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SEHEN UND HANDELN Liebe Leserin, lieber Leser

Nr. 1 | 2013

Ohne Land kein Brot Land Grabbing steht im Fokus der Fastenkampagne. Seine Bedeutung und seine Folgen. Seite 2 und 7 3 Fragen an Jean Ziegler Der bekannte Autor über die Rolle der Schweiz bei Land Grabbing und was wir tun können. Seite 7 Nach den Katastrophen Was hat die Nothilfe der Katastrophen in Kenia und auf den Philippinen bewirkt? Eine Bilanz. Seite 8

Sehen und handeln steht im Zentrum unserer ökumenischen Fastenkampagne. Das Plakat bringt es auf den Punkt: Wir sehen, wie Bauern um ihr Stück Land gebracht werden, und fragen uns warum. Wir bleiben nicht beim Anprangern stehen. Wir wollen handeln und das gemeinsam mit Ihnen. Unser Handeln ist die Unterstützung von Bauernfamilien beim Zugang zu Land, zu Wasser, Wissen und Saatgut. Weiter handeln wir, indem wir versuchen die Rahmenbedingungen zu verbessern. Die Wirtschaftspolitik der Schweiz darf nicht die Bemühungen behindern, die Armut zu reduzieren. Aber auch Sie können handeln: Anregungen dazu finden Sie auf der Website und im Fastenkalender, die uns den Sinn der Fastenzeit neu erschliessen möchten. Gemeinsam handeln Fastenopfer, Brot für alle und Partner sein seit vielen Jahren. Unsere gelebte Ökumene ist ein Hoffnungszeichen, für die Menschen im Süden, aber auch für die Kirche in der Schweiz. Sie ist Tatbeweis für gelebtes Christsein über alle Verschiedenheiten und konfessionellen Grenzen hinweg. Sie wird getragen von unserer Überzeugung, dass Gott allen Menschen ein Leben in Fülle verheissen hat. Ich lade Sie herzlich auf diesen vorösterlichen Weg ein und danke für Ihre tatkräftige Unterstützung! Herzlich

Antonio Hautle, Direktor Fastenopfer


Südsicht

VOM SEHEN ZUM HANDELN Die ökumenische Kampagne «Ohne Land kein Brot» legt den Fokus auf Land Grabbing und seine Folgen auf die Ernährung der Bevölkerung in Entwicklungsländern. Und sie lädt zum Handeln ein.

Indien sorgt mit enormem Wirtschaftswachstum und dem Aufstreben einer 160 Millionen Menschen starken Mittelschicht für Schlagzeilen. Die Kehrseite ist die extreme Armut: Die Hälfte der Bevölkerung muss mit weniger als einem halben Franken pro Tag auskommen. 43 % der Kinder sind unterernährt – die höchste Quote weltweit. Laut Welthunger-Index gibt es nur 14 Länder, in denen der Anteil der Hungernden höher ist. Und im Index für menschliche Entwicklung rangiert das Land auf Position 134 unter 187 Ländern. Indiens Wachstum basiert auf massivem Landraub. In den letzten zehn Jahren haben ausländische Konzerne 4,8 Millionen Hektar Land erworben. 0,8 Millionen Hektaren Ackerland gingen für die Entwicklung der Infrastruktur verloren und 0,4 Millionen Hektaren an Bergbau- und Kraftwerkprojekte. Der Staat wurde zum Handlanger der Konzerne, indem er Landraub durch Gesetze aus der Kolonialzeit ermöglicht. Dies führt zur Vertreibung der indigenen Bevölkerung. Fastenopfer legt den Schwerpunkt seiner Projekte in Indien auf die Landrechte und fördert indigene Gemeinschaften. Diese verlangen ihr angestammtes Land zurück. Die organisatorische Stärkung hilft den Gemeinschaften, der nun folgenden massiven Einschüchterung zu widerstehen. Bis heute haben 8265 indigene Familien 5554 Hektar Land gesichert. Darauf pflanzen sie Produkte für den Eigenbedarf an – mit heimischem Saatgut und traditionellen Anbaumethoden. Ajoy Kumar, Koordinator des Landesprogramms Indien

Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ist Land Grabbing 2008 gerückt, als Konzerne bekannt gaben, in Madagaskar und Äthiopien Tausende Hektaren Land zu kaufen oder zu pachten. So verlieren Millionen von Kleinbauernfamilien ihr Land: Grossgrundbesitzer und multinationale Unternehmen raffen Land zusammen, um darauf industrielle Monokulturen für den Export in reiche Länder zu errichten: Plantagen für die Produktion von Agrotreibstoff und Viehfutter. Der Zugang zu Land und die Sicherheit von Bodenrechten gehören aber zu den entscheidenden Faktoren für das Überleben der Kleinbauernfamilien. Werden sie ihres Bodens beraubt, vermögen sie sich nicht mehr selber zu ernähren. Um der Ohnmacht entgegenzuwirken, laden wir Sie zum «Sehen und Handeln» ein. Der Slogan, der die ökumenische Kampagne begleitet, bezieht sich auf die Methode «sehen – urteilen – handeln». Diese geht zurück auf den belgischen Kardinal Joseph Cardijn, in den 20er Jahren Gründer der christlichen Arbeiterjugend. Diese Methode fand später eine weite Verbreitung. Die kirchlichen Gemeinschaften in Lateinamerika haben sie übernommen und auch die Befreiungstheologie wendet sie an. Sie wurde zu einem eigentlichen ökumenischen Erbe. Die Wirklichkeit sehen, wie sie ist. Diese Wirklichkeit ins Licht des Evangeliums sowie der Menschenrechte rücken. Und handeln für mehr Gerechtigkeit um uns herum und auf der ganzen Welt. Dies sind die drei Elemente dieser Methode. Schon lange nutzen unsere Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika diese Methode, um die Gemeinschaften zu mobilisieren, um den

Zugang zu Land, Wasser, Bildung einzufordern und um in Würde ihre tägliche Nahrung sicherzustellen. Heute wissen wir: Eine Entwicklung, die auf Wachstum basiert, ist nicht nachhaltig. Dafür ist Land Grabbing ein Beispiel. Indem die ökumeni-

sche Kampagne Sie zum Handeln einlädt, öffnet sie der Hoffnung eine Bresche. Sie ermöglicht allen, diese Sackgasse zu überwinden und den eigenen Lebensstil zu hinterfragen. Die Handlungsmöglichkeiten in der Fastenagenda und auf der Kampagnen-Website machen deutlich: Eine andere Entwicklung ist möglich. Jean-Claude Huot, Leiter Bildung sehen-und-handeln.ch

Zugang zu Land ist entscheidend fürs Überleben: Bäuerin in Djigo in Burkina Faso bei der Feldarbeit.

FOLGEN DES LANDRAUBS Lokal:

Global:

Armut Bauernfamilien ohne Land haben keine Ernte. Arbeit in der Agroindustrie ist rar und schlecht bezahlt. Armut breitet sich aus.

Zerstörung der Umwelt Monokulturen zerstören Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität. Die Umweltzerstörung führt zu mehr Hunger und Armut.

Hunger Geraubte Felder liegen brach oder dienen dem Anbau von Viehfutter oder Agrotreibstoff-Produkten – während die Menschen hungern.

Klimawandel Die Abholzung der Wälder sowie der massive Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden fördern den Klimawandel.

Abhängigkeit Die Menschen werden abhängig von Nahrungsmittellieferungen und Hilfsleistungen. Hoffnungslosigkeit und Krisenherde sind die Folge.

Lebensmittelknappheit Weil 200 Millionen Hektaren Ackerland der Lebensmittelproduktion verloren gehen, nimmt die weltweite Nahrungsknappheit zu.

