähnlich hoch wie in den USA. Der Grossteil davon ist in unseren Lebensmitteln, der Kleidung und anderen Produkten des täglichen Bedarfs versteckt. Laut der WWF-Studie «Der Wasser-Fussabdruck der Schweiz» liegt der Wasserver7
brauch der Schweiz weit über dem weltweiten Durchschnitt von 3397 Litern und nahe bei den führenden 6795 Litern pro Person und Tag der USA. Ein relativ geringer Anteil von rund 164 Litern wird im Haushalt verbraucht. Zwei Drittel des in der Schweiz konsumierten Wassers stammen gemäss der Studie aus dem Ausland. Dieses «virtuelle» Wasser steckt vor allem in wasserintensiven landwirtschaftlichen und industriellen Produkten. So werden 86,2 Prozent in Form von importierten Kulturpflanzen verbraucht, wobei Kaffee und Kakao einen Spitzenplatz einnehmen. Aber auch Zucker, Nüsse, Ölsaaten und Weizen schlagen kräftig zu Buche. In der Schweiz verzehrte tierische Produkte brauchen hingegen zu etwa drei Vierteln einheimische Wasserressourcen. Als kritische Produkte bezeichnet die Studie Baumwolle, Reis, Zucker und Nüsse, da diese nicht nur viel Wasser benötigen, sondern auch aus Regionen stammen, in denen ihr Anbau einen erheblichen negativen Einfluss auf
Für ein Kilogramm Baumwollstoff werden durchschnittlich 11 000 Liter Wasser aufgewendet. © Robert Schmid
Mensch und Umwelt hat. Kakao und Kaffee hinterlassen zwar den grössten externen Wasser-Fussabdruck, doch werden sie in Ländern wie Ghana, Elfenbeinküste, Ecuador und Brasilien angepflanzt, in denen es genug Niederschläge gibt. Problematisch ist der hohe Wasserverbrauch dort, wo bewässert werden muss. Oft verschmutzen zudem Düngemittel, Pestizide und Tierexkremente das Wasser.4
Externer Fussabdruck der Schweiz nach Regionen © WWF Schweiz
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Ultimatives Investitionsgut Wasser «Wie jede andere Knappheit schafft die Wasserknappheit Investitionsmöglichkeiten», freut sich James McWhinney von Investopedia. Nicht nur das Geschäft mit dem Flaschenwasser boomt und bringt Firmen wie Nestlé oder Coca Cola Milliardenumsätze. Auch in der Wasserversorgung positionieren sich Unternehmen wie Veolia (Vivendi) oder Ondeo als Global Players. Von transnationalen Firmen wie General Electric bis zu Bohrunternehmen wie Layne Christensen suchen alle ein Kuchenstück im Wassermarkt zu ergattern. Nebst Aktienanteilen an typischen Wasserfirmen gibt es immer mehr Fonds, Investitionsinstrumente und Hedgefonds,
über die sich gewinnbringend ins Geschäft mit dem Wasser investieren lässt. Auch Schweizer Banken und Fonds setzen gezielt aufs Wasser (siehe Kasten). Mit exklusiven Zugangsrechten zu Quellen, Flüssen oder Grundwasser kann das Wassergeschäft gewinnbringend abgesichert werden, auch wenn das Wasser «nur» zur Herstellung von Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen verwendet wird. Wie profitabel Investitionen in Wasser für Landwirtschaftsprojekte sind, macht Susan Payne, Managerin des African Agricultural Land Fund deutlich: «Wasser wird in Zukunft ein phantastisch knappes Anlagegut sein.» Für wasserbezogene Investitionen in Afrika stellt sie jährliche Renditen von 25 Prozent in Aussicht.
Schweizer Finanzsektor hat Potenzial erkannt Die ersten Anlageprodukte im Wassersektor sind von Schweizer Finanzinstituten herausgegeben worden. Die Privatbank Pictet in Genf hat bereits 2000 einen Wasserfonds lanciert, der inzwischen gegen drei Milliarden Franken schwer ist und zu den grössten weltweit gehört. Ein Jahr später hat die in Zürich ansässige Anlagegesellschaft Sustainable Asset Management einen Wasserfonds aufgelegt. Dieser verwaltet heute 1,3 Milliarden Franken. Nebst diesen beiden Pionieren bietet eine Reihe von Banken Wasser-Produkte an: 2007 haben die Basler Privatbank Sarasin und Swisscanto Wasserfonds eingeführt. UBS und Credit Suisse haben verschiedene Anlageprodukte (Zertifikat, Anleihen mit Kapitalschutz und Index) entwickelt, die auf Unternehmen im Wassersektor fokussiert sind. Ferner vermarktet die Bank Vontobel einen Ressourcen-Fonds, der unter anderem ebenfalls Wasser beinhaltet. Weltweit werden jährlich 460 Milliarden Franken im Wassersektor umgesetzt, und er soll laut Prognosen in den nächsten Jahren eine Wachstumsrate von sechs Prozent aufweisen.
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«Water Grabbing» führt zu Menschenrechtsverletzungen und Konflikten Nuria Brunner, Fachmitarbeiterin Bereich Recht auf Nahrung, und Andrea Kolb, Genderbeauftragte, Brot für alle
Abpumpen von Wasser für landwirtschaftliche Grossprojekte entzieht benachbarten Kleinbäuerinnen und Hirten das Grundwasser und verschärft Konflikte zwischen verschiedenen Landnutzern. © Miges Baumann / Brot für alle
Bei der Aushandlung von Landverträgen und Wasserrechten werden die betroffenen Bevölkerungen nicht oder nur ungenügend informiert und einbezogen. Doch geht es dabei um ihre Existenz. Millionen Menschen im ländlichen Raum hängen von der Landwirtschaft ab. In den Entwicklungsländern vergrössert sich die Konkurrenz um bewässerbare Ackerflächen wegen des Bevölkerungswachstums und der Nachfrage aus dem Ausland ständig. Doch ist der Zugang zu Land und Wasser beschränkt und für Einheimische oft unsicher. Land, das seit Generationen von Kleinbauernfamilien 10
bewirtschaftet wird, gehört offiziell der Regierung oder ist in Kollektivbesitz und wird von «Dorfchefs» verwaltet. Traditionelle Landnutzer werden nicht oder nur mangelhaft über bevorstehende Vertragsabschlüsse informiert. In die entsprechenden Verhandlungen werden bestenfalls Vertreter lokaler Eliten einbezogen, die jedoch primär ihre eigenen Interessen verfolgen. Ohne Zugang zu kultivierbarem Land und zu Wasser können sich Menschen, die von Ackerbau, Nutztierhaltung und Fischfang leben, nicht ernähren und kein Einkommen erzielen. Ausserdem verunreinigen die in der industriellen Landwirtschaft eingesetzten
Chemikalien Böden und Wasser. Die wenigen verfügbaren Flächen werden stark übernutzt und liefern immer kleinere Erträge. Zur Gewinnung von Ersatzflächen werden Wälder gefällt. Das treibt die Bodenerosion voran und verknappt das Wasserangebot weiter.
