FELD HOMMES - X

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Winter 07

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IMPRESSUM 4/07

X

Deutschland 5,00 € / Österreich 5,00 € / Schweiz 7.50 sfr / www.feld-magazin.de

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Winter 07

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Titel- und Grundschrift: Memphis LT Extra Bold (www.linotype.com)

FELD HOMMES Ausgabe 04/07, Winter 2007 Mieke Haase, Markus Lenz und Kai Maser

Herausgeber

Redaktion Kreativdirektion und Chefredaktion Stellv. Chefredaktion Textchefin Redaktion Modeleitung Moderedaktion

Mieke Haase Sabine Manecke Martina Behrens Zhoi Hy und Sabine Manecke Isabelle Thiry Christian Stemmler

Anzeigenleitung Kai Maser Tel.: +49-40-65 68 55-0 Fax: +49-40-65 68 55-17 kai.maser@appel-grafik.de Anzeigenvermarktung MFM Martin Fischer Medien Schulterblatt 58 20357 Hamburg Martin Fischer Tel.: +49-40-42 91 62-11 mfischer@mf-medien.com

Thomas Neef Tel.: +49-40-42 91 62-12 tneef@mf-medien.com

FELD HOMMES Redaktion Langbehnstraße 15a 22761 Hamburg

Tel.: +49-40-88 16 97-60 Fax: +49-40-88 16 97-82

Umsetzung Produktionsleitung

Appel Grafik Hamburg GmbH & Co. KG Alter Wall 55, 20457 Hamburg www.appel-grafik.de

Gestaltung Mieke Haase Design Langbehnstraße 15a 22761 Hamburg Tel.: +49-40-88 16 97-60 Fax: +49-40-88 16 97-82 www.miekehaase.de

Layout

Artdirektion

Oliver Griep

Layout

Uwe Jens Bermeitinger, Christiane Eckardt, Frank Maximilian Freytag, Martin Kuhlmann, Valeska Scholz, Bianca Strauch und Alexandra Westphal

Für den unermüdlichen Einsatz in den Bereichen Satz/RZ, Lithografie, Postproduction, Korrektorat und Koordination für diese FELD HOMMES Ausgabe bedanken wir uns besonders bei: Berlin:

Wir bedanken uns besonders bei Meike Beeken, Christian Blanck, Jessica Brase, Kerstin Brönner, Comic, Heiko Christensen, Tanya Dreger, Marc Duncker, GO! Overnight, Oliver Griep, Carl Linden Haase, Simone Haupt, Jens Herbeck, Melanie, Emily und Lilly Krukow, Anne-Marie Lucas, Sabine Manecke, Lars Maschmeyer, MFM, Norman Röhling, Daniel Schröder, Mirjam Schröder, Christel Sommer, Dory Stumme, Alexandra Westphal, Bärbel Wetenkamp und allen Druckern von Neef + Stumme

Frankfurt:

Peter Füssel Rebecca Best, Michaela Cardozo, Yvonne Dähn, Corinna Delz, Andrea Feldkamp, Tina Gröpper, Thomas Kaiser, Thorsten Krukow, Nicole Mahnke, Silvia Pöppelbaum, Hendrik Rost, Tina Schlenkermann, Carsten Tappe und Oliver Voß

Stuttgart:

Anja Quecke und Jan Skrzipietz

Druck & Verarbeitung

Neef + Stumme GmbH & Co. KG Druck und Verlag Schillerstraße 2 29378 Wittingen info@neef-stumme.de www.neef-stumme.de

Vertrieb Einzelverkauf/Handel

Partner Medienservices GmbH Julius-Hölder-Straße 47 70597 Stuttgart Tel.: +49-711-72 52-0 Fax: +49-711-72 52-320 www.partner-presse.de

Sondervertrieb

Über den Verlag

Verlag FELD Verlag Alter Wall 55 20457 Hamburg

Tel.: +49-40-65 68 55-0 Fax: +49-40-65 68 55-17 www.feld-magazin.de

Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt dieser Ausgabe: Kai Maser (Anschrift wie Verlag)

Sven Böker, Sabine Flores Sotomayor, Jana Motz und Jenny Pilz

Hamburg:

Mitarbeiter dieser Ausgabe Michael Benzinger, Harald Braun, Hans-Christian Bussert, Peer Feldhaus, Kai Flemming, Stefan Förster, Rouven Grossmann, Bertram Job, Oliver Köhler, Christian Litz, Florian Pagel, Jan Schlüter, Judith Stoletzky, Michael Trautmann und Nils Wollny

Markus Lenz

Erscheinungsweise: vierteljährlich. Heftpreis: 5 Euro.

© für alle Beiträge bei FELD Verlag. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung. Für verloren gegangene und unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und andere Arbeiten wird keine Haftung übernommen. Die Meinung, die in den Texten wiedergegeben wird, ist die der Contributeurs und nicht zwingend die des Verlags.

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Impressum


THE OTHER TROPH채E.


Die FeLD equipe

Wir danken allen FELD Arbeitern, die uns bisher unterstützt haben, und wünschen ihnen ein gesundes und frohes 2008.

Silke Ackermann, Kai Agenton, Vito Avantario, Roland Baisch, Anka Barderleben, Sebastian Bartels, Malte Bartjen, Olaf Becker, Till Becker, Martina Behrens, Michael Benzinger, Uwe Jens Bermeitinger, Rebecca Best, Sam Bisso, Kerstin Blohm, Uwe Böhm, Sven Böker, Max Bonewitz, Harald Braun, Nicola Brennfleck, Carly Brook, Felix Brüggemann, Bettina Buschow, Hans Christian Bussert, Michaela Cardozo, Jean François Carly, Pierre Francois Carrasco, Timur Celikdag, Walter Chin, Robert Christensen, Oliver Cole, Yvonne Dähn, Pegg y David, Andrew Davis, Corinna Delz, Detlef Diederichsen, Anika Disser, Stéfan P. Dressel, Christiane Drösser, Ulf Dyrssen, Christiane Eckardt, Dirk Eisenhut, Rainer Elstermann, Oscar Falk, Tomas Falmer, Scot Faubel, Peer Feldhaus, Andrea Feldkamp, Martin Fischer, Kai Flemming, Sabine Flores Sotomayor, Frank M. Freytag, Andreas Funk, Peter Füssel, Thomas Girst, Gina Gorny, Christian Gottwalt, Oliver Griep, Robert Grischek, Tina Gröpper, Astrid Grosser, Maria Grossmann, Rouven Grossmann, Mieke Haase, Eva Häberle, Jimmy Hansen, Jochen Hein, Felicitas Hermann, Enver Hirsch, Volker Hobl, Julia Holtz, Uli Holz, James Houston, Martina Huber, Zhoi Hy, Axl Jansen, Bertram Job, Andreas Johansson, Daniela Jung, Ulrike Kache, Thomas Kaiser, Jürgen Kalwa, Firat Kara, Philip Kießling, Henning Klein, Oliver Köhler, Holger Konrad, Tom Kroboth, Thorsten Krukow, Martin Kuhlmann, Laurent LeGrand, Eva Lehnen, Markus Lenz, Séraphine de Lima, Christian Litz, Jürgen Lübbe, Birte Ludwig, Nicole Mahnke, Sabine Manecke, Kai Maser, Anne Meister, Janina Melles, Mehrbood Mokarram, Jana Motz,

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Contributeurs

Martin Müller, Sonja Müller, Thomas Neef, Jürgen Nerger, Ini Neumann, Uwe Niggemeier, Noshe, Sandra Ohlsen, Marcus Ohlsson, Patrick Oldendorf, Kate Orne, Stefan Osterhaus, Fergus Padel, Florian Pagel, Eva Petschull, Jenny Pilz, Holger Pingel, Silvia Pöppelbaum, Jan-Christoph Prilop, Sandro Puls, Anja Quecke, Franziska Raether, Helena Rejmann, Timothy Reukauf, Heiko Richard, Petra Rinklake, A ngelika Rosenquist, Hendrik Rost, K ai A lexander Schabacker, Katharina Schaper, Natascha Scheffel, Til Schlenker, Tina Schlenkermann, Jan Schlüter, Nadine Schmanke, Clarissa Schmarje, Walter Schmitz, Philipp Schneider, Berit Scholz, Valeska Scholz, Daniel Schröder, Monika Schürle, Oliver Schwarzwald, René Shenouda, Jan Skrzipietz, John Slattery, Marcus Söder, Alinde Sonntag, Holger Speth, Bernhard Spöttel, Christoph Steinegger, Christian Stemmler, Alexander Stirn, Judith Stoletzky, Calle Stoltz, Bianca Strauch, Thomas Struth, Lars-Fredrik Svedberg, Carsten Tappe, Gulliver Theis, Isabelle Thiry, Elisabeth Toll, Michael Trautmann, Moritz von Uslar, Anja Vermehren, Heinrick Voelkel, Kathrin Vorbau, Oliver Voß, Jelle Wagenaar, Kathrin Walter, Timm Weber, Jan Weiler, Lisa von Weise, Jeremy Wells, Sabine Wenderoth, Alexandra Westphal, Bernd Westphal, Christiane Wöhler, Nils Wollny und Slavoj Žižek.


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HerzlicH Willkommen bei Feld Hommes #7 Mit diesem Extrablatt möchten wir unsere Liebe zu den Buchstaben unseres Alphabets bekunden. Ein Fest der Liebe zum Abc, um es dem saisonalen Anlass angemessen auszudrücken. Aus Buchstaben macht man Wörter, aus Wörtern Texte, und wir freuen uns, Ihnen doppelt so viele Geschichten wie sonst vorstellen zu können. Buchstaben sind aber auch grafische Schönheiten. Die Kunst, mit Buchstaben zu gestalten und Bilder zu schaffen, heißt Typografie. Unsere Grafiker konnten sich also typografisch endlich mal so richtig ausbreiten. Der zentrale Buchstabe, dem wir dieses Heft gewidmet haben, ist das X, der zweitseltenste Buchstabe des deutschen Alphabets. Das einfache X beschildert eine Kreuzung, das doppelte X den Gen-Code des weiblichen Geschlechts und das dreifache X eine Serie von Küsschen, die man unter einen Brief oder eine SMS setzt, wenn man den Adressaten doll lieb hat. Nicht zu verwechseln mit dem Triple X, wo sich die Menschen untereinander noch doller lieb haben, und das auch ausgiebig zeigen. Was X sonst noch bedeuten kann, erfahren Sie auf den nächsten 128 Seiten. Die Ausgabe „X“ markiert außerdem einen neuen Weg, den wir ab 2008 gehen wollen. Das nächste FELD HoMMES erscheint bereits im Februar. Der Schwerpunkt wird auf der Mode liegen, und wir wollen rechtzeitig zu den FashionNeuheiten für die Saison Frühjahr/Sommer 2008 am Kiosk sein. Im Sommer gibt’s wieder mehr zu lesen und im Herbst wieder mehr Mode, pünktlich zur Saisoneröffnung Herbst/Winter. Können Sie uns folgen? Das hoffen wir doch sehr. XXX Mieke Haase und Sabine Manecke

editorial

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Auf die X-Stellung haben wir in diesem Heft bewusst verzichtet. Sie haben ja über die Feiertage genug Zeit, sich selbst darum zu kümmern. Sonst ist alles drin: Enthaltsamkeit (Straight Edge) und Völlerei (Garrincha), Motoren (X-trem automobil) und Madames (Vanina Ickx), Männer, die stark sind (Ralf Moeller), und Frauen, die schwach werden (Xaviera Hollander). Und natürlich alles über XXXXXXL (Samy Deluxe).

Lieber Lehrer, lehr mich was …

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intro  Warum ist X so ein interessanter Buchstabe, dass wir ihm ein ganzes Extrablatt gewidmet haben? Martina Behrens (Text)

Deluxe

Kein Sex, keine Drogen, nur Rock ’n’ Roll

hero  Der Rap-Star Samy Deluxe über zu enge Hosen, schlecht gereimte Kinderbücher, das Jugendprojekt „Crossover“ und „TNT“ von Dynamite Deluxe. Sabine Manecke (Interview) Abbildung Seite 88

Reportage  Punks auf dem Weg der Ernüchterung. „Straight Edge“-Anhänger hören brachiale Musik, leben aber enthaltsam. Rouven Grossmann (Text) Abbildung Seite 89

140

Ihr Kreuz ist die Schrift expérience  Vier Millionen Menschen in diesem Land sind funktionale Analphabeten. Wie es ist, nicht richtig lesen zu können, hören Sie unter www.feld-magazin.de/alpha Sabine Manecke (Podcast)

112

Sport  Mit einem X- und einem O-Bein gesegnet, wurde Garrincha zweimal Weltmeister. Und feierte das Leben bis zum Umfallen. Harald Braun (Text) Abbildung Seite 89

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an der richtigen Stelle

SAVOIR  2008 ist Superwahljahr. In 37 Ländern treffen die Einwohner Entscheidungen an der Wahlurne. Wir zeigen Ihnen, wo. Zhoi Hy und Sabine Manecke (Auswahl)

Die Weihnachtsgeschichte

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OBJET TROUVÉ  Falls Sie zu Hause keine Bibel haben: aus dem Evangelium nach Lukas die wichtigen Kapitel, damit Sie Weihnachten was zum Vorlesen haben. 20

sommaire

98

SUPPORT  Ralf Moeller, unser Mann in Holly­ wood, unterstützt Hauptschüler, um aus ihnen „starke Typen“ zu machen. Auch ohne Muskeln. Michael Trautmann (Text) Abbildung Seite 90

92

Xmas finde ich sympathisch

Garrincha. Der bessere Pelé?

Das

Mr. XXL

SUPPORT  Weihnachtsmann, Santa Claus, Christkind, Weihnachten, Xmas – was denn nun? Der katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke steht uns bei. Sabine Manecke (Interview) Abbildung Seite 89

36

Fragen Sie Xaviera PRIVé  Die ehemalige Edelhure und BordellChefin, Bestsellerautorin und Salondame Xaviera Hollander plaudert aus ihrem (Liebes-)Leben. Bertram Job (Text) Abbildung Seite 88

126

Was Männer von Pornos lernen können

PRIVé  X-rated ist jugendgefährdend, Triple X ist Hardcore. Unser Autor hat herausgefunden: Da kann sich so manch einer noch was abgucken. Nils Wollny (Text)


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Das Fest der Liebe MODE  Feldwebel Hy richtet über Modesünden. Diesmal: auf der Betriebsweihnachtsfeier glänzen, ohne mit der Dekoration verwechselt zu werden. Zhoi Hy (Text)

104

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Morgen kommt der Weihnachtsmann …

X-trem automobil

MODE  … in Haute Couture! Anständige Roben für die festliche Saison von Yves Saint Laurent bis Gucci. Die Bilder dazu dürfen Sie sich vorstellen. Judith Stoletzky (Text)

MOTOR  Damit Sie beim nächsten Wissensduell gewinnen: mit harten Fakten über Autos der Superlative. Michael Benzinger (Text)

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Feldweg #5 MOTOR  X steht für Kreuzung, einen Ort also, an dem sich zwei Wege treffen. Unser rasender Reporter regelt die Vorfahrt. Kai Flemming (Text)

Das perfekte Luxus-Dinner EXPÉRIENCE  Mit diesem 4-Gänge-LuxusMenü von Paul Bocuse bringen Sie ein bisschen kulinarischen Schwung in angestaubte Heiligabend-Traditionen. Sabine Manecke (Text), Paul Bocuse (Rezepte)

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Madame Ickx

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Tätigkeitsfeld #3 EXPÉRIENCE  Jobs, die das Arbeitsamt nicht kennt. Heute: der Kryptograf. Florian Pagel (Text)

MOTOR  Sie fuhr zwei Jahre für Audi in der DTM und erzählt, wie es ist, mit Papa die Dakar zu fahren und auch mit einer Pferde­stärke glücklich zu sein. Michael Benzinger (Text) Abbildung Seite 90

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Malcolm X ... by any means necessary

ESSAI  Malcolm X’ Ziele sind noch immer nicht erreicht: Gleichberechtigung und Freiheit für die afroamerikanische Bevölkerung der USA. Jan Schlüter (Text) Abbildung Seite 91

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Die Welt kann uns mal kreuzweise ESSAI  Platon erklärt die Erschaffung der Welt und damit auch die philosophische und mathe­ matische Dimension des X. Peer Feldhaus (Text)

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Der Khan verlässt Xanadu ESSAI  Der Popsong „Xanadu“ ist ein Dauerbrenner. Aber wissen Sie, wo Xanadu eigentlich ist? In der Mongolei womöglich? Christian Litz (Text)

Toujours Impressum ����������������������������������������������������14 FELD Arbeiter ��������������������������������������������� 16 Editorial ������������������������������������������������������� 19 Inhalt �������������������������������������������������������20/21 Mit 100 Sachen durch den Winter ������������������70 Farbtafeln �����������������������������������������������������88 Männersache/Abonnement ��������������������� 144/145 sommaire

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Lieber Lehrer, lehr mich was …

Das Geheimnis Des X Von Martina Behrens (Text)

Das X ist der 24. Buchstabe des Alphabets und hat in deutschen Texten eine extrem geringe durchschnittliche Häufigkeit von 0,03 %. Lautlich handelt es sich um die Konsonantenverbindung ks und leitet sich in unserer Zeichentradition vom altgriechischen X (sprich ksi) ab. Vermutlich wurde das X auch von den Griechen in der Abkürzung x (für xenos = fremd) als Formelzeichen für eine veränderliche oder unbekannte Größe in die Mathematik eingeführt. Es begegnet uns in der Umgangssprache als Ausdruck für das Unbekannte, Rätselhafte in Begriffen wie Generation X, Terra X, X-Faktor oder dem vielgesuchten Mr. X. Jemandem ein X für ein U vormachen heißt, jemanden zu täuschen oder zu betrügen. Es besteht der kulturhistorische Verdacht, dass diese Redewendung schon den alten Lateinern bekannt war, bei denen Buchstaben für Zahlen standen: X hat den Zahlenwert 10, und die römische 5 ist V. Das V konnte durch das schlichte

22

Intro

Verlängern der Striche den doppelten Wert erlangen, was beim Kalkulieren in betrügerischer Absicht von Vorteil war. In der Biologie steht das X für das Chromosom, denn die 46 Chromosomen in jeder Zelle des Menschen sehen aus wie ein leicht verbogenes X. Jedes Chromosom ist doppelt angelegt. Große Ausnahme sind die Geschlechtszellen. Diese enthalten nur je ein Exemplar aller Chromosomen. Die Geschlechtszellen eines weiblichen Embryos werden als XX bezeichnet, die eines männlichen Embryos als XY. Mit dem gleichen Buchstabenkürzel wurde das Verständnis von Kriminalität einer ganzen Generation geprägt. Aktenzeichen XY ungelöst. Ist die Parallele Gewalt und Männlichkeit erwünscht oder nur ein dummer Zufall? X. Der große Unbekannte. Der Zensor. Der Ausradierer. Der Multiplikator. Der Christ. Wir machen uns auf die Suche.


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essai


Die Welt kann uns mal kreuzweise Platon ist einer der bedeutendsten Philosophen der Geschichte. Diese Information haben wir alle aus der Schule mit nach Hause genommen. Warum die Bedeutung Platons so hoch einzuschätzen ist, bleibt das Geheimnis der Philosophen. Die können ihn nämlich verstehen. Umso glücklicher sind wir, dass der studierte Philosoph Peer Feldhaus, Urenkel des wissen­­schaftlichen Schriftstellers Franz Maria Feldhaus, sich für FELD HOMMES die Mühe gemacht hat, Platons Theorie vom Schöpfer der Welt, dem Demiurgen, in verständlichen Worten darzulegen. Bei Platon kreuzen sich im X die Dinge, die zunächst nicht zueinander gehören, und schließen sich am Ende zum Zeichen der Unendlichkeit. Die philosophische und damit auch die mathematische Dimension des X ist die Vereinigung der Gegensätze dieser Welt. Nicht mehr und nicht weniger. Von Peer Feldhaus (Text)

Essai

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Aufstehen oder Liegenbleiben. Horizontale vs. Vertikale. Nachgeben oder Standhalten. Der griechische Philosoph Platon lieferte vor ungefähr 2.400 Jahren eine der skurrilsten Theorien für diese einander widerstreitenden Kräfte, die jeder Mensch in sich spürt. In seinem gleichnamigen Dialog lässt er Timaios ein erstaunlich plausibles Modell zur Ent­ stehung der Welt errichten. Sein Weltschöpfer ist Bäcker und Musiker in Personalunion. Er werkelt als eine Art Mischwesen aus allmächtigem Gott und Mensch. Platon nennt diese Gestalt den Demiurgen. Jemand, der es spielend verstand, „Laib“ und Seele im Innersten zusammenzukneten. Ein backender Seelenbaumeister. Doch der Reihe nach: Der 22. Buchstabe des griechischen Alphabets sieht aus wie ein X und wird „Chi“ genannt. In einigen Fremdwörtern ist dieses Chi noch enthalten: Ein Chiasmus zum Beispiel meint in der Rhetorik die Überkreuzstellung von Satzteilen in der Art von „Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit“ (Schiller, „Wallensteins Tod“). Das Chi steckt auch in dem Wort Chimäre – so wird ein Mischwesen aus eigentlich nicht zusammengehörigen Körper­ teilen bezeichnet, die dann mit etwas Fantasie zusammengedacht werden. Beispielsweise der Pegasus aus der griechischen Sage, der die Eigenschaften von Vogel und Pferd vereint. Chi-Wesen sind Konstruktionen aus Körper und Geist. Wilde Kreuzungen. Der Wolper­ tinger lässt grüßen. Im X treffen Dinge aufeinander, die erst einmal nicht zusammengehören. Hier wird symbolisch etwas vereint, was eigentlich nicht zueinander will. Doch die Gegensätze brauchen einen Vermittler. Womit wir wieder bei Platons Demiurgen wären. Für ihn ist das X das fundamentale Werkzeug, um letztlich alles zu erschaffen. Alles meint hier: erst die Seele und dann die Welt. Der Demiurg erschafft vor allen Dingen die Seele, damit er diese dann den Körpern einpflanzen kann. Weil wir es mit dem absolut klügsten Bäcker zu tun haben, den man sich überhaupt vorstellen kann, kann dieser mit den Seelenzu­ taten locker umgehen. Ein überirdischer Konditor, der einen irdischen Urteig mischt – aus Eiern, Mehl und Wasser. Was für den Hefezopfbäcker das Ei ist, ist für den Demiurgen das Prinzip des Unteilbaren. Das Unteilbare wäre demnach das Ei des Seelenbäckers. Das Unteilbare ist aber eigentlich eine Eigenschaft und kein Ding, über das man verfügen kann. Klingt komisch. Nicht so für Platon: Eigenschaft und Ding kann man nicht trennen, sondern wird fröhlich zusammen­gedacht. Ein Ei gleicht dem anderen in seiner äußeren Gestalt. Ein Ei ist immer dasselbe und verwendbar, solange es noch heil ist.

26

essai


Anders verhält es sich mit dem zweiten Prinzip, das der Seelen­ bäcker zur Anwendung bringt: Neben dem unteilbaren Ei, das man wegen seiner charakteristischen Form als ein zählbares Ding erkennt, gibt es noch diffuse Mengen von Dingen, die man irgendwie begrenzen muss, um mit ihnen umgehen zu können. Unser Seelenbäcker braucht also so etwas wie Mehl – etwas, was man nur schwerlich zählen kann beziehungsweise was man lange zählen muss, bevor man es als Mehl erkennt. Ein Ei ist ein Ei ist ein Ei. Von Mehlstaubkörnern zu spre­ chen, bis sie irgendwann Mehl ergeben, wäre Erbsenzählerei. Man versuche nur einmal, bei dem Bäcker seines Vertrauens „ein Mehl“ zu kaufen. Und dennoch: Erst eine Menge einzelner Mehlstaubkörner ergibt Mehl, und es genügt nicht, ein bisschen Spreu vom Weizen zu trennen, sondern erst eine größere Menge davon. Wir müssen viel Getreide mahlen, dann wird es irgendwann schon Mehl werden. Beim Ei verhält es sich anders. Zwar ließe sich einwenden, dass Eier ja wohl ebenso teilbar sind wie Getreidekörner. Wir wollen ja an das Innere des Eis, und das lässt sich trefflich in Dotter und Eiweiß trennen – so wie das Getreide in Spreu und Weizen. Außerdem ließe sich sagen, dass man Mehlstaub­ körner (wie Erbsen und Eier) zählen kann, um beispielsweise zwei gleich große Mehlhaufen zu bekommen. Trotzdem gibt es einen Unterschied, auf den es Platons X-Konditor ankommt. Man kann es mit einem Chiasmus sagen: Es gibt Dinge, die sind bereits fertig, sodass man sie erkennen kann, und Dinge, die man erst erkennt, wenn sie fertig sind. Mehl und Ei sind zweierlei.

Wir haben es also mit zwei Dingen zu tun, die sich durch we­ sentliche Eigenschaften unterscheiden. Ein Ei ist – solange es als solches erkannt werden soll – erst mal eine unteilbare Ein­ heit, während das Mehl als Menge immer teilbar bleibt. Mehl ist immer schon ein Vieles. Es ist zudem das Produkt eines erkennbaren Mahlprozesses und insofern ein Gewordenes. Ein Huhn stellt uns jedoch stets vor vollendete Tatsachen. Wie Eigelb und Dotter ins Ei kommen, bleibt sein Geheimnis – also erst einmal ohne unser Zutun. Das Ei ist ein vorgefundenes Etwas. Es ist folglich schon vor dem Huhn da. Doch zurück zu unserem Demiurgen. Für seinen Seelenteig braucht er etwas, was ein Werdendes (Getreide mahlen) und ein Gewordenes (Mehl) ist. Und er braucht etwas, was zumindest am Anfang eher so bleibt, wie es ist (das noch ganze Ei), um an dessen Inhalt zu gelangen. Das Teilbare und das Unteilbare sind also die Grundzutaten des Seelent­ eigs. Die homogene Seelenmasse erlangt der Demiurg, indem er diese gegenläufigen Prinzipien angleicht. Der Demiurg kreuzt die Zutaten. Er zerbricht die Anzahl von Eierschalen, die er idealerweise kennt, und mahlt das Mehl, bis zu der Menge, von der er weiß, dass er sie benötigt. Er entgrenzt also das Unteilbare (Eier) und begrenzt das Teil­ bare (Mehl). Zugleich setzt er Vieles (die Zutaten) zu Einem (dem Rezept) in Beziehung. Mit anderen Worten: Er nimmt dem Ei seine Schale und bestimmt die Menge des zu verwendenden Mehls. Beide ver­ mengt er mit etwas Wasser zum Seelenteig. Was zuerst noch getrennt war, wird durch den Demiurgen zu einer dritten Wesenheit verrührt: Aus den vielen Zutaten Eier, Mehl und Wasser wird ein homogener Teig.

Ein Ei ist erst mal rund. Kaum einer käme dagegen auf die Idee, beim Anblick eines Eiweißflecks zu sagen: „Oh, ein Ei.“ Eierschalen fallen auch nicht unter das Verpackungsgesetz. Ebenso ungewöhnlich wäre es, beim Anblick von Getreide zu rufen: „Guck mal da – ein Mehl!“ Ohne Papiertüte wäre man beim Mehlkauf wohl aufgeschmissen.

Essai

27


Doch woher weiß der Seelenbäcker, wie viele Eier und welche Mengen Mehl und Wasser er für die Seele(n) nehmen muss? Von wem hat er eigentlich das Rezept? Unser Demiurg hat das Seelenhandwerk wahrscheinlich bei den Pythagoräern gelernt. Platons Lehrer erfanden die Zahl. In ihrer Euphorie dachten sie, dass alles Sein und somit auch die Welt und sogar die Musik vollständig durch Zahlen abgebildet werden könnten. Zahlen liefern sozusagen das ultimative Teigrezept für alles. Alles ist aus Zahl und Zahlenverhältnissen zusammengesetzt. Die richtige Zahlenordnung führt dann zur Harmonie aller Dinge – selbst in der Musik. Folglich teilt auch der Demiurgen­ bäcker bei der Erschaffung der Weltseele die so entstehende Masse nach komplizierten mathematischen Verhältnissen auf. Zudem ist er musikalisch dermaßen begabt, dass auch das Seelenstoffrezept dem Gesetz der Harmonie folgt: Das richtige Verhältnis der musikalischen Zutaten erschafft die Sphärenharmonie. Das kosmische Endziel ist dann das har­ monische Ineinanderwirken zum geschlossenen Ganzen. Der in Schwingungen gebrachte Teig bringt das All dauerhaft zum Klingen. Ordnung ist reines Harmoniedenken. Aus dem Teiggemenge entnimmt der Demiurg zwei Hälften und formt aus diesen zwei Bänder, die er wie Hefezöpfe vor sich legt. Diese Bänder verbindet er kreuzweise in ihrer Mitte, sodass sie die Gestalt eines Chi (X) bilden. Die Enden beider Stränge werden gegenüberliegend miteinander verbunden, sodass zwei sich schneidende Kreisbänder entstehen. Die erste Weltseele ist also ein Kugelgerüst aus Doppelkreisen, das sich aus der Biegung der beiden X-Bänder ergibt. Der Demiurg erschafft so die Urseele und verteilt sie danach auf die Weltkörper. Die Seele wird mit der Materie verbun­ den und zugleich in Bewegung gebracht. Der Demiurg versetzt die beiden Kreise in Rotation um ihre jeweilige Achse, und das ultimative Seelenmobile beginnt sich im Weltall zu drehen. Jedem der beiden Bänder des Chi entsprechen dabei bestimmte Kreisbahnen. Dem äußeren Kreis weist er den Bereich des Gleichartigen zu. Nennen wir ihn den Eierkreis. Diesen lässt er horizontal nach rechts rotieren, während sich der innere Kreis (Mehl­ kreis) als Bereich des Verschiedenen diagonal nach links bewegt. Der Eierkreis des Gleichartigen verbleibt in ungeteilter Einheit, wohingegen der Mehlkreis insgesamt sechsmal gespalten wird – et voilà: Fertig sind die Umlaufbahnen unseres Planetensystems. Für den musikalischen Bäcker dreht sich alles ums Äußere: Die äußere Kreisbahn ist von größerer Rotationskraft und bleibt ungeteilter Fixsternträger, während die Innere in sieben ungleiche Kreise mit unterschiedlichen Rotationsrichtungen und -geschwindigkeiten unterteilt wird. Zugleich werden die verschiedenen Kreisbahnen der damals bekannten Himmels­ körper plausibel gemacht. Sie sind eine monstermäßige Rotationsbewegung im Kosmos, die unaufhörlich aus sich selbst hervorgeht und wieder in sich zurückkehrt.

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Der Demiurg hingegen schaut bei der Erschaffung des Kosmos auf ein Vorbild, das weder Anfang noch Ende hat. Er hat sich inzwischen aus dem Staub gemacht. Der Seelenbaumeister setzt nicht nur die sichtbare Welt aus seiner unsichtbaren Mitte in Szene, er bringt auch noch die endliche Zeit ins Spiel: So werden die sieben Kreise aus dem Mehlkreis mit Sonne, Venus, Merkur, dem Mond, Mars, Jupiter und Saturn besetzt und dienen bis heute als kalendarische Zeitgeber verschiedener Umlaufbahnen. Die jeweiligen Umläufe der Himmelskörper markieren nur Messungen des ewig Gleichen und werden so zu Teilungen einer ewigen Zeit. Ihr Symbol ist die Kreisform als eine ewige Umrundung einer heiligen Mitte. Der Kreislauf der Dinge erscheint als eine ewige Wiederkehr auf beseelten Umlaufbahnen. Und so sehr Tage, Monate und Jahre auch vergehen – das Raum-Zeit-Kontinuum bleibt mit der Geburt dieses Demiurgen verhaftet. Es wird somit klar, dass das X Anfang und Ende vereint. Man biege jeweils die Enden des X zusammen – schon hat man eine 8, die – wenn sie sich hinlegt – zum Unendlichkeits­ zeichen ∞ wird. Das Chi wäre somit in allem, was es gibt, schon irgend­ wie anwesend. Dieses X ist dann der grafische Versuch, die harmonische Übereinkunft gegensätzlicher Bewegungen zu vereinigen. Es ist von Beginn an das Symbol einer intensiven Begegnung von Einem und Vielem in einer ausbalancierten Mitte; ein Zeichen sich vereinigender Gegensätze von Seele, Körper und Geist. Im mathematischen Koordinatensystem ist diese Mitte der magische Nullpunkt, an dem sich die x- und y-Geraden in der Fläche kreuzen und mit der z-Achse den Raum berechenbar machen. Das Rechnen mit der, dem oder den Unbekannten. Und wer selbst hier wieder nur an das Eine denkt, liegt auch richtig: X- und Y-Chromosomen begegnen sich nicht nur in Zellkernen. Und wie sich das X in lustigen Wörtern wie Sex und Doppelhelix zur Bedeutungseinheit verbandelt, so werden auch wir von sinnvollen Zusammenhängen beseelt. Wir müssen uns den Baumeister des Universums als einen beschwingten Hefezopfmeister vorstellen.

Schrift: Berthold Akzidenz Grotesk Bold (www.bertholdtypes.com)

Essai

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* Ohne Liebe.

Fig. 05

Es scheint wie ein Unfall der Jugendkultur. Ab 1979 formierte sich eine Bewegung von Punk-Musikern und ihren Fans, die gegen all das war, was Punk scheinbar ausmacht. Straight Edge nennt sich diese Bewegung noch heute, ihre meist jugendlichen Anhänger hören brachiale Musik, aber leben enthaltsam. Das Erkennungszeichen für ihren „nüchternen Weg“ ist ein tätowiertes X auf dem Handrücken oder ein X oder sXe auf den Klamotten. FELD HOMMES Autor Rouven Grossmann hat mit klarem Kopf und Faible für ausgeschlafene Ideen eine Szene unter die Lupe genommen, die Gewinn durch Verzicht propagiert. Von Rouven Grossmann (Text)

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Es gibt Kombinationen, die wollen einfach nicht zusammenpassen, wie man es auch dreht und wendet. Nehmen wir zum Beispiel Wandern und schlechtes Wetter. Man will raus in die freie Natur, um sich zu bewegen, man will Wind und Sonne auf der Haut spüren. Da kommt ein herbstlicher Hagel normalerweise, und statt eines zarten Windhauchs gibt’s nasse Böen, statt Sonnenstrahlen gibt’s Haudrauf, wohin man auch rennt. Oder nehmen wir die Kombination Entspannung und Entbehrung. Kann man sich entspannen, wenn man wissentlich entbehrt? Die Entbehrung kann zwar auch ein Akt des guten Willens sein, aber in der Regel wird man zum Entbehren genötigt, denn kein vernünftiger Mensch entbehrt etwas aus schierer Geilheit am Verzicht. Es sei denn, man ist Punk und hat sich für die Subkultur Straight Edge entschieden. Straight Edger entbehren aus Berufung, bei ihnen kommt Verzicht fast an das spirituelle Niveau eines religiösen Bekenntnisses heran. Wie so oft begann auch diese Bewegung mit einem Missverständnis. Wir schreiben das Jahr 1979, die junge Punkrock-Szene in und um Washington D.C. formierte sich gerade neu. Der damals 17-jährige Sänger Ian MacKaye, der heute auch gern Vater des American Hardcore genannt wird, tourte damals mit seiner frisch gegründeten Band The Teen Idles durch die Bars und Kneipen der amerikanischen Ostküste. Seine Band, die den damals noch jungen Hardcore-Punk spielte, wurde von den älteren, etablierten Punks kaum anerkannt. Die minderjährigen Musiker hatten zwar eine akzeptable politische Haltung und sahen furcht­ erregend aus, rasierten sich die Köpfe, ließen sich Iros wachsen, trugen Punkerklamotten, schlugen Nägel in ihre Schuhsohlen. Doch ihr Benehmen wurde ihrem Aussehen nicht gerecht. Ian MacKaye dazu: „Selbst bei unseren Auftritten und innerhalb unserer eigenen Szene waren wir die superkomischen Typen. Wir waren aufreizend brav, denn wir klauten nicht, randalierten nicht, sprühten keine Graffiti. Wir haben gar nichts gemacht, man hasste uns nur wegen unseres Aussehens.“ Die Band hatte auch das Problem, dass viele minderjährige Fans die Auftritte nicht besuchen konnten, da sie wegen der amerikanischen Alkoholausschankgesetze nicht in die Clubs gelassen wurden. Selbst die Musiker wurden wegen ihres Alters mehrmals vor ihren Auftritten aus den Läden geschmissen. Trotzdem bekamen The Teen Idles bald die Gelegenheit, zwei Auftritte in Kalifornien zu absolvieren und fuhren mit einem

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Greyhound-Bus quer durch den nordamerikanischen Kontinent zum Gig nach San Francisco. An der Westküste wurde das Ausschankproblem lockerer gehandhabt. Die Türsteher malten Konzertgängern unter 21 schwarze Kreuze auf die Handoberseiten zum Zeichen für die Barkeeper, den Jungs keinen Alkohol auszuschenken. Diese Vorgehensweise brachten The Teen Idles mit nach Washington und konnten auch die heimischen Doormen schnell von der nützlichen Praxis überzeugen. Bald wurden All-Ages-Konzerte veranstaltet. Als The Teen Idles sich im Jahr 1981 auflösten, brachten sie noch schnell die „Minor Disturbance E.P.“ heraus, auf deren Cover zwei Fäuste mit aufgemalten X abgebildet waren. Nach der Selbstauflösung der Teen Idles gründete Ian MacKaye die Band Minor Threat, bei der MacKaye die Texte nun nicht mehr bloß schrieb, sondern auch sang. Doch auch diese Band genoss bei traditionellen Punks einen eher schlechten Ruf. Die damalige Punk-Szene war stark rauschorientiert, Musik und Drogenkonsum waren untrennbar mit der Lebensart der Punker verbunden. Schon immer lehnten Punks gewisse gesellschaftliche Konventionen ab, sie glaubten weder an den damals aktuellen amerikanischen Traum noch an eine rosige Zukunft. Politische Realitäten spielten keine Rolle, Punks wollten immer das maximale persönliche Vergnügen ohne jegliche Grenzen genießen. Zu ihrer Philosophie gehörte auch das ständige Ausleben aller natürlichen Triebe, sei es Neugier, Paarungskampf, Bewegungsdrang oder Schluckreflex. Während sie Punkrock hörten, soffen sie Bier gegen den Alltagsfrust, lebten in ständiger Polygamie, probierten das jeweils aktuelle Brausepulver intravenös aus, und wenn sie das überlebten, bauten sie sich am Wochenende vor den Konzertbesuchen schöne Ladungen Pillen und Acid-Trips für den schwungvolleren Pogotanz-Elan ein. MacKaye war gegen diesen „abgefuckten“ Lebensstil, der seiner Meinung nach Körper und Geist zerstörte, deswegen propagierte er in seinen Texten ein „straightes“ Leben, also einen Lebensstil ohne Alkohol und Drogen. So entstand 1981 der Text „Straight Edge“, der mit diesen Zeilen unbeabsichtigt und unbewusst eine neue Jugendkultur lostrat: „I’m a person just like you, but I’ve got better things to do, than sit around and fuck my head, hang out with the living dead.“ Dieser Text nahm in kürzester Zeit einen viel größeren Einfluss auf die Hardcore-Szene, als MacKaye sich ausgemalt


hatte. Viele Anhänger übernahmen die Idee und malten sich, unabhängig vom Alter, ein X auf die Hände, um ihren eigenen drogenfreien Lebensstil auszudrücken. In Washington D.C. entstand auch die Abwandlung XXX, eine Anspielung auf die drei Sterne der Stadtflagge Washingtons. Auf ihrer zweiten Singleauskopplung veröffentlichten Minor Threat ein Stück, das für noch mehr Furore sorgte. Der Song hieß „Out of Step“ und begann mit den Zeilen: „I don’t smoke, I don’t fuck, I don’t drink, at least I can fucking think.“ Ian MacKaye hatte die Entwicklungen weder gewollt noch vorhersehen können und musste sich eine Zeit lang gegen den Vorwurf wehren, ein dogmatischer Abstinenzler-Punker zu sein. Das gelang ihm zwar ganz gut, dennoch stieg er 1983 wegen Gewalttätigkeiten auf Konzerten vorübergehend aus der Szene aus. Zwei Jahre später tauchte MacKaye mit mehreren eher kurzlebigen Bands, darunter Embrace und Egg Hunt, wieder auf, bevor er 1987 Fugazi gründete, eine der bedeutendsten und einflussreichsten Bands des Post-HardcorePunk. Fugazi wurde in den 90ern kommerziell ein Erfolg, und alle Veröffentlichungen MacKayes seit der „Minor Distur­ bance E.P.“ der Teen Idles erscheinen bei dem 1982 gegründeten hauseigenen Label Dischord Records. Mittlerweile ist Dischord eine feste Instanz des Punk und Hardcore, bekannt für seine äußerst fanfreundliche Politik und seinen politisch korrekten Habitus im Gegensatz zu den großen Verlagen, den sogenannten Majors der Musikindustrie. Seit Anfang der 1980er-Jahre wandelte sich die StraightEdge- Szene immer mehr, es entstanden einige groteske Mutationen und fast sektenähnliche Subkulturen wie Krishna Core, Straight Edge Skin Heads, Hardliner Straight Edge, die Bewegung Militant Pro Life Straight Edge, Vegan Straight Edge und weitere, von denen manche nur kurzzeitig aktiv waren und bald entweder mit anderen Richtungen verschmolzen oder einfach in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Gemeinsam ist ihnen die oft fanatische Durchsetzung der selbst definierten Grundsätze wie der Verzicht auf bewusstseinsverändernde Drogen, Alkohol, schnellen Sex mit wechselnden Partnern, meistens auch Nikotin und Koffein. Viele Straight Edger sind Vegetarier oder Veganer, sie sind so „straight“, dass Gewalt zwecks Ernährung nicht mehr infrage kommt. Als einigendes Symbol haben Straight Edger oft ein schwarzes X auf dem Handrücken tätowiert. Längst ist die Szene global.