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Mali: Drei Gefahren Eine halbe Million Menschen sind aus Mali geflüchtet, davon über 50 000 nach Burkina Faso. Mehrheitlich kamen Tuareg – mit Tausenden Rindern. Während die Menschen mehr oder weniger akzeptiert sind, führt der Bedarf an Weideland und Wasser für die Herden zu Problemen. Diese Gebiete sind sehr arm an natürlichen Lebensgrundlagen. Die Militärintervention sollte Teil einer umfassenden Lösung der Krise in Mali sein. Die Staaten der Sahelzone müssen gestärkt werden: Schwache Regierungen können leicht destabilisiert werden und so in den Fokus von Dschihadisten geraten. Die Interventionsstaaten müssen deshalb die Folgen der Intervention berücksichtigen. Die erste Konsequenz ist der Zustrom von Flüchtlingen. Der Konflikt zwischen Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung spitzt sich zu. Die zweite Konsequenz ist die zunehmende Unsicherheit. Mali dürfte zur Drehscheibe des Waffenhandels werden. Die Stabilität der umliegenden Länder Burkina Faso, Niger und Mauretanien ist in Frage gestellt. Und als dritte Konsequenz ist mit einer Verschärfung der Ernährungskrise zu rechnen: Bereits jetzt führen die Auswirkungen des Klimawandels zu einem Nahrungsmitteldefizit. Wenn die Bauernfamilien ihre Felder nicht bestellen können, fällt die kommende Ernte aus, in der Sahelzone könnte es zu einer Hungersnot kommen wie 2007. Abdoulaye Tarnagada, Koordinator des Landesprogramms Burkina Faso fastenopfer.ch/burkina_faso

Die Zahl:

203 000 000 Bereits fielen 203 Millionen Hektaren dem Land Grabbing zum Opfer oder sind davon bedroht. Werden alle Projekte umgesetzt, geht eine Fläche 50 Mal grösser als die Schweiz für die Ernährung von Menschen verloren. (Quelle: Land Matrix Projekt)

WAS IST LAND GRABBING? Zugang zu Land ist für Kleinbauernfamilien Voraussetzung, um sich selber zu ernähren. Diese produzieren 70% der Nahrungsmittel in ihren Ländern. Die zunehmende Nachfrage nach Agrotreibstoffen, die Spekulation mit Nahrungsmitteln und weltweit veränderte Konsumverhalten (wie steigender Fleischkonsum) führen dazu, dass Land zum einträglichen Investitionsobjekt wurde. Land Grabbing ist die Folge davon. Land Grabbing ist die Aneignung von grossen Landflächen durch multinationale Firmen oder Staaten. Das Land wird legal in Absprache mit den Regierungen gekauft oder für eine langfristige Periode (50– 99 Jahre) gepachtet, um Treibstoffe,

Futter- und Nahrungsmittel agroindustriell anzubauen. Die Rechte und Interessen der Bevölkerung werden dabei weitgehend übergangen. Die agroindustrielle Produktion verbessert die Lebenssituation der lokalen Bevölkerung nicht: Die Erzeugnisse gehen meist ins Ausland und die Löhne sind weit unter dem Existenzminimum. Zudem laugen die Monokulturen die Böden aus. Fastenopfer setzt sich dafür ein, dass Landlose, Kleinbauern- und Fischerfamilien Zugang zu Land und Küstenstreifen erhalten, die sie erfolgreich verteidigen und nachhaltig nutzen können. In der Schweiz beteiligt sich Fastenopfer an internationalen Konferenzen und setzt sich für eine rechtlich bindende Unternehmensverantwortung ein. Claudia Fuhrer, Nahrungssicherheit fastenopfer.ch/landgrabbing

Riskanter Einsatz für Menschenrechte in Südafrika: Mercia Andrews.

MERCIA ANDREWS IN HAFT Dieses Zögern war mir fremd. Mehrmals hatte ich Mercia Andrews getroffen, etwa als Kampagnengast 2008: eine sehr engagierte Kämpferin für die Menschenrechte. Weshalb die TCOE-Vertreterin während dem Interview mit dem Tagi-Journalisten über das Massaker von Marikana einen Moment zögerte, blieb zunächst nicht nachvollziehbar. Zwei Monate später sassen Mercia Andrews und eine Kollegin in Haft. In Südafrika hatten sich die Proteste gegen schlechte Arbeitsbedingungen von den Minen auf die Farmen ausgeweitet. Andrews vertrat in den