schen mit den schwächsten Rechten zusehen müssen, wie ihr Wasserzugang durch mäch- tigere Interessengruppen beschnitten wird.»5
Zunehmende Konkurrenz um Wasser und Land
Wegen ihrer unterschiedlichen Rollen, Rechte und Aufgaben sind Frauen und Männer vom Verlust der Wasserzugangsrechte auf verschiedene Weise betroffen. In Afrika stellen Frauen rund 70 Prozent der Nahrungsmittel her. Nebst der Feldarbeit sind sie für die Versorgung, Erziehung und Pflege der Familienmitglieder zuständig. Auch Wasserholen ist in vielen Kulturen Aufgabe der Frauen und Mädchen. Wenn Wasserquellen privatisiert werden oder Brunnen durch Abpumpen von Grundwasser austrocknen, müssen sie auf weiter entfernte Wasserstellen ausweichen, wo sie in Konkurrenz mit den bisherigen Nutzerinnen stehen und bisweilen stundenlang anstehen müssen. Das bedeutet für sie ein höheres Risiko von Übergriffen und einen grösseren Zeitaufwand, der Mädchen unter Umständen den Schulbesuch und eine unbeschwerte Kindheit verunmöglicht. Zugang zu Wasser ist abhängig vom Recht auf Land. Frauen verfügen nur selten über formale Landtitel und haben darum keine rechtliche Handhabe
Die Hauptleidtragenden von landwirtschaftlichen Grossinvestitionen sind Kleinbauernfamilien, Indigene, Hirtenvölker und traditionelle lokale Fischer – Gemeinschaften, die sukzessive ihre Lebensgrundlage verloren haben. Vertreibungen bringen Familien um ihr Obdach und reissen Gemeinschaften auseinander. Wer protestiert, sich Vertreibungen widersetzt oder Land besetzt, wird möglicherweise strafrechtlich verfolgt und setzt sich gewalttätigen Übergriffen durch staatliche oder private Sicherheitskräfte aus. Konflikte zwischen Vertriebenen und anderen Bevölkerungsgruppen in der Konkurrenz um Ackerland, Weideflächen und Wasser häufen sich. Obwohl die Folgen von Land- und Wassernahmen noch wenig untersucht sind, ist anzunehmen, dass bessergestellte Gemeinschaften auf andere Flächen auszuweichen versuchen. Zudem rufen die steigende Nachfrage nach Land und die dadurch verursachten Bodenpreissteigerungen lokale, nicht-bäuerliche Käufer wie Beamte und Politiker/innen auf den Plan. All dies treibt die Landpreise weiter in die Höhe und erhöht den Druck auf ärmere Gemeinschaften ohne gesicherte Landtitel zusätzlich. Wenn das verfügbare Wasser knapp wird, verschärfen sich bestehende und entstehen neue Konflikte. In seinem Bericht «Globale Wasserkrise» hielt das Uno-Entwicklungsprogramm UNDP fest: «Wenn sich die innerstaatliche Wasserkonkurrenz verschärft, werden die Men-
«Water Grabbing» betrifft Frauen anders als Männer
Ein höherer Zeitaufwand für die Wasserbeschaffung hindert viele Mädchen am Schulbesuch.
© Miges Baumann / Brot für alle
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gegen die Veräusserung von Land oder für Entschädigungsansprüche. Ohne Landtitel können Frauen das Land auch nicht als Sicherheit für Kredite nutzen, um kommerzielle Landwirtschaft zu betreiben. Vielfach kaufen Investoren
scheinbar ungenutztes Land auf, doch spielen solche Flächen insbesondere für Frauen eine wichtige Rolle für die Beschaffung von Wasser oder das Sammeln von Brennholz, Früchten, Kräutern oder Medizinalpflanzen.6
Uno-Menschenrechte auf Wasser und natürliche Ressourcen Recht auf Zugang zu sicherem, sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen Resolution 64/292 der Uno-Generalversammlung vom Juli 2010 und Resolution A/HRC/15/L.14 des Uno-Menschenrechtsrats vom September 2010 Recht auf ausreichendes, sicheres, akzeptables, physisch erreichbares und bezahlbares Wasser Uno-Rechtskommentar Nr. 15 zum Recht auf Wasser, Uno-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, 2002 Recht auf angemessenen Lebensunterhalt, Gesundheit und Wohlbefinden, einschliesslich Nahrung und Obdach Art. 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Uno-Sozialpakt) Recht auf Information Art. 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (Uno-Zivilpakt) Recht indigener Völker auf Schutz ihrer Ressourcen und Einbezug in Entscheidungen, die ihre Umwelt und Lebensgrundlagen betreffen Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über eingeborene und in Stämmen lebende Völker Recht indigener Völker und Menschen auf Schutz ihres Landes, ihrer Gebiete und Ressourcen Art. 1 der Uno-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker Recht aller Völker auf Selbstbestimmung und freie Gestaltung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung Art. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (Uno-Zivilpakt) und Art. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Uno-Sozialpakt)
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Eine schwere Hypothek für die betroffenen Länder und Bevölkerungen Nuria Brunner, Fachmitarbeiterin Bereich Recht auf Nahrung und Miges Baumann, Leiter Ressort Entwicklungspolitik, Brot für alle
Die Veräusserung von Land und Wasserressourcen gefährdet die Ernährungssouveränität …
Die langfristige Vergabe von Wasser- und Landrechten führt in eine verstärkte Abhängigkeit und verhindert eine selbstbestimmte Entwicklung. Die meisten Landverträge sind nicht öffentlich zugänglich. Die wenigen bekannten Verträge hat das Internationale Institut für Entwicklung und Umwelt IIED kürzlich analysiert. Einige davon beinhalten klare und exklusive Wasser-Verfügungsrechte im Austausch gegen wenig klare Gegenleistungen wie vage Versprechen von Arbeitsplätzen oder summarische Pachtzinsen. In einigen Abkommen wird sogar ausdrücklich auf die Erhebung von Wassergebühren verzichtet. Ein vom IIED analysierter Vertrag in Mali erlaubt dem Investor, während der Regenzeit ohne Einschränkungen so viel Wasser zu nut-
© Martina Schmidt / Brot für alle
zen wie für das Projekt nötig ist. Bekannte Verträge aus dem Senegal und Sudan enthalten ähnliche Rechte. Der Vertrag von Addax Bioenergy in Sierra Leone sichert dem Unternehmen exklusive Verfügungsrechte über alle Wasserressourcen auf dem gepachteten Land zu, einschliesslich aller Rechte über die Flüsse und Bäche, die durch dieses Land fliessen (siehe Seiten 16–17). Beim Aushandeln der komplexen Kauf- und Langzeitpachtverträge sind ausländische Regierungen, Banken oder Hedge Funds mit ihren gut dotierten, spezialisierten Rechtsabteilungen gegenüber schwachen Staaten im Vorteil. Aus vielen Verträgen geht nicht klar hervor, welche Flächen und Wasservorkommen den Investoren überlassen werden. Auch werden in den meisten Fällen die lokalen Wasserbehörden weder an den Vertragsverhandlungen beteiligt noch in 13
den Verträgen erwähnt, was jegliche Planung des regionalen Wasserverbrauchs verunmöglicht. Der Mangel an Transparenz beunruhigt die Betroffenen. In einigen Fällen wurde Land übertragen, ohne dass entsprechende rechtsgültige Vereinbarungen bestehen oder den verantwortlichen Regierungsbehörden und betroffenen Gemeinschaften zugänglich gemacht worden sind. Dies legt den Verdacht auf Korruption nahe.7 Pachtverträge werden meist für Flächen von über 10 000 Hektar und manchmal sogar bis zu einer Million Hektar abgeschlossen. Ihre Laufzeit liegt gewöhnlich zwischen 50 und 99 Jahren. Die Art und Grösse der ausländischen Investitionen in Land und Wasser verschieben die Verfügungsrechte von nationalen auf ausländische Akteure. Kommt hinzu, dass in vielen nationalen Gesetzgebungen Land- und Wasserrechte, Umweltschutz, Gesundheitsschutz und Arbeitsrechte nicht oder nur ungenügend geregelt sind, während ausländische Investitionen klar geschützt und privilegiert werden. Investoren kaufen oder pachten kein Land, ohne Wasserrechte zu erhalten.
