HAITI: GEMEINSAM STARK Liebe Leserin, lieber Leser
Nr. 2 | 2013
Xstrata setzt auf Pulverfass Eine Fastenopfer-Studie zeigt: Ein Minenprojekt von Xstrata könnte verheerende Folgen haben. Seite 2 Glaube im Dienst der Gerechtigkeit Religiöse Aspekte werden zunehmend zu entscheidenden Faktoren bei Entwicklungsprojekten. Seite 7 Junger Strassenmusiker Wie ein Junge aus dem Wallis loszog, um auf Berns Strassen für Fastenopfer Geld zu sammeln. Seite 8
In jedem Land gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich für eine gerechte Wirtschaft und Politik einsetzen und die Armut überwinden wollen. Dass diese Gruppe leider oft nur eine Minderheit bildet, habe ich in Begegnungen in unseren Programmländern immer wieder erfahren: immer noch werden Menschen systematisch ausgebeutet und unterdrückt. Physische und psychische Gewalt sind an der Tagesordnung. Noch nie habe ich so viele Geschichten von Vergewaltigungen und Diskriminierung gehört wie auf meiner letzten Reise in Indien im April. Aber auch in Haiti, auf den Philippinen und anderswo ist die Armut nicht gottgewollt, sondern «menschengemacht». Wir von Fastenopfer sind überzeugt, dass wir, auch aus ethischem und christlichem Engagement heraus, uns gemeinsam mit den Unterdrückten dagegen aulehnen und Wege zu einem Leben in Würde inden müssen. Ein paar Beispiele dazu inden Sie in diesem INFO. Ich bin auf unsere Partnerinnen und Partner stolz, die sich nicht einschüchtern lassen, die weitermachen, auch wenn es oft sehr schwierig ist. Sie brauchen unsere Unterstützung moralisch und materiell – ein Zeichen unserer Solidarität. Danke, dass Sie mithelfen! Herzlich Ihr
Antonio Hautle, Direktor Fastenopfer
Südsicht
XSTRATA SETZT AUF PULVERFASS Glencore-Xstrata plant auf den Philippinen eine riesige Mine, die schwere Folgen für die Menschen und die Umwelt haben kann. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung von Fastenopfer. Der Zuger Konzern hatte versäumt, diese selber durchzuführen.
Die drei von der Tampakan-Mine betroffenen Diözesen sind zutiefst besorgt über die irreversiblen Umweltschäden. Dazu gehören die Zerstörung einer Region, die sich durch eine enorme Vielfalt an Lebewesen auszeichnet; Bedrohung wichtiger Landwirtschaftslächen, die von Quellwasser aus dem Projektgebiet abhängen; Umweltverschmutzung durch gefährliche Substanzen und die Vertreibung und Umsiedlung der indigenen Gemeinschaft der B‘laan sowie der Siedlerfamilien. Dieses Projekt hat enorme Auswirkungen! Der Bergbau bildet ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Philippinen. Er hat die wichtigsten Flusssysteme zerstört. Unser nationales Erbe, unsere Bodenschätze werden aggressiv durch ausländische Investoren ausgebeutet. Und was bleibt für die philippinische Bevölkerung übrig? Gefährliche Abfälle? Tote Flüsse? Zerstörte Felder? Grosse Teile von drei Flusssystemen mit einer Fläche von 271 175 Hektaren wären von der Mine direkt betroffen. Die Flüsse speisen unzählige Reisfelder, Fischteiche, Seen und Sümpfe. Ihre Verschmutzung wäre eine grosse Bedrohung für die Ernährungssicherheit und die Stabilität in der Region. Die drei betroffenen Diözesen haben beschlossen, das Gemeinwohl zu schützen und nach sozialer Gerechtigkeit zu streben – zum Wohle nicht nur der heutigen Generation, sondern auch der künftigen Generationen. Um Gottes Schöpfung zu schützen. Father Joy Pelino, Leiter des Social Action Center der Diözese Marbel, Philippinen
Sagittarius Mines Inc. (SMI), eine Tochter des Zuger Glencore-XstrataKonzerns, plant in Tampakan auf den Philippinen die grösste Kupfermine Asiens zu erschliessen. Rund 5000 Indigene sollen umgesiedelt werden, ihr angestammtes Land würde zerstört. Die Mine bedroht die Wasserversorgung von Zehntausenden von Menschen. Das Gebiet ist politisch unstabil und zunehmend von Gewalt geprägt: Bereits wurden acht Menschen im Umfeld des Projekts getötet. Das Pulverfass droht zu explodieren.