Punker aus Russland, Deutschland und der EU finden über internationale Szeneseiten zueinander. Ein harter Kern setzt sich auch grenzübergreifend für eine Stärkung der Szene ein. Der Lebensstil soll das Bewusstsein klären und den Kopf frei von destruktiven chemischen und gesellschaftlichen Einflüssen halten. Statt der berühmten Parole des Punk „No Future“ kann man bei passender Gelegenheit „No beer, no meat!“ rufen, die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden ist dem Kandidaten damit garantiert. Der ursprünglich die Szene antreibende Anti-Gewalt-Aspekt ist nahezu verschwunden und lebt nur noch in Bezug auf Fleischverzehr fort. Pogo ist als tänzerische Ausdrucksform mit hartem Körperkontakt unverzichtbarer Bestandteil eines Punk-Konzerts, manche kaum bekannte amerikanische Hardcore-Band droht ihren Konzertbesuchern zusätzlich Schläge an, wenn diese weiter rauchend und saufend zur ihrer Musik abfeiern. In so einer Atmosphäre kann natürlich kein Mainstream entstehen. Punkrock-Fans überlegen es sich doppelt, ob der nüchterne Blick beim Schwanzvergleich, der gerade Rücken auf der Tanzfläche und die Schweißhände beim x-ten Aufreißversuch wirklich besser sind als das allseits beliebte Wettsaufen, das neueste Kopfkino (powered by LSD-Ent­ decker Albert Hoffmann) und die unbedingt zu verrauchende Schachtel Kippen, wenn man nach der Party quer durch die winternächtliche Stadt nach Hause läuft und kein Taxi anhält, weil an den Edelstahlnieten nicht genug Klamotten hängen. Natürlich gibt es da noch die Hardcore-Lifecore-HardlineSuperstraight-Edger, die sich, seit 30 Jahren dabei, schon beim Verdacht eines fleischigen Dufthauchs oder beim Anblick einer leeren Bierflasche genötigt fühlen, einen Vortrag über die Überlegenheit der eigenen Subkulturnische zu halten. Ob die­se Menschen als Vorbild für eine Jugendkultur unserer Zeit taugen, ist fraglich. Auch wenn kirchliche Organisationen auf ihren Websites Straight Edger gerne als gutes Beispiel für einen REPORTAGE

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der Gesundheit und der Moral zuträglichen Lebensstil feiern. Wer nüchtern durchs Leben gehen will, tut sicher gut daran. Vielen Menschen liegt rauschhaftes Verhalten ohnehin nicht. Aber wer sich dem Gruppenzwang von mental oft militanten Abstinenzlern unterwirft, muss mit „Du darfst nicht“-Hagelschlägen rechnen, die mit unbedröhnter Freiheit nicht mehr viel zu tun haben. Denn wie bei so vielen sich durch Abgrenzung definierten Bewegungen: Will man das Experiment mal beenden, steht man eventuell als Schwächling da, der sich, aus Sicht der Straight Edger, auch noch selbst schaden will. Also bleiben manche dabei und quälen sich durch lange Abstinenzjahre, bis sie mit den Nerven am Ende sind. Und die dann – jetzt kommen wir zum eigentlichen Risiko dieser subkulturellen Gesundheitsapostel – zurück zum Dope- oder Alkrausch finden, der ihnen nach all dem Stress erscheinen muss wie der Heilige Gral der Unterhaltung schlechthin.

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Schrift: Memphis LT Bold (www.linotype.com).

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Das klare Gesicht mit dem festen Blick hat nur wenig von seiner Attraktivität ein­ge­büßt. Mit manch an­ derem ist sie dagegen selbst zurzeit nicht völlig einverstan­ den. Bei gut 100 Kilo findet Xaviera Hollander, dass sie etwas weniger dick auftragen könnte. Und es soll ihr nur keiner entgegnen, dass dies in ihrem Alter doch egal sei. Der Spaß am eigenen Körper und an dem der anderen – er trug schließlich einmal ihren Namen. Lange bevor „X-rated“ selbst für die lausigsten Filmchen noch zu einem Pseudo-Etikett wurde, setzte die 64-Jährige 1971 mit der Veröffentlichung ihrer Erlebnisse als lustbetonte Frau, Edelhure und Chefin eines Callgirl-Rings ihren eigenen Standard in der Erotikliteratur. Seit der Veröffentlichung hat sich ihr autobiografischer Erotikroman „The Happy Hooker“ (in Deutschland vergriffen) weltweit rund 15 Millio­ nen Mal verkauft – und seiner Autorin einerseits die prompte Ausweisung aus den USA, andererseits über 30 Jahre lang die Ratgeberkolumne „Call me Madam“ im Männermagazin „Penthouse“ eingebracht. Inzwischen betreibt die kulturbegeisterte Arzttochter im gepflegten Süden von Amsterdam mit ihrem Mann Philip de Haan ein Bed & Breakfast – und findet dabei noch genug offene Worte für flüchtigen Sex, dauerhafte Beziehungen, den Geiz von Frank Sinatra und ihr jüngstes Buch, das im nächsten Frühjahr erscheint. Denn wie sagte sie FELD Forscher Bertram Job schon vorab: „Früher war mein Lieblings­ wort mit vier Buchstaben ,Fuck‘. Heute habe ich ein anderes: ,Talk‘.“

Von Bertram Job (Text)

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FELD HOMMES: Xaviera, wie kommt eine in Indonesien geborene Holländerin dazu, Anfang der 70er in New York zur berühmtesten Hure und Chefin eines Callgirl-Rings aufzusteigen? XAVIERA HOLLANDER: Ich hatte mit 22, 23 dort einen Job beim niederländischen Konsulat. War immer schon sprach­ begabt, konnte mit Leuten umgehen. Aber ich verdiente sehr wenig als Sekretärin und hatte schon immer einen teuren Modegeschmack. Dann habe ich in dieser Bar beim Konsu­ lat in Manhattan eine Frau kennengelernt. Ich war sehr geil, sehr jung, und – Moment, bitte. Hattest du zu der Zeit eine Beziehung? Ich war ein Jahr lang mit einem amerikanischen Geschäftsmann zusammen, dann hatten wir diesen Riesenkrach. Er war so gemein zu mir, dass ich mir eine Stahlbürste nahm und ihn bedrohte. Es war meine erste sadomasochistische Aktion, obwohl ich dieses Wort noch gar nicht kannte. Danach ha­ ben wir wie irre gebumst, und er kam mit allerhand Fesseln. So fingen diese Spiele an. Toller Liebhaber, aber trotzdem ging es auseinander. Dann ist er nach Venezuela geflogen, ließ mich allein. Und in dem Moment, wo sein Flieger in die Luft ging, hatte ich einen Orgasmus mit einem jungen Banker, den ich in dieser Bar beim Konsulat aufgegabelt hat­ te. Das war meine Rache. Danach habe ich monatelang alles gebumst, was zu bumsen war.

Ist der Sex eventuell besser, wenn man nicht gleich wieder eine Beziehung sucht? Ich suchte ja eine neue Beziehung. Aber die Männer kamen und gingen, kamen und gingen. Und dann saß da diese schöne elegante Frau in der Bar. Ich nahm einen Orangensaft, verschwand und kam nach einer Stunde wieder. Sie sagte: „Du hast doch gerade gebumst und dich jetzt umge­ zogen!“ Und ich sagte: „Ja, wieso?“ Und sie: „Weißt du, dass du mein Geschäft ruinierst? Für das, was du umsonst oder für einen Orangensaft gibst, berechne ich 100 Dollar. Dann erklärte sie mir: „Du suchst Liebe und findest nur Visiten­ karten mit Wochentagen darauf, denn am Wochenende sind die Kerle alle zu Hause bei ihren Frauen in New Jersey.“ Da hatte sie Recht. So fing ich als Nutte an, fuhr aber immer noch auf meinem Fahrrad zwischen dem Konsulat und meinen Kunden hin und her. Eine richtige Holländerin! War dein Verhältnis zu Sex immer schon frei und ungezwungen? Nicht ganz. Mein Vater war Arzt, meine Mutter sehr elegant. Für sie gab es nur ei­ nen Mann im Leben, und ich sollte als Jungfrau in die Ehe gehen. Wir hatten zu Hause immer Medizinbücher unter dem Kaffeetisch, da gab es Horrorbilder von Syphilis und so. Aber wegen meiner frühen Erinnerungen an den Krieg in Indochina war das fast aufregend. So ist das für mich noch immer: Eine ganz schöne Person ist nicht richtig schön, wenn nicht irgendwas falsch ist. Aber als ich 17 1/2 war, hab ich mich entjungfern lassen. Das war wie „yeah, yippie!“. Du fandest es gleich richtig toll? Ja, sehr aufregend! Aber es musste schon ein Typ sein, den ich mochte. Dann bin ich für vier Jahre nach Südafrika gegangen, da habe ich alles gemacht, was Gott verbietet. Dort lernte ich Carl kennen, meinen Ame­ rikaner, dem war ich treu, bis er wegging. Danach kamen Se­ rien von Männern, und wenn es mit denen zu schlimm wurde,

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hatte ich immer eine lesbische Affäre. Bis ich vor zehn Jahren gesagt hab: keine Männer mehr! Ich hab sechs Jahre lang ei­ gentlich nur eine lesbische Beziehung gehabt, und dann und wann noch mal einen Exliebhaber. Aber als meine Mutter starb, lebte ich ein Jahr lang ganz zölibatär. Die „heißeste Frau der Welt“, wie es mal hieß, auf einmal ohne Sex? Ich brauchte meine ganze Beseeltheit, um das Buch über sie und mich zu schreiben. Ich hab viel geweint, und das war auch fast wie ein Orgasmus. Meine Freundin wusste das. Sie sagte: Solange du noch schreibst, geht es nicht. Ich brauchte neun Monate für das Buch, es war, wie ein Kind zu bekommen. Dann konnte ich von meiner Mutter Abschied nehmen. Ich habe vorher nie gespürt, dass ich so eine symbio­ tische Beziehung zu ihr hatte.

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War sie die überbeschützende Megamutter? Im Krieg hat sie wie ein Hahn gekämpft, um mich am Leben zu erhalten. Da­ nach ist sie dann übervorsichtig mit mir geworden. Zieh den Schal an, pass auf deine Tasche auf – es ging immer um meine Sicherheit. Als ich später lesbisch wurde, hat sie das auch nicht gleich akzeptiert. Obwohl sie selbst schon 20 Jahre eine lesbische Beziehung hatte. Was für ein New York war das in den 1970ern? Konntest du sagen, dass du Nutte bist? (lacht) Das kann man doch heute noch nicht! Damals gab es die Szene an der 42nd Street, das war eine absolute Nutten-Gegend. Sexbars, Pornobars ... Ich hatte am Anfang ein Apartment und einen Polizisten, der mich protegierte. Dann zog ich von 2-Zimmer- in 4-, 5Zimmer-Wohnungen und schließlich in ein Penthouse mit Schwimmbad. Das Wichtigste aber war meine Telefonnum­ mer: En-Ju-eight-two-four-six-eight, the number to call when you want to get laid. Ich habe immer gekämpft, um diese Nummer zu behalten. In dieser Zeit habe ich auch Robin Moore kennengelernt. Den Autor von „French Connection“, der Koautor von „The Happy Hooker“ wurde? Ja. Ich war ja eine der wenigen Nutten, die sparte. So konnte ich mir von einer südafrikanischen Ma­ dam für 10.000 Dollar eine vertrauliche Liste mit den Tele­ fonnummern ihrer Kunden kaufen. Darunter war auch die von Robin, der unter dem Namen seines Bruders lief. Robin fand es interessant, dass ich Bücher las und Kunst sammel­ te, und wollte sich mit mir verabreden, um meine Bilder zu sehen. An dem Nachmittag aber hatte ich einen masochi­ stischen Kunden, der lief wie ein Hund bei mir rum und jaulte, und ich schrie: „Du Schweinehund!“ peitsch, peitsch.


Robin hatte das alles durch die Tür gesehen, war total fasziniert. Er kam ein paarmal vorbei, zog nie seine Jacke aus, zahlte 50 Dollar und sagte: „Erzähl mal.“ Bis ich entdeckte, dass er unter seiner Jacke einen tape Recorder versteckte. Der hatte fast ein Buch fertig und wollte das unter seinem Namen veröffentlichen. Dann habe ich ihn auf der Stelle gezwungen, einen Vertrag zu unterschreiben. War es denn wirklich so eine große Party vor der Aids-Ära? Konntest du deinen Freunden erzählen, was du so alles treibst? Ich hatte keine Zeit für Freundschaften. Wenn man so be­ schäftigt ist, wie ich es war, verliert man alle sozialen Kontakte. Aber ich kannte viele berühmte Leute; die Namen werde ich nie rausgeben. Im Haus wohnte damals ein sehr schöner jun­ ger Mann, Takis, den bumste ich auch, uuuh! Und manchmal ging ich mit Larry aus, der mir Bargeld für die Schecks be­ sorgte. Wenn ich dann mal einen Kunden traf, sagte ich Hi, aber zurück kam nichts. Ich war eben die Nutte, auch wenn ich nie so herumlief. Männer haben zwei Gesichter. Solange sie nackt sind, haben sie keine Geheimnisse vor dir. Aber sobald sie anzogen sind, sind sie wieder Henry Ford und wer nicht alles. Wie hast du es geschafft, deinen irren Marktwert zu etablieren? Es gab in New York ja auch noch andere Nutten und Escort-Girls. (lacht) Word of mouth! Ich war eine der weni­ gen Nutten, die Orgasmen bei der Arbeit hatte. Zweimal am Tag brauchte ich das mindestens. Du meinst Orgasmen mit Kunden? Ja, das sind doch auch Männer! Ich war jung und geil, fast etwas nymphoman, und suchte mir das Beste vom Besten raus. Es ist Blödsinn zu glau­ ben, dass nur alte Männer zu Nutten gehen. Da ist ein junger Mann, der verheiratet ist und seine Frau respektiert; aber viel­ leicht mal gepeitscht werden will oder sich als Frau verkleiden. Sachen, die er mit seiner Frau nicht machen kann. Ich wurde sehr schnell die Spezialistin für kinky sex, weil ich mehr die

psychologische Seite der Kunden untersuchte. Wenn die zu schnell kamen, sagte ich denen auch, dass sie lausige Ficker sind. Komm wieder, und ich lehre es dich! Manch einer ging später glücklich zu seiner Frau zurück, und dann war ich ihn als Kunden los. Dann warst du die ehrliche Nutte, die ohne Tricks und Schmeicheleien auskommt? Na ja, meistens. Ich habe nie zu einem gesagt: „Du bist aber ein toller Ficker“, wenn er das nicht war. Wenn er gut war, habe ich ihn gelobt. Hatten die prominenteren deiner Kunden nicht Angst, du könntest irgendwann auspacken? Der code of ethics ist, dass man keine Namen nennt. Aber wenn die gestorben sind, kann man manchmal erzählen. Jeder wusste, dass Frank Sinatra rumbumst. Aber er war kein netter Kerl. Ich habe seinen kom­ pletten Flur im Waldorf Astoria mit Mädchen beschickt. Er wollte immer nur 50 oder 100 Dollar geben, und die Mädchen mussten vorher unterschreiben, dass sie nicht schwanger wer­ den würden. Keine Klasse, gar nichts. Durch das Buch wurdest du plötzlich selbst zur Celebrity. Wie fühlte sich das an? Seltsam. Ich wurde wirklich über Nacht berühmt und bekam plötzlich Briefe von Leuten wie Ben Gazarra oder auch Jane Fonda, die selbst eine Nutte gespielt hatte. Betty Friedan und feministische Organisationen fragten an, ob ich auf ihre Fundraiser-Partys kommen könnte. Man druckte meinen Namen in goldenen Lettern, aber ich sagte nur: „Fuck you, ihr habt mich wie Scheiße behandelt, solange ich nicht berühmt war.“ Damals habe ich kapiert, was Heu­ chelei bedeutet. Wie haben die Feministinnen auf dein Buch reagiert? Warst du ihre Heldin oder das genaue Gegenteil? Viele Feministinnen sind richtige Männerhasser, und ich war eine feminine Femi­ nistin. Ich liebte es, Männer zu vögeln. Inzwischen bin ich fast für die Männerbefreiung. Die tun mir manchmal richtig leid. Nimm Philip: Seine ehemalige Frau hat ihm verboten,

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die Kinder zu sehen, weil sie seine neue Frau (also Xaviera, die Red.) nicht leiden kann. Das ist so lächerlich! Und ich kenne viele, denen es so geht. Die Männer sollen ihre Kinder nicht mehr sehen, aber zahlen sollen sie. Für mich ist das eine umgedrehte Art von Prostitution. Warst du überrascht vom Verkaufserfolg des Buches? Ich wusste bis dahin nicht, wie puritanisch Amerika ist, und dachte, wir würden vielleicht 4.000 Exemplare verkaufen. Die Leute haben das Buch in braunen Papiertüten nach Hause getragen. Zu meiner ersten Signierstunde in Philadelphia kam ein großer Kerl, a real redneck, der kaufte ein Buch und zerriss es vor meinen Augen. Das war die schlimmste Beleidigung, die ich je erlebt hab. Wie lief es in Holland? Da hatte ich das Buch zuerst nicht veröffentlicht. Meine Mutter hatte mich darum gebeten; zu der Zeit plagte sich mein Vater mit Schlaganfällen. Nach sei­ nem Tod brachte ich es dann auch in Holland raus, und es verkaufte sich millionenfach. Insgesamt eine richtige Goldgrube bei 15 Millionen Gesamtauflage weltweit, oder? Dummerweise bekam ich wenig davon. Da waren Robin Moore und Yvonne Dunleavy, die Koautoren. Und dann kamen die Anwälte, die Steuern … Ich habe trotzdem noch sehr gut gelebt, konnte mir zwei Häuser kaufen. Aber ich bin bis heute sparsam geblieben. Keine First-Class-Flüge, keine Concorde. Sonst wär’ das Geld nach zehn Jahren ausgegangen. Damals hast du einen bis heute gültigen Rekord aufgestellt: Über 30 Jahre Sexratgeberin für die Leser von „Penthouse“. Das war eine gute finanzielle Absicherung. Die meisten Pro­ bleme konnte ich bald an einer Hand abzählen. Mein Penis ist zu klein, zu groß, ich komme zu früh, zu spät und vor allem: Bin ich normal? Die Leute haben große Angst davor, wegen irgendwas nicht normal zu sein.

Was ist denn so spannend daran? Keine Ahnung, ist eher langweilig. Nach all den Erfahrungen mit Freiern und Freunden: Können Männer dich noch überraschen? Oder hat man irgendwann von ihnen genug? Mein Problem war nach der „Happy Hoo­ ker“-Zeit eher, mich wieder auf feste Beziehungen einzulassen, mich zu verlieben. Wir waren damals an so viel Geld und Abwechslung gewöhnt, und nun wieder ein Boy? Ich kann eigentlich nicht richtig treu sein. Dem Philip bin ich sehr treu, der ist ja auch mal Detektiv gewesen (lacht). Ist Sex für dich heute anders als früher? Der Wendepunkt kam eigentlich schon mit 35. Ich war gerade weg aus Amerika und machte Urlaub in Cancún. Ich bumste den Kellner, bumste den Taxifahrer; alles gut aussehende mexikanische Männer. Und dann war ich es satt. Mitten in einer Bumserei sagte ich auf Spanisch: „Wenn du meinen Kopf nicht ficken kannst, sollst du meinen Körper auch nicht haben. Adios, mother­ fucker!“ Danach wollte ich mir einen Mann suchen, in den ich mich richtig verlieben konnte. Hat das geklappt? Zunächst fand ich Gerhard aus Hamburg – ein Buddhist und Snob, hatte wenig Geld und war deshalb auch ziemlich geizig, aber sehr intelligent und toll im Bett. Der sagte nach neun Monaten, als ich ihn nach seinen Gefühlen für mich fragte: „Ich mag dich sehr gern.“ Aber das war mir zu wenig. Ich mag auch Eiscreme, but I can do without it. Dann stieß ich in Spanien auf John, meine große Liebe. Der sagte gleich am ersten Abend zu mir: „Yo te quiero.“ Da dachte ich mir: Das ist ein Mann mit einem großen Herzen! Wir waren so zwischen acht und zwölf Jahre lang zusammen und hatten ein Abkommen: Wenn wir im gleichen Land waren, waren wir uns treu. Sobald ich in ein Flugzeug stieg, durfte er machen, was er wollte. Aber ich hatte auch einen jungen Liebhaber in Holland. Also treu, solange man zusammen ist? Jedenfalls vor Aids. Meine Devise war: Wenn ein Mann mit zehn verschiedenen Frauen einmal was hat, ist es besser, als wenn er zehnmal was mit einer Frau hat. Denn dann gibt er nicht nur sein Sperma, sondern auch seine Seele. So ist es doch: Je mehr du rum­ bumst, desto weniger emotional ist es.

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Wie emotional ist es heute? Ich hab nicht mehr so die Lust zum Rumbumsen. Gestern habe ich meine Exfreundin getroffen, das hat mich wahnsinnig aufgeregt. Ich habe also noch meine Gefühle, Fantasien. Aber ich bin wunschlos glücklich, (flüstert) und Sex ist auch nicht mehr so wichtig, dass es dreimal am Tag geschehen muss! Was machst du dann mit deiner Zeit? Ich hatte vor Jahren mit diesen „Happy Cooker-Events“ angefangen, bis zu 40 Leute hier an einem Tisch. Indonesisch, chinesisch, mexikanisch – jede Woche ein anderes Thema. Bald wurde das wie ein Swingerclub. Die Paare saßen zuerst zusammen, und nach der Vorspeise ging er plötzlich hierhin, sie dorthin … Die haben nicht gleich Sex gehabt, aber Kontakte und alles ausgetauscht. Ich lernte eine Menge über Leute. Aber es war auch hektisch, ich musste vieles arrangieren. Und dann kam die Theaterzeit; da habe ich gelernt, was Networking heißt. Theaterzeit? Ich fahre seit über 20 Jahren zum Theater­festival nach Edinburgh. Da habe ich mal ein tolles 1-Mann-Stück von einem russischen Philosophen gesehen, Moskow-Petushki, gespielt von einem Polen, Jacek Zawadzki. Der brauchte dafür nur eine Glühbirne und einen Stuhl. Ich ging zu ihm und fragte, ob er das in Amsterdam aufführen könne. So startete ich mein eigenes Haustheater mit etwas Licht und einer klei­ nen Bühne – The Happy Booker. Aber ich hab das immer mit Essen kombiniert. Nach fünf Jahren kam die Polizei. Die wollte wissen, wie viele Ausgänge es hier gibt und ob ich eine Erlaubnis hätte. Ich musste dann einen Saal mieten und zahl­ te drauf, obwohl es fast immer voll war. Und dann hatte ich auch noch zwei Herzattacken. Ist damit der letzte Vorhang gefallen? Nicht endgültig. Vor zwei Jahren habe ich hier in Amsterdam noch mal ein Stück hingesetzt, volles Haus. Und jetzt habe ich ein tolles Stück über die letzten Tage von Nijinsky gesehen. Ich hatte schon ein Theater dafür gebucht, aber es ist mir doch too risky. Jetzt habe ich mit dem Bed & Breakfast angefangen. Das ist auch ein bisschen Leidenschaft und hält mich auf Trab.

Es hieß mal, du seiest mit Königin Beatrix die berühmteste Holländerin der Gegenwart. Spürst du heute noch etwas davon? Oh ja. Morgen zum Beispiel gehe ich nach Tilburg, um Schüler bei einer Diskussion über Liebe und Beziehungen anzuleiten. Ich soll ihnen vermitteln, wie man debattiert. Und nächste Woche bin ich in Utrecht zu einem Gespräch über Liebe eingeladen. Es geht meistens um solche Themen. Ich habe mal eine nette Vorlesung gehalten zum Thema „Frauen an der Macht“, da ging es schon nach zehn Minuten los: Was ist mit Sex, was mit Beziehungen? Ich werde immer in diese Ecke gedrängt. Dabei rede ich über alle Sachen. Und jetzt habe ich gerade den Vertrag für ein neues, kleines Buch unterschrieben. Was ist das für ein Buch? Es heißt „69 Tips for Mindblo-­­ wing Sex“ und wird zum Valentinstag erscheinen. Keine große Literatur, aber wirklich gut war „Child No More“, das ist mit viel Herzblut geschrieben. Und einmal hab ich in Amerika einen großen Artikel über zwanghaftes Essen veröffentlicht. Dicke Frauen sind großartig, aber seien wir realistisch: Wer zu dick ist, kriegt Diabetes und stirbt früher. Ich hatte selber so ein zwanghaftes Essverhalten; wenn ich eine Tafel Schoko­ lade bekam, war die in zwei Sekunden vernichtet. Man muss offenbar immer erst an den Punkt kommen, wo man wirklich etwas ändern will. Die Gefahr ist nur, dass man den einen Zwang gegen einen anderen tauscht. Das ist der Fluch der leidenschaftlichen Menschen – Männer wie Frauen.

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Schrift: Andesite Plain (www.fontcenter.de).

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Der Khan verl채sst Xanadu

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Einer der Dauerbrenner des Mitsingpops ist „Xanadu“. Aber kaum einer weiß, was oder wo Xanadu eigentlich ist. Unser Autor für schwierige internationale Missionen, Christian Litz, hat sich in zahlreichen Bibliotheken auf die Reise gemacht. Und ist über England und Amerika in die Mongolei geraten. In der Sommerresidenz des Kublai Khan, Sohn des legendären Dschingis Khan, wurde er fündig. Von Christian Litz (Text)

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Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: „Xanadu“, der Song, der 1980 ein großer Discoknaller war, ist nicht von ABBA, wie jeder denkt, wenn er das Wort Xanadu hört. Ich sag: „Xanadu“, Ina sagt: „Ach ja, von ABBA, kenne ich“, und Sabine sagt: „klar, ABBA“, oder Nico: „Alter ABBA-Song, kann ich mich gut dran erinnern“. Alle liegen falsch! Nein, „Xanadu“ wurde von Jeff Lynne geschrieben und produziert, von seinem Electric Light Orchestra gespielt, das damals schon im Niedergang begriffen war, und von Olivia Newton-John gesungen.

A place where nobody dared to go, the love that we came to know They call it Xanadu And now, open your eyes and see, what we have made is real We are in Xanadu A million lights are dancing and there you are, a shooting star An everlasting world and you‘re here with me, eternally Chorus: Xanadu, Xanadu, (now we are here) in Xanadu Xhere) in Xanadu Xanadu, Xanadu, (now we are here) in Xanadu A place where nobody dared to go, the love that we came to know They call it Xanadu And now, open your eyes and see, what we have made is real We are in Xanadu A million lights are dancing and there you are, a shooting star An everlasting world and you’re here with me, eternally Chorus: Xanadu, Xanadu, (now we are here) in Xanadu Xanadu, Xanadu, (now we are here) in Xanadu

Das ELO-Lied war Teil des Soundtracks eines Films, der eben­ falls „Xanadu“ hieß und in dem Olivia Newton-John die Hauptrolle spielte. Die Handlung ist schwierig, nein, kompliziert oder vollkommen verrückt. Wir schreiben das Jahr 1980. Da ist ein Grafiker, der ist frustriert, weil er immer so blöde Schallplattencover machen soll. Abends daheim zerreißt er einen Entwurf, wirft ihn aus dem

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Fenster. Die Schnipsel flattern im Wind durch die Stadt bis hin zu einer Plakatwand, auf der sich neun schöne Frauen zu einem Werbefoto gruppieren. Die Schnipsel berühren das Foto und jetzt, ohhh, werden die neun Frauen lebendig, ziehen los, tanzen, singen, fahren viel auf Rollerskates durch die Gegend und tragen kurze Röckchen. Einige mit Leggins darunter. Der arme Grafiker bekommt von der Schnipselrandale nichts mit, geht am nächsten Morgen zur Arbeit und muss wieder ein neues Albumcover malen, sein Chef zwingt ihn quasi brutalst dazu. Beim Malen sieht er auf dem Vorlagenfoto die eine Frau, die einzige, alleinige, und verfällt ihr. Es ist Kira, gespielt von Olivia Newton-John, eines der neun Rollerblades- und Kurzröckchenmädels. Kira ist die Tochter von, Achtung, Zeus, dem Göttervater. Der Grafiker, er heißt übrigens Sonny, kündigt seinen Job und eröffnet einen Tanzclub. Dort trifft er Kira und folgt ihr ins Traumland Xanadu, indem er auf Rollerblades voll auf die Mauer mit dem Plakat der neun Musen knallt. Schnitt, er ist in der anderen Welt, unverletzt. Der Bumms auf die Wand ist übrigens die beste Szene des Films, falls man sich nicht für exzessive Discochoreografien interessiert. Drüben in Xanadu nichts als Verwirrungen und Probleme, denn Kira ist eine Muse, darf keinen Sterblichen lieben und war nur mal kurz in die richtige Welt ausgebüxst. Natür­ lich verliebt sie sich trotzdem. Das verliebte Paar überwindet selbstverständlich den Widerstand des Göttervaters. Happy End und Tanzszenen en masse. Manchmal um die 100 Leute auf dem Floor, zur Musik des Electric Light Orchestra. Es gibt nicht eine Sexszene in diesem wahnwitzigen Liebesfilm. Sex wird ersetzt durch Tanzen oder Rollerbladen. Was für eine Vision. „Xanadu“, der Film, wirkt wie ein Trip, nein besser, schlimmer, anders. Es war kein großer Hit damals im Kino. Aber auf jeden Fall irreal wie Xanadu. Natürlich ist Xanadu nicht die Erfindung eines kitschwütigen­ Musical-Produzenten. Das Team um Robert Greenwald, den Regisseur von „Xanadu“, hatte sich für seinen RollschuhRausch in der klassischen Literatur bedient. Das Wort Xanadu hat im Englischen eine magische Bedeutung. Die rührt von Samuel Taylor Coleridge her oder besser gesagt von seinem Gedicht „Kubla Khan, or a Vision in


a Dream. A Fragment“, das er 1797 schrieb. Coleridge gilt als der Hohepriester des britischen Romantizismus. Und hat einen Stellenwert, der in Deutschland mindestens mit dem von Eichendorff oder gar Goethe vergleichbar ist. Sein Gedicht ist in England etwa das, was „Aus dem Leben eines Taugenichts“ oder „Die Leiden des jungen Werther“ in der deutschen Literatur sind. Wobei Coleridge ein Chaosleben absolvierte, immer nah am Abgrund, ganz anders als Minister Goethe oder Buchhalter Eichendorff in Deutschland. Coleridges „Kubla Khan“ ist ein langes Gedicht, ein Traum von einer schönen Welt jenseits des ganzen profanen Drecks, mit dem man sich hier auf Erden so rumschlagen muss. Ein Gedicht inklusive scharfer Frauen, großer Freiheit, tiefen Rausches, ruhigen Friedens, praller Natur und mittendrin ein Lustschloss. Hier nur der Anfang:

In Xanadu did K u b l a Khan A stately p l e a s u re-dome decree: W h e r e Alph, the s a c r e d r i v e r , Through c a v e r n s m e a s u reless to man Down to a sunless sea. So twice five miles of fertile ground W i t h w a l l s and towers were g i r d l e d round: And there were g a r d e n s b r i g h t with sin u o u s rills, W h e r e b l o s s o m e d many an incenseb e a r i n g tree; And here w e r e g a r d e n s b r i g h t with sin u o u s rills, W h e r e b l o s s o m e d many an incenseb e a r i n g tree; And here w e r e f o r e s t ancient. s In Xanadu did Kubla Khan A stately pleasure-dome decree: Where Alph, the sacred river, ran Through caverns measureless to man Down to a sunless sea.

So twice five miles of fertile ground With walls and towers were girdled round: And there were gardens bright with sinuous rills, Where blossomed many an incense-bearing tree; And here were forests ancient as the hills, Enfolding sunny spots of greenery.

In Coleridges Xanadu, dieser Welt voll Reichtum, Schönheit, Luxus, Milch und Honig satt – alles ohne Sünde –, ist man on top of it auch noch unsterblich. Und Coleridge selbst war wohl, was zum Film mit Olivia Newton-John irgendwie passt, drogensüchtig, zumindest jahrelang voller Laudanum, was damals das Härteste war, was man in Europa so kriegen konnte. Der schwedische Autor Lars Gustafsson, dessen wunderbare Texte übrigens auch gerne mal bewusstseinserweitert daherkommen, nimmt gut 200 Jahre später Coleridges Text zum Anlass, selbst ein paar Verse zu dichten:

des Ja, jeJahr zieht der Khan heimwärts aus seinem von Coleridge so schön besungenen Lustschloss, dem in Xanadu, und genauer gesagt, am 28. August findet der Aufbruch statt. Der Khan verlässt Xanadu, und Milch von ausschließlich weißen Ziegen wird bei seiner Abreise hoch in die Luft geschleudert, um die Geister der Luft zu nähren. jedes Jahr zieht der Khan heimwärts Ja, aus seinem von Coleridge so schön besungenen Lustschloss, dem in Xanadu, und genauer gesagt, am 28. August findet der Aufbruch statt. Der Khan verlässt Xanadu, und Milch von ausschließlich weißen Ziegen wird bei seiner Abreise hoch in die Luft geschleu­dert, um die Geister der Luft zu nähren. (Lars Gustafsson, „Auszug aus Xanadu“, „Gedichte“, Hanser Verlag, 2003)

Weiter mit der Spurensuche, nach Xanadu im Jahre 1983/1984, der ganz großen Zeit des Musikproduzenten Trevor Horn. „Relax“, „Two Tribes“ und „The Power of Love“, die drei ersten Singles der von ihm produzierten Band Frankie Goes to Hollywood, waren auf Platz eins der britischen Charts gelandet. Singles waren damals wichtig. Die drei waren wochenlang in den Charts, trotz oder wegen des Kitsches von „The Power of Love“, der schwitzigen Homophilie von „Relax“, des Videos zu

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„Two Tribes“, in dem Ronald Reagan und die britische Regie­ rung lächerlich gemacht wurden. Ihre vierte Single wurde „Welcome to the Pleasuredome“, der Titelsong des ersten Albums der Band. Der Song kam nur auf Platz zwei der Charts.

he animals are w i n d i n g me up The jungle call, the jungle call In Xanadu did K u b lai Khan aeasured o m e erect Mo ov v in ng on keep m i g on yeah The animals are winding me up The jungle call, the jungle call In Xanadu did Kublai Khan a pleasuredome erect Moving on keep moving on – yeah

So fängt der Song an, die Zeilen werden von dem Sänger Holly Johnson gesprochen, und dann geht es ab mit hartem Beat und Tempo, ein Knallersong, eine Produzentenorgie, ein Wall of Sound, ein Xanadu der Studiotechnik. Der Begriff Pleasuredome wurde durch Frankie Goes to Hollywood zum Diskotheken-Synonym. In Xanadu did Kublai Khan a pleasuredome erect. In echt und in Wirklichkeit tat dies in Kalifornien William Randolph Hearst. Vor langer Zeit erbte William Randolph Hearst von seinem Vater George Gold-, Silber-, Kohle- und Erzminen, Obstplantagen, Aktien, Geld, Zeitungen und machte aus dem vielen Geld noch viel, viel mehr. Berüchtigt wurde er, weil er, um die Auflage seiner Boulevardblätter zu steigern, seinen Mitarbeitern gegenüber Ansagen machte wie: „Ihr sorgt für die Fotos, ich für den Krieg.“ Ein paar Tage später brach der amerikanisch-spanische Krieg aus. Grund war ein Eklat, den ein Hearst-Reporter im damals spanischen Kuba angezettelt hatte. Man schrieb das Jahr 1898. In einer von Hearsts Zeitungen hatte der italienische Duce lange Zeit eine Kolumne, obwohl er fürchterlich schrieb, sich nicht redigieren ließ und ein immenses Honorar verlangte. Hitler, ein etwas schräger Typ aus Deutschland, den Hearst interessant fand, lieferte ebenfalls ein paar Texte.

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Hearst selbst kandidierte für verschiedene Ämter, beispielsweise für das des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Aber in diesem Fall kam er, der glaubte, alles kaufen zu können, nicht ans Ziel. Sinnbild seines Reichtums, den man sich kaum ausmalen oder vorstellen kann, war San Simeon. Eine Materialisierung des Protzes. San Simeon war mal eine Farm von 1.000 Quadratkilometern Größe mitten in Kalifornien, je 400 Kilometer entfernt von Los Angeles und San Francisco, ausgestattet sogar mit einem eigenen Flughafen. Auf dieser Farm ließ er sich ab 1919 seine Traumwelt bauen: Blick auf den Pazifischen Ozean, Blick auf die Berge, ein Paradies. Das Hauptgebäude ähnelte einer spanischen Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert, einer der Indoor-Pools war einem römischen Tempel nachempfunden. Die Architektin Julia Morgan war von 1919 bis 1946 ausschließlich mit der Errichtung von San Simeon beschäftigt. Sie konnte sich austoben, wie sie wollte. Es musste nur Hearst gefallen. Wenn nicht: abreißen, neu bauen, Geld spielte keine Rolle! Die Gebäude waren voll mit Antiquitäten aus Europa und Ägypten, Hearst kaufte schiffeweise ein. Zum Beispiel ein komplettes Schloss aus England, das er auf San Simeon neu aufbauen ließ. Außerdem hatte er den größten Privatzoo aller Zeiten. Michael Jacksons Neverland war ein Schrebergarten gegen Hearsts Anwesen mit 56 Schlafzimmern, 61 Bädern und Blick auf die Zebraherde. Es gab auch noch ein Kino, ein richtiges, mit mehreren Hundert Plätzen, denn eine Zeit lang gehörten Hearst mehrere Hollywood-Studios. Die Zimmerdecken waren golden, wenn denn keine in Europa abgebaute und herantransportierte Freske appliziert war. San Simeon war eine rauschhafte Reichtumsorgie. Hearst nannte sein Anwesen nur Ranch, andere sprachen vom Hearst Castle. Orson Welles drehte 1941 einen Film namens „Citizen Kane“ und holte die Hearst’sche Realität zurück in die Fiktion. Kane ist ein schwerreicher Mann, der in den letzten Zügen auf dem Sterbebett in seinem wahnwitzig großen Schloss nur noch ein Wort flüstert: „Rosebud.“ Wie reich und gleichzeitig unendlich arm dieser Kane ist, der deutlich Hearst nachempfunden war, wollte Orson Welles den Zuschauern mit nur einem Wort klar-


machen. Es sagt dem Zuschauer: Dieser Mann lebt überdimensioniert, sagenhaft teuer, in einer Traumwelt. Deswegen heißt Kanes Schloss in dem Film, der immer wieder zum besten aller Zeiten gewählt wird, nicht Ranch sondern? Genau: Xanadu. Citizen Kane lebt in Xanadu. Für Generationen von Künstlern ist Xanadu der Inbegriff von Protz und Prunk, von Wahnsinn und Schönheit. Sie alle haben sich bei Coleridge bedient. Aber woher hat Coleridge sein traumhaftes Bild von Xanadu? Von Marco Polo. Der kommt, will man ihm glauben, 1272, manchmal ist auch 1275 zu lesen, in die Sommerresidenz des Kublai Khans, der ein direkter Nachfahre Dschingis Khans ist und im Übrigen den Buddhismus in der Mongolei zur Staatsreligion erhob. Marco Polo kommt nach Shang-Tu und übersetzt diesen Namen ins Italienische mit Ciandu. Coleridge macht daraus später Xanadu. In Kapitel 58 von Marco Polos dicken Reisebeschreibungen steht über seine Ankunft dort: „Von des Großkhans herrlichem Palast in der Stadt Xanadu. [Xanadu hat sich als Übersetzung durchgesetzt.] Von seinem Marstalle weißer Zuchtstuten, mit deren Milch er alljährlich ein Opfer darbringt.“ Er beschreibt einen Palast aus Marmor und anderen schönen Steinen, eine großartige Anlage, mit mächtigen Mauern, kunstvollen Parks und Volieren mit über 200 exotischen Vögeln darin. Mitten in diesen Gärten an einem anmutigen Hain habe Kublai Khan ein königliches Lusthaus erbauen lassen, das auf schönen vergoldeten und bemalten Säulen ruht. Und so weiter. Fulminanter Luxus. Ob Marco Polo wirklich so weit ins Landesinnere vorgedrungen und beim Khan war, ist zweifelhaft. In seinen Berichten wird zum Beispiel die doch ganz gewiss erwähnenswerte chinesische Mauer nicht erwähnt. Die stand damals definitiv. Auch dass Marco Polo eine Errungenschaft wie die Drucktechnik, die es seinerzeit in China schon gab, nicht beschreibt, macht ihn der Aufschneiderei verdächtig. Dass in seinem Bericht nicht einmal Tee getrunken wird, und das passierte schon vor 800 Jahren ständig in China, noch mehr. Was heute Xanadu ist, dieser Traum von Reichtum, Pracht und paradiesischen Zuständen, könnte

also nur eine Fantasie eines italienischen Handlungsreisenden sein, der, im besseren Fall, immerhin den Reichtum Chinas gesehen hat und dies mit dem Entwurf einer Traumwelt noch mal kräftig toppen wollte. Oder aber, im schlechteren Fall, gar nicht so weit gekommen war und sich in einem italienischen Knast eine gute Geschichte zusammenreimte, um Geld zu machen. Eine Geschichte, die dann ein englischer laudanumsüchtiger, tiefunglücklicher, hyperromantischer, armer Dichter noch weiter ausschmückte.

