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Inter view Interview Lotte - Fußballpreis 2019
„Mein Erfolgsrezept? Eine goldene Generation!“ DFB-Trainerlegende Tina Theune gewinnt den Ehrenpreis als verdiente Persönlichkeit im Frauenfußball.
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ber dreißig Jahre lang wirkte Tina Theune als Trainerin im deutschen Frauenfußball. Von 1974 bis 1986 war sie als Spielerin bei Grün-Weiß Brauweiler aktiv und schon 1982 trainierte sie als Spielertrainerin die Frauenauswahl des Fußball-Verbandes Mittelrhein. Heute kann die Trainerlegende auf eine beispiellose Karriere zurückblicken und steht seit diesem Jahr zurecht in der Hall of Fame des deutschen Fußballs – als Trainerin der „Gründungself“ der Frauen.
Ein Interview von Marcel Hache Frau Theune, Sie sind eine sehr erfolgreiche Trainerin und haben unzählige Titel gewonnen. Was war ihr schönster Moment unter all diesen Erfolgen?
Im Nachhinein sind mir zwei Erlebnisse besonders im Gedächtnis geblieben. Die EM 1989 verbinde ich mit dem Mauerfall. Es war ein Jahr zum Feiern – nicht nur für den Frauenfußball. Schon die Halbfinalbegegnungen brachten Spannung pur und rissen die Fans mit. Beim Finale in Osnabrück brachen dann alle Dämme. Das Spiel wurde live im Fernsehen übertragen und es wollten viel mehr Menschen im dabei sein, als das Stadion fassen konnte. So kam es vor den Toren des Stadions an der Bremer Brücke auch zum ersten Public Viewing eines Frauenfußballspiels. Als wir dann das Finale auch noch gewonnen hatten und unseren ersten großen Titel holten, war die ganze Stadt in Partystimmung und hupende Autokorsos eskortierten uns auf dem Weg zurück zum Hotel. Das war schon ein besonderes Erlebnis, weil es alles bisher Dagewesene verändert hat.
Tina Theune während der Heim-Europameisterschaft 2001 .
Welches war das zweite Schlüsselerlebnis? Das war der WM-Gewinn 2003 – ein weiterer Meilenstein für den deutschen Frauenfußball. Die TV-Einschaltquoten und das Zuschauerinteresse waren enorm. Es wurden sämtliche Rekorde gebrochen und plötzlich gab es auch Sponsoren für den Frauenfußball und es liefen witzige Werbespots im Fernsehen. Als wir nach dem Titelgewinn mit dem Flieger in Deutschland landeten, gab es einen riesigen Empfang. Hubschrauber kreisten über uns, Fans empfingen uns am Flughafen – wir wussten gar nicht, dass die WM in Deutschland so interessiert verfolgt wurde. Zum ersten Mal überhaupt wurden wir dann auf dem Frankfurter „Römer“ empfangen, wo tausende Menschen mit uns feierten. Tina Theune und Silvia Neid nach dem Sieg bei der Europameisterschaft 1997.
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Wie sehr hatte der erste WM-Titel den deutschen Frauenfußball verändert. Mit dem Titelgewinn 2003 war plötzlich alles anders. Es kamen
Interview
Fotos: imago
viel mehr Menschen zu den Länderspielen und Fans besuchten gar das Training der Frauen-Nationalmannschaft. Die öffentlichrechtlichen Sender wollten, dass wir unsere Länderspiele auf die Abendstunden zur „Prime Time“ verlegen, weil die Einschaltquoten rasant stiegen. Es war alles plötzlich komplett anders. Auch die Frauen-Bundesliga hat das steigende Interesse dann zu spüren bekommen. Man könnte das mit der heutigen Situation in den Niederlanden vergleichen – es war ein regelrechter Frauenfußball-Boom zu spüren. Sie sind immer noch aktiv und engagieren sich für den Mädchen- und Frauenfußball. Für den DFB begleiten Sie unter anderem die Eliteschulen des Mädchenfußballs. Was motiviert Sie, dass Sie so lange und so intensiv für den weiblichen Fußball unterwegs sind? Ich war natürlich über einen sehr langen Zeitraum Trainerin, dennoch wollte ich unbedingt für den
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die Auszeichnung kann ich mit einem sehr guten Gefühl auf meine Arbeit beim DFB zurückblicken.
DFB weiterarbeiten. Mein Bereich betraf damals auch die Trainerfortbildung, Talent- und Eliteförderung bis hin zur Spitzenförderung. Es sind in allen Altersklassen sehr viele Talente auf dem Weg, sodass einer erfolgreichen Zukunft nichts im Wege steht. Diese Entwicklungen junger Talente zu sehen, motiviert einen natürlich ungemein. Wie fühlt man sich eigentlich so, wenn die Bundestagsvizepräsidentin Ihnen schreibt und Ihnen mitteilt, dass Sie Ehrenpreisträgerin von „Lotte“ sind? Claudia Roth und ich haben uns schon über Fußball ausgetauscht, als wir beide eine zeitlang Mitglieder der AG Kulturprogramm der Frauen WM 2011 waren. Seitdem schickt sie mir regelmäßig „grüne“ Botschaften zu Weihnachten, daher war der Kontakt weniger das Besondere. Viel stärker wiegt natürlich die Auszeichnung der „Lotte“. Es ist eine große Ehre für mich, dass damit mein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Durch diese
Auszeichnung kann ich mit einem Lächeln auf meine Arbeit beim DFB zurückblicken. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Auszeichnung „Lotte“ speziell für Mädchen und Frauen, die sich für ihren Sport engagieren? Solche Preise spielen eine sehr große Rolle. Wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns, was die Förderung und Akzeptanz des Frauenfußballs angeht. Solche Preise tragen sicherlich dazu bei. Es gibt sehr viele fähige Menschen, die großes für den Frauenfußball leisten – von der Basis bis hin zur Nationalmannschaft. Es sind Menschen, die auch im Alltag vorne weg gehen und das kann nicht oft genug gewürdigt werden. Gut, dass Sie es ansprechen: Einmal Hand aufs Herz, der Mädchen- und Frauenfußball an der Basis steht nicht gut da. Was können, was müssen die Verbände und Vereine ändern?