Verhandlungen die nicht-gewerkschaftlich organisierten Farmarbeiterinnen und Farmarbeiter. Ihre Verhaftung erfolgte zeitgleich mit dem Aufruf des Gewerkschaftsbundes Cosatu, den Streik zu beenden. Mercia Andrews kam nach einem Tag wieder frei. Nun muss sie sich vor Gericht verantworten. Die Anklage wirft ihr Anstiftung zu Gewalt, Massenaufwiegelung und Teilnahme an einem illegalen Streik vor. Der Einsatz für die Menschenrechte in Südafrika bleibt gefährlich. Patricio Frei, Kommunikation fastenopfer.ch/andrews

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3 Fragen

Jean Ziegler, Autor des Buches «Wir lassen sie verhungern. Die Massenvernichtung in der Dritten Welt»

Land Grabbing gehört zu den Ursachen des weltweiten Hungers. Wo liegt das Problem? Nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte 2008 und 2009 haben die grossen Spekulanten zu den Rohstoffbörsen gewechselt, insbesondere zu den Lebensmitteln. Hier erwirtschaften sie astronomische Profite und bringen die Preise für Grundnahrungsmittel zum Explodieren. Die Folge: Viel mehr Menschen verhungern. Die fruchtbaren Böden sind Gold wert. Sie werden zum Spekulationsobjekt der multinationalen Konzerne. Welche Rolle spielt die Schweiz? Die Schweiz spielt eine zentrale Rolle. Die Banken – zum Beispiel die Genfer Privatbankiers Pictet und Sarrasin – finanzieren Landspekulanten. Grosse Hedge-Fonds haben hier ihren Sitz: Gaia World Agri Fund, Man Investment, Global Agri Cap und andere. Was kann jeder Einzelne tun? Wir können die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln verbieten, indem wir die Volksinitiative der Juso unterschreiben. Wir können den Import von Agrotreibstoffen verbieten, die aus Lebensmitteln hergestellt werden. Und wir können den Bundesrat auffordern, im Währungsfonds IWF für die Entschuldung der ärmsten 50 Länder zu stimmen, damit diese in ihre Subsistenzwirtschaft investieren können.


Blickfang

Legat: Über das Leben hinaus Gutes bewirken

Agenda

Haben Sie sich auch schon gefragt, wie Sie mit Ihrer Nachlassplanung die Werte unterstützen, die Ihnen wichtig sind? Mit einem Legat für Fastenopfer bewirken Sie über Ihren Tod hinaus Gutes – ein wunderbares Zeichen Ihres Engagements und für eine gerechtere Zukunft. Unser Ratgeber «Testament, Erbschaft und Vermächtnis» hilft Ihnen weiter. Bestellungen und Fragen richten Sie an Davide Caenaro: 041 227 59 22 oder caenaro@fastenopfer.ch

16. bis 23. März, Fribourg: Internationales Filmfestival, u. a. mit Preis der Ökumenischen Jury. fiff.ch, 026 347 42 00

EinBlick: Kurswechsel in der Landwirtschaft Obschon heute Nahrungsmittel für zehn Milliarden Menschen hergestellt werden, leidet eine Milliarde von sieben Milliarden Menschen an Hunger. Um Unterernährung erfolgreich zu bekämpfen, braucht es nicht intensivere Anbaumethoden, sondern ein neues Landwirtschafts- und Ernährungssystem. Fastenopfer und Brot für alle fordern einen Kurswechsel in der globalen Landwirtschaft, mit dem das Recht auf Nahrung auch tatsächlich durchgesetzt wird. Der aktuelle EinBlick zeigt, was sich bei Bauernfamilien, Industrie und Konsumierenden ändern muss. Fastenopfer.ch/einblick Bestellungen: 041 227 59 59 EinBlick

Bis 1. April, Balzers FL: Ausstellung «Auf Tuchfühlung mit Hunger und Armut – Moderne Hungertücher aus aller Welt» u. a. mit Hungertüchern des Fastenopfers (Alter Pfarrhof). balzers.li, 00423 384 40 01 12. April, ganze Schweiz: Fairtrade Friday – Mitmachaktion von Max Havelaar. maxhavelaar.ch

2/2012

Kurswechsel in der Landwirtschaft

Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen ansteigen. Nur mit einem genügsamen, ökologischen Landbau können alle ernährt werden.

