Fokus-Interview Fachwissenschaft-Fachdidaktik PH FHNW

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«Wir brauchen eine Fachwissenschaft, die eng mit der Fachdidaktik verzahnt ist»

Ein Gespräch mit Expertinnen über Fachdidaktiken und Fachwissenschaften, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Fachbereichen und Stufen, über Entwicklungen im Laufe der Zeit – und über Potenzial für die Zukunft.

Von Marc Fischer (Text) und Christian Irgl (Fotos)

Im Titel dieses HEFTs steht ein Plural: «Fachdidaktiken und Fachwissenschaften». Warum braucht es diese Mehrzahlform? Wie werden die beiden Begriffe definiert? Was ist im Fachbereich Deutsch anders als in den Naturwissenschaften oder im Bildnerischen und Technischen Gestalten? Und wie wird der Dialog über die Fach- und Stufengrenzen geführt? Über diese und andere Fragen diskutierten Expertinnen der PH FHNW, die aus den drei bereits genannten Fachgebieten kommen. Susanne Metzger ist Stellvertretende Direktorin des Instituts für Bildungswissenschaften (IBW), einem Institut der Universität Basel, das von der PH FHNW und der Universität Basel gemeinsam getragen und geführt wird. Sie ist verantwortlich für den Joint Degree Masterstudiengang Fachdidaktik (vgl. dazu auch S.41) und leitet die Arbeitsgruppe Fachdidaktiken der PH FHNW. Die studierte Physikerin war zuvor Leiterin des Zentrums Naturwissenschafts- und Technikdidaktik an der PH FHNW. Afra Sturm ist Sprachwissenschaftlerin und Deutschdidakterin, leitet das Zentrum Lesen der PH FHNW und ist im Vorstand der Konferenz Fachdidaktiken Schweiz (KOFADIS).

Barbara Wyss hat in Kunstpädagogik über fachliche Kompetenzen junger Lernender und fachdidaktische Settings im Gestaltungsunterricht promoviert. Sie leitet an der PH FHNW die Professur Ästhetische Bildung am Institut Kindergarten-/Unterstufe.

Lassen Sie uns mit einer vermeintlich einfachen Frage einsteigen. Was ist Fachdidaktik und was macht sie?

Afra Sturm: Das ist jetzt gerade die schwierigste Frage (lacht).

Warum?

Afra Sturm: Man kann nicht eine klare Definition geben und sagen, was Fachdidaktik macht. Fachdidaktik schaut die Lern- und Unterrichtsprozesse aus einer fachdidaktischen Perspektive an. Früher gab es eine vereinfachte Auffassung von Fachdidaktik: Sie lieferte den Gegenstand oder den Inhalt des Unterrichts. Die Frage, wie man den Unterricht aber denken oder gestalten sollte, war den Erziehungswissenschaften vorbehalten. Mittlerweile hat man jedoch gemerkt, dass das eine zu starke Vereinfachung von Fachdidaktik ist. Wir müssen die Lernprozesse auch aus einer fachdidaktischen Sicht anschauen. Um ein Beispiel zu machen: Wenn man die Unterrichtsprozesse einzig mit den Instrumenten aus den Erziehungswissenschaften und ohne fachdidaktische Sicht anschaut, dann ist vieles nur mit Oberflächenmerkmalen erfassbar, aber die zentralen

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fachdidaktischen Prozesse finden in der Tiefenstruktur statt. Um diese zu erfassen und zu untersuchen, braucht es den fachdidaktischen Blick.

Susanne Metzger: Ich versuche es gleichwohl mit einer Kurzdefinition: Aus meiner Sicht geht es in der Fachdidaktik um das fachbezogene Lehren und Lernen und alles, was dazu gehört.

Barbara Wyss: Ich kann unterstreichen, was ihr gesagt habt. Das eine sind die fachlichen Gegenstände und das andere sind die relevanten Bildungsfragen, die sich daraus entwickeln können. Und es gehört nicht nur dazu, wie die Gegenstände ausgewählt werden, sondern auch, wie man damit umgeht, denn die Zugänge zu einem Inhalt sind bereits fachlich geprägt. Das kann man nicht durch eine allgemeine Didaktik ersetzen. Deshalb ist Fachdidaktik wichtig.

