Mit einem Fuss in der Arbeitswelt

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BERUFSBEGLEITEND STUDIEREN

MIT EINEM FUSS IN DER ­ARBEITSWELT Wer berufsbegleitend studiert, muss sich ganz auf Arbeit und Ausbildung konzentrieren und anderes vernachlässigen. Das ist anstrengend, aber für die eigene Laufbahn nützlich. Rolf Murbach

«I

ch wollte auch während des Studiums finanziell unabhängig sein», sagt Tanja Schär. Sie studiert Betriebsökonomie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur und arbeitet 60 Prozent bei einer DigitalMarketing-Agentur. Ursprünglich liebäugelte die Mittelschulabsolventin mit einem Universitätsstudium, doch nach

Mario Spoljarec (35) SIB Schweizerisches Institut für Betriebsökonomie, Betriebswirtschafter HF, 2. Semester Im Vergleich zu den jüngeren Studierenden musste ich mich erst wieder ans Lernen gewöhnen. Dafür bringe ich Berufserfahrung mit. Nach einer Lehre zum Elektromechaniker erlangte ich bald einmal das Bürofach- und Handelsdiplom und später ein höheres Wirtschaftsdiplom an einer Privatschule. Nach einigen Jahren Berufserfahrung möchte ich nun einen Abschluss einer höheren Fachschule. Studium und Beruf unter einen Hut zu bringen, erlebe ich als anspruchsvoll. Ich arbeite 80 Prozent beim Schweizerischen Verband der Immobilienwirtschaft SVIT als Prüfungssekretär. Ich organisiere die eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen der Immobilienbranche, ein verantwortungsvoller Job, bei dem ich keine Abstriche machen kann. Fürs Studium bedeutet dies, dass ich mich gut organisiere.

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einem Praktikum entschied sie sich dagegen. «Der Entscheid war richtig. Der Unterricht in den relativ kleinen Klassen ist persönlich, und ich behalte einen Fuss in der Arbeitswelt», sagt die Studentin. Der Alltag von Tanja Schär ist abwechslungsreich und intensiv. Das Pendeln zwischen den beiden Welten gefällt der jungen Frau. An einem Tag und zwei Abenden besucht sie Vorlesungen. Drei

Tage arbeitet sie in der Agentur. «Die Tage sind lang. Ich verlasse meine Wohnung um sieben und komme, wenn ich Schule habe, erst gegen 23 Uhr nach Hause.» FREIE STUNDENPLANGESTALTUNG Höhere Fachschulen, Fachhochschulen und Fernuniversitäten bieten berufsbegleitende Studiengänge an. An einer Fachhochschule dauert ein Vollzeitstudium bis zum Bachelor sechs Semester,


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«DIE MOTIVATION IST ENTSCHEIDEND» Die Studierenden müssen gut organisiert sein und an der eigenen Planung hartnäckig festhalten, sagt Jacques Bischoff, Rektor der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Rolf Murbach Die HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich bietet ausschliesslich berufsbegleitende Studiengänge an. Wie viel arbeiten die Studierenden neben der Ausbildung?

Auf Bachelorstufe arbeiten die meisten Studierenden 80 Pro­ zent, eine Minderheit 70 oder 60 Prozent. In den Masterstudien­­ gängen sind es in der Regel 100 Prozent. Das ist aber nur mög­ lich, weil der Unterricht an einzel­ nen Tagen, am Abend und oft am Samstag stattfindet. Zudem kommen die meisten Arbeitge­ ber den Studierenden entgegen und ermöglichen ihnen studienbe­dingte Absenzen. Ein berufsbegleitendes Studium stellt hohe Ansprüche an die Studierenden. Sie müssen Job und Ausbildung vereinbaren. Welche Voraussetzungen sollten die Studierenden mitbringen, damit sie im Studium erfolgreich sind?

Viele entscheiden sich ganz bewusst für ein Teilzeitstudium. Damit bleiben sie auch in der Arbeiswelt auf dem neusten Stand.