NACH DEN KATASTROPHEN Was hat die Nothilfe für die Opfer der Dürre in Kenia und eines Taifuns auf den Philippinen bewirkt? Eine Bilanz.

In Kenias Dürre-Distrikt Kitui sollte die Nothilfe des Fastenopfers die Abwanderung stoppen. Mit Erfolg: Dank Mahlzeiten für 3900 Kinder sind die Schülerzahlen an 13 Schulen gleich geblieben oder sogar gestiegen. Und erstmals erhielten 800 Bauernfamilien angepasstes Saatgut. Wo der Regen weiterhin ausblieb, gab es dennoch keine Ernte. Nach den Zerstörungen durch den Taifun Bopha erhielten auf den Philippinen 307 Familien von Fastenopfer Lebensmittelpakete, um das unmittelbare Überleben zu sichern. Und mit dem Baumaterial konnten sie ihre Häuser wieder aufbauen. Fazit: Die Nothilfe ist angekommen und sie hat die Situation vieler Familien entspannt. Für eine Verbesserung der Lebensbedingungen braucht es weitere Anstrengungen.

Impressum

Alpenquai 4, Postfach 2856 6002 Luzern Telefon +41 41 227 59 59 Telefax +41 41 227 59 10 info@fastenopfer.ch www.fastenopfer.ch PK 60-19191-7 Herausgeber Fastenopfer Das INFO erscheint vier Mal jährlich. Die Post gewährt uns den günstigen Zeitungstarif. Einmal pro Jahr werden dafür Fr. 3.– vom Spendenertrag als Abonnementsbetrag abgezogen. Redaktion Patricio Frei-Gisi

Entwicklungspolitik multimedial

Die Hilfe des Fastenopfers ist angekommen: Mittagessen für Schulkinder in Kitui.

Nur im Ausnahmefall leistet Fastenopfer Nothilfe. Das Hilfswerk achtet bei seiner Projektarbeit darauf, keine Abhängigkeiten zu schaffen.

Videos, Streams und Blogs spielen auch in der entwicklungspolitischen Informationsarbeit eine immer wichtigere Rolle. Um den Zugang zu solchen Web-Ressourcen zu erleichtern, hat das Dokumentationszentrum der Alliance Sud (Fastenopfer ist Mitglied) ein Multimedia-Portal mit vielen Videos und Links entwickelt. alliancesud.ch/multimedia/de

fastenopfer info 1|2013

Fotos Spinas Civil Voices (S. 1), Priska Ketterer (Porträts S. 1, 2, 7), Annette Boutellier (S. 2), Patricio Frei (S. 3–6), Katrin Haunreiter (S. 7), Jean Revillard (grosses Porträt S. 7), Antonio Hautle (S. 8). Cartoon Daria Lepori Konzept grafikcontainer Luzern Layout/Druck Zofinger Tagblatt AG, Medien- und Printunternehmen, www.ztonline.ch


GUATEMALA Beim ungleichen Kampf zwischen Gross und Klein ist normalerweise klar, wer gewinnt. Auch in Guatemala: Grossgrundbesitzer nehmen den unterdr端ckten Indigenen fruchtbares Land ab. Die Menschen im Dorf Seaxpens aber haben einen aussergew旦hnlichen Sieg errungen. Dazu brauchte es viel Durchhaltewillen, etwas Gl端ck und die Unterst端tzung von Fastenopfer. Eine Erfolgsgeschichte aus den Bergen von Alta Verapaz.


SEAXPENS – EIN DORF BRICHT AUF Der alte Mann hat sich den weissen Sombrero auf dem Kopf zurechtgerückt und sich auf den Weg gemacht. Männer, Frauen, Kinder – wer kann, folgt ihm oder eilt seinem gemächlichen Schritt voraus. Aus dem Dorf hinaus, auf dem schmalen Weg an den Feldern vorbei den Hügel hoch. Im Bachbett steigt Marcos Chub Cuc gestützt auf einen Stab trotz seiner 77 Jahre immer höher. Er kennt sein Ziel genau. * María Cucul Yaxcal kam vor 35 Jahren als Angehörige des Volks der Q’eqchi‘ zur Welt. An ihre Kindheit erinnert sie sich gut: «Unsere Väter ha-