lich: Gemäss den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte des Uno-Menschenrechtsrats müssen Unternehmen die Menschenrechte weltweit respektieren und vorgängig die Auswirkung ihrer Tätigkeiten auf die Menschenrechte abklären. SMI informiert die betroffene indigene Bevölkerung nur sehr mangelhaft. Konsultationsprozesse, wie sie internationale Bestimmungen für indigene Bevölkerungen vorschreiben, hat das Unternehmen nur ungenügend durchgeführt. Für die Betroffenen ist es so unmöglich, die Risiken einer Tagebaumine von dieser Dimension abzuschätzen. Da Projektpartner direkt betroffen sind, hat Fastenopfer zusammen mit
Brot für alle und Misereor Deutschland ein solches Assessment durchgeführt – anstelle von SMI. Die Werke schaffen damit Klarheit, wo Menschenrechtsverletzungen drohen. SMI ist sich Gefahren bewusst Das Fazit in Kürze: Tampakan gefährdet die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung. Das Recht auf Selbstbestimmung, Gesundheit oder angemessenen Lebensstandard kann beeinträchtigt werden. Eine Sozial- und Umweltstudie von SMI kommt übrigens zum selben Schluss: «Die Tampakan-Mine hat ein grosses Potential an Verlust von Menschenleben und Umweltschäden, wenn der Damm oder die Einrichtungen zur Gesteinslagerung versagen.» Daniel Hostettler, Fachverantwortlicher Menschenrechte fastenopfer.ch/tampakan
Assessment wäre für SMI Plicht SMI hat bis anhin keine Abschätzung der Auswirkungen des Projekts auf die Menschenrechte durchgeführt. Ein solches Human Rights Impact Assessment ist bei einem Projekt von diesen Dimensionen aber unerläss-
Recht ohne Grenzen: Freiwilllig reicht nicht Der Fall Tampakan zeigt, dass Unternehmen auf freiwilliger Basis zu wenig tun, um ihrer Sorgfaltsplicht nachzukommen. So hat SMI kein Assessment durchgeführt, obschon dies internationale Standards verlangen. Im Rahmen der Kampagne Recht ohne Grenzen fordert Fastenopfer deshalb die Schweizer Regierung auf, gesetzliche Regulierungen zu erlassen, damit die Sorgfaltsplicht der Unternehmen zum verbindlichen Standard wird. Schweizer Unternehmen müssen die Menschenrechte respektieren, alle und überall auf der Welt. rechtohnegrenzen.ch
Unmöglich, die Risiken abzuschätzen; eine Anwohnerin vor dem Camp, wo die Mine entstehen soll.
fastenopfer info 2|2013
GLAUBE IM DIENST DER GERECHTIGKEIT «Glaube und Gerechtigkeit» ist eines der Kernthemen von Fastenopfer. Kulturelle und religiöse Aspekte erweisen sich zunehmend als entscheidende Faktoren für den Erfolg von Entwicklungsprojekten, wie eine Untersuchung über die Wirkung von Projekten zeigt, welche von Fastenopfer in Auftrag gegeben wurde.