Ausländische Investoren besser geschützt Zwischenstaatliche oder internationale Investitionsabkommen enthalten oft Meistbegünstigungsklauseln, nach denen Handelsvorteile, die einem Staat eingeräumt worden sind, im Zuge der Gleichbehandlung allen Staaten gewährt werden müssen. Zudem sichern sie Investoren aus den Unterzeichnerstaaten eine Gleichbehandlung mit einheimischen Unternehmen zu. So kann der Gaststaat von ihnen nicht etwa fordern, dass sie mehr in Umweltschutz, Wassersparmassnahmen oder Arbeitssicherheit investieren als einheimische Kleinbauern. Ausserdem gilt gewöhnlich der Grundsatz der «gerechten und billigen Behandlung». Dieser sollte Investoren ursprünglich vor Willkür und Diskriminierung schützen, doch heute wird er so ausgelegt, dass die «legitimen Erwartungen» des Investors (beispielsweise auf verfügbare Wassermengen) erfüllt werden, selbst wenn sich das Klima ändert oder mehr Druck auf die verfügbaren Ressourcen entsteht. Bestehen internationale oder bilaterale Investitionsabkom-
… und verunmöglicht eine nachhaltige ländliche Entwicklung.
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© HEKS
men, bleiben die abgeschlossenen Verträge von späteren nationalen Gesetzesänderungen unberührt. Wenn der Gaststaat zu einem späteren Zeitpunkt seine Umweltgesetzgebung ausbaut, Ausfuhrbeschränkungen einführt oder eine Landreform anstrebt, muss sich der Investor nicht daran halten oder hat ein Anrecht auf eine Entschädigung für entgangene Gewinne, die den Preis für das erworbene Land oder allfällige Steuern um ein Vielfaches übersteigen kann (siehe Seiten 16–17). Bewusster Verzicht auf Souveränität Die Mehrheit der Zielländer landwirtschaftlicher Grossinvestitionen ist auf Nahrungsmittel-
Importe und oft sogar auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Obwohl sie ihre eigene Bevölkerung nicht zu ernähren vermögen, veräussern sie ihr bestes Land und ihre Wasserressourcen. Damit verzichten sie auf ihre Ernährungssouveränität und auf die Souveränität über das verpachtete Land. Sie können kaum Einfluss auf die angebauten Produkte nehmen und deren Ausfuhr auch im Fall von nationalen Ernährungskrisen nicht verhindern oder durch die Erhebung von Ausfuhrzöllen unattraktiv gestalten. Sie sind den Preisschwankungen am Weltmarkt noch stärker ausgeliefert und können die Ernährungssicherheit ihrer Bevölkerung noch weniger gewährleisten. Dies liefert Zündstoff für gewaltsame Proteste, Revolten oder gar Bürgerkriege.
Unruhen und Konflikte vorprogrammiert In Mali schloss die Regierung 2009 ohne Wissen der Bevölkerung einen Pachtvertrag über 50 Jahre mit dem libyschen Staatsfonds Malibya ab, der auf 99 Jahre verlängert werden kann. Dabei geht es um eine Fläche von 100 000 Hektar in der Region Segou, wo etwa 75 000 Menschen leben. Malibya plant, jährlich 200 000 Tonnen Reis und 25 000 Tonnen Fleisch für den Export nach Libyen zu produzieren. Der Vertrag berechtigt Malibya zur unbegrenzten Wasserentnahme aus dem Niger über einen eigens erbauten 40 km langen und 30 m breiten Kanal. Den einheimischen Kleinbauern bleibt während der Trockenzeit nur wenig Wasser für die Bewässerung ihrer Reisfelder. Die Vertreter der betroffenen Dörfer wurden erst zum Kanalbau konsultiert, als bereits erste Häuser niedergerissen worden waren. Bisher kam es zur Vertreibung von 150 Familien und zur Zerstörung von Grabstätten. Von Pakistans Fläche von 79,6 Millionen Hektar werden 27 Prozent landwirtschaftlich genutzt. Vier Fünftel der Flächen sind bewässert. Das macht Pakistan zu einem der Hauptziele ausländischer Landwirtschaftsinvestitionen. Im Juni 2009 wurden in der Provinz Punjab 324 000 Hektar an die Vereinigten Arabischen Emirate verpachtet. Pakistanische Bauernbewegungen fürchten, dass dadurch die Einwohner/innen von 25 000 Dörfern vertrieben werden. Die Regierung bietet Pachtverträge mit einer Laufzeit von 50 Jahren an, die um weitere 40 Jahre verlängerbar sind. Dadurch verunmöglicht sie nicht nur längst fällige und mehrfach gescheiterte Landreformen, sondern verschärft die Armut und die Ernährungsunsicherheit, von der gemäss dem Uno-Welternährungsprogramm die Hälfte der Bevölkerung betroffen ist – ein idealer Nährboden für soziale Unruhen.
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Fallbeispiele
Sierra Leone: Wasser spielt auch Schlüsselrolle beim Agrotreibstoffprojekt von Addax Bioenergy Yvan Maillard Ardenti, Verantwortlicher für Finanzmärkte, Banken und Verschuldung, Brot für alle
Bau des Bewässerungssystems der Zuckerrohrplantage
© Yvan Maillard Ardenti / Brot für alle
Seit 2010 baut die Schweizer Firma Addax Bioenergy in Sierra Leone Zuckerrohr für die Produktion von Agrotreibstoff an. Der Zugang zu Wasser ist ein wichtiger Bestandteil des Pachtvertrags. Brot für alle verfolgt dieses Projekt mit grosser Aufmerksamkeit.
Ort zu Ethanol. Das Projekt gibt Anlass zu Besorgnis. Durch die Plantagen und Raffinerien werden zwar neue Arbeitsplätze geschaffen, aber zahlreiche Menschen müssen für den Anbau ihrer Nahrungsmittel neues Land suchen.
Addax Bioenergy bewirtschaftet am RokelFluss eine Fläche von 14 000 Hektar in einer Region, in der 13 000 Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft leben. Addax baut Zuckerrohr an und verarbeitet es vor 16
Laut Addax ist die örtliche Bevölkerung über das Projekt informiert und dazu konsultiert worden. Doch wurden offensichtlich nicht alle Betroffenen einbezogen. Insbesondere war unklar, welche Flächen das Unternehmen beansprucht. So haben lokale Bauern auf 80
Hektar Maniok angebaut, den die Firma zerstörte, weil sie das Land für ihr Projekt nutzen wollte. Das Genfer Unternehmen weist darauf hin, dass 1960 Hektar für die einheimische Bevölkerung ausgeschieden worden seien. Das sei genug für ihre Selbstversorgung. Zudem würden die Bauern geschult, damit sie ihre Erträge steigern könnten.
nehmens abhängig. Auch andere Bestimmungen des Pachtvertrags sind bedenklich. Beispielsweise muss bei Streitigkeiten ein internationales Schiedsgericht in London angerufen werden. Arme Bauern können sich eine Reise nach London und britische Anwälte jedoch sicherlich nicht leisten.