Früher gab es diese «Allgemeine Didaktik» für alle Fächer, heute sprechen wir von verschiedenen Fachdidaktiken. Wann hat diese Entwicklung begonnen?

Barbara Wyss: Mit der Tertiarisierung – und gerade mit der Gründung der PH FHNW – erfolgte aus meiner Sicht ein deutlicher Schritt in diese Richtung. Man kann das Verhältnis zwischen Fachwissenschaften und Fachdidaktiken sicher auch heute noch diskutieren, aber die Tertiarisierung war ein klares Bekenntnis zu den Fachdidaktiken.

Susanne Metzger: Dies gilt für die Gründung von pädagogischen Hochschulen im Allgemeinen. Als man Ende der Neunzigerjahre darüber nachgedacht hat, hiess es explizit, dass die Fachdidaktiken künftig an den pädagogischen Hochschulen angesiedelt sein sollten.

Afra Sturm: Es gibt aber dennoch immer noch Versuche, die allgemeine Didaktik zu retten.

Barbara Wyss: Ein bisschen nehme ich diese Haltung sogar in Schutz. Ich nehme eine gewisse Reflexhaltung wahr. Wenn eine Diskussion über Themen aufkommt, die früher zur allgemeinen Didaktik gehörten, gibt es eine abwehrende Haltung, nach dem Motto: «Das wollen wir

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Susanne Metzger, Stellvertretende Direktorin des IBW und Leiterin der Arbeitsgruppe Fachdidaktiken der PH FHNW:: «Jede einzelne Fachdidaktik ist eine einzelne wissenschaftliche Disziplin mit eigenen Zugängen.»

nicht mehr!» Ich finde, man muss schon genau hinschauen, ob es nicht vielleicht Bereiche gibt, bei denen man sagen kann: «Das gilt für viele Fachdidaktiken, das hat eine allgemeine didaktische Bedeutung.»

Afra Sturm: Es gibt auf jeden Fall Themen, die man aufgreifen muss. Etwa die Frage, was verschiedene Fachdidaktiken gemeinsam haben und wo es Unterschiede gibt. Das ist eine zentrale Frage. Aber dafür braucht es in meinen Augen keine Disziplin «Allgemeine Didaktik». Das müssen die einzelnen Fachdidaktiken miteinander ausmachen. Und dann gibt es auch Themen aus der allgemeinen Didaktik, die für mich in die Erziehungswissenschaften gehören.

Susanne Metzger: Und es gibt auch Themen, die zwei oder drei Fachdidaktiken gemeinsam bearbeiten –aber deswegen ist es noch keine allgemeine Didaktik. Dann verknüpft man einfach mehrere fachdidaktische Perspektiven miteinander.

Hat sich auch das Verständnis des Begriffs «Fachdidaktik» gewandelt?

Susanne Metzger: In der Schweiz sprach man zwar schon lange von Fachdidaktik, aber es war in meinen Augen nicht immer Fachdidaktik, wie wir sie heute verstehen. Für ganz viele Leute waren Fachdidaktiker*innen Fachwissenschaftler*innen, die auch noch am Gymnasium unterrichten. In den Naturwissenschaften nahm ich dies jedenfalls so wahr: Alle, die an der Universität ein Fach studiert hatten und etwas mit dem Bereich Schule oder Lehrpersonenausbildung zu tun hatten, galten als Fachdidaktiker*innen.

Barbara Wyss: Ich bin in den frühen 1990er-Jahren in die Lehrpersonenbildung eingestiegen im Bereich Gestalten. Uns wurden relativ früh fachdidaktische Aufgaben zugewiesen. Aber ich weiss, dass das längst nicht bei allen Fächern so war. Damals war die allgemeine Didaktik noch stark. Sie bezog jedoch ihren Inhalt hauptsächlich aus dem Sach-, Mathematik- oder Deutschunterricht. Gestalten war weniger im Fokus der allgemeinen Didaktik. Ja, man war sogar froh, dass wir dafür zuständig waren. In meiner Wahrnehmung begann man damals – und ich kenne hier nur das Beispiel aus der Lehrer*innenbildung Solothurn – in

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Afra Sturm, Leiterin des Zentrums Lesen der PH FHNW: «Ich würde so weit gehen und sagen, dass die pädagogischen Hochschulen selbst bestimmen sollten, wie ihre Fachwissenschaft aussehen muss, weil die Verschränkung mit der Fachdidaktik gewährleistet sein muss.»

den künstlerischen Fächern die Fachdidaktiken zu installieren oder vielleicht muss man eher sagen, sie ihnen zu überlassen. In den sogenannten Hauptfächern blieb es noch länger so, dass deren Didaktik Teil des Fachunterrichts, aber gleichzeitig auch der Methodik und der allgemeinen Didaktik war.