Höhere Fachschulen, Fachhochschulen und Fern­universitäten bieten berufs­begleitende Studiengänge an.

Entscheidend für den Studiener­ folg ist die Motivation, neben dem beruflichen Engagement ein Hochschulstudium zu absol­ vieren. Die Studierenden müssen zudem gut organisiert sein, an der eigenen Planung hartnäckig festhalten und vor allem gewillt sein, über längere Zeit Studium und Beruf in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen. Das be­ dingt, dass sie gewisse private Bedürfnisse zurückstellen. ­Während des Semesters besu­ chen etwa Bachelor-Studierende jeden zweiten Samstag Lehr­ veranstaltungen, am Sonntag müssen sie oft lernen oder schriftliche Arbeiten verfassen.

Ein Bachelorstudium in Betriebsökonomie, Kommunikation oder Wirtschaftsinformatik an der HWZ dauert vier Jahre. Das ist eine lange Zeit.

Ja, die Studierenden brauchen Durchhaltewillen. Zudem sind die Semester an der HWZ länger als an anderen Hochschulen, nicht 14, sondern 19 Wochen. Dies vereinfacht allerdings auch das berufsbegleitende Studieren, weil für die Vermittlung des ­Stoffes mehr Zeit zur Verfügung steht. Welchen Stellenwert hat E-Learning?

Wir setzen Blended Learning, also die Verknüpfung von Präsenz­ ­veranstaltungen und E- bezie­ hungsweise Home-Learning, nur begleitend ein. Denn wir sind eine Präsenzhochschule und k­ eine Fernhochschule. Die ­Studierenden schätzen die Face-­ ­to-face-Betreuung durch die Dozierenden. fh-hwz.ch

Jacques Bischoff, Rektor der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich

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BERUFSBEGLEITEND STUDIEREN

In der Stundenplangestaltung sind die Studierenden relativ frei. Ausbildung und Beruf kommen sich so nicht in die Quere.

Luca Fehr (28) HSR Hochschule für Technik ­Rapperswil, Bachelorstudium Informatik, 9. Semester

Berufsbegleitendes Studieren braucht einen langen Schnauf.

ein Teilzeitstudium acht Semester. Wer danach ein Masterstudium anhängt, muss dafür nochmals mindestens zwei Jahre aufwenden. Berufsbegleitend studieren braucht also einen langen Schnauf. In der Stundenplangestaltung sind die Studierenden dafür relativ frei. Sie können die Module so belegen, dass sich Ausbildung und Beruf nicht in die Quere kommen. Die meisten Studierenden arbeiten zwischen 50 und 60 Prozent.

Claire Honegger (21) HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich, Bachelorstudium Kommunikation, 5. Semester

Unterwegs zum Traumberuf. mit

kfmv.ch/jobs

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Beruf und Studium beanspruchen mich komplett, Freizeit habe ich kaum. Das hat auch mit meinem Perfektionismus zu tun. Ich arbeite 80 Prozent im Marketing beim Jugendsender Joiz. Die HWZ besuche ich an einem Tag, einem Abend und alternierend am Freitagabend beziehungsweise Samstagmorgen. Es gefällt mir, mich in völlig unterschiedlichen Welten zu bewegen, die doch miteinander zu tun haben. Was ich am Arbeitsplatz erfahre, reflektieren wir im praxisbezogenen Studium Besonders hart sind die Prüfungsphasen. Wenn ich es mir finanziell leisten könnte, würde ich nur 60 Prozent arbeiten. Aber vielleicht hätte ich dann auch einen weniger anspruchsvollen Job. Auf jeden Fall schätze ich es, dass ich auch während des Fachhochschulstudiums auf eigenen Beinen stehe und schon jetzt eine spannende Arbeit habe.

Zu Beginn meines Studiums war ich noch angestellt. Ich arbeitete 40 Prozent in einem Informatik-Unternehmen, 60 Prozent wendete ich fürs Studium auf. 2012 habe ich eine eigene Firma für Softwareentwicklung und Web-Dienstleistungen gegründet. Nun arbeite ich natürlich mehr, oft auch am Abend und an den Wochenenden. Je nach Auftragslage muss ich das Studium etwas vernachlässigen. Dennoch bringe ich alles unter einen Hut – dank relativ freier Studiengestaltung, gutem Zeit­­ management und Unterstützung der Dozierenden. Auch wenn vor allem in Prüfungsphasen mein Alltag kräfteraubend ist, würde ich mich wieder für ein Teilzeitstudium entscheiden. Denn gerade in der Informatik ist es wichtig, dass man wegen des schnellen Technologiewandels immer einen Fuss in der Praxis

Viele Studierende müssen aus finanziellen Gründen eine berufsbegleitende Ausbildung absolvieren. Andere wählen aber auch ganz bewusst ein Teilzeitstudium, damit sie der Arbeitswelt nicht zu lange fernbleiben. Das kann sich positiv auf die Laufbahn auswirken. «Ein grosser Teil unserer Studierenden macht während der Ausbildung einen beruflichen Schritt», sagt Jacques Bischoff, Rektor der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. «Sie wechseln das Unternehmen oder übernehmen im Betrieb eine neue, oft anspruchsvollere Aufgabe und kommen so ihrem Berufsziel näher.» modellf.ch: Anbieter von flexiblen Studiengängen berufsberatung.ch: Laufbahn­portal, Informationen zu allen Studiengängen an Schweizer Fachhochschulen, ETH und Universitäten k-hf.ch: Informationen zu den Höheren Fachschulen


ICH BIN ....

...Webberater «Mein Job gefällt mir sehr gut. Ich bleibe bestimmt noch eine ganze Weile bei ­Webagentur.» Rolf Murbach

I

ch berate kleinere und mittlere Betriebe, wenn sie einen Webauftritt planen. Die Kunden erhalten von uns alles aus einer Hand: Konzept, Grafik, Inhalte und Technik. Dementsprechend abwechslungsreich ist mein Job. Ich muss von all den Bereichen etwas verstehen. Gemeinsam mit dem Kunden erarbeite ich das Konzept einer neuen Website, erstelle den Kostenvoranschlag, programmiere mit unserem CMS die Site und führe den Auftraggeber in die Bewirtschaftung des Internetauftritts ein. Kein Tag ist wie der andere. Ich lerne viele KMU der Region kennen und baue mir dadurch ein Netzwerk auf. Spannend finde ich, dass mein Job Kommunikation, Betriebswirtschaft, Informatik und Gestaltung beinhaltet. Vieles habe ich mir on the job und in Kursen angeeignet. Neben meiner 80-Prozent-Anstellung bei Webagentur studiere ich berufsbegleitend an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich Kommunikation. Was ich hier lerne, kommt mir im Job zugute: Unter­ nehmensführung, Psychologie, Recht, Informationstechnologie oder Publishing. Und ich reflektiere im Studium, was ich im Job mache.

CV

2005–2008 Wirtschaftsmittelschule mit Handelsdiplom. 2008–2009

­k aufmännisches Praktikum am Bezirks­ gericht Muri. 2009 Berufsmaturitäts­

abschluss und Sprachaufenthalt in Paris. temporäre Stelle in der Kommunikation bei der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. 2010–2011 ein Semester Betriebsökonomie an der Fach­hochschule St.Gallen. 2011 Jobben in einem Industriebetrieb. Herbst 2011 bis heute Teilzeitstudium Kommunikation an der HWZ H ­ ochschule für Wirt­ schaft Zürich. Herbst 2011 bis Mehr Bildung: heute Webagentur.ch: zuerst als kfmv.ch/ Marketing­a ssistent, dann als weiterbildung ­W ebberater.

Dezember 2009–Juni 2010

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