Ungleich lange Spiesse
Staat und Betroffenen bleibt wenig vom Gewinn
Der vom Parlament verabschiedete Rahmenvertrag (Memorandum of Understanding) zwischen der Regierung und Addax enthält eine so genannte «Change in Law»-Klausel, welche Addax Entschädigungen für Verluste in Folge von Gesetzesänderungen zuspricht. Würde Sierra Leone beispielsweise einen besseren Arbeitnehmerschutz einführen, käme es zur absurden Situation, dass Landarbeiter/innen auf benachbarten Grundstücken davon profitieren könnten, während die Situation der Beschäftigten von Addax sich nicht verändern würde. Zudem wird das Unternehmen für 13 Jahre von Gewinnsteuern und anderen Abgaben befreit. Gemäss dem mit den Paramount Chiefs (höchsten lokalen Autoritätspersonen) für 50 Jahre abgeschlossenen Pachtvertrag stehen Addax sämtliche Wasserläufe zur exklusiven Nutzung zu. Zuckerrohr muss in der trockenen Jahreszeit bewässert werden. Dazu müssen dem Rokel gewaltige Wassermengen entnommen werden, wenn er ohnehin wenig Wasser führt – ein Viertel seiner Durchflussmenge.8 Es ist fraglich, ob der Bevölkerung genug Wasser bleibt. Zudem könnten Boden und Wasser mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verunreinigt werden. So wird die ansässige Bevölkerung gänzlich vom guten Willen des Agrotreibstoff-Unter-
Addax versichert, das Projekt bringe zahlreiche Vorteile für die Bevölkerung. Insbesondere schaffe es 4000 Arbeitsplätze. Bei der Hälfte davon handelt es sich allerdings um Saisonstellen. Mehrheitlich sind bisher befristete Arbeitsstellen geschaffen worden – ohne Sozialversicherungsschutz und mit einem Tageslohn von 2,25 Franken. Dieser Lohn reicht nicht aus, um eine Familie zu ernähren, was mit dem Ertrag der Felder hingegen möglich war. Addax orientierte sich bei den Pachtpreisen an den Empfehlungen der Regierung: 7,70 Franken pro Hektar und Jahr. Dies entspricht dem Preis von ein paar Kilogramm Reis, deckt aber den Verlust der Nahrungsmittel, die auf einem Hektar wachsen, bei weitem nicht. Das Unternehmen und die Entwicklungsbanken erwarten einen jährlichen Gewinn von 15 Prozent9 – das sind 43 Millionen Franken. Ein beträchtlicher Betrag im Vergleich zu dem, was der Bevölkerung bleibt: Die 4000 Angestellten werden pro Jahr Löhne von ungefähr 1,7 Millionen Franken erhalten und die Landbesitzer eine Pacht von etwa 110 000 Franken. Weil das Projekt zahlreiche Fragen aufwirft, haben Brot für alle und seine Partner eine unabhängige Studie und ein langfristiges Monitoring durch Fachleute in Auftrag gegeben. 17
Brasilien
Wasserprojekt für die Agrarindustrie bedroht Existenz von Kleinbauernfamilien Thomas Bauer, Kleinbauer und Berater der vom Fastenopfer unterstützten Landpastoralkommission CPT
Der Bau der Umleitungskanäle schreitet unaufhaltsam voran.
In den letzten Jahren hat sich die Situation vieler Bauernfamilien in der Halbwüste des brasilianischen Nordostens zum Guten verändert. Doch jetzt droht mit der Umleitung des Rio São Francisco zu Gunsten der industriellen Landwirtschaft eine neue Gefahr. Während einer neuerlichen längeren Dürreperiode war augenfällig, dass sich die Lage vieler Bauernfamilien verbessert hat. Dies ist der Stärkung der Zivilgesellschaft zu verdanken, die ihre Rechte gegenüber der Regierung geltend gemacht hat. Die Landpastoralkommission (CPT) hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Sie ist Teil der Articulação no Semi18
© Lisanne Vant’ Hoff
árido Brasileiro ASA. Dem Netzwerk brasilianischer Nichtregierungsorganisationen ist es gelungen, den Bau kostengünstiger Regenwasserzisternen in einem staatlich unterstützten Programm zu verankern. Diese einfache Massnahme ermöglicht es, während der Regenzeit genug Trinkwasser für die darauffolgende Trockenperiode aufzufangen. Das grösste Problem ist jedoch nicht die Wasserknappheit, sondern die Konzentration von Land und Wasser. Laut offiziellen Angaben besitzen 92 Prozent der Bauernfamilien im halbtrockenen Nordosten nicht genug Land für ihre Existenzsicherung, obwohl die brasilianische Verfassung Landreformen vorsieht. Vor allem unter der Präsidentschaft Lulas
sind diese nicht mehr vorangekommen. Auf der anderen Seite verfolgt die Regierung das Megaprojekt der Umleitung des Rio São Francisco: Zwei 25 m breite und 5 m tiefe Kanäle mit einer Länge von 400 respektive 220 km sollen einen Teil seines Wassers in nördlich gelegene, zeitweise ausgetrocknete Flüsse leiten. Die Gesamtkosten des Projektes belaufen sich voraussichtlich auf über 7 Milliarden Reais oder 3,92 Milliarden Schweizer Franken. Die Finanzierung und der Unterhalt dieses aufwendigen Systems lassen die Wasserkosten in die Höhe schnellen: Die Wassergebühren werden voraussichtlich versechsfacht. Doch haben heute schon viele die grösste Mühe, die Gebühren aufzubringen. Wer gewinnt, wer verliert? Gegner des Kanalprojekts kritisieren, dass 70 Prozent des umgeleiteten Wassers der exportorientierten Agrarindustrie zur Verfügung stehen sollen. Von den restlichen 30 Prozent sollen 26 Prozent in die Städte Fortaleza, João Pessoa und Campina Grande fliessen und nur vier Prozent den wirklich Bedürftigen auf dem Land zugute kommen. So werden die Interessen der Agro- und Bauindustrie höher gewichtet als die der Bevölkerung. Brasilien kommt in guter kolonialer Tradition die Rolle des Rohstoff- und Agrarproduktelieferanten zu. Die Regierung begründet das Projekt mit der Notwendigkeit des Fortschritts und Wachstums und verspricht, den Durst von zwölf Millionen Menschen zu stillen. Selbst wenn dem so wäre, liesse sich laut einer Studie der nationalen Wasseragentur mit einem wesentlich geringeren Aufwand von 3,6 Milliarden Reais eine nachhaltigere, effizientere, dezentrale Struktur aufbauen, mit der 34 Millionen Menschen mit Wasser versorgt werden
könnten. Der Wasserbedarf der restlichen zehn Millionen Personen könnte mit einfachen zusätzlichen Einrichtungen wie Regenwasserzisternen oder unterirdischen Staumauern gedeckt werden. Der Umsetzung dieses Megaprojektes sind viele Proteste von Flussanrainern, sozialen Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen und ein 23-tägiger Hungerstreik von Bischof Frei Luís Cappio vorausgegangen. In Gesprächen mit Betroffenen wird klar, dass sich die Versprechen der Regierung nicht bewahrheiten. Viele stimmten dem Projekt in der Hoffnung zu, einen Arbeitsplatz oder Zugang zu Wasser zu erhalten. Tatsächlich wurden jedoch viele der Familien enteignet und mit lächerlichen Summen entschädigt. Die versprochenen Arbeitsplätze – viel weniger als erwartet – stehen nur für kurze Zeit zur Verfügung und sind grösstenteils mit auswärtigen Arbeitskräften besetzt worden. So nimmt die Konzentration von Land und Wasser dramatisch zu und viele Bauernfamilien verlieren ihre Lebensgrundlage, obwohl es mit kostengünstigen Massnahmen durchaus möglich wäre, künftigen Generationen eine nachhaltige, an dieses semiaride Gebiet angepasste Existenz zu ermöglichen.