Susanne Metzger: Ich erlebte es häufig so, dass die Methodik des Unterrichts mit Fachdidaktik gleichgesetzt wurde. Wie muss ich Deutsch unterrichten? Wie Natur und Technik? Dabei ist das nur ein kleiner Ausschnitt der Fachdidaktik. Aufgabe der Fachdidaktiken ist es auch, empirisch gestützte Erkenntnisse zum Lehren und Lernen in der jeweiligen Domäne zu generieren. Also beispielsweise herauszufinden, welche Vorstellungen Lernende zu fachlichen Konzepten haben, wie fachliche Inhalte aufbereitet und Aufgaben gestaltet werden müssen, um Kompetenzaufbau zu ermöglichen, oder wie Kompetenzen valide gemessen werden können. Aber auch Ziele für fachspezifische Lernprozesse zu reflektieren und zu begründen gehört dazu. Und schliesslich geht es nicht nur um das schulische, sondern auch um das ausserschulische Lernen.

Barbara Wyss: Ich brauchte auch eine gewisse Zeit, bis ich einen umfassenderen Blick bekam. Am Anfang war es für mich tatsächlich genau das. Es dauerte einige Zeit, bis ich im Fachdidaktikunterricht thematisierte, was gestalterisches Lernen im Kern ausmachen kann, welche Vorstellungen von Bildung dahinterstecken und welche Spezifika nicht nur in den fachlichen Inhalten, sondern auch in der Art der lernenden Auseinandersetzung zu finden sind.

Afra Sturm: In vielen Fächern, gerade auch in den klassischen Hauptfächern, kamen die Didaktiker*innen aus den Fachwissenschaften. Die hatten beispielsweise im Fach Deutsch Literaturwissenschaften oder Linguistik an einer Universität studiert. Ich habe auch diesen Werdegang. Ich studierte Linguistik und war dabei an einem Lehrstuhl, der sich für das Schulfeld interessiert hat. Als ich in die Lehrpersonenbildung eingestiegen bin, stellte ich fest, dass das, was ich an der Universität studiert hatte, wenig mit dem zu tun hat, was ich nun brauchte, weil die ganzen Gegenstände schon anders waren. Und genau das ist einer der Knackpunkte, die wir auch heute noch haben. Die Fachwissenschaften an den Universitäten sind nicht das, was wir aus einer fachdidaktischen Perspektive brauchen. In meiner eigenen Studienzeit haben wir zwar an der Universität Phonetik gelernt. Aber dass es beispielsweise ein Lautsystem im Schweizer Hochdeutsch gibt, das sich von jenem in Deutschland unterscheidet, und wir deshalb andere Rechtschreibeprobleme haben, das war in regulären Veranstaltungen nie ein Thema. Oder wir haben viel

darüber nachgedacht, was gute Kriterien sind für Textbeurteilung, aber es wurde nie thematisiert, wie beispielsweise die Schreibentwicklung verläuft. Das sind aber Punkte, die für künftige Lehrpersonen und PH-Dozierende relevant sind.

Susanne Metzger: In den Naturwissenschaften ist das ähnlich. Die Grundvorlesungen wie beispielsweise «Einführung in die Physik I und II» liefern Grundlagen, die man auch an der PH braucht. Dadurch haben angehende Lehrpersonen ein fundiertes Fachwissen, aber darüber hinaus braucht es eine Art Doppeldecker: Welche Lernhindernisse oder Lernschwierigkeiten gibt es? Welches sind typische Fälle von naturwissenschaftlich nicht adäquaten Vorstellungen? Wie kann man diesen Problemen begegnen und mit ihnen umgehen? Das wäre dann Fachwissenschaft, die auf Phänomenen aufbaut, bei denen es ums Verstehen geht.

Wie könnte man in diesem Punkt Verbesserungen erreichen?