Fastenopfer arbeitet mit einem befreienden Verständnis von Religion. Glaubensfragen hatten schon immer einen zentralen Platz bei unseren Aktivitäten. Ein lebendiger Glaube, welcher die Gemeinschaft zusammenhält, ist auch eine zentrale Kraft für soziale Veränderungen. Diesen Einluss stellt die Studie auf verschiedenen Ebenen fest. Als Ers-
tes wird die Persönlichkeit gestärkt: Mit Fastenopfer erweitern benachteiligte Menschen ihr Wissen. Sie werden zu sozialem Engagement motiviert. Insbesondere Frauen betonen, dass sie mehr Selbstvertrauen gewinnen. Zweitens verbessern die Projekte die Lebensbedingungen von Familien und Gemeinschaften, indem sie die landwirtschaftliche Produktion erhöhen oder das Einkommen steigern (siehe Beispiel der Hühnerzucht der CEVB unten).
Die Arbeit wirkt sich drittens auch auf die die Zivilgesellschaft aus, weil mehr Männer und Frauen bereit sind, sich zu organisieren und ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Dieser Demokratisierungsprozess hat letztlich spürbar positive Auswirkungen auf die lokale Politik und die Rechtssituation der Menschen. Im Zentrum der Arbeit von Fastenopfer stehen benachteiligte Menschen im Süden. Deshalb ermutigen uns die Resultate der Studie, dem Thema Glaube und Gerechtigkeit in Verbindung mit Ernährungssicherung und Menschenrechten weiter einen hohen Stellenwert zu geben. Susann Schüepp, Leiterin Entwicklungspolitik und Grundlagen fastenopfer.ch/glaube
HüHNERZUCHT FüRS GEMEINWOHL Für die 300 Küken hatte sie je 5 Dollar bezahlt. Die ausgewachsenen Hühner hat sie dann für 8 Dollar verkauft. Mit dem Gewinn hat sie 500 neue Küken erworben. Ihren ausgeprägten Geschäftssinn nutzt Sidonie Kulongo zum Wohl ihrer Gemeinschaft Molende. Sie ist Moyangeli. So heissen auf Lingala die Animatorinnen und Animatoren der diözesanen Kommission der christlichen Basisgemeinden CEVB, einer Partnerorganisation des Fastenopfers, bei der die Religion entscheidend zur Entwicklung beiträgt (siehe Artikel oben). Kulongo lebt mit ihrer Familie in Ngaliema, im Westen von Kongos
Die Zahl:
9 067 541 Erstmals hat Fastenopfer von Einzelpersonen mehr als 9 Millionen Franken an Spenden erhalten. Im Namen der benachteiligten Menschen danken wir für die grosszügige Unterstützung! fastenopfer.ch/jabe_12
Hauptstadt Kinshasa. Es ist ein Quartier, wo es an vielem fehlt. Bei Molende kosten die Eier weniger als auf dem Markt. Und Molende hilft auch, wenn etwa bei einem Todesfall Geld für einen Sarg fehlt. Mit Unterstützung des Fastenopfers koordiniert die CEVB 200 Basisgemeinden, in denen sich je 10 bis 15 Familien zusammenschliessen. In diesen Gemeinschaften kann durch Gebet und gemeinsame Aktivitäten gegenseitiges Vertrauen wachsen. Ein Beitrag gegen die Anonymität in der 9-Millionen-Stadt Kinshasa. Die CEVB stärkt die religiöse Identität ihrer 6000 Mitglieder und verbessert deren Lebensbedingungen durch Förderung von Eigeninitiativen. So durch Gründung einer Spargruppe oder – Hühnerzucht. Kulongos Gemeinschaft will die Zucht auf 5000 Hühner ausbauen. Doch erst kürzlich starben 400 Hühner an einer Epidemie. Ihren Mut hat Kulongo dennoch nicht verloren. Patricio Frei, Kommunikation Ihre Spende hilft Menschen im Kongo: PK 60-19191-7, Vermerk CEVB
Ausgeprägter Geschäftssinn: Sidonie Kulongo.