ben als Colonos, als Knechte, auf der Finca Setal für die Familie Sapper gearbeitet. Um 3 Uhr in der Nacht sind sie aufgestanden und kehrten spät oder erst nach Tagen nach Hause. Die Mutter blieb allein bei uns Kindern. Und obwohl unsere Väter hart gearbeitet haben, gab es immer wieder Tage, an denen wir nichts zu essen hatten.» Diese Zeiten sind vorbei. Zumindest in Seaxpens. In diesem Dorf in den Bergen des Departements Alta Verapaz sind die Menschen jetzt registrierte Besitzer ihres Bodens. So besitzt die Familie von María Cucul 12 Hektaren Land mit Mais, roten Bohnen, Kardamom, Erdnüssen und Maniok, um die fünf Kinder zu ernähren. Den Landtitel haben


Mutter Erde um Verständnis bitten, ihren Körper zu verletzen: Marcos Chub auf dem Weg zur Quelle (Vorderseite). Mit verbesserter Bodennutzung zu einer langfristigen Perspektive: die Familie von Domingo Ramos Mucu bei der Kohlernte (linke Seite). «Trotz harter Arbeit gab es Tage, an denen wir nichts zu essen hatten»: María Cucul mit einem ihrer Kinder (oben links). «Das fühlt sich gut an. Denn da steht mein Name»: Otilia Sagui mit ihrem Landtitel (oben rechts). Auf der Suche nach neuen Einkommensmöglichkeiten: die Frauen beim Teigkneten in der Gemeinschaftsbäckerei (nächste Seite links). Die Vision hat das ganze Dorf erfasst: Mütter lernen in der Schule lesen und schreiben (nächste Seite rechts).

sie vor einem Jahr erhalten, dank der von Fastenopfer unterstützten Organisation Tzuul Taq‘a. Dass Indigene über Landtitel verfügen, ist auch heute noch aussergewöhnlich. Niemand sonst in den Nachbardörfern hat je ein solches Dokument besessen. Denn in Guatemala haben die reichen Familien das Land unter sich aufgeteilt: 67 Prozent des fruchtbaren Bodens sind im Besitz von 1,5 Prozent der Bevölkerung. Darauf wird zunehmend Zuckerrohr und Palmöl produziert, die im Ausland zu Agrotreibstoff verarbeitet werden. Die Folgen sind verheerend: Gemäss Uno ist rund die Hälfte der Kinder in Guatemala unterernährt.

aber vermochte beim Grundstück um Seaxpens nicht wie verlangt den genauen Verlauf der Grenzen aufzuzeigen. Sie hatte offenbar die Übersicht über ihre vielen Fincas verloren. Folglich blieb dieses Grundstück im Besitz des Staates. Dennoch erhob die Familie weiterhin Anspruch darauf. Die wahren Besitzverhältnisse erfuhren die Menschen von Seaxpens erst 1990, als sie das Grundbuchamt aufsuchten, um das Land zu legalisieren. Der Überschreibung an die Bewohnerinnen und Bewohner stand somit nichts mehr im Weg.

*

Marcos Chub und seine Gefolgschaft sind am Ziel angekommen. Bei der Quelle feiern sie mit Kerzen und Weihrauch aus Baumharz eine Zeremonie. Sie beten und singen Lieder. Es gilt die Natur zu besänftigen. Denn das Dorf hat Schläuche vom Bach ins Dorf gelegt. Die Q’eqchi‘ haben eine spirituelle Bindung zur Erde. Der Boden ist Drehund Angelunkt ihrer Kultur und ihrer Religion. Jeder Eingriff in die Natur will wohl bedacht sein. Die Indigenen Guatemalas sprechen von der Madre Tierra, Mutter Erde, wie von der leiblichen Mutter. Der alte Mann weiss, wie sie sanft zu stimmen ist. Er ist ein Sabio, ein Weiser.

