substanz FHS St.Gallen - Nr.1/2020

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substanz FHS St.Gallen – Nr. 1 /2020

FHS St.Gallen

20 Jahre

Die Menschen sind das Herz der Hochschule Third Mission Die Fachhochschule und ihr gesellschaftlicher Auftrag Gegensätze ziehen sich an Die FHS schreibt auch Liebesgeschichten Ausblick OST: drei Standorte, eine Hochschule Schlusspunkt Alles beginnt in einem Kopf

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SUBSTANZ



Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser Sie halten das letzte «substanz» in den Händen. Mit dieser finalen Ausgabe des FHS-Hochschulmagazins blicken wir zurück auf zwei Jahrzehnte Fach­ hochschule St.Gallen. Nicht auf die klassische Art und Weise, sondern in typischer «substanz»-Manier. Wie immer wählen wir eine ungewohnte und etwas ­andere Perspektive. Darum lesen Sie keine Chro­ nologie, keine Aufzählung prägender Meilensteine und Verdienste und auch keine Infografik mit beein­ druckenden Zahlen und Fakten. Was Sie erhalten, ist ein ganz persönlicher Rückblick mitten aus der FHS heraus. «Es sind die Menschen, die die FHS St.Gallen aus­ machen», sagt Rektor Sebastian Wörwag in seinem Abschiedsinterview (Seite 6). Ganz in diesem Sinne lassen wir die Geschichte unserer Fachhochschule von ebendiesen Menschen erzählen. Für unsere Porträt­ serie (ab Seite 10) hat das Redaktionsteam mit zufällig ausgewählten Mitarbeitenden gesprochen. Über ihre Arbeit an der FHS, über ihr Engagement und ihre Ziele. Wir wollten von ihnen wissen, was den Kern der FHS ausmacht. Entstanden sind 20 persönliche Blitzlichter, die in der Summe ein Bild unserer Hochschule ergeben. Gerahmt wird dieses durch Statements von Studierenden sowie Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft (ab Seite 26). Die FHS schreibt Geschichten, manchmal sogar Liebes­geschichten. Wie jene der FHS-Alumni Tamara und Thomas Bosshard (Seite 58), die dank der FHS heute glücklich verheiratet sind. Die Interdisziplinarität ist eine der meistgenannten Stärken der FHS. Diese Bereitschaft, über die Fachbereichsgrenzen hinaus zu denken und zusammen­ zuarbeiten, ist auch für unser Redaktionsteam immer wieder ein Ansporn. Denn mit dem «substanz» denken auch wir über die üblichen Grenzen hinaus, ­suchen überraschende Wege. Die allererste Ausgabe des Hochschulmagazins in den Händen zu ­halten, war für mich persönlich ein ganz besonderer FHS-­ Moment. Nach dem Einzug ins gemeinsame Fachhochschulzentrum im Jahr 2013 war die Zeit reif, um eine fachbereichsübergreifende Publikation zu lancieren. Denn im «Turm» lagen die Themen und ­

Geschichten auf jeder Etage sozusagen auf dem Silber­tablett – wir mussten sie nur journalistisch auf­bereiten und in spannende Texte verpacken. Das Ziel des «substanz» ist es, der FHS St.Gallen ein ­Gesicht zu geben. Wir wollen Ihnen Einblick geben in die Themenvielfalt der Hochschule und aufzeigen, welche Erkenntnisse, welches Wissen und welche Kom­pe­tenzen unsere Studierenden und Mitarbeitenden in die Gesellschaft hinaus tragen. Nun schliessen sich die FHS St.Gallen, die HSR ­Rapperswil und die NTB Buchs per 1. September 2020 zur OST – Ostschweizer Fachhochschule zusammen. Aus Drei wird Eins: Das gilt auch für die Hochschulmagazine. Diese letzte Ausgabe des «substanz» ist somit zugleich der Start zu etwas Neuem, ­Aufre­gendem: dem OST-Magazin. Wir melden uns im nächsten Jahr mit spannenden, überraschenden und ­bewe­genden Themen aus Rapperswil, Buchs und St.Gallen zurück. Und wir freuen uns, Sie dann wieder zu unseren Leserinnen und Lesern zählen zu dürfen. Vorerst wünschen wir Ihnen aber ein besonderes Lesevergnügen mit unserer letzten Ausgabe – mitten aus dem Herzen der FHS.

Lea Müller, Chefredaktorin FHS-Magazin «substanz»


Wir sind Zukunfts-Macher. Wer bist du? Bachelor in Architektur | Betriebsรถkonomie Pflege | Sozialer Arbeit | Wirtschaftsinformatik Wirtschaftsingenieurwesen www.werbistdu.ch

FHO Fachhochschule Ostschweiz


Inhalt

06 Netzwerk Ein Gespräch mit FHS-Rektor Sebastian Wörwag 10 20 Jahre FHS St.Gallen 20 Menschen, 20 Geschichten

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2001: Urs Sonderegger Ein interdisziplinärer Grenzgänger

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2002: Dani Fels Der Raumforscher, der die Abwechslung liebt

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2003: Mikela Frey Von der 2-Zimmer-Wohnung ins Hochhaus

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2004: Esther Giger Robinson Eine Brücke in eine globale Welt

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2006: Beda Meienberger Innovation als tägliche Motivation

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2007: Andrea Renz Im Auftrag der Gesellschaft

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Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

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2008: Mandy Falkenreck Die Forscherin, die Kindern eine Stimme gibt

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2009: Abdullah Redzepi Einer, der durch viele Türen geht

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2010: Heidrun Gattinger Forscherseele und Kämpfergeist

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2011: Thomas Knill Einer, der beide Sprachen spricht

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2012: Basil Kunz Von einem, der springt und schwimmt

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2013: Sonja Doppmann Die gute Seele des Hauses

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2014: Harold Tiemessen Modellbauer zwischen Realität und Simulation

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Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

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2015: Carmen Pistek Barrieren abbauen für neue Perspektiven

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2016: Milena Bieri Mit Bauchgefühl und Ordnungssinn

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2017: Beat Zbinden Sein Haus, sein Herz

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2018: Nicola Diebold Das Netzwerken liegt ihr im Blut

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2019: Patrick Aeschlimann Wissenschaftler am Puls der Gemeinden

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2020: Yvonne Gassmann Geglückter Start in einer verrückten Zeit

2005: Wilfried Lux Von einem, der einmal verloren ging

58 Persönlich Zu Besuch bei den FHS-Alumni ­Tamara und Thomas Bosshard

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OST – Ausblick mit Daniel Seelhofer Interview mit dem Rektor der OST

65 Impressum

66 Schlusspunkt Kolumne Ludwig Hasler 5

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Netzwerk – Im Gespräch mit Sebastian Wörwag

Die «Third Mission»

als Teil der DNA

Lea Müller/Andrea Sterchi

F

ür Sebastian Wörwag sind es die Menschen mit ihrer Leiden­schaft und ihrem täglichen Engagement, die die FHS ausmachen. Ein Gespräch mit dem abtretenden Rektor über den Auftrag einer zeitgemässen Fachhochschule, den doppelten Impact, den die FHS für die Ostschweiz leistet, und eine Kultur des Gelingens. Herr Wörwag, wie sieht für Sie die ideale Fachhochschule aus? Sebastian Wörwag: Eine ideale Fachhochschule erfüllt einen mehrfachen Auftrag im Sinne der Gesellschaft. Dazu gehört erstens die Bildung von Fachkräften auf Stufe Bachelor und Master, die in der Praxis Impulse ­liefern und ihre Profession sowie ihr Handlungsfeld weiterentwickeln können. Zweitens soll sie einen Beitrag leisten, wichtige und übergeordnete gesellschaftliche Fragen zu beantworten. So kann sie einer Gesellschaft neues ­Wissen, Orientierung, Sicherheit und Vorhersehbarkeit vermitteln, wie man mit dem gesellschaftlichen Wandel umgeht. Und drittens sollte sie als Akteurin im Wissenschaftssystem neues, relevantes Wissen generieren, das von der Wissenschaft aufgenommen und weiter­verwendet werden kann.

Wie erreicht eine Fachhochschule dies? Wörwag: Indem sie schnell ist, vorausdenkt und fähig ist, gute, valide Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu geben. Eine moderne Fachhochschule muss einerseits flexibel und agil sein, andererseits eine ausgewiesene Expertise besitzen, diese Herausforderungen fundiert zu bearbeiten und die heutigen kom­plexen Fragen mehrperspektivisch zu beant­ worten. Eine gute Fachhochschule verbindet zukunftsgerichtete Bildung und anwendungsorientierte Forschung mit den unterschied­lichen Praxen in Wirtschaft und Gesellschaft. Das unter­ scheidet sie von Universitäten.

Können Sie das genauer erklären? Wörwag: Fachhochschulen stehen in einem lebendigen und dichten Inter­ aktionsverhältnis mit der Gesellschaft. Man nennt dies, nebst Bildung und Forschung, die «Third Mission». Diese ist primär der gesellschaftlichen Wirkung aller Hochschulleistungen verpflichtet. Man sieht das beispielsweise gut in der Forschung: Diese findet für und mit unterschiedlichen Gesellschaftsschichten statt, auch jenen, die normalerweise schwer erreichbar sind. Wie vulnerable Personengruppen, die Gefahr laufen, von der Gesellschaft nicht beachtet zu werden. Das nennt man «Engaged Research» und bedeutet schliesslich, ­Verantwortung

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für die ganze Gesellschaft zu über­ nehmen.

Haben Sie dafür ein Beispiel? Wörwag: Ein gutes Beispiel sind sogenannte «Living Labs». Dabei wird in einem national koordinierten Forschungsnetzwerk, bei dem wir die Leitung haben, an Produkten geforscht, die ältere Menschen in ihrer Selbständigkeit in den eigenen vier Wänden unter­stützen sollen. Statt diese Produkte in alltagsfremden Laborumgebungen zu testen, werden sie in realen Haus­halten zur Verfügung gestellt und damit alltagstypische Verwendungen, Chancen und Risiken erforscht. So können reale Forschungssettings entwickelt werden. Wir erreichen viele Haushalte in ihrer natürlichen Umgebung und beziehen die spätere Nutzergruppe früh in die Forschung ein. Das motiviert sie und macht Forschung für die Gesellschaft anschaulich.

Und wie beeinflusst die «Third Mission» die Lehre? Wörwag: Eine Schnittstelle zwischen Lehre und «Third Mission» ist die Art und Weise, wie sich unsere Studierenden in den Lehr-Lern-Settings mit der Praxis verknüpfen. Die Praxisprojekte und Praxiseinsätze sind Teil unserer DNA und werden in den Fachbereichen intensiv gelebt. Von der Gesundheit mit den Praxiseinsätzen in den Spitälern bis zur Architektur, die an


Netzwerk – Im Gespräch mit Sebastian Wörwag

konkreten Projektentwürfen arbeitet. Das geht aber noch weiter.

Inwiefern? Wörwag: Ein Beispiel sind die Initiativen von Studierenden, die freiwillig und meist im regionalen Umfeld ihre im Studium erworbenen Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Wenige Tage nach dem Lockdown in der CoronaKrise gründeten Studierende der Sozialen Arbeit die «Einkaufshilfen SG, AR, AI». Das ist ein schönes Beispiel für ein studentisches Engagement und eine Vernetzung mit der Gesellschaft. Solche Persönlichkeiten zu fördern, ist unsere Aufgabe. Daran sieht man, dass Bildung mehr ist als Fachausbildung. Solche Beispiele werden immer wichtiger dafür, welchen regionalen, ja doppelten, Impact eine Hochschule hat.

Einen doppelten Impact? Wörwag: Neben den nationalen und internationalen Beiträgen zur Entwicklung von Lösungen und Innovationen haben Hochschulen einen regionalen Auftrag. Etwa indem sie regionale Themen und Fragen aufgreifen und Lösungen entwickeln. Es geht nicht nur darum, wie viele Studierende wir als Fachkräfte ausbilden, sondern welche regionalen Netzwerke, Kooperationen und Initiativen durch die Hochschulen angeschoben werden können. Ein Beispiel ist die

Sebastian Wörwag: «Bildung und Forschung sind beide ein Engagement und gehen über das Ansammeln von Wissen weit hinaus.»(Foto: Bodo Rüedi)

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Netzwerk – Im Gespräch mit Sebastian Wörwag

Initiative Startfeld, die durch unsere Hochschule mitbegründet wurde und ein innovationsförderliches Gründungsumfeld für Unternehmen in der Ostschweiz etabliert hat. Natürlich sollen Fachhochschulen einen nationalen Beitrag für grossgesellschaftliche Themen leisten, aber eben auch eine regionale Vernetzung sicherstellen. Das ist ebenfalls Teil der «Third Mission». Die Art, wie wir versuchen, mit unserem Wissen Bewegungen in Gang zu setzen, neue Lösungen und Innovationen zu entwickeln.