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3 Fragen
Bischof Markus Büchel
Weshalb treten Sie als Stiftungsratspräsident zurück? Seit Januar bin ich Präsident der Bischofskonferenz. Für die zusätzlichen Aufgaben werde ich von der Mitarbeit in den Departementen entlastet. Zudem schliessen sich die beiden Präsidien aus, da die Bischofskonferenz Aufsichtsbehörde der Fastenopferstiftung ist. Auch in meiner neuen Funktion werde ich mich für Fastenopfer einsetzen. Weshalb hat Fastenopfer auch nach über 50 Jahren noch seine Daseinsberechtigung? Fastenopfer ist ein Hilfswerk der katholischen Kirche mit dem Zweck, sich im Süden für Ernährungssicherheit und Menschenwürde einzusetzen. Diese Aufgabe leiten wir aus dem Evangelium ab. Im Bereich Bildung erfüllen wir einen Auftrag der Kirche durch die ökumenische Kampagne und durch entwicklungspolitische Kompetenz. Dieses Engagement aus dem Glauben bleibt ein stets aktueller Auftrag. Welchen Herausforderungen muss sich Fastenopfer stellen? Fastenopfer hat eine Zukunft, wenn es von Kirche und Gesellschaft als vertrauenswürdig und kompetent beurteilt wird. Alle Pfarreien und Kirchgemeinden sollen mit Stolz von «unserem Hilfswerk» sprechen. Nach 50 Jahren ist in unseren Reihen ein neuer Effort nötig. Ich bin überzeugt, dass es gelingt, wenn wir es gemeinsam angehen und an die Zukunft glauben.
Blickfang
Zwischen Proit und Verantwortung
Agenda
Im Kanton Zug spielt der Rohstoffhandel seit Jahren eine bedeutende Rolle – erst recht seit der Fusion von Glencore. Aber nicht nur Zug, sondern die Schweiz als Nation hat als weltweit bedeutender Handelsplatz eine besondere Verantwortung. Dazu hat der Bundesrat Ende März den «Grundlagenbericht Rohstoffe» publiziert. Dieser steht im Zentrum einer Veranstaltung des Forums «Kirche und Wirtschaft» am 25. Juni in Kappel am Albis. Auf dem Podium sitzt unter anderem François Mercier, bei Fastenopfer verantwortlich für das Programm in der DR Kongo und Entwicklungsinanzierung. Weitere Teilnehmer sind Botschafter Georges Martin, Präsident der Rohstoffbranche Martin Fasser, Theologe Stefan Grotefeld und Autor Daniel Ammann. forum-kirchewirtschaft.ch, 041 720 23 00
25. Juni, Kappel am Albis: Podium «Von Alu bis Zink: die Rohstoffbranche im Kanton Zug zwischen Proit und Verantwortung». Mit u. a. François Mercier, bei Fastenopfer verantwortlich für das Programm DR Kongo und Entwicklungsinanzierung (Kloster, 18.30 Uhr). forum-kirchewirtschaft.ch, 041 720 23 00, 24. Oktober, Bern: Vorankündigung zur Konferenz von Fastenopfer und Brot für alle zu den Arbeitsbedingungen in der Computerindustrie (Hotel Kreuz, 14 bis 19 Uhr). Weitere Informationen im nächsten INFO.
ENGAGIERTER JUNGMUSIKER In der Nacht vom Dienstag, 19. März stand der neunjährige Dominik Seipelt aus Leuk noch einmal vom Bett auf und ging in die Stube, um den Eltern von seiner Zufriedenheit zu berichten: gerade sei er sich bewusst geworden, dass es ihm ei-
gentlich sehr gut gehe: «Wir haben doch alles, aber es gibt Menschen, denen es an vielem fehlt.» Deshalb wolle er mit seinem Saxophon auf der Strasse Geld sammeln. Auf der Website von Fastenopfer fand Dominik das geeignete Projekt,
«Wir haben alles»; Dominik Seipelt fuhr aus dem Wallis nach Bern, um für Fastenopfer Geld zu sammeln.