An everlw a s t i n g o r l d a n y o u ‘ r e here with me, eternally Xanadu, X a n a d u , (now we are here) in Xanadu Xanadu, X a n a d u , (now we are here) in Xanadu An everlasting world and you’re here with me, eternally Xanadu, Xanadu, (now we are here) in Xanadu Xanadu, Xanadu, (now we are here) in Xanadu

Und heute, haben wir heute noch irgendetwas mit Xanadu zu tun, außer dass immer noch die Gefahr besteht, dass Olivia Newton-John zu später Stunde davon im Radio singt? Es wäre noch von Theodor Nelson zu berichten, seines Zeichens Harvard-Soziologe sowie zeitweise Redakteur der „New York Times“ und Herausgeber einer Computerzeitschrift. Theodor Nelson hatte 1960, also in der Computersteinzeit, eine Idee. Er ent­wickelte ein theoretisches Konstrukt, ein Hypertext-Projekt, einen Ort, an dem alles, was die Menschheit bis dahin geschrie­ benhatte, gespeichert ist. Eine universale, aber dezentrale Bibliothek, auf die jeder mit einem Computer zugreifen kann. Alle Dokumente sollten, so seine Idee damals, an einem nicht wirklich existierenden Ort vernetzt werden. Das Internet, die Revolution der Information und Kommunikation, basiert auf Nelsons vor fast 50 Jahren noch philosophisch abgehobener Theorie von einem magischen Ort, an dem alles Wissen der Erde für alle zugänglich ist, ohne dass man hingehen muss. Nelson nannte diesen fiktiven Ort in Büchern, Interviews, Aufsätzen … Xanadu.

Schrift: Braggadicio (www.myfonts.com).

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An dieser Stelle geht es nicht darum, Frauen zu beeindrucken oder Sieger in einem Fernsehquiz zu werden. Hier geht es schlichtweg um eins: informelle Macht. F端r M辰nner, die 端ber das Quartettspielen hinweg sind, aber trotzdem gerne das eine oder andere Wissensduell gewinnen. Mit harten Fakten 端ber Autos der Superlative. Von Michael Benzinger (Text)

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Neulich an der Kasse einer Tankstelle. Ein beleibter Endfünfziger im hanseatisch korrekten Goldknopf-Blazer hat es endlich geschafft, schnaufend einen beachtlichen Berg Haribo-Tüten auf den Tresen zu wuchten, und angelt nun mit der einen Hand nach einer Packung Zahnpflege-Kaugummis, während die andere eine EC-Karte aus der nicht minder beleibten Geldbörse zu fummeln versucht. Plötzlich erfüllt ein grummeln­des, stetig anwachsendes Vibrieren die benzingeschwängerte Luft. Das Grummeln wird lauter und rollt in Gestalt eines nachtschwarzen Mercedes SLR die Tankstellenauffahrt hinauf, um an Zapfsäule 3, direkt vor der Glasscheibe des Kassenhäuschens, in einem sonoren Brabbeln zu verebben. Chapeau, Auftritt geglückt, alle gucken. Der junge, vermutlich türkischstämmige Kassierer erklärt diesen ansonsten sicher unspektakulären Mittwoch spontan zu seinem Glückstag, ruft lauthals nach einem Kollegen im Lager („Ömer, kommst du!“), schnappt sich sein Handy und lässt Mister Gummibär und die andern in der Schlange zurück. Alle beobachten den euphorisch um den SLR tanzenden und dabei filmenden Kassierer, als der Hanseat nonchalant lächelnd  –  und selbstverständlich ganz diskret  –  Fachwissen aufblitzen lässt: „660 PS, 340 km/h Spitze. Das schnellste deutsche Serien­ fahrzeug.“ Bums. Das sitzt. Autoquartett-Top-Karte. Aber es folgt von einem der Anwesenden der Supertrumpf: „Nicht ganz. Das schnellste deutsche Serienfahrzeug ist der Gumpert Apollo. 800 PS, 360 Spitze.“ Der Abgewatschte zuckt zusammen, wie bei einem gut gesetzten Leberhaken. Noch mal nachtreten: „Der Anpressdruck ist ab 270 so hoch, dass der Wagen theoretisch an der Decke fahren könnte.“ ...acht, neun, aus! Knock-out. Zufrieden weidet sich der Sieger an der zerknirschten Miene des Halbwissenden, bezahlt bei Ömer seine Pizza und verlässt entspannt den Ort seines Triumphs. Damit Sie bei entsprechenden Duellen ebenso souveräne Siege verbuchen können, haben wir elf Asse für Sie zusammengetragen. Extrem schnell, extrem teuer, extrem klein, in ca. zehn Minuten sind Sie extrem gut informiert. Vorhang auf!

Der schnellste deutsche Seriensportwagen: Immer ein Gewinner, weil ihn (fast) niemand kennt: der Gumpert Apollo. Ein Auto, das vom Namen her auch ein Kompaktstaubsauger aus DDR-Produktion sein könnte, muss schon etwas ganz Besonderes bieten, um in der Liga der Supersportwagen mitspielen zu dürfen. Einen V8-Biturbo mit bis zu 800 PS zum Beispiel. Der treibt die vom ehemaligen Audi-Motorsport-Chef Roland Gumpert im thüringischen Altenburg hergestellte Flunder in drei Sekunden auf 100 km/h und ermöglicht eine Spitzengeschwindigkeit von 360 km/h. Das nötigte selbst Rallye-Urgestein Walter Röhrl nach einer Testfahrt ein respektvolles „Sehr beeindruckend, um nicht zu sagen: Angst einflößend“ ab. Schluck. Gumpert Apollo Motor: 4,2 l-V8-Biturbo V max: 360 km/h 0 – 100: 3 Sekunden Preis: 239.500 Euro

Der schnellste Seriensportwagen: Was ist über ihn nicht schon alles geschrieben worden: blaues Wunder, egomanisches Prestigeprojekt von Ferdinand Piëch, Volkswagen für Ölscheichs. Wie auch immer, wer sehr schnell und sehr teuer unterwegs sein will, kommt am Bugatti Veyron nicht vorbei. Mit genau 1.001 PS aus einem 16-ZylinderTriebwerk mit vier (!) Abgasturboladern braucht der Veyron für den Spurt auf von 0 auf 300 km/h in etwa so lange wie ein Mercedes SL zum Öffnen des elektrischen Verdecks: 16 Sekunden. Die Spitzengeschwindigkeit von 407 km/h sollte man allerdings nur maximal 15 Minuten auskosten, darüber hinaus garantiert der Reifenhersteller für nichts mehr. Was nicht weiter schlimm ist. Der Tank wäre sowieso nach zwölf Minuten leer. Bugatti Veyron Motor: 16-Zylinder-W V max: 407 km/h 0 – 100: 2,5 Sekunden Preis: 1,3 Millionen Euro

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Das schnellste straßenzugelassene Auto: Nein, wir reden hier nicht über solch profane Dinge wie Endgeschwindigkeit. Das können die hochgezüchteten Laborprodukte aus italienischer oder schwäbischer Produktion gerne unter sich ausmachen. Hier geht es um Beschleunigung. Und da zieht eben nur einer so richtig die Wurst vom Teller: der 72er Voxel Victor von Andy Frost aus dem englischen Wolverhampton. Was im Großbritannien der siebziger Jahre als gutbürgerliche Familienlimousine verkauft wurde, ist nach Implantierung eines 9,3-Liter-V8 mit sage und schreibe 2.200 PS zum Großmeister des zügigen Ampelstarts mutiert. Zum Vergleich: Für die Viertelmeile braucht ein Bugatti Veyron 11,5 Sekunden. Der Brite schaffts in 7,8. 72er Voxel victor Motor: V8 V max: zu viel 0 – 100: 1 Sekunde Preis: ca. 100.000 Pfund Der schnellste serienmäßige Pick-up: Natürlich haben auch unsere amerikanischen Freunde ihren Beitrag zum Club der Superlative zu leisten. Es gelingt ihnen souverän in ihrer ureigenen Domäne der übermotorisierten Kleinlaster, Pick-up Trucks genannt. Der Dodge RAM SRT-10 sieht aus, als wäre er zum Zwecke der psychologischen Kriegsführung konzipiert worden. Mächtiges Spoilerwerk hängt unter einem monströsen Kühlergrill, hinter dem die 10-Zylinder-V-Maschine aus der Dodge Viper auf ihren Einsatz wartet. Mit 8,3 Liter Hubraum, 506 PS und 730 Nm Drehmoment. Dass sich die Karosserie der Farmerrakete bei dieser Geschwindigkeit anhört, als wäre man auf einer irakischen Panzer­ straße unterwegs, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Dafür kostet der Plastikbomber auch nur vergleichsweise bescheidene 63.950 Euro. Dodge RAM SRT-10 Motor: V10 V max: 248 km/h 0 – 100: 5,2 Sekunden Preis: 63.950 Euro

Die schnellste Limousine:

Die meisten großkalibrigen Limousinen riegeln bei 250 km/h ab. Da hat der Brabus Rocket noch ein bisschen Luft nach oben. Schluss ist für den auf Basis des Mercedes CLS produzierten Familienrenner theoretisch nämlich erst bei 362 km/h, sein unglaubliches maximales Drehmoment von 1.100 Newtonmetern erreicht das 730 PS starke Triebwerk bereits bei lächerlichen 2.000 Umdrehungen. Weil es aber noch keine passenden Reifen für die eigentlich mögliche Höchstgeschwindigkeit gibt, wird auch dieser Mercedes elektronisch abgeriegelt: bei moderaten 350 km/h. Brabus Rocket Motor: V12 V max: 362 km/h 0 – 100: 4 Sekunden Preis: 348.000 Euro Das schnellste SUV: 250 km/h schaffen mittlerweile selbst japanische BeamtenAllradler mit mausgrauer Alcantara-Innenausstattung. 300 schafft nur einer: der Sportec SP600M auf Basis des Porsche Cayenne Turbo. Diesen Geschwindigkeitsbereich, der sonst nur schnittigen Supersportwagen vorbehalten ist, erreicht der Über-Cayenne mithilfe eines 700-PS-Aggregats und eines speziell für den SP600M konstruierten Fahrwerks. Damit sind zwar keine spektakulären Geländeausritte mehr drin, aber für ein paar saubere Drifts auf dem Golfclub-Parkplatz reichts allemal. Sportec SP600M Motor: V8-Biturbo V max: 308 km/h 0 – 100: 4,2 Sekunden Preis: 178.000 Euro

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Das flachste Auto: Nicht allzu hoch hinauswollen und trotzdem vorwärtskommen. Mit dieser durchaus bescheidenen Einstellung hat sich der Brite Perry Watkins ans Werk gemacht und den „Lowlife“ auf Basis eines Austin Mini konstruiert. Bei einer Höhe von gerade einmal 60 Zentimetern kann das rasende Bobby-Car mehrere Personen transportieren, um sie dann mit dem Gesicht an den Kniescheiben erstaunter Fußgänger vorbeizufahren. Um den Look perfekt zu machen, sollten sich die Passagiere allerdings vorher die passende PlaymobilmännchenFrisur zulegen. Lowlife Motor: 4-Zylinder-Reihenmotor V max: 120 km/h 0 – 100: 18 Sekunden Preis: unverkäuflich

Das kleinste Auto: Ein VW Lupo ist klein. Der alte Mini war kleiner. Die BMW Isetta war noch kleiner. Aber neben einem Peel P50 erscheinen selbst diese Winzlinge als bedrohlich große Giganten. Der 1962 von der Manx Peel Engineering Company hergestellte Kleinstwagen ist bei einer Höhe von 120 Zentimetern nämlich gerade mal 134 Zentimeter lang und 99 Zentimeter breit. Mit seinem 50-ccm-Zweitaktmotor erreicht das dreirädrige Unikum eine Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass die Knautschzone des Wagens sich auf die eigenen Knie beschränkt. Und sollte man trotz der bescheidenen Abmessungen doch einmal keinen Parkplatz finden, dann nimmt man den P50 einfach mit. Er ist so leicht, dass man ihn bequem an einem Ende anheben und trolleymäßig hinter sich herziehen kann. Peel P50 Motor: Zweitakt-Mofamotor V max: 35 km/h 0 – 100: Hängt davon ab, wie viel man gefrühstückt hat Preis: 198 Pfund (1962)

Das durstigste Auto: Natürlich, es gibt sicher irgendwelche getunten V8-Monster aus Detroiter Produktion, die noch mehr Sprit durch die Leitungen gurgeln lassen. Aber hier handelt es sich nicht um einen Dragster, sondern um das Serienprodukt eines deutschen Sportwagenherstellers: Der Porsche Cayenne Turbo hat es bei einem Extrem-Verbrauchstest geschafft, bei konstant 270 km/h die sagenhafte Menge von 66,7 Liter Super auf 100 Kilometer zu vernaschen. Da war der Carrera S deutlich genügsamer. Der gab sich bei 293 Stundenkilometern mit lediglich 37 Litern zufrieden. Geht doch. Porsche Cayenne Turbo Motor: V8-Turbo V max: 275 km/h 0 – 100: 5,1 Sekunden Preis: 108.617 Euro

Das teuerste Serienfahrzeug: Klar, Liebherr baut einen Radlader in Serie, der mit 3,5 Millionen Euro noch ein ganzes Stückchen teurer ist, als es der Mercedes CLK GTR seinerzeit war. Aber im Jahr 1998 waren 3.074.000 Deutsche Mark, inklusive Mehrwertsteuer, auch kein Pappenstiel. Zumal man dafür nicht viel mehr als einen Überrollkäfig bekam – gut, der war von einer Karosserie aus Kohlefaser umgeben – und einen Motor. Aber was für einen: Der V12 mit 6,9 Liter Hubraum und 612 PS war schon vor knapp zehn Jahren für 320 km/h Spitze gut. Die waren auch im 2002 aufgelegten Roadster drin, von dem eine Kleinstserie mit ganzen fünf Exemplaren gebaut wurde. Mercedes CLK GTR Motor: V12 V max: 320 km/h 0 – 100: 3,7 Sekunden Preis:  1,5 Millionen Euro (gebraucht)

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8.000 Das teuerste Auto der Welt: Hier gibts noch was fürs Geld. Das teuerste Auto der Welt ist nämlich gleichzeitig auch der längste jemals gebaute PKW der Welt. Der Bugatti 41 Royale von 1926 misst von Stoßstange zu Stoßstange majestätische 6,70 Meter. Wegen der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise und des schon damals aberwitzigen Preises wurden von dem von Ettore Bugattis Sohn Jean konstruierten Automobil nur sechs Exemplare gebaut. Das allerdings in einer solch hervorragenden Qualität, dass noch heute alle Fahrzeuge existieren. Ganz nebenbei hält der Royale noch einen anderen Rekord: den des größten jemals in einem PKW verbauten Motors. Der Reihen-Achtzylinder ist eineinhalb Meter lang, hat irrwitzige 12,7 Liter Hubraum und wird mit 48 Liter Wasser gekühlt. Halleluja! Bugatti 41 Royale Motor: 8-Zylinder-24-Ventil-Reihenmotor V max: 200 km/h 0 – 100: unwichtig Preis: 8 Millionen Euro (Auktionspreis)

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0.000 EURO Schrift: Memphis LT Extrabold (www.linotype.com).

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Deluxe  Der Hamburger Rap-Star Samy Deluxe ist in der Zwickmühle. Einerseits ist er ein hoch respektierter Hip-Hop-Artist, andererseits ist er den Underground Headz schon zu kommerziell. Einerseits rappt er, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, andererseits will sein Sohn nicht, dass er „Scheiße“ sagt. Wir haben mit Mr. Deluxe über zu große und zu enge Hosen gesprochen, über eleganten Zeilenfall und schlecht gereimte Kinderbücher sowie über seine aktuellen Projekte: den Verein für Jugendarbeit „Crossover“ und das neue Album von Dynamite Deluxe „TNT“, das Anfang 2008 erscheint. Von Sabine Manecke (Interview)

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FELD hommes: Laut eigener Auskunft trägst du Konfektionsgröße XXXXXXXL. Dein Künstlername Deluxe ist auch nicht gerade bescheiden. Muss bei Hip-Hop immer alles gleich so groß sein? Samy Deluxe: Die Hemdengröße hab ich von 7- oder 6XL auf Doppel-XL reduziert. Bei den Hosen bin ich noch nicht bereit, den Schritt zu machen. Aber ich war schon immer gerne gemüt­ lich gekleidet. Als Kind war ich ein bisschen pummeliger und hab eh nie in diese 501-Hosen gepasst. Weite Stoffhosen oder früher auch Jogginghosen waren immer mein Style. Bevor es diesen ganzen Baggy-Kram hier gab, bin ich regelmäßig für neue Klamotten in die Staaten geflogen. Ich hab mich von vielen Dogmen gelöst, aber bei einer Sache bin ich geblieben: Ich finde, ein Rapper muss aussehen wie ein Rapper. Der muss was Lockeres, Cooles haben. Wenn ein Rapper eine enge Hose anhat, dann kann das der lyrisch begabteste Mensch der Welt sein, dann ist der für mich trotzdem kein Rapper, sondern ein BWL-Student. Aber die ersten Rapper waren doch ganz slicke Typen. Grandmaster Flash trug am Anfang sehr enge Lederhosen. Der Style ist erst später aus so ’ner Haltung entstanden, ich will morgens aus der Tür gehen und mir keine Gedanken über meine Klamotten machen. Und die hängenden Jeans kommen angeblich daher, dass die Typen im Gefängnis keine Gürtel haben durften 58

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und keine Schnürsenkel, deswegen die ungeschnürten Basketball-Boots. Aber ich finde es merkwürdig, dass die Leute sich so daran hochziehen. Neulich stand am Flughafen wieder ein älteres deutsches Paar hinter mir und hat so laut über mich geredet, dass ich es mitkriegen musste. „He, die Hose ist ja viel zu groß.“ So geh ich überhaupt nicht durch die Welt. Meiner Meinung nach tragen die meisten Leute viel zu enge Hosen. Aber ich würde sie nie deswegen vor den Kopf stoßen und sagen: „Sag mal, bei deiner Hose, da ist der Stoff richtig in deiner Arschritze drin, ist das bequem?“ Das würde ich vielleicht auch gern mal fragen, aber ich mach’s einfach nicht. Die „Nummer zu groß“ bei Hip-Hop kommt aber auch daher, dass jeder immer der Heißeste, der Schnellste, der Geilste, der Härteste sein will. Muss das so sein? Ja klar, das ist ja die Motivation für junge Leute, Hip-Hop zu machen, sich aus der Masse abzuheben. Ich weiß nicht so genau, wie das heute ist, mit dem ganzen Internetwahnsinn. Aber ich war damals ein sehr unbewusster, kleiner Junge, ich wusste nicht, ob ich weiß oder schwarz bin. Ich war zu dunkel, um mich als normal zu empfinden, aber ich hatte auch keine schwarzen Leute in der Umgebung, um mir ein Feedback zu holen, ob ich jetzt zu denen gehöre. Ich bin ja nur mit weißen Leuten aufgewachsen. Hip-Hop war für mich die Rettung, weil ich da plötzlich viel besser reingepasst hab als all meine weißen Freunde. Bei meinem Sohn ist das noch krasser. Der ist dunkler als ich, und


seine Helden sind Harry Potter und die ganzen Comicfiguren. Da ist original kein einziger Schwarzer darunter. Es gibt keinen schwarzen Superhelden. Bei mir damals war das eben auch so. Es gab keinen schwarzen Deutschen, wo ich hätte sagen können, so wie der will ich auch mal werden. Und als ich angefangen hab, da waren wir ja eine ganz kleine Gruppe, da hab ich nicht vor Tausenden gestanden und hab gesagt, ich bin der beste Rapper Deutschlands. Ich wollte mich nur von einer kleinen Gruppe abheben und nicht sagen, dass ich der beste Mensch überhaupt bin. Es gibt in jeder Musikrichtung eine Grundstruktur, wie Texte geschrieben werden. Das ist im Rock so und im Jazz und eben auch im Rap. Da funktioniert das eben so, wenn man nicht gerade über ein bestimmtes Thema redet, dass man eine Punchline schreibt, die vom Reim her funktioniert, von der Metapher, vom Sinnbild, und die bei den Leuten was hervorruft. Das sind eben oft Zeilen, in denen man beschreibt, was man besonders gut kann und was der andere besonders schlecht kann. Das kommt aus der Battle-Tradition, da stehen sich zwei Rapper gegenüber und freestylen.

Der eine sagt: „was hast ’n du fürn Outfit“, dann sagt der andere: „O.k., mein Outfit, aber dein Frisör“, und so weiter. Darf man denn auch verlieren? Oder ist es in Rap-Texten nicht so angesagt, Schwächen einzugestehen? Das ist so ein Grund­ image von Rap. So wie man im Rock auch den Grundeindruck hat, dass die Leute auf ihren Gitarren rumschrammeln und schreien, wie scheiße das Leben ist. Obwohl es auch schöne Balladen und Liebeslieder gibt. Wenn man genau hinschaut, egal bei welcher Kunstform, sieht man, dass es überall eine gleich große Vielfalt gibt. Aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten, oder? Im Pop singt schon mal eher jemand davon, dass er etwas nicht kann  … Nee, das würde ich nicht durchgehen lassen. Darauf basiert Rap auf jeden Fall. Der Schmerz von anderen Leuten aus RapSongs hat mir geholfen, über meinen eigenen Schmerz hinwegzukommen. Wir haben ja viel mehr Worte zur Verfügung als andere. Die meisten Leute hören sich das nur einfach nicht an. Rap ist wie Bücher lesen. Das kann im Pop schon auch mal sein, aber da gibt es halt sechs Zeilen pro Lied, und fertig.

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Rap ist nicht nur, aber auch eine sehr reflektierte Darstellung der Realität. Wie Leute aufwachsen, wie sie leben, und zwar viel detaillierter als jeder Pop-Text. Den Detailreichtum kriegt man natürlich nicht mit, wenn man von MTV immer nur das sehr eindimensionale Bild von Rap vor die Nase gesetzt bekommt. Aber das finden nicht nur Leute von außerhalb wie du scheiße, sondern auch die aktiven Leute im Hip-Hop-Geschehen, die eben nicht in jedem Song von nackten Frauen und dicken Autos rappen. In deinen Texten thematisierst du oft, wie es ist, als Schwarzer in einem latent rassistischen Land aufzuwachsen und zu leben. Hamburg ist generell eine gute Ecke. Wenn ich in MecklenburgVorpommern aufgewachsen wäre, hätte ich definitiv andere Storys zu erzählen. Ich will auch nicht, dass jemand das in den falschen Hals kriegt. Ich bin nie von Skinhead-Horden gejagt worden. Aber es ist auch eine Herausforderung, in einem weißen Mittelschichtviertel groß zu werden. Wir waren die Einzigen in der Gegend, die kein Geld hatten. Meine Freunde um mich herum hatten immer die neuesten Fahrräder, die neuesten Jacken. Jungs in Steilshoop (Wohngroßsiedlung im Hamburger Norden, Anm. d. Red.) haben Sachen erlebt, die ich nicht erlebt habe, ganz klar, aber die hatten dafür zumindest ein kollektives Gefühl, alle sind arm und so. Ich war der Einzige ohne Geld und der einzige braune Junge. Hast du dich denn jemals auf die Suche nach deinen Wurzeln begeben? Ich war einmal 1994 im Sudan, habe drei Wochen bei meinem Vater verbracht, bin zurückgeflogen und hab ihn nie wieder gesehen. Er meldet sich nicht bei mir. Meine Wurzeln hatte ich aber schon vorher gefunden, weil ich mich meine ganze Jugend lang damit auseinandergesetzt hab, schwarz zu sein, meine Identität zu finden, und dann ja irgendwann Hip-Hop gefunden hab. Ich hab so viele schwarze, amerikanische Literatur gelesen, dass ich, als ich im Sudan war, im Kopf viel mehr Amerikaner war als ein deutscher Afrikaner, der auf der Suche nach seinen Wurzeln ist. Wenn du im Fernsehen auftrittst, außer vielleicht bei Sabine Christiansen, dann musst du immer irgendwas vormachen. Beatboxing, Freestyle, Battlen. Das müssen die andern nicht. 60

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Kein Jazzer muss erst mal auf der Trompete zeigen, wie Improvisieren geht. Fühlst du dich da manchmal vorgeführt, sozusagen Rap als Zirkusnummer? Das ist doch auch ein Vorteil. Ich sehe nicht, dass die aus mir einen Clown machen wollen. Was Hip-Hop so einzigartig und cool macht, ist, dass du es wirklich spontan und ohne ein Instrument machen kannst. Ich brauch nicht mal einen fertigen Text, und das ist außergewöhnlich im Vergleich zu anderer Musik. Die Pop-Künstler gehen heutzutage ins Studio, die Platte ist schon fertig, und die singen nur noch die Songs ein. Dagegen ist es natürlich erfrischend für die Leute, wenn ich was vormache. Das beeindruckt die Öffentlichkeit. Ich fand das als kleiner Junge auch supercool, als ich den ersten deutschen Rapper in einer deutschen Talkshow beim Freestyle gesehen hab. Wie trainiert man Freestyle, hat man da einen Reimkatalog im Kopf? Die besten zehn Reime, die immer passen? Ich hab 1992 auf einem Hip-Hop-Jam MC René gesehen, der konnte spontan alles in seine Reime aufnehmen, was er gesehen hat. Ich hab gedacht: Das kann ich niemals lernen. Aber ich hab’s trotzdem einfach gemacht. Ohne Reimlexikon natürlich, dann wären die Reime ja vorgefertigt von anderen Leuten. Ist es trotzdem so, dass man die Reime irgendwann wie gelernt abrufen kann und damit immer besser wird? Klar. Dadurch, dass ich das jetzt seit 15 Jahren mache, hab ich fast für jede Zeile einen passenden Reim. Außer es kommt ein ganz merkwürdiges Wort. So wie „fünf“, auf das sich einfach nichts reimt. Mit der Zeit hat man ein großes Repertoire. Wenn’s gut läuft, dann hör ich mir selbst zu und bin einfach überrascht. Bei mir ist das Reimniveau auch dann nicht „Haus“ auf „Klaus“ auf „Maus“, sondern dreisilbige, viersilbige Reime, die einfach stimmen. Machst du dir über das Reimschema und Versmaß so richtig akademisch Gedanken? Das war jetzt ein Daktylus, ein Trochäus wäre aber noch schöner? So denkt man als Rapper nicht, bei uns geht’s eigentlich nur um die Anzahl der Silben. Wir nennen es Doppelreim, nicht wenn sich zwei Silben reimen, sondern wenn es sich richtig perfekt reimt. So drei oder vier Silben. Taktmaß sind meistens 16 Takte, das ist eine Standardstrophe. Man braucht also nur 16 Takte und ein paar Doppelreime. Und den Flow. Das ist es.


Da wird man doch mit der Zeit sicher immer virtuoser. Man versucht sich natürlich immer mehr zu steigern und die Komplexität der Texte zu erhöhen, bis sich fast die ganze Zeile aufeinander reimt. Zum Beispiel so: „Alles Maskerade, kommt mir fast schon vor wie Karneval. Alles, was ich habe, ist mein Wagen und mein Gaspedal.“ Da reimen sich die ersten und die letzten fünf Silben, das macht es rhythmisch natürlich leichter. Oft, wenn ich meinem Sohn aus gereimten deutschen Kinderbüchern vorlese, dann ist da kein Flow drin. Du kannst es nicht so lesen, dass der Satz einfach rollt. Im Englischen gibt es dagegen Kinderbücher, zum Beispiel von Dr. Seuss, die kann ich fast rappen, so gut sind die. Rappen und Kinder. Du hast ein Projekt ins Leben gerufen namens „Crossover“. Was ist das genau? Das hab ich mit einer Freundin von mir, Julia von Dohnanyi, initiiert. Unsere Kinder sind befreundet, und irgendwann wollte Julia für ihren Sohn zum Geburtstag eine Party organisieren, und sie wusste nicht, wo. Für kleinere Kinder gibt es Indoor-Spielplätze, aber ein zehnjähriger will auf seiner Party nicht mehr mit seinen Freunden auf die Hüpfburg. So was fehlt in Hamburg, ein Jugendzentrum im großen Stil, ein kommerzieller Ding, aber mit sozialem Hintergrund. Die Kids zahlen einen Preis, um reinzukommen, und haben dann die Möglichkeit, Sport zu machen, Workshops von Breakdance bis Graffiti und Rap, aber auch so was wie Hausaufgabenhilfe. Dafür haben wir ein Konzept geschrieben und natürlich schnell festgestellt, dass das Millionen kostet.

Dann haben wir gemeinsam mit unserem Freund, dem Basketballer Marvin Willoughby, den Verein „Crossover“ gegründet, um die Inhalte schon mal zu praktizieren, bevor wir einen eigenen Laden aufmachen. Dafür haben wir Schulen aus verschiedenen Vierteln zusammengebracht, und ich hab im Rahmen des Deutschunterrichts mit Fünftklässlern aus „besseren“ und „schlechteren“ Schulen ein Rap-Lied gemacht. Der Workshop ging über zehn Wochen. Marvin hat in seinem Workshop mit den Kids Basketball gespielt, und zum Schluss gab es eine Ab­schieds­veranstaltung für alle. Jetzt machen wir die Workshops erst mal weiter, aber unser langfristiges Ziel ist es, hier in Hamburg was Großes hinzubauen. Dann ist das Konzept hoffentlich so gut strukturiert, dass es sich auch auf andere Städte übertragen lässt. Meine Idee ist, wenn ich es mit meinem supervollen Zeitplan schaffe, ein- bis zweimal die Woche was mit Kids zu machen, dann schaffen andere das auch. Ich glaube, dass viel mehr Leute Jugendarbeit machen würden, wenn es dafür eine vernünftige Plattform gäbe. Woher hattest du denn das Lehrmaterial für den Unterricht? Wie bringt man Kindern das Rappen bei? Julia und ich haben jedem eine Mappe gemacht mit 15 Zetteln. Da waren erst mal Reimbeispiele von mir drauf, damit die Kinder lernen, was ein Doppelreim ist. Da standen dann auch die ganzen Begriffe aus dem Deutschunterricht mit drauf, was für klassische Reimformen es gibt. Ich hoffe, die Kinder haben das gelernt, ich konnte mir’s nicht merken. Das Thema war „Deutschland“. Als Erstes sollten die Kids Begriffe nennen, die sie mit Deutschland assoziieren. Da kamen dann hauptsächlich Namen und Hero

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Marken raus. Knorr oder Haribo. Dann haben wir versucht, auf die Stich­wörter zu reimen, zum Beispiel bei Haribo nicht nur auf „o“, sondern auf alle Silben, also auf „Dadido“. Zum Schluss hab ich mit den Kids einen Song über Deutschland geschrieben, der musikalisch auf der Nationalhymne basiert. Freunde von mir haben dazu ein paar sehr schöne Beats gebastelt. Haben die Kinder bis zum Ende durchgehalten? Die Begeisterung ist während des Workshops eigentlich eher gewachsen. Vor allem die Mädels waren total fokussiert auf ihre Aufgabe. Klischee­mäßig ist Rap ja eher ein Jungsding, aber dieses ganze Cool-Getue, was die aufm Schulhof machen, das ist schlagartig weg, wenn Samy Deluxe kommt. Dann hampeln die meisten Jungs nur noch rum. Und auf die Mädels war ich superstolz, die haben im Rap ja quasi die Underdog-Rolle. Ich hab auch den Jungs gesagt, ihr müsst das ernst nehmen, was ihr macht, guckt mal auf die Mädchen. In Rap-Texten generell kehren bestimmte Begriffe immer wieder. Ich nenne mal ein paar, und du sagst was dazu  … „Respekt.“ Darum dreht sich heutzutage alles. Früher ging es darum, Respekt für deine eigene Leistung zu bekommen. Das war natürlich viel einfacher, weil die Szene so klein war. Da hat jeder sein Ding gemacht, Breakdance, Graffiti, DJ-ing und Rappen. Und wenn du was gut machst, gibt es dafür Respekt. Heute sind diese Sachen nicht mehr so angesagt, da wird Respekt für Statussymbole eingefordert oder weil einer die meisten Leute umhaut. Das ist jetzt keine Weisheit von mir, aber man darf Angst nicht mit Respekt verwechseln. Leute haben nicht Respekt vor dir, wenn sie dich nicht ansprechen, weil sie denken, du flippst sonst aus – sondern die haben Angst. „Credibility.“ Das heißt für mich einfach nur, dass jemand glaubhaft ist. Der kann von der Straße kommen und seine Story glaubhaft erzählen und am Ende vielleicht noch eine gute Message rüberbringen. So nach dem Motto: „Das war mein Weg, das muss aber nicht eurer sein.“ Das ist für mich komplett credible. Aber wenn sich jemand ein, zwei Mal in seinem Leben geprügelt hat und wie jeder Jugendliche ein paar Gramm Gras vertickt hat und der jetzt anfängt GangsterRapper zu werden, dann ist das nicht credible. Credibility heißt nicht, ein Gangsterimage zu haben, sondern echt zu sein. Und was ist das „Game“? Wenn man als Rapper „Game“ sagt, dann meint man die ganze Hip-Hop-Szene, das „Spiel“ und seine Position in dem Spiel und im Business, im Musikbusiness. Es geht immer um meinen Part im Game. Respekt, Credibility und Game sind sehr dehnbare Begriffe.

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Hat sich denn, seit du Vater geworden bist, deine Wortwahl geändert? Auf jeden Fall. Aber man kann immer noch nicht mit gutem Gewissen … (stockt) … man kann die Songs schon mit Kindern hören, die Aussagen sind kein Problem, aber manch­ mal die Worte. Meinem Sohn hab ich die aktuelle Platte vorgespielt, und er hat mir Feedback gegeben. „Den Song mag ich nicht, da sagst du – Scheiße.“ Einen Song mochte er wegen der Melodie, und bei einem Song, da sag ich im Refrain: „Es war nicht einfach, aus meinen Fehlern zu lernen, es war nicht einfach zu verstehen.“ Da hat er mir danach gesagt: „ In dem Song sagst du was Wahres.“ Ist denn Höflichkeit, auch in der Ausdrucksweise, eine Tugend, die man jungen Hip-Hop-Fans beibringen kann? Ich finde, das mit der Höflichkeit ist ein generelles Problem, das hat nichts mit Hip-Hop zu tun. Ich treffe ja schon viele Kids, und das Sprachniveau ist, seit ich in der Schule war, noch mal deutlich gesunken. In der Bahn hat jeder nur noch sein Handy oder seinen Walk­man am Ohr, keiner redet mehr miteinander. Und wenn sie reden, ist jedes zweite Wort ein Schimpfwort. Aber es müsste denen jemand auch was Besseres vormachen. Hip-Hop ist nicht die Wurzel allen Übels. Auch wenn dieser Style jetzt von Leuten aus der neuen Generation vorgemacht wird und kommerziell erfolgreich ist. Das inspiriert dann wieder die Kids. Aber da muss man nicht beim Hip-Hop ansetzen, wenn man was verändern will. Du lebst mittlerweile in einem bürgerlich braven Vorort von Hamburg. Gehst du da zum Elternabend, glotzen die Leute bei Edeka? Ich muss nachher zum Elternstammtisch. Es ist wie immer. Als Erwachsener genau wieder wie als Schüler. Es gibt immer noch die gleiche Verteilung, drei in der Klasse machen das Maul auf und trauen sich, vor Leuten zu reden, die Restlichen sind still. So war das jetzt auch wieder, und ich wurde zum Elternvertreter gewählt. Dass die Menschen mich anglotzen, damit komm ich klar. Das geht ja schon eine ganze Weile so. Meistens reagiere ich freundlich. Egal ob bei Edeka oder sonst wo.


Anfang 2008 gibt es eine neue Platte von Dynamite Deluxe. Die letzte ist schon sieben Jahre her. Was ist dazwischen passiert? Mit DJ Dynamite mache ich seit 1993 Musik. Unseren ersten Auftritt hatten wir 1995/96. Ein Jahr später kam Tropf noch dazu. 1997 haben wir unsere erste Demo rausgebracht und die erste Platte mit Eißfeld von den Beginnern, also Jan Delay, produziert, das war dann auch quasi die Gründung von Jans Label Eimsbush. Nach ein paar Platten wurden wir von einem Major-Label gesignt und haben dort 2000 unser Album „Ladies  &  Gentleman“ rausgebracht. Da hatten wir alle schon sieben Jahre miteinander auf dem Buckel. Danach hatte jeder Bock, auch mal eigene Projekte zu machen. Wir haben uns dann als Gruppe getrennt, aber bei unseren Solo-Projekten trotzdem zusammengearbeitet. Vor drei Jahren haben wir dann beschlossen, jetzt könnten wir mal wieder eine Platte als Dynamite Deluxe machen. Wann geht’s los? Am 11.1.2008 kommt die Single und am 25. 1. 2008 das Album. Die Single heißt „Dynamit“, das Album heißt „TNT“. Hast du eine Lieblingszeile? Es sind viele gute Zeilen auf dem Album. Aber es gibt eine Zeile aus einem Lied, das es nicht aufs Album geschafft hat, auf die ich sehr stolz bin. Als Rapper in Deutschland wird einem ja immer vorgeworfen, sobald man Geld verdient, ist man nicht mehr cool. Jeder wird unterstützt,

dass er mehr Geld kriegen soll. Die Arbeiter, wenn sie streiken und so. Aber die Musiker sollen o.k. damit sein, wenn alle ihre Songs downloaden und nichts dafür bezahlen. Und zu den Shows wollen sie nicht kommen, weil es ihnen zu teuer ist. Aber trotzdem wollen sie gute Musik von dir haben. Deshalb wollte ich in diesem Lied meinen Anspruch auf ein gutes Gehalt verteidigen. „Oh nein, Mann, ich bin nicht zu materialistisch, ich bin nur gut in Mathe und realistisch.“ Und das beste Sample? Wir machen viel mit meiner Stimme. Ich hab Stimmfrequenzen ausgepackt, die die Leute noch nicht so gehört haben. Ganz tief, dass es eher klingt wie eine Bassline. Und eine ganz hohe Kopfstimme, was ich auch noch keinen deutschen Rapper je hab machen hören. Es gibt auch wieder ein paar Reggae- und Dancehall-Stücke, das haben die Leute seit der letzten Dynamite-Deluxe-Platte nicht mehr von mir gehört. Auf jeden Fall ist das Album sehr vielseitig. Vorhin wolltest du doch wissen, ob Rapper sich auch manchmal eine Blöße geben. Das einzige Stück auf dem Album, das überhaupt was mit Frauen zu tun hat, handelt davon, dass ich was von ’ner Frau will und die mich abblitzen lässt. Und dass ich damit natürlich überhaupt nicht klarkomme, weil es sonst ja immer andersrum ist. Weil alle Frauen sonst immer Bock auf die Rapper haben (lacht). Samy Deluxe, danke für dieses Gespräch.

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Savoir

an der richtigen Stelle

Vereinigte Staaten  – Präsident George W. Bush – Präsidentschaftswahl – vierjährige Amtsperiode – 4. November 2008

Palau  – Präsident Tommy Esang Remengesau Junior – Parlamentswahl und Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – November 2008

Rumänien  – Präsident Traian Băsescu wurde am 18. April vom Parlament suspendiert, Seitdem vertritt ihn Nicolae Vacaroiu – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – 28. November 2008

Neuseeland  – Queen Elizabeth II. wird von Gouverneur General Anand Satyanand und Premierministerin Helen Clark vertreten – Parlamentswahl – dreijährige Amtsperiode – 15. November 2008

Slowenien  – Präsident Janez Drnovšek – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Oktober 2008

Grenada  – Queen Elizabeth II. wird von Gouverneur  Russland General Daniel Williams und Regierungschef Dr. Keith Claudius Mitchell vertreten – Präsident Vladimir Vladimirovich Putin – Parlamentswahl – fünjährige Amtsperiode – November 2008 – Präsidentschaftswahl – vierjährige Amtsperiode – 2. März 2008 Guinea   Simbabwe – Präsident Lansana Conté – Präsident Robert Gabriel Mugabe – Präsidentschaftswahl – siebenjährige Amtsperiode – Präsidentschaftswahl – sechsjährige Amtsperiode – März 2008 – Dezember 2008  Südafrika – Präsident Thabo Mbeki – Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – März 2008

Gibraltar – Queen EliZabeth II. wird von Gouverneur Sir Francis Richards sowie Regierungschef Peter Caruana vertreten – Parlamentswahl – vierjährige Amtsperiode – Februar 2008

Zypern – Präsident Tassos Papadopoulos – Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – Februar 2008

Armenien – Präsident Robert Kotscharjan – Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – Februar 2008

Färöer – Königin Margrethe II. von Dänemark wird durch Regierungschef Jóannes Eidesgaard vertreten – Parlamentswahl – vierjährige Amtsperiode – Januar 2008

Dschibuti  – Präsident Ismail Omar Guelleh – Parlamentswahl – sechsjährige Amtsperiode – Januar 2008

Tschechische Republik  – Präsident Václav Klaus – Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – Januar 2008

Von Sabine Manecke und Zhoi Hy (Auswahl)

Im Folgenden finden Sie eine Liste der Staaten, in denen 2008 gewählt wird, mit dem dazugehörigen aktuellen Staatsoberhaupt und/oder Chef der Regierung, der Wahlform, Amtsperiode und dem Wahldatum.

2008 ist Superwahljahr. In Russland wählen 142 Millionen Menschen den Nachfolger Vladimir Putins, und in den USA wählen 300 Millionen Amerikaner den Nachfolger von George W. Bush. In weiteren 35 Ländern treffen die Einwohner Entscheidungen an der Wahlurne, die ebenfalls nicht nur für ihr eigenes Land Bedeutung haben. Fast eine ¾ Milliarde Menschen dürfen im nächsten Jahr an die Urne. Wir hoffen, dass alle Stimmberechtigten von ihrem Recht zu wählen Gebrauch machen, dass sie das Glück haben, an freien und geheimen Wahlen teilnehmen zu können, und einen Kandidaten finden, für den sie das Kreuz an der richtigen Stelle machen wollen.