Susanne Metzger: Es gibt immer noch die Vorstellung, dass Fachwissenschaft plus Erziehungswissenschaften zusammen Fachdidaktik ergeben. So ist es aber nicht. Es ist nicht eine reine Addition, sondern es braucht die Synthese. Jede einzelne Fachdidaktik ist eine einzelne wissenschaftliche Disziplin mit eigenen Zugängen.

Afra Sturm: Ich würde so weit gehen und sagen, dass die pädagogischen Hochschulen selbst bestimmen sollten, wie ihre Fachwissenschaft aussehen muss, weil die Verschränkung mit der Fachdidaktik gewährleistet sein muss. Wenn ich wiederum die Deutschdidaktik in den Blick nehme, sehe ich, dass dort in den Fachwissenschaften linguistische Einführungen gemacht werden. Da kommen unter anderem Inhalte vor, die man als Lehrperson kaum braucht. Schreib- und Leseentwicklung fehlt dagegen.

Ist das ein fächerspezifisches Problem?

Barbara Wyss: Ich glaube, es ist nicht in allen Fachbereichen gleich, wo man die Abgrenzungen zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik zieht. Ist für dich, Afra, ein Schreibentwicklungsmodell ein Gegenstand, der in die Fachwissenschaft gehört?

Afra Sturm: Ja. Das ist für mich Fachwissenschaft. Das sind Grundlagen, die ich brauche, um später entscheiden zu können, wie die Lehr-/Lern-Prozesse zu gestalten sind.

Barbara Wyss: Bei uns ist das anders – wahrscheinlich auch geprägt von den Dozierenden. Modelle zur Kinderzeichnungsentwicklung etwa sind ein Gegenstand, den

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wir in der Fachdidaktik anschauen. Weil es um Lernen und Entwicklung in einem fachlichen Bereich geht.

Susanne Metzger: Es gibt offenbar diese Diskrepanzen. Für Afra Sturm ist das Schreibmodell klar fachwissenschaftlich, für Barbara Wyss das Kinderzeichnungsmodell klar fachdidaktisch und bei uns in den Naturwissenschaften wäre so ein Modell wohl auch eher fachdidaktisch. Weil bei uns die Fachwissenschaften rein die Inhalte von Physik, Chemie und Biologie vermitteln. Experimente gehören zwar auch dazu, aber nicht bezogen auf die Frage, wie man sie in der Schule durchführen könnte, sondern rein wie sie historisch stattfanden oder in der Fachwissenschaft genutzt werden – ohne didaktische Überlegungen. Aber genau die Verschränkung von Fachinhalten und fachdidaktischen Überlegungen braucht es. Denn auf dieser Ebene muss ich die Inhalte verstanden haben, um sie unterrichten zu können. Das ist auch die Herausforderung im Fach

Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG), dass wir zusätzlich zu den Handlungskompetenzen auch noch ein rechtes Mass an Inhalten haben, die die Studierenden wissen müssen.

Afra Sturm: Deshalb müssen wir den Diskurs führen und diskutieren, was Fachwissenschaft leistet. Ich finde, wir brauchen eine Fachwissenschaft, die eng mit der jeweiligen Fachdidaktik verzahnt ist. Sonst wird Fachwissenschaft vermittelt, die keinen Zusammenhang mit der Fachdidaktik hat.

Barbara Wyss: In der Ästhetischen Bildung haben die Auseinandersetzungen mit fachlichen Inhalten und auch das Herleiten fachdidaktischer Entscheidungen meist auch einen praktisch handelnden Anteil, weil erst der Umgang mit entsprechenden Materialien, mit technischen Verfahren oder Sachverhalten die Bedeutsamkeit und die Aspekte fachlicher Gegenstände sichtbar macht.

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Barbara Wyss, Leiterin der Professur Ästhetische Bildung am Institut Kindergarten-/Unterstufe der PH FHNW: «Die Tertiarisierung war ein klares Bekenntnis zu den Fachdidaktiken.»

Angesichts der relativ kurzen Ausbildungszeit können wir es uns nicht erlauben, auf einen engen Zusammenhang zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik zu verzichten.

Susanne Metzger: Ich fände es spannend, einmal für alle Fächer aufzuschreiben, was die Inhalte der Fachwissenschaften und der Fachdidaktiken sind –auch unterteilt in die verschiedenen Stufen. Und dann aufzuzeigen, wie jeweils die Verzahnung stattfindet. Durch viele Diskussionen mit Expert*innen anderer Fachdidaktiken wie Sport oder Mathematik weiss ich, dass da sehr unterschiedliche Ansichten herrschen.