das er unterstützen wollte: «Chancen für Jugendliche durch qualiizierte Ausbildung» in Recife, Brasilien. Dominik: «Damit es den Kindern der unterstützten Personen einmal besser geht und sich etwas ändert!» Weil aber Strassenmusik in Visp, Brig und anderen grösseren Ortschaften in seiner Nähe verboten ist, fuhr die Familie am folgenden Samstag nach Bern. Dominik spielte auf seinem Saxophon, betreut und unterstützt von seinen beiden Brüdern: «Es war sehr berührend mitzuerleben, wie viele junge und auch ältere Personen stehen blieben, sich interessierten und mit viel Freude eine Spende machten», erzählt Dominik. über 500 Franken kamen so zusammen, die Dominik ans Fastenopfer überwiesen hat. Unterstützen auch Sie Jugendliche in Brasilien und spenden Sie auf PC 60-19191-7, Vermerk CTC Brasilien
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Impressum
Alpenquai 4, Postfach 2856 6002 Luzern Telefon +41 41 227 59 59 Telefax +41 41 227 59 10 info@fastenopfer.ch www.fastenopfer.ch PK 60-19191-7 Herausgeber Fastenopfer Das INFO erscheint vier Mal jährlich. Die Post gewährt uns den günstigen Zeitungstarif. Einmal pro Jahr werden dafür Fr. 3.– vom Spendenertrag als Abonnementsbetrag abgezogen. Redaktion Johanna Monney, Patricio Frei-Gisi Fotos Marti Casanelles (S. 1, 6 rechts), Priska Ketterer (kleine Portraits S. 1, 2, 7), Bob Timonera (S. 2 grosses Portrait und Bild), Evens Prosper (S. 3, 5, 6 links), Felix Wertli (S. 4), Patricio Frei (S. 7), Christine Seipelt (S. 8). Cartoon Daria Lepori Konzept graikcontainer Luzern Layout/Druck Zoinger Tagblatt AG, Medien- und Printunternehmen, www.ztonline.ch
Haiti Haiti ist das ärmste Land der nördlichen Hemisphäre. Naturkatastrophen, Korruption, politische Instabilität vermitteln in der breiten Öffentlichkeit den Eindruck eines Staates, der Opfer seiner Vergangenheit ist und immer wieder scheitert. Doch die Menschen lassen sich nicht entmutigen: Frauen und Männer organisieren sich und suchen gemeinsam Lösungen, um menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen. Die landwirtschaftliche Genossenschaft Tèt Kolé Mahotière (UPTKMA) ist eine dieser Initiativen, die mit Unterstützung des Fastenopfers Hoffnung vermittelt.
FaRBEN DER HOFFNUNG irena Léveillé ist eine jener Frauen, die Respekt verdienen. als Führungspersönlichkeit von ganzem Herzen wartet die 40-Jährige nicht darauf, dass die Lösungen ihrer Probleme vom Himmel fallen. Sie wartet auch nicht darauf, dass vom Himmel Kredite fallen, auf die viele Kleinbauernfamilien hoffen. Ein Himmel, den die Menschen im Distrikt Mahotière im Nordwesten Haitis immer wieder ängstlich aus Sorge vor neuen Schicksalsschlägen absuchen. «Seit vier Jahren regnet es kaum in der Region», sagt Monmus Ervilus, den alle tibòs nennen. Er ist Leiter der landwirtschaftlichen Genossenschaft tèt Kolé Mahotière (UPtKMa), einer Partnerorga-
nisation des Fastenopfers. Die Landwirtschaft ist die wichtigste Quelle für das Überleben der Familien. Wegen der Dürre machen sie schwierige Zeiten durch. Die Folgen: Ganze Felder sind zerstört, die Ernten knapper und Wasserquellen versiegen. Weil viele Grundnahrungsmittel importiert werden müssen, explodieren die Preise. aber Léveillé lässt sich dadurch nicht entmutigen. Die Mutter von fünf Kindern, die vom Plügen über Schultern wie ein Mann verfügt, hat einen unerschütterlichen Durchhaltewillen. in der UPtKMa haben sie und ihr Mann Lösungen für ihre Probleme gefunden und sie war eine treibende Kraft, um die Bäuerinnen und Bauern zum Beitritt
In einem korrupten Land Geld demokratisch und sorgfältig verwalten: Die Kassiererin zählt unter den Augen der Mitglieder das Guthaben der Spargruppe von Mahotière (linke Seite). Besseres Leben dank der grünen Sparkasse: Irena Léveillé bepackt eines ihrer Pferde (oben links). Zugang zu Land und Unterstützung für Kleinbauernfamilien: Durogène Monmiste und Monmus Ervilu, Leiter und Koordinator der Genossenschaft UPTKMA (oben rechts). Gemeinsam Besitz nehmen von bislang ungenutzten Grundstücken: Arbeit auf einem Gemeinschaftsfeld (nächste Seite links). Zusätzliches Einkommen für Kleinbauernfamilien: Früchte von den Gemeinschaftsfeldern auf dem Markt (nächste Seite rechts).
