GERECHTIGKEIT ERLEBEN Liebe Leserin, lieber Leser
Nr. 4 | 2012
Keine Steuergelder für Landraub Das darf nicht sein: Die Schweiz unterstützt über Entwicklungsbanken das Land Grabbing. Seite 2 Konliktanalyse im Praxistest Auf zum Dialog: Ein neues Instrument hilft, gesellschaftliche Spannungen zu vermeiden. Seite 7 Spenden mit Runden Gutes tun: Mit einer PostFinance Card kann man jetzt regelmässig und kostenlos spenden. Seite 8
Vor 50 Jahren befand sich die katholische Kirche mit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 in einer optimistischen Aufbruchsphase. Viele Erwartungen wurden geweckt. In dieser Zeit wurde auch Fastenopfer gegründet. Als Antwort auf die Ausbeutung, die Armut und Marginalisierung der Menschen entstand die Befreiungstheologie. Bischöfe, Ordensleute, Priester und Laien liessen sich zum Nachdenken und Handeln inspirieren. Heute scheinen sich Resignation und Desinteresse breit zu machen. Doch für Fastenopfer ist das Konzilsjubiläum Grund genug, hoffnungsvoll und mit grossem Engagement in die Zukunft zu blicken. Getreu unserem Leitgedanken «Menschen stärken Menschen» will unser Hilfswerk mit Ihnen, mit den Pfarreien und mit den Partnerorganisationen im Süden einstehen für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und ein menschenwürdiges Leben für alle. «Wie kann ich den Armen von Gottes Güte und Liebe erzählen, ohne zynisch zu wirken?», das sei der Kern der Befreiungstheologie, sagt Padre Gustavo Gutierrez. Die Berichte in diesem INFO erzählen ein kleines Stück vom Engagement, das dieser Aussage zugrunde liegt. Danke, dass Sie diese Zuversicht mittragen! Herzlich
Antonio Hautle, Direktor Fastenopfer
Südsicht
KEINE STEUERGELDER FÜR LANDRAUB Mit Steuergeldern aus der Schweiz werden riesige Agrarprojekte unterstützt, die zu Lasten der Bevölkerung gehen. Fastenopfer und Brot für alle verlangen: «Keine öffentlichen Gelder für Land Grabbing.»
Das Ende des Mayakalenders ist für unser Volk eine Zeit der Evaluation und des Bewusstwerdens. Wir alle sind eingeladen, unser eigenes und gemeinsames Leben zu bewerten, zu analysieren, zu relektieren und es in seiner ganzen Dimension zu verstehen: Kosmos, Natur und Mensch. Wir müssen uns des Erbes bewusst werden, das wir künftigen Generationen überlassen, damit sie gute Lebensbedingungen vorinden und im Einklang mit der Natur leben. Der durch die menschliche Gier verursachte Raubbau an der Natur führt zu Konsum und Abfällen mit verheerenden Auswirkungen. Der Kalenderwechsel ist nicht ein fatalistisches Ereignis, das zum Ende der Welt führt, wie manche Leute glauben. Ebenso wenig ist es ein messianisches Ereignis, dass die Menschheit nach dem 21. Dezember in den kompletten Wohlstand eintritt. Die Energien sind nicht festgelegt. Der Mensch bestimmt mit seinem Willen und Tun das Leben und die Entwicklung. Die neue Ära birgt Herausforderungen nicht nur für die Maya, sondern für alle Menschen. Wir erhalten eine Chance, für alle ein Leben in Würde zu erschaffen. Es braucht dringend eine Erneuerung des Lebensentwurfs, ein Überdenken der Art, wie wir leben und uns verhalten. Denn die Katastrophen und Veränderungen im natürlichen Kreislauf werden nicht durch die Maya-Prophezeiungen hervorgerufen, sondern durch die grossen wirtschaftlichen Kräfte. Juan Zapil Xivir, Komon Ajq‘ijab‘, Guatemala
Die Schweiz trägt die Weltbank, internationale Entwicklungsbanken und weitere Finanzierungsinstitutionen für Entwicklungsprojekte im Süden doppelt mit. Sie bringt Kapital ein und gehört Leitungsgremien
an. «Ziel der Entwicklungsbanken ist, Armut und Hunger zu vermindern. Doch allzu oft bewirken ihre grossen Projekte das Gegenteil», folgert Birgit Zimmerle in einer Studie für Fastenopfer und Brot für alle.