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Ich glaube, wir dürfen nicht den Fehler machen, unsere besten Talente in den höchsten Ligen zu sammeln. Sondern wir sollten schauen, dass wir diese Qualität auch in der Breite haben. Ein regelmäßiges zusätzliches Angebot der Vereine, Kreise und Verbände, wo sich junge Spielerinnen und Spieler im Bambini-Alter in spannenden 3-gegen-3 oder 4-gegen4-Turnieren messen können, wird langfristig erfolgreich sein. Da ist alles drin, mit Ball durchsetzen, Kombinationsstärke, Tore erzielen. Sie haben zunächst gemeinsam mit Gero Bisanz und danach als Cheftrainerin eine sehr erfolgreiche Ära im deutschen Frauenfußball begründet. Was war Ihr Erfolgsrezept? Wir hatten das große Glück, zahlreiche großartige Spielerinnen zu haben. Diese goldene Generation war der Schlüssel zu unserem Erfolg. Es waren nicht nur großartige Talente, sondern auch Spieler-Persönlichkeiten mit Führungsqualität und enormen Ehrgeiz. Da brauchte man als Trainerin gar nicht so viel Einfluss nehmen. Wie haben Sie Ihre Spielerinnen vor großen Turnieren eingestellt? Woraus lag ihr Fokus? Es war damals noch ganz anders als heutzutage. Wir hatten viel mehr Zeit. Damals konnten wir den Terminkalender noch selbst mitgestalten. In der Vorbereitung auf das WM-Turnier 2003 konnten wir uns über einen Zeitraum von 3 Monaten hinweg in Top-
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Form spielen - wobei die Lehrgänge mit Länderspielen jeweils nie länger als 8 bis 10 Tage am Stück dauerten. Diesen Luxus kann sich heute nur noch die Weltmeistermannschaft USA leisten. Bereits in einem Interview mit der FAZ aus dem Jahr 2001 haben Sie die Einrichtung einer Profi-Liga für Frauen gefordert. Der neue DFB-Präsident Keller hat das Thema auch wieder auf die Tagesordnung gebracht. Was ist Ihre Prognose für die Zukunft? Kommt die Profi-Liga? Es sind ja schon einige Vereine auf dem Weg dahin und es werden in Zukunft weitere hinzukommen. Andere Nationen haben es vorgemacht und haben – auch durch die Unterstützung durch die Regierung und der MännerProfivereine – bereits ein professionelles Umfeld geschaffen. Ich glaube, mit dem neuen DFBPräsidenten Fritz Keller wird sich da auch in Deutschland einiges tun. Dennoch müssen wir nicht alles nachmachen, was andere Verbände tun. Auch wir haben Gutes geleistet. Unsere Liga kann absolut mithalten und unsere Vereine sind bereit, Top-Talente zu integrieren und zu fördern. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass niemand den deutschen Frauenfußball so gut kennt wie Sie. Wie hat sich der Fußball aus technischtaktischer Sicht in den letzten dreißig Jahren geändert.
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müssen wir nicht alles nachmachen, was andere Verbände tun. Auch wir haben Gutes geleistet.
Festtag für den Frauenfußball: Aufnahme der Gründungself der Frauen in die Hall of Fame im Deutschen Fußball Museum am 12. Oktober: Hannelore Ratzeburg (5. v.l.) und DFBPräsident Fritz Keller zusammen mit Sivia Neid, Tina Theune, Silke Rottenberg, Renate Lingor, Steffi Jones, Inka Grings, Bettina Wiegmann und Nia Künzer (v.l.).
Der Fußball verändert sich rasant. Das heutige Spiel ist geprägt von Spielintelligenz und Dynamik. Gefordert ist eine ausgereifte Technik, fließende Abläufe, eine passende Balleroberungsstrategie und ein Kombinationsspiel über Linien, Distanzen, in andere Räume bis zum variablen und präzisen Torabschluss. Die Spielerinnen von heute müssen vieles können und in der Lage sein, ihre eigene Rolle im Spiel flexibel zu interpretieren – je nach ihren Stärken und der jeweiligen Spielsituation. Das ist schon deutlich anspruchsvoller als noch vor dreißig Jahren. Und was ist vielleicht auch gleich geblieben? Geblieben ist die Begeisterung, die unbändige Spielfreude, egal zu welchem Zeitpunkt, in welcher Liga und gegen welche Mannschaft gespielt wird. Immer wieder taucht bei Ihnen das Klavier auf. Mal wollten Sie Charlie-Chaplin-Filme am Klavier vertonen, dann haben Sie nach Ihrem letzten Spiel auf der Bank dem Team „You’ll never walk alone“ vorgespielt. Wann beginnt ihre musikalische Karriere? Eine Karriere muss es jetzt nicht mehr sein, aber Klavier spielen ist sehr entspannend. Ich hatte mal einen Klavierlehrer und überlege, ob ich da wieder weitermache. Wir haben Boogie und auch klassische Stücke von Bach geübt, das passt einfach gut zusammen.