«Die verzweifelte Lage im São FranciscoTal ist Teil einer globalen Krise. Sie macht uns bewusst, dass der blinde Fortschrittsglaube zur Unterentwicklung vieler Völker geführt hat und das Leben der ganzen Erde bedroht. Es liegt an uns, weiter dem Weg des Todes zu folgen oder uns für das Leben einzusetzen.» Bischof und Umweltaktivist Frei Luís Cappio
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Madagaskar
«Die Gefahr der Land-Deals ist nicht gebannt» Gion Cabalzar, Ethnologe und Verantwortlicher des Fastenopfer-Landesprogramms Madagaskar, über den Pachtvertrag, der die madagassische Regierung zu Fall brachte, und über andere geplante Investitionen:
Pro 18,5 Hektar wäre ein Arbeitsplatz geschaffen worden. Diese Fläche ernährt 22 madagassische Familien. © Rosemarie Fähndrich / Fastenopfer
Nach dem Bekanntwerden eines LandDeals mit der südkoreanischen Daewoo Logistics kam es in Madagaskar zu massiven Protesten, die schliesslich zum Sturz der Regierung führten. Warum hatte dieses Geschäft eine derartige Brisanz? Beim Fall Daewoo kamen Dinge ans Licht, die sonst wohl verborgen geblieben wären. Wie das Unternehmen im November 2008 an einer Pressekonferenz in Seoul bekannt gab, hat es sich einen Pachtvertrag über 1,3 Millionen Hektar – einen Drittel des Landwirtschaftslandes von Madagaskar – gesichert. Davon waren eine Million Hektar in Trockenzonen für die Produktion von Mais 20
und die restlichen 0,3 Millionen in tropischfeuchten Gebieten für den Anbau von Ölpalmen vorgesehen. Dies löste in Madagaskar und innerhalb der madagassischen Diaspora in Frankreich heftige Proteste aus. Meiner Ansicht nach gibt es dafür vier Gründe: – Es war eine Laufzeit von 99 Jahren vorgesehen, was sieben Generationen von Madagassen entspricht. – Die Pacht war angeblich gratis! Madagassen hätten nur unqualifizierte Jobs bekommen; für die besseren Stellen waren Südafrikaner vorgesehen. Es wäre ein einziger lokaler Arbeitsplatz pro 18,5 Hektar geschaffen worden. Eine solche Fläche ernährt sonst 22 Familien.
– Die Bodenfrage ist in Madagaskar hochsensibel: Das Herkunftsdorf (Tanindrazana) ist Ort der Ahnen und Bindeglied zur Vergangenheit. Es ist an die Gemeinschaft gebunden, und der Ahnenkult ist sozusagen im Boden verankert. Zudem lässt das Gesetz den Verkauf von Boden an Ausländer kaum zu. – Es gab keine Transparenz. Der Präsident war angeblich auch nicht informiert. Der Fall Daewoo hat ohne Zweifel zu seinem Sturz im März 2009 beigetragen. Wer hätte vom Vertrag profitiert? Das Unternehmen und die – unbekannten – Vermittler des Deals. Die Bauern hätten ihr Land verloren und wären bestenfalls Arbeiter auf ihrem eigenen Land geworden. Sind danach neue Fälle ans Licht gekommen? Die französische Organisation CIRAD hat eine Liste mit über 50 seit 2005 geplanten Projekten veröffentlicht. Die Vorhaben von Daewoo und der indischen Varun waren die grössten. Sie sahen die Bewirtschaftung von drei Millionen Hektar Land vor. Zum Vergleich: Heute bearbeiten 2,5 Millionen Bauernfamilien zwei Millionen Hektar! Ein Drittel aller Projekte ist gestoppt worden. Ein weiteres Drittel wird zurzeit vorbereitet und ein Drittel ist bereits lanciert. Insgesamt geht es dabei jedoch um nur 150 000 Hektar – fünf Prozent der ursprünglich für ausländische Investitionen vorgesehenen Fläche. Tatsächlich bebaut sind heute etwa 23 000 Hektar – weniger als ein Prozent. Mehrheitlich wird Jatropha zur Produktion von Agrotreibstoff angebaut. Bei den Verträgen, die
sich in der Vorbereitungsphase befinden, geht es um Zuckerrohr, ebenfalls für die Herstellung von Treibstoff. Reis und Mais als Exportprodukte sind vorläufig vom Tisch. Was sinnvoll ist, wenn man bedenkt, dass Madagaskar zehn Prozent seines Reisbedarfs durch Importe deckt und 600 000 Einwohner/innen durch das Welternährungsprogramm versorgt werden. Sind neue Projekte geplant oder ist das Thema vorerst erledigt? Die Grossprojekte sind unmittelbar nach dem Sturz der Regierung gestoppt worden. Die veränderte Situation im Land hat die betroffenen Unternehmen – aus Südkorea, Indien, Südafrika, Frankreich, Grossbritannien, Mauritius und Italien – bestimmt ernüchtert. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt. Daewoo und Varun gingen ungeschickt vor, aber sicherlich werden sie oder andere neue Wege finden. Gibt es Gesetze zum Schutz von Wasserressourcen? Die seit den 1980er-Jahren von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA geförderten Nichtregierungsorganisationen haben 1990 den «Code de l’eau» mitgeprägt. Wasser ist demnach ein öffentliches Gut und unverkäuflich. Bei Konflikten mit anderen Bedürfnissen geht die Trinkwasserversorgung vor. Die Versorgung mit Trinkwasser ist vor allem im ländlichen Gebiet prekär. Nur ein Drittel der Bevölkerung hat einen gesicherten Zugang. Die Regierung ist bemüht, die entsprechenden Millenniumsziele zu erreichen. Interview: Nuria Brunner
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Die internationale Gemeinschaft und die Schweiz
Reichen Empfehlungen und freiwillige Verpflichtungen? Nuria Brunner, Fachmitarbeiterin Bereich Recht auf Nahrung, und Miges Baumann, Leiter Ressort Entwicklungspolitik, Brot für alle
«Land für diejenigen, die es bearbeiten und die Menschen ernähren», fordert La Vía Campesina am Weltsozialforum in Dakar. © Beat Dietschy / Brot für alle
Das Ausmass und die Gefahren von Landund Wassernahmen beschäftigen auch internationale Organisationen. So versuchen Weltbank und FAO mit freiwilligen Richtlinien, das «Land Grabbing» sozial- und umweltverträglicher zu gestalten. Viele NGOs und Bauernorganisationen fordern aber: «Stop Land Grabbing». Lange Zeit hat die Weltbank Agrarinvestitionen als Modell für die ländliche Entwicklung propagiert, von dem sowohl die Investoren 22
als auch die lokale Bevölkerung profitieren. Wegen der aufkommenden Kritik am «Land Grabbing» gab die Weltbank einen Bericht dazu in Auftrag. Das lange erwartete Dokument zeichnete dann ein sehr viel kritischeres Bild. Es nennt zwar Vorteile von landwirtschaftlichen Grossinvestitionen: einfacher Zugang zu Kapital, erhöhte Produktivität durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln, vereinfachter Zutritt zum Weltmarkt und die Möglichkeit, die Produktion in globale Wertschöpfungsketten zu integrieren.