Das


savoir

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Schrift: Adobe Garamond (www.adobe.com)

* Bei Redaktionsschluss war von Regierungsseite wegen der Wahlen bereits der Ausnahmezustand verhängt. Der Wahltermin stand nicht definitiv fest.

Georgien* – Präsident Micheil Saakaschwili – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Januar 2008

Litauen – Präsident Valdas Adamkus – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Oktober 2008

Dominica – Präsident Nicholas J. O. Liverpool – Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – Oktober 2008

Aserbaidschan – Präsident Ilham Aliyev – Präsidentschaftswahl – fünfjährige Amtsperiode – Oktober 2008

– König Norodom Sihamoni und Premierminister Hun Sen – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Juli 2008

Belize – Queen Elizabeth II. wird von Gouverneur Sir Colville Young und Premierminister Said Musa vertreten – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – März 2008 Ghana  – Präsident  Paraguay John Agyekum – Präsident Nicanor Duarte Frutos Kufuor – Präsidentschaftswahl und Parlamentswahl – fünfjährige – Präsidentschaftswahl Amtsperiode – April 2008 – vierjährige Amtsperiode  Malta – Dezember 2008 – Präsident Edward Fenech Adami Montenegro  – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – April 2008 – Präsident Filip Vujanović Dominikanische Republik – Präsidentschaftswahl – fünfjährige – Präsident Leonel Fernández Reyna Amtsperiode – im Jahr 2008 – Präsidentschaftswahl – vierjährige Amtsperiode – Mai 2008 Malediven   Barbados – Präsident Maumoon Abdul Gayoom – Queen Elizabeth II. wird von Gouverneur General – Präsidentschaftswahl – fünfSir Clifford Straughn Husbands und jährige Amtsperiode – im Jahr 2008 Premierminister Owen Seymour Arthur vertreten Vanuatu  – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Mai 2008 – Präsident Kalkot Mataskelekele  Island – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – im Jahr 2008 – Präsident Ólafur Ragnar Grimsson Taiwan  – Präsidentschaftswahl – vierjährige Amtsperiode – Juni 2008 – Präsident Chen Shui-bian  Mongolei – Präsidentschaftswahl – vierjährige Amtsperiode – im Jahr 2008 – Präsident Nambaryn Enkhbayar Tonga  – Parlamentswahl – vierjährige Amtsperiode – Juni 2008 – König George Tupou V. und Premierminister Feleti Sevele  Bermuda – Parlamentswahl – dreijährige Amtsperiode – im Jahr 2008 – Queen Elizabeth II. wird von Gouverneur Sir John Vereker und Regierungschef Ewart Brown vertreten Pakistan* – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Juli 2008 – General Pervez Musharraf – Parlamentswahl – fünfjährige Amtsperiode – Januar 2008  Kambodscha

Spanien – König Juan Carlos I. und Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero – Parlamentswahl – vierjährige Amtsperiode – März 2008


Die X-Serie

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Models:  LCD-Fernseher der BRAVIA X 3500-Serie  Camcorder HDR-CX 6  Multimedia-PC VAIO VGX-XL302

Illustration: Alexandra Westphal (www.alexandrawestphal.com) Schrift: Memphis LT Bold (www.linotype.com) Konzept: Zhoi Hy und Oliver Griep

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Von Zhoi Hy (Redaktion & Text), Michael Benzinger, Uwe Jens Bermeitinger, Hans-Christian Bussert, Stefan Förster, Bertram Job, Oliver Köhler, Sabine Manecke, Jan Schlüter und Judith Stoletzky (Text)

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1. Bei Mama. Ach ja, die italienische Mama. Das Herz am rechten Fleck, 300 Jahre Erfahrung im Pastakochen, dick, trotzdem schön, und wenn sie einem eine schallert (weil man heimlich raucht), hört man die Englein singen. Nun ist es ein paar pfiffigen Gastronomen gelungen, „Mama“ zu klonen und jeweils eine pro Trattoria in die Küche zu stellen. Die erste Mama kocht in Hamburg (moderne italienische Küche), die nächste Mama soll bald folgen, und in Kürze ist Mama überall, wenn man sie braucht. Bravo. Trattoria Mama, Schauenburgerstr. 44 in der Hamburger Innenstadt. www.mama.eu 2. Männer kommen von der Venus. Ständig muss der 27-jährige freundliche Hamburger Musiker klarstellen, dass es keine beknackte Idee seines Managers war, sich mit Nachnamen Venus zu nennen, damit sich die Frauen nach ihm verzehren. Christian Venus heißt schon immer so, und den Manager wird’s nicht stören, weil die Frauen ihn wirklich toll finden. Das Geschenk für Ihre Freundin, wenn Sie sich wirklich sicher sind, dass sie Sie nicht für einen Besseren verlassen würde. Christian Venus, „3 Uhr morgens“, über www.christianvenus.de

3. Immer auf Ideallinie. Steve Martin lehrt uns in „My Blue Heaven“ als aalglatter Mafioso ein paar Tricks, um im Leben ganz nach oben zu kommen. Einer davon ist, immer völlig übertriebenes Trinkgeld zu geben. In fünf Jahren sind Sie Chef der Deutschen Bank. Das garantieren wir Ihnen, wenn Sie dem Kellner Ihres Lieblingslokals zu Weihnachten dieses Geschoss schenken. 405 PS bei 6.500 U/min und ein maximales Drehmoment von 500 Nm bei 3.500 U/min. Der neue Cayenne GTS über www.porsche.com 4. Kapitalistische Früherziehung. Bei der Erschließung neuer Konsumenten scheint den Globalkonzernen jedes Mittel recht, wie dieses Markenpuzzle für Kleinkinder beweist. Mit solchen simplen Tricks werden die übergewichtigen, sexsüchtigen Trendsetter der Zukunft programmiert. Ist das vielleicht was für Ihrem Patenkind? Branded Puzzle über www.atypyk.com 5. Radln ohne stramme Wadln. An dieser Stelle haben wir schon zahlreiche Zweiräder vorgestellt, mit denen man sportlich und elegant Wege zurücklegen kann. Dieses Fahrrad taugt für beides nicht. Dafür macht es 20 Sachen, ohne dass Sie in die Pedale treten müssen, und bringt Sie, voll aufgeladen, versteht sich, immerhin von Heidelberg nach Karlsruhe. Nur so zum Beispiel. Der Elektromotor ist irgendwo in dem dicken Rohr versteckt. Moderne DidgeridooBläser müssten ihre Freude daran haben. Alle Passanten auch. www.electrobike.com

5. 6. Sonnenblume. Wir schlagen vor, diesen wunderbar naturgelben Cardigan bei Ihrem nächsten Besuch im Van Gogh Museum, Amsterdam, zu tragen. Vielleicht zur Mittagszeit, da steht die Sonne am höchsten. Dazu ein lila Taschentuch, Sie wissen schon, wegen des Komplementärkontrasts. Bestimmt fragt Sie dann jemand, ob Sie die nächste Führung leiten. S.N.S. Cardigan über www.azitastore.com 7. Unterstempeln Sie hier. Andere Länder, andere Unterschriften. Japaner unterschreiben nicht mit Kugelschreiber oder Lippenstift, nein, sie haben einen persönlichen Stempel dabei, den sie beispielsweise zur Eröffnung eines neuen Bankkontos oder zur Unterzeichnung von Verträgen zücken. Pardon, zur Unterstempelung. Bei Ambassador Stamps lassen sich die Motive in Sekundenschnelle vom Stempel wechseln, zu bestellen über www.ambassador-stamps.com

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8. Passt! Da wird man Augen machen in den Warteschlangen an den Flughäfen, an den Überseequais und in den Einwanderungsbehörden, wenn Sie diesen handschuhweichen Reisepass-Überzieher aus allerfeinstem österreichischem Anilinleder hervorholen. Und wie wird man erst staunen, wenn er nach vielen Jahren dank seiner zurückhaltenden Oberflächenbehandlung mit natürlichen Wachsen so richtig schön mitgenommen aussieht. Und dann spielt es plötzlich keine Rolle mehr, woher man kommt, sondern nur noch, wer man ist. Passportpouch über www.workingclassheroes.eu 9. Besinnen Sie sich an den Feiertagen. Auf den Hügeln rund um Buchenwald wanderten einst Goethe und Eckermann. In seinem Roman über seine Erfahrungen in Buchenwald konfrontiert Jorge Semprun die große Weimarer Klassik mit der Realität des Konzentrationslagers. Goethe und Eckermann plaudern über Buchenwald und was in dem KZ so vor sich geht. Wie war sie möglich, die völlige Verrohung angesichts der Geschichte der Stadt? Darüber kann man an einem kalten Dezembermorgen mal wieder nachdenken. Jorge Semprún, „Was für ein schöner Sonntag“, Suhrkamp Verlag 10. Flotter Turnschuh. Bei Sneakers ist es wie mit Autos: Kaum getragen, sind sie nicht mal mehr ein Zehntel ihres Preises wert. Damit Sneakers immer wie neu aussehen, gibt’s jetzt das Putz-Set von Jason Markk, komplett mit Spezialbürste und -tuch. Und da sich die Tinktur zu 98 % aus natürlichen Bestandteilen zusammensetzt, kann man seine Sneakers ohne Bedenken jeden Tag wienern! Premium Sneaker Solution Set über www.jasonmarkk.com

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11. Amüsieren Sie sich an den Feiertagen. Sue Brown ist verlobt mit dem krankhaft eifersüchtigen Ronnie Fish. Das geht seiner dominanten Mutter, Lady Julia Fish, gegen den Strich. Ihr Bruder Galahad Threepwood versucht, die Wogen zu glätten. Dabei muss er sich mit schnüffelnden Detektiven, neidischen Nachbarn, intriganten Ladys, raffgierigen Verlegern und dicken, preisgekrönten Schweinen herumbalgen. P. G. Wodehouse ist in England sehr beliebt. Sein Humor ist so britisch, dass Hugh Grant dagegen spanisch wirkt. Wir empfehlen seine Romane zum Lesen, Vorlesen und zur allgemeinen Anhebung der Laune im Winter. P. G. Wodehouse, „Sein und Schwein“, Edition Epoca 12. Einmal volltanken. Hybrid-Geländewagen und Bio-Säfte: Aus den Ökos von einst sind die Organic Yuppies von heute geworden. Kein Wunder, dass sich Wild Bunch mit seiner exklusiven Cocktailbar vom Ambiente eines Reformhauses distanzieren will. Statt Umwelt-Engel werben die Herrschaften mit dem Gütesiegel „Wallpaper“. Na denn Prost. Vier schicke Säfte über www.wildbunchjuice.com

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13. 13. Stille Nacht. Das ist japanischer Purismus: Toshinori Kondos einziges Musikinstrument ist eine elektrische Trompete. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. „Silent Melodies“ über www.stilll.org


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16. 14. Hauseigener Zoo. Nach dem Tiger fragte man sich, was jetzt noch kommen soll. Dann kam der Panther, und jetzt ist der Leopard da. Was sich ein wenig nach einem Zoo anhört, sind die Namen der jeweiligen Apple-Betriebs­ systeme. Mit mehr als 300 neuen Features, wie dem neu entwickelten Finder, der den Austausch von Datei­en zwischen mehreren Macs erleich­ tert, oder dem Quick Look, das für Dateien eine schnelle Vorschau bietet, erleichtert es Ihren Alltag ungemein. Betriebssystem Mac OS X Leopard über www.apple.de 15. Verdorbene Ware. Die Musikerin Katie Jane Garside – in einer Liga mit Riot Grrrls wie Courtney Love und Kat Bjelland – hat über sechs Jahre hinweg improvisierte Stücke auf einem 4-Spur-Tonbandgerät zu Hause auf­ genommen. Das Ergebnis ist sehr ruhig und – wie sie selber sagt – sehr verdorben. Die bereits vergriffene limi­tierte Edition mit einer DVD, gefüllt mit ebenso verdor­benen Performances der Künst­lerin, ist offi­ziell nur noch in einer Schmalspur­version auf ihrer Webseite zu bekommen. „Lalleshwari/Lullabies in a Glass Wilderness“ über www.katiejanegarside.com

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16. Der letzte Zug nach nirgendwo. Es befällt uns eine gewisse Wehmut, wenn wir an die Zeit der monströsen Aschenbecher denken, die über­­all herumstanden. Am 1.1.2008 dann müssen wir alle ins außereuropäische Ausland fahren, um im öffentlichen Raum gemütlich Kette zu rauchen. Zum Beispiel nach Südafrika. Da gibt’s ohnehin die schönsten Fluppen. Yves Saint Laurent Luxury S, nur in Kapstadt zu beziehen. www.ysl.com 17. Es prickelt so schön, Teil 1. Seit 1729 wird offiziell im Hause Ruinart Champagner herge­stellt. Sie waren die Ersten, und sie werden nicht nur dafür unter Kennern besonders geschätzt. Wir empfehlen zum Fest diesen wunderbaren Bitzler, besonders schön zu der Ente von Meister Bocuse, das Rezept finden Sie in unserem per­fekten Luxus-Dinner. www.ruinart.com

19. 18. Mit dem Holzhammer. Die Gründer und Designer des Labels DSQUARED² sind die Zwillinge Dean und Dan Caten. Die beiden Kanadier fühlen sich ihrer Heimat sehr ver­­bun­den und haben deshalb ihr erstes Herren­ parfum HE WOOD genannt. Es duftet würzig und einfach, und ein paar ganz kräftige und schlichte Gemüter haben aus einem prächtigen kanadischen Baum (100 Meter hoch?) die Flakonumrandungen geaxt. Stark! HE WOOD von DSQUARED² in der Parfümerie, Infos über www.dsquared2.com 19. Am Puls der Zeit. Das ist ein flottes elek­tro­­­nisches Gerät, das, um den Arm geschnallt, die Zeit misst, Ihren Puls fühlt, Ihre gerade verbrennenden Kalorien zählt, Ihren iPod nano ansteuert, seine Benutzeroberfläche imitiert und in vier fein ausgesuchten Farbkombinationen erhältlich ist. Wir hoffen auf einen Hundehaufen­­sensor und Schweinehundbesieger und warten bis dahin mit dem Joggen. Nike Amp+ über www.nike.com

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25. 20. Golden Goal. Es war einmal das spielentscheidende Tor in der Verlängerung bei internationalen Begegnungen. Jetzt ist es der Schlenzer eines modisch virtuos agierenden Hobbykickers Richtung gegnerische Zone. Goldglänzende High-Top Sneakers von Common Projects über www.commonprojects.com 21. Sie haben da was im Tee! Sieht aus wie etwas, was angeschwemmt am Ufer liegt und in der Sonne vor sich hin gammelt, schmeckt aber vorzüglich und ist der Heißgetränktrend der Saison: Amarant-Teerosen. Die mittige Amarantblüte wird per Hand mit den besten großblättrigen Grüntees aus der Region Fujian umlegt und zusammengebunden. Die letzte Bestellannahme für Weihnachten ist übrigens der 20.12. 2007. Teerosen über www.seasonstea.com

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22. „Geh mir aus der Sonne!“ Mit diesem Ausspruch wurde Diogenes zur zeitlosen Reflexionsfigur eines von Bedürfnislosigkeit geprägten Lebens. Tun Sie’s ihm nach. Weg mit Digitalwecker und Funkarmbanduhr, Handy und Weltuhrbildschirmschoner. Diese elegant geschnitzte Sonnenuhr gibt Ihnen ein Gefühl für Zeit. Das muss genügen. Also. www.vinta.jp 23. Rauchzeichen. Man sollte die Hinwendung jüngerer Stadtbewohner zur Wasserpfeife des Muselmanns wirklich nicht mehr als den allerneuesten Trend vermelden. Neu ist allerdings dieses hochwertige Heimgerät. Das 40 Zentimeter hohe Modell von Narghile ist aus feinstem, blattgoldveredeltem Material mit einem Brenner aus Hightech-Keramik. Solider und eleganter dampft gegenwärtig keiner, ihr Pfeifen! Narghile über www.airdiem.com

24. Die erste goldene Platte. Nein, Sie müssen von Ihrem ersten Hit nicht 10.000 verkaufen, um sich eine LaCie Golden Disc zu verdienen. Sie müssen nichts weiter tun, als sich diesen kühnen Entwurf von Ora-Ito anzuschaffen, um 10.000 legal heruntergeladene Hits darauf zu speichern. Goldene externe Festplatte, 500 GB, über www.lacie.com 25. Für Mutti. Was Flottes für die Küche ist ein Klassiker unter den Präsenten unterm Weihnachtsbaum. Bei dieser Kücheneinrichtung von Poggenpohl und Porsche besteht auch keine Gefahr, dass Mutti beleidigt sein könnte. Küche mit modular gestaltbarem Aluminiumrahmen, integrierter Beleuchtung und ultrafuturistischem Design über www.porsche-design.com


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29. 26. Das ist die Pariser Luft. Das Schlimme am Verreisen ist, dass man nie das wahre Lebensgefühl des anderen Landes mit nach Hause bringen kann. Mit diesen exquisiten, aber auch wirklich witzigen Wandaufklebern von Paristic kommen Pariser Métro-Schilder und Straßenlaternen direkt ins Wohnzimmer. Wenn nur nicht draußen so viel Deutschland wäre. Vinyl muraux de décoration über www.paristic.fr 27. Sieben auf einen Streich. 7 Städte – 7 Artists – 7 Tracks – 7 Shirts: 7 Levi’s-designte Shirts von 7 DJs! Die Munk-Jungs sind eine zweiköpfige Hipster-Hydra, die mit ihrem futuristischen Sound zwischen Italdisco, Cosmic Funk und Yeah Yeah inzwischen wohl alle führenden Clubs dieses Planeten bespielt hat. Auf dem von Munk betriebenen Gommalabel geben sich Talent und Kult die Klinke in die Hand, und egal, ob’s Franz Ferdinand, Soulwax, DFA oder Ed Banger sind, man bucht und besucht sich gerne. Andere Designer sind: Ada, G. Rizo, Erobique, Fetisch, Gregor Tresher und Headman mit ihren selbst designten T-shirt-Styles. Alle Shirts über www.levisstore.com

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28. Zu Tisch! Nachdem es Hedi Slimane (nomen est omen) gelungen ist, die fleischlose Silhouette auch für den Mann zu etablieren (Lagerfeld hat sich in Slimanes Dior-Anzüglein hineingehungert), beschäftigt er sich in seiner Post-Dior-Ära mit der Verschlankung der Silhouette von Tisch und Stuhl. Slimanes Hâute-Menuiserie-Linie heisst F-System und besteht aus acht verschiedenen Möbeln in einer Auflage von je fünf, unlimitiert ist nur der Tisch F05. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte: Obwohl im Ausdruck archaisch, suggerieren sie dennoch industrielle Produktion, und das, obwohl Linien, Proportionen und Materialien (Ebenholz!) klassischer französischer Tischlertradition folgen. Ach, Hedi! www.hedislimane.com 29. Der muss es wissen: „Jeder normale Mensch sollte einen guten Koffer besitzen. Und Cendrars lesen“, sagt Philippe Djian, der wilde Franzose unter den Schriftstellern. Unser Vorschlag, um zumindest die erste Bedingung zu erfüllen, ist der Weekender von Commonprojects. www.commonprojects.com

31. 30. Haste mal Feuer. Die Designer von Citizen: Citizen fürchten sich vor keinem Tabubruch und greifen nach den ganz Großen. Das Chanel-Logo muss für diese 3-Dollar-Streichholzschachtel herhalten. Dahinter verbirgt sich nicht nur Kritik an den globalen Markenstrategien, sondern subversiver, anarchistischer Humor. Lachen Sie mit. www.citizen-citizen.com 31. Rau ist die See. Nachdem im G-Star RAW Cross Over Concept bereits ein Defender nach den unverwechselbaren Stil- und Design-Gesetzen von G-Star RAW gestaltet wurde, war ein Wasserfahrzeug dran. Im Hafen von Amsterdam liegt die RAW Ferry 01, eine 80 Jahre alte Fähre. Nachdem sie den G-Star RAW Konverter passiert hat, ist sie jetzt so gemütlich wie ein Kriegsschiff. Man kann sie mieten, um mit ihr durch die Grachten zu pflügen, an Bord Sitzungen abzuhalten oder Partys zu feiern, und dabei das brutal gute Gefühl genießen, mit bis zu 25 rauen Kerlen, egal welchen Geschlechts, im selben Boot zu sitzen. www.g-star.com und www.water-taxi.nl

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34. 32. Ei im Glas. Wenn Sie ein Vollbad bisher für was Schönes gehalten haben, dann belehrt Sie diese Wanne eines Besseren. Zugegebenermaßen sieht so ein frei stehendes Aquarium mit Holz­ applikationen eleganter aus als eine Einbauwanne. Aber wenn Sie das Ding volllaufen lassen und sich reinsetzen, dann würde uns mal interessieren, wie der Betrachter von außen darüber denkt. Glas wirkt ja bekanntlich wie eine Lupe. Badewanne Milo von www.gruppotres.it 33. Muss man gesehen haben. Das Auge isst bekanntlich mit. Bei der vom Turiner SchokoladenManufacteur Gertosio und dem Architekturund Designbüro Jjuice hergestellten Schokoladen­kollektion Lagrange 34 vermutlich sogar ziemlich lange. Die an modernistische Skulpturen erinnern­ den Süßwaren sind einfach zu schön zum Essen. Was eigentlich schade ist, denn sie schmecken ausgezeichnet. Kleiner Tipp für den vollkommen inszenierten Genuss: die Schoki mit ins Museum nehmen, ansprechend platzieren und eine Weile von den anderen Besuchern bewundern lassen. Dann: essen. www.lagrangechocolate.com

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34. Bube, Dame, König, Louis. Man erfährt über einen Menschen während einer Stunde Spielen mehr als im Laufe von Gesprächen innerhalb eines ganzen Jahres. Das hat die FELD hommes Mau-Mau-Studie ergeben. Wir danken Louis Vuitton für die Unterstützung. Spielkarten über www.louisvuitton.com 35. Gut gerüstet. Wussten Sie, dass der Trenchcoat früher eine Standardausrüstung der briti­ schen Armee war? Denn im wörtlichen Sinn ist er ein „Mantel für Schützengräben“ aus dem Ersten Weltkrieg. Um sich durch den Großstadtdschungel zu kämpfen, schlagen wir Ihnen den Coat vom schwedischen Label Rickard Lindqvist vor. Zu beziehen über www.rickardlindqvist.se 36. Der sieht ja schrecklich aus. Schön sein kann heutzutage jeder. Entweder von Natur aus oder mithilfe der Chirurgie oder weil er einen wunderbaren Charakter hat und so ein äußerliches Manko vergessen macht. Es gibt aber auch fantastisch hässliche Menschen. Umberto Eco hat ein Panop­ tikum mit Prachtexemplaren zusammengestellt, dass es einem den Atem verschlägt. Hinterher wünscht man sich „Deutschland sucht das MegaMonster“, und Bohlen ist der erste Kandidat. Umberto Eco, „Die Geschichte der Hässlichkeit“, Hanser Verlag

37. 37. Holz vor der Hüttn. Dass die Schweizer außer Raclette, einem exklusiven Finanzwesen und viel Schnee noch einiges mehr zu bieten haben, wird einem spätestens nach dem ersten Kontakt mit diesem wirklich außergewöhn­li­chen Wintersportgerät klar. Die in Handarbeit und aus besten Materialien hergestellten Skier und Snowboards des Herstellers Schuetz Sports unterscheiden sich von herkömmlichen Brettern nicht nur durch ihr perfektes Handling, son­dern vor allem durch ihre puristische Optik. Statt Kunst­stoff und bizzarer Typo-Explosionen kommt bei Schuetz nämlich nur Echtholz auf die Latten. Im Falle des Niro-D feinstes Mahagoni. Ein Ski fürs Leben. www.schuetz-sports.com


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42. 38. Danke, Frau Minogue! Dass du für unsere „X“-Ausgabe noch rechtzeitig dein, natürlich, zehntes Album hinbekommen hast. Hatten wir auch nicht anders erwartet, Profi, der du nun mal bist. Und nach vier Jahren war es ja höchste Zeit, eine neue Platte zu machen. Wir sind begeistert. www.kylie.de 39. Das Kind hat einen Bärenhunger! Gene­­ra­­tio­nen von Kindern haben ihre Graubrote (oh traurigstes Wort der Welt) an den Hund des Hauswarts verfüttert oder Verwesungsstudien unter Schulbänken durchgeführt. Die Jugend heute, gewohnt, in jeder Minute ihres Daseins unterhalten zu werden, lässt sich mit einem Pausenbrot in einer profanen Papiertüte sicher noch weniger abspeisen. Sie müssen die Stullen auf eine Weise verpacken, die mit perfiden tiefen­ psychologischen Methoden raubtierartigen Hunger erzeugt: Lunchboxen, vom preisge­­krön­ten Kinder­buchillustrator Stephen Savage gestal­tet. Sie haben kleine Griffe für kleine Hände, bewahren sicher Flüssiges und Festes. Sie sparen Hunderte von Papiertüten, und dank eines Reiß­ver­ schlusses machen die Tierchen sogar artig Platz. Munchlers Lunchbox über www.builtny.com 40. Es muss nicht immer Kaviar sein. Es kann auch mal Rogen aus dem Wildfang auf die Fest­ tafel. Also Bowfin-, Forellen- oder doch Hecht­ rogen. Obwohl der Lachsrogen auch ganz gut wäre. Kaviar-Perlen über www.aki-hamburg.de

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43. 41. Tschilp, tschilp. Wenn Sie Ihrem Kanarien­ vogel keinen Kollegen kaufen wollen, dann tragen Sie wenigstens regelmäßig diesen quietschgelben Kapuzensweater, damit sich Hansi nicht so alleine fühlt. Gelber Hoody über www.patriziapepe.com

44. Lesen lernen lehren. Wir alle halten mög­lichst Distanz zu Leuten, die „nix checken“ oder „nur dumm rumproleten“. Eine Möglichkeit. Man kann aber auch selbst mithelfen, Kinder und Jugendliche, die vom Start weg nicht ganz so piekfeine Chancen haben, von bildungsfern nach bildungsnah zu bringen. Indem man mit ihnen liest. Das macht sogar Spaß, weil Menschen, die gerne und gut lesen, nämlich stolze und angenehme Zeit­ genossen sind. Lesehilfeförderung über www.mentor-leselernhelfer.de

42. Davis ist Gott. Und „On the Corner“ war ein Killer-Album! Deswegen freuen wir uns über dieses fantastische Box-Set wie die Schneekönige. Optisch doppelt de luxe und dazu sehr viel Musik. In diesem Fall gleich 6 CDs mit trancigem Heroin-Jazz, danach war für Miles auch fünf Jahre Pause, zu heftig war der Style. www.milesdavis.com 43. Sie haben Post. Anstatt Wurfsendungen und Mahnungen gibt es auch noch gute Nachrich­ten aus Ihrem Briefkasten: T-Post. Einmal angemeldet, kriegen Sie alle sechs Wochen ein neues T-Shirt zugeschickt. Das Besondere sind die auf­gedruckten Nachrichten auf dem T-Shirt zu einer aktuellen Meldung aus aller Welt. Shirt-Abo über www.t-post.se

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45. Pyromanen-Glück. Es glüht, es funkelt, und dann macht es gewaltig kabumm! Ohhh und Ahhh, Ihre Freunde werden vor Neid heulen, wenn Sie Ihre Kracher-Tüte auspacken. Die großen Kugelbuketts mit 4-Kugel­bomben-Effekt erstrahlen bei Zündung in brillan­ten Farben oder in Gold- und Silbereffekten. Ohhhhh! Dragon & Tigers über www.pyroweb.de 46. Gegen den Wind. Der schwarze Windrunner mit rotem Reißverschluss von Nike Wood Wood hält den Wind von Ihrem Körper ab, zieht aber die Blicke auf sich. Das ist wichtig beim Joggen, Sie machen das ja schließlich nicht zum Spaß. Windrunner über www.nike.com 47. Es prickelt so schön, Teil 2. Aus dem Hause Legras kommen gelungene Blanc-de-BlancsCham­pagner aus Grand-Cru-Lagen. Der Brut Millésimé ist ausgelesen aus den besten Trauben eines hervorragenden Jahrgangs und wurde beim Concours Mondial de Bruxelles 2007 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Wir empfehlen den Muntermacher zur Trüffelsuppe in unserem perfekten Luxus-Dinner. Brut Millésimé über www.legras-et-haas.com

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51. 48. Zeig, was du hast! Mit der inoffiziellen Midnight Card von David Hasselhoff alias Michael Knight versprühen Sie gegenüber Ihren Geschäfts­ partnern Seriosität und die Frauen werden ihnen zu Füßen liegen. Zu peinlich? Na ja, dafür haben Sie für einen Moment die Lacher auf Ihrer Seite. Visitenkarte über www.orange32.com 49. Schneckenchecker auf dem Popelteppich. Alter, ich schieb Para, weil ich weder Trucker­ dusche noch Stornokarte emomäßig raller. Und das jetzt auf Französisch, Englisch, Spa­nisch und Deutsch. Die unerlässliche Über­ setzungshilfe für Gespräche mit den an den Feiertagen auf Besuch reincheckenden Jugendlichen. Das Wörterbuch der Jugendsprache 2008 über www.pons.de 50. Mer losse de Nos in Kölle! Die närrische Zeit hat angefangen, und unser Verkleidungsvorbild für diese Saison ist Kanye West und seine Posse. Schon wenn Sie sich vorstellen, gibt das ein riesiges Hallo: „Wat is dat denn?“ – „Isch bin de Kenny, äh, Kanje.“ Oder wissen Sie, wie man den Namen von dem Rapper mit der weißen Brille ausspricht? Eben. Hammerweiße Brille auch für Freundinen von Rapstars geeignet über www.retrosuperfuture.com

51. Ihre Liebe wird Ölfrüchte tragen. Im italieni­ schen Stiefel, in Loro Piceno, auf Höhe der Wade, gleich unter der Kniekehle, gibt es einen Olivenhain mit Olivenbäumchen, die sich nach Liebe sehnen, nach wissenden Olivenbauernhänden und Zugehörigkeit. Man kann sie adoptieren. Für 65 Pfund pro Jahr wird der Baum pestizidfrei, hingebungsvoll und von Hand gepflegt, und zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, bekommen Sie ein Paket mit Ihrem eigenen kalt gepressten Jungfernöl, mit Limonen­ öl und Oliven­öl-Seife. Damit können Sie ent­ weder vor Ihren Gästen den Dicken machen. Oder das stille Glück genießen, einen bescheide­ nen Beitrag zum Erhalt kleiner Farmen und intakter italienischer Landschaften zu leisten. Laut BBC das beste kalt gepresste Olivenöl Italiens über www.nudo-italia.com


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57. 52. Der „Leben“ ist schön. Wer bei Japan in Verbin­ dung mit Unterhaltungselektronik nur an Play­ Stations denkt, liegt falsch. Schließlich gibt es unter unseren fernöstlichen Freunden so begnade­ te Ingenieure wie Mr. Taku Hyodo aus Hyougu. Der ehemalige Profigitarrist hat nach einigen Jahren in der Entwicklungsabteilung von Luxman sein eigenes Baby auf die Welt gebracht und stellt seit einiger Zeit unter dem Label Leben Röhrenverstärker für den anspruchsvollen HiFi-Freund her. Die Verwendung feinster russischer Glasröhren der Marke Sovtek garantiert einen unglaublich brillanten, natürlichen und ausgewogenen Sound. Und dank des reduzierten, angenehm klas­ sischen Designs spielen die mit inter­nationalen Awards überhäuf­ten Musikmaschinen auch optisch ganz weit vorne mit. Der Tube Amplifier CS-300X über www.lebenhifi.com

53. Schokolade ist ein Göttertrank. Zumindest glaubten das die Azteken, denen die Mensch­heit diese Köstlichkeit wahrscheinlich verdankt. Nach deren Überlieferung schenkte der gefie­der­te Gott Quetzalcoatl den Menschen die Kakaobohne. Die Luxusschokolade, mehrfach in San Francisco ausgezeichnet, nennt sich Amano. Und die Bohnen kommen nicht von irgendwo, sondern aus Madagaskar. Dass dort nicht nur der Rum gut ist, wissen wir ja schon lange. www.amanochocolate.com 54. Das Frühstück! Ein Traum! Wer hat nicht schon, als fieberndes Kind etwa, mit unscharf gestelltem Blick in der Raufasertapete blutrüns­ tige Drachen gesehen oder Medusenköpfe im marmorierten Linoleum auf dem Einwohnermeldeamt? Doch heute, 127 Jahre Psychotherapie später, hat man sich von seinen inneren Dämo­nen befreit und braucht sie nicht mehr auf die unschuldige Welt zu projizieren. Im fein gemaser­ten Akazienholz seines Frühstücksbrettchens sieht man endlich nur das, was auch wirklich da ist: einen freundlichen Inuit beim Angeln im ewigen Eis oder einen Skiläufer auf einem sanft ver­schnei­ten Hügel. Beispielsweise. Feine Brettchen über www.pensionfuerprodukte.de

56. Das Set für Philosophen. Was haben Udo Jürgens, Paul Newman und Dittsche gemeinsam? Genau: die Vorliebe für Bademäntel und nach­denkliche Posen. Wenn auch Sie zum Palavern in Nachtwäsche neigen, dann wünschen Sie sich von Ihrer Liebsten doch das Geschenk-Set von Burberry. Bademantel plus Schlafanzug über www.burberry.com 57. Guck mal in die Röhre. Schmal wie zwei Stroh­halme, cool wie eine Cola auf Eis. Röhrenjeans von www.sundaysun.se

55. Forrest Gump. Tischtennis ist schick. Dem Deutschen Tischtennisbund gehören fast 10.000 Vereine mit rund 670.000 Mitgliedern an. Da sollten Sie zum ersten Training nicht mit Ihrer ollen Hülle von früher kommen, sondern den nötigen Flair in Sachen Fashion mitbringen. Und zwar von www.jackspade.com

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64. 58. Der Silvesterkracher. Wollen Sie zu Hause mal so richtig die Wände zum Wackeln bringen? Statt fünf oder mehr Lautsprechern im Wohn­zimmer wummert Ihnen mit nur einer schlanken Box, die unter dem Fernseher hängt, der geballte Sound entgegen. Der YSP 110 über www.yamaha-europe.com 59. Der ewige Zweite. Sind Sie so einer, der immer ein bisschen zu spät kommt? Für den es zum Sieg nie reicht? Immer nur zum Vize? Machen Sie sich nichts draus. Die passenden Boots für Stellvertreter gibt’s in Silber über www.diesel.com 60. Steinreich. In der Weihnachtszeit wollen wir uns bescheiden und alle Geschenke von dummen Schleifchen und quastigen Bändchen frei halten. Lieber greifen wir zum dezent funkelnden Crystal Tape von Adrien Rovero. Millionen kleinste Swarovski-Steinchen aus Kristallglas und anderen Materialien sind zu einem Klebefilm der luxuriöseren Art aneinandergereiht. Da darf das Eingepackte ruhig eine Nummer kleiner ausfallen. Crystal Tape über www.adrienrovero.com

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63. 61. Dufte Kunst. Chiara Fumai. Welch ein schöner Name und sieht auch noch hübsch aus. Die junge Nachwuchskünstlerin, die in ihrer Heimat Italien auch als DJane Pippa Langstrumpa bekannt ist, verkauft ihre getragenen Duftslips über das Internet. „Wow!“ Und wir stellen fest, diese sind limitiert auf 20 Stück. „Oha!“ Damit der Duft nicht verloren geht, wird das dufte Höschen luftdicht verpackt mit einem Schwarz-Weiß-Foto der „Moustachewoman“. So modern kann Feminismus sein. www.moustachewoman.com 62. Dänisch stereo. Herr Bang und Herr Olufsen dachten stets zweispurig. Schon ihre erste Fabrik bauten sie so, dass sie jederzeit auch als Schule hätte genutzt werden können. Falls sie den Laden vor die Wand gefahren hätten. Taten sie aber nicht, stattdessen bauen sie heute ein Mobiltelefon so, dass Sie es jederzeit auch als hochklassige Stereoanlage nutzen können. Entweder mit Headset oder Aktivboxen, Ihre ganz normalen Anrufe hören Sie natürlich ebenfalls in highest fidelity. Serenata von Bang & Olufsen und Samsung über www.serenatamobile.com

63. Aeronauticum. Müdigkeit, Ermattung und ein nebulöses inneres Mürbesein klopfen dem dehydrierten Körper kräftig auf die Schultern und heißen ihn schmerzlich willkommen, Mr. Jetlag. Wohl dem, der da das passende Gegengift aus dem Handgepäck zaubern kann. Ted Rays naturtrüber Kräutertrunk erfrischt die ausgelaugten Zellen mit Gingko, Avena Sativa und Lindenextrakten, stärkt Durchblutung und Immunsystem und steigert die Vorfreude auf den kommenden Interkontinentalflug beträchtlich. Flyright über www.jetlagformula.com 64. Seit Oktober für Sie geöffnet. Bislang dachten wir, die Skandinavier seien ein fröhliches Volk, schon allein wegen der lustigen Ikea-Produktbezeichnungen. Nun lernen wir: Zumindest die Schweden haben auch eine melancholische Seite. Von wegen Pippi Langstrumpf, rote Bäckchen, Smörrebröd. Augenringe, Röhrenjeans und Minimal House! So sieht’s aus. In Hamburg gibt’s den zweiten Markenstore. Nichts wie hin, aber Lächeln gilt nicht. www.acnejeans.com


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67. 65. Da lacht sich der Raucher ins Fäustchen. Von wegen, Raucher haben kalte Hände. Jedenfalls nicht zur Winterszeit, wenn es schneit. Dank der segensreichen Erfindung des mollig warmen Raucherfäustlings kann der Raucher dem herzlosen Rauchverbot eins husten. Es wird ihn vollkommen kaltlassen, wenn er hinausgejagt wird auf Balkone und Terrassen, in unwirtliche Hauseingänge und an zugige Straßenecken, um allein in der Gesellschaft von Väterchen Frost ein herzerwärmendes Zigarettchen zu schmauchen. Dieses steckt ebenso sicher wie stilvoll in einer Metallöse zwischen Index- und Mittelfinger. Genial. Unisex. Onesize. Für Rechts- und Linksraucher geeignet. www.suck.uk.com 66. Ab in den Bunker. Wer auf dem Golfplatz den Callaway X Hybride schwingt, kann etwaige Pleiten jedenfalls nicht mehr auf mangelhaftes Material schieben. Dieses Traumgerät sorgt für „flexible Schwünge mit traumhaftem Bodenkontakt“, wie die Hersteller-Lyrik bescheiden flüstert, „schneidet durch dickes Rough“ und „gleitet weich über dichtes Fairway“. Wohlan: So viel Qualität ist eigentlich nur noch der schamlose Erfolg im Grünen hinzuzufügen. www.callawaygolf.com

67. Männerkaufhaus. Hinten links liegt der klassische Jet-Helm aus England, rechts auf dem Tisch alte, dreckige „Red Wing“-Boots. Was sich vielleicht wie eine Beschreibung des Ordnungskonzepts in Ihrer Wohnung anhört, ist das Kaufhaus Burg & Schild. Auf 80 Quadratmetern wird hier ein Sortiment von Army- und Workerkleidung präsentiert. Aber auch ungewaschene Jeans, Westernhemden gehören ebenso zum Sortiment – einfach ein Laden für echte Kerle. www.burgundschild.com 68. Kräftiger Händedruck. Daran, wie ein Mann seinem Gegenüber die Hand drückt, kann man seine Entschlussfreudigkeit ablesen. Das wurde jetzt wissenschaftlich untermauert. Bei Frauen hat der Händedruck übrigens nichts mit etwaigen Eigenschaften zum Machtausbau zu tun. Wenn Sie also nicht über einen anständigen Druck verfügen, dann tragen Sie zur Begrüßung doch wenigstens anständige Biker-Handschuhe. Das gleicht die memmenartige Handannahme vielleicht aus. Schwarze Lederhandschuhe in Biker-Optik mit Knopfverschluss über www.cossstores.com

70. 69. Wie man nach dem Sex wach bleibt. In diesem Buch lernt Mann: Wie man eine Boeing 747 landet, wie man in die Fremdenlegion eintritt, wie man eine Fliege bindet, wie man Kriminalkommissar wird, wie man Papst wird oder wie man bei der Geburt eines Kindes dabei ist, obwohl man es nicht selbst zur Welt bringt. Entscheiden Sie selbst, ob Sie all das können wollen. „Ein Mann – ein Buch“, Verlag Süddeutsche Zeitung, www.sz-shop.sueddeutsche.de 70. Schön flexibel. Industriedesigner sind meistens am besten, wenn sie etwas persönlich nervt. Bei Jake Dyson zum Beispiel war es die Unbill, dass man sich bei gewöhnlichen Lampen immer zwischen stark gebündeltem oder breit flutendem Licht entscheiden muss. Oder musste, denn jetzt gibt es von dem pfiffigen Londoner die Motorlight-Serie für allzeit variable Leuchten. Die Winkel der Lichtkegel sind dabei fast grenzenlos variabel, weil das starre Licht bei Dyson auf einen Reflektor trifft – und den kann man hier fast beliebig verändern. Da ist offenbar jemand eine Leuchte – aber nein, den platten Kalauer hat dieser Designer wirklich nicht verdient! www.jakedyson.com