zur Genossenschaft zu motivieren. ihr erstes Ziel: raus aus dem teufelskreis der Schulden. Keine Alternative zu Krediten «Die Banken geben keine Kredite an Kleinbauernfamilien», sagt Léveillé. aber wenn eine Dürre herrscht und nichts wächst, sind die Kleinbauernfamilien gezwungen, Geld auszuleihen, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. «Früher habe ich mich in einem solchen Fall an einen Kredithai oder an einen Grossgrundbesitzer gerichtet, die Kredite mit Zinsen von hundert Prozent vergeben», erklärt Léveillé. Für einen Kredit von 1000 Gourdes (etwas mehr als 21 Franken) musste sie sechs Monate später das Doppelte zurückzahlen: 2000 Gourdes. als Sicherheit musste sie Wertsachen der Familie hinterlegen, die sie verloren hätte, wenn sie die Schulden nicht beglichen hätte: «Wir waren gezwungen, uns auf solche Kredite einzulassen. Es gab keine alternative, um zu überleben.» Unterstützung hat viele Farben Mit UPtKMa entscheiden irena Léveillé und die anderen Bäuerinnen und Bauern, dass sie in Mahotière «gegenseitige Unterstützungsgruppen» einführten: Heute gibt es 118 solcher Gruppen. ihr Grundsatz ist einfach: 15 bis 50 Menschen, die sich kennen und einander vertrauen, gründen eine Spargruppe. Jedes Mitglied trägt zur Gemeinschaftskasse bei. Die Mitglieder verwalten die Ersparnisse selber und deinieren die Regeln ihrer Gruppe, die Höhe der Beiträge sowie die Bedingungen für einen Kredit. Die Unterstützungsgruppe ist in drei unterschiedliche Kassen organisiert und jede von ihnen entspricht einer Farbe: Rot für den Notfall – die rote «Krisenkasse» hilft Mitgliedern im Falle einer Krankheit, eines todesfalls in der Familie oder einer Naturkatastrophe. Kommt sie zum Einsatz, ist keine Rückerstattung erforderlich: Diese Kasse hilft weiter, wenn jemand nicht mehr weiter weiss. Grün für Ersparnis – die grüne «Sparkasse» gewährt den Mitgliedern während drei bis fünf
Monaten kurzfristige Darlehen. Diese reichen von 1000 bis 10 000 Gourdes und weisen niedrige Zinsen auf. «anfänglich haben wir einander Kredite zu 5 % Zins gegeben», sagt Léveillé: «Weil die Rückzahlung so gut funktioniert, haben wir die Zinsen auf 2 % pro Monat gesenkt.» Diese kleinen Darlehen, die auf dem Ersparten der Mitglieder beruhen, bieten den Mitgliedern die Möglichkeit, ein kleines Geschäft aufzubauen oder Vieh für die aufzucht zu erwerben. initiativen also, die den Menschen unerlässliche Zusatzeinnahmen ermöglichen. Blau für externe Unterstützung – die blaue «investitionskasse» soll die grüne Sparkasse stärken, wenn diese nicht allen ansprüchen gerecht werden kann. Sie beantragt Darlehen von Finanzinstituten, wie Banken, um den Mitgliedern investitionen von grösserer Bedeutung zu ermöglichen. Sie bürgt für die Person, die ein solches Darlehen nutzen möchte. Spargruppe mit pädagogischem Ziel irena Léveillé erzählt von ihrer eigen Erfahrung: «ich begann mit einem ersten Darlehen in der Höhe von 5000 Gourdes aus der grünen Sparkasse. Damit konnte ich Erdnüsse planzen, meine Kinder zur Schule schicken und ein Pferd kaufen. Das Pferd brachte drei Maultiere zur Welt. Heute habe ich eine richtige Viehzucht mit Schweinen, Ziegen und Pferden.» Nach mehr als zehn Jahren Unterstützungsgruppen zieht tibòs eine positive Bilanz: «Die Gruppen haben sich zu einem soliden Fundament entwickelt, die den Kleinbauerfamilien eine wichtige wirtschaftliche Unterstützung bieten.» Die Spargruppe hat auch ein pädagogisches Ziel. Dank der Begleitung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UPtKMa erfahren die Mitglieder, wie man spart und ausleiht, ohne in die Schuldenspirale zu geraten. Sie lernen auch das Geld in der gemeinsamen Kasse zu verwalten. Und dies ist vielleicht einer der aussergewöhnlichsten Erfolge der arbeit von UPtKMa: in einem Land, in dem Korruption und mangelnde transpa-
Freude an Landwirtschaft wiedergewinnen im Zentrum der tätigkeiten von UPtKMa stehen der Zugang zu Land und die Unterstützung für Kleinbauernfamilien. Die Genossenschaft ist aufgeteilt in drei Einheiten: eine für Männer, eine für Frauen und eine für die Jugend. «Die Probleme der Jugend sind nicht dieselben wie die der Männer, und Männer haben andere Sorgen als Frauen», erklärt Durogène Monmiste, der sämtliche aktivitäten der Genossenschaft mit ihren über 2000 Mitgliedern koordiniert: «Die Beweggründe und die interessen sind unterschiedlich. Weil die Mitglieder in verschiedenen Gruppen zusammenkommen, haben sie die Möglichkeit, die Probleme zu diskutieren, die sie wirklich betreffen.» Neben der Spargruppe haben irena Léveillé und die anderen Mitglieder weitere initiativen entwickelt. Darunter etwa Gemeinschaftsgärten. «Diese werden von allen Mitgliedern der landwirtschaftlichen Genossenschaft gemeinsam angebaut», sagt tibòs: «Gemeinsam nehmen sie Besitz von bislang ungenutzten Grundstücken, machen sie fruchtbar und beplanzen sie.» Sie bauen darauf Hirse, Mais, Bananen oder Erbsen für den Eigenbedarf an. Der Überschuss wird auf dem lokalen Markt verkauft. Und ein teil geht an die Genossenschaft, um einen Vorrat zu schaffen, der den Mitgliedern im Notfall zur Verfügung steht. Die Genossenschaft unterstützt auch die Viehzucht: «Das Prinzip ist einfach», sagt tibòs: «Die UPtKMa vertraut einem ihrer Mitglieder eine Ziege, ein Schwein, ein Schaf, ein Pferd oder einen Esel an.» Dieses Mitglied ist dann verantwortlich, das tier aufzuziehen und der Genossenschaft zwei Würfe abzuliefern. Die Genossenschaft gibt die Jungtiere an andere Mitglieder weiter. «Diese Form der Zusammenarbeit dauert nun fünf Jahre», fügt tibòs an: «Und bereits konnten 250 Personen davon proitieren.»
Zum Schluss zeigt tibòs den Gemeinschaftsspeicher von Mahotière. «Weil ihn die Mitglieder selber verwalten, können hier die Menschen direkt und zu einem günstigen Preis ihre Grundnahrungsmittel beziehen: Sie müssen nicht mehr weite Wege bis zum nächsten Markt reisen. Damit wird auch die lokale Produktion gefördert», sagt der Verantwortliche. Ersatz für abwesenden Staat Für UPtKMa ist klar, dass sich gegenseitiger Beistand nicht auf Landwirtschaft und Viehzucht beschränken darf: «Ein einzelner Sektor vermag nicht alle Probleme zu lösen», sagt Monmiste. in Mahotière gibt es praktisch keine infrastruktur oder keine öffentlichen Dienstleistungen. Der Staat ist kaum präsent: nur sechs Schulen gibt es für die gesamte Region. in diesen Schulen gibt es nicht einmal Sitzbänke. «Und für ein Gebiet mit 22 000 Menschen existieren nur zwei Krankenstationen mit nur je einer arztgehilin», sagt tibòs. Die UPtKMa mobilisiert die Gemeinschaft, um diese Mängel zu beheben: «Ohne die Hilfe von Hebammen, Voodoopriestern und Naturheilpraktikern würden die Leute sterben.» Mit der Unterstützung von Fastenopfer zeigt die Genossenschaft ihren Mitgliedern ihre Rechte auf. Und sie begleitet diese, damit sie ihre Rechte bei den Behörden einfordern. Eine der grössten Herausforderungen für die Genossenschaft bleibt der analphabetismus. Um dieses Problem anzugehen, hatte die UPtKMa von der administration des ehemaligen Präsidenten Préval Geld für alphabetisierungszentren erhalten. aber das Projekt wurde gestoppt und die Zentren geschlossen. «Wir haben die neue Regierung bereits in mehreren Schreiben gebeten, das Programm wieder aufzunehmen», sagt tibòs. Ein langer Kampf. Dennoch hegen Monmiste und tibòs grosse ambitionen. «Die Gemeinschaft hat eine aussergewöhnlicher Hebelwirkung! Und mit der Beteiligung von Jungen in Mahotière ist die Zukunft gesichert!» Yvenock alcide, agropresse Haiti
Stichwort: Haiti Haiti gehört zu den ärmsten Ländern der Welt: 80 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar pro tag. Die Lebensbedingungen haben sich durch das verheerende Erdbeben im Frühjahr 2010 dramatisch verschlechtert. Die insel wird regelmässig von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen heimgesucht. Diese fallen in einem Land, wo nur noch zwei Prozent der Fläche von Bäumen bewachsen sind, besonders heftig aus. Durch den Klimawandel steigt die Zahl der Wirbelstürme, Überschwemmungen und Dürren. Diese stellen die Bevölkerung vor grosse Herausforderungen. Menschenrechte fördern Entwicklung Unterstützt von Fastenopfer haben die Menschen in Haiti mit einem schier unerschütterlichen Mut Überlebensstrategien entwickelt. Fastenopfer fördert in erster Linie die lokale Entwicklung, um langfristig die Ernährung sicherzustellen. Dazu gehören verbesserte anbaumethoden und Verhaltensänderungen im alltag. Zum Beispiel lernen die Menschen mit Briketts aus Stroh statt mit Holzkohle zu kochen. Fastenopfer stärkt Menschen und Organisationen, damit sie ihre Rechte einfordern können. in einem schwachen Staat wie Haiti ist die Einhaltung der Menschenrechte besonders wichtig. Unterstützen Sie lokale Gemeinschaften in Haiti und spenden Sie auf PK 60-19191-7, Vermerk Haiti.
alpenquai 4, Postfach 2856, 6002 Luzern telefon 041 227 59 59, Fax 041 227 59 10 mail@fastenopfer.ch www.fastenopfer.ch Postkonto 60-19191-7
Juni 2013
renz beinah alltäglich sind, verwalten Mitglieder dieser Spargruppen Geld demokratisch, sorgfältig und auf den Rappen genau.