All dies biete ein grosses Potenzial für die Entwicklung der betroffenen Länder und ermögliche die Schaffung von lokalen Arbeitsplätzen und Einkommen. Doch geht der Bericht auch auf die negativen Konsequenzen vieler Land-Deals für Kleinbauern ein, beispielsweise auf die ungenügenden gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Schwäche der Regierungen, die von Investoren ausgenutzt werden, und den ungenügenden Schutz einheimischer Gemeinschaften vor Vertrei-
bungen. Er kommt zum Schluss, dass die I nvestitionen den Betroffenen weder Entschädigungen oder Arbeitsplätze noch Ernährungssicherheit bringen. Am Ende stehen sie schlechter da als vor den Landveräusserungen. Der Bericht appelliert an die Eigenverantwortung der Investoren und Regierungen (siehe Kasten) und weist auf mögliche Rollen von Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen bei der Stärkung der betroffenen Bevölkerung hin.10
Freiwillige Prinzipien für verantwortungsvolle Agrarinvestitionen Im Januar 2010 hat die Weltbank zusammen mit der Welternährungsorganisation FAO und weiteren Organisationen sieben Prinzipien ausgearbeitet, die die schädlichen Wirkungen grosser Agrarinvestitionen beschränken sollen: – Achtung bestehender Rechte – Sicherung der Ernährung der örtlichen Bevölkerung – Transparenz, gute Regierungsführung und ein unterstützendes Umfeld – Einbezug der lokalen Bevölkerung – verantwortungsvolle Investitionen – soziale Nachhaltigkeit – ökologische Nachhaltigkeit11 Die freiwilligen Richtlinien der Weltbank sind umstritten. Sogar Regierungen sehen ein, dass sie zu wenig weit gehen. Deshalb hat die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO beschlossen, an den freiwilligen Prinzipien für verantwortungsvolle Agrarinvestitionen von Privaten weiter zu arbeiten. La Vía Campesina, FIAN, Land Research Action Network und GRAIN lancierten darauf den Appell «Stop land grabbing now!». Sie halten fest, dass freiwillige Verhaltensregeln Menschenrechtsverletzungen Vorschub leisten können, weil sie keinerlei Bezug zu menschenrechtlichen Verpflichtungen und vorhandenen Menschenrechtsinstrumenten herstellen und die Illusion nähren, ein sozial- und umweltverträgliches «Land Grabbing» sei möglich. Der Appell weist auch darauf hin, dass die Prinzipien der Internationalen Konferenz für Agrarreform und ländliche Entwicklung ICARRD 2006 und die Empfehlungen des Weltagrarrates IAASTD zum Potenzial und zur Notwendigkeit ökologischer Landwirtschaft völlig ignoriert werden. Viele Nichtregierungsorganisationen, darunter auch Brot für alle, haben diesen Appell mitunterzeichnet.12
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GRAIN und La Vía Campesina protestieren vor der FAO gegen den Landraub.
Foto: GRAIN
Vorschlag der FAO zur Erarbeitung freiwilliger Richtlinien
«Water Grabbing» untergräbt Entwicklungsanstrengungen
Eine zweite Richtlinie für Staaten soll die Ausgestaltung und Sicherung von Nutzungsrechten an Land und anderen natürlichen Ressourcen sowie soziale, ökologische und wirtschaftliche A spekte von Landverträgen abdecken. Sie soll Regierungen dabei helfen, verantwortungsbewusste Landpolitiken umzusetzen, die sich am Ziel einer nachhaltigen Armutsbekämpfung orientieren. Dieser Verhaltenskodex könnte nach Auffassung von FIAN International die Rechte der ländlichen Bevölkerung auf Nahrung, Landzugang und die Nutzung anderer Ressourcen besser stärken und schützen als die «Freiwilligen Prinzipien für verantwortungsvolle Agrarinvestitionen».
Wasser spielt eine Schlüsselrolle in der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Seit über 30 Jahren unterstützt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA Projekte zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung, der Siedlungshygiene und des Wasser- und Abwassermanagements. Die Strategie der Sektion Wasser Initiativen weist auf die Notwendigkeit einer globalen Perspektive für die Abwendung einer globalen Wasserkrise hin und stellt den Ansatz des Integrierten Wasserressourcen-Managements vor. Für die Sicherung des Zugangs zu Wasser und den Schutz der Rechte lokaler Bevöl kerungen setzt sie auf klare gesetzliche Re- gelungen und Mechanismen und funktionie-
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rende Institutionen. Im Strategiepapier der DEZA wird zwar erwähnt, dass 70 Prozent des weltweiten Süsswassers für die Landwirtschaft eingesetzt werden und dass die Produktion von Agrotreibstoffen diesen Verbrauch weiter ansteigen lässt. Auch wird der Import von «virtuellem Wasser» in Form von landwirtschaftlichen Produkten angesprochen. Doch thematisieren weder die Sektion Wasser Initiativen noch andere Abteilungen der DEZA das «Water Grabbing» im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Grossinvestitionen.
Verschiedene Entwicklungsorganisationen verbessern mit ihren Projekten die Trinkwasserversorgung in Dörfern. «Water Grabbing» unterläuft diese Bemühungen und könnte «reine» Wasserversorgungs- und BrunnenbauProjekte scheitern lassen. Deshalb ist neben der Entwicklungszusammenarbeit auch entwicklungspolitisches Handeln unumgänglich. Brot für alle und Fastenopfer engagieren sich in beiden Bereichen.
«Water Grabbing» senkt den Grundwasserspiegel und gefährdet den Erfolg von Wasserprojekten zugunsten der Bevölkerung.