Barbara Wyss: Zudem wäre es dienlich, wenn sich die Fachdidaktiken untereinander mehr austauschen würden – wie jetzt in diesem Gespräch. Herausfinden und diskutieren, was in den unterschiedlichen Disziplinen zur Fachdidaktik gehört oder eben zur Fachwissenschaft – und warum. Sich austauschen über die spezifischen fachlichen Zugänge. In der ästhetischen Bildung gibt es beispielsweise verschiedene, teils philosophisch begründete Ansätze, warum das sinnlich-leibliche Lernen eben ein besonderer Weg ist, um zu Wissen, Erkenntnis und Erfahrung zu gelangen. Wenn wir uns auch über diese Wege austauschen würden, könnten wir den Studierenden auch besser vermitteln, dass NMG und Deutsch nicht nur andere Inhalte haben, sondern auch andere Zugangsweisen.

Gibt es denn diesen Austausch zwischen den einzelnen Fachdidaktiken nicht?

Barbara Wyss: Aus meiner Sicht noch zu wenig.

Afra Sturm: Innerhalb der PH FHNW wäre die Arbeitsgruppe Fachdidaktiken sicher ein Ort, an dem ein solcher Austausch geschehen könnte. Ich fände es bloss nicht so gut, wenn der Austausch nur innerhalb der Fachdidaktiken stattfände. Die Erziehungswissenschaften müssten

ebenfalls dabei sein. Einfach aus dem Grund, weil sie teilweise ganz andere Vorstellungen von Fachdidaktik und Fachwissenschaft haben.

Barbara Wyss: Ja und auch umgekehrt, damit nicht wir Fachdidaktiker*innen Vorstellungen von Inhalten in den Erziehungswissenschaften haben, die nicht zutreffen.

Susanne Metzger: Das entspricht auch meinem Votum für mehr Kohärenz zwischen Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken in der Ausbildung. Hier gibt es Potenzial, Inhalte frühzeitig miteinander anzuschauen und abzusprechen. Man könnte bei Einführungen von Modellen etwa schon Ausblicke darauf geben, wie ein Thema dann später in der Fachdidaktik weitergeführt wird. Das ist nach meinem Wissen gerade ein wichtiges Thema auf der Sekundarstufe I und II.

Wie sieht es diesbezüglich auf Kindergarten-/Unterstufe aus?

Barbara Wyss: Wir bemühen uns sehr darum. Kohärenz ist ein wichtiges Stichwort – zwischen den Fachdidaktiken und den Erziehungswissenschaften, aber auch zwischen den Fachdidaktiken untereinander. Wir haben seit langem einen guten Diskurs. Das hat sicher auch mit der Zielstufe zu tun und damit, dass wir in den Bildungswissenschaften eine Professur haben, die explizit das transversale Lernen in den Blick nimmt und darauf angewiesen ist, dies zusammen mit den Fachdidaktiken zu tun. Diskurse über das transversale Unterrichten werden so zum Kern für den Austausch. Das liegt vor allem auch daran, dass bei uns der Kindergarten, der Teil der Zielstufe ist, nicht strikt nach Fächern konzipiert ist, sondern nach fachbereichsverbindendem Lernen.

Susanne Metzger: Ich finde auch richtig, dass es auf dieser Stufe sehr transversal angeschaut wird und dennoch darf man auch in kleinen Ausschnitten mal nur eine Fachlichkeit anschauen.

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«Kohärenz ist ein wichtiges Stichwort –zwischen den Fachdidaktiken und den Erziehungswissenschaften, aber auch zwischen den Fachdidaktiken untereinander.»

Barbara Wyss: Unbedingt! Wir können ohnehin nur transversal denken, wenn wir einen gestärkten fachlichen Blick haben. Wenn wir wissen, wo das eigene Fach anfängt, wo es aufhört und wo es ein Zusammenspiel braucht.

Afra Sturm: Um fachlich zu denken, muss Unterricht nicht in Fächern organisiert sein. Der Kindergarten ist in dieser Hinsicht schon speziell, ich merke das jeweils bei stufenübergreifenden Projekten. Dort ist es einfacher, über die Grenzen hinweg zu denken.