Und wie nimmt die FHS diese Rolle und Verantwortung wahr? Wörwag: Die FHS verfolgt seit Jahren eine Strategie, nach der sie übergeordnete Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz aufgreift und interdisziplinär bearbeitet. Nehmen wir die digitale Transformation: Wir gehen dieses Thema nicht nur aus der Möglichkeitsperspektive an, also nach dem Motto, dass alles digitalisiert werden soll, was digitalisiert werden kann. Uns interessiert auch die Frage, was sich durch die Digitalisierung in der Gesellschaft verändert. Also über­ geordnete Fragen: Wie transformiert die Digitalisierung die Gesellschaft, die Arbeitswelt? Gibt es digitale Kluften? Was ändert sich in der Art des Zusammenlebens, der Kommunikation etc. Hier machen wir intensive Erfahrungen in der Corona-Krise,

bei der ein Grossteil der Kommunikation und Zusammenarbeit digitalisiert und virtualisiert wurde. Dabei interessiert uns die gesellschaftliche Perspektive, etwa mit dem HR-Panel. Hier arbeiten wir mit rund 30 Unter­ nehmen, Verbänden und Institutionen zur Forschung über Veränderungen in der Arbeitswelt zusammen. Auch das ist «Engaged Research».

Wo hat die FHS etwas verändert? Was hat sie erreicht? Wörwag: Ein Beispiel ist unsere Altersforschung. 2005 haben wir das Thema aufgenommen, weil wir sagten, es ist relevant für die Ostschweiz, für die Schweiz und letztlich für alle Gesellschaften. Der demografische Wandel wirft Fragen auf, für die wir Antworten finden wollen. Wir haben ein Kompetenzzentrum und mit dem nationalen Innovationsnetzwerk AGE-NT ein nationales Forschungsfeld gegründet, bei dem wir im Lead sind. Unser Impact ist, dass wir jetzt in den Themenfeldern Demenz und AAL wesentliche Beiträge zur Beantwortung der Frage leisten, wie man selbstbestimmt im Alter leben und wie man auch mit der herausfordernden Situation wie einer Demenzerkrankung umgehen kann. Hier haben wir viel Wissen aufgebaut und mit der Gesellschaft teilen können. Es gibt noch andere Beispiele. Wir haben erreicht, dass die FHS befähigt ist,

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i­nterdisziplinär grosse Themen aufzugreifen, vorauszudenken, mit eigener Kraft zu bearbeiten und der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Wie gross muss eine Fachhoch­ schule sein, um dies einlösen zu können? Wörwag: Die Grösse ist kein Gütekriterium. Soll eine Fachhochschule mehrperspektivisch sein, dann muss sie in der Lage sein, unterschied­liche Departemente oder Fachbereiche unter einem Dach zu vereinen und diese in einer bestimmten Grösse führen zu können. Wenn eine Fachhochschule zu gross, zu komplex wird, dann verhindert die Überkomplexität Schnelligkeit. Dann wird sie zu einem grossen Dampfer, der nicht mehr beweglich ist. Innerhalb dieser Spannweite ist es eher die Frage, welche Art Fachhochschule man haben möchte. Soll es eine sein, die ihren Auftrag möglichst effizient erfüllt? Das wäre ein Bürokratiemodell, das auf viele Kästchen baut, die alle miteinander verbunden sind. Infolge determiniert man quasi die ganze Fachhochschule. Für mich darf eine Fachhochschule nicht überreguliert sein.

Wieso? Wörwag: Fachhochschulen brauchen eine Form der Unterdeterminierung bei Themen und Strukturen. Sie sind ein Ort, an dem viel Kreativität ent-


Netzwerk – Im Gespräch mit Sebastian Wörwag

steht. Gerade in den Zwischenräumen, wo es noch keinen Auftrag und keine Regeln gibt, entstehen oft die kreativsten Lösungen. Wir haben dies in der fachbereichsübergreifenden Zusammenarbeit erlebt. Hier ist es gelungen, Expertinnen und Experten unabhängig ihrer Organisationszugehörigkeit zu inhaltlich interessierten Teams zusammenzubringen.

Ist das Ihr Bild einer zeit­ gemässen Fachhochschule? Wörwag: Eine zeitgemässe Fachhochschule muss für die Gesellschaft rele­ vante Fragen beantworten, sodass die Gesamtgesellschaft davon profitieren kann. Dazu muss sie interdisziplinär aufgebaut sein, sie muss eine Schnelligkeit und Agilität haben, die sich in den Strukturen widerspiegelt, kulturell eher unter- als überdeterminiert sein. Sie muss an all das glauben können, was heute noch nicht ist, für uns und unsere Gesellschaft aber wünschbar wäre – in der FHS nennen wir das die «Kultur des Gelingens».

Kultur des Gelingens? Wörwag: Die Kultur des Gelingens fängt bei jeder und jedem selbst an mit der Frage, was man zum Gelingen einer guten Lösung beitragen kann. Damit verbunden ist eine Perspektive, bei der man sich und anderen etwas zutraut und die eigene Arbeit in den Dienst eines grösseren Ganzen stellt.

­ araus entsteht eine intrinsische MoD tivation, oft eine Begeisterung, sich für eine sinnvolle Sache zu engagieren. Diese Begeisterung ist es, mit der die Mitarbeitenden der FHS nicht einfach einen Job machen, sondern sich leidenschaftlich in ihrem Beruf engagieren. Wenn eine Hochschule begeistert ist von dem, was sie macht, dann weckt sie auch Begeisterung in ihrem Umfeld, bei ihren Studierenden und Partnerinnen und Partnern für das Lehren, Lernen, Forschen und Kommunizieren, für neue gesellschaft­ liche Fragen. Es ist eine Leidenschaft, ein Sich-engagieren-Wollen. Bildung und Forschung sind beide ein Engagement und gehen über das Ansammeln von Wissen weit hinaus.

Nach 17 Jahren verlassen Sie die FHS. Was schätzen Sie an ihr besonders? Wörwag: Es sind die Menschen. Die FHS ist nicht mehr und nicht weniger als all die Menschen, die jeden Tag in irgendeiner Form einen Beitrag leisten, damit sie genau diese Fachhochschule ist, auf die wir heute stolz sein dürfen. Die Begeisterungsfähigkeit von all diesen Menschen, ihr Engagement, ihre Leidenschaft, das Sich-Eingeben in eine Aufgabe, das Beste zu versuchen, etwas für die Gesellschaft zu leisten. Die FHS hat eine Kultur, die ich als positiv, dialogorientiert, engagiert und wertschätzend wahr-

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nehme. Wir sind keine Jobholder, wir sind Gestalterinnen und Gestalter der Hochschule. Jeder im gleichen Masse in seiner oder ihrer Aufgabe.

Ist es auch das, was Sie ihr mit auf den Weg in die OST geben? Wörwag: Ja, ich bin überzeugt, es werden immer die Menschen sein, die die Potenziale nutzen werden. Deshalb wünsche ich mir für die OST, dass sie diese Leidenschaft und die Kultur des Miteinanders fördern wird, was für mich die FHS besonders macht. Die Potenziale zwischen den drei Hochschulen und den unterschiedlichen Bereichen bedeuten eine Riesenchance. Letztlich geht es immer um den Inhalt, also den Beitrag, den die OST für die Gesellschaft leisten kann.

Prof. Dr. Sebastian Wörwag Rektor FHS St.Gallen Sebastian Wörwag ist seit 2003 Rektor der Fachhochschule St.Gallen. Ab dem 1. September steht er der Berner Fachhochschule BFH als Rektor vor. Sebastian Wörwag wird weiterhin auch in der Ostschweiz tätig sein. Im Juni 2020 übernimmt er bei der Pädagogischen Hochschule Thurgau das Präsidium des Hochschulrats.


FHS St.Gallen – 20 Jahre

20 Menschen, 20 Geschichten, 20 Jahre Fachhochschule St.Gallen: In der letzten Ausgabe des Hochschulmagazins «substanz» geben Zahlen den Takt an. Allerdings sind es keine nüchternen Fak­ten und Daten, hinter jeder Zahl steckt ein Stück leben­dige FHS-Geschichte. Die Redaktion por­trätiert 20 Menschen, die heute im «Turm» a­ rbeiten, aus­gewählt nach dem Losprinzip im Jahr ihres Eintritts zwischen 2001 und 2020. Sie erzählen von ­ihrer Arbeit, ihren Überzeugungen und davon, was die FHS für sie besonders macht. So öffnet sich ein ganz persönlicher Blick zurück auf zwei Jahrzehnte. Und zeigt: Ohne Menschen wäre die ­Fachhochschule nur eine Hülle aus Stahl und Beton, denn erst die Menschen hauchen ihr Leben ein. Für die Bilderstrecke haben die Redaktion und der St.Galler Fotograf Bodo Rüedi die Jahreszahlen und die Menschen dahinter in ­Szene gesetzt.

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FHS St.Gallen – 20 Jahre

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2001

Urs Sonderegger hat an der FHS St.Gallen schon früh den interdisziplinären Austausch gesucht. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2001

Ein interdisziplinärer

Grenzgänger

Lea Müller

E

r blickt auf bald zwei Jahrzehnte FHS St.Gallen zurück und ist noch kein bisschen betriebsmüde geworden: Urs Sonderegger erfindet seine Rollen immer wieder neu und sucht Herausfor­derungen. Den grössten Lohn für seine Arbeit als Studiengangsleiter in Wirtschaftsingenieurwesen erhält er einmal im Jahr. 20 Jahre. Urs Sonderegger wirkt selber etwas überrascht ob dieser Zahl und wie schnell die Zeit vergangen ist. Keine Frage, er schätzt die Fachhochschule, aber für ihn ist auch klar: «Wenn ich nicht alle fünf Jahre mein Tätigkeitsgebiet hätte wechseln können, wäre ich nicht schon so lange dabei.» Urs ist einer, der in Bewegung bleibt. Einer, der neue Möglichkeiten als solche erkennt und Chancen ergreift. Dafür ist er auch bereit, ins kalte Wasser zu springen. Zuletzt hat er das bewiesen, als er vor drei Jahren die Leitung des Bachelorstudiengangs Wirtschaftsingenieurwesen übernahm. Zu einem Zeitpunkt, als die Fusionspläne der OST – Ostschweizer Fachhochschule bereits Formen annahmen und klar war, dass es bei den Studiengängen in Wirtschaftsingenieurwesen grössere Veränderungen geben wird. Doch er wäre nicht

er selbst, wenn ihn nicht genau diese Her­ausforderung reizen würde.

Zwischen Technik und Ökonomie Das «Schnittstellen-Studium» Wirtschaftsingenieurwesen liegt Urs Sonderegger am Herzen, hat er sich doch selber stets für Schnittstellen interessiert. Er ist ein Grenzgänger zwischen Technik und Ökonomie. Während seiner Zeit an der FHS hat der studierte Ingenieur und Wirtschaftsinformatiker in den Fachbereichen Technik und Wirtschaft, in zwei Instituten und drei Studiengängen gearbeitet. Er war am Aufbau des Studiengangs Wirtschaftsinformatik beteiligt und leitete später ebendiesen Vertiefungsbereich im Bachelorstudium Betriebsökonomie. Die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit suchte er schon, als er 2001 als Assistent für Technik an der FHS anfing. «Damals war der Austausch zwischen den Standorten noch nicht selbstverständlich», erinnert er sich zurück. «Heute steht die FHS für die Förderung der Interdisziplinari-

tät.» Die Hochschule wäre nicht so weit, hätte Rektor Sebastian Wörwag nicht standhaft an der interdisziplinären Zusammenarbeit festgehalten, sagt Urs und betont: «Mit Blick auf die OST gilt es, die interdisziplinären Verdienste der FHS weiterzuführen.»

Gemeinsam durch Hochs und Tiefs Urs Sonderegger ist Dozent aus Leidenschaft. Das Unterrichten hat er im Blut, stammt er doch aus einer Lehrerfamilie, wie er schmunzelnd erzählt. «Für mich gibt es keine grössere Motivation, als mit jungen Leuten gemeinsam Hindernisse zu überwinden», sagt der 56-jährige Vater von drei erwachsenen Kindern. Die Studierenden durch die Hochs und Tiefs ihrer Ausbildung begleiten zu dürfen, erachtet er als ein Privileg seiner Arbeit. Der schönste Moment in seinem beruflichen Jahr ist für Urs Sonderegger die Diplomfeier im Herbst, wenn er den Studierenden zum Abschluss gratulieren darf. «Das ist der beste Lohn für meine Arbeit.»