© Miges Baumann / Brot für alle
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Handlungsmöglichkeiten
Dort ansetzen, wo wir leben und Einfluss haben Nuria Brunner, Fachmitarbeiterin Bereich Recht auf Nahrung, Brot für alle
Übergabe der Petition «Keine Agrotreibstoffe, die zu Hunger und Zerstörung führen»
Die Schweiz darf die Ernährungssouveränität und den Zugang zu Ressourcen anderer Länder nicht gefährden. Unser Land hat eine langjährige humanitäre Tradition und ein grosses Wissen in der Wasserversorgung und -aufbereitung. In zahlreichen Projekten hat die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit in vielen Ländern des Südens Trinkwasserversorgungen und sanitäre Einrichtungen gebaut. «Es kann nicht sein, dass wir uns in der Entwicklungspolitik dem Menschenrecht auf Wasser verpflichten und gleichzeitig diese Bemühungen durch unsere Wirtschafts- und Handelspolitik zunichte machen», sagt Maike Gorsboth vom Ökumenischen Wassernetzwerk. Die Schweiz könnte zum Beispiel dem Vorbild anderer Länder folgen und das Recht auf Wasser in der Bundes26
© Michael Würtenberg
verfassung verankern, meint sie. Auch weist sie darauf hin, dass die Schweiz bisher das Fakultativprotokoll zum Uno-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht ratifiziert hat. Dieses sieht ein Beschwerdeverfahren für Individuen und Gruppen vor, deren wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verletzt worden sind. In ihrer im Februar 2011 lancierten Petition «Unternehmen müssen Menschenrechte achten!» fordern Brot für alle und Fastenopfer den Schweizer Bundesrat zu einer kohärenten Aussen- und Wirtschaftspolitik auf, welche auch die Unternehmen in die Pflicht nimmt, die Menschenrechte zu respektieren. Hinsichtlich in der Schweiz beheimateter Unternehmen, die Agrarinvestitionen tätigen und in Entwicklungsländern Land erwerben, sollte diese Politik Folgendes sicherstellen:
– Mehr rechtliche Verantwortlichkeit: Die Sorgfaltspflicht von Unternehmensleitungen muss gesetzlich verankert werden. Transnationale Konzerne müssen dazu verpflichtet werden, Massnahmen zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen durch ihre Unternehmen oder Tochterfirmen zu ergreifen.
– Mehr Transparenz bei Finanzflüssen: Transnational tätige Unternehmen müssen ihre Finanzflüsse pro Land öffentlich machen und dabei angeben, wie viel Geld sie an die Regierungen der Länder bezahlen, in denen sie tätig sind.
Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut: Die brasilianisch-schweizerische ökumenische Wassererklärung Im April 2005 unterzeichneten die Bischofskonferenzen Brasiliens und der Schweiz sowie der Ökumenische Rat der Kirchen Brasiliens (CONIC) und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK), der Brot für alle gegründet hat, als nationale Vertretungen der protestantischen Kirchen die «Ökumenische Erklärung zum Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut».13 Dieser kurze Text wird seither in der Ökumene als gutes Beispiel für die Nord-Süd-Zusammenarbeit gewürdigt. Die Erklärung unterstützt die weltweiten Bemühungen um die Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser, die mit der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 28. Juli 2010 einen deutlichen Erfolg verzeichnen konnten. Die Erklärung wendet sich mit dem Begriff des «öffentlichen Guts» auch gegen die Tendenz zur Privatisierung von Wasser: «Der Staat muss die Verpflichtung übernehmen, allen Bewohnern Zugang zu Trinkwasser zu sichern.» Dazu gehört auch die Verpflichtung zur friedlichen Beilegung von Konflikten um die Nutzung von Wasserressourcen. Wie jedes Dokument von grundsätzlichem Charakter kann die ökumenische Erklärung – um beim Bild des Wassers zu bleiben – ein halb volles oder ein halb leeres Glas sein. Einerseits bedeutet sie einen wesentlichen Schritt zu einer Verpflichtung der Kirchen auf den Einsatz für das Wasser. Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Porto Alegre 2006 sowie die Gründungsversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) in Grand Rapids 2010 haben die ökumenische Wassererklärung in diesem Sinne aufgegriffen und unterstützt. Andererseits kann ein solches Dokument zu einer reinen Absichtserklärung verkommen, wenn nicht weitere Schritte zur Umsetzung folgen. Es ist daher nötig, die Wassererklärung immer wieder in unseren Kirchen und Werken bekannt zu machen, auch in ganz Europa und Lateinamerika, weltweit das Ökumenische Wassernetzwerk (EWN) zu stärken, auf die öffentliche Meinung einzuwirken und – mindestens dort, wo der Problemdruck gross ist, wie etwa in Osteuropa – Regierungen und Parlamente für den Schutz des Wassers als öffentliches Gut in Verfassung und Gesetzgebung zu gewinnen. Otto Schäfer, Beauftragter für Theologie und Ethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK)
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Das tun Brot für alle und Fastenopfer Brot für alle und Fastenopfer arbeiten zum Thema Land- und Wassernahmen und unterstützen Partner im Süden, die sich dagegen zur Wehr setzen und stattdessen die lokale nachhaltige Bewirtschaftung des Bodens fördern. Brot für alle und GRAIN haben vereinbart, zusammen mit betroffenen Bauern- und Nichtregierungsorganisationen in Westafrika einen Erfahrungsaustausch über Aktionen gegen das «Land Grabbing» durchzuführen. Brot für alle und Fastenopfer unterstützen Nichtregierungs- und Basisorganisationen, welche die nachhaltige Landwirtschaft und biologische Vielfalt fördern. In verschiedenen Ländern arbeiten sie zudem entwicklungspolitisch mit nationalen Gruppen und Bauernorganisationen zusammen, um das Recht auf Nahrung zu stärken. Brot für alle und Fastenopfer engagieren sich entwicklungspolitisch auch in der Schweiz. In einer grossen Koalition von Schweizer Nichtregierungsorganisationen haben sie die Problematik der Agrotreibstoffe aus Nahrungsmitteln in die Medien gebracht. Die Arbeit trägt Früchte: Die nationalrätliche Kommission für Umwelt und Energie (UREK) hat die Zulassungskriterien für den Import von Agrotreibstoffen deutlich verschärft. Künftig sollen Agrotreibstoffe, die zu Hunger und Umweltzerstörung führen, nicht mehr importiert und Eigentumsrechte von indigenen Völkern und Kleinbauerngemeinschaften nicht mehr verletzt werden dürfen. Zur Unterstützung der Position der UREK reichte die Plattform Agrotreibstoffe im Februar 2011 die Petition «Keine Agrotreibstoffe, die zu Hunger und Zerstörung führen» ein. Die von 66 901 Personen unterzeichnete Petition for28
© Paul Jeffrey / EAA
dert Zulassungskriterien, die sozial und ökologisch problematische Agrotreibstoffe generell ausschliessen. Die Kriterien sollen insbesondere die Ernährungssicherung in den Herkunftsländern sowie indirekte Verdrängungseffekte einbeziehen. Mitwirkung in internationalen Arbeitsgruppen Auch auf europäischer Ebene sind wir politisch aktiv: Brot für alle engagiert sich unter anderem im Verbund protestantischer Hilfswerke APRODEV. Fastenopfer arbeitet im internationalen Verbund von CIDSE zusammen. Ziel ist es, entwicklungsrelevante Entscheidungen und Politiken der EU und der Uno zu beeinflussen. Brot für alle ist ebenfalls in der globalen Ecumenical Advocacy Alliance EAA engagiert.
Das können wir tun
Durch den Konsum saisonaler und regionaler Produkte werden weniger ausländische Wasserressourcen beansprucht.
Die Bibel lehrt uns, die Schöpfung zu bewahren und ihre Früchte und Schätze gerecht zu teilen. Wir alle können einen Beitrag zum schonenden Umgang mit Wasser und zur Eindämmung von Wassernahmen im Süden leisten. Sei es durch die Änderung unserer Konsumgewohnheiten, unser politisches Engagement oder die Unterstützung von konkreten Projekten: – Den eigenen Wasserfussabdruck berechnen: www.waterfootprint.org. – Saisonale und regionale Produkte kaufen, um energiebewusst zu konsumieren und weniger ausländische Wasserressourcen zu beanspruchen. – Den Fleischkonsum einschränken und Fleisch von einheimischen Tieren bevorzugen, die nicht mit wasserintensivem Kraftfutter wie Weizen, Mais oder Soja gefüttert wurden. – Produkte aus Fairem Handel kaufen und damit faire Handelsstrukturen begünstigen.