Barbara Wyss: Der Kindergarten hat von jeher diese Tradition. Doch es ist nicht einfach, den Anspruch an transversales Lernen einzulösen. Es ist herausfordernd und anstrengend, wenn man nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern für die beteiligten Fächer einen Gehalt oder gar Mehrwerte generieren möchte.

Wie sieht es denn aus, wenn man den Blick über die PH FHNW hinaus erweitert? Gibt es keinen nationalen Austausch unter den Fachdidaktiken?

Afra Sturm: Es gibt ein Projekt mit dem Titel «Forschungsnetzwerk Schulsprache». Dort ist der Schwerpunkt zurzeit die Vernetzung mit anderen Fachdidaktiken. Im vergangenen Sommer hat eine Tagung stattgefunden, an der Fachdidaktiker*innen aus Mathematik, Geschichte, Naturwissenschaften und Deutsch beteiligt waren. Die Disziplinen haben dort jeweils aufgezeigt, was sie unter fachlichen Lehr- und Lernprozessen verstehen und wie sie den Bezug zu Sprachlichkeit sehen. Wir hatten jemanden, der nach allen vier Vorträgen die Beobachtungen zusammengetragen und aufgelistet hat. Das war schon ein Augenöffner. Es hat sich unter anderem gezeigt, dass es zum Teil in den unterschiedlichen Disziplinen Begriffe und Konzepte gibt, die zwar gleich sind, aber anderes meinen. Und das müssen wir zunächst einmal klären, sonst kommen wir keinen Schritt weiter.

Susanne Metzger: Ich begann mich vertiefter damit zu beschäftigen, weil ich jetzt für den Fachdidaktik-Masterstudiengang entscheiden muss, welche Vorleistungen für die Zulassungen angerechnet werden. Und so kam ich in den Austausch mit den verschiedenen Disziplinen.

Ist ein J&S-Leiterkurs Fussball Fachwissenschaft?

Ist «Geschichte der Mathematik» Fachwissenschaft?

Das sind nur zwei Beispiele, bei denen die Meinungen auseinandergehen. Im Austausch ergaben sich dann neue Sichtweisen und Einsichten. Je länger, je mehr finde ich die Frage spannend, was in den einzelnen Disziplinen als Fachwissenschaft gilt. Jede Disziplin hat hier offensichtlich eine andere Tradition.

Der erwähnte Masterstudiengang Fachdidaktik wird von der PH FHNW zusammen mit der Universität Basel in einem Joint Degree seit 2021 angeboten. Welcher Werdegang empfiehlt sich grundsätzlich für den Fachdidaktiker*innen-Nachwuchs?

Barbara Wyss: An den Universitäten gibt es bei uns in der Schweiz keine Lehrstühle für Kunstpädagogik. Aber wenn wir an unseren Nachwuchs denken und Personen mit Master-Abschlüssen im Gestaltungsbereich suchen, dann kommen diese von einer Kunsthochschule. Dort erwerben die Absolvent*innen einen fundierten fachlichen Zugang, was sehr erfreulich ist. Aber sie haben sich vielleicht noch nie damit befasst, was es heisst zu unterrichten. Es sei denn, sie haben in der Lehrpersonenausbildung für die Sekundarstufe I oder II die Fachdidaktik absolviert. Dann ist aber ihr Berufswunsch das Unterrichten von Jugendlichen. Wenn wir sie dann in unserem Team möchten, müssen sie eine andere Altersstufe in den Blick nehmen und entsprechend auch Lernprozesse anders zu denken beginnen. Wenn jemand das will, dann funktioniert das aber auch gut.

Susanne Metzger: Ideal fände ich, wenn Fachdidaktiker*innen eine Lehrpersonenausbildung mit substanziellen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Anteilen sowie etwas Unterrichtserfahrung hätten und dann einen Fachdidaktikmaster absolvierten.

Afra Sturm: Ich glaube, wir müssen doppelgleisig fahren. Der Fachdidaktik-Master ist eine Möglichkeit von zweien. Das heisst, wir haben dann Leute mit einem anderen Profil, als Leute, die direkt von der Uni kommen. Aber ich glaube, wir brauchen beides. Das dürfte aber nicht für jede Fachdidaktik genau gleich sein.

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