«MEINE GRÖSSTE MOTIVATION IST, MIT JUNGEN LEUTEN GEMEINSAM HINDERNISSE ZU ÜBERWINDEN.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2002

Der Raumforscher,

der die Abwechslung liebt Marion Loher

D

ani Fels forscht leidenschaftlich gerne über Soziale Räume und entwickelt innovative Partizipationsprojekte für Gemeinden. Routine und Eintönigkeit mag der 58-Jährige nicht. So kam es auch schon vor, dass der Dozent im Fachbereich Soziale Arbeit seinen Unterricht aufs Schiff verlegte. Er gehört zu den Urgesteinen an der FHS St.Gallen: Dani Fels arbeitet seit 18 Jahren als Dozent im Fachbereich Soziale Arbeit. Sein Markenzeichen ist die schwarze Hornbrille, seine beruflichen Leidenschaften sind Soziale Räume und Partizipation. Hierfür hat der 58-jährige St.Galler schon viele spannende Stadtentwicklungsprozesse begleiten dürfen, wie etwa das Projekt zur Entwicklung und Aufwertung des Gebiets Bahnhof Nord in St.Gallen oder jenes der Partizipation der Stadt St.Gallen. «Solche Aufträge von Städten und Gemeinden sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit», sagt Dani Fels. Ausschliesslich zu unterrichten, ist für ihn unvorstellbar. Mit den Projekten kann er das, was er den Studierenden täglich erzählt, immer wieder selbst ausprobieren. Es ist für ihn die «ideale» Arbeitsform. «Man verfällt weniger in Routine.» Je nach Projektauftrag sehen seine Jahre immer etwas

anders aus. Diese Abwechslung schätzt er sehr an seiner Arbeit. Ebenso, dass er oft autonom agieren kann.

Support aus allen Fachbereichen Dani Fels fühlt sich der FHS sehr verbunden. «Das zeigt sich allein darin, dass ich schon so lange hier arbeite», sagt er und lacht. Der «Turm» sei zwar nicht unbedingt kommunikationsfördernd, dennoch werde viel unternommen, damit auch über die Fachbe­reiche hinaus ein Austausch möglich ist. Das ist für den Sozialraum-Ex­perten etwas, das die FHS als Hochschule ausmacht. «Es gibt viele gute Ansätze für Interprofessionalität. Doch das passiert nicht

Support. Das Potenzial ist da, und ich hoffe, es wird auch künftig Bestand haben.» Wenn er an die Zukunft der FHS denkt, ist für ihn vieles ungewiss. «Noch ist mir das neue grosse Gebilde, genannt OST, zu abstrakt.» Die Fusion der drei Ostschweizer Fachhochschulen zur OST – Ostschweizer Fachhochschule ist für Dani Fels aber nicht die erste grosse Veränderung in seiner langen FHS-Karriere. Bereits 2013 war er beim Umzug des Fachbereichs Soziale Arbeit vom Rorschacher Alcan Areal ins Fachhochschulzentrum nach St.Gallen dabei. Noch heute schwärmt er von der «tollen Zeit» am Bodensee. So überrascht nicht, dass sein besonderer FHS-Moment aus

«ES BRAUCHT LEUTE, DIE ANPACKEN – UND DIE HAT ES AN DER FHS.» einfach so. Es braucht Leute, die es anpacken – und die hat es an der FHS. Dann kann Interdisziplinarität funktionieren.» Gezeigt hat sich dies gemäss Dani Fels während der CoronaKrise, als die Hochschule praktisch von einem Tag auf den anderen auf Distance Learn­ing umstellen musste. «Es gab aus allen Fachbereichen viel

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­ ieser Zeit stammt. «Als es in u d ­ nseren alten Fabrikhallen zu einem räumlichen Engpass kam, durften wir auf Schiffe im Rorschacher Hafen ausweichen. Für mich als Raumforscher war es eine coole Erfahrung, für ein paar Studierende weniger: Einigen wurde es schlecht, weil das Schiff auch im Hafen schaukelte, andere dösten weg.»


20 Jahre FHS St.Gallen – 2002

An seiner Arbeit schätzt Dani Fels nicht nur die Abwechslung, sondern auch eine gewisse Autonomie, mit der er agieren kann. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2003

Mikela Frey erinnert sich noch gut an den Einzug der FHS ins Fachhochschulzentrum in St.Gallen. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2003

Von der 2-Zimmer-Wohnung

ins Hochhaus

Nathalie Schoch

M

ikela Frey ist seit knapp 17 Jahren an der FHS tätig – heute als Projektassistentin in der Wissenstransferstelle WTT-FHS. In dieser Zeit hat sie so manche Veränderung miterlebt. Ihr Fazit: Man ist zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen. Es ist der 1. September 2003. Auch an diesem Tag scheint sich die Restwärme des Hitzesommers durch die Fensterscheiben zu drücken, in die Küche einer 2-Zimmer-Wohnung an der Teufenerstrasse in St.Gallen. Mikela Frey sitzt an ihrem neuen Arbeitsplatz, gerade gestartet in der Wissenstransferstelle der FHS und gespannt darauf, was sie erwartet. Das war vor knapp 17 Jahren. «Ich empfand die FHS schon damals als sehr spannend und fortschrittlich», erinnert sich Mikela. Noch heute arbeitet sie in der Wissenstransferstelle im Fachbereich Wirtschaft als Projektassistentin. Bis Februar 2014 waren es vor allem organisatorische Aufgaben im Bereich der Praxisprojekte, in der Planung und Koordination der internationalen Projekte mit den USA und China sowie die Projektleitung des WTT YOUNG LEADER AWARD. Seit der Pensumreduktion hat sich ihr Aufgabengebiet leicht verändert.

Fast noch wichtiger als die Arbeit ist ­Mikela das Arbeitsklima.

ten, erfolgreichen ­Nachwuchskräften zu bereichern.

Gemeinsam Ziele erreichen

Nach Boston und Shanghai

Bei Mikelas Start waren die Abteilungen noch auf verschiedene Standorte verteilt. Erst zehn Jahre später erfolgte der Einzug ins Fachhochschulzentrum. Sie erinnert sich noch gut, wie es damals war und was sich seither verändert hat: «Jede Abteilung lebte für sich, man hatte wenig persönlichen Kontakt zu anderen Mitarbeitenden. Das fand ich schade.» Hier im Zentrum bietet sich die Möglichkeit, sich an Meetings, in der Mensa oder in der Kaffeepause im «Gleis 8» zu treffen. Mikelas Motivation sind die Arbeit und der Teamgeist. Es spornt die 43-Jährige an, bei neuen Projekten mitzuwirken. Auf die Frage, welches Ziel sie verfolge, antwortet sie ebenso gemeinschaftlich: «Nicht ich allein verfolge mit meiner Arbeit ein Ziel, wir haben stets als Team vor Augen, was wir gemeinsam erreichen möchten.» Eines davon ist, den Arbeitsmarkt mit praxisorientier-

Man hört zwischen den Zeilen, wie sehr sich Mikela Frey in den letzten 17 Jahren mit der FHS identifiziert hat. Sie schätzt die regionale Verankerung, gleichzeitig die nationale wie internationale Ausstrahlung. «Nicht zu vergessen der starke Praxisbezug», betont sie. So erstaunt es auch nicht, dass sie kein einzelnes Ereignis als das Schlüsselerlebnis definieren mag. Vielmehr seien es viele unvergessliche Momente, die ihre Verbundenheit ausmachen würden. Zum Beispiel die Reise nach Boston oder Shanghai zu den Partneruniversitäten. «Alles aufzuzählen, würde den Rahmen hier sprengen», lacht sie. Jetzt steht der FHS mit der Fusion zur OST eine weitere grosse Veränderung bevor, Mikela sieht es positiv: «Die FHS ist nie stehen geblieben, und das wird sie auch jetzt nicht. Ich bin überzeugt, dass sie sich in neuer Konstellation genauso weiterentwickeln wird.»

«DIE FHS IST NIE STEHEN GEBLIEBEN, UND DAS WIRD SIE AUCH JETZT NICHT.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2004

Eine Brücke

in eine globale Welt Andrea Sterchi

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ehr als Grammatik: Esther Giger Robinson vermittelt als Fachverantwortliche im Fachbereich Wirtschaft «English for Professional Communication». Und als Co-Leiterin des International ­Office unterstützt sie Studierende und Dozierende bei Auslandaufenthalten. Ihr Leben ist aber nicht nur beruflich international. Bildmächtige und eigenwillige Verse von Wallace Stevens oder Emily D ­ ick­inson hier, nüchterne und abstrakte Wörter wie «claims» oder «liability» dort: Was haben US-amerikanische L ­ yrik und Business English gemeinsam? «Nichts», lacht Esther Giger ­Robinson, die ihren Doktor in Anglistik/Amerikanistik gemacht hat. «Aber für mich ergänzen sich beide Bereiche perfekt.» Die Literatur könne einen die Welt auf eine spezielle Art neu s­ ehen und erleben lassen. In ihr habe der grenzüberschreitende Austausch immer eine grosse Rolle gespielt. Auch Business English öffnet als Sprache der internationalen Unternehmenswelt Türen und überschreitet kulturelle Grenzen. Das Büffeln von Grammatik und Vokabeln reicht heute aber nicht mehr. «Der Englisch-Unterricht hat sich stark verändert», sagt Esther. Heute liegt der Fokus auf angewandter

Kommunikation. Es geht darum, sich erfolgreich im internationalen Umfeld verständigen zu können, von der Business-Präsentation über Informationen für Mitarbeitende bis zum Überbringen schlechter Nachrichten.

Die Vielfalt der Sprache 2004 bewarb sich Esther Giger ­Robinson auf gut Glück an der FHS und erhielt den Job – allerdings einen anderen, als sie im Auge gehabt hatte. Zunächst unterrichtete sie Deutsch, 2008 wechselte sie als Fachverantwortliche Englisch in ihr «Stammgebiet». Seither unterrichtet sie «English for Academic Purposes» und entwickelt mit ihren Kolleginnen das Englischangebot weiter. Ist Englisch für sie die reizvollere Sprache? Sie möge die grosse Vielfalt an Ausdrucks- und Differenzierungsmöglichkeiten. «Weil wir uns heute auf die Alltags- und Berufskommunikation fokussieren, geht das manchmal vergessen», sagt sie. Darum kehre sie immer wieder so gerne zu den Klassikern zurück. Zudem sei Englisch eine dynami-

sche Sprache, derzeit sehe man eine rasche Entwicklung hin zu «International English» als globale Brückensprache. Seit 2015 ist die 56-Jährige zudem CoLeiterin des International Office. Sie hilft mit beim Aufbau und der Pflege von Partnerschaften mit anderen Hochschulen, vertritt die FHS an internationalen Konferenzen, berät Masterstudierende bei Auslandaufenthalten und organisiert den Faculty Exchange. Das Internationale ist für sie nichts Aussergewöhnliches. Im Gegenteil: «Mein ganzes Leben ist international geprägt. Angefangen vom Studium über den Job bis zu meinen familiären Bindungen und meinem Freundeskreis.»

Persönlich und inspirierend Ihr gefällt die Arbeit mit jungen Leuten. Für sie einen guten Job zu machen, ist ihr das Wichtigste. An der FHS mag sie die positive Grundstimmung. «Sie ist eine persönliche Hochschule, man kennt sich. Hier arbeiten enorm engagierte Menschen. Das finde ich inspirierend.»

«HEUTE MUSS MAN SICH ERFOLGREICH IM INTERNATIONALEN UMFELD VERSTÄNDIGEN KÖNNEN.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2004

Esther Giger Robinson gefällt die Dynamik in der englischen Sprache. «Sie entwickelt sich immer mehr zur globalen Brückensprache.» (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2005

Wilfried Lux überschreitet gerne Grenzen: «Interdisziplinäre Forschungsprojekte interessieren mich einfach.» (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2005

Von einem,

der einmal verloren ging Christian Jauslin

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nterdisziplinäres Arbeiten und Forschen zeichnen Wilfried Lux aus. Und auch im FHS-Konvent engagiert er sich über Fachbereichsgrenzen hinaus. Generell halten ihn Grenzen nicht zurück: Der Leiter des Kompetenzzentrums ­Finanzmanagement und Controlling arbeitet regelmässig in grenzüberschreitenden Forschungsprojekten mit – und hat so einmal für grosse Aufregung gesorgt.

e­ ingeschaltet. Spitäler wurden angerufen. Wilfried bekam von all dem nichts mit und hielt pünktlich sein Referat in München. Und erst, als der Forschungspartner mit eigenen ­Augen überprüft hatte, dass Wilfried fit und munter seine Präsentation hielt, waren die Kolleginnen und Kollegen in St.Gallen erleichtert. «Diese Geschichte wird immer wieder gerne erzählt», schmunzelt Wilfried. Sie ist auch ein Ausdruck dafür, wie beliebt er ist und wie eng und fürsorglich die Verbindungen am Institut für Unternehmensführung sind.