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71. Sonderangebot. Beim Label „cheap monday“ sieht erstens überhaupt nichts „cheap“ aus, und diesen Nylonparka mit verdecktem Reiß­ verschluss dürfen Sie nicht nur am Monday tragen. Sondern immer wenn Ihnen danach ist, weil er so schick ist. www.cheapmonday.com 72. Einmal Röntgen bitte. Das Deutsche Elek­ tronen-Synchrotron DESY ist eines der weltweit führenden Zentren für die Forschung an Teil­ chenbeschleunigern. Jetzt besitzt das DESY auch noch einen 3,4 km langen X-Ray-Laser, der unterirdisch unterwegs ist von Schenefeld bis Bah­renfeld. Eine Strecke, für die man mit dem Auto gut 20 Minuten braucht. Was durchleuchtet dieser Bannstrahl? Ist das nicht viel schlimmer als ein Perso mit Chip und abgehörtes Internet? Kann uns das mal jemand erklären? www.xfel.eu 73. Einfach aufhören. Ein Jahr lang haben die Mitglieder des deutschen Feuilletons darüber geklagt, dass eine Ära der bourgeoisen Selbstver­ wirklichung zu Ende geht. Was sollen denn Schauspieler, Philosophen, Playboys zwischen die Finger klemmen, wenn am 1.1.2008 das Nichtrauchergesetz in Kraft tritt? Einen Bleistift vielleicht? Das sieht doch auch tierisch intelligent aus. Wir würden gern mitmachen beim Verklären von geistreichem Gequalme. Das stinkt aber so. www.nicotinell.de

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77. 74. Auf der Suche nach Mister X. Er ist in London untergetaucht, und keiner weiß, wo. Der einzige Anhaltspunkt für Sie als Sherlock Holmes sind seine Fahrscheine. Aber wo nur hat er sie benutzt? Einkreisen, kühlen Kopf bewahren und Flucht­ wege rekonstruieren. Das Kultspiel wurde „Spiel des Jahres 1983“. Und Sie fühlen sich, wenn Sie ihn finden, nicht nur wieder jung, sondern auch als Detektiv des Jahres. Scotland Yard über www.ravensburger.de 75. Trinktütchen. Was dem Schulkind seine Capri­sonne, ist dem straffen Alkoholkonsu­ menten sein Pocket „Shot“. Die Lightvariante zum Flachmann gibt’s in den Geschmackssorten Wodka, Whiskey, Gin, Tequila und Rum über www.pocketshot.net 76. 2007 Jahre Weihrauch und Myrrhe sind genug! Heute ist es die Höflichkeit der Könige, am 24.12. exquisite Körperpflegeprodukte zu überrei­chen, und zwar aus dem traditionsreichen Hause Molton Brown. Für eilige Könige, die ihre Gaben gerne pünktlich liefern, auch erhält­ lich als prächtige Holiday Gift Box für die Dame und für den Herrn. Und so duftet es auch in der bescheidensten Hütte so berauschend, dass man glaubt, im Osten einen Stern aufgehen zu sehen. Wen wundert’s? Tragen die Boxen doch so schöne Titel wie Soul, Trust, Wonder oder Glory. www.moltonbrown.co.uk

78. 77. Für den Schwiegervater. Nichts ist ihm gut genug. Seine Tochter haben Sie ihm genommen, Sie fahren den falschen Mittelklassewagen, Ihre Schuhe quietschen, und Sie wissen nichts über Wagner! Trotzdem müssen Sie Weihnachten mal bei dem alten Stiesel vorbeischauen, weil es Ihre Frau so will. Bringen Sie ihm diese Flasche Wein mit. Wenn er sich auskennt, wird er Sie danach zum ersten Mal anlächeln. Wenn nicht, trinken Sie diesen hervorragenden Graubündner Burgunder von Martha und Daniel Gantenbein selbst. Weingut Gantenbein 2005 Pinot Noir über www.weinundglas-berlin.de 78. Hals- und Beinbruch. Eigentlich sollte dieses, euphemistisch als Airboard bezeichnete, aufblas­ bare Gummigeschoss, auf dem man sich den Berg hinunterstürzt, Komplett-außer-KontrolleBoard heißen! Ihr Chef wird sich freuen, wenn Sie das neue Jahr bis zur Halskrause eingegipst starten. Action auf dem Highspeed-Schlitten Airboard über www.mydays.de


Weg mit allem, was zu viel ist: Die YAMAHA Digital Sound Projektoren bieten echten Mehrkanal-Surround-Sound mit nur einer Komponente. Und so bringen sie den perfekten Klang auf den richtigen Weg: In gebündelter Form wird er über Wände und Einrichtungen reflektiert und entfaltet sein ganzes Volumen. Ohne Satelliten, ohne Kabel. Noch nie wurde Heimkino so einfach gemacht. Weitere Infos unter:

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79. Sound aus dem Weltraum. Wer bei diesen Lautsprechern an Star Wars denkt, ist auf dem richtigen Dampfer. Das Gungan Arsenal sah in Teilen genauso aus. Ist aber, was Bassleistung betrifft, hilflos im Vergleich zu diesen Mega­ hörnern. Das macht sie besonders geeignet für Verstärker mit niedriger Leistung; perfekt also, um den rasenden Falken zu beschallen! Loud­speakers in verschiedenen Größen über www.fergusonhill.co.uk

81. Viele, viele bunte Smarties. Dass Mercedes versucht, dem Land der unbegrenzten Riesigkeiten ein klitzekleines Auto unterzujubeln, für das es keine Pick-up-Variante gibt, finden wir begrüßenswert. Zur Einführung können sich verblüffte Truck-Fahrer in L.A. im Szeneviertel Venice Beach im Smart House den typischen Lebensstil eines Smart-Fahrers ansehen. Das ist aufregender als im Zoo! Die Amerikaner sind begeistert. www.smartusa.com

80. Lieber Brad Pitt, lieber Tom Cruise! Man hört, jeder, der in Amerika intellektuell was auf sich hält, will nach good old Europe, sich da ein Estate kaufen, und zwar am besten in amazing Berlin. Bevor Sie sich für die deutsche Hauptstadt entscheiden, empfehlen wir die Lektüre der unten stehenden Website. In Berlin gibt es sehr viele Menschen, die nicht teilhaben am Clubbing, am Shopping und am Vernissaging. Wir möchten, dass Sie das wissen. www.schattenaufberlin.de

82. Aufgestrapst in den Club. Diejenigen, die Kitsuné bisher für ein exklusives japanisches Strumpfwarenlabel gehalten haben, nehmen sich für 2008 Besserung vor. Also: Kitsuné ist ein Pariser Plattenlabel, klein, fein, gibt legendäre Compilations raus und die legendärste Compi­ lation in Zusammenarbeit mit dem coolsten aller Londoner Clubs zurzeit, dem „BoomBox“. Wenn das so weit memoriert ist, können optio­nal noch weitere Informationen über diesen Mix gelernt werden: DJ Jerry Bouthier, Digitalism, Daft Punk, Simian Mobile Disco, Feist knallen total. Kitsuné „BoomBox“ über www.kitsune.fr

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83. Das schwarze Schaf. Wenn Sie ein Geschenk erwerben wollen, das, wenn überhaupt, nur Ihnen allein gefällt, dann kommt diese Compilation direkt aus dem VIP-Bereich der Hölle. Musikalisch gesehen. Denn ethisch sind die Herrschaften des amerikanischen Hardcore-IndependentLabels Dischord absolut auf dem richtigen Weg. Der Sampler bildet 20 Jahre Labelgeschichte ab, kommt zum Jubiläum ein Jahr zu spät, wie im Punk üblich, veröffentlicht auf zwei CDs auch bisher unbekanntes Material und hat ein richtig tolles Booklet dabei. Mit vielen Infos über das beste Label der Welt. Wer Einwände hat, kriegt aufs Maul. „20 years of Dischord“ über www.dischord.com 84. Wer hat mir auf den Kopf gemacht? Dem kleinen Neffen schenken Sie das gleichnamige Kinderbuch, vom kleinen Maulwurf, dem jemand auf den Kopf gemacht hat. Dem Papa dazu diese ent­zückende alpenländisch, norwegisch gemusterte Mütze. Oder umgekehrt. www.electronicsheep.com


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89. 85. Für Onkel Jürgen. Ein orangefarbener Pullover und auch noch aus Mohair. www.prada.com 86. Zum Anbauen. Das Super-Set für Hobbysowie Profifloristen: das Banksia-Set mit Samen und Gartenhandschuhen für Mama zu Weihnachten über www.studiolatitude.com.au 87. Das Mutterschiff ist gelandet. Wenn Sie nur ein einziges Geschenk zu Weihnachten kaufen wollen, eins, das alle glücklich macht, dann hören Sie hier die Englein singen: 20 Hits, remastered auf höchstem Soundniveau, mit stilvollem Artwork und ausführlichen Liner Notes auf der Dop­ pel-CD. Von der besten Rockband der Welt. Hat da irgendjemand Einwände? Led Zeppelin, „Mothership“, über www.warnermedia.de

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88. Zehn, neun, acht, sieben, sechs … fünf, vier, drei, zwei, eins …Was gibt es Tolleres, als wenn Zehntausende Menschen auf einer Veranstaltung den Silvester-Countdown runterzählen, um ins neue Jahr zu rutschen? Feiern Sie mit 30.000 neuen Freunden. Karten gibt es über www.sensationwhite.de 89. Walk like a Mongolian. Puma bittet zum mongolischen BBQ. Auf dem Büffet: der Laufschuh RS 100 und frei wählbare Zutaten wie Fellimitate, Fischgrätenmuster, Holzeffektleder und fluoreszierende Farben. Bitte nur einmal anziehen, Ihre Füße werden sie zum Dank bis ans Ende der Welt tragen. Oder wenigstens bis nach Bielefeld. www.puma.com

91. 90. Gut gepudert. Wer Heiligabend auf einer Alm­ hütte bei Minusgraden ohne Strom und warmes Wasser feiert, aber trotzdem fürs Fami­lienfoto ordentlich um den Kopf rum aussehen will, hat ein Problem. Die Lösung staubt ein bisschen, be­eindruckt aber im Resultat: einfach eine kleine Menge dieses aus biologisch erzeugten Rohstoffen bestehenden Puders in die trockenen Haare ein­rei­ben und wie gewohnt frisieren. Trockenshampoo über www.luluorganicsnyc.com 91. Für Onkel Hans-Jürgen. Diesmal eine feine Mohair-Mütze in Grün aus der aktuellen Kollek­ tion über www.prada.com

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98. 92. Ungestraft taggen. Früher haben pubertierende Jungs Flugzeug- oder Autobausätze zusammengeklebt und mit mikroskopischen Pinseln liebevoll bemalt. Dann kamen Graffiti. Aus den Pinseln wurden Sprühdosen, und aus den Bausätzen wurden Eisenbahnwaggons. Jetzt werden die Waggons wieder kleiner und die Tags auch. Herr Mehdorn sagt danke. Graffiti Train über www.suck.uk.com 93. These boots are made for watching. Wer in der Winterzeit nicht auf Accessoires aus italienischer Fertigung verzichten will, für den hat Gucci das Richtige: einen Winter-Boot aus schneeweißem Leder. In abgerundeter Form und mit Lammfell gefüttert. Für sofortigen Wiedererkennungswert sorgen nicht nur die schwarzen SchlangenlederApplikationen, sondern auch das Gucci-Wappen auf der Lasche. Dieser Schuh adelt jede Schneeballschlacht. www.gucci.com 94. Farbe bekennen. Wenn Ihnen für das Gehäuse Ihres iphone, Ihrer PlayStation oder Ihres Laptops eine andere Farbe vorschwebt als vom Hersteller vorgesehen, dann ist das Ihre Adresse zur Individualisierung: www.colorwarepc.com 95. Schreib mal wieder. In vielen von uns steckt insgeheim ein kleiner Konsalik. Nur einen Bestseller, und man hätte ausgesorgt. Wenn man nur wüsste, worüber man schreiben soll! In diesem englischen Buchklotz sind unzählige kreative Techniken zusammengetragen, von denen man sich inspirieren lassen kann. Zu einer Kurzgeschichte, einem Leserbrief oder einem Jahrhundertroman. The Writer’s Block von Jason Rekulak über www.perseusbooksgroup.com

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96. Einer fürs Grobe. Die Welt ist voller Trampeltiere, Tollpatsche und Tölpel. Sehr zum Leidwesen so manch eines Laptopstöpsels. So kommt es nicht selten vor, dass ausgerechnet über das weltwichtigste Kabel gestolpert und der weltwichtigste Anschluss zerstört wird. Der Tropf, durch den lebensrettende Musik in Ihren Organismus träufelt, und zack, tot ist er, der Anschluss, und man möchte den Computer wegwerfen und sein Leben gleich hinterher. Das muss nicht sein. Denn jetzt gibt es den hochelastischen Audioanschluss-Sicherheitszwischenstöpsel, wahrscheinlich eine weitere dankenswerte Entwicklung aus der Raumfahrt. Wird zu viel Druck oder Zug ausgeübt, ploppt er einfach heraus, anstatt, wie Sie es vielleicht gewohnt sind, den kompletten Audioeingang zu zerstören. Das lässt sich doch hören! www.replug.com 97. Für Kurzentschlossene. In der schleswigholsteinischen Kulturmetropole Wedel gibt es eine Anzeigenzeitung mit dem schönen Titel „Mittwoch am Samstag“. Ähnlich verwirrend ist die Kunstmesse „Art Basel in Miami Beach“. Es ist aber trotzdem die wichtigste Kunstausstellung in Amerika und zeigt eine Auswahl von 200 führenden Galerien aus Nordamerika, Lateinamerika, Europa, Afrika und Asien. Sofort losfahren, die www.artbaselmiamibeach.com findet vom 6. bis 9.12.2007 statt.

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98. Weiße Weihnacht. Wenn Sie immer noch nicht bei Martin Margiela in Paris, Tokio, Taipeh, Brüssel oder New York waren, dann fahren Sie doch zwischen den Jahren nach L.A.! Margielas immer wieder neuer Umgang mit Weiß passt hervorragend in die Jahreszeit und versöhnt uns auf das Schönste mit der globalen Erwärmung. Außerdem durfte er diesmal Teile einer Kirche in seine Räume integrieren, und auch das würde Ihren Trip zu einem weihnachtlichen Gesamtkonzeptkunstwerk machen. Wenn Sie lieber daheim bleiben, können Sie sich Margielas Kollektionen im Internet nicht ansehen, denn er zeigt sie nicht. Aber auch das macht er wie kein Zweiter. www.maisonmartinmargiela.com 99. Der kleine Häwelmann. Für ambitionierte Rennfahrer von 0 bis 9 Monaten gibt es von „Little Fashion Gallery“ ein Kinderbett in Seifenkisten-Optik. Je nach geschmacklichem Empfinden lässt sich das Logo des bevorzugten Formel-1Teams oder der Name Ihres Kindes draufmalen. Kinderbett über www.littlefashiongallery.com 100. Grau ist das neue Braun. Schlingen Sie sich die Stimmung eines sehr langen und lichtarmen Novembertages um den Hals. Warm und weich wie ein doppelter Wodka schmiegt sich der Kaschmirschal von Vladimir Siebert um Ihre Kehle. Langer Schal über www.vladimirsiebert.com

Model Ferdi (www.successmodels.com) wurde von Christian Schildmacher fotografiert. (Bildnummer: 6, 41, 46, 68, 85, 91, 93 und 100)


DIE 101. SACHE

101. Midas geht shoppen. Der sagenhafte Midas konnte nie genug bekommen. Über seine Gier gibt es etliche Anekdoten: Als er sich einmal von Dionysos die Erfüllung eines Wunsches erpresste, wünschte Midas sich, dass alles, was er berührte, zu Gold würde. Schon bald bereute er den Wunsch, denn alles, was er essen und trinken wollte, verwandelte sich in Gold. Und das schmeckt bekanntlich nicht.

Hätte Midas damals „Simply Gold“ besessen, wäre seine Glamoursucht sicher schon befrie­digt gewesen. Gefertigt aus einem hauchfeinen, naturbelassenen Ziegenleder, hat „Simply Gold“ die Form einer profanen Papiertüte. Und wiegt auch kein Gramm mehr. Denn dank des genia­ len Kniff, für den Bree mit einem Innovationspreis ausgezeichnet wurde, Naturleder auf gerade mal 0,5 Millimeter herunterzuspalten, ist das Ledertütchen federleicht.

Das Tasche gewordene Understatement „Simply Gold“ ist mit einer exklusiven Goldfolie laminiert, die wohl die Kostbarkeit erhöht, aber nicht das Gewicht. In die Ecke gestellt, funkelt sie wie eine mit Blattgold überzogene buddhistische Statue, am Arm getragen, zwinkert sie den vorbeispazierenden Mitmenschen mit Charme und Schönheit zu. Die inneren Werte hängen vom Träger ab. Midas würde darin seine goldenen Bananen shoppen, wir transportieren vielleicht ein paar wichtige Papiere, die Tageszeitung und Silbergeld darin. Könnte man Eleganz in Karat messen, wir würden einen 999er-Wert attestieren. Bis dahin bleiben wir bei den beweisbaren Daten: „Simply Gold 1“ Tüte, Handgriff, Ziegenleder mit Spiegelfolienbeschichtung; gold. 23 5 32 5 10 cm. 125 Euro. www.bree.com

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Fig. 01/ Fig. 02: Xaviera Hollander, Artikel S. 38 (www.xavierahollander.com)  Fig. 03/ Fig. 04: Samy Deluxe, Artikel S. 63 (www.dynamite-deluxe.de)  Fig. 05: Plattencover der Teen Idles, Artikel S. 31 (www.dischord.com)  Fig. 06: Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, Artikel S. 94 (www.erzbistum-hamburg.de)

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Fig. 07: Mané Garrincha, Artikel S. 112 (www.weltfussball.de)


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Fig. 08: Vanina Ickx, Artikel S. 137 (www.dtm.com) Fig. 09: Ralf Moeller, Artikel S. 103 (www.ralfmoeller.com) Fig. 10: Malcolm X, Artikel S. 124 (www.cmgww.com/historic/malcolm)

© Zeitbild Verlag GmbH

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Weihnachtsmann, Nikolaus, Santa Claus, Christkind, schenken, spenden, Gans oder Wiener Würstchen, Weihnachten, Xmas, was denn nun? Zwischen Geschenkpapier und Nervenzusammenbrüchen droht die eigentliche Bedeutung eines unserer höchsten christlichen Feste verloren zu gehen. Wir haben den katholischen Weihbischof im Erzbistum Hamburg und Mitglied der Ökumene-Kommission, Hans-Jochen Jaschke, um Beistand und Aufklärung gebeten.

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Von Sabine Manecke (Interview)

Feld Hommes: Guten Tag, Herr Bischof oder Dr. Jaschke? Wie spricht man Sie denn richtig an? Weihbischof Hans-Jochen Jaschke: Herr Bischof oder Herr Jaschke oder Herr Weihbischof, ich hör auf alles. In der katholischen Kirche wird man auch immer mit Vornamen benannt. So wie Papst Benedikt. Also bei mir ist das dann Bischof Hans-Jochen. Bischof Hans-Jochen, heutzutage ist es schick, nicht mehr Weihnachten zu sagen, sondern ganz global verständlich, säkularisiert und weltläufig Xmas. Gefällt Ihnen das? Xmas finde ich sympathisch. Das X erinnert in der christlichen Symbolik an Christus. X, das ist der griechische Buchstabe „Chi“, Chi wie Christos. Persönlich habe ich noch eine andere Assoziation. Ich liebe sehr eine Zeichnung von Oskar Kokoschka mit dem Titel „Xmas 1945“, wo er Christus am Kreuz darstellt, der sich mit einer umarmenden Geste den hungernden Kindern der Welt zuwendet. Er will daran erinnern, dass an Weihnachten unsere Liebe gerade den armen Kindern gelten muss. „Zur Erinnerung an die Kinder Europas, die an Kälte und Hunger sterben müssen an diesem Weihnachtsfest“, schreibt der Maler auf sein Plakat. Das ist sehr gütig, denn Kokoschka tut dies, obwohl er von den Nazis verfolgt wurde, und meint trotzdem auch die deutschen hungernden Kinder in diesem fürchterlichen Zweiten Weltkrieg. Dieses Bild bedeutet für mich Xmas. 92

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Nicht nur die verschiedenen Begrifflichkeiten machen Weihnachten kompliziert, sondern auch die unterschiedlichen Figuren, die da auftauchen. Ins eine Haus kommt der Weihnachtsmann, ins andere das Christkind, der Nikolaus und Knecht Ruprecht sind auch unterwegs. Wer kommt denn jetzt woher, und wer kommt zu Ihnen? Ich will da niemanden bevormunden und finde es auch schön, dass sich mit Weihnachten viele Traditionen verbinden, aber als Christenmensch würde ich schon Wert darauf legen, dass das Christkind kommt. Gott wird Mensch, ein Kind liegt in der Krippe, und die Menschen freuen sich über die Geburt des Kindes. Ein Kind lächelt die Menschen an und weckt Mut zum Leben. Man möchte es beschützen und dafür sorgen, dass es alle Chancen im Leben hat. Weihnachten ist von der schönen Symbolik geprägt, dass das Kind in einem Stall geboren wird, Ochs und Esel sind dabei. Dann kommen die Hirten, sie werden angezogen von einem Licht in der Nacht, das Licht fällt genau auf dieses Kind, das ist eine heimelige Szene, ein Bild, das uns anrührt. Wir sind zu Hause so groß geworden, dass das Christkind heimlich ins Weihnachtszimmer kommt, dann läutet das Glöcklein, das Christkind ist verschwunden, bevor die Kinder sehen, was es mitgebracht hat. Eine andere, durchaus auch christliche Tradition ist, dass Weihnachten vom Nikolaus geprägt ist. Der gute Bischof Nikolaus, im Niederländischen heißt er Sintaklaas, der kommt am 6. Dezember mit einem Sack voller guter Gaben. Und neben ihm geht Knecht Rup-


recht. Nikolaus ist der Gute. Knecht Ruprecht hat die Rute dabei und sorgt schon mal für Ordnung. Dann hat sich so manches verschoben, aus dem Nikolaus wurde der Weihnachtsmann, und die Kommunisten haben das Väterchen Frost erfunden, um eine eigene Figur zu haben. Aber das Christkind bleibt doch das Schönste. Schließlich feiern wir ja an Weihnachten die Geburt Jesu Christi. Maria hat ja in der Weihnachtsgeschichte eine ganz aufregende Rolle. Sie empfängt Gottes Sohn und bringt ihn auf die Welt. Josef hingegen steht ein bisschen dumm da. Und wird auch nur in drei Sätzen bei Lukas erwähnt. Eine ziemlich mickrige Männerrolle. Ich sag es mal ein bisschen lästerlich: Josef ist in mancher Hinsicht ein depotenzierter Mann. Aber Weihnachten kommt es gerade nicht auf die Potenz des Mannes an, sondern auf den Geist Gottes. Maria, die junge Frau, braucht nicht einen Mann, um neues Leben für alle Welt zu empfangen, sondern sie öffnet sich Gottes Geist. Die Geschichte von der Jungfräulichkeit Marias hat nichts mit irgendwelchen sexuellen Verklemmungen zu tun. Sie zeigt einfach, dass das Neue zu Weihnachten nicht selbst produziert wird, sondern von außen kommt. Und Josef, der starke Mann, der steht daneben und darf nur eins: das Kind beschützen. So ist die Rolle des Josef in der Weihnachtsgeschichte doch eine sehr schöne. Er darf das Kind behüten und verteidigen, auch wenn er nicht der leibliche Vater ist. Angeblich sind ja heutzutage 10 % aller Kinder Kuckuckskinder. Na ja, die wissen es aber wohl meistens nicht. Josef weiß ja die ganze Zeit Bescheid. Seine Vaterrolle verlangt sehr viel Bescheidenheit, Demut und Anstand. Er schickt seine schwangere Frau nicht weg, als sie ein Kind erwartet, das nicht seines ist. Und er beschützt Jesus wie seinen eigenen Sohn, bis er 30 Jahre alt ist und eigene Wege geht. Josef konterkariert jedes Machobild eines Mannes, das finde ich schön und nachahmenswert. Nun ist Weihnachten auch ein Fest der guten Wünsche. Was wünschen Sie sich denn zu Weihnachten? Ach, die Wünsche werden mit den Jahren immer weniger. (Denkt nach) Ehrlich gesagt, ich wünsche mir nichts. Ich will nicht sagen, dass ich wunschlos glücklich bin, aber auch nicht wunschlos unglücklich, wie Peter Handke das mal gesagt hat. (Lacht) Wo verbringen Sie die Feiertage? Heiligabend besuche ich viele Kranke im Marienkrankenhaus (Hamburg, St. Georg, Anm. der Red.), das ist mir ganz wichtig. Das ist keine richtige Seelsorge, sondern eher ein Symbol: Der Bischof kommt und reicht den Kranken die Hand. Weihnachten soll auch ein Tag sein, an dem man gerade an die denkt, denen es schlecht geht oder die zu kurz gekommen sind. Am Abend des ersten Feiertages bin ich bei einem befreundeten Paar zum Essen eingeladen. Da wird schön gespeist, viel getrunken und geredet. Im Umkreis der Feiertage besuche ich auch meine kleine Familie, meinen Bruder, meine Schwägerin, die großen Söhne. Und was verschenken Sie? Kleine Aufmerksamkeiten, ich bin da immer sehr verlegen. Ich bin ein Büchermensch. Wenn mir etwas gefällt, dann gucke ich schon, das könnte zu dem oder zu dem passen. Aber da kann man auch falsch liegen. Die Jungs wollen gerne ein materielles Geschenk, etwas für den Computer, da halte ich mich an ihre Wünsche.

Wenn Sie dieses Jahr Revue passieren lassen – gibt es Themen, die Sie besonders bewegt haben und aus denen Sie Fürbitten fürs nächste Jahr machen würden? (Denkt nach) Dinge, die uns so richtig erschüttert haben, sind dieses Jahr nicht so laut passiert. Wir alle haben wohl verstanden, dass klimamäßig Dinge auf uns zu kommen, die uns große Angst machen müssen. Und was mich sehr beschwert, ist die wachsende Spannung zwischen den Russen und der westlichen Welt. Das ist sicher kein kalter Krieg, aber ich möchte nicht sehen, dass sich das weiter steigert. Im Rückblick haben mir auch die Verhärtungen zwischen Deutschland und Polen großen Ärger gemacht. Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Polen einen Zwilling abgewählt haben und dass jetzt eine entspanntere Entwicklung eintreten kann. Sie verlangt natürlich auch von uns Deutschen, dass wir mit großer Sensibilität auf die Polen zugehen und sie nicht verschrecken durch deutsche Anspruchsmentalität. Ich wünsche mir auch, dass das Verhältnis zu den Amerikanern, das durch den Irakkrieg sehr mühselig geworden ist, wieder besser wird. So weit meine politischen Wünsche. Seit diesem Juli gibt es ziemliche Spannungen zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche, weil man von Rom aus festgestellt hat, dass die evangelische Kirche nicht Kirche im vollen Sinne des Wortes ist. Das hat die evangelischen Christen zu Recht sehr verärgert. Wenn man das so pauschal sagt, dann fragt man sich natürlich: Wenn wir keine Kirche sind, was sind wir dann? Irgendeine Sekte? Nicht vollwertig? Durch diesen Affront erleben wir jetzt in der Kirche wieder eine Profilierung des jeweils Eigenen. Ich wünsche mir, dass wir neu aufeinander zugehen. Wir haben doch nur eine Chance als Kirche in dieser modernen Welt, wenn wir uns nicht in die alten Schützengräben zurückziehen und uns Probleme machen wollen, die kein moderner Mensch verstehen kann. Ökumene heißt sich gemeinsam vorwärts bewegen, in eine Richtung, die uns eine größere sichtbare Einheit schenkt. Die katholische Kirche hat in diesem Jahr mit der Erklärung durch die Glaubenskongregation Verletzungen hervorgerufen, der evangelischen Kirche fehle es durch den Bruch der Reformation am vollen Kirche-Sein. Damit brechen alte Kämpfe auf beiden Seiten wieder auf. Ich wünsche mir wieder neue Bewegung und die Überwindung von Verhärtungen. Mein großes Anliegen für unsere Gesellschaft ist es auch, dass wir mehr öffentliche Religion brauchen. Wir sind mehrheitlich nicht ein unterschiedsloses Multikulti, sodass keiner mehr weiß, wo wir herkommen. Natürlich bilden wir eine säkulare Gesellschaft, aber die wird getragen durch Kultur und Traditionen. Und dazu gehören Kirchen, dazu gehört auch Weihnachten. Und ich möchte jedes Jahr zu Weihnachten dazu beitragen, dass wir die vielen Verpackungen, die wir für Weihnachten finden, die Geschenke und die ganze Geschäftigkeit, immer mit Inhalt füllen. Weihnachten hat damit zu tun, dass wir vom Unendlichen berührt werden, von Gott, von einem jungen Mädchen, von einem neugeborenen Kind, von Menschen auf der Flucht. Das hat so nichts mit Kaviar und Champagner zu tun. Das alles kann dazukommen. Aber der schlichte, der humane Kern von Weihnachten, der bleibt das Eigentliche, er soll uns berühren und uns ordentlich etwas zu knacken geben. Bischof Hans-Jürgen, danke für dieses Gespräch. Schrift: Aachen Bold (www.linotype.com)

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Die Weihnachtsgeschichte – das Evangelium nach Lukas 1 Viele haben es schon unternommen, Bericht zu geben von den Geschichten, die unter uns geschehen sind, 2 wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Worts gewesen sind. A 3 So habe auch ich’s für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, B es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, 4 damit du den sicheren Grund der Lehre erfahrest, in der du unterrichtet bist. a: 1. Joh 1,1–4  b: Apg 1,1; Kol 4,14

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Die Ankündigung der Geburt Jesu   26 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27 zu einer Jungfrau, die vertraut war A einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. 28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, B du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und C du sollst ihm den Namen Jesus geben. 32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den D Thron seines Vaters David geben, 33 und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. a: Mt 1,16; 1,18  b: Jes 7,14 c: Mt 1,21–23  d: Jes 9,6

34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? 35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: a Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. 36 Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei. 37 Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. b 38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. a: Mt 1,18; 1,20  b: 1. Mose 18,14

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Kapitel 2   Jesu Geburt  1 Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. 7 Und A sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. a: Mt 1,25

Marias Besuch bei Elisabeth  39 Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda 40 und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. 41 Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt 42 und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! 43 Und wie geschieht mir das, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? 44 Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. 45 Und A selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn. a: Kap 11,27–28

Marias Lobgesang 46 A Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, 47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; 48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder. 49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. 50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. b 51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und C zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. 52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. d 53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen. e 54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, 55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. F 56 Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim. a: 1. Sam 2,1–10  b: Ps 103,13; 103,17  c: 1. Mose 11,8  d: Ps 147,6  e: Ps 34,11; 107,9  f: 1. Mose 17,7; 18,18

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8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel A die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 B Ehre sei Gott in der Höhe und C Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. a: Ps 103,20­–21  b: Kap 19,38 c: 4. Mose 6,26; Eph 2,14; 2,17

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Laßt uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. 21Und als acht Tage um waren und  A man das Kind beschneiden mußte, B gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war. a: Kap 1,59; 1. Mose 17,12 b: Kap 1,31


Jesu Darstellung im Tempel. Simeon und Hanna

22 Und als die A Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, B um ihn dem Herrn darzustellen, 23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2. Mose 13,2; 13,15): „Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen“, 24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“ (3. Mose 12,6–8). a: 3. Mose 12,1–4 b: 4. Mose 18,15

25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und A wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. 27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, 28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: 29 Herr, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 den du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein B Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. a: 1. Mose 49,18  b: Jes 49,6

33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. 34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird A 35 – und B auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden. a: Kap 20,17–18; Apg 28,22; 1. Kor 1,23  b: Joh 19,25

36 Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, 37 und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und  A diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38 Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. a: 1. Tim 5,5

39 Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth. 40 Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.

Schrift: Alte Schwabacher (www.bertholdtypes.com).

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Mister XXL Ralf Moeller, unser Mann in Hollywood, ist bis heute der größte und schwerste Bodybuilding-Weltmeister aller Zeiten. Mit wachem Geist und großem Engagement setzt sich Ralf Moeller für die Schwachen in unserer Gesellschaft ein. Im Rahmen der Kampagne „Starke Typen“ besucht er regelmäßig deutsche Hauptschüler. Und zeigt ihnen, wie man stark werden kann. Auch ohne Muskeln. Von Michael Trautmann (Text)

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Arnold Schwarzenegger hat BWL studiert, Dolph Lundgren hat einen Universitätsabschluss in Chemie, und Michael Dudikoff hat Psychologie studiert. Sylvester Stallone war mal auf der Uni, und Jean-Claude Van Damme hat wenigstens eine klassische Ballett-Ausbildung. Bloß Ralf Moeller, der hat nur einen Haupt­schulabschluss. Und eine Ausbildung zum Bademeister. Ralf Moeller weiß also, wie das ist: wenig Geld zu haben, keinen guten Schulabschluss zu kriegen und trotzdem was Großes zu werden. Mr. XXL nämlich. Angefangen hat er wie jeder ganz klein. Allerdings nicht ganz so klein wie andere. Denn als Ralf am 12. Januar 1959 in Recklinghausen als einziges Kind seiner Eltern geboren wurde, spürte seine Mutter instinktiv, als sie ihr 59-cm-Baby zum ersten Mal in ihren Armen hielt, dass dieser Junge einmal ein starker Mann werden würde. Seine Jugend war von Anfang an vom Sport und sehr früh auch von dem Wunsch, „selber Dinge zu gestalten“, geprägt. Erfolge bei lokalen und regionalen Schwimmwettbewerben waren die ersten sichtbaren Anzeichen seiner sportlichen Möglichkeiten. In der Schule vertrat er erst seine Klasse und wurde später auch Schulsprecher. Die Helden seiner Jugend waren Sportler wie Muhammad Ali, dessen Leben er seit seiner Kindheit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Der Schauspieler Raimund Harmstorf, der als Seewolf nationale Berühmtheit erlangte, hatte es ihm ebenfalls angetan. Auch die Großen der Politik faszinierten ihn. Er erinnert

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sich auf Nachfrage dabei besonders an „die Elefantenrunden im Fernsehen mit Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt“. Mit Kleinigkeiten hat sich Ralf schon als Kind nicht abgegeben. Nach eigener Einschätzung hat er für alles im Leben hart arbeiten müssen. Nach der Ausbildung zum Schwimmmeister und dem Eintritt in die Handelsschule blieb ihm nicht mehr genug Zeit, um beim Schwimmsport weiter vorne mit dabei zu sein. Ein Urlaub in Jugoslawien und die zufällige Begegnung mit einem „sehr gut trainierten Mann“ brachten ihn zum Bodybuilding. Bereits nach kurzer Zeit erregte er im Gym durch rasche Trainingsfortschritte Aufmerksamkeit, und man fragte ihn, ob er an Wettkämpfen teilnehmen wolle. Er wollte, und er schaffte etwas, was niemand für möglich gehalten hatte. Mit 1,97 Meter Körpergröße, eigentlich viel zu lang für professionelles Bodybuilding, wurde er der bis heute größte und schwerste Bodybuilding-Weltmeister aller Zeiten. Auf eine sportliche Leistung ist er dabei besonders stolz. Nämlich dass er durch die erwähnte harte Arbeit und nicht durch Betrug an die Spitze kam: „Ich war der erste Weltmeister, der sich einem Dopingtest unterziehen musste, und der erste, dessen Titel das IOC inoffiziell anerkannt hat.“ Moellers Schauspielkarriere begann mit einem Auftritt, der 20 Jahren zurückliegt. Er hebt den selbst ziemlich kräftigen Götz George alias Schimanski auf einen Eisenbahnanhänger (www.youtube.com/watch?v=OcHLORbsB8k). Der sagt daraufhin nur: „Oh Mann, bist du stark.“ Und kassiert eine Ohrfeige von Ralf Moeller, die Schimi ins Land der Träume schickt. In Hollywood, das bekanntermaßen ein Faible für Muskelmänner hat, startete Ralf Moeller seine internationale Karriere im Jahr 1992 vor Roland Emmerichs Kamera in „Universal Soldier“.