Jahrhundertelang hatten sich Grossgrundbesitzer in Guatemala wie in einem Selbstbedienungsladen bereichert. Und die Regierung bot Hand dazu. Immer wieder verteilte sie «Brachland» an Investoren, um die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Die ansässigen Indigenen, die traditionell keinen Landbesitz kannten und keine Landtitel besassen, mussten den neuen Besitzern weichen. Immer mehr wurden sie an den Rand gedrängt, in Gebiete, wo die Böden steil und weniger fruchtbar sind. Manche Grossgrundbesitzer liessen die Ländereien auf den Namen ihrer Gattin oder der Arbeiter eintragen, um sie anschliessend auf sich selber zu überschreiben und so immer mehr Land zusammenzuraffen. Auch Ricardo Sapper, ein deutscher Einwanderer, eignete sich Ende des 19. Jahrhunderts in kurzer Zeit mehrere Fincas mit einer Fläche von 12 000 Hektaren an. Zu seinem kleinen Reich gehörte auch das Grundstück, auf der Seaxpens liegt. Nachdem 1951 Jacobo Árbenz Guzmán zum Präsidenten Guatemalas gewählt worden war, enteignete er im Zuge der Landreform die Grossgrundbesitzer, unter ihnen auch das US-Unternehmen United Fruit Company. 1954 organisierte die CIA einen Putsch gegen Árbenz. Seine Flucht bedeutete das Ende der Agrarreform und die früheren Landbesitzer konnten ihre Fincas zurückfordern. Die Familie Sapper

*

* 14 Dörfer sind am Projekt von Tzuul Taq’a beteiligt. Die Landlegalisierung war die erste Phase. 585 Familien haben sich in Gruppen organisiert, die sich gegenseitig unterstützen. In Kursen wurden ihre Vertreterinnen und Vertreter zu promotores juridicos, zu juristischen Sachbearbeitern, ausgebildet, um selber auf den Ämtern die Formalitäten für die Landlegalisierung einzuleiten. Für die Registrierung und offizielle Anfragen erhalten sie Unterstützung von Anwälten, die von Fastenopfer finanziert werden. Die Arbeit bei Tzuul Taq’a koordinieren zwei Brüder: Kenay Oloman und Tojil Balam Coj Calel Valdez. Sie besuchen regelmässig die Dörfer und haben ein offenes Ohr für die Sorgen der Bewoh-


* Ein Bauer muss Mutter Erde um Verständnis bitten, dass er mit den Samen ihren Körper verletzt. Er fragt sie um Erlaubnis, mit der Machete den reifen Maiskolben von der Pflanze zu trennen. Und er dankt ihr für die gute Ernte. Früher waren die Zeremonien eine Selbstverständlichkeit. Heute nehmen sich nur noch wenige der jungen Bauern die Zeit dazu. Chubs Verantwortung für die Gemeinschaft ist aber dennoch unbestritten. Chub ist auch ausgebildeter kirchlicher Führer der Gemeinschaft: «In den Kursen habe ich gelernt, dass sich die Religionen gegenseitig respektieren müssen.» Er ist in Sorge: Seine Kraft schwindet und noch hat er keinen Nachfolger. * Die Legalisierung ihres Landes bringt den Bauernfamilien wenig, wenn sie vom Ertrag ihres Landes nicht leben können. Das Risiko besteht, dass sie in finanziellen Notlagen ihr Land verkaufen. Um den Menschen eine langfristige Perspektive zu geben, startete Tzuul Taq’a 2011 die zweite Phase des Projekts. Eine verbesserte Bodennutzung trägt dazu bei, die Ernährung der Familien abwechslungsreicher und sicherer zu machen. Dazu setzt die Organisation mit Unterstützung des Fastenopfers auf ökologische Landwirtschaft. «Jetzt haben wir genügend zu essen», erklärt Otilia Sagui Che. Sie steht in ihrem Feld, das rund 14 Hektaren umfasst. In den Händen hält sie einen Kohlkopf: «Und was wir nicht für uns selbst benötigen, verkaufen wir.» In ihrem Haus holt sie den Landtitel hervor. Die Familie bewahrt das Schriftstück wie einen Schatz auf. «Das fühlt sich gut an. Denn da steht mein Name.» Mit ihrem Finger deutet die 23-jährige Mutter zweier Kinder

stolz auf den Landtitel, der sie und ihren Mann Carlos Col Yaxcal als gemeinsame Besitzer eines Grundstücks ausweist. Eine solche Gleichberechtigung in einem von der Machokultur geprägten Land wie Guatemala ist aussergewöhnlich. Ihre Augen leuchten. Unter den Füssen von Otilia Sagui der frischgegossene Zementboden. Die Wände aus ungehobelten Brettern mit Spalten für das Licht, darüber das Dach aus Wellblech. Und in der Ecke der neue Kochherd, der weniger Holz braucht und weniger raucht, selbstgebaut wie im Workshop von Tzuul Taq’a gelernt. Ihr ganzes Haus ist Sinnbild für die Zuversicht der Menschen in Seaxpens: Hier können wir bleiben, hier ist unsere Zukunft. «Die Sicherheit durch die Landlegalisierung bringt den Menschen eine Vision, das Leben verbessern zu können», sagt Tojil Calel, einer der drei Projektleiter. Diese Vision scheint das ganze Dorf erfasst zu haben: Eine Gruppe Männer deckt ausserhalb des Dorfes den grossen Komposthaufen mit einer Plastikfolie zu; Cristina Choc Mucu sät zusammen mit ihren Söhnen Karotten im Garten; nebenan erntet die Familie von Domingo Ramos Mucu den Kohl; aus der neu errichteten Gemeinschaftsbäckerei dringt das Gelächter der Frauen und in der Schule zwängen sich Erwachsene in die viel zu kleinen Bänke, um lesen und schreiben zu lernen. Ein Dorf im Aufbruch. Doch die Arbeit ist für Tzuul Taq’a noch nicht beendet. Es fehlt den Bewohnerinnen und Bewohnern an Einkommensmöglichkeiten. Der nächste Markt ist weit entfernt und nur über eine schlechte Strasse erreichbar. Noch sind die Familien zu sehr von den fliegenden Händlern abhängig, die den Preis für ihre Ernte drücken. Viel Hoffnung steckt in der Gemeinschaftsbäckerei, mit der man die Nachbardörfer mit Brot beliefern will. Patricio Frei

Stichwort: Guatemala Guatemala ist eines der am wenigsten entwickelten Länder Zentralamerikas. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, 12 Prozent mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag in extremer Armut. Die Armut trifft insbesondere die indigene Bevölkerung, die mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht und immer noch stark diskriminiert wird. Sie ist vom sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Andererseits sind die staatlichen Institutionen schwach. Guatemala weist die höchste Mordrate in der westlichen Hemisphäre auf, gleichzeitig herrscht mit einer Aufklärungsquote von weniger als 1% fast totale Straflosigkeit. Auf dem Weg zur Selbstbestimmung Fastenopfer hat sich zum Ziel gesetzt, die Ernährungssituation der Menschen in Guatemala zu verbessern: Familien können ihr Land legalisieren, entwickeln nachhaltige Landwirtschaftsmethoden und können so ihre Nahrungsmittelproduktion steigern. Allfällige Überschüsse sollen verkauft werden und tragen zu einem besseren Einkommen bei. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Ausbildung indigener Laien zu Führungspersonen. Sie unterstützten ihre Gemeinden, ihre Forderungen zu vertreten. Fastenopfer unterstützt die indigene Bevölkerung, die eigenen Traditionen in den katholischen Glauben einzubringen. Fastenopfer investiert 580 000 Franken in die Projekte in Guatemala (2013). Unterstützen Sie die indigenen Menschen in Guatemala: Spenden Sie auf PK 60-19191-7, Vermerk Guatemala.

Alpenquai 4, Postfach 2856, 6002 Luzern Telefon 041 227 59 59, Fax 041 227 59 10 mail@fastenopfer.ch www.fastenopfer.ch Postkonto 60-19191-7

März 2013

nerinnen und Bewohner. Über ihr Engagement sagen sie: «Wir haben es im Blut: Bereits unser Vater engagierte sich in der Landfrage. Vielleicht aber etwas zu direkt. 1982 wurde er verschleppt. Seither fehlt von ihm jede Spur.»


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