Interdisziplinäre Speerspitze Wilfried Lux ging einmal verloren. Die Suche nach ihm war länderübergreifend: Den Entscheid, nicht bereits am Vortag nach München zum Forschungspartner zu fahren, hatte er spontan gefällt. Doch die E-Mail mit dieser Information kam nie in ­München an. Als Wilfried zu Kongressbeginn noch nicht in München war, wurde im Hotel nachgefragt. Ist Herr Lux da? – Nein. – Ist er noch in St.Gallen? – Nein, gemäss Kalender ist er in München. Da erinnerte sich jemand aus ­seinem Team, dass er kürzlich einmal ­etwas ausser Atem gewesen war und Schweissperlen auf seiner Stirn geglänzt hatten. Man ahnte Schlimmes. Also wurde eine Delegation zu Wilfried nach Hause geschickt. Das Auto war weg. Die Polizei wurde

Wilfried pflegt auch über das Team und den Fachbereich Wirtschaft hinaus Beziehungen, er ist als «interdisziplinäre Speerspitze» bekannt. «Es interessiert mich einfach», erklärt er seine häufige Teilnahme an interdisziplinären Forschungsprojekten. Die Gründe sind für den Leiter des Kompetenzzentrums Finanzmanagement und Controlling aber zusätzlich auch pragmatisch:

«Kostenrechnung wird immer Kostenrechnung bleiben. Hier ist Innovation schwer.» In anderen Bereichen, in denen die Kostenrechnung einen Beitrag leisten könne, sei dem nicht so. Und darum vertritt er die ökonomische Perspektive zum Beispiel bei Forschungsprojekten zur sozialen Innovation. Seit 15 Jahren arbeitet Wilfried Lux an der FHS. «Die Organisation sowie die Kolleginnen und Kollegen liegen mir am Herzen», meint er. Das lässt sich auch daran erkennen, dass er sich seit vielen Jahren im FHS-Konvent engagiert, dem Mitarbeitendengremium der FHS; aktuell wieder als Co-Präsident. Gerade in der aktuellen Fusionszeit sei dies eine wichtige Aufgabe: «Der Konvent ist heute ein ernst zu nehmender Ansprechpartner, der sich für die Interessen aller Mitarbeitenden einsetzt.» Wie zum Beispiel für das, was die Mitarbeitenden gerne aus der FHS in die neue Organisation der OST mitnehmen wollen. Und was gehört für ihn persönlich dazu? «Die Freiheitsgrade. Halt eben auch die Freiheit, mal in einer anderen Disziplin mitzuarbeiten.»

«DER KONVENT IST HEUTE EIN ERNST ZU NEHMENDER ANSPRECHPARTNER, DER SICH FÜR DIE INTERESSEN ALLER MITARBEITENDEN EINSETZT.» 21

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2006

Innovation

als tägliche Motivation Malolo Kessler

B

eda Meienberger liegt das Unternehmertum im Blut. Nach Jahren als Selbständiger und als Geburtshelfer für Start-ups beschäftigt er sich heute an der FHS vor allem mit den letzten Lebensphasen. Und mit Technologie, welche diese erleichtern kann. «Innovativ». Ein Begriff, den vermutlich jeder Werbetexter auf diesem Planeten mindestens einmal in die Tastatur gehauen hat. Ein Begriff, der CEOs leicht über die Lippen kommt. Vielleicht manchmal etwas zu leicht – aber wer etwas auf sich hält, ist innovativ. Für Beda Meienberger ist der Begriff mehr als eine Phrase, die bisweilen inflationär verwendet wird: Er beschäftigt sich seit 40 Jahren mit Innovationen, seit 2006 an der FHS. Ursprünglich in den 1980er-Jahren in der ICT-Branche gross geworden, hat Beda Meienberger in seiner Zeit vor der FHS acht Unternehmen gegründet. «Bei jeder Firma war ich mindestens fünf Jahre dabei, keine habe ich gegen die Wand gefahren», erzählt er, lacht. «Ich habe Gründerblut, eine Passion für Neues.» Der Wechsel an die Fachhochschule habe ihm 2006 die Chance geboten, sein Wissen aus der Praxis mit mehr Theorie zu verknüpfen. Der Unternehmer baute in den

e­ rsten Jahren das Innovationszentrum der FHS mit auf, aus dem sich das heutige Institut für Innovation, Design und Engineer­ing entwickelt hat. Ebenfalls entstand der MAS in Corporate Innovation ­Management aus der Initiative, genauso «Startfeld», der Start-up-Inkubator der FHS, der Universität St.Gallen, der Empa und der Stadt St.Gallen. Daneben leitete Beda Meienberger während fünf Jahren im Auftrag des Bundes ein Förderprogramm für Jung-

und Technik miteinander.» Es gehe insbesondere darum, das Leben im Alter durch Technik zu unterstützen. Zu diesem Zweck betreibt das Kompetenzzentrum ein Age Lab. «Dort ­testen wir zusammen mit Pflegehäusern, Kanton und Industrien verschiedene ­Lösungen. Beispielsweise haben wir eine Demenzwohnung in der Stadt St.Gallen mit Böden ausgerüstet, unter denen Induktionsmatten verbaut sind, die Bewegungsmuster aufzeichnen.» So

«ICH HABE GRÜNDERBLUT, EINE PASSION FÜR NEUES.»

unternehmen. «Ich hatte pro Jahr etwa 300 Personen in meinen Kursen und war dadurch ein wenig Geburtshelfer für Start-ups. Das war sehr spannend.»

Alter und Technik verbinden Heute beschäftigt sich Beda Meien­ berger vorwiegend mit der dritten und vierten Lebensphase, also der Phase zwischen Pensionierung und Pflegebedürftigkeit sowie jener danach. Er hat die Co-Leitung des Kompetenzzentrums für Active Assistant Living inne. «Wir verbinden die Themen ­Alter

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könnten Stürze früh erkannt werden. «Meine tägliche Motivation ist, Innovationen auch für ältere Personen verfügbar zu machen», erzählt Beda Meien­ berger. Nach 14 Jahren an der FHS freut er sich auf die OST. Er sagt, in all den Jahren habe für ihn insbesondere die interdisziplinäre Vernetzung die FHS ausgemacht. «Über alle Fachbereiche wurde stets der Dialog gesucht, der Diskurs, die kritische Auseinandersetzung mit Bedürfnissen und Problemstellungen. Das habe ich noch in keiner Organisation so erlebt wie hier – es ist klar unser Differenzierungsmerkmal.»


20 Jahre FHS St.Gallen – 2006

Immer aufwärts orientiert: Beda Meienberger war schon für viele Start-ups eine Art Geburtshelfer. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2007

Andrea Renz: «Wir bilden Menschen aus, die fachlich kompetent, menschlich stark und für Verantwortung bereit sind.» (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2007

Im Auftrag

der Gesellschaft Basil Höneisen

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ringend gesucht: Pflegefachpersonen. Sie fehlen künftig an allen Ecken und Enden. Für die professionelle Pflege setzt sich Andrea Renz seit 13 Jahren ein. Als Leiterin des Bachelorstudiengangs in Pflege an der FHS St.Gallen weiss sie um die Bedeutung ihrer Funktion: Es geht um die Erfüllung eines gesellschaftlichen Auftrags. Bis ins Jahr 2030 braucht es gegen 65’000 zusätzliche Pflegende. Das geht aus dem Versorgungsbericht hervor, unter anderem verfasst von der GDK, der Schweizerischen Gesundheitsdirektorenkonferenz. Insbesondere diplomierte Pflegefachpersonen würden fehlen. Verantwortlich für die Ausbildung dieser Fachkräfte an der FHS St.Gallen ist Andrea Renz mit ihrem Team. Zu ihren Aufgaben gehört die inhalt­liche Gestaltung des Bachelors in Pflege – ein Studiengang, der in der breiten Bevölkerung immer noch wenig präsent ist. Es geht bei der Pflegeausbildung nicht nur darum, Wissen weiterzugeben. Vielmehr soll professionelle Pflege gelehrt werden: Pflegefachpersonen mit Tertiärausbildung sind fähig, im interdisziplinären Team zu agieren. Sie bringen sich ein, hinterfragen, übernehmen Verantwortung, haben den Blick fürs grosse Ganze. Ihr Studium

hat Einfluss auf die Pflegequalität, wie eine Analyse des Bundesamts für Statistik zeigt: Je höher der Anteil an diplomiertem Pflegefachpersonal, umso tiefer ist die Wahrscheinlichkeit, im Spital zu sterben und umso schneller können Patienten das Spital wieder verlassen. Andrea Renz bringt es auf den Punkt: «Die akademische Pflegeausbildung ist einer der Schlüssel, um die pflegerische Versorgung in der Schweiz künftig aufrechtzuerhalten, weiterzuentwickeln und überhaupt finanzieren zu können. Wir bilden Menschen aus, die fachlich kompetent, menschlich stark und für Verantwortung bereit sind.»

Motto: «Ganz oder gar nicht» Daran setzt die Dozentin für Pflege und Pflegewissenschaft alles. «Mir ist sehr wichtig, dass Patienten und Ange­ hörige eine gute pflegerische Ver­sorgung erhalten. Unser Studium ist kein Selbstzweck, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag.» Das spiegelt sich auch in den Anforderungen ­wider, w ­ elche an die Studierenden gestellt werden. «Du bist nach dem Studium nicht dieselbe Person wie davor. Die Entwicklung ist enorm.» Andrea ist passioniert, Typ «Ganz oder gar nicht». Wenn für sie etwas nicht stimmig ist, bringt sie es auf den Tisch. Sie will Z ­ ahlen sehen, Fakten. Was kann verbessert werden? Wie können neue Methoden in der Lehre eingesetzt, wie

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aktuelle Trends a­ufgenommen, wie mehr potenzielle Studierende erreicht werden? Und dennoch, im Herzen ist und bleibt ­Andrea Pflegefachfrau. Ihre Wertschätzung für die Menschen ist spürbar. «Ich erinnere mich gerne an unsere erste Diplomfeier zurück. Ein Meilenstein für uns. Ich schaute mir die Studierenden an und war stolz. Die besten Leute gehören zu den Patienten und den Angehörigen.»

Die ganze Palette Warum an der FHS und nicht anderswo? «Es gibt hier viele Entwicklungsmöglichkeiten», sagt Andrea. Das schätze sie. Aktuell beschäftigt sie sich mit einer ganzen Palette an Themen: Curriculum, Personalführung, Koordination, Finanzen, Marketing, rechtliche Fragen. Sie ist erste Ansprechpartnerin für ihre Mitarbeitenden und die Bachelor-­Studierenden in Pflege. Fachlich ist Andrea Renz im Aggressionsmanagement und im Bereich von Versorgungsmodellen chronisch erkrankter Menschen zu Hause. Den Traumjob fürs Leben gefunden? «Meine Arbeit ist sehr vielseitig und anspruchsvoll, im Moment passt es so für mich.» Ob dies bis zu ihrer Pension so bleiben wird, lässt die 53-Jährige offen. Aber unabhängig davon: Menschen wie Andrea Renz sind es, welche die Pflege voranbringen. Da darf ruhig auch einmal applaudiert werden.


«

FHS St.Gallen – Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

«Die FHS ist mehr als eine Ausbildungsstätte. Sie ist eine «Drehscheibe» für die Verteilung von Wissen, für die Erarbeitung von Handlungskompetenz, für die Erweiterung von ge­ sellschaftlichen Entwicklungs­feldern, für Innovation. Die engagierten Fachkräfte in der FHS haben in den Pionier­jahren eine sehr hohe Latte gesetzt. Möge dieser offene und sensible Geist auch in der OST Massstab werden.» Kathrin Hilber, ehem. Regierungsrätin Kanton St.Gallen

«Die FHS St.Gallen ­ergänzt als Teil der OST mit ­ihren Fachbereichen perfekt ­unsere Hochschullandschaft. Mit ­einem attraktiven Ausund Weiterbildungs­angebot ­sichert sie dem Kanton St.Gallen die nötigen Fach­ kräfte. Die Leistungen der FHS sind zudem wichtig zum Erhalt und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des ­Kantons St.Gallen und der Ostschweiz.»