Moeller: „Das war Rolands erster großer Kinoerfolg. JeanClaude Van Damme und Dolph Lundgren spielten mit. Wir waren so eine Art Roboter, die wie Menschen aussahen. Wir mussten durchs Feuer. Ich wurde also wirklich angezündet, und das für meine erste Rolle.“ Die Qualität der Actionrollen in Ralf Moellers Filmografie steigerte sich. Vorläufiger Höhepunkt seiner Schauspielkarriere aber war seine Rolle als Hagen an der Seite von Russell Crowe in Ridley Scotts „Gladiator“ aus dem Jahr 2000. Neben Arnold Schwarzenegger ist es vor allem Russell Crowe, der es Ralf Moeller in der Filmbranche angetan hat. „Er hat mir sehr geholfen, er hat Respekt vor Menschen.“ Eine Eigenschaft, die Ralf Moeller sehr schätzt und die ihn selbst auszeichnet. Respekt vor Menschen und eine Hilfsbereitschaft, die ihn schon als Schüler immer wieder für Schwächere hat eintreten lassen. Deswegen engagiert er sich seit 2006 im Rahmen der Kampagne „Starke Typen“. Zusammen mit der Familienministerin von der Leyen besucht er regelmäßig Hauptschulen in ganz Deutschland und will den Kindern dort das Gefühl vermitteln, dass es sich lohnt, sich einzusetzen und sich selbst „das Beste“

abzuverlangen. „Ich selbst habe auch nur einen Hauptschulabschluss, und ich habe nur wenige Worte auf Englisch gesprochen, und trotzdem gehe ich heute erfolgreich meinen Weg als Schauspieler in Hollywood.“ Ralf Moeller will den Jugendlichen durch Sport Schlüsselqualifikationen wie Fleiß, Disziplin, Ehrgeiz und Teamgeist vermitteln. Dass er die jungen Leute zur Erfüllung der klassischen Tugenden mahnen darf, ohne Hohn und Ablehnung zu ernten, liegt an seiner besonderen Authentizität. Mr. XXL hat seine Heimat und seine Wurzeln nicht vergessen. In der persönlichen Begegnung strahlt Ralf Moeller eine heitere Gelassenheit aus, nach der viele Menschen vergeblich suchen. Er hört mehr zu, als dass er selber spricht, er ist ehrlich interessiert an Menschen und gibt seinem Gegenüber das Gefühl von Sicherheit. „Ich gehe auf Menschen zu, ich schaue ihnen in die Augen und ich umarme sie. Ich liebe Menschen.“ Was ein Mann noch vorhat, der so viel aus sich gemacht hat? „Ich würde gerne das Leben von Max Schmeling spielen, leider ist die Finanzierung für diesen Film bisher nicht zustande gekommen!“ Seine Erkenntnis: „Man kann nicht alles im ersten Anlauf erreichen.“ Durchhalten und kämpfen, auch wenn die Situation erst einmal aussichtslos erscheint. Auch das ist etwas, was die Jugendlichen von ihrem „starken Ralf“ lernen können. Moellers Kollege Sylvester Stallone, der ebenfalls nie aufgegeben hat, formulierte in Teil 6 der Boxer-Saga „Rocky“ noch direkter, worum es im Leben geht: „Es kommt nicht darauf an, wie viel du austeilen kannst, sondern wie viel du einstecken kannst.“

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Schrift: Gill Sans Ultra Bold Condensed (www.linotype.com)

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Morgen kommt der Weihnachtsmann … … in Haute Couture! Der Weihnachtsmann hat den roten Bademantel eingemottet und trägt in der festlichen Saison endlich mal was Anständiges: Roben von Yves Saint Laurent, Calvin Klein, Lanvin, Alexander McQueen, Joop!, Costume National, Acne Jeans, Boss und Gucci. Wie, das können Sie sich nicht vorstellen? Müssen Sie aber, wir würden Ihnen ja die Überraschung vermasseln, wenn wir Ihnen den Weihnachtsmann schon vorher zeigen. Aber, psst, beschreiben dürfen wir ihn schon mal. Denn unsere Korrespondentin aus Himmelspforten, Judith Stoletzky, hat die neun schönsten Weihnachtsmänner vorab gesehen und präsentiert in FELD hommes die erste Modestrecke ohne Bilder. Die müssen Sie sich schon selber machen. Von Judith Stoletzky (Text)

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Lustig, lustig, traleralera! Der Weihnachtsmann von Yves Saint Laurent trägt einen sehr auffälligen tomatenroten, weiten Mantel aus schwerer Baumwolle mit drei großen schwarzen Knöpfen. Der Saum bedeckt gerade das Knie. Überweite Ärmel verdecken die Hände bis zu den Fingerkuppen. Die Schultern, das Revers, die ganze Fasson fallend, extrem fallend. Nennt man es lässig? Nennt man es matt? Die Geschenke, Seidenfoulards mit Nickituchmuster, transportiert er in den Pattentaschen des Mantels, riesigen Taschen mit Klappen, die seiner Erscheinung etwas Vagabundenhaftes geben. Dieser Eindruck wird von der locker um den Hals gelegten Cagoule aus schwarzem

Wie glänzt er festlich, lieb und mild. Dieser Weihnachtsmann trägt einen Smoking von Alexander McQueen. Aus schwarzem Nylonlack. Die Hose mit Bügelfalte, das Sakko doppelreihig – Justaucorps sagte man um 1700 bei den französischen Regimentern, nun, körpernah sagt man heute. Wie plebejisch. Das Sakko ein wenig tailliert, das Revers steigend, wie bei Doppelreihern üblich, jedoch mit einem Seidenspiegel. Sagt Ihnen nichts? Die Rede ist vom

Es kommt der Herr der Herrlichkeit. Der Weihnachtsmann galt bislang nicht als Dandy (engl.) bzw. arbiter elegantiarum (lat.), Schiedsrichter in Sachen des guten Geschmacks – bringt er doch hemmungslos DalíWandkalender und Duftkerzen als Geschenk, trägt seit 1920 denselben bademantelartigen Wams und lacht zu laut. Der Dandy hingegen ist stets elegant, aber unauffällig gekleidet. Er pflegt eine Liebe zu perfekten Umgangsformen, zum perfekten Sitz und zum modischen Detail. Umso überraschender also, dass der Weihnachtsmann in einem Smoking von Gucci aus kakaobraunem Samt gesehen wird. Mit Paspelierungen aus schwarzem Samt an steigendem Revers, Pattentaschen und Brustleistentasche. Aus schwarzer Seide auch die höfischen Gallonstreifen auf der Seitennaht der Hose und der

Lack verstärkt, die er bei Bedarf wie ein Gangster über das Gesicht zieht, um unerkannt zu bleiben. Welch Kontrast: aus Kaschmir der graue Rundhalspullover darunter. So hohes Hochwasser an der hellgrauen Bügelfaltenhose, dass man die schwarzen Strümpfe sieht. Seine Schuhe! Die halben! Sohlen wie Trittbretter. Die Rentiere sitzen darauf mit übereinandergeschlagenen Beinen und feilen sich die Fingernägel. Einen Bart? Nein. Einen Bart trägt er nicht, der Weihnachtsmann. Und ehrlich gesagt, so hat man ihn sich eigentlich nicht vorgestellt.  www.ysl.com

Reversbesatz. Die Pattentaschen sind aufwendig mit Paspeln verziert. Die Kombination mit einem weißen Hemd mit Button-down-Kragen und einer nachtblauen Satinkrawatte mit Kornblumen – gewagt! Geschenke hat er wahrscheinlich nicht dabei. Oder nur ganz kleine. Patte vielleicht. In den Pattentaschen.  www.alexandermcqueen.com

Kummerbund – der, anders als gemeinhin vermutet, nicht traurigen Männern ein wenig Halt geben, sondern Festlichkeit ausstrahlen soll. Denn Kummer kommt nicht von Kummer, sondern von „Kamar“, dem hindustanisch-persischen Taillenband. Unter dem Kummer trägt er einen schwarzen Rollkragenpullover mit – o, du Fröhliche! – Manschetten und Manschettenknöpfen aus Metall und Perlmutt. Er schlendert in Slippern aus schwarzem Ponyleder von Schornstein zu Schornstein, wobei die Schildkröte, die er nach Art der Dandys an der Leine führt, das Tempo vorgibt. Fast hätte man ihn nicht erkannt. Er trägt ja eine Sonnenbrille. In Pilotenform. Tststs.  www.gucci.com

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Dein Kleid will mich was lehren. „The Tuxedo – Gefahr im Anzug“ – ist eine mäßige US-amerikanische Actionkomödie mit Jackie Chan, Jennifer Love Hewitt und einem zwei Milliarden Dollar teuren Super-Tuxedo in den Hauptrollen. Der Weihnachtsmann wird für seinen Tuxedo von Lanvin nicht ganz so viel hingeblättert haben. Dennoch, der Preis für das satinierte schwarze Ein-KnopfWämschen mit Seidenspiegel hat ihn gezwungen, seinen Look recht brachial vermittels offen getragener, knöchelhoher Schnür-Sneakers aus fuchsiafarbenem Satin ironisch zu brechen. Am für einen Einreiher extravaganterweise und noch dazu steil steigenden Revers ist statt eines Einstecktuchs ein Ros entsprungen. Sehr festlich auch die schwarze

Wer strolcht da durch den finsteren Tann? Beeindruckend schlicht der Acne-Look dieses wichtigen Komplizen des internationalen Weihnachtskomplotts. Über einer schmalen schwarzen Hose, deren Hochwasser Katastrophenalarm auslösen müsste, trägt Knecht Ruprecht alias Zwarte Piet alias Beelzebub zwar keinen Sack, aber so was Ähnliches: ein Sakko. Sehr kurz, sehr schwarz, sehr kastig, sehr doppelreihig und sehr aus Astaire, wobei es sich um 100 % Wolle von der Schmiegsamkeit des gleichnamigen Tänzers handelt. In der Brustleistentasche steckt unsichtbar eine kleine Rute. Das schmale Revers ist steigend. Sehr schön

Ja, er kommt, der Friedensfürst. Es stand nachts einsam auf Posten ein Infanterist auf der Wacht, Der Schnee fing an zu fallen, es war die Weihnachtsnacht. Nüchtern betrachtet kann von einem Fest des Friedens nicht die Rede sein, führt man das Wort Weihnachten im Munde. Deshalb ist der Weihnachtsmann von Costume National in der Wintersaison 07 nicht im roten Kuschel-Ensemble unterwegs. Er verblüfft mit extrem schmaler Silhouette und kampfanzugartigem Habit. Er wirkt wie eine Mischung aus Erzengel und Fantomas. Statt eines langen weißen Bartes trägt der Weihnachtsmann einen breiten grauen Brustpanzer vor seinem großen, weichen Herzen – der Plastron (frz. Vorhemd) des schwarzen Langarm-Satinhemdes schützt bei frontalen Aggressionen, etwa durch Geschenke, die nicht gut angekommen

Bügelfaltenhose mit sehr sicherem, verdecktem Knopf-Reißverschluss-Schließsystem. Weiß wie frisch gefallener Schnee ist das Hemd, sein Cut-away-Kragen gestutzt und ausgefranst wie die Seele nach einem Weihnachtsfest im Kreise der Familie. Die hellgraue Seidenkrawatte ist nur für Banausen banausenhaft gebunden. Der Connaisseur erfreut sich an der Asymmetrie des kühnen Diagonal-rechts-Knotens. Der Rundhals-Kaschmirpullover rundet den Eindruck obenrum ab. Wäre da nicht, dunkler als die Heilige Nacht, auf dem Haupt die blaue Filzkappe nach Art der Reiter. So läuft er rum, der Weihnachtsmann. Oder ist es doch Pete Doherty?  www.lanvin.com

zu sinkenden Temperaturen. Nicht nur unartige Kinder reagieren mit Schrecken auf die kreuzvernähten Knöpfe am tiefschwarzen Rüschenhemd mit Kentkragen – so benannt nach dem Herzog von Kent aus dem Hause Windsor. Dieser trug, Sie vermuten es längst, zum Kentkragen Krawatte mit Windsorknoten. Wir alle wissen, dass man den Charakter eines Menschen jedoch nicht am Kragen, sondern an seinem Schuhwerk ablesen kann. Was genau also erzählen rot-graue Strümpfe in knöchelhohen Schnür-Sneakers mit Metallösen und Gummisohle?  www.acnejeans.com

sind und enttäuscht zurückgefeuert werden. Ein matter Kontrast zum schimmernden Satin ist der breite Kummerbund aus Merino. Manschetten und schwarze Lederhandschuhe signalisieren Verteidigungsbereitschaft, ebenso wie 12-LochSchnürboots aus schwarzem Leder mit kerniger Gummisohle. Dass ein Kampfanzug elegant sein kann, beweisen der klassische Kentkragen mit seidener Anstecknadel sowie schwarze Anzughosen mit messerscharfer Bügelfalte aus Kattun. Ein Material, das sicher nicht absichtslos gewählt wurde, bedeutet doch „Kattun geben“ einen Feind mächtig unter Feuer nehmen. Nahkampferprobt ist die eng anliegende Mütze aus Wolle -Kaschmir-Gemisch, die auch beim Kopfüber-in-denSchornstein-Gleiten für die nötige Schlüpfrigkeit sorgt.   www.costumenational.com

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Sieh, dein König kommt zu dir. Das ist doch mal eine Erscheinung! Schalmeien begleiten die Ankunft des Herrn, der in einem schwarzen, fein gestreiften Baumwoll-Kurzmantel mit breitem Reverskragen dank Rückenschlitz großen Schrittes einherschreitet. Die Schultern, auf denen die Verantwortung für das Gelingen des Weihnachtsfestes lastet, verstärkt von einem Pelerinenkragen. Die Gaben wohlverstaut in den Patten- bzw. Klappentaschen. Darunter ein tailliertes Ein-Knopf-Jackett mit paspelierten Pattentaschen zur schmalen schwarzen Hose mit Bügelfalten. Man achte auf Fasson und Crochetnaht – jene Naht, die Revers und Kragen verbindet: steigend in einem Winkel von nicht weniger als 135 bzw. 45 Grad! Damit steigen sowohl unsere Achtung als auch die Spannung auf das darunter getragene Hemd: erwartungsgemäß in Schwarz mit feinen weißen Streifen. Aus Rücksicht

Dein König kommt in niedern Hüllen. Dass es auch für Weihnachtsmänner nicht immer roter Samt mit weißem Fellbesatz sein muss, dürfte inzwischen klar sein. Weg vom großväterlich-behäbigen Image zum verwegen-männlichen scheint die Devise zu lauten. Zwar sieht man Weihnachtsmänner gelegentlich noch immer in rot-weißem Morgenrockartigem beim Fassadenfreeclimbing, in großstädtischen Zusammenhängen trägt er jedoch bei der Arbeit feinstes schwarzes Nappa – als legere Kombination aus kastigem Pullover mit V-Ausschnitt und der etwas weiter geschnittenen Hose aus selten großen Leder-

Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet. Der Weihnachtsmann kommt in die Stube. Er hat nichts dabei, er steht einfach elegant da, die Hände in den Taschen von Joop!. Er sagt kein Wort und schaut trotzig. Auf die Frage, ob er nicht ablegen möge, sagt er nichts. Wir schließen dann aus dem Schnitt seines schweren doppelreihigen Mantels in Schwarz, dass er vielleicht gar nicht der Weihnachtsmann ist, sondern ein hoher britischer Militär: Schulterklappen, Manschetten, schwere Goldknöpfe. Auch das feine Tuch; entweder Kaschmir oder weiche Melton Wool. In der breiten Steppnaht, die ton sur ton an Kragen und fallendem Revers entlangläuft, vermuten wir geheime Zeichen.

auf Bewegungsfreiheit dank Elasthan-Anteil elastisch, zwei Fältelungen im Rücken schaffen Raum für Muskelpakete. Dieser Weihnachtsmann achtet auch auf Verarbeitungsqualität: Die Knöpfe sind kreuzvernäht, die Nahtstiche eng. Subtiles Farbempfinden, gepaart mit Nonchalance, lesen wir aus der Wahl einer braunen Satinkrawatte mit lässigem Anfängerknoten, der Four-in-Hand-Knotenbindung. Gebannt verfolgen wir jeden seiner Schritte, die er in goldenen, ja, goldenen Schnürschuhen tut. Ein bisschen Oxford, ein bisschen Brogue die Form, die Schnürung fast förmlich, nämlich geschlossen. Hat’s da nicht geklingelt? Macht hoch die Tür, die Tor macht weit für den Weihnachtsmann in Boss orange.  www.hugoboss.com

stücken, quasi nahtfrei gearbeitet. Trotz des Partisanen-Outfits von Calvin Klein hat der Weihnachtsmann seine Wurzeln nicht vergessen. So wird der graue Kaschmirschal im, nicht über dem Pullover getragen, und die auf Schritthöhe hervorblitzenden Fransen erinnern mit feiner Ironie an den langen Bart seiner modischen Vorgänger. Statt Stiefeln trägt er einen eleganten schwarzen Schnürschuh mit schmaler Kappe und einer Gummisohle. Das Rentier als Accessoire ist auch nicht mehr en vogue. Jetzt hat man Pony.  www.calvinklein.com

Zu seinem blau-weiß gestreiften Hemd mit weißem Kentkragen trägt er eine schwarze Satinfliege. Seine graue Flanellhose sieht so weich aus, dass wir sie gern gestreichelt hätten, schon um festzustellen, ob es sich um Streichgarn oder Kammgarn, um Köper- oder Leinwandbindung handelt. Schwarze spitze Lackstiefeletten mit Lochmuster und Ziernähten lassen uns endgültig daran zweifeln, dass wir den Weihnachtsmann vor uns haben. Aber da: Vor dem Haus steht ja sein Schlitten! Es ist ein Aston Martin.  www.joop.com

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. Im Prinzip hatte Garrincha keine Chance, und er nutzte sie auch nicht. In der Zeit dazwischen aber hatte kein anderer Fußballer so viel Spaß dabei, seine Gegenspieler mit dem Ball zum Narren zu halten. Gegen jede taktische Logik natürlich, nur aus Freude am Spiel. Seine Fans haben ihn dafür geliebt.  Von Harald Braun (Text)

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X-Bein rechts, O-Bein links. Oder war es umgekehrt? Spielt auch keine Rolle. Als Manoel Francisco dos Santos am 28. Oktober 1933 in Pau Grande auf die Welt kam, war er schwer behindert, so oder so. Das ist keine Übertreibung. Sein Rückgrat war deformiert, sein linkes Bein sechs Zentimeter kürzer als das rechte. Zu den Perspektiven eines solchen HandicapKids gehört es sicher nicht, Fußballprofi zu werden. In Brasiliens Nationalmannschaft aufzulaufen. Weltmeister zu werden, zweimal. Manoel Francisco dos Santos hat das geschafft. Als Garrincha, der beste Rechtsaußen der Welt, wurde er zur brasilianischen „Alegria do Pove“, zur Freude der Leute. Die Leute riefen ihn aber auch „Mane“. Das ist zum einen die übliche Kurzform von Manoel – zum andern aber auch das wenig charmante Schimpfwort für einen ausgemachten Schwachkopf. Womit das Spannungsfeld eingekreist wäre, in dem sich Garrincha in der kurzen Zeit seines Lebens bewegte. Er war ein begnadeter Fußballer, ein Jahrhunderttalent, eine Zirkusattraktion in jedem Stadion der Welt – und ein Trinker, verantwortungsloser Hallodri und Frauenverräumer vor dem Herrn. Garrincha ganz allein war ein größeres Spektakel als Stefan Effenberg, George Best und Paul Gascoigne zusammen. Auf dem Platz, aber auch außerhalb. Eine Gnade und eine Qual, ein Geschenk und die Pest, eine göttliche Erscheinung und ein schlimmer Fluch. Das mit dem Namen. Garrincha. Seine Schwester soll ihn zum ersten Mal so genannt haben. Weil der Straßenjunge aus Pau Grande so klein war. Und weil der Garrincha ein kleiner brauner Vogel ist, der wunderschön singen kann, sich aber nicht in Gefangenschaft halten lässt. So ein Garrincha ist Manoel auch. Wächst unbeobachtet auf, aber auch unbeachtet. Lernt nicht richtig lesen und schreiben, drückt sich vor der Schule, stromert lieber durch die Gegend. Gewinnt beim Weitpinkeln, beim Wettwichsen der Zehnjährigen. Hat mit zehn Jahren schon einen Penis wie ein Pony. Und besitzt natürlich keinen richtigen Fußball. Den haben nur die reichen Kinder. Gar­ rincha war das fünfte Kind von neun. Sein Fußball ist aus Papier, das er in eine alte Socke seiner Tante gestopft hat. Trotzdem ist Garrincha tagein, tagaus mit dem Papierstrumpf unterwegs. Bald ist er der beste Fußballer in Pau Grande. Nicht der größte, nicht der älteste, auch nicht der eleganteste mit seinem bizarren, wankenden Gang. Aber mit Abstand der beste. Der Straßenfußballer Garrincha hat früh auch schon andere Interessen. Mit elf pubertiert er heftig, mit zwölf vögelt er eine Ziege. Alle machen das so, und für eine Prostituierte hat er noch kein Geld. Er beginnt zu arbeiten, in einer Textilfabrik in Pau Grande. Fliegt schnell wieder, wird neu eingestellt, hängt herum, trinkt eine Menge Caracha, eine Art Zuckerrohrschnaps, und wird nach einem Blick auf seine Beine vom brasilianischen Militär ausgemustert: untauglich. Und spielt Fußball, grandiosen Spaßfußball, in diversen Mannschaften rund um Pau Grande. Spielt einmal für kleines Geld bei einer unbedeutenden Profitruppe, hat aber schon nach drei Monaten keine Lust mehr auf die weiten Fahrten zu den Spielen. Bleibt lieber bei seinen Freunden in Pau Grande und vögelt alle Frauen, die sich von ihm vögeln lassen, gleich hinter dem Stadion. Als seine Schulfreundin Nair von ihm schwanger wird, heiratet er sie, einen Tag nach seinem 19. Geburtstag. Und macht weiter wie bisher, nur mit mehr Alkohol. Im gleichen Jahr nimmt er endlich eine Einladung für ein Probetraining bei einer Profimannschaft in Rio an. Er spielt seinem Gegenspieler Nilton Santos den Ball durch die Beine. Der ist bereits brasilianischer Nationalspieler und hat so etwas sport

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noch nicht erlebt. Botafogos Trainer Cardosos, der Garrincha mit dem Satz empfangen hatte: „Jetzt schicken sie mir schon einen Krüppel“, behält Garrincha nach dem Training gleich da, gibt ihm noch am selben Tag einen Vertrag als Profi. Das Leben von Garrincha ist an seinem ersten Wendepunkt. X-mal schwänzt Garrincha das Training. Er verhält sich als Profi einer der bekanntesten Mannschaften Brasiliens nicht anders als zu der Zeit, als er noch für die Dorftruppe von Pau Grande auf einem Lehmacker kickte. Mehr noch: Er bleibt in Pau Grande wohnen. Offiziell, um bei seiner Frau Nair und dem Kind zu sein. In Wahrheit fühlt er sich dort freier, kann bei seinen Mätressen sein, mit seinen Freunden trinken, unbeobachtet vom Verein und den Medien in Rio. Für Letztere wird Garrincha langsam interessant, denn schon in seiner ersten Saison erzielt er 20 Tore in 26 Spielen. Es hätten mehr sein können. Tore schießen macht Garrincha zwar Spaß, dribbeln aber, mit dem Ball artistische Kunststückchen versuchen, sinnfrei daddeln, das ist es, was Garrincha wirklich interessiert. Seine Trainer raufen sich die Haare, seine Mitspieler sind abwechselnd glücklich über seinen Zauber oder genervt. Den Zuschauern aber gefällt das Hacke-Spitze-eins-zwei-drei von Garrincha. Und dem gefällt es, vor großem Publikum zu zaubern. Aber auch nicht so gut wiederum, dass er deshalb häufiger zum Training erscheinen würde. Erst ein neuer junger Trainer, Paulo Amaral, nimmt Garrincha unter seine Fittiche und schafft es, dass der nur 1,65 Meter kleine Kicker vier Pfund Muskelmasse in den Beinen zunimmt. Selbst sein Mannschaftsarzt bestätigt Garrincha, dass er Beinmuskeln habe wie ein Pferd. Garrincha wird noch besser. Zu seinem Talent kommt nun auch die entsprechende Physis: Seine „verkrüppelten“ Beine sind die Basis seiner wahnwitzigen Dribblings. Einmal, weil sich Garrincha mit explosiven Antritten blitzschnell von seinen Gegnern löst, zum andern aber auch, weil ihm selbst heftigste Tritte seiner Gegenspieler nichts anhaben. Seine Beine stehen fest, so als ob sie in die Erde betoniert worden wären. Sein Besitzer hingegen hat den Kopf in der Luft und frönt dem Savoir-vivre – ohne genau zu wissen, was das sein soll oder es gar buchstabieren zu können. Garrincha wirkt wie ein Trottel, euphemistischer ausgedrückt: Er gilt bei den meisten als ein naiver Simpel auf dem geistigen Entwicklungsstand eines Zwölfjährigen. Erst der brasilianische Schriftsteller Ruy Castro, der mit über 500 Menschen aus dem Umfeld Garrinchas sprach, rehabilitierte ihn, ein wenig immerhin: „Es steckte keineswegs ein debiler, sondern ein hochsensibler Mensch hinter dem genialen Ballkünstler, dessen Bezwinger der Alkohol war.“ Schon 1954 steht Garrincha im erweiterten Aufgebot der Sele­ câo, der brasilianischen Nationalmannschaft, die in der Schweiz um die Weltmeisterschaft spielt. Doch er wird aus dem 40erAufgebot gestrichen. Zu jung sei er, zu unerfahren nach nur einem Jahr als Profi. Vor allem aber zu „ballversessen“. Heute würde man sagen: zu wenig mannschaftsdienlich. Doch das lässt sich Garrincha nicht austreiben. Für ihn ist das Spiel auf dem Rasen ein großer Spaß. Eines Tages lässt ihn sein Trainer vor versammelter Mannschaft einen Stuhl umdribbeln. Garrincha soll begreifen, dass es darum geht, nur einen Spieler auszuspielen und dann in die Mitte zu flanken. Deshalb der eine Stuhl. Garrincha grinst, umdribbelt den Stuhl, kreist zurück, spielt den Ball durch die Stuhlbeine, läuft noch einmal um den Stuhl herum, dann spielt er den Ball endlich in die Mitte. Seine Mitspieler grölen vor Lachen. Sein Trainer gibt auf. Garrincha ist nicht zu belehren. 114

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Dann dieses Freundschaftsspiel in Paris. Botafogo befindet sich auf Tournee, jeden zweiten Tag ein Spiel. Heute gegen Reims. Fünf Minuten vor Schluss steht es bereits 5 : 1. Es geht die Order an die Spieler: Verschwendet keine Energie, haltet den Ball in den eigenen Reihen. Garrincha versteht das so falsch, wie er es verstehen will: Er nimmt sich den Ball und gibt ihn nicht mehr ab. Erst versuchen die französischen Gegenspieler noch, ihn vom Ball zu trennen, doch nach ein paar Minuten, nachdem Garrincha ihnen den Ball durch die Beine und zurück gespielt und sie immer wieder umdribbelt hat, geben sie auf. Niemand greift Garrincha noch an. Also läuft der hinter den Verteidigern her und sucht sich seine Gegner selbst, schließlich dribbelt er zur Abwechslung mal aufs eigene Tor zu. Die Zuschauer in Paris haben so etwas noch nie gesehen. Sie stehen auf und applaudieren diesem merkwürdigen Spieler mit den krummen Beinen. Als das Spiel abgepfiffen wird, hat Garrincha den Ball immer noch am Fuß!

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X-mal wird Garrincha für die brasilianische Seleçâo spielen. Es ist der Traum eines jeden Jungen, der mit einem Ball aus Stofffetzen in einer der zahlreichen Favelas in Brasilien kickt. Die Seleçâo ist die Mannschaft, zu der ganz Brasilien ein nahezu libidinöses Verhältnis pflegt. Auch für Garrincha ist das eine große Sache. So prinzipiell. Trotzdem beschäftigt er sich nie mit den Spielen, solange er nicht auf dem Platz steht. Er weiß manchmal nicht einmal, wer der kommende Gegner sein wird, schaut sich keine Spiele im Fernsehen an. Ihn interessiert nur, selbst zu kicken, und ob das Spiel nun in Pau Grande stattfindet oder im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro – egal. Kümmert ihn nicht. In seinem ersten Länderspiel gegen Chile, im September 1955, umkurvt er seine Gegenspieler wie Slalomstangen. Wie immer. Die Zeitungen schreiben, Garrincha habe mal wieder zu selten den Ball abgespielt. Wie immer. Doch es ist unverkennbar: Hier wächst ein Spieler heran, der eine ganze Nation verzückt. Ein Jahrhunderttalent. Pelé hat nach dem Abschluss seiner Karriere einmal gesagt, ohne Garrincha wäre er niemals dreimal Weltmeister geworden. Bei der WM in Schweden kommt Garrincha erst im dritten Spiel zum Einsatz. Gegner ist die UdSSR. Und er braucht nur drei Minuten, um die Russen das Fürchten und die Weltöffentlichkeit das Staunen zu lehren. Ruy Castro schreibt über den ersten Auftritt des jungen Mannes auf der Weltbühne des Fußballs: „Das waren die großartigsten drei Minuten in der Geschichte des Fußballs. Wenn es so weitergegangen wäre, hätten sich die Sowjets auf eine Saison in Sibirien gefasst machen müssen. Ihr stolzer ‚wissenschaftlicher‘ Fußball war nie zuvor in solcher Weise abgewertet worden, und das durch einen armen brasilianischen Jungen mit dunkler Haut, klein wie ein Vogel, der schielte und lächerlich krumme Beine hatte. Garrincha war die personifizierte Unwissenschaftlichkeit.“ Das war der Tag, an dem ganz Brasilien seine Liebe zu Garrincha entdeckte. Es gibt nicht viele Fernsehbilder von Garrinchas Auftritten. Die Vorstellung, dass Garrincha in diesen Tagen spielen würde und seine irrwitzigen Dribblings, seine Eskapaden auf und außerhalb des Platzes live und in Farbe zu sehen sein könnten, raubt jedem wahren Fußballfreund den Atem. Die Hysterie um einen solchen Spieler wäre größer als der Beckham- oder der Ronaldinho-Hype zusammen. Selbst wenn Maradona nackt im Strafraum koksen und anschließend ein Tor gegen England erzielen würde, mit dem Körperteil seiner Wahl, dann wäre auch das nur annähernd so spektakulär wie Garrinchas Fußballzirkus in der besten Phase seiner Karriere. Er wurde 1958 Weltmeister in Schweden, brachte allerdings nicht nur sport

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den Cup nach Brasilien, sondern hinterließ dem WM-Gast­ geber­­land auch eine schwangere Schwedin. 1962, wohl auf dem Gipfel seiner Kunst, triumphierte er wiederholt mit der brasilianischen Seleçâo in Chile. Garrincha war der Mann, der den Unterschied machte. Er überragte alle – und blieb dabei der taktikbefreite Spaßkicker, der er immer gewesen war. Ein paar Tage vor dem WM-Endspiel in Chile wollte er zum Beispiel wissen, wer der Gegner sei. Ein Wunder, dass er überhaupt fragte. Man sagte es ihm: die Tschechoslowakei. Garrincha konnte mit dieser Information nichts anfangen. „Das ist die Mannschaft, gegen die wir schon einmal gespielt haben, in den Gruppenspielen, 0 : 0 – erinnerst du dich nicht?“ Garrincha dachte nach: „Ach, dieses Sâo Christovâo-Team mit den Paulo Amarals?“ Seine Mannschaftskameraden waren verblüfft. Okay, die Tschechen spielten in weißen Trikots, so wie die Sâo Christovâo-Spieler aus Rio auch. Aber was hatte Trainer Paulo Amaral damit zu tun? „Garrincha, wieso bestehen die nur aus Paulo Amarals?“, fragte einer seiner Mitspieler. Garrinchas durchaus ernst gemeinte Antwort: „Weil sie alle groß und dick sind und nicht Fußball spielen können!“ Für diese Einstellung zu seinem Sport haben die Menschen Garrincha geliebt. Würden ihn vermutlich auch heute noch lieben, denn Garrincha steht für alles, was Fußball in seinen besten Momenten zur Kunst erhebt: Leidenschaft und Genie, ungezügelte Spielfreude und Sorglosigkeit, Schönheit und Tragödie, Lebenslust und Maßlosigkeit. Und natürlich die vollkommene Abwesenheit von Vernunft. Garrincha war der Schutzpatron der freien Radikalen und Ungebremsten. Seine Weigerung, taktische Zwänge zu akzeptieren, und nur das zu tun, was der Moment ihm eingibt, hebt ihn heraus aus der Masse der Planer, Konzeptkicker und trainingseifrigen Karrieristen in kurzen Hosen. Sein fröhlicher Anarchismus, sein sinnbefreiter Hedonismus gaben dem Spiel eine Freude und Unschuld zurück, die der professionelle Fußballapparat seinen Protagonisten längst nicht mehr zugestehen wollte. Wo wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, gelten unkalkulierbare Faktoren wie Garrincha als Sicherheitslücken im System. Doch solange Garrincha mit seinem genialen Spiel das System ausdribbelte, konnte ihm niemand etwas anhaben. Er WAR das Spiel, und das Spiel machte Spaß. Doch das Spiel dauerte immer nur 90 Minuten, dann begann das richtige Leben auch für Garrincha wieder. Genau so, wie Garrincha Fußball spielte, lebte er auch: freudebetont, für den Moment. Alles, was Spaß machte, war willkommen, sofort. Disziplin, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit, Effektivität, Verantwortungsbewusstsein? Nicht in Garrinchas eigenem Universum. X Kinder hat Garrincha gezeugt. Mit zahlreichen Frauen. Mindestens 14. Möglicherweise mehr? Er verließ seine Frau mit acht Kindern in Pau Grande, um mit einer Sängerin zu leben. Hinterließ wenigstens ein uneheliches Kind in Europa, vögelte hemmungslos Mädchen zwischen 14 und 40, ohne sich dabei zu verstecken. Auf Reisen im Ausland quartierte er sich in Bordellen ein. Trank schon mit zehn Jahren Unmengen Caracha und steigerte sich kontinuierlich. Unterschrieb Verträge bei Botafogo, in denen die Zahlen immer erst hinterher eingetragen wurden, und zwar vom Verein. Er hielt Freunde und Verwandte aus, finanzierte Geliebten Wohnungen in seiner Nähe, feierte vor Spielen bis zur Bewusstlosigkeit. Verdiente ein Vermögen und hatte selten mehr als das Einkommen des letzten Monats. Kaufte Häuser und verlor sie wieder. Garrincha lebte jeden Tag, als gäbe es kein Morgen. Und als das Morgen dann doch kam, war er nicht vorbereitet. Mit 33, 34 Jahren begannen 116

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seine Handicap-Beine, sich gegen den Fußball aufzulehnen. Sein Kopf wurde leer und träge vom vielen Caracha, sein Körper kapitulierte schleichend vor einer Lebensgestaltung, die keine Grenzen akzeptierte. Klar, man kann es so sehen: Mehr Rock ’n’ Roll in einem Leben geht nicht. Doch als Garrincha dann starb, nach einer letzten Dekade rückhaltloser Alkoholkrankheit, die geprägt war von unwürdigen Versuchen, seine Karriere als Fußballer zu verlängern, von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit seiner Ehefrau, von Autounfällen im Suff – bei einem kam sogar seine eigene Schwiegermutter ums Leben –, von einem öffentlichen Auftritt auf dem Wagen einer Samba-Schule im Karneval, wo er regungslos und starr wie ein Zombie erschien und von nackter, bodenloser Armut gezeichnet war, da musste man bilanzieren: 49 Jahre sind nicht genug! Nicht für einen Mann, der besser als Pelé war und in Brasilien „die Freude der Leute“ genannt wurde. Nicht für Garrincha, den Mann, der die pure Lebenslust ins Stadion trug.  http://www.youtube.com/watch?v=dJOGRWkWcIc

Schrift: Memphis Extrabold (www.linotype.com)

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Wenn der Sachbearbeiter baggert, der Chef flirtet, die Sekretärin juchzt und die Schlange vorm Klo mit der Warteschleife vor einem Glühweinstand zu vergleichen ist, dann nähert sich die Weihnachtsfeier eines Unternehmens unweigerlich dem Höhepunkt. Mit Blick auf die Anwesenden werden wir zugleich Zeuge einer der größten modischen Niederlagen der Saison. Was eigentlich ein nettes Treffen der Angestellten sein soll, auf dem sich der Chef für die tolle Leistung und die unbezahlten Überstunden bedanken möchte, wird gerne mit einem routinierten Sauf-Sex-Theater verwechselt. Der hoffentlich gut gemeinten Herzenseinladung seines Vorgesetzten sollte man mit Dankbarkeit und festlicher Garderobe begegnen und nicht mit modischem Laisser-faire. Zu beobachten sind unzählige lieblos ausgewählte dunkle Anzüge, manche mit, manche ohne Krawatte, gelegentlich auch mit einem Wollpullover kombiniert. Beliebt bei der jüngeren Generation sind 3-Knopf-offen getragene Hemden, bei denen, in Tom-Ford-Machomanier, die Brusthaare aus dem Kragen quellen. Wer zu Smokingjacken eine Krawatte statt einer Fliege wählt, dem sollte vor Scham die Nase so rot leuchten wie bei Rudolph, dem Rentier. Gleiches gilt für Männer, die ihre agnostische Lebenseinstellung mit Jeans und T-Shirt zur Schau stellen. Um der Frage nach einem angemessenen Outfit gerecht zu werden, tut es also gut, zunächst einmal nach dem Ursprung 118

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dieses Anlasses zu fragen: Warum feiern wir Weihnachten? Da hilft ein kurzer Blick in die Bibel. Weihnachten ist neben Ostern und Pfingsten eines der drei christlichen Hauptfeste. Es beginnt mit der Adventszeit, die eigentlich Fastenzeit sein sollte, und erfährt seinen Höhepunkt am Heiligabend mit der Geburt Jesu und den darauffolgenden Feiertagen. Wie also kleidet man sich zur Geburt eines Kindes? Richtig, mit Respekt, Anstand und nicht im Räuberzivil. Ich plädiere für den guten alten Smoking bzw. Tuxedo. Was der Mann einst überzog, um sich vor den Geruch im Smoking Room zu schützen, avancierte seitdem zur festlichen Garderobe mit weißem Smokinghemd, schwarzer Schleife und dem Kummerbund. Der Bentley unter den maßgeschneiderten Smokings, und das macht sich in Schnitt, Passform und Materialqualität bemerkbar, kommt von der englischen Traditionsmeile Savile Row in London. In keinem anderen Geschäft auf der Welt wird die Nähkunst so in Perfektion beherrscht wie bei den Traditionshäusern Anderson & Sheppard, Gieves & Hawkes oder Henry Poole. Selbst das britische Königshaus lässt seine Kleidung hier schneidern, um sich für den gegebenen Anlass perfekt zu präsentieren. Der Hochadel muss es ja wissen. Aber auch die Sphinxe der internationalen Modeszene bieten gute Alternativen für die Firmenweihnachtsfeier: Korrekt

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Von Zhoi Hy (Text)

zum Fest ist das Modell von Bottega Veneta aus der Herbst/ Winter-Kollektion 2007. Das schwarze Jackett ist zweireihig geschnitten und hat ein seidenbesetztes, steigendes Revers, kombiniert mit einem weißen Hemd und einer Stoffhose mit Galonstreifen. Falls Ihnen diese Lösung zu steif erscheint, sollten Sie eine Melange zwischen Fashion und Tradition treffen, kurz „Fashidition“. Einen guten Ausreißer stellt das italienische Label Dolce & Gabbana vor. Das einreihige Sakko mit edlem seidenem Revers lässt sich wunderbar mit dem goldfarbenen Hemd mit Kläppchenkragen und dem „black tie“, der schwarzen Fliege, kombinieren. Statt der üblichen Lackschuhe trägt Stilguru und Designer Marc Jacobs zu seinem Smoking Chucks, das italienische Duo D&G empfiehlt lieber edle Slipper. Wer nun glaubt, mit dem Kauf eines Smokings und den damit verbundenen Kosten seinem Chef und damit auch seinem Unternehmen ein bisschen zu viel Ehre zu erweisen, der vergisst, was ihm noch bevorsteht: Nach der Firmenfeier steht Heiligabend mit der Familie an und wenige Tage später die Silvester-Sause. Im Januar folgen die großen Charity-Bälle, und auf der Hochzeit Ihres besten Freundes ist ein feiner Zwirn ebenso erwünscht. Die Halbwertzeit eines Smokings ist wegen des traditionellen Schnitts beachtlich, sozusagen eine Investition für das gesamte Leben. Auch weil das nächste Personal-

gespräch so sicher kommen wird wie das Christkind zu Ihnen nach Hause. Und dann können Sie sich darauf verlassen, dass Ihr Chef nicht nur Ihre guten Leistungen in Erinnerung hat, sondern auch Ihr souveränes Auftreten beim WeihnachtsfeierKaraoke, als Sie „We Are the Champions“ zwar musikalisch miserabel, aber optisch glänzend intoniert haben. So was zählt im Business. Falls Sie sich auf den Geldsegen der kommenden Gehaltschecks nicht verlassen wollen, gibt es in jeder größeren Stadt noch den Smokingverleih für den schmaleren Geldbeutel. Aus einem großen Fundus an zeitlosen Schmuckstücken probieren Sie so lange an, bis das passende Teil gefunden ist, und dürfen es je nach Geschäft ganze fünf Tage Ihr Eigen nennen. Bei Fettspritzern von der Weihnachtsgans oder dicken Rotweinflecken sind Sie auch abgesichert, weil der Verleih die Reinigungskosten übernimmt. Als Wächter des guten Geschmacks werde ich auf jeden Fall im Smoking zur FELD HOMMES Weihnachtsfeier kommen. Am Morgen danach werden die Fotos auf dem Redaktionsserver die Wahrheit wie immer gnadenlos dokumentieren. Deswegen: wenn schon abstürzen, dann bitte mit Stil. Schrift: BackspacerSquare (www.emigre.com).

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Malcolm X war ein zorniger schwarzer Mann. Er wurde nur 39 Jahre alt. Erschossen von seinen ehemaligen Anhängern, von den Black Muslims, wie sich die Nation of Islam auch nannte. Mehr als 50 Jahre nach seinem Tod sind seine Ziele noch immer nicht erreicht: Gleichberechtigung und Freiheit für die afroamerikanische Bevölkerung der USA. Von Jan Schlüter (Text)

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Es war fast genau vor einem Jahr in Jena, Louisiana. Am 4. Dezember verprügelten an einer Highschool sechs afroamerikanische Teenager einen weißen Teenager. Die Monate zuvor waren von rassistischen Gewaltfällen geprägt. Die mittlerweile politisierten „Jena Six“ wurden verurteilt. Einer der prügelnden Jungs sogar wegen versuchten Mordes, obwohl das Opfer der Schläge einen Tag später wieder in der Schule erschien. Der Richter meinte, dass die Sneaker der Jungs zu tödlichen Waffen hätten werden können. Was war passiert? In Jena gab es einen Baum, den sogenannten „White Tree“. Der alte, schattenspendende Baum war und ist das Symbol weißer Vorherrschaft in den Südstaaten. Früher durften sich nur Weiße darunter setzen. Aber nicht nur in Jena ticken die Uhren, 50 Jahre nach Ende der Rassentrennung, anders. Ein neuer Schüler der Highschool, ein Freshman, ging zum Direktor und fragte, ob er sich unter diesen Baum setzen dürfe. Der Direktor sagte dem schwarzen Jungen: „Setz dich, wohin du magst.“ Am nächsten Tag hingen drei Schlingen vom Baum herab. Danach wuchs die Gewalttätigkeit in der 3.000-Seelen-Gemeinde. Nach dem Prozess wurde der Baum gefällt, und ein heftiges Medienecho donnerte quer durch die USA. „We declare our right on this earth … to be a human being, to be respected as a human being, to be given the rights of a human being in this society, on this earth, in this day, which we intend to bring into existence by any means necessary.“  Am 19. Mai 1925 wird Malcolm Little in Omaha, der größten Stadt im Bundesstaat Nebraska, geboren. Seine Eltern Reverend Earl und Louise haben insgesamt sieben Kinder. Malcolm ist vergleichsweise hellhäutig und hat rotbraune Haare. Ein Erbe seines Großvaters, der weiß war. Die Familie Little zieht 1929 in die Nähe von Detroit, nach Lansing. Die Große Depression macht der Stadt, die vom Automobilbau lebt, schwer zu schaffen. Malcolms Familie zieht in eine „weiße“ Nachbarschaft, und Malcolms Vater wird Vorsitzender einer Separationsbewegung, der Negro Improvement Association and African Community League.