© Patrik Kummer / Brot für alle
– Den eigenen Energie- und Treibstoffverbrauch reduzieren, um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken und der Herstellung von Agrotreibstoffen keinen Vorschub zu leisten. – Bekannte überzeugen, bewusster und verantwortungsvoller zu konsumieren und einzukaufen. – Finanzinvestitionen hinterfragen und Transparenz fordern: «Wo wird mein Geld investiert?». – Die Schweizer Regierung auffordern, Massnahmen zu ergreifen, damit bilaterale Investitionsabkommen nicht zum «Water Grabbing» beitragen. – Das entwicklungspolitische Engagement und Projekte von Brot für alle und Fastenopfer und damit Partner im Süden gegen Land- und Wassernahmen unterstützen. – Uns gemeinsam mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft für die Einhaltung der Menschenrechte der von «Water Grabbing» betroffenen Menschen und Gemeinschaften einsetzen. 29
Quellenhinweise und Links Quellenhinweise
Links
1 Carin Smaller and Howard Man, A Thirst for Distant Lands: Foreign investment in agricultural land and water. International Institute for Sustainable Development, Mai 2009. 2 Land grab in Africa. Emerging land system drivers in a teleconnected world. The Global Land Project International Project Office, GLP Report No. 1, 2010. 3 Charlotte de Fraiture, Biofuel Crops Could Drain Developing World Dry. International Water Management Institute Research, in Biofuels News, 11. Mai 2007. 4 Der Wasser-Fussabdruck der Schweiz. Woher stammt das Wasser, das in unseren Landwirtschaftsprodukten steckt? WWF Schweiz, Februar 2010. 5 Beyond scarcity: Power, poverty and the global water crisis. Human Development Report 2006. UNDP, 2006. 6 Julia Behrman, Ruth Meinzen-Dick, Agnes Quisumbing, The Gender Implications of Large Scale-Land Deals. International Food Policy Research Institute, 2011. 7 Carin Smaller and Howard Man, A Thirst for Distant Lands: Foreign investment in agricultural land and water. International Institute for Sustainable Development, Mai 2009. 8 Dies hat der Wasserrechtsspezialist Jean-Benoit Charrin von WaterLex aufgrund der Umwelt-, Sozial- und Gesundheisverträglichkeitsstudie der Afrikanischen Entwicklungsbank und des Scoping-Berichts der südafrikanischen Beratungsfirma Coastal & Environmental Services berechnet. 9 Jean-Claued Péclet, Addax Bioenergy investit 200 millions de dollars en Sierra Leone. Le Temps, 13. Februar 2010. 10 Rising Global Interest in Farmland. Can It Yield Sustainable and Equitable Benefits? The World Bank, 7. September 2010. 11 Principles for Responsible Agricultural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources.FAO, IFAD, UNCTAD, World Bank Group, 25. Januar 2010. 12 Stop land grabbing now! 22. April 2010. http://farmlandgrab.org/12200 13 Ökumenische Erklärung zum Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut. Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund, Ökumenischer Rat Christlicher Kirchen Brasiliens, Katholische Bischofskonferenz Brasiliens, Schweizer Bischofskonferenz, 2005.
Wasser, Recht auf Wasser www.iwmi.org www.righttowater.info www.waterlex.org http://water.oikoumene.org Land Grabbing www.grain.org http://farmlandgrab.org www.viacampesina.org www.brotfueralle.ch/land www.alliancesud.ch/de/dokumentation/e-dossiers/ land-grabbing http://land-grabbing.de Gender und Zugang zu Land und Wasser www.fao.org/gender/landrights www.fao.org/docrep/013/i2050e/i2050e00.htm www.weltagrarbericht.de/themen-desweltagrarberichtes/geschlechterrollen www.genderandwater.org www.wedo.org Recht auf Nahrung www.brotfueralle.ch/nahrung www.rechtaufnahrung.ch www.cetim.ch www.e-alliance.ch/en/s/food www.fao.org/righttofood www.fian.org www2.ohchr.org/english/issues/food www.righttofood.org www.rtfn-watch.org www.srfood.org Landwirtschaft, nachhaltige Entwicklung www.future-agricultures.org www.globallandproject.org www.ifpri.org www.iisd.org Nachhaltige Landwirtschaft Schweiz www.bio-suisse.ch www.fibl.org www.uniterre.ch
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Impressum
Herausgeber:
Brot für alle / Fastenopfer, Bern / Luzern, Mai 2011
Redaktion:
Jacqueline Hefti Widmer
Autor/innen:
Thomas Bauer, Miges Baumann, Nuria Brunner, Andrea Kolb, Yvan Maillard Ardenti, Otto Schäfer
Lektorat:
Annemarie Friedli
Gestaltung, Druck:
Cavelti AG, Druck und Media, Gossau
Auflage:
8000 (deutsch), 2900 (französisch)
Bestellungen:
Brot für alle, Monbijoustrasse 29, Postfach 5621, 3001 Bern Telefon 031 380 65 65, Fax 031 380 65 63, materialstelle@bfa-ppp.ch
Fastenopfer, Alpenquai 4, Postfach 2856, 6002 Luzern Telefon 041 227 59 59, Fax 041 227 59 10, mail@fastenopfer.ch
Preis:
CHF 5.–
«Water Grabbing» ist noch kein gängiger Begriff. Doch ist die Sicherung von Wasserrechten der treibende Faktor hinter dem Phänomen des «Land Grabbing». Die Gier nach Wasser treibt Investoren und Nationen an, sich riesige Flächen Ackerland und die dazu gehörigen Wasserressourcen im Süden zu sichern. Während sich internationale Organisationen fragen, wie der Hunger nach Land sozial- und umweltverträglich gestaltet werden kann, fordern betroffene Bauernorganisationen: «Stopp!» Dieser EinBlick beleuchtet die Hintergründe des ungezügelten Zugriffs auf Wasser im Zusammenhang mit dem Erwerb von Land in Afrika und anderswo. Er zeigt, was wir tun können und was die Politik tun sollte.
Brot für alle ist der Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirchen der Schweiz. Er unterstützt rund 400 Projekte in Asien, Lateinamerika und Afrika, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Entwicklungspolitisch engagiert sich Brot für alle für ein faires internationales Weltwirtschaftssystem, für das Recht auf Nahrung, für Gerechtigkeit im Klimawandel, für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung und für faire und transparente Finanzbeziehungen. Brot für alle, Monbijoustrasse 29, Postfach 5621, 3001 Bern Telefon 031 380 65 65, Fax 031 380 65 64 www.brotfueralle.ch, bfa@bfa-ppp.ch
Fastenopfer ist das Hilfswerk der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz. Die 400 Projekte in 16 Ländern weltweit bauen auf die Stärkung lokaler Gemeinschaften, in denen sich Menschen zusammenschliessen und Lösungen für bessere Lebensbedingungen suchen. Fastenopfer engagiert sich auf nationaler und internationaler Ebene für bessere entwicklungspolitische Rahmenbedingungen und mehr Gerechtigkeit. Fastenopfer, Alpenquai 4, Postfach 2856, 6002 Luzern Telefon 041 227 59 59, Fax 041 227 59 10 www.fastenopfer.ch, mail@fastenopfer.ch