«Fachhochschulen sind ­Brücken. Sie verbinden Wissen­schaft, Lehre und For­ schung mit der Wirtschaft und der Gesellschaft. Gute Brücken erfüllen ihren Zweck für alle Benutzerinnen und Benutzer, für die Laster der Wirtschaft genauso wie für die Fussgänger, Fahrrad­ fahrerinnen und PW-Lenker der gesamten Gesellschaft. Gute Brücken ersparen uns Umwege, führen uns ­rascher zum Ziel. Die FHS ist eine gute Brücke für St.Gallen und für die ganze Ostschweiz.» Hans Altherr, ehem. Ständerat AR und Präsident des Hochschulrats der FHS St.Gallen

«Eine Fachhochschule muss zur Innovationsfähigkeit ­ihrer Region beitragen. Das tut sie mit der Ausbildung von Fachkräften und mit ihrer angewandten For­ schung. Ihre ­Bedeutung liegt darin, dass sie für ein breites wirtschaftliches und gesellschaft­liches Spekt­ rum wissenschaftlich ­fundierte Impulse setzen kann – vom Sozial­bereich, über den Kreativ­sektor, die Dienstleistungen bis hin zum Ingenieurwesen.» Monika Knill, Regierungsrätin und Erziehungsdirektorin Kanton Thurgau

Stefan Kölliker, Regierungsrat und Bildungsdirektor Kanton St.Gallen

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FHS St.Gallen – Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

«Eine Fachhochschule muss Räume für die Reflexion ­vermittelten Wissens bieten und Studierenden die Mög­ lichkeit geben, eine k ­ ritische Haltung zu entwickeln. Neues Wissen soll durch die Zusammenarbeit zwischen Klient*innen, Studierenden sowie Lehrenden ­ge­neriert werden, um schliesslich Lösungsansätze für g ­ esellschaftsrelevante Themen zu erarbeiten.» Mina Jakovljevi , Master-Studentin Soziale Arbeit

«Mit Blick auf das jetzt schon gestresste 21. Jahrhundert möchte ich gerne ­einen Auf­ trag in Erinnerung ­rufen, der für mich der klassische Bildungsauftrag ist: Die Ausleuchtung der c­ onditio ­humana, der Univer­salität des Menschseins. Öffent­liche Debatten neigen immer ­stärker dazu, geradezu kultur­kämpferisch maximal ­unterschiedliche Positionen zu betonen. Als Gegenbewe­ gung muss Bildung immer auch Diskursbildung sein, die Befähigung zu aufgeklärtem Austausch und rationalem Kompromiss.» Philipp Tingler, Schriftsteller, Wirtschafts­ wissenschaftler, Philosoph

«Ein hoher Praxisbezug ­sowie ein interdisziplinäres Studium sind für mich sehr wichtig. Die FHS St.Gal­ len setzt auf Qualität statt ­Quantität und stellt meine per­sönliche Entwicklung ins Z ­ entrum. Sie ist in der ­Region sehr gut vernetzt und hat bei Arbeitgebern einen exzellenten Ruf. Mit dem anspruchsvollen Studium s­ ichere ich mir meine eigene Zukunft.» Yannic Krüsi, Bachelor-Student Wirtschaft

«Die FHS St.Gallen hat ­ einen wichtigen Bildungsauf­ trag als Talentschmiede für Wirtschaft und Industrie. Absolvierende der FHS St.Gal­len sind unsere Füh­ rungskräfte von morgen. Ein fundiertes akademisches Wissen gepaart mit hoher Praxis­orientierung bilden ein exzellentes Fundament für zukünftige verantwortungs­ volle Rollen in unseren Unter­nehmen und ­stärken ­damit die Wirtschaftsregion Ostschweiz.» Karin Stäbler, Head HR Hexagon Geosystems Switzerland

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2008

Die Forscherin,

die Kindern eine Stimme gibt Malolo Kessler

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ie ist gekommen, um zu bleiben: Vor zwölf Jahren zog Mandy Falkenreck von Deutschland in die Schweiz, um eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FHS anzutreten. Heute ist sie Dozentin und Forscherin am Institut für Soziale Arbeit und Räume. Die Erziehungswissenschaftlerin über den bevorstehenden Kulturwechsel, über Werte, Widerstand und Worthülsen. Wie wachsen Kinder heute auf? Und wie können sie optimal begleitet werden? Diese Fragen beschäftigen Mandy Falkenreck schon fast ihr ganzes Leben – und seit zwölf Jahren an der FHS. Die 40-jährige Dozentin und Forscherin arbeitet am Institut für Soziale Arbeit und Räume und hat dort die Co-Leitung des Themenschwerpunkts «Aufwachsen und Bildung» inne. Sie selbst ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und hat an den Universitäten Dortmund, Edinburgh und Tübingen Erziehungswissenschaften studiert, bevor sie 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in St.Gallen anfing. «Weil ich mich an der FHS weiterentwickeln konnte, bin ich heute noch hier», erzählt Mandy Falkenreck. Sie spricht schnell, engagiert. «Auch das Institut hat sich enorm

entwickelt.» Heute ist es spezialisiert darauf, in Forschung und Dienstleistungen immer auch die Sicht der Adressatinnen und Adressaten einzubeziehen. «Kinder sind also nicht bloss Forschungsobjekte, sondern wir forschen mit ihnen und beziehen ihre Perspektive systematisch mit ein.» In der Gesellschaft hat Kindheit als Lebensphase in den l­etzten Jahrzehnten laut Mandy Falkenreck eine grosse Aufwertung erfahren. Persönlich habe sie das Thema schon früh gepackt: «Kinder gehören zur vulnerabelsten Gruppe der Gesellschaft. Sie weisen eine hohe Abhängigkeit von Erwachsenen auf, die sie unterstützen und fördern. Wie das in pädagogischen Beziehungen konkret geschieht oder geschehen könnte, finde ich extrem spannend.»

Veränderung gehört dazu Um diesem Thema auf den Grund zu gehen, habe sie mit der FHS genau den richtigen Ort gefunden. An der Hochschule schätzt Mandy Falkenreck insbesondere die stetige Arbeit an W ­ erten:

«Wir leben für Werte, die uns wichtig sind, beispielsweise i­nterdisziplinäres Arbeiten. Das sind keine r­ einen Worthülsen, sondern es wird wirklich versucht, die Werte mit Inhalten zu füllen, hierfür werden Denk- und Dialogräume geschaffen.» Die Hochschule zeichne sich dadurch aus, dass sie sich einen gesellschaftlichen Auftrag gebe. «Die FHS bringt sich ein, mischt mit, leistet auch mal Widerstand.» Dass mit der OST – Ostschweizer Fachhochschule nun etwas Neues kommt, ist für die Dozentin nichts, was ihr Sorgen macht: «Ich war schon dabei, als wir den Turm  bezogen haben, solche Veränderungsprozesse gehören dazu», sagt sie, lacht. Sie sei aber gespannt auf den Kulturwechsel, den die neue Organisationsstruktur mit sich bringe, ebenso auf die Herausforderung der institutionellen Nähe trotz räumlicher Distanz. Und obschon ihr Wechsel vertraut sind, ein Abschiedsprozess finde dennoch statt: «Ich habe schliesslich zwölf Jahre meines Lebens an der FHS verbracht – nun freue ich mich aber, Teil der OST zu werden.»

«DIE FHS BRINGT SICH EIN, MISCHT MIT, LEISTET AUCH MAL WIDERSTAND.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2008

Für Mandy Falkenreck zeichnet sich die Fachhochschule dadurch aus, dass sie sich einen gesellschaftlichen Auftrag gibt. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2009

FHS-Dozent Abdullah Redzepi hat sich seinen Berufswunsch erfüllt. Heute öffnet er anderen eine Türe. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2009

Einer, der

durch viele Türen geht Christian Jauslin

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chon als Kind wollte Abdullah Redzepi Lehrer werden. Aus dem Sohn eines Gymnasiallehrers aus Mazedonien wurde aber zuerst ein Stahl- und Edelstahlhändler. Damit er zum Dozenten mit Fokus Personalentwicklung werden konnte, musste erst eine Türe zu­ gehen und neue Türen mussten sich wieder öffnen. «Wenn ich erzähle, dass ich Dozent an der Fachhochschule St.Gallen bin, dann höre ich immer wieder ein ‹Wow›.» Das macht Abdullah R ­ edzepi, Dozent und Forscher am Institut für Qualitätsmanagement und Angewandte Betriebswirtschaft IQB-FHS, jedes Mal stolz. Stolz darauf, was er geschafft hat. Er weiss, dass sein beruflicher Werdegang viele Leute überrascht, die von seinem Migrationshintergrund wissen. «Sie glauben nicht, dass dies möglich ist.» Ist es aber, auch dank des Schweizer Bildungssystems, welches kaum Sackgassen kennt, dafür aber viele gut ausgeschilderte Umwege, welche die Fortsetzung des Bildungsweges erlauben. So wurde aus dem KV-Lehrling ein berufsbegleitender BMS-Schüler und danach ein ­Bachelor- und Masterabsolvent. Die Anerkennung freut Abdullah, zugleich ist er sich bewusst, dass nicht

seine Leistung allein immer wieder eine Türe geöffnet hat, sondern, dass es auch Personen gab, die mit ihm zusammen Türen aufgestossen haben.

Der Weg zum Dozenten Zuerst schloss sich allerdings eine Türe. Während der Finanzkrise e­ rwies sich der Stahlhandel als schwierig. Daher verlor er seinen Nebenjob mitten im Bachelorstudium. Kurz darauf wurde eine Stelle am IQB ausgeschrieben und Abdullah bewarb sich: Für sein Gespräch stand er um 6.30 Uhr an der Teufenerstrasse, einem der damaligen Standorte der FHS. Institutsleiter ­Lukas Scherer öffnete die Türe und fragte als Erstes: «Was möchten Sie denn?». Die Türe blieb aber offen und Abdullah begann vorerst als wissenschaftlicher Assistent zu arbeiten und nach erfolgreichem FHS-Masterabschluss als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Danach war es Lukas Scherer, der die nächste Türe für Abdullah aufstiess und ihm anbot, den Tenure-Track zu absolvieren und sich zum Dozenten auszubilden. «Mein Vater war Gymnasiallehrer und ich wollte schon als kleiner Junge Lehrer werden», erinnert sich A ­ bdullah. Das Bedürfnis, sich selber neues Wissen anzueignen, steht hier im Zusammenhang mit jenem, das Wissen wieder zu vermitteln. Die Empfänger sollen sich ebenfalls weiterentwickeln

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können und weiterkommen. Umso passender ist es, dass sich Abdullah nach einer thematischen Vertiefung im Kom­ petenzbereich Organisationsentwicklung heute vornehmlich mit der Personalentwicklung im Kompetenzbereich Leadership & Personalmanagement beschäftigt. «Hier bin ich bemüht, Unternehmen davon zu überzeugen, dass es längerfristig immer auf den Menschen ankommt, um erfolgreich zu sein. Nach dem Motto Human First  zu operieren, würde uns als Menschheit am meisten bringen», ist Abdullah überzeugt.

Anderen Menschen Türen öffnen Und um nochmals auf den Stolz ­zurückzukommen: Aufgefordert, auf die Zeit an der FHS zurückzublicken, meint Abdullah, dass alle Mitarbeitenden stolz sein dürfen. «Wir haben in der Vergangenheit vieles geschafft und werden hoffentlich auch in Zukunft viele Gelegenheiten haben, um einen Beitrag für das Funktionieren und die Weiterentwicklung des gesamten wirtschaftlichen Systems und der Gesellschaft zu leisten. Wir dürfen alle stolz darauf sein, was wir leisten, und sollten nicht unterschätzen, was dies auslöst und für andere Menschen möglich macht.» Abdullah Redzepi hat sich seinen Berufswunsch erfüllt. Und genau deshalb möchte er heute auch anderen eine Türe öffnen.


20 Jahre FHS St.Gallen – 2010

Forscherseele

und Kämpfergeist Basil Höneisen

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In der Schweiz verursacht deren Versorgung aktuell 80 % der direkten Gesundheitskosten – Zahl steigend. Rehabilitative Programme gewinnen damit an Bedeutung. «Betroffene mit einer chronischen Krankheit und deren Angehörige müssen mit Kompetenzen befähigt werden, wie sie trotz Einschränkungen den Alltag bewältigen können», sagt Heidrun. Damit beschäftigt sich nun die von ihr und Myrta Kohler gegündete Fachstelle Rehabilitation & Gesundheitsförderung.

«Wieso habe ich mich schon wieder gemeldet?!» Diese Frage stellt sich ­Heidrun Gattinger oft selbst, wenn sie wieder mitten in einem neuen Projekt steckt. Ein Projekt mit anspruchsvoller Materie wie die Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle für die stationäre Kurzzeitpflege. Da gilt es, sich erst einmal einzuarbeiten. Sie liebt Themen, in denen sie sich noch nicht auskennt. Nur die Zeit fehlt. Sie hätte bei diesem Projekt nicht mitmachen müssen. Doch ihre Forscherseele lässt solche Chancen nun einmal ungern aus. Sie ist es, die Heidrun antreibt und zu dem gemacht hat, was sie heute ist: Prof. Dr. Heidrun Gattinger, 44, Pflegewissenschaftlerin fürs Leben gern. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Gesundheitsförderung von chronisch kranken Menschen und dem Pflegepersonal. Weltweit gibt es immer mehr Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Diss mit Biss

ie wollte sich eigentlich auf die Forschung konzentrieren. Heute, nach zehn Jahren an der FHS, ist sie nebst Wissenschaftlerin auch Führungsperson, Kommunikatorin und Unternehmerin: Heidrun Gattinger leitet das Institut für Angewandte Pflegewissenschaft IPW-FHS. Forschung ist ihr Leben, Qualität ihr Ansporn.