Oft würden Menschenrechte verletzt und die Umwelt beeinträchtigt. Verschärft habe sich die Situation seit der Finanzkrise: «Land» wird von Finanzinvestoren vermehrt für Spekulation missbraucht. Dafür werden in Afrika, Asien oder Lateinamerika riesige Flächen Land zusammengerafft. Darum verlangen Fastenopfer und Brot für alle, dass mit öffentlichem Geld kein Land Grabbing unterstützt wird. Die Schweizer Regierung muss sich für grifige Richtlinien einsetzen. So lässt sich verhindern, dass den lokalen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wortwörtlich der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Mehr: fastenopfer.ch/landraub
Neuer EinBlick
Entwicklungsbanken dürfen nicht Land Grabbing unterstützen: Eugenia Pablo bei der Quinoa-Ernte in Perus Altiplano.
Um Unterernährung zu bekämpfen, braucht es nicht intensivere Anbaumethoden, sondern einen Kurswechsel in der Landwirtschaft. Der neue EinBlick zeigt auf, was sich ändern muss. fastenopfer.ch/einblick Bestellen (5.–): 041 227 59 59
«MARIKANA IST EIN WENDEPUNKT» Sie war Kampagnen-Gast 2008 in der Schweiz, als es um den Zugang zu Land ging. Noch heute koordiniert Mercia Andrews vom Netzwerk TCOE in Südafrika mit Unterstützung des Fastenopfers eine Vielzahl von Organisationen, um eine gerechtere Landverteilung zu erreichen. Als im August in Marikana die Polizei auf streikende Minenarbeiter schoss und 44 von ihnen tötete, half sie in Kapstadt das Marikana Solidarity Comittee zu gründen.
Welche Bedeutung hat das Massaker von Marikana? Marikana ist ein Wendepunkt in unserer Geschichte. Der Bergbau wird
nicht mehr derselbe sein. Noch immer sind viele Fragen unbeantwortet. Wer gab den Schiessbefehl? Weshalb ging die Polizei mit scharfer Munition nach Marikana? Weshalb verteidigt die Polizei Privatbesitz statt die Leben der Bürger? Darauf wollen wir Antworten der Regierung.
Wozu braucht es Solidaritätskomitees? Zur ersten öffentlichen Sitzung in Kapstadt kamen über 600 Menschen. Gewöhnliche Menschen, die
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nicht in den Minen arbeiten. Sie sagten sich: Morgen könnte es uns treffen! Unsere Aufgabe ist es, Geld und Unterstützung für die Hinterbliebenen und streikenden Bergarbeiter zu organisieren.
Gibt es Parallelen zur Apartheid? Tatsächlich wurden auch während der Apartheid Streiks und Proteste immer niedergeschlagen. Aber im neuen Südafrika wollen wir das Recht zu streiken und zu protestieren. Das ist es, was das Ende der Apartheid bedeutet: ein neues demokratisches Südafrika. Ganzes Interview: fastenopfer.ch/marikana
Rochade bei Fastenopfer
VOM STREIT ZUM DIALOG
Noch bis Ende Jahr leitet Yvonne Buschor bei Fastenopfer den Bereich Süden mit den Entwicklungsprogrammen in 14 Schwerpunktländern. Danach geht die 62-Jährige in den verdienten Ruhestand, um mehr Zeit für sich und ihre Enkelkinder zu haben. Ihr Fazit nach 22 Jahren bei Fastenopfer, davon zwölf als Bereichsleiterin: «Fastenopfer bewirkt mit seiner Arbeit, dass die Leute ihre Rechte kennen und einfordern, ihre Lebensgrundlagen sichern und die Hoffnung nicht aufgeben. Damit tragen wir entscheidend zur Verbesserung ihrer Lebensqualität bei.» Geführt wird der Bereich Süden ab 1. Januar 2013 neu von Markus Brun, bislang Bereichsleiter Entwicklungspolitik und Grundlagen. Seine Nachfolge tritt Susann Schüepp an.
Entwicklungsprojekte können zu gesellschaftlichen Spannungen führen. Um dies zu vermeiden, hat Fastenopfer die psychosoziale Konliktanalyse entwickelt. Die Einführung auf Haiti verdeutlichte die Notwendigkeit: Es gab Streit.
Buschor, Brun, Schüepp (v. l.).