Die Familie des politisch engagierten Laienpredigers wird drangsaliert. Eines Nachts wird das Haus der Familie Little angezündet. Die Polizei verhaftet Earl Little und sucht erst gar nicht die Brandstifter. Als Malcolm sechs Jahr alt ist, stirbt sein Vater. Er wurde vor einen Bus gestoßen. Von nun an lebt die Familie ständig am finanziellen Abgrund und leidet Hunger. Malcolm kommt in die Schule. Von Anfang an wird ihm beigebracht, er habe keine guten Berufsaussichten. Der Junge ist unterfordert. Das macht ihn früh zum Rebellen, er ist renitent, er stört und klaut. 1939 kommt er in eine weiße Pflegefamilie und später in ein Jugendheim. Seine Mutter wird nach einem Zusammenbruch ins Irrenhaus eingewiesen und verliert das Sorgerecht. Mit 16 zieht Malcolm zu seiner Halbschwester Ella nach Boston. Er ist begeistert von der liberalen Stadt und schwärmt: „So viele Schwarze auf einmal habe ich noch niemals gesehen!“ Er fühlt sich zu Hause im Stadtteil Roxbury. Ella wohnt im Norden, dem besseren Teil des Viertels, und ist böse auf Malcolm, wenn er sich im Süden, im Ghetto des Viertels, herumtreibt. Er spielt, er kifft und wird zum hippen Großstadt-Kid. Er lässt sich einen „Conk“ machen, und mit den nun glatten Haaren und seiner hellen Haut gefällt er sich und den weißen Mädchen besser. Er arbeitet bei Eisenbahnlinien und kellnert schließlich in einer Bar in Harlem, New York. Der Kontakt zur Unterwelt steht allabendlich leibhaftig vor seiner Theke, und er schlägt sich als Kleinkrimineller durch, er dealt. Am 12. Januar 1946 wird Malcolm Little verhaftet. Er hat eine gestohlene Uhr aus einem Raubzug reparieren lassen. Ein Jahr zuvor hatte er mit seiner weißen Freundin Bea, einem Kollegen und zwei anderen weißen Mädchen eine Einbrecherbande gegründet. Der Richter beurteilt bei der Verhandlung „Sex mit weißen Frauen“ schwerwiegender als Diebstahl und brummt Malcolm und seinem Kollegen acht und zehn Jahre Gefängnis auf. Bea bekommt fünf Jahre, ist aber bereits nach sieben Monaten wieder frei. Im Charlestown-Gefängnis südwestlich von Boston lernt Malcolm einen Schwarzen Namens Bembry kennen. Bembry kann allein durch Reden Aufmerksamkeit erwecken, er genießt Respekt und Achtung bei den Häftlingen. Malcolm ist beeindruckt und beginnt, alles, was ihm in die Hände fällt, zu lesen. Von griechischen Fabeln bis zu den Romanen von Charles Dickens. Malcolms Bruder schreibt ihm häufig und erklärt ihm in seinen Briefen die Regeln der Nation of Islam, der er und auch drei weitere Geschwister beigetreten sind. Malcolm, dem Religion bis dahin egal war, lässt sich von seinem Bruder Reginald überzeugen. Er schreibt aus dem Gefängnis einen Brief an das Oberhaupt der Sekte NOI (Nation of Islam), Elijah Muhammad. Der Antwortbrief enthält Geld und die Erklärung, dass nicht er, Malcolm Little, an seinem Schicksal Schuld sei, sondern die kriminelle weiße Gesellschaft. „If violence is wrong in America, violence is wrong abroad. If it is wrong to be violent, defending black women and black children and black babies and black men, then it is wrong for America to draft us, and make us violent abroad in defense of her. And if it is right for America to draft us, and teach us how to be violent in defense of her, then it is right for you and me to do whatever is necessary to defend our own people right here in this country.“

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„March on Washington“

Civil Rights Movement

Elijah Muhammad

Martin Luther King

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Nation of Islam


Am 10. März 1949 tritt Malcolm der NOI bei und heißt jetzt X mit Nachnamen. Das X steht für den unbekannten Nachnamen jedes Afroamerikaners. Denn, so die offizielle Kritik der NOI, der amtliche Nachname im Pass sei lediglich der übernommene „Sklavenname“, den die Weißen den Schwarzen mitgegeben hatten. Malcolm X rasiert sich den Kopf, betet zu Allah und beteiligt sich an Debattierclubs im Gefängnis. Im August 1952 wird er vorzeitig wegen guter Führung entlassen. Er verweigert den Kriegsdienst, um nicht in den Koreakrieg zu müssen, und zieht nach Detroit. Im Herbst 52 lernt Malcolm X den Führer der Sekte, Elijah Muhammad, persönlich kennen. Malcolm wird der Vertraute des „Ministers“. Er lernt die verqueren Regeln der NOI kennen, die mit dem orthodoxen Islam nicht vereinbar sind. Eines der Gesetze des Pseudo-Glaubens lautet beispielsweise: Es gibt keine weißen Moslems. Malcolm X wird nach Boston geschickt, um dort einen neuen Tempel bzw. eine neue Moschee zu eröffnen. Er ist als Redner sehr erfolgreich und gewinnt schnell Anhänger. Von dort geht Malcolm X nach Philadelphia und wird danach in den Tempel nach New York beordert, in den Stadtteil Harlem. Die schwarzen Ghettos werden von der amerikanischen Regierung vernachlässigt und ignoriert. Die Folgen sind verheerend. Schlechte Infrastruktur, kaum Spielplätze, wenige Schulen, hohe Kriminalität. Mitte der 50er kommt eine Wirtschaftskrise dazu. Malcolm übernimmt den kleinen Tempel Nummer 7. Die Mitgliederzahlen steigen von ein paar Hundert auf einige Zehntausend. Malcolm X führt ein autoritäres Regiment, wer Widerworte gibt, wird ausgeschlossen. „I believe in the brotherhood of man, all men, but I don’t believe in brotherhood with anybody who doesn’t want brotherhood with me. I believe in treating people right, but I’m not going to waste my time trying to treat somebody right who doesn’t know how to return the treatment.“  Im April 1957 wird ein Schwarzer von der Polizei brutal zusammengeschlagen. Am Tatort versammelt sich eine Menschenmenge, darunter auch Hinton Johnson, ein Mitglied der NOI. Er wird von der Polizei wahllos nach einem Gerangel verhaftet, auf die Wache gebracht und misshandelt. Malcolm X fordert die Polizei auf, Hinton ins Krankenhaus zu bringen. Endlich reagiert die Öffentlichkeit. In einem Prozess werden Hinton 70.000 Dollar Schmerzensgeld zugesprochen, die höchste Summe, die ein Opfer von Polizeigewalt in New York bis dato erhalten hat. Mit seinen Auftritten und Reden hat Malcolm X eine exponierte Machtstellung erreicht. Er ist der unbestrittene Stellvertreter von Elijah Muhammad. 1958 heiratet Malcolm X eine Mitarbeiterin des Tempels Nummer 7, Betty Sanders, die beiden bekommen kurze Zeit später die erste von insgesamt sechs Töchtern. Malcolm X unternimmt erste Reisen und besucht Ghana, Nigeria, Syrien, den Sudan, aber auch Saudi-Arabien und den Iran. In Kairo trifft er sich mit Präsident Nasser. 1959

entsteht eine Fernsehdokumentation über die Mitglieder der Nation of Islam, die sich Black Muslims nennen. Malcolm X ergreift die Möglichkeit, durch die Dokumentation mehr Öffentlichkeit zu erhalten, obwohl sein Sektenoberhaupt Elijah Muhammad eine Zusammenarbeit mit den Medien vorher strikt abgelehnt hat. Es kommt zu ersten Streitigkeiten im Führungsduo der NOI. Nach der Ausstrahlung im Fernsehen ist Malcolm X ein gefragter Redner. Als Elijah Muhammad aus gesundheitlichen Gründen nach Phoenix, Arizona, umzieht, wird Malcolm X 1961 der offizielle Repräsentant der NOI. Malcolm X erfährt, dass sein Boss uneheliche Kinder hat, einige sogar von weißen Frauen, was nach dem Glauben der Black Muslims streng verboten ist. Malcolm ist fassungslos und er beginnt ernsthaft an der Integrität seines Führers zu zweifeln. Auch die Forderung von Elijah Muhammad nach einem eigenen Staat hält Malcolm X für wenig realistisch. Der Plan sieht vor, ein Gebiet, entweder in Afrika oder in den USA, herauszulösen und nach dem Vorbild Israels zu einem eigenen Staat zu erklären. Wobei die Juden natürlich von der NOI genauso gehasst werden wie die christlichen Weißen. Es sei schlicht unmöglich, sich in die amerikanische Gesellschaft zu integrieren, und eine Mischung der Rassen sei ebenfalls strikt verboten, so Elijah Muhammad. „If you’re not ready to die for it, put the word ‚freedom‘ out of your vocabulary.“ Im Frühjahr 1962 kommt es vor dem NOI-Tempel von Los Angeles zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit der Polizei. Dabei erschießt ein Polizist den obersten Priester der Black Muslims von Los Angeles. Der Priester war unbewaffnet. Malcolm X hält eine flammende Hassrede und ruft zur Rache auf. Elijah Muhammad lehnt das strikt ab. Die Beziehung der beiden Männer kühlt weiter ab. Als Martin Luther King und das Civil Rights Movement zum „March on Washington“ am 28. August 1963 aufrufen, hat Malcolm X dafür nur Spott übrig. Er nennt den Marsch eine Farce und sagt, die Demonstration sei von Weißen angeführt worden. Ende 1964 kommt es zum großen Eklat, nachdem Malcolm das Attentat auf Kennedy trotz Verbots von Elijah Muhammad öffentlich kommentiert hat. Ihm wird ein dreimonatiges Redeverbot auferlegt, Anfang 1964 wird Malcolm X aller seiner Ämter enthoben. Dass er persönlich nur neun Tage später Cassius Clay zum Übertritt in die Nation überzeugt, ändert nichts. Clay heißt jetzt Muhammad Ali. „I’m not a politician, not even a student of politics; in fact, I’m not a student of much of anything. I’m not a Democrat, I’m not a Republican, and I don’t even consider myself an American. If you and I were Americans, there’d be no problem. Those Hunkies that just got off the boat, they’re already Americans; Polacks are already Americans; the Italian refugees are already Americans. Everything that came out of Europe, every blue-eyed thing, is already an American. And as long as you and I have been over here, we aren’t Americans yet.“

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Fig. 10

Im März 1964 gründet Malcolm X schließlich seine eigene Sekte, die Muslim Mosque Incorporated. In Reden bedauert er, die letzten zwölf Jahre vertan zu haben, und sieht sich nun auf dem richtigen Weg. Er sagt außerdem voraus, dass ihn seine ehemaligen Anhänger töten werden, weil er zu viel weiß. Da er kaum Anhänger findet, gründet er zusätzlich noch eine andere, nicht religiöse Organisation, die sich um politische und soziale Programme kümmert. Malcolm X nennt sie die Organisation für afroamerikanische Einheit. Er pilgert nach Mekka und erhält eine neuen Namen. El-Hajj Malik El-Shabazz. Shabazz heißen heute noch seine Töchter mit bürgerlichem Nachnamen. Malcom X ist nun sunnitischer Moslem. Insgesamt weilt Malcolm fünf Monate in Afrika, danach fliegt er nach Europa. Die vielen Reisen dienen unter anderem seinem Schutz, denn die Angst vor einem Attentat ist groß. Malcolm kehrt am 13. Februar 1965 nach New York zurück. Einen Tag später wird sein Haus in East Elmhurst von Molotowcocktails getroffen und brennt. Am 21. Februar hält Malcolm eine Rede im Audubon Ballroom im Norden Harlems. Während der Rede geraten zwei Zuhörer in einen Streit. Das lenkt die Bodyguards ab. Es detoniert eine Rauchbombe. Malcolm X wird von 16 Kugeln und einer Ladung aus einer Schrotflinte durchsiebt und ist sofort tot. Die drei mutmaßlichen Täter sind Mitglieder der Nation of Islam. Einem von ihnen, Talmadge Hayer, wird ins Bein geschossen, und er wird am Tatort fast gelyncht. Später wird behauptet, dass FBI hätte ihn erschossen. Dass die Nation of Islam vom FBI unterwandert wurde, gilt als sicher. Ganz aufgeklärt wird auch dieses Attentat eines bedeutenden amerikanischen Politikers nie. Nach Malcolm X Tod gründen sich viele neue Bewegungen. Aber weder die Black Panther Party for Self-Defence noch die Five Percent Nation entwickeln großen Einfluss. Der Gründer der Nation of Islam Elijah Muhammad stirbt im Februar 1975. Louis Farrakhan übernimmt seinen Posten. Noch heute unterhält die NOI fünf Büros und ein Headquarter in Chicago. Die Hip-Hop-Bewegung, die Mitte der 70er-Jahre in New York begann, trägt heute wesentlich zur Erhaltung und Verbreitung der alten und neuen Lehren bei. Einige Sänger und Rapper sind bekennende Five Percenter oder fühlen sich der Nation of Islam zugehörig und betätigen sich seit Ende der 80er-Jahre auch politisch. Dazu zählen viele New Yorker Künstler. Allen voran Public Enemy, die Brand Nubians, Eric B. & Rakim, Gang Starr, NAS, The Fugees, Mos Def, Common, Pete Rock und Sean Price etc. Westcoast Rapper

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Ice Cube, Ex-N.W.A.-Mitglied und sunnitischer Moslem, äußert sich in seinen Texten in bester NOI-Tradition vehement und rassistisch. Künstler, die früher bei den Five Percentern oder der Nation of Islam waren, gründen heute selbst Initiativen und Non-Profit-Organisationen. Wie Erykah Badus B.L.I.N.D.-Organisation und die Def-Jam-Label-Besitzer Russell Simmons und Jay-Z mit ihrer Foundation For Ethnic Understanding, um nur zwei zu nennen. Sie engagieren sich, weil der Rassismus nach wie vor das Land teilt und bittere Armut grassiert. Ein Viertel der 35 Millionen Afroamerikaner lebt heute unter der Armutsgrenze. Malcolm X war ein wortgewaltiger und cooler Typ. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, dazu eine schwarze, schlanke Krawatte und schwarz gerahmte Brille. Heute würden wir sagen: stylisch. Er war belesen und traf den richtigen Ton bei seinen Zuhörern. Malcolm X war der Sprecher der Schwarzen in den großen Städten des Nordens, während Friedensnobelpreisträger Martin Luther King jr. im ländlichen Süden, im sogenannten „Blackbelt“, seine Anhängerschaft fand. Malcolm X war nicht bereit zu warten, dass „die weißen Teufel“ endlich das taten, was das Gesetzbuch vorschrieb. Er wollte kämpfen, für freie Schulwahl und die Gleichberechtigung der Schwarzen insgesamt. Er rief nie direkt zur Gewalt auf, wohl aber zur Selbstverteidigung. Dass diese Grenze oft fließend verläuft und die Definition von Selbstverteidigung dem obliegt, der sich oder seine Sache in Gefahr wähnt, musste er mit seinem gewaltsamen Tod am eigenen Leib erfahren. Dennoch. Malcolm X hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich viele Afroamerikaner stolzer und weniger hilflos fühlen. In einer extremen Situation der Unterdrückung und Missachtung der grundlegendsten Menschenrechte forderte Malcolm X den Einsatz extremen Handelns. In seinen Reden loderte der Hass, aber auch die Hoffnung auf Befreiung, die Chance auf Freiheit. Sein temperamentvolles Diktum, seine rhetorische Brillanz machen ihn noch heute zum Vorbild der Kinder und Kindeskinder seiner „Revolution“. Als vor einem Jahr der Rassenhass in Jena wieder so unverstellt aufbrach, fühlte sich die afroamerikanische Bevölkerung zu Recht an alte Zeiten erinnert. Viele Bürgerrechtler kamen nach Jena, darunter natürlich Jesse Jackson und auch Martin Luther III. Rap Artists wie Ice Cube und Mos Def waren persönlich vor Ort, um gegen Rassismus und Diskriminierung zu protestieren. Fernsehsender machten Interviews, komplette TV-Shows und -Produktionen wurden zeitweise nach Jena verlegt. Die Probleme, derentwegen Malcolm X seinen Kampf begann, sind auch 40 Jahre nach seinem Tod nicht gelöst. „You don’t have to be a man to fight for freedom. All you have to do is to be an intelligent human being.“

Schrift: Bodoni Stencil D Bold (www.myfonts.com)


Cassius Clay Muhammad Ali

Muslim Mosque Incorporated

16 Kugeln 1 Schrotflinte 1 Ladung Five Percenter Organisation f端r afroamerikanische Einheit Black Panther Party for Self-defence

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Flughafen Frankfurt, auf zum Termin in Anzug und Krawatte. Beim Boarding des Fliegers treffe ich eine alte Schulfreundin, Küsschen links, Küsschen rechts. Die vertraute Begrüßung mit der attraktiven Flugbegleiterin, die noch vor ein paar Jahren in der Schule neben mir saß, bleibt nicht unbemerkt von den anwesenden, mehrheitlich männlichen Geschäftsreisenden. Die Gedanken in den Köpfen dieser Männer sind leicht zu erraten: „Wieso kennt dieser Typ die Stewardess? Der hat es ihr doch bestimmt schon mal so richtig besorgt. Diese Weiber – jede Nacht in einer anderen Stadt in den gleichen Hotels wie wir Business-Typen. Rumvögeln ist doch irgendwie Teil ihres Berufes. Der blöde Kerl hat’s gut!“ Die Blicke sind eindeutig! Sie halten mich in einer skurrilen Mischung aus Neid und Anerkennung für einen erfolgreichen Jäger. Offensichtlich hat die eigentlich harmlose Begrüßungssituation bei den männlichen Artgenossen sofort bestimmte Wahrnehmungs-Stereotype hervorgezaubert. Das brave Mädchen in Lufthansa-Uniform mutiert in der Vorstellung der anwesenden Männer zu einer willenlosen Sexmarionette. Ähnliche Fantasien, wie sie bei Kerlen auch gerne im Zusammenhang mit jungen Polizistinnen, Krankenschwestern oder Zimmermädchen auftreten, werden seit Beginn der Pubertät durch den unregelmäßigen Konsum von Hochglanzpornos geprägt. Während sich unsere Maschine auf die Rollbahn bewegt, drängt sich mir die Frage auf: Was lernen wir Männer eigentlich noch alles von Pornos? Bereits beim Betrachten der lollipopbunten Cover von Pornovideos wird Männern eine erste klare Botschaft vermittelt: Alle Mädchen sind willig und wollen Sex, sobald sie 18 sind! Die Titel sind unmissverständlich: „18 Years and Fucking“, „Endlich achtzehn!“, „Barely 18“ ... Entsprechendes Material liegt mit Darstellern und Darstellerinnen aus allen Ethnien vor. Aus fast allen. Auffällig ist: Es gibt keine asiatischen Männer! Die sind offensichtlich ausgestorben.

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Und noch etwas wurde von der Hardcore-Evolution einfach ausgelöscht: Frauen haben keine Schambehaarung! Blitzeblank und ratzekahl schaut der weibliche Schambereich in die nervös wackelnden Kameralinsen.

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Überhaupt hat der weibliche Körper ganz erstaunliche Fähigkeiten und Eigenschaften, die im Biologieunterricht seltsamerweise unterschlagen wurden: Frauen haben nie Kopfschmerzen oder Menstruationsbeschwerden! Es gibt auch keine kleinen Brüste! Und vor allem: Frauen haben keinen Würgereflex! Dies wird immer wieder eindrucksvoll anhand der Melktechniken illustriert, mit denen Darstellerinnen ihrer Obsession für Sperma nachgehen.

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Pornos helfen Männern aber auch, die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen besser zu verstehen. So lernen wir, dass Frauen automatisch geil werden, wenn Sie einen Mann mit einer Videokamera sehen! Insbesondere junge Frauen sind auch immer total überrascht, wenn sie einem Mann die Hose ausziehen und plötzlich einen Penis finden!

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Spätestens nach den ersten zehn Minuten eines Pornofilms wird auch dem Letzten klar: Alle Frauen sind bi! Man tut also gut daran, gelegentlich mal die beste Freundin seiner Partnerin, eine vollkommen Unbekannte oder gerne auch den Babysitter zum gemeinsamen Schäferstündchen einzuladen.

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Wir lernen aber auch eine Menge Handgriffe, die jeden zum perfekten Liebhaber ausbilden: Der direkte Griff an die Brust nach einem kurzen „Hallo!“ gehört schon fast zum guten Ton. Und wenn es dann endlich zur Sache geht, sind zehn Sekunden orale Befriedigung einer Frau mehr als genug! So richtig anstrengen müssen wir uns nicht beim Sex: Frauen haben grundsätzlich einen Orgasmus – und ein Vor- und Nachspiel wollen Frauen nicht!

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Natürlich lernt man von Pornos nicht nur etwas über Frauen. Auch über das eigene Geschlecht gibt es Aufklärendes zu erfahren: Wer dachte, dass Fußballprofis die heißesten Frauen abbekommen, hat sich getäuscht. Die begehrtesten Berufe sind zweifellos Postbote, Fitnesstrainer, Gärtner und Klempner! Der Grund: Bei diesen Typen können sich Frauen darauf verlassen, einen prächtigen Schwanz von mindestens 18 Zentimetern Länge präsentiert zu bekommen. Und der steht immer – wenn’s sein muss, auch stundenlang! Wir lernen noch mehr: Ein Mann ejakuliert grundsätzlich auf den Bauch, die Brüste oder das Gesicht seiner Sexualpartnerin. Und die Frauen lieben das! Kein Mensch macht’s in der Missionarsstellung. Die hat vollkommen ausgedient, ist langweilig und antiquiert. Positionen müssen mindestens alle 30 Sekunden gewechselt werden! Auch über modische Trends klären uns Pornofilme auf: Frauen tragen immer High Heels im Bett! Und während die Damen insgesamt eher aufwendige Wäschestücke anhaben, verzichten Männer in der Regel komplett auf Unterwäsche. Die würde nämlich nur verhindern, dass der Penis beim Hoseöffnen direkt der Frau entgegenspringt.

Die Anschnallzeichen leuchten auf, der Flieger setzt zur Landung an, und ich verlasse meinen Diskurs über die Fantasiewelt des Triple X. Hektisch sammelt das Flugpersonal die restlichen Kaffeebecher ein. Meine Schulfreundin sitzt ein paar Sitzreihen weiter vorne im Gang. Sie scheint sich zu unterhalten. Doch was macht sie da? Hat sie nicht gerade einem dieser schmierigen Typen aus der Business-Class ihre Nummer zugesteckt? Sie wird doch nicht … Die Sau!

Schrift: Independence (www.dafont.com)

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Das perfekte Luxus-Dinner Statt trockener Gans eine prächtige Ente, statt Plätzchen ein himmlischer Pudding: Mit unserem 4-Gänge-Luxus-Menü von Paul Bocuse bringen Sie ein bisschen kulinarischen Schwung in angestaubte Heiligabend-Traditionen. Und zu Silvester hat das Fondue-Set von Tante Ilse auch mal eine Pause verdient. Lassen Sie es auf der Festtafel richtig krachen. Schon der Einkauf wird Sie in festliche Stimmung versetzen. Und wenn Sie den Weinempfehlungen von Bocuse nicht folgen können, weil Sie sonst Ihr Erbe versetzen müssten, dann haben wir eine günstigere Alternative für Sie: einfach zu jedem Gang Champagner trinken!  Von Sabine Manecke (Text & Auswahl) und Paul Bocuse (Rezepte)

Im Fernsehen wird gekocht, was das Zeug hält. „Das könnt ihr auch, macht es uns einfach nach!“, rufen uns ein Dutzend Köche mit Spitzbärtchen und bayrischer Mundart zu. Fast möchte man meinen, wir Deutschen würden zu einer Nation von Feinschmeckern. Aber solange junge Damen, die Ziegenkäse „igitt“ finden und Fisch „eigentlich nicht mögen“ und immer „ein bisschen Kräuterkäse zum Verfeinern“ benutzen, sich für die geeignete Kandidatin halten, öffentlich ein gelungenes Menü zu zaubern, so lange müssen wir hart an der Definition von guter Küche und Feinschmeckerei arbeiten. Der aktuell wohl weltbeste Koch, Alain Ducasse, der seit Jahren neun Sterne für seine drei Restaurants hält, bekennt in seinen Kochbüchern freimütig, dass er nicht glaubt, jemand könne zu Hause seine Rezepte nachkochen. Dennoch schreibt er sie auf, einfach nur so, damit man weiß, was möglich ist. Paul Bocuse, Vertreter der Nouvelle Cuisine und vom Gault Millau zum „Koch des Jahrhunderts“ ernannt, ist da etwas optimistischer. In seinem ganz bescheiden betitelten Standardwerk

„Bocuse, die neue Küche. Das Kochkunstbuch vom König der Köche“ empfiehlt er der Hausfrau (das Werk ist von 1976), es ihm nachzutun, und alles werde vorzüglich gelingen. Das wollen wir gerne glauben und präsentieren Ihnen an dieser Stelle ein wirklich festliches Menü, mit dem Sie zu Weihnachten, zum Jahreswechsel oder einfach in geselliger Runde wahre Kenner­schaft beweisen. Ihre Gäste werden es Ihnen dan­ken, vor allem wenn Sie ihnen verraten, wie viel der Einkauf gekostet hat und welche Abenteuer Sie bei der Zubereitung erlebt haben. Dennoch: Bocuse weiß, was er tut, seine Rezepte basieren auf unendlicher Erfahrung und Könnerschaft, und mit ein bisschen Mühe und vielleicht der Hilfe eines erfahrenen Hobbykochs werden Sie eine Ahnung davon erhalten, was hervorragendes Essen wirklich ist. Das folgende Menü servierte Paul Bocuse übrigens dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing und seiner Gattin aus Anlass seiner Aufnahme in die französische Ehrenlegion im Jahre 1975. Aus Gründen der Realisierbarkeit haben wir auf zwei Zwischengänge verzichtet und statt „Variationen von Desserts“ nur ein einziges ausgewählt. Wir wünschen Ihnen viel Spaß in und mit der modernen Küche und gutes Gelingen.

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Déjeuner Offert par Monsieur le Président de la République et Madame Valéry Giscard d’Estaing à l’occasion de la réception de Monsieur Paul Bocuse dans le grade de Chevalier de Légion d’Honneur. 25 Février 1975 Vorspeise  Soupe aux truffes Élysée Trüffelsuppe Élysée Zutaten für 1 Person: 2 EL fein gewürfelte, in Butter gedünstete Gemüse (bestehend aus dem Roten von Möhren, Zwiebeln, Sellerie sowie Champignons zu gleichen Teilen), 50 g frische rohe Trüffeln, 20 g rohe Fettleber, 1/4 l doppelte Geflügel-Kraftbrühe, 60 g Blätterteig, 1 Eigelb

Zubereitung: Zunächst in eine kleine, für 1 Person berechnete Suppenschüssel (Terrine mit den für die Stadt Lyon typischen Löwenköpfen als Griffen) die vorbereiteten Gemüse geben. Darauf die in unregelmäßige Scheiben geschnittenen Trüffeln legen und mit der ebenfalls in unregelmäßige Scheiben geschnittenen Gänseleber abschließen. Mit der GeflügelKraftbrühe aufgießen. Die Suppenschüssel nun mit einer dünnen Blätterteigplatte hermetisch verschließen. Die Teigplatte vorher mit verquirltem Eigelb bestreichen. Die Suppenschüssel in den auf 220 Grad vorgeheizten Ofen schieben. Das Garen braucht nicht besonders lange. Der Blätter­ teig geht in der Hitze auf und bekommt eine schöne goldene Farbe. Die Suppe ist dann fertig. Man isst die Suppe, indem man die Teigkruste mit dem Löffel zerbricht, wobei die Brösel in die Suppe fallen sollen. Weinempfehlung Bocuse: Montrachet 1970, Magnum du Domaine de la Romanée-Conti

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Hauptgang Canard Claude Jolly, création Michel Guerard Ente „Claude Jolly“ nach Michel Guerard   Zwischengang Escalope de saumon á l’oseille des frères Troisgros Lachsschnitzel mit Sauerampfer nach den Gebrüdern Troisgros Zutaten für 8 bis 10 Personen: 1,5 kg frischer Lachs (Schwanzteil), 1/4 l trockener Weißwein, 1/4 l trockener Wermut (Noilly Prat), 1/4 l Fischfond, 80 g gehackte Schalotten, 1/2 l Sahne, Salz, Pfeffer, 100 g Sauerampfer, 1/10 l Öl

Zubereitung: Den Lachs schräg zur Hauptgräte in dünne Schnitzel schneiden. Weißwein, Wermut und Fischfond in einer Kasserolle aufsetzen, die Schalotten zufügen und alles einkochen, bis der Fond sirupartig zu werden beginnt. Durch ein feines Sieb gießen, die Sahne zufügen und wiederum einkochen, bis sich eine gewisse Bindung einstellt. Inzwischen den Sauerampfer putzen, waschen und jeweils mehrere Blätter aufeinanderlegen und zusammenrollen. In Streifen schneiden und ganz kurz in Salzwasser zusammenfallen lassen. Abtropfen und in die fertig eingekochte Sauce geben. Die Lachsscheiben salzen, pfeffern und im heißen Öl braten. Die dünnen Scheiben benötigen jeweils nur einige Sekunden auf jeder Seite, um gar zu werden. Brät man sie zu lange, so trocknen sie aus und werden zäh. Die Lachsschnitzel auf vorgewärmten Tellern anrichten und mit Sauerampfer-Sauce überziehen oder umgießen. Nach Belieben die Sauce auch getrennt reichen. Mit einem Blätterteig-Fleuron (Halbmond oder Fisch) garnieren. Dazu einen Château Margaux 1926

Zutaten: Entenstopflebern, Salz, Pfeffer, Portwein, Cognac, Entenfond, Stärke, Gelatine, Blutenten, Kalbsfond, roter Bordeaux

Zubereitung: Die frischen Entenstopflebern von allen Sehnen befreien und 2 Tage mit Salz, Pfeffer, Portwein und Cognac durchziehen lassen. In ein Tuch wickeln und in einem guten Entenfond (wie Kalbsfond mit Entenkarkassen zubereitet) je nach Größe etwa 10 Minuten pochieren. Abkühlen lassen. Den Fond stark einkochen und leicht binden (auf 2 l reduzierten Fond 1 EL Stärke und 8 Blatt Gelatine rechnen). Abkühlen und nahezu fest werden lassen. Damit die Entenlebern mit einer ersten Schicht überziehen. Mit geschrotetem oder grob gemah­ le­nem Pfeffer bestreuen. Eine zweite Aspikschicht darübergeben und die Lebern so glacieren. In der Zwischenzeit die Enten in einem Fond halb aus Kalbsfond und halb aus rotem Bordeaux etwa 40 Minuten pochieren. Die Brüstchen auslösen und abkühlen lassen. Den Fond einkochen. Die Brüstchen in Scheiben schneiden und mit demselben Aspik überziehen, mit dem die Lebern glaciert wurden, diesem aber noch den sehr starken und durch den Kalbsfond ebenfalls gelierenden Kochsud der Enten zugeben. Jeweils eine Scheibe Entenbrust und eine Scheibe Entenleber mit Aspik servieren. Paul Bocuse hat dieses Rezept nur sehr summarisch angegeben. Tatsächlich ist die Zubereitung einfach, Arbeitsaufwand und Preis jedoch sind beträchtlich. Es ist also neben finanzieller Großzügigkeit auch persönliches Engagement gefragt, die Zutaten für die gewünschte Personenanzahl lässt sich leicht selbst berechnen. Dazu einen Morey-Saint-Denis 1969

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Dessert Pudding de l’Aiglon Pudding „Aiglon“ „L’Aiglon“, der kleine Adler, war der Beiname des Sohnes von Napoleon I. (l’aigle, der Adler) mit Marie-Louise von Österreich. Der Pudding ist nach diesem jung verstorbenen König von Rom und Herzog von Reichstadt benannt. Zutaten Für den Pudding: 150 g Butter, 150 g Zucker, 1 TL Vanillezucker oder 1 Vanilleschote, 150 g Mehl, 1/2 l Milch, 1 Prise Salz, 9 Eier, Butter für die Form, Schlagsahne, feine Katzenzungen (in der Patisserie erhältlich, Anm. d. Red.)

zutaten Für die Sauce: 250 g Milchschokolade, 2/10 bis 3/10 l Wasser, 1/10 l dicke Sahne (crème épaisse), Vanille

Zubereitung: In einer leicht lauwarmen Kasserolle die Butter etwas warm werden lassen und zu einer weichen Creme rühren. Den Zucker und (falls nicht die Milch mit einer Vanilleschote gekocht wird) den Vanillezucker mit einem Spachtel oder Kochlöffel hineinarbeiten. Schließlich auch das Mehl zufügen und untermischen. Die Milch aufkochen lassen, nach Belieben eine gespaltene Vanilleschote hineingeben und abkühlen lassen. Zu dem Teig geben und restlos verrühren, bis eine gleichmäßige, glatte Masse entstanden ist. Leicht salzen und vorsichtig unter ständigem Rühren erhitzen, bis die Masse zu kochen beginnt. Auf guter Flamme immer weiterrühren, bis das Mehl vollkommen abbindet und so viel Flüssigkeit verdampft ist, dass die Masse trocken wird und sich wie ein Brandteig von Topf und Spachtel löst. Den Topf vom Feuer nehmen, Teig etwas

abkühlen lassen und nach und nach einzeln die 9 Eigelb dazumischen. Schließlich wie zu einem Schaumomelett die zu sehr steifem Schnee geschlagenen Eiweiß unterheben. Diese Mischung in eine reichlich mit zerlassener Butter ausgestrichene Soufflé- oder Charlottenform füllen und im Wasserbad bei mittlerer Hitze im Ofen 30 bis 35 Minuten garen. Der fertige Pudding muss leichtem Druck etwas Widerstand entgegensetzen. Vor allem zu Beginn des Garens darauf achten, dass der Pudding nicht zu schnell von der Hitze erreicht wird und eine Kruste bildet, die ein weiteres, gleichmäßiges Eindringen der Hitze schwierig macht. Vorsichts­halber den Pudding mit gebuttertem Papier abdecken. Den fertigen Pudding stürzen und mit einer SchokoladenSauce überziehen, die zur Hälfte mit Schlagsahne vermischt wurde. Weitere Schokoladen-Sauce in einer Sauciere sowie feine Katzenzungen in einer Schale dazu reichen. Schokoladen-Sauce: Die Milchschokolade in kleine Stücke brechen und mit 2 bis 3 EL Wasser in einer Kasserolle schmelzen lassen. Mit bis zu 3/10 l Wasser angießen und glatt rühren, bis eine Art weiche Paste entsteht. 15 Minuten ganz leise köcheln lassen, bis die Sauce die Konsistenz einer Englischen Creme hat. Kurz vor dem Servieren die Schlagsahne untermischen. Kräftig mit Vanille abschmecken – sei es, indem jetzt Vanillezucker zugegeben wird oder in der Schokolade eine gespaltene Vanilleschote mitgekocht wurde. Dazu einen Grande fine Champagne

Schrift: Annlie D Extra Bold Italic (www.myfonts.com).

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Sie ist Biologin, fährt Skisprungschanzen mit 136 km/h herunter und brettert seit zwei Jahren für Audi in der DTM über deutsche Rennstrecken. Sie ist die Tochter von „Monsieur Mans“, dem sechsfachen Le-Mans-Sieger, zweifachen Formel-1-Vizeweltmeister und erfolgreichsten Allroundrenn­fahrer aller Zeiten, Jacky Ickx. Und sie ist verdammt hübsch. Gründe genug also, Vanina Ickx für ein Interview zu treffen und mit ihr über Rennsport, Hinterherfahren, Motor-Gene und das Leben an sich zu sprechen. Von Michael Benzinger (Text)

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Ein Restaurant in Wiesbaden. Vanina Ickx öffnet die Glastür und tritt zwischen zwei mannshohen ZyperngrasSträuchern hervor. Sie ist ausge­spro­ chen zierlich und hat einen Mund, der in keinem Verhältnis zu ihrer sonstigen Körpergröße steht. Sie trägt eine Audi-Mo­tor­ sport-Jacke, ich habe ein FELD hommes Heft auf dem Tisch liegen. Ich hätte sie auch ohne Hilfestellung erkannt. Nach kurzer Begrüßung werden wir von einem hekti­ schen Kellner zu einem Tisch in einer Ecke des Glaspalazzo geführt. Wir bestellen Wasser. FELD HOMMES: Madame Ickx, Sie sehen müde aus. Vanina ickx: Ja? Ich komme gerade mit dem Auto aus Brüssel, vielleicht deswegen. Die Fahrt war ziemlich anstrengend. Sie sehen auch müde aus. Nun ja, ich … ach, lassen wir das. Sie sind Langstreckenrennen gefahren. Und da empfinden Sie eine Autobahnfahrt von Brüssel nach Wiesbaden als anstrengend? Das ist was anderes. Auf der Rennstrecke kann ich Gas geben, an meine Grenzen gehen. Da gibt es keine Verkehrsregeln und keine Lkws. Autobahn fahren ist anstrengend. Ihr Vater ist einer der erfolgreichsten Rennfahrer aller Zeiten. Ist Talent vererbbar? Ja, ich denke schon. Vielleicht nicht unbedingt Talent, aber ein Gespür, eine Ader für etwas. Als Kinder sind wir frei von allem, viele Wege stehen uns offen. Aber später dann ist es eine Frage des Umfeldes, wie

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man während des Heranwachsens geprägt wird. Bei meinen Geschwistern und mir waren es eben Autorennen und das ganze Drumherum. Auch wenn mein Vater immer eine Grenze zwischen Berufs- und Privatleben gezogen hat, so sind wir doch in diesem Umfeld aufgewachsen. Er hat uns manchmal ja auch zu Rennen mitgenommen. Und wenn wir neben oder hinter ihm saßen, wenn er uns zur Schule gefahren hat, dann konnten wir schon spüren, was Autofahren für ihn bedeutet. Ihr Vater hat also auch auf dem Schulweg gerne mal ein bisschen mehr Gas gegeben? Immer. Damals war es ja auch noch ein bisschen einfacher, schnell zu fahren. Weniger Verkehr und kaum Tempolimits. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich damals schon ein bisschen was gelernt oder ein Gefühl fürs Fahren entwickelt. Gezeigt hat sich das dann allerdings erst ziemlich spät. Bis ich 18 war, haben mich Autorennen nie son­ derlich interessiert. Sie waren zwar immer Teil meines Lebens, aber eben ganz normal und selbstverständlich. Andere Väter sind Bäcker, Lehrer oder Anwälte, meiner war eben Renn­fahrer. Dass ich selbst mal fahren würde, hätte ich mir damals überhaupt nicht vorstellen können. Autos waren mir immer egal. Sie sind ziemlich erfolgreich Langstreckenrennen gefahren, unter anderem die 24 Stunden von Le Mans. Warum sind Sie in die DTM gewechselt? Dort läuft’s ja nicht ganz so optimal für Sie. Es war einfach eine großartige Herausforderung und eine tolle Gelegenheit. Einen Werkvertrag bekommt man nicht jeden Tag angeboten, das passiert ausgesprochen selten im Rennsport. Und dann noch von Audi. Da kann man schwer Nein sagen. Und ich kann sowieso ziemlich schlecht Nein sagen. Bis dahin musste ich mich um Sponsoren kümmern, die mir die Saison und die Challenges finanzierten. Man investiert selbst unheimlich viel Geld und verdient nichts. Das ist alles nicht so ganz einfach. Als dann Audi mit dem Vertrag für die stärkste Tourenwagenserie


der Welt ankam, musste ich nicht lange überlegen. Ich wusste, dass es verdammt hart werden und ich wahrscheinlich nie gewin­ nen würde, aber ich konnte sehr viel lernen. Und alles, was ich in den letzten zwei Jahren im Touren­wagen gelernt habe, kann ich in Zukunft bei anderen Rennen wieder einsetzen. Oder wenn Sie das nächste Mal den Downhill-Geschwindigkeitsrekord auf Skiern einstellen … Bescheuert, oder? Das Ganze ist mehr oder weniger zufällig passiert. In Courchevel gibt es eine Art Schanze, auf der sie im Sommer jede Menge verrückte Sachen anstellen und Rekorde jagen. Mit Mountainbikes, aber eben auch mit Skiern. Ich kannte den Veranstalter, und der meinte, ob das nicht auch was für mich sei. Ich sagte, mehr im Spaß: Klar, warum nicht? Und am nächsten Tag stand der Typ mit zwei Meter langen Skiern und einem komischen Helm vor der Tür. Na ja, und da musste ich es wohl tun. Jetzt halte ich den Damen-Weltrekord. Was hat Ihr Vater gesagt, als Sie plötzlich Autorennen fahren wollten? Er war überrascht, es kam ja aus dem Nichts. Irgendwie passiert alles in meinem Leben zufällig. Wenn ich glücklich damit bin, wie etwas gerade ist, dann passiert immer irgendetwas Neues. Garantiert. Ich treffe jemanden, und mein Leben ändert sich. Damals sprach mich im Fitnessstudio diese Frau an, eine belgische Rennfahrerin. Es war kurz vor dem ersten Rennen der Saison, alles war vorbereitet, und dann wurde sie schwanger. Sie meinte, sie brauchte einen Ersatz und ich wäre doch die Tochter von Jacky Ickx. Ob ich nicht Lust hätte. Ich sagte: Klar, warum nicht? Es war aber nur eine ganz kleine Rennserie. Die DTM ist ja nicht gerade spannender geworden. Außer Audi und Mercedes haben sich alle Hersteller aus dem Geschehen zurückgezogen. Hat man Sie auch geholt, um das Ganze wieder ein bisschen attraktiver zu machen? Sicher. Das ist der Haupt­ grund, warum Frauen wie Susi Stoddart und ich in der DTM

sind. Das Zuschauerinteresse ließ nach dem Ausstieg von Opel etwas nach, und da brauchte man etwas Neues. Also haben sich Audi und Mercedes darauf geeinigt, jeweils eine Frau ins Team zu holen. Aber das ist völlig okay so. Frauen sollen schließlich auch Autos kaufen. Warum sollten sie dann keine Rennen fahren? In der DTM hat man Ihnen nur einen zwei Jahre alten Wagen gegeben. Ist es nicht frustrierend, von Anfang an zum Hinterherfahren verurteilt zu sein? Alt oder neu, egal, ich wollte fahren. Es gibt immer nur einen Gewinner und 19 Verlierer. Es war eine Wahnsinns-Erfahrung, das alles auf derart hohem Niveau erleben zu können, Teil davon zu sein, es zu leben. Das Glück haben nur sehr wenige Fahrer. Da bereue ich keine Zehntelsekunde. Natürlich ist es kein sehr tolles Gefühl, nie ganz vorne mitfahren zu können. Das ist klar. Und dann wird es irgendwann auch schwierig, sich immer wieder neu zu moti­vieren. Aber alles in allem war es wirklich großartig. Also war das Ihre letzte Saison in einem Tourenwagen. Ja, so sieht es wohl aus. Es reicht. Wenn ich nicht mehr zufrieden sein kann mit dem, was ich tue, dann ist es Zeit auf­zuhören. Und immer nur zu verlieren, ist nicht gerade ein befrie­digen­ des Gefühl. Dann ist es nur fair und ehrlich sich selbst gegenüber, einen Schlussstrich zu ziehen und weiterzugehen. Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, Biologin zu werden? Es war das Einzige, was mich wirklich interessiert hat. Im Gegensatz zu Wirtschaft oder Geschichte oder so etwas. Ich wollte die Zusammenhänge verstehen, wollte wissen, warum und wie manche Dinge passieren. Das Leben, die Natur, das interessiert mich. Aber je mehr man erfährt, desto weniger weiß man.

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Wie passt das zusammen? Die Natur lieben und dann in einem Rennwagen die Luft verpesten? Ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, das können Sie mir glauben. Aber ich liebe eben dieses Gefühl beim Fahren. Die Sehnsucht danach ist stärker als mein Gewissen. (Reden macht hungrig und durstig, ich bestelle Tagliatelle mit Trüffeln, Vanina einen frisch gepressten O-Saft.) Wie war es, mit Ihrem Vater die Rallye Dakar zu fahren? Schmerzhaft. Da geht man mit seinem Körper wirklich bis an die Grenzen der Belastbarkeit. Man will nur noch ankommen und ist heilfroh, wenn es vorbei ist. Jeder einzelne Tag bringt einen ans Limit. Aber es ist auch eine tiefe mentale Erfahrung, die einen zusammenschweißt. Man muss sich 100 % aufeinander verlassen können. Sonst hat man ein Problem. Oder gleich mehrere. Es ist im Grunde nicht mehr als ein großer Belastbarkeitstest. Für Mensch und Material. Kein Abenteuer, dafür ist die Dakar zu perfekt durchorganisiert. Ich bin sie aber auch schon allein gefahren, ohne meinen Vater. Was macht Ihr Vater eigentlich heute? Er ist viel in Afrika unter­wegs und arbeitet für eine Organisation, die sich für die Trinkwassergewinnung in von Dürre gefährdeten Gebieten ein­setzt. Er fährt herum, trommelt Leute zusammen, und dann graben sie einen Brunnen. Er fühlt sich dem Kontinent sehr ver­bunden. Schließlich ist er auch mit einer Afrikanerin verheiratet, einer Sängerin aus Burundi, Kadhja Nin. Es ist gut, was er tut. Er gibt viel. Sie sind jetzt 32. Tickt auch bei Ihnen so etwas wie eine bio­ l­o­gische Uhr? Lustig, dass Sie das fragen. Der Trainer meines Teamkollegen Adam Caroll hat mich immer mit diesem engli­ schen Spruch aufgezogen, er nannte das „Dirty Thirties“. Weil

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die Frau ab 30 den Höhepunkt ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit erreicht. Werden Sie das schreiben? Sie fragen mich nach meiner biologischen Uhr, und ich antworte, ich bin in den „Dirty Thirties“ … oje. Nein, ernsthaft: Kinder sind gerade nicht Thema Nummer 1 für mich. Aber irgendwann hätte ich schon gern welche. Nur nicht jetzt. Jetzt kann ich noch ungestraft Fehler machen und bin nur für mich allein verantwortlich. Ich hätte mir niemals vorstellen können, schon mit 20 schwanger zu werden, so wie meine Mutter. Haben Sie Kinder? Nein. Auch keine Geschwister. Nein? Ich habe viele. Eine leib­ liche Schwester und noch vier Halbgeschwister. Meine Eltern haben nach ihrer Scheidung beide noch einmal geheiratet. Das ist cool, wir verstehen uns alle gut. Aber eigene Kinder? Nein, das macht mir noch zu viel Angst. Ein Kind ist ein Geschenk, und so soll es sich auch fühlen dürfen. Es muss willkommen sein. Also gibt es doch noch mehr Dinge, die Ihnen Angst machen. Na klar. Früher hatte ich auch panische Angst vor Spinnen, wie wohl fast alle Mädchen. Das hat sich nach der ersten Dakar aber recht schnell gelegt. Da lernt man, seine Ängste zu besiegen. Man wird jeden Tag mit neuen konfrontiert. Es geht darum, sich selbst zu besiegen. Das ist die eigentliche Herausforderung. Und meine größte Motivation. Weiterzukommen. Mehr über sich zu erfahren. Und zu gewinnen? Ich habe noch nicht so viele Rennen gewon­nen, um sagen zu können, es ginge mir nur um den Sieg. Natürlich ist es toll zu gewinnen, aber letztendlich ist es die Herausforderung, das Neue, was mich reizt. Sie sind seit vier Jahren mit Ihrem Verlobten, einem Autodesigner zusammen. Aber Sie finden Autos langweilig. Interessieren Sie


sich für seine Arbeit? Natürlich. Ich finde es großartig, was er macht, und bin regelmäßig fasziniert, wenn er mir seine Entwürfe und Studien zeigt. Ich mag schönes Design, die Schön­ heit an sich, sogar wenn sie dazu dient, Autos zu verkaufen. Es wäre auf jeden Fall schlimmer, wenn er Ingenieur wäre. (Sie lacht.) Am schlimmsten wäre ein deutscher Ingenieur. Schmeckt es Ihnen? Ja, danke. Möchten Sie probieren? Nein, danke. Ich bin glücklich, wenn ich Menschen essen sehe. Selbst essen Sie nicht gern? Oh doch, ich liebe Essen! Viel zu sehr.

Fig. 08

Können Sie kochen? Nicht sehr gut. Ich komme zu selten dazu. Meistens bin ich unterwegs oder alleine. Und für sich alleine zu kochen ist nun auch nicht so spannend. Ich sehe meinen Verlobten ziemlich selten. Und wenn, dann gehen wir meistens aus oder machen irgendetwas Besonderes. Madame Ickx, was haben Sie heute noch vor? Ich muss noch laufen. Sie müssen? Ich muss. Ich hasse es, aber es gehört zu meinem Fitnessplan. Es ist das effektivste Training als Vorbereitung für Langstreckenrennen. Dann habe ich noch ein bisschen Bürokram zu erledigen, und das war’s für heute. Nächste Woche geht’s nach Mexiko, da fahre ich die Baja 1000. Schade, ich hatte eigentlich darauf spekuliert, dass Sie mich in Ihrem RS 4 zurück nach Hamburg fahren. Niemals. Das würde ich nicht einmal für meinen Verlobten machen. Madame Ickx, vielen Dank für dieses Gespräch.

Schrift: Helvetica Neue Black Italic (www.linotype.com).

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F   eldweg #5 Von Kai Flemming (Text)

Rechts vor links Ach, es war schon immer ein Kreuz, auf Deutschlands Straßen zu fahren. Schließlich ist X die älteste uns bekannte Darstellung in einer Straßenkarte. X steht für Kreuzung, einen Ort also, an dem sich zwei Wege treffen. Waren es früher meist Feldwege, an denen sich die Pfade pilgernder Mönche mit denen der die Scholle beackernden Bauern kreuzten, so sind es heutzutage sechsspurige Straßen. Das verkompliziert das zunächst so schlicht anmutende X. Denn wo viel Verkehr ist, da muss er auch vorschriftsmäßig geregelt werden. Die einfache Regel lautet „Rechts vor links“ und gehört in die erste Theoriestunde der Fahrschule. Aus diesem Grunde gerät sie vermutlich schnell wieder in Vergessenheit. Denn in der ersten Fahrstunde lernt man auch, dass man vor Inbetriebnahme des Fahrzeugs erst einmal gründlich Bremsen, Lichtanlage

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und Flüssigkeitsstände überprüft. Das macht, sobald man den Lappen hat, natürlich kein Mensch mehr. Genauso wenig, wie darauf zu achten, dem von rechts Kommenden Vorfahrt zu gewähren. Wozu auch? Da beispielsweise in meiner Stadt jede, aber auch jede Hinterwaldkreuzung durch Schilder und Ampeln geregelt wird, bricht natürlich an der einzig verbliebenen Kreuzung ohne Schilderregelung das Chaos aus. Die Autofahrer sind dort schlichtweg überfordert. Die meisten fahren sich allerdings nicht gegenseitig über den Haufen, sondern bleiben bloß stehen. Derart katatonisch erstarrte Verkehrsteilnehmer müssen dann abgeschleppt und später in entsprechenden Gruppen therapiert werden. In Holland gibt es Experimente, in denen auf sämtliche Verkehrsregeln und -schilder verzichtet wird. Das sind nicht etwa Kifferfantasien, das ist knallhartes Kalkül. Da die Autofahrer konzentrierter fahren, mitdenken und auf andere Verkehrsteilnehmer achten, gibt es a) weniger Unfälle und man kommt b) wider Erwarten schneller durch. Nun ja, Holland ist kleiner und war noch nie Fußballweltmeister, musste also auch nie das Problem großer Autokorsos bewältigen. Trotzdem kann man daraus Lehren ziehen. Jeder, der einmal in


Rom oder Addis Abeba war, weiß, dass man weitaus besser durchkommt, wenn man einfach alle Schilder und Ampeln geflissentlich übersieht. In England und Frankreich wurde dem Kreuzungsproblem schlicht aus dem Weg gegangen. Hier wurden flächendeckend Kreisverkehre installiert, die sozusagen dem X ein O vormachen. Hat man einmal verinnerlicht, dass der Kreisverkehr immer Vorfahrt hat, kann nichts mehr passieren. Außer der Verkehrs-Anarcho-Klassiker, den der Autor einst zwischen Winchester und Salisbury begang. Ein Blick nach links, super, alles frei und dann flott nach rechts eingebogen. Es ist nur der Geistesgegenwart eines britischen Gentlemans zu verdanken, dass außer einer Notbremsung nichts weiter passierte. Nun ja, Kreisverkehr und Linksverkehr, da gab es eindeutig zwei Regeln zu viel für den zur Unmündigkeit erzogenen Westdeutschen. Hat man es dann aber raus, ist es eine wahre Freude, durch die Kreisverkehre zu kurven. Besonders in Frankreich, weil dort das Wetter und das Essen besser sind als in England. Mittlerweile kann man Kreisverkehre auch in Deutschland ausprobieren. Doch Obacht, der deutsche Fahrer ist noch nicht ganz reif dafür. Weder beherrscht er die dafür notwen-

dige Blinktechnik, noch weiß er etwas mit den vielen Spuren darin anzufangen. Nonchalante Könner ordnen sich immer innen ein, damit die äußere Spur nicht verstopft wird, um dann mit einem eleganten, wahre Fahrkunst zeigenden Schlenker den Kreisel wieder zu verlassen. Für Ortsunkundige oder Menschen, die Textinformationen nicht sofort in Handlungen übersetzen können (Pinneberg = hier muss ich raus), sind Kreisverkehre ein Segen. Sie können nämlich so lange weiterfahren, bis sie die richtige Ausfahrt gefunden haben. Und sollten sie trotzdem einmal die falsche Ausfahrt benutzen, müssen sie einfach nur zum nächsten Kreisverkehr fahren, um wieder umzudrehen. Kreisverkehre sind übrigens für Motorradfahrer im flachen Land beliebte Übungsplätze. Da zwischen Hannover und Flensburg anständige Kurven Mangelware sind, kann man hier relativ gefahrlos Schräglagen üben. Allerdings sollte man diese Übungen nachts in verkehrter Richtung oder auf den Britischen Inseln wiederholen. Sonst führt der einseitige Reifenabrieb schnell dazu, dass man sich aufs Kreuz legt. Schrift: Lovers Square (www.happyloverstown.eu)

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ExpĂŠrience


Ihr Kreuz ist die Schrift

GarrinchaDer bessere Pelé?Im Prinzip hatte Garrincha keine Chance, und er nutzte sie auch nicht. In der Zeit dazwischen aber hatte kein anderer Fußballer so viel Spaß dabei, seine Gegenspieler mit dem Ball zum Narren zu halten. Gegen jede taktische Logik natürlich, nur aus Freude am Spiel. Seine Fans haben ihn dafür geliebt. Von Harald Braun

mit dem Ball zum Narren zu halten. Gegen jede taktische Logik n

X-Bein rechts, O-Bein links. Oder war es umgekehrt? Spielt auch keine Rolle. Als Manoel Fran-

Das mit dem Namen. Garrincha. Seine Schwester soll ihn zum ersten Mal so genannt haben. Weil

cisco dos Santos am 28. Oktober 1933 in Pau Grande auf die Welt kam, war er schwer behindert, so

der Straßenjunge aus Pau Grande so klein war. Und weil der Garrincha ein kleiner brauner Vogel

oder so. Das ist keine Übertreibung. Sein Rückgrat war deformiert, sein linkes Bein sechs Zentime-

ist, der wunderschön singen kann, sich aber nicht in Gefangenschaft halten lässt. So ein Garrincha

ter kürzer als das rechte. Zu den Perspektiven eines solchen Handicap-Kids gehört es sicher nicht,

ist Manoel auch. Wächst unbeobachtet auf, aber auch unbeachtet. Lernt nicht richtig lesen und

Fußballprofi zu werden. In Brasiliens Nationalmannschaft aufzulaufen. Weltmeister zu werden,

schreiben, drückt sich vor der Schule, stromert lieber durch die Gegend. Gewinnt beim Weitpin-

zweimal. Manoel Francisco dos Santos hat das geschafft. Als Garrincha, dem besten Rechtsaußen

keln, beim Wettwichsen der Zehnjährigen. Hat mit zehn Jahren schon einen Penis wie ein Pony.

der Welt, wurde er zur brasilianischen „Alegria do Pove“, zur Freude der Le

Und besitzt natürlich keinen richtigen Fußball. Den haben nur die reichen Kinder. Garrincha war

ute. Die Leute riefen ihn aber auch „Mane“. Das ist zum einen die übliche Kurzform von

das fünfte Kind von neunen. Sein Fußball ist aus Papier, das er in einen alten Socken seiner Tante

Manuel – zum andern aber auch das wenig charmante Schimpfwort für einen ausgemachten

gestopft hat. Trotzdem ist Garrincha tagein, tagaus mit dem Papierstrumpf unterwegs. Bald ist er

Schwachkopf. Womit das Spannungsfeld eingekreist wäre, in dem sich Garrincha in der kurzen

der beste Fußballer in Pau Grande. Nicht der größte, nicht der älteste, auch nicht der eleganteste

Zeit seines Lebens bewegte. Er war ein begnadeter Fußballer, ein Jahrhunderttalent, eine Zir-

mit seinem bizarren, wankenden Gang. Aber mit Abstand der Beste.

kusattraktion in jedem Stadion der Welt – und ein Trinker, verantwortungsloser Hallodri und

Der Straßenfußballer Garrincha hat früh auch schon andere Interessen. Mit elf pubertiert er

Frauenverräumer vor dem Herrn. Garrincha ganz allein war ein größeres Spektakel als Stefan

heftig, mit zwölf vögelt er eine Ziege. Alle machen das so, und für eine Prostituierte hat er noch

Effenberg, George Best und Paul Gascoigne zusammen. Auf dem Platz, aber auch außerhalb.

kein Geld. Er beginnt zu arbeiten, in einer Textilfabrik in Pau Grande. Fliegt schnell wieder, wird

Epannungsfeld eingekreist wäre, in dem sich Garrincha in der kurzen Zeit seines Lebens be-

neu eingestellt, hängt herum, trinkt eine Menge Caracha, eine Art Zuckerrohrschnaps, und wird

wegte. Er war ein begnadeter Fußballer, ein Jahrhunderttalent, eine Zirkusattraktion in jedem

nach einem Blick auf seine Beine vom brasilianischen Militär ausgemustert: Untauglich. Und spielt

Stadion der Welt – und ein Trinker, verantwortungsloser Hallodri und Frauenverräumer vor dem

Fußball, grandiosen Spaßfußball, in diversen Mannschaften rund um Pau Grande. Spielt einmal

Herrn. Garrincha ganz allein war ein größeres Spektakel als Stefan Effenberg, George Best und

für kleines Geld bei einer unbedeutenden Profitruppe, hat aber schon nach drei Monaten keine

Paul Gascoigne zusammen. Auf dem Platz, aber auch außerhalb. Eine Gnade und eine Qual,

Lust mehr auf die weiten Fahrten zu den Spielen. Bleibt lieber bei seinen Freunden in Pau Gran-

Expérience

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keine Lust mehr auf die weiten Fahrten zu den Spielen. Bleibt lieber bei seinen Freunden in Pau Grande und vögelt alle Frauen, die sich von ihm vögeln lassen, gleich hinter dem Stadion. Als seine Schulfreundin Nair von ihm schwanger wird, heiratet er sie, einen Tag nach seinem neunzehnten Geburtstag. Und macht weiter wie bisher, nurxxxxxx mit mehr Alkohol. Im gleichen Jahr nimmt er endlich eine Einladung für ein Probetraining bei einer Profimannschaft in Rio an. Er spielt seinem Gegenspieler Nilton Santos den Ball durch die Beine. Der ist bereits brasilianischer Nationalspieler und hat so etwas noch nicht erlebt. Botafogos Trainer Cardosos, der Garrincha mit dem Satz empfangen hatte: „Jetzt schicken sie mir schon einen Krüppel“, behält Garrincha nach dem Training gleich da, gibt ihm noch am selben Tag einen Vertrag als Profi. Das Leben von Garrincha ist an seinem ersten Wendepunkt. de und vögelt alle Frauen, die sich von ihm vögeln lassen, gleich hinter dem Stadion. Als seine

X-Bein rechts, O-Bein links. Oder war es umgekehrt? Spielt auch keine Rolle. Als Manoel

Schulfreundin Nair von ihm schwanger wird, heiratet er sie, einen Tag nach seinem neunzehnten

Francisco dos Santos am 28. Oktober 1933 in Pau Grande auf die Welt kam, war er schwer be-

Geburtstag. Und macht, nur mit mehr Alkohol. m gleichen Jahr nimmt er endlich eine Einladung

hindert, so oder so. Das ist keine Übertreibung. Sein Rückgrat war deformiert, sein linkes Bein

für ein Probetraining bei einer Profimannschaft in Rio an. Er spielt seinem Gegenspieler Nilton

sechs Zentimeter kürzer als das rechte. Zu den Perspektiven eines solchen Handicap-Kids gehört es

Santos den Ball durch die Beine. Der ist bereits brasilianischer Nationalspieler und hat so etwas

sicher nicht, Fußballprofi zu werden. In Brasiliens Nationalmannschaft aufzulaufen. Weltmeister

noch nicht erlebt. Botafogos Trainer Cardosos, der Garrincha mit dem Satz empfangen hatte:

zu werden, zweimal. Manoel Francisco dos Santos hat das geschafft. Als Garrincha, dem besten

„Jetzt schicken sie mir schon einen Krüppel“, behält Garrincha nach dem Training gleich da, gibt

Rechtsaußen der Welt, wurde er zur brasilianischen „Alegria do Pove“, zur Freude der Leute. Die

ihm noch am selben Tag einen Vertrag als Profi. Das Leben von Garrincha ist an seinem ersten

Leute riefen ihn aber auch „Mane“. Das ist zum einen die übliche Kurzform von Manuel – zum

Wxxxxxxxxxxxxxxendepunkt. adfdsfsdfsdfdsffffffffffffffffffffffffffffffffffffff

andern aber auch das wenig charmante Schimpfwort für einen ausgemachten Schwachkopf. Wo-

X-mal schwänzt Garrincha das Training. Er verhält sich als Profi einer der bekanntesten Mann-

mit das Spannungsfeld eingekreist wäre, in dem sich Garrincha in der kurzen Zeit seines Lebens

schaften Brasiliens nicht anders als zu der Zeit, als er noch für die Dorftruppe von Pau Grande auf

bewegte. Er war ein begnadeter Fußballer, ein Jahrhunderttalent, eine Zirkusattraktion in jedem

einem Lehmacker kickte. Mehr noch: er bleibt in Pau Grande wohnen. Offiziell, um bei seiner Frau

Stadion der Welt – und ein Trinker, verantwortungsloser Hallodri und Frauenverräumer vor dem

Nair und dem Kind zu sein. In Wahrheit fühlt er sich dort freier, kann bei seinen Mätressen sein,

Herrn. Garrincha ganz allein war ein größeres Spektakel als Stefan Effenberg, George Best und

mit seinen Freunden trinken, unbeobachtet vom Verein und den Medien in Rio. Für letztere wird

Paul Gascoigne zusammen. Auf dem Platz, aber auch außerhalb. Eine Gnade und eine Qual, ein

Garrincha langsam interessant, denn schon in seiner ersten Saison erzielt er 20 Tore in 26 Spielen.

Geschenk und die Pest, eine göttliche Erscheinung und ein xxxxxxchlimmer Fluch.

Es hätten mehr sein können. Tore schießen macht Garrincha zwar Spaß, dribbeln aber, mit dem

Das mit dem Namen. Garrincha. Seine Schwester soll ihn zum ersten Mal so genannt haben.

Ball artistische Kunststückchen versuchen, sinnfrei daddeln, das ist es, was Garrincha wirklich in-

Weil der Straßenjunge aus Pau Grande so klein war. Und weil der Garrincha ein kleiner brauner

teressiert. Seine Trainer raufen sich die Haa

Vogel ist, der wunderschön singen kann, sich aber nicht in Gefangenschaft halten lässt. So ein Gar-

re, seine Mitspieler sind abwechselnd glücklich über seinen Zauber oder genervt. Den Zuschau-

rincha ist Manoel auch. Wächst unbeobachtet auf, aber auch unbeachtet. Lernt nicht richtig lesen

ern aber gefällt das Hacke, Spitze, Eins-zwei-drei von Garrincha. Und dem gefällt es, vor großem

und schreiben, drückt sich vor der Schule, stromert lieber durch die Gegend. Gewinnt beim Weit-

Publikum zu zaubern. Aber auch nicht so gut wiederum, dass er deshalb häufiger zum Training

pinkeln, beim Wettwichsen der Zehnjährigen. Hat mit zehn Jahren schon einen Penis wie ein Pony.

erscheinen würde. Erst ein neuer junger Trainer, Paulo Amaral, nimmt Garrincha unter seine Fit-

Und besitzt natürlich keinen richtigen Fußball. Den haben nur die reichen Kinder. Garrincha war

tiche und schafft es, dass der nur 1,65 m kleine Kicker vier Pfund Muskelmasse in den Beinen

das fünfte Kind von neunen. Sein Fußball ist aus Papier, das er in einen alten Socken seiner Tante

zunimmt. Selbst sein Mannschaftsarzt bestätigt Garrincha, dass er Beinmuskeln habe wie ein Pferd.

gestopft hat. Trotzdem ist Garrincha tagein, tagaus mit dem Papierstrumpf unterwegs. Bald ist er

Garrincha wird noch besser. Zu seinem Talent kommt nun auch die entsprechende Physis: Seine

der beste Fußballer in Pau Grande. Nicht der größte, nicht der älteste, auch nicht der eleganteste

„verkrüppelten“ Beine sind die Basis seiner wahnwitzigen Dribblings. Einmal, weil sich Garrincha

mit seinem bizarren, wankenden Gang. Aber mit Abstand der Beste.

mit explosiven Antritten blitzschnell von seinen Gegnern löst, zum andern aber auch, weil ihm

Der Straßenfußballer Garrincha hat früh auch schon andere Interessen. Mit elf pubertiert er

selbst heftigste Tritte seiner Gegenspieler nichts anhaben. Seine Beine stehen fest, so als ob sie in

heftig, mit zwölf vögelt er eine Ziege. Alle machen das so, und für eine Prostituierte hat er noch

die Erde betoniert worden wären. Sein Besitzer hingegen hat den Kopf in der Luft und frönt dem

kein Geld. Er beginnt zu arbeiten, in einer Textilfabrik in Pau Grande. Fliegt schnell wieder, wird

savoir vivre – ohne genau zu wissen, was das sein soll oder es gar buchstabieren zu können. Garrin-

neu eingestellt, hängt herum, trinkt eine Menge Caracha, eine Art Zuckerrohrschnaps, und wird

cha wirkt wie ein Trottel, euphemistischer ausgedrückt: Er gilt bei den meisten als ein naiver Simpel

nach einem Blick auf seine Beine vom brasilianischen Militär ausgemustert: Untauglich. Und spielt

auf dem geistigen Entwicklungsstand eines Zwölfjährigen. Erst der brasilianische Schriftsteller Guy

Fußball, grandiosen Spaßfußball, in diversen Mannschaften rund um Pau Grande. Spielt einmal

Castro, der mit über 500 Menschen aus dem Umfeld Garrinchas sprach, rehabilitierte ihn, ein

für kleines Geld bei einer unbedeutenden Profitruppe, hat aber schon nach drei Monaten keine

wenig immerhin: „Es steckte keineswegs ein debiler, sondern ein hochsensibler Mensch hinter dem

Lust mehr auf die weiten Fahrten zu den Spielen. Bleibt lieber bei seinen Freunden in Pau Gran-

genialen Ballkünstler, dessen Bezwinger decccccccccccccxxxxr Alkohol war.“

de und vögelt alle Frauen, die sich von ihm vögeln lassen, gleich hinter dem Stadion. Als seine

Schon 1954 steht Garrincha im erweiterten Aufgebot der Selecao, der brasilianischen Nationalmannschaft, die in der Schweiz um die Weltmeisterschaft spielt. Doch er wird aus dem 40erAufgebot gestrichen. Zu jung sei er, zu unerfahren nach nur einem Jahr als Profi. Vor allem aber zu „ballversessen“. Heute würde man sagen: zu wenig mannschaftsdienlich. Doch das lässt sich Garrincha nicht austreiben. Für ihn ist das Spiel auf dem Rasen ein großer Spaß. Eines Tages lässt ihn sein Der Straßenfußballer Garrincha hat früh auch schon andere Interessen. Mit elf pubertiert er heftig, mit zwölf vögelt er eine Ziege. Alle machen das so, und für eine Prostituierte hat er noch kein Geld. Er beginnt zu arbeiten, in einer Textilfabrik in Pau Grande. Fliegt schnell wieder, wird neu eingestellt, hängt herum, trinkt eine Menge Caracha, eine Art Zuckerrohrschnaps, und wird nach einem Blick auf seine Beine vom brasilianischen Militär ausgemustert: Untauglich. Und spielt Fußball, grandiosen Spaßfußball, in diversen Mannschaften rund um Pau Grande. Spielt einmal für kleines Geld bei einer unbedeutenden Profitruppe, hat aber schon nach drei Monaten

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Expérience


eleganteste mit seinem bizarren, wankenden Gang. Aber mit Abstand der Beste. s Training. Er verhält sich als Profi einer der bekanntesten Mannschaften Brasiliens nicht anders als zu der Zeit, als er noch für die Dorftruppe von Pau Grande auf einem Lehmacker kickte. Mehr noch: er bleibt in Pau Grande wohnen. Offiziell, um bei seiner Frau Nair und dem Kind zu sein. In Wahrheit fühlt er sich dort freier, kann bei seinen Mätressen sein, mit seinen Freunden trinken, unbeobachtet vom Verein und den Medien in Rio. Für letztere wird Garrincha lanha zwar Spaß, dribbeln aber, mit dem Ball artistische Kunststückchen versuchen, sinnfrei daddeln, das ist es, was Garrincha wirklich interessiert. Seine Trainer raufen sich die Haare, seine Mitspieler sind abwechselnd glücklich über seinen Zauber oder genervt. Den Zuschauern aber gefällt das Hacke, Spitze, Eins-zwei-drei von Garrincha. Und dem gefällt es, vor großem Publikum zu zaubern. Aber auch nicht so guxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxt wieder Schon 1954 steht Garrincha im erweiterten Aufgebot der Selecao, der brasilianischen NatioSchulfreundin Nair von ihm schwanger wird, heiratet er sie, einen Tag nach seinem neunzehnten

nalmannschaft, die in der Schweiz um die Weltmeisterschaft spielt. Doch er wird aus dem 40er-

Geburtstag. Und macht weiter wie bisher, nur mit mehr Alkohol.

Aufgebot gestrichen. Zu jung sei er, zu unerfahren nach nur einem Jahr als Profi. allem aber zu

Im gleichen Jahr nimmt er endlich eine Einladung für ein Probetraining bei einer Profimann-

„ballversessen“. Heute würde man sagen: zu wenig mannschaftsdienlich. Doch das lässt sich Gar-

schaft in Rio an. Er spielt seinem Gegenspieler Nilton Santos den Ball durch die Beine. Der ist

rincha nicht austreiben. Für ihn ist das Spiel auf dem Rasen ein großer Spaß. Eines Tages lässt ihn

bereits brasilianischer Nationalspieler und hat so etwas noch nicht erlebt. Botafogos Trainer Car-

sein Trainer vor versammelter M

dosos, der Garrincha mit dem Satz empfangen hatte: „Jetzt schicken sie mir schon einen Krüppel“,

GarrinchaDer bessere Pelé?Im Prinzip hatte Garrincha keine Chance, und er nutzte sie auch

behält Garrincha nach dem Training gleich da, gibt ihm noch am selben Tag einen Vertrag als Profi.

nicht. In der Zeit dazwischen aber hatte kein anderer Fußballer so viel Spaß dabei, seine Gegen-

Das Leben von Garrincha ist an seinem ersten Wenxxxxxxxxxxxxxxxxxepunkt.

spieler mit dem Ball zum Narren zu halten. Gegen jede taktische Logik natürlich, nur aus Freude

X-mal schwänzt Garrincha das Training. Er verhält sich als Profi einer der bekanntesten Mann-

am Spiel. Seine Fans haben ihn dafür geliebt. Von Harald Braun

schaften Brasiliens nicht anders als zu der Zeit, als er noch für die Dorftruppe von Pau Grande auf

X-Bein rechts, O-Bein links. Oder war es umgekehrt? Spielt auch keine Rolle. Als Manoel

einem Lehmacker kickte. Mehr noch: er bleibt in Pau Grande wohnen. Offiziell, um bei seiner

Francisco dos Santos am 28. Oktober 1933 in Pau Grande auf die Welt kam, war er schwer be-

Frau Nair und dem Kind zu sein. In Wahrheit fühlt er sich dort freier, kann bei seinen Mätressen

hindert, so oder so. Das ist keine Übertreibung. Sein Rückgrat war deformiert, sein linkes Bein

sein, mit seinen Freunden trinken, unbeobachtet vom Verein und den Medien in Rio. Für letztere

sechs Zentimeter kürzer als das rechte. Zu den Perspektiven eines solchen Handicap-Kids gehört es

wird Garrincha langsam interessant, denn schon in seiner ersten Saison erzielt er 20 Tore in 26

sicher nicht, Fußballprofi zu werden. In Brasiliens Nationalmannschaft aufzulaufen. Weltmeister

Spielen. Es hätten mehr sein können. Tore schießen macht Garrincha zwar Spaß, dribbeln aber, mit

zu werden, zweimal. Manoel Francisco dos Santos hat das geschafft. Als Garrincha, dem besten

dem Ball artistische Kunststückchen versuchen, sinnfrei daddeln, das ist es, was Garrincha wirklich

Rechtsaußen der Welt, wurde er zur brasilianischen „Alegria do Pove“, zur Freude der Leute. Die

interessiert. Seine xxxxxTrainer r

Leute riefen ihn aber auch „Mane“. Das ist zum einen die übliche Kurzform von Manuel – zum

aufen sich die Haare, seine Mitspieler sind abwechselnd glücklich über seinen Zauber oder

andern aber auch das wenig charmante Schimpfwort für einen ausgemachten Schwachkopf. Wo-

genervt. Den Zuschauern aber gefällt das Hacke, Spitze, Eins-zwei-drei von Garrincha. Und dem

mit das Spannungsfeld eingekreist wäre, in dem sich Garrincha in der kurzen Zeit seines Lebens

gefällt es, vor großem Publikum zu zaubern. Aber auch nicht so gut wiederum, dass er deshalb

bewegte. Er war ein begnadeter Fußballer, ein Jahrhunderttalent, eine Zirkusattraktion in jedem

häufiger zum Training erscheinen würde. Erst ein neuer junger Trainer, Paulo Amaral, nimmt Gar-

Stadion der Welt – und ein Trinker, verantwortungsloser Hallodri und Frauenverräumer vor dem

rincha unter seine Fittiche und schafft es, dass der nur 1,65 m kleine Kicker vier Pfund Muskelmasse

Herrn. Garrincha ganz allein war ein größeres Spektakel als Stefan Effenberg, George Best und

in den Beinen zunimmt. Selbst sein Mannschaftsarzt bestätigt Garrincha, dass er Beinmuskeln

Paul Gascoigne zusammen. Auf dem Platz, aber auch außerhalb. Eine Gnade und eine Qual, ein

habe wie ein Pferd. Garrincha wird noch besser. Zu seinem Talent kommt nun auch die entspre-

Geschenk und die Pest, eine göttliche Erscheinung und ein s

chende Physis: Seine „verkrüppelten“ Beine sind die Basis seiner wahnwitzigen Dribblings. Einmal, weil sich Garrincha mit explosiven Antritten blitzschnell von seinen Gegnern löst, zum andern aber auchral, nimmt Garrincha unter seine Fittiche und sch, weil ihm selbst ktiven eines solchen Handicap-Kids gehört es sicher nicht, Fußballprofi zu werden. In Brasiliens Nationalmannschaft aufzulaufen. Weltmeister zu werden, zweimal. Manoel Francisco dos Santos hat das geschafft. Als

Vier Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland geht es so wie Ihnen jetzt. Sie können diesen Artikel nicht lesen. Hören sie, wie es ist, nicht richtig lesen und schreiben zu können unter www.feld-magazin.de/alpha

Garrincha, dem besten Rechtsaußen der Welt, wurde er zur brasilianischen „Alegria do Pove“, zur Freude der Leute. Die Leute riefen ihn aber auch „Mane“. Das ist zum einen die übliche Kurzform von Manuel – zum andern aber auch das wenig charmante Schimpfwort für einen ausgemachten Schwachkopf. Womit das Spannungsfeld eingekreist wäre, in dem sich Garrincha in der kurzen Zeit seines Lebens bewegte. Er war ein begnadeter Fußballer, ein Jahrhunderttalent, eine Zirkusattraktion in jedem Stadion der Welt – und ein Trinker, verantwortungsloser Hallodri und Frauenverräumer vor dem Herrn. Garrincha ganz allein war ein größeres Spektakel als Stefan Effenberg, George Best und Paul Gascoigne zusammen. Auf dem Platz, aber auch außerhalb. Eine Gnade und eine Qual, ein Geschenk und die Pest, eine göttliche Erscheinung und ein schlimmer Fluch. Das mit dem Namen. Garrincha. Seine Schwester soll ihn zum ersten Mal so genannt haben. Weil der Straßenjunge aus Pau Grande so klein war. Und weil der Garrincha ein kleiner brauner Vogel ist, der wunderschön singen kann, sich aber nicht in Gefangenschaft halten lässt. So ein Garrincha ist Manoel auch. Wächst unbeobachtet auf, aber auch unbeachtet. Lernt nicht richtig lesen und keln, beim Wettwichsen der Zehnjährigen. Hat mit zehn Jahren schon einen Penis wie ein Pony. Und besitzt natürlich keinen richtigen Fußball. Den haben nur die reichen Kinder. Garrincha war gestopft hat. Trotzdem ist Garrincha tagein, tagaus mit dem Papierstrumpf unterwegs. Bald ist er der beste Fußballer in Pau Grande. Nicht der größte, nicht der älteste, auch nicht der

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Männersache

Blasen machen.  Die X-Men sind eine Gruppe von Mutanten, die dank ihres besonderen Gencodes übermenschliche Fähigkeiten besitzen. Die Gruppe wird von Professor X gegründet, dem quer­ schnittgelähmten Telepathen Charles Francis Xavier. Unter dem Deckmantel einer „Schule für junge Begabte“ bildet Xavier fünf Teenager in der Nutzung ihrer Kräfte aus. Cyclops kann starke optische Strahlen aus seinen Augen schießen, die nur durch ein Rubinquarz-Visier unter Kontrolle gehalten werden können. Er ist der erste Anführer des Teams. Marvel Girl ist eine Telekinetin, deren telepathische Kräfte in ihrer Jugend von Xavier unterdrückt wurden. Sie wird bald die Freundin und schließlich die Frau von Cyclops. Angel ist ein mit Engelsflügeln ausgestatteter Mutant. Beast bewegt sich mit affenartiger Kraft und Agilität, ist sehr intelligent und in späteren Comics durch einen Selbstversuch am ganzen Körper mit einem blauen Fell bedeckt. Iceman kann die Flüssigkeit in jeder Zelle und um ihn herum gefrieren lassen und lernt später, sich selbst in Eis zu verwandeln. Die X-Men aus dem Marvel-Verlag sind eine der erfolgreichsten amerikanischen Comicserien. Es gibt keine offiziel­ len Statistiken, aber wir schätzen, dass ca. 97–99 % der Leser Männer sind. Natürlich mögen auch Frauen Comics, zum Bei­ spiel die von Ralf König. Genauso wie es auch Frauen geben soll, die Platten sammeln, zum Beispiel Best-of-Alben. Aber grundsätzlich sind die X-Men und all die anderen ge­zeich­ neten Superhel­den, Antihelden und Underground-Helden 144

AFFAIRE D’Hommes

die Freunde von Männern. Warum das so ist, versuchen wir an dieser Stelle zu ergründen. Ääähm. Bei Comics darf man die Seiten beim Lesen nach hinten umklappen wie bei einer Zeitschrift. Das ist gut, wenn man sie mit aufs Klo nehmen will. Comics handeln von Krieg und Sieg und nicht von „Krieg und Frieden“. Comics sind eine fantasievolle Ergänzung zu anderen Männer­büchern, wie „100 wertvolle Steuertricks“. Die Comic-Sozia­li­sation beginnt schon früh. Mädchen wollen aussehen wie Lillifee (würg) und Jungs wie Spiderman. Nach Lillifee interessieren sich Mädchen für tolle Geschichten und Märchen, die logische Folge ist die Belletristik, also dicke Romane. Jungs lesen erst den Playmobil-Katalog und später dann den Thomann-Musikgeräte-Katalog – und eben Comics. Der Inhalt einer ComicBlase und die Copy für eine Profi-Endstufe haben ungefähr die gleiche Länge. Die Textlänge einer Blase orientiert sich stark an der Länge eines durchschnitt­li­chen Gesprächsbeitrags an einem Kneipentisch. Außer ein Typ hält betrunken Monologe. Solche Typen lesen nüchtern wahrscheinlich Thomas Mann. Normale Besoffene werden einsilbig, und irgendwann fällt ihr Kopf auf den Tresen. So endet auch ein Comic. Baff. Schluss. Und am nächsten Tag geht’s weiter. Männer sind X-Men, Mutanten mit affenartiger Kraft, deren Körper nach Jahren der Selbstversuche mit Fell bedeckt sind. Und Comics sind ihre Gebrauchsanweisung.


Zwei Herzen in einer Brust.

Im Abonnement

Endlich haben wir mal an dieser Stelle eine wirklich neue Information unterzubringen. Die Erscheinungstermine für FELD HOMMES ändern sich! Das Jahr 2008 geht, journalistisch gesehen, schon im Februar los. Mit einer Ausgabe, die sich schwerpunktmäßig der Mode widmet. Im Frühjahr dann gibt es mehr zu lesen. Und im Spätsommer wieder mehr Mode. Und so weiter. Mit einem Abo schlagen Sie also zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie brauchen sich nicht zu merken, wann Sie zum Kiosk rennen müssen, das aktuelle Heft flattert einfach in Ihren Briefkasten. Wenn man bei über einem Kilo Lebendgewicht noch von flattern sprechen kann. Zweitens müssen Sie keine Entscheidung treffen, ob Sie eher der inhaltlich orientierte oder eher der modischvisuelle Typ sind. Sie sind bekennend schizophren und lieben beides. Denken und Gucken. Zum Ausdruck bringen Sie das, indem Sie unten stehenden Coupon ausfüllen und abschicken. Aber bitte nur einen Namen einsetzen. Sonst kommen wir durcheinander.

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ABoNNEmENT

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nix TÄTIGKEITSFELD #3

verstehen

Der Aufschwung senkt die Arbeitslosenzahlen und erhöht die Verzweiflung von Personalchefs, Spezialisten zu finden.   Mehr als ein Viertel aller europäischen Unternehmen hat massive Probleme, Ingenieure oder IT-Spezialisten zu finden.   Grund genug für unseren Karriereberater Florian Pagel, Ihnen heute ein Berufsbild vorzustellen, für das Sie kaum eine Stellenanzeige finden werden, dafür umso schneller  einen Job: der Codierer – bekannt unter dem Fachbegriff Kryptograf.  Von Florian Pagel (Text)

Informationsverschlüsselung begann mit den Hieroglyphen der Ägypter um ca. 1900 v. Chr. und bekam über die Jahrhunderte einen immer wichtigeren Stellenwert. So beeinflusste zum Beispiel die Erbeutung der sagenumwobenen NaziDechiffriermaschine „Enigma“ entscheidend den Ausgang des Zweiten Weltkrieges. Aber auch im zivilen Leben gibt es etliche Bereiche, in denen Codes noch heute unser tägliches Leben bestimmen, zum Beispiel Online-Banking-TANs, Farbcodierungen oder Barcodes. Herr Dr. Martin Seysen, 51 Jahre alt, arbeitet als Kryptograf bei Giesecke & Devrient, dem weltweit führenden Unternehmen für Banknoten sowie Sicherheitssysteme, und hat uns etwas über seinen Beruf erzählt.

Wie lange machen Sie den Beruf schon?  Seit 1984.  Gibt es Ausbildungsmöglichkeiten für den Beruf?  Einen direkten Ausbildungsweg zum Kryptologen gibt es nicht. Als Grundlage ist ein Studium der Mathematik, Physik, Informatik oder Ingenieurwissenschaften sinnvoll. Von Vorteil ist die Ausbildung an einem Lehrstuhl, an dem kryptografische Themen bearbeitet werden.  Welchen Weg haben Sie gewählt, den Beruf zu lernen?  Ich bin Mathematiker und über die Zahlentheorie zur Kryptologie, speziell zur Public-Key-Kryptografie, gekommen.  Kommt der Buchstabe X beim Codieren häufig vor?  In einem verschlüsselten Text sollte der Buchstabe X im Durchschnitt genauso häufig vorkommen wie jedes andere Zeichen auch. Ganz im Gegensatz etwa zu deutschsprachigem Klartext, wo der Buchstabe X relativ selten vorkommt. Andernfalls ist das Verschlüsselungsverfahren schwach oder fehlerhaft. Allerdings erfolgt heutzutage die Datenverschlüsselung praktisch ausschließlich computerbasiert, wobei die verschlüsselten Daten dann aus Bits (oder Bytes) bestehen und nicht aus Buchstaben. Hier gilt das Gleiche: Alle möglichen Bytewerte sollten im Schlüsseltext gleich häufig sein.  Haben Sie Lieblingscode?  Ich ziehe Verschlüsselungsverfahren vor, die von Fachkreisen hinreichend lange und genau untersucht worden sind, wie zum Beispiel AES oder RSA. Insbesondere interessiere ich mich für Verschlüsselungsverfahren mit elliptischen Kurven.    Was macht einen guten „Kryptografen“ aus?   Verständnis für mathematische Zusammenhänge, strukturiertes Denken und auch gelegentlich ein unkonventionelles Vorgehen, zum Beispiel bei der Kryptoanalyse, das heißt beim Knacken von Verschlüsselungsverfahren.  Was mögen Sie an Ihrem Beruf?   Ich komme viel mit mathematischen Themen in Berührung. So habe ich mich zum Beispiel mit elliptischen Kurven erst nach dem Ende meines Studiums befasst.

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