Darunter fällt auch die in der Pflegewissenschaft relativ unbekannte Lehre der Bewegungsempfindung, die Kinästhetik. Ein Bereich, in dem sie vorher selbst wenig Expertise hatte. Reine Neugier und der Drang nach Wissen trieben sie an, das Thema zu beackern und gar ihre Doktorarbeit darüber zu schreiben. Keine leichte Aufgabe. «Bei der Dissertation hatte ich Pro­ bleme, mein Thema in wissenschaft­ lichen Journals zu platzieren, weil die Reviewer das Thema nicht kannten», sagt die Forscherin. «Das war frustrierend.» In solchen Momenten vereine sich jedoch ihre Forscherseele mit ihrem Kämpfergeist. Heute ist Heidrun eine von wenigen Pflegeforscherinnen in der Schweiz im Bereich Kinästhetik. Die Ziele der Fachstelle sind hoch. «Wir wollen eine internationale

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­ usstrahlung erreichen und als ExA pertinnen auf diesem Gebiet bekannt werden.» Ehrgeizig. Das ist Heidrun. Mit Leidenschaft und Vorwärtsdrang leitet sie heute ihr Pflegeinstitut. Die FHS hat ihr in den letzten zehn Jahren diesen Weg ermöglicht. «Ich schätze es besonders, dass der interdisziplinäre Ansatz an der FHS gelebt wird», sagt Heidrun Gattinger. Herausfordernd findet sie das unternehmerische Denken, das vor allem von ihr als Institutsleiterin gefordert wird. «Ich war einmal zu 100 % ­Forscherin. Heute bin ich ungefähr zu 60 % Führungsperson, Vermittlerin, Unternehmerin.» Die neuen Aufgaben, die sie seit Juli 2019 innehat, gefallen ihr. Die Forscherseele bleibt.

Segel gesetzt, Fahne gehisst Seit zehn Jahren prägt Heidrun ­Gattinger nun die Pflegewissenschaft. Woher kommt ihre Passion zur Forschung? «Schon während meiner Arbeit als Pflegefachfrau war mir die Förderung der Pflegequalität ein grosses Anliegen und ich begann, Abläufe und Praktiken zu hinterfragen.» Einer der Hauptgründe, warum sie in die Forschung wechseln wollte. Mit der FHS im Rücken setzte sie die Segel. Auf die Fahne schrieb sie sich: die Qualität im Bereich der pflegerischen Versorgung zu verbessern. Das motiviert sie, trotz wenig vorhandener Zeit, immer wieder an neuen Projekten teilzunehmen.


20 Jahre FHS St.Gallen – 2010

Neugierde und der Drang nach Wissen treiben Heidrun Gattinger an. Vor allem dann, wenn sie noch nichts über ein Thema weiss. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2011

Thomas Knill schätzt an der FHS die gelebte Menschlichkeit: «Die Kultur des Miteinanders ist einzigartig.» (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2011

Einer, der

beide Sprachen spricht Claudia Züger

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tudent, Praktiker, Wissenschaft­ ler, Kollege, Kritiker, Freund, Dozent: Thomas Knill ist seit mehr als 20 Jahren in verschiedensten Rollen Teil der FHS St.Gallen. Die Hochschule ist für ihn weit mehr als Ausbildungsstätte oder ­Arbeitgeberin. Der gelernte Radio- und TV-Elektriker Thomas Knill parkte im September 1999 seinen 1970er-Jahre Toyota Cressida hinter dem Hochschulgebäude Stella Maris in Rorschach. Er und weitere 50 Studierende starteten als erste Studiengruppe mit dem FHStudiengang in Sozialer Arbeit. Die Grösse der Gruppe war ungewöhnlich, das ausgeglichene Männer-FrauenVerhältnis ebenso. Tom, wie ihn damals schon alle genannt haben, ­ ­erinnert sich an eine Startveranstaltung in einem imposanten Raum. Und lachend an Dozierende, die das ungewöhnliche Grüppchen neugierig in Augenschein nahmen. 20 Jahre später fährt er den Toyota nicht mehr, die FHS aber begleitet ihn weiterhin. Nach Abschluss seines Vollzeitstudiums wandte er sein Wissen in der Sozialhilfe und als Berufsbeistand an, 2008 entschied er sich, es im Teilzeit-Masterstudium zu vertiefen. Drei Jahre später kehrte er als

wissenschaftlicher Mitarbeiter an die FHS zurück, heute lehrt er als Dozent in den Schwerpunkten Einzelfallhilfe und gesetzliche Sozialarbeit. Was sich seit dem ersten Studientag verändert habe? Neben seinen Rollen vor allem die Umgebung. «Das Stella Maris war eine coole Hütte.» Tom erinnert sich an unzählige Fallstudien und an die riesige Terrasse mit Blick auf den Bodensee. Und anschliessend an den widerwilligen Umzug ins Rorschacher Alcan Areal: «Es war laut, es hat in den Seminarräumen gehallt wie in einer Eishockeyhalle, nichts hat funktioniert.» Jetzt verbindet er die Alcan-Zeit mit Campus-Romantik, rot-weiss gestreiften Liegestühlen und persönlichem Austausch. Die Wehmut vor dem Einzug in den FHS-Turm 2013 war gross. Das gemeinsame Dach habe aber auch reichlich Positives. Nicht nur die Bahnanbindung sei ein Plus, auch die funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit. Den unkomplizierten Austausch mit Studierenden und Mitarbeitenden hingegen hat Tom zu kurz. Er gelinge am besten bei Kaffee

und Zigarette auf dem Vorplatz. Wobei er diesen noch immer so unattraktiv finde wie beim Einzug.

Wissen schafft Praxis Unverändert blieb Toms Überzeugung, dass ein Studium eine unverzichtbare Voraussetzung für den Beruf des Sozialarbeiters ist. «Nur Menschen zu mögen, reicht nicht aus!» Es brauche fundiertes Wissen, um auf Problemstellungen professionell reagieren zu können. Die Studierenden auf die Berufspraxis vorzubereiten, ist ihm ein Anliegen. Dabei gelte es, der Wissenschaftlichkeit aber auch der Anwendung gerecht zu werden. Selbst sieht sich Tom Knill weder als Akademiker noch als Praktiker, vielmehr als Übersetzer zwischen den zwei Bereichen. Eine Aufgabe, die ihn herausfordert, vor allem aber motiviert. Gleich geblieben sei auch die Menschlichkeit: «Man greift sich unter die Arme, man lacht zusammen. Ich habe hier richtig gute ArbeitskollegInnen. Und Freunde. Die Kultur des Miteinanders ist einzigartig. Ich hoffe, sie lebt in der OST weiter.»

«ES WAR LAUT, ES HAT IN DEN SEMINARRÄUMEN GEHALLT WIE IN EINER EISHOCKEYHALLE.» 35

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2012

Von einem,

der springt und schwimmt Claudia Züger

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liege und Sakko sind sein Markenzeichen; Medien, Philosophie und Geschichte seine Leidenschaft. Der 24-jährige Basil Kunz arbeitet bereits einen Drittel seines Lebens in der FHS-­Bibliothek und verwirklicht nebenbei ­ seine Träume und Ziele. Schnupperlehren als Koch, Polygraf, Optiker und Fachmann Gesundheit: «Ich habe gefühlt alles ausprobiert, ausser Metzger», lacht Basil Kunz. Bei der Berufsberatung habe sich dann «­etwas mit Medien» als Berufsziel heraus­ kristallisiert. Journalismus faszi­nierte den damals 16-Jährigen zwar, studie­ ren wollte er aber erst nach einer Lehre. So bewarb er sich für die drei Ausbildungsplätze als Fachmann Infor­ mation und Dokumentation, die 2012 im Raum St.Gallen zu vergeben ­waren. Die alten Schriften und die wertvollen Bestände der Kantonsbibliothek ­Vadiana hätten ihn besonders gereizt, deshalb hat er das Lehrstellenangebot der FHS St.Gallen erst beim zweiten Nachhaken angenommen. Er bereut es auch acht Jahre später nicht. Der Start seiner Ausbildung in der FHS-Bibliothek glich einem Sprung ins kalte Wasser. Die Macher-Natur tauchte ein und schwamm. So packte er beim Umzug der Bibliothek in den

St.Galler Neubau gleich an und wurde schnell zu einer wichtigen Stütze für sein Team. Der neue Arbeitsplatz gefiel und gefällt ihm. Wegen seinen Kolleginnen und Kollegen und auch rein räumlich. So blieb er der FHS nach erfolgreichem Abschluss seiner Lehre treu, obwohl er bereits weiterführende Pläne schmiedete: Er wollte nebenberuflich die gymnasiale Matura nachholen. Und tat es. Nur dreieinhalb Jahre später immatrikulierte sich der frischgebackene Maturand an der Universität Zürich, um Geschichte und Philosophie zu studieren. Er erzählt seiner Natur entsprechend bescheiden, seine

Arbeitstagen. Neben dem Tagesgeschäft am Schalter wie Ausleihe oder Beratung ist er unter anderem für die Zeitschriftenabos und die ­Gadgeothek zuständig. Basil Kunz mag die Abwechslung, sein Herz schlägt aber für das Vermitteln von Informations­ kompetenz. Er führt unter anderem Rechercheschulungen oder Bibliotheksführungen durch. «Es ist schon sehr cool, jemandem etwas beibringen zu können.» Er möchte dazu beitragen, den Studierenden ein gutes Studium zu ermöglichen. Dass die Bibliothek an der Hochschule wertgeschätzt wird und er sich mit

«ES IST SCHON SEHR COOL, JEMANDEM ETWAS BEIBRINGEN ZU KÖNNEN.» Leidenschaft fürs Studium und für die Inhalte sind aber unverkennbar. Das erste Studienjahr ist fast geschafft. Bis 2024 hofft Basil, das Masterstudium abgeschlossen zu haben.

Freigeist trifft auf Freiraum Die Entwicklungsmöglichkeiten und das flexible 50 %   - Pensum motivieren ihn zu grossem Einsatz an den

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Ideen einbringen, etwas bewirken und gestalten kann, «das motiviert ungemein!». So auch die Zusammenarbeit im Team. Er erinnert sich gerne an den ersten Bücherflohmarkt. «Wir haben danach gemeinsam aufgeräumt und waren alle nudelfertig, aber glücklich. Spät abends haben wir noch Pizza ins Büro bestellt, ein Bier getrunken und den Tag gemeinsam ausklingen lassen. Das war ein FHS-Moment.»


20 Jahre FHS St.Gallen – 2012

Basil Kunz mag die Abwechslung, sein Herz schlägt aber für das Vermitteln von Informationskompetenz. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2013

Sonja Doppmann versteht es, Menschen im Fachhochschulzentrum willkommen zu heissen. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2013

Die gute Seele des Hauses

Lea Müller

A

lle kennen sie, alle schätzen sie: Sonja Doppmann arbei  tet am Empfang des Fachhochschulzentrums und kümmert sich um alle möglichen Fragen und Anliegen, die im Laufe eines Tages auftauchen. Sie ist herzliche Gastgeberin, routinierte Troubleshooterin und eine Meisterin im Multitasking. An Sonja Doppmann kommt an der FHS niemand vorbei. Die meisten ­lernen sie gleich am ersten Tag kennen, wenn sie ihre Campus-Karte am Empfang abholen. Und sie kommen alle wieder: Sei es nur für einen kurzen Schwatz, bei Fragen zu einer Raum­ reservation oder bei kleineren – etwa ­einem vergessenen Regenschirm – und grösseren – etwa einem medizinischen Zwischenfall – Notlagen. Täglich kommen auch Studierende vorbei. Wann immer sich die Türe des Empfangs öffnet, wenden sich Sonja Doppmann und ihre Kollegin Andrea Angehrn den Besucherinnen und Besuchern mit ihrer Auferksamkeit zu. Und man kann sich sicher sein: Sie helfen einem weiter. Seit sieben Jahren arbeitet Sonja an der FHS St.Gallen. Sie kennt alle Mitarbeitenden mit Namen und Tätigkeits­ gebiet. Bei den vielen Studierenden sei es schwierig, sich Namen zu merken, erzählt sie und lacht. Sonja hat

ein Händchen für die Menschen, sie begrüsst alle gleichermassen offen und herzlich im Fachhochschulzentrum – vom Hochschulratspräsidenten über die Forscherin aus dem Ausland bis zu den Mitarbeitenden des Reinigungsinstituts. Sie versteht es, Menschen willkommen zu heissen. «Am Empfang ­repräsentieren meine Kolleginnen und ich die Fachhochschule. Wir sind eine Art Visitenkarte», sagt sie und betont: «Der erste Eindruck zählt. Ich nehme diese Aufgabe sehr ernst.»

Gespür für junge Menschen Zu Sonja Doppmanns Aufgaben ge­ hören weit mehr als die täglichen Kontakte am Empfang. Als Mitarbeiterin der Studienadministration ist sie in verschiedene Prozesse und Projekte eingebunden. Als «Poweruserin» tätigt sie einen Teil der FHS-Mailversände und pflegt die Adressen im CRM-System, als Teilwebredaktorin bearbeitet sie die Webseite. Ab und zu macht sie Gruppenführungen durch das Fachhochschulzentrum. Sie sagt: «Ich bin gerne Gastgeberin der FHS.» Ausserdem ist Sonja als Praxisausbildnerin für jeweils eine Lernende oder einen Lernenden am Empfang zuständig. Sie hat ein Gespür für die jungen Menschen, weiss sie zu motivieren und merkt auch, wenn der Schuh irgendwo drückt. Da helfen der 48-Jährigen auch ihre Führungserfahrungen, die sie aus

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der Zeit bei der Schweizerischen Post mitbringt, wo sie 12 Jahre arbeitete, davon einige Jahre als Poststellenleiterin. 2013 wechselte sie an die FHS St.Gallen. Die Tätigkeit in einem Haus mit vielen Mitarbeitenden und Studierenden hatte sie gereizt.