Die Zahl:
2083 Zehn der grössten Konzerne der Rohstoffbranche, darunter Glencore aus der Schweiz vor der Fusion mit Xstrata, besitzen 2083 Filialen in Steueroasen. Durch die Verlagerung von Unternehmensgewinnen entgehen armen Ländern wichtige Steuereinnahmen, die sie für das Erreichen ihrer Entwicklungsziele brauchen. Diese Zahl hat François Mercier, bei Fastenopfer Fachmann für Finanzierungsfragen, am Sozialforum am UNO-Menschenrechtsrat am 2. Oktober in Genf präsentiert. Als Konsequenz fordert er mehr Transparenz, um heikle Verträge von Grosskonzernen mit korrupten Regierungen zu verunmöglichen (Quelle: Publish What You Pay).
Effektive Entwicklungszusammenarbeit setzt voraus, die Konlikte und Hintergründe zu kennen. Alle wichtigen Akteure müssen miteinbezogen werden. Sonst können Projekte Schaden anrichten. Wird beispielsweise in einem Dorf nur eine Gruppe unterstützt, fühlen sich andere benachteiligt oder fürchten um ihre Stellung. Deshalb hat das Beratungsbüro OPSI im Auftrag von Fastenopfer ein Instrument entwickelt: die psychosoziale Konliktanalyse. Die Deza trägt das Projekt mit. Das Fastenopferteam in Haiti hat mit Partnerorganisationen im September solche Analysen durchgeführt. Die Notwendigkeit hat sich eindrücklich im Dorf Tiburon gezeigt. Bereits vor Beginn des Workshops gab es im Innenhof heftige Diskussionen. Vier Männer schrien, dass der Vorstand der landwirtschaftlichen Genossenschaft nicht korrekt gewählt sei, Geld vergeudet wurde und der Workshop nicht stattinden darf.
Die Workshopleitung bat alle Teilnehmenden in den Saal und stellte diesen Konlikt ins Zentrum der Analyse. Die Teilnehmenden deinierten die Akteure, überlegten sich die verschiedenen Sichtweisen und Interessen, diskutierten die Gründe des Konliktes und das Verhalten der Beteiligten. Daraus entwickelten sie zusammen das Bild einer Konliktlandschaft, welche die vielen Aspekte des Konliktes aufzeigt. Die Grundlage war geschaffen, dass die zerstrittenen Teilnehmenden gemeinsam Lösungen und Aktivitäten entwickelten: die Kommunikation verbessern, Schwächen in den Projekten beheben etc. Natürlich konnten nicht alle Konlikte gelöst werden. Aber die konfrontative Haltung wurde aufgeweicht und es wurde die Basis für einen Dialog geschaffen. Eine wichtige Voraussetzung, damit die Bevölkerung sich für eine gemeinsame Entwicklung stark macht. Ihre Spende hilft den Menschen in Haiti voranzukommen: PK 60-19191-7 Felix Wertli, Haiti-Programm
Konliktanalyse im Praxistest: In Tiburon erarbeiten einstige Opponenten eine Konliktlandschaft. fastenopfer info 4|2012
3 Fragen
Martin Dahinden, Deza-Direktor
Wie kann die Schweiz das Leben armer Menschen verbessern? Armut bekämpfen, nachhaltige Entwicklung fördern und mehr Gerechtigkeit schaffen gehören eng zusammen. Die Schweiz kann noch besser in Allianzen umwelt- und klimaverträgliche Entwicklungswege öffnen, die Wohlstand mehren, einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen ermöglichen und die Lebensbedingungen armer Menschen verbessern. Welche Rolle übernimmt dabei Fastenopfer? Fastenopfer ist sehr gut vernetzt. Die Programme spielen eine wichtige Rolle zur Stärkung der Zivilgesellschaft und demokratischer Prozesse. Die kritische und konstruktive Stimme von Fastenopfer belebt die internationale Zusammenarbeit der Schweiz und unterstützt die Suche von wirkungsvollen Lösungen. Könnte die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen durch Schweizer Firmen im Ausland die Armutsbekämpfung verbessern? Die Erfahrung zeigt, dass diese Annahme grundsätzlich plausibel ist. Bislang wurden allfällige Versäumnisse von multinationalen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz und deren Auswirkungen auf die internationale Zusammenarbeit der Schweiz nicht vertieft untersucht. Solide Aussagen erfordern sorgfältige Recherchen durch aussenstehende Akteure und eine genaue Prüfung der Rechtslage.
Blickfang
Agenda
Spenden mit Runden Kundinnen und Kunden von PostFinance können jetzt beim Einkaufen unkompliziert für Fastenopfer spenden: mit dem E-Kässeli.
BEGEGNUNGEN MOTIVIEREN Eine bunte Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Kirche der Schweiz (mit Kirchenratspräsidentin, Weihbischof, Spitalseelsorgerin, Pfarrer usw.) hat im Oktober auf einer zweiwöchigen Lernreise des Fastenopfers mehr über das vielfältige Leben auf Madagaskar erfahren: Sie besuchten Fastenopfer-Projektpartner, sangen
bei Gottesdiensten mit, tauschten sich mit kirchlichem Personal aus, führten Fachdiskussionen mit den Fastenopfer-Koordinatoren und gewannen einen Einblick in die faszinierende Tierwelt dieser Insel. Die Berührung mit der Armut und die vielen Begegnungen schaffen neue Motivation für den Einsatz für eine gerechtere Welt!
Ob Bijouterie, Billettautomat oder Bistro – mit dem E-Kässeli legen Sie bei jeder Bezahlung mit der PostFinance Card automatisch Geld beiseite und ermöglichen so Menschen im Süden ein Leben in Würde. Das EKässeli ist Ihr virtuelles Münzkässeli. Sie entscheiden, ob der Betrag auf den nächsten Franken oder die nächsten zehn Franken aufgerundet werden soll. Wenn Sie auf «1 Franken» runden, spenden Sie bei einem Betrag von beispielsweise 14.30 Franken genau 70 Rappen an das Hilfswerk. Bei drei Einkäufen pro Woche legen Sie im Monat bis zu 12 Franken für Fastenopfer auf die Seite. Beim Rundungsbetrag «10 Franken» kommen beim Einkauf für 14.30 Franken exakt 5.70 Franken ins E-Kässeli, bei drei Zahlungen pro Woche sind es im Monat bis zu 120 Franken. Einrichten und Betrieb des E-Kässeli kosten nichts. So können Sie regelmässig und kostengünstig benachteiligten Menschen helfen. Richten Sie sich Ihr E-Kässeli ein: 0848 888 710 oder auf www.fastenopfer.ch/ekaesseli
27. November, Solothurn: Swiss Fair Trade Forum zum Thema Kaffee (9.30–16.30 Uhr, Landhaus). swissfairtrade.ch/de/aktuelles, 061 260 21 60 15./16. Dezember, Schenkon: Tanzshow «Teenage» zugunsten Fastenopfer (19 Uhr, Aula Kanti Sursee). 12. Januar 2013, St. Gallen und Zürich: Ökumenische Impulstagung mit Referaten und Workshops zur Kampagnenthematik (9–16 Uhr, St. Mangen resp. H50). oekumenischekampagne.ch 9. März, ganze Schweiz: Rosenaktion: Verkauf von 160 000 Rosen für das Recht auf Nahrung.
Impressum
Alpenquai 4, Postfach 2856 6002 Luzern Telefon +41 41 227 59 59 Telefax +41 41 227 59 10 info@fastenopfer.ch www.fastenopfer.ch PK 60-19191-7 Herausgeber Fastenopfer Das INFO erscheint vier Mal jährlich. Die Post gewährt uns den günstigen Zeitungstarif. Einmal pro Jahr werden dafür Fr. 3.– vom Spendenertrag als Abonnementsbetrag abgezogen. Redaktion Patricio Frei-Gisi
Tanzen für Fastenopfer
Fotos Patricio Frei (S. 1, 2 Porträt unten, 3, 5 rechts, 7 links, 8 oben), Fastenopfer Archiv (S. 2 Porträt links), Christoph Wider (S. 2), Claudia Fuhrer (S. 4, 5 links), Valérie Lange (S. 6 links), Tobias Buser (S. 6 rechts), Kathrin Groninger (S. 7), Priska Ketterer (S. 7 Porträt), Deza (S. 7 Porträt rechts), Johanna Lauber (S. 8)
Als Maturarbeit organisieren Alina Eggerschwiler und Johanna Lauber aus Schenkon eine Tanzshow – zugunsten Fastenopfer in Kenia. Lauber: «Wir wollen den Menschen etwas weitergeben.» Teenage ist das Thema der 40-minütigen Show: erste Liebe und Partys. Bei der Planung überliessen die zwei 18-Jährigen nichts dem Zufall: Budget, Sponsoring, Werbung, Choreographie und natürlich die Proben mit 15 Tänzerinnen (15./16.12., Aula der Kanti Sursee).
Cartoon Daria Lepori Konzept graikcontainer Luzern Layout/Druck Zoinger Tagblatt AG, Medien- und Printunternehmen, www.ztonline.ch
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IndIen In Indien leben 70 Millionen indigene Adivasi in Armut und Unterdrückung. Vertrieben von ihrem angestammten Land fristen sie ein menschenunwürdiges Dasein als Leibeigene auf den Feldern der Grossgrundbesitzer. Zur Ausbeutung gehört auch sexueller Missbrauch. Jetzt haben sich die Adivasi mit Unterstützung des Fastenopfers organisiert und fordern ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Einklang mit der Natur und der eigenen Spiritualität. Voraussetzung dafür ist der Zugang zu Land. Der Weg dahin kennt viele Hindernisse und dauert mehrere Jahre.
deR LAnGe WeG ZUM eIGenen LAnd es ist brütend heiss in namalavanka, einem Adivasidorf zirka zwei Autostunden entfernt von der Stadt Chittoor im Bundesstaat Andhra Pradesh. die Monsunzeit kündigt sich an. 15 Familien der vor acht Jahren gegründeten dorforganisation versammeln sich zum Gespräch mit Ramakrishna, dem Projektkoordinator von Sheds, einer Partnerorganisation von Fastenopfer. Sie beinden sich im Prozess der Wiederaneignung von Land und Wald. der benachbarte Grossgrundbesitzer und das Forstdepartement versuchen sie mit einschüchterungen daran zu hindern. deshalb wollen sie ihre Situation am nächsten Treffen des regionalen netzwerkes von
260 Adivasi-dorforganisationen in Chittoor mit anderen dörfern besprechen, Ratschläge und regionale Unterstützung einholen, um ihre Landtitel registrieren und legalisieren zu können. noch vor einigen Jahren, als noch alle Familien beim Grossgrundbesitzer verschuldet waren und in Leibeigenschaft lebten, wäre dies unvorstellbar gewesen. Befreiung dank Selbstorganisation und Sparen Von der Regierung aus ihren angestammten Waldgebieten vertrieben, liessen sich die 15 Adivasifamilien vor etwa 15 Jahren in namalavanka
Haben sich freigespart: die Adivasi von Namalavanka mit einem Sack ihres Reisvorrats (linke Seite). Gemeinsam für Gerechtigkeit: Ishwaramma wurde immer wieder vom Grossgrundbesitzer missbraucht (oben links). Die Leibeigenschaft beendet: Adivasi beim Plügen eines Feldes (oben rechts). Land besetzen, um Selbstversorgung sicherzustellen: eine Schale Waldfrüchte (nächste Seite links). Nach der materiellen die spirituelle Befreiung: Die Trommel steht wieder im Zentrum eines Adivasirituals (nächste Seite rechts).
nieder. Ohne eigenes Land, das ihnen als ernährungsgrundlage dienen konnte, gelangten sie bald in Schuldknechtschaft des Grossgrundbesitzers: der Tageslohn von 45 Rupien (umgerechnet 80 Rappen) für die Feldarbeit reichte nicht für die nahrung. deshalb mussten sie beim Grossgrundbesitzer Kredite zu Wucherzinsen aufnehmen und verschuldeten sich. Fortan waren sie gezwungen, beim Grossgrundbesitzer zu leben und ihre religiösen Traditionen aufzugeben. Ihre Frauen und Töchter mussten dem Gutsherren sexuell zur Verfügung stehen. So erging es auch Ishwaramma und ihrer Tochter Jyothi. Als Ishwarammas Mann starb, wurden sie
und Jyothi zu Sexsklavinnen des Grossgrundbesitzers. Vor acht Jahren beschlossen die Familien, sich zu wehren: Unter Begleitung von Sheds schlossen sie sich zu einem «Sangam», einer dorforganisation, zusammen und begannen gemeinsam zu sparen, um sich gegen notsituationen abzusichern. Seither sparten die Frauen alle zwei Wochen einen Becher Reis (ca. 250 g) und die Männer Geld (2 Rupien). In notlagen können nun die Mitglieder Reis und Geld ausleihen. Beispielsweise bei Hunger und Krankheiten. Für die Schule kann kein Geld ausgeliehen werden, da der Staat dafür aufkommen
BedROHTe Und dISKRIMInIeRTe AdIVASI Adivasi ist die Selbstbezeichnung der Urbevölkerung Indiens und bedeutet «die ersten Menschen im Land». 70 Millionen Adivasi teilen sich in über 400 ethnische Gruppen mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, wie Bhil, Irula, Santal, Oraon. Allen gemeinsam ist die enge spirituelle Beziehung zur natur. Aufgrund der symbiotischen Verbindung zwischen Land, Wald und der Spiritualität sind ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten auf Selbstversorgung ausgerichtet. Wobei dazu auch Tauschhandel und gelegentlicher Verkauf von gesammelten Waldprodukten gehört. die indische Verfassung räumt der Urbevölkerung und den niederen Kasten explizit gleiche Rechte wie den höheren Kasten ein. dies geschieht mit dem System der «positiven diskriminierung». darin wird die kulturelle Identität der Adivasi als «scheduled tribes» anerkannt und ihnen das Recht auf angestammte Waldgebiete und Quoten an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen eingeräumt. Zudem gibt es verschiedene speziische Gesetze, um sie vor Vertreibungen und Übergriffen zu schützen. Allerdings werden die-
se durch jeweilige Gesetzgebungen der rohstoffreichen Bundesstaaten wie Chhattisgarh und Jharkhand systematisch ausgehöhlt, damit sich internationale und indische Rohstoffkonzerne das begehrte Land «legal» aneignen können. Im Gegenzug versuchen diese Bundesstaaten in entwicklungsprogrammen zwangsumgesiedelte Adivasi als Lohnarbeitende in die Hindugesellschaft zu integrieren. diese diskriminierung der Adivasi ist nährboden für die naxaliten. die maoistischen Rebellen gewinnen in den rohstoffreichen Gebieten an einluss. Sie rekrutieren Adivasi für ihre Kampftruppen und treiben in deren dörfern Geld und nahrungsmittel ein. die Regierung in Chhattisgarh hat unter diesem Vorwand (als Reaktion auf die naxaliten) das Gesetz zur öffentlichen Sicherheit (2005) und das Gesetz zur Regulierung der ausländischen Beiträge (2010) erlassen. diese kriminalisieren die Bestrebungen der Adivasi auf Selbstbestimmung und schränken die Arbeit der Hilfsorganisationen mit noch nicht zwangsumgesiedelten Adivasi erheblich ein.
Leben vom Wald dank der ersparnisse konnten Schulden beglichen und neue Kredite verhindert werden. Inzwischen haben sich zwei drittel aller Mitglieder aus der Schuldknechtschaft befreit. Sie arbeiten zwar weiterhin auf dem Land des Grossgrundbesitzers, konnten aber gemeinsam einen um einen drittel besseren Lohn (60 Rupien) aushandeln. In einem nächsten Schritt hat das dorf bei der lokalen Regierung erfolgreich Identitäts- und Waldnutzungskarten eingefordert. Letztere erlauben es der dorfbevölkerung, Waldprodukte für nahrung und traditionelle Medizin sowie Saatgut von Wildplanzen zu gewinnen. Auch hat sie ungenutztes Land im Wald besetzt, um traditionelle Hirse und Hülsenfrüchte anzubauen. Die spirituelle Befreiung die Bevölkerung von namalavanka hat sich nicht nur materiell, sondern auch spirituell von der Abhängigkeit des hinduistischen Grossgrundbesitzers befreit. Sie hat ihre eigenen Gottheiten zurück ins dorf geholt und trägt ihnen mit rituellen Feierlichkeiten (z. B. erntefeste) Sorge. die Spiritualität verbindet die Adivasi eng mit der natur, insbesondere mit dem Land und dem Wald. die wiedererlangte Verbundenheit mit der eigenen spirituellen Welt und ihren Manifestationen im alltäglichen Leben gibt den Adivasi aus namalavanka Schutz und Kraft, ihre Lebensweise selbst zu bestimmen und ihre Landrechte einzufordern. Konlikt ums Land Trotz aller errungenschaften bleibt die Situation hinsichtlich des Landzugangs schwierig. die Familien von namalavanka haben gemäss Waldrechtsgesetz ihre Landrechtsanträge bei den Behörden korrekt eingereicht. dies hat zu Konlikten mit dem Grossgrundbesitzer und der Forstbehörde
geführt. diese haben Interesse, die Adivasifamilien weiterhin als Leibeigene oder billige Arbeitskräfte einsetzen zu können. Landregistrierungsprozesse sind immer konliktiv und können je nachdem bis zu zehn Jahre dauern. Am Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern anderer dorforganisationen in Chittoor stellen die Mitarbeitenden von Sheds, dharmayya, Peddadoraiswamy und Laxmi, die aktuelle Lage in namalavanka dar. nach einer intensiven debatte wird Folgendes entschieden: namalavanka beginnt neu auch traditionelles, selbst gewonnenes Saatgut zu sammeln, um die Bewirtschaftung des besetzten Landes sicherzustellen. dies ist eine wichtige strategische Massnahme – einerseits, um zu zeigen, dass das Land benötigt wird, und andererseits, um die Selbstversorgung sicherzustellen. der Landrechtsfall soll weitergezogen und die Lobbyarbeit in der Region verstärkt werden. dies soll über die gezielte Mobilisierung des ganzen Fastenopfer-Regionalnetzwerks von Chittoor, also unter Beteiligung von 260 dörfern, geschehen. Erfolg für missbrauchte Frauen einen erfolg erzielten die sexuell missbrauchten Ishwaramma und Jyothi dank Unterstützung benachbarter dörfer, die zum Chittoor-netzwerk des Fastenopfers gehören. eine delegation der dörfer hat die Frauen begleitet, um den Grossgrundbesitzer bei der Polizei wegen Vergewaltigung anzuzeigen. da die Behörden den Fall nicht weiterverfolgten, haben die dörfer einen Protestmarsch organisiert und ihre ersparnisse zusammengelegt, um eine Klage beim Gericht einzureichen. der Grossgrundbesitzer wurde schuldig gesprochen und musste den beiden Frauen eine Genugtuung bezahlen. Für Menschen, die ein Leben lang Willkür und Unterdrückung erdulden mussten, ist diese erfahrung von Gerechtigkeit von unschätzbarem Wert. ein Meilenstein auf einem langen Weg. Claudia Fuhrer, Fachfrau für nahrungssicherheit
Stichwort: Indien Über die Hälfte der Inderinnen und Inder sind arm. 43 % sind mangelernährt. Betroffen von Armut und Hunger sind besonders die Ureinwohner Adivasi und «unberührbaren» dalits, die zusammen ungefähr einen Viertel der indischen Bevölkerung von 1,2 Milliarden Menschen ausmachen. In den Stammesgebieten der Adivasi beinden sich viele Bodenschätze. Selbst wenn ihnen die Gerichte das Recht auf ihr Land zusprechen, werden die Beschlüsse nicht umgesetzt: die Politiker ziehen es vor, dass multinationale Unternehmen die Bodenschätze ausbeuten können. die Vertreibung der Menschen stellt denn auch eine grosse Herausforderung für die Arbeit des Fastenopfers dar. Selbstorganisation statt Abhängigkeit Fastenopfer ermöglicht den Adivasi und dalits Überlebenschancen und das Weiterbestehen ihrer Kultur: die Menschen in den dörfern organisieren und analysieren ihre Lebensbedingungen. In einem zweiten Schritt gründen sie Sparkassen, um aus der Abhängigkeit von Geldverleihern herauszukommen. die Projekte des Fastenopfers stärken ihre Rechte, ihre ernährungssicherheit und ihre Lebensgrundlagen (Land, Anbau, nutzung von Waldprodukten u. a.). Sie fördern ihr kulturelles und spirituelles Leben. die Ziele sind ein Leben in Würde und Selbstorganisation. Helfen Sie den Menschen in Indien, sich aus eigener Kraft zu befreien: Spenden Sie auf PK 60-19191-7, Vermerk Indien.
Alpenquai 4, Postfach 2856, 6002 Luzern Telefon 041 227 59 59, Fax 041 227 59 10 mail@fastenopfer.ch www.fastenopfer.ch Postkonto 60-19191-7
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muss. Wo dies nicht geschieht, ist es Sache des regionalen netzwerkes dieses Recht einzufordern.