Kein Tag ist wie der andere Sonja Doppmann schätzt ihre vielseitigen Aufgaben. «Kein Tag ist wie der andere. Mit Aussergewöhnlichem muss man immer rechnen.» Der spannende Job hat aber auch eine Kehrseite: Projektbezogene Arbeiten oder Besprechungen lassen sich schlecht planen, denn Sonja wird immer wieder unter­ brochen, muss von einem ­Moment auf den anderen alles liegen lassen oder mehrere Dinge gleich­zeitig tun. Sie ist eine Meisterin im Multitask­ ing. Und kommt doch ab und zu an ihre Grenzen. Abends gehört sie oft zu den Letzten, die aus dem Haus gehen. Doch das nimmt Sonja in Kauf, auch weil ihr für ihre Arbeit viel Wertschätzung entgegengebracht wird. «Ich erhalte pro Woche mindestens zwei- bis dreimal ein herzliches Dankeschön», erzählt sie und schüttelt mit einem breiten Lächeln den Kopf. «Dabei mache ich doch nur meinen Job.» Sie führt das auf die Kultur des Miteinanders und gegenseitigen Respekts an der Hochschule zurück. Sie lacht und gesteht: «Ich bin ein FHS-Fan.»


20 Jahre FHS St.Gallen – 2014

Modellbauer zwischen Realität und Simulation

Marion Loher

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in «glücklicher Zufall» ­brachte ihn an die FHS St.Gallen, mitt lerweile leitet der ­gebürtige Niederländer Harold Tiemessen seit sechs Jahren das Institut für Modellbildung und Simulation. Der stu­dierte Mathematiker fühlt sich an der Hochschule pudelwohl, «wie in einer Grossfamilie». Es sind die Berge, die Harold ­Tiemessen und seine Frau vor gut zwölf Jahren von ihrer Heimat, den Niederlanden, in die Schweiz gezogen haben. Und ein Job. Aber nicht jener an der FHS. ­Harold Tiemessen arbeitete zunächst am IBMForschungs­labor in Rüschlikon. «Zur FHS kam ich durch einen glücklichen Zufall», sagt der heute 46-Jährige. Er hatte sich für eine Stelle als wissenschaftlicher Mitar­ beiter beworben, die dann anderweitig besetzt wurde. Gleichzeitig stand aber der damalige Leiter des Instituts für Modellbildung und Simulation kurz vor seiner Pensionierung. Harold ­Tiemessen wurde empfohlen, sich für dessen Nachfolge zu bewerben. Was er auch tat – und er bekam den Job, den er nun seit gut sechs Jahren ausübt. Der gebürtige Niederländer hat Mathematik studiert, sie fasziniert ihn seit seiner Kindheit. «Irgendwann wurde mir das Ganze dann aber doch zu

theoretisch – und zu langweilig.» Also suchte er nach etwas, das ihm erlaubte, kreativer zu sein. Und dies fand er in der Technik der Simulation und Modellbildung. «Für mich ist sie die ideale Kombination aus koordinativem Denken und kreativem Handeln», sagt der Institutsleiter. Angewendet wird die Technik oft in der Logistik. Als Beispiele nennt er den Paketversand oder den Zugsverkehr. «Wir entwickeln Modelle, die zeigen, wie am besten reagiert werden kann, wenn etwa im Bahnsystem Störungen auftreten und Züge umgeleitet oder ersetzt werden müssen.» Aber auch im Gesundheitsbereich werde vielfach mit Modellen und ­Simulationen gearbeitet, und ­gerade in einer Krise wie der Corona-Pandemie noch viel mehr. «Wir modellieren zum einen die Verbreitung von Epidemien. Zum anderen versuchen wir ­simulativ darzustellen, was Spitäler in aussergewöhnlichen Situationen machen sollen, wie viele zusätzliche B ­etten sie beispielsweise benötigen.» Mit ihrer Arbeit liefern

Harold ­Tiemessen und sein Team den Auftraggebenden eine Entscheidungsunterstützung. «Wir haben nicht den Anspruch, für jedes Problem die ideale Lösung zu finden. Wir versuchen, die Realität so gut wie möglich abzubilden und die Auswirkungen der verschiedenen Szenarien aufzuzeigen.»

So gross wie ein Gymnasium Die Arbeit an der FHS ist für Harold Tiemessen der «spannendste Job», den er bisher gehabt hat. Er fühlt sich denn auch pudelwohl an der Hochschule. «Wie in einer Grossfamilie», ergänzt der verheiratete Familienvater mit einem Augenzwinkern und erzählt, dass die FHS in etwa so gross sei wie das Gymnasium, das er in den Nieder­ landen besucht habe. «Die Atmosphäre hier ist hervorragend, die Menschen sind motiviert und arbeiten gerne. Das spürt man.» Er ist dankbar für den «Zufall» von damals. «Dass mich die Arbeit interessiert, konnte ich gut abschätzen, nicht aber wie die Atmosphäre ist. Ich habe Glück gehabt.»

«MEIN JOB IST DIE IDEALE KOMBI­ NATION AUS KOORDINATIVEM DENKEN UND KREATIVEM HANDELN.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2014

Harold Tiemessen wurde die Mathematik irgendwann zu langweilig. In der Simulation und Modellbildung kann er kreativer arbeiten. (Foto: Bodo RĂźedi)

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FHS St.Gallen – Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

«Durch das vielfältige ­Angebot von unterschied­ lichen Studiengängen wirkt die FHS St.Gallen einem Fachkräftemangel in der Ost­ schweiz entgegen. Wir Studierenden wünschen uns von guten Dozierenden zu lernen, damit wir nach dem Studium über ein ­fundiertes Wissen verfügen. Unsere Fachkenntnisse ­tragen dazu bei, dass die Fachhochschule in der Gesell­ schaft weiterhin einen guten Ruf ­geniessen kann.»

«Die Bedeutung der FHS St.Gallen für die Region St.Gallen ist spätestens seit dem Neubau am Hauptbahn­ hof St.Gallen auch baulich sichtbar. Besonders hervorzu­ heben ist ihre Nähe zur ­Praxis. Das ist keine Floskel. Pragmatisch, kompetent und lösungsorientiert – so erfuhren wir die Zusammen­ arbeit mit der FHS St.Gallen, und wir werden auch in Z ­ ukunft darauf setzen.» Samuel Zuberbühler, Leiter Standortförderung der Stadt St.Gallen

Romina Züst, Bachelor-Studentin Architektur

«Die Fachhochschule St.Gallen trägt sehr wesent­ lich zum Image der Stadt St.Gallen als Bildungs­ standort mit überregionaler Ausstrahlung bei. Ihr grosser Bezug zur Praxis macht ­Projekte und Lerninhalte ­unmittelbar umsetzbar. Von dieser Zusammenarbeit ­profitiert auch die Stadt­ verwaltung in verschiedenen Projekten. Mit dieser Form des Wissenstransfers stärkt die FHS die Stand­­ort­attraktivität.»

«In einer Zeit, in der wir unsere Verantwortung für diese Welt nicht mehr ­delegieren können, haben uns Bildung und Ausbildung zusammen- und weiter­ zubringen – und als Grund­ lage den Blick für die not­ wendige Neusituierung der Rolle des Menschen zu ­öffnen. Denn zu fragen ist heute ­dringender denn je: Wie schaffen wir es, jenseits der Ausbeutung anzu­ kommen? Wie k ­ önnen wir so handeln, wie wir handeln müssen?» Ruth Erat, Autorin und Kunstschaffende

Thomas Scheitlin, Stadtpräsident Stadt St.Gallen

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FHS St.Gallen – Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

«Die Schweiz als export­ orientiertes Hochlohnland muss sich durch höchste Qualität in Produkten und Dienstleistungen ­auszeichnen. Die FHS St.Gallen legt als Bindeglied ­zwischen dem dualen Bildungs­weg und der uni­versitären Spitzenfor­ schung den Grundstein für die Erfolgs­geschichte Schweiz: beste Ausbildung für Prak­tiker – fachlich, kon­zeptionell und bezüglich Sozial­kompetenz.»

«Es ist wichtig, dass die FHS St.Gallen praxisnah aus­ bildet und sich Studierende in ihrer Führungsrolle weiter­ entwickeln können. Trends, verschiedene Sichtweisen auf Themen und der Kontakt zu anderen Führungspersön­ lichkeiten sind ebenfalls wesentliche Aspekte. Die FHS St.Gallen bringt ­Menschen mit verschiedenen ­Hintergründen zusammen, was einen Mehrwert für ­Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet.»

Markus Bänziger, Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell

Anjan Sartory, Absolvent EMBA, Leiter Sicherheit Stadtpolizei St.Gallen

«Die Aufgabe der FHS St.Gallen soll die prak­ tische Transformation von theoretischem Wissen in die unternehmerische Realität sicherstellen. Durch den direkten Schulterschluss mit den Unternehmen sollen die aktuellen Heraus­ forderungen und Bedürfnisse schnellstmöglich in die Aus­ bildung einfliessen. Die FHS soll sich klar durch den ­Praxisbezug differen­zieren und so den Nährboden für die Entwicklung resili­ enter und agiler Führungs­ kräfte bilden.»

«Die Lehre an der FHS St.Gallen orientiert sich an durchdachten Kompe­ tenzprofilen, die auch umge­ setzt werden. Damit ge­ währleistet die FHS, dass die Absol­ventinnen und Ab­ solventen in der Praxis pro­ fessionell handeln und Verant­wortung übernehmen können. Dies ist für uns als soziale Non-Profit-Organi­ sation eine unerlässliche Voraussetzung, um kompe­ tente Dienstleistungen zu erbringen.»

Christof Oswald, Head of Human Resources Bühler AG

Therese Wenger, Kantonale Geschäftsleiterin Pro Infirmis St.Gallen-Appenzell

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2015

Carmen Pistek mag an der FHS die kurzen Entscheidungswege und die wachsende Akzeptanz gegenüber dem Thema Barrierefreiheit. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2015

Barrieren abbauen für neue Perspektiven

Andrea Sterchi

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erechtigkeit und Chancengleichheit treiben Carmen Pistek an. An der FHS baut sie Barrieren ab – bauliche und ­solche in den Köpfen. In der Anlaufstelle barrierefreie Hochschule berät sie Interessierte, Studierende, Mit­ arbeitende und externe Personen mit und ohne Behinderung. Der Anruf erreichte Carmen Pistek in Lecce: Sie hatte die Stelle an der FHS. Lange hatte sie geglaubt, dass sie ihrer Arbeit in Heimen für Menschen mit Behinderung für immer treu bleiben werde. Ihre Devise war: «Eine kurze Ausbildung und dann schnellstens zurück in die Praxis.» Sie begann ein Studium in Sozialer Arbeit. Kurz vor ­ihrem Bachelor-Abschluss realisierte sie, wie gut ihr das wissenschaftliche Denken gefiel. «Unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, fand ich spannend.» Sie hängte den Master an und stand 2015 als studentische Mitarbeiterin erstmals auf der Lohnliste der FHS, als sie an einem Jugendarbeit-Projekt mitwirkte. Das machte Lust auf mehr. Sie bewarb sich bei der FHS St.Gallen. Sechs Monate später tat sich eine Möglichkeit auf, als diese jemanden für den Aufbau der Anlaufstelle barrierefreie Hochschule suchte. Genau das Richtige für sie. «Das Thema Inklusion hat

mich bei meiner Arbeit mit Menschen mit Behinderung stets begleitet.»

Start auf der grünen Wiese Carmen Pistek fing auf der grünen Wiese an. Das bedeutete zuerst einmal viel lesen, recherchieren, Kontakte knüpfen. Unter anderem beschäftigte sie sich vertieft mit dem Nachteilsausgleich. Carmen Pistek erarbeitete ein Konzept, um die Prozesse in einer zentralen Stelle zu vereinheitlichen, Indivi­­ dualität zu ermöglichen und so für Chancengleichheit innerhalb der FHS zu sorgen. Erzählt sie vom Aufbau der Anlaufstelle, scheint es undenkbar, dass eine Arbeit ausserhalb der Heime sie nie gereizt hat. Deutlich zeigt sich ihr Interesse für Zusammenhänge und wie es ihr gefällt, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Barrieren abzubauen, ohne die Barrieren zu kennen, das gehe nicht. Für sie ist es selbstverständlich, dass sie mit Betroffenen zusammenarbeitet. So sind in der FHS bereits einige bauliche Mass­nahmen

umgesetzt worden, etwa Treppenmarkierungen als Orientierungshilfen für Menschen mit einer Sehbehinderung. Zugleich behält die 39-Jährige das grosse Ganze im Blick. Barrierefrei sei eine Hochschule dann, wenn sie inklusiv denke und nicht erst bei Problemen handle. «Wenn sich Menschen mit Behinderung frei, selbständig und ohne Hilfe Dritter bewegen und studieren können.» Kurz: Wenn es die Anlaufstelle nicht mehr brauche. Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind ihr Antrieb. Darum will sie auch in den Köpfen Barrieren abbauen. «Toll wäre ein Sensibilisierungsvideo, das zeigt, welche Erfahrungen Menschen mit Behinderungen machen und wie sie ein Studium meistern.» An der FHS schätzt sie die beschau­liche Grösse, die kurzen Entscheidungswege und die wachsende Akzeptanz gegenüber dem Thema Barrierefreiheit. Die FHS ist für sie eine Türöffnerin. «Sie ermöglichte es mir, mein Denken zu erweitern.» Und das wiederum macht C ­ armen Pistek zur Barrierenabbauerin.

«BARRIEREFREI IST EINE HOCHSCHULE DANN, WENN SIE I­ NKLUSIV DENKT UND HANDELT.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2016

Mit Bauchgefühl und Ordnungssinn

Jasmina Henggeler

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­ estaltung. Am liebsten arbeite sie am G «substanz»: «Für das Editorial Design hege ich seit jeher eine Vorliebe.» Zudem schätzt sie den keativen Austausch mit dem Redaktionsteam. Er biete Abwechslung im computerlastigen Alltag, wo ihr teils persönlicher Kontakt fehle. Informiert über die Themen und Projekte der FHS ist Milena als Mitglied des Kommunikationsteams dennoch: «Die meisten Kommunikationsmassnahmen gehen früher oder später auch über meinen Tisch.»

Ihr entgeht kein Punkt, der fehl am Platz ist: Milena Bieri sitzt an ihrem Arbeitsplatz, 17. Etage, Kommunikationsabteilung, Radio im Ohr. Konzentriert überarbeitet sie das ­Layout eines Studienführers. Der Job als typo­grafische Gestalterin an der FHS St.Gallen verbindet mehrere ihrer Leidenschaften: visuelles Gestalten, Fotografie, Ordnen von Dingen. Privat ordnet sie meist ­Bücher, im Berufsalltag perfektioniert der lachend selbst ernannte «Ordnungsfreak» das Layout von Drucksachen. Flyer, Broschüren, Plakate und das Hochschulmagazin «substanz» sind das Spezialgebiet der 36-Jährigen. «Mich faszinieren Schriften, originelle, durchdachte Layouts und manuelle Drucktechniken», sagt Milena. Sie ist visuell veranlagt und hat ein Auge fürs Detail. Ihren Alltag an der FHS dominieren Fragen nach einer adressatengerechten, optisch ansprechenden

Ort der Wissenserweiterung

ie war erst zweimal in St.Gallen, bevor sie im Jahr 2016 an der Fachhochschule angefangen hat zu arbeiten. Heute ist es für die gebürtige Zürcher Oberländerin beinahe undenkbar, sich ein Leben ohne «die Welt hinter dem Rickentunnel» vorzustellen: Milena Bieri ist typografische Gestalterin an der FHS St.Gallen.

Aufgewachsen ist Milena im Zürcher Oberland. Vor Stellenantritt an der FHS war sie erst zweimal in St.Gallen – in der «Welt hinter dem Ricken­tunnel». Und doch nimmt sie täglich zwei Stunden Arbeitsweg auf sich. «Wegen der Menschen», erklärt Milena. «Man ist freundlich und grüsst sich im Gang. Das möchte ich nicht missen.» Als Typogestalterin bringt sie nebst Bauchgefühl einen Fundus an Erfahrungen und breitem Fachwissen mit.

Zuvor hat die gelernte Fotofachfrau in einer Druckerei und als Freelancer gearbeitet, und kürzlich liess sie sich in «Typography and Print» weiterbilden. «Up-to-date»-Sein ist eine der Herausforderungen in ihrem Job: Täglich kommen neue Funktionen zur Bearbeitung digitaler und analoger Publikationen hinzu. Um dabei gute Ergebnisse zu erzielen, braucht es qualitativ hochwer­ tiges Equipment – etwa einen leistungsstarken Computer oder kalibrierbaren Bildschirm. «Die FHS ist fortschrittlich und modern. Das ist eine ­ihrer Stärken.» Eine weitere Stärke sei die Art, wie an der FHS Kultur und Gesellschaft verknüpft werden: durch Kunstausstellungen und die Bibliothek, die öffentlich zugänglich sind. Letztere zählt zu Milenas Lieblingsorten im «Turm». ­ «Die offene, etagenübergreifende Konstruktion verleiht der Bibliothek Charme. Sie strahlt gleichzeitig Wärme, Nähe und Weite aus.» Die Bibliothek sei Ort der Wissenserweiterung und Begegnung. Daher ist für ­Milena Bieri die FHS «ein riesiges, familiäres ‹Hüsli› – mit der ­Bibliothek im Herzen».

«DIE FHS IST EIN RIESIGES, FAMILIÄRES ‹HÜSLI› MIT DER BIBLIOTHEK IM HERZEN.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2016

Die Bibliothek zählt zu Milena Bieris Lieblingsorten an der Fachhochschule: «Es ist eine Stärke der FHS, Kultur und Gesellschaft zu verknüpfen.» (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2017

Einer, der sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Beat Zbinden behält selbst dann die Nerven, wenn die Mensaküche brennt. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2017

Sein Haus,

sein Herz Jasmina Henggeler

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assadenkletterer, Feuerwehreinsatzkraft, Elektroingenieur, Treuhänder, Führungskraft – Beat Zbinden schlüpft als Leiter der Facility Services täglich in verschiedene Rollen. Seit 2017 ist die Sicherheitszentrale der FHS St.Gallen das zweite Zuhause des innovativen Denkers. Einen Tag ohne ein Dutzend Alarme? Den gibt's nicht. Es ist Donnerstag, 27. September 2018. Kurz vor Mittag geht der Feueralarm bei Beat Zbinden in der FHS-Sicherheitszentrale ein. Keine Übung. Kein Falschalarm. «Ein Bereich der Mensaküche stand in Flammen», erzählt der Leiter Facility Services, die Anspannung von damals ins Gesicht geschrieben. Der Brand habe ihn geprägt: Evakuierung und Koordination der Einsätze – der 59-Jährige ist stets Frontmann, handelt ruhig und überlegt, damals wie heute. «Wichtig ist, sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen.» Denn täglich kommt es an der FHS zu mehr als einem Dutzend Alarmen, etwa wegen Überhitzung des Kühlraums oder Bildung von Kondenswasser. «Kein Tag verläuft wie geplant.» Als Facility-Leiter hat Beat eine grosse Verantwortung. Er führt Mietvertragsverhandlungen, unterzeichnet Bauverträge, koordiniert und überwacht alle Prozesse der FHS, die nicht in Verbindung zum

Lehrbetrieb stehen: Gebäudeunterhalt, Inventar, Technik, Verwaltung. Sein Ziel: Der Direktion alle Arbeiten am «Turm» abnehmen. «Ich bin aber nicht der typische Verwalter», sagt der studierte Elektroingenieur. Nach einigen Jahren als Qualitätsmanager in einer Elektronikproduktion arbeitete er während 17 Jahren als Liegenschaftsverwalter. Er liess sich zum Treuhänder ausbilden und war selbständiger Facility-Berater.

Kein Winkel unbekannt Ursprünglich wurde Beat 2013 – kurz nach Umzug der FHS ins Fachhochschulzentrum am Bahnhof – vom Kanton beauftragt, technische Mängel am Gebäude zu beheben. FHS-Mitarbeiter wurde er offiziell erst vier Jahre später, als ihm die Stelle als Facility-Leiter angeboten wurde. «Da ich sozusagen am Aufbau der FHS beteiligt gewesen bin, kenne ich jeden Winkel.» Doch nur die Arbeit am Gebäude allein wäre dem innovativen Denker zu eintönig. Der Mix aus Kommunikation, Teamführung, Technik und Mietver-

tragsabschlüssen, wie jenem des FHSAussenstandorts im Neumarkt, spornt ihn an. Keine seiner Aufgaben möchte er missen: «Ich liebe die Bandbreite meines Jobs und kreiere gerne Neues.» Ein Highlight seiner FHS-Laufbahn war, als er das erste Mal in der Fas­ sadenbefahranlage ausserhalb des Gebäudes schwebte, um Storenmotoren auszutauschen: «Plötzlich war ich kurz im freien Fall. Auf der 20. Etage. Alles wackelte. Mir wurde mulmig zumute.» Obwohl sich der St.Galler stets überwinden muss, in das Gefährt zu steigen, übernimmt er die Aufgabe gerne. «Die Konstruktion aus Sockel und Turm macht die FHS einzigartig.» Das Zentrum der FHS befindet sich für den Leiter Facility Services aber in der Mensa. «Dort fühlt man den Puls. Dort stehen das Miteinander, das Kommunizieren und das Zusammenkommen im Vordergrund.» Das gesamte Gebäude und die Menschen darin sind ihm ans Herz gewachsen. Die FHS wurde zu Beat Zbindens zweitem Zuhause: «Sie ist mein Haus, meine Identifikation. Sie ist mein Herz.»

«PLÖTZLICH WAR ICH KURZ IM FREIEN FALL. AUF DER 20. ETAGE. DA WURDE MIR MULMIG ZUMUTE.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2018

Das Netzwerken liegt ihr im Blut

Lea Müller

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ich mit Menschen aus unterschiedlichen Berufsbranchen austauschen und gleichzeitig anderen eine Plattform fürs Netzwerken ermöglichen: Als stellvertretende Leiterin der FHS Alumni kann Nicola Diebold aus dem Vollen schöpfen. Ihr Erfolgsrezept fürs Networking ist einfach und doch nicht selbstverständlich. Ein warmer Frühsommerabend auf der grossen Dachterrasse des Fachhochschulzentrums. Rund 400 Menschen sind hier zusammengekommen, lassen die Weingläser klirren und unterhalten sich angeregt. Die Stimmung ist unbeschwert, der Abend noch lang. Ein FHS-Moment, der Nicola Diebold ganz besonders in Er­innerung bleiben wird. Denn der ­ Homecoming-Day 2018 für Alumni und Ehemalige der FHS St.Gallen war der erste grosse Event, den Nicola Diebold mit ihrem Team organisiert hat. Ein rundum geglückter Einstand für die stellvertretende Leiterin der FHS Alumni, dem Ehemaligen-Netzwerk der FHS St.Gallen. Seither sind viele Events und Anlässe unter ihrer Federführung dazugekommen. Die 31-Jährige ist für sämtliche Marketing- und Kommunikationsmassnahmen verantwortlich, sie entwickelt das Netzwerk weiter und

pflegt die langjährigen Partnerschaften der Alumni-Organisation.

Über die eigene Branche hinaus Ein Höhepunkt im beruflichen Jahr von Nicola Diebold ist die Tagungsleitung des Networking-Tags, der mit über 700 Teilnehmenden zu den grössten Events der FHS zählt. Auf der Bühne zu stehen und das Publikum zu begrüssen, ist eine Aufgabe, die sie mit dem für sie typischen Strahlen meistert. Doch in ihrem Element ist Nicola vor allem im Vorfeld, wenn sie ihrer Freude am Planen und ihrer Kreativität freien

Nicola. Sie selbst habe den Wert eines Netzwerks ausserhalb der eigenen Branche erst nach ihrem Studium erkannt. Nach dem Abschluss ihres berufsbegleitenden Bachelorstudiums mit Schwerpunkt Marketing & Kommunikation arbeitete sie zunächst in der Bankenbranche. Dann folgte die berufsbedingte Rückkehr an die FHS, die sie als praxisorientierte Fachhochschule schätzt. In ihrer Rolle bei der FHS Alumni tauscht sie sich nun mit Expertinnen und Experten aus allen Fachbereichen aus und lässt Themen wiederum in das Veranstaltungsangebot der FHS Alumni einfliessen.

«EIN GROSSES NETZWERK ZU HABEN, MACHT DAS LEBEN EINFACH BUNTER.» Lauf lassen kann. Sie ist eine Teamplayerin, lässt im richtigen Moment auch anderen den Vortritt. «Das Zwischenmenschliche ist mir sehr wichtig», sagt sie. Bei ihrer Arbeit stehen die Menschen im Vordergrund. Oder besser gesagt: das Zusammenbringen von unterschiedlichen Menschen. Das Spannende am Ehemaligen-Netzwerk der FHS St.Gallen sei der Erfahrungs- und Wissensaustausch über verschiedene Berufsfelder hinweg, sagt

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«Ein grosses Netzwerk zu haben, macht das Leben einfach bunter», ist Nicola Diebold überzeugt. Das Netzwerken liegt ihr im Blut. Wendet sie dabei eine bestimmte Strategie an? Sie denkt nach und lacht. «Eigentlich nicht, ich pflege meine Kontakte sehr intuitiv.» Wer sich mit Nicola Diebold unterhält, dem wird klar: Ihr einfaches und doch nicht selbstverständliches «Erfolgsrezept» ist ihr echtes, authentisches Interesse an ihrem Gegenüber.


20 Jahre FHS St.Gallen – 2018

Nicola Diebold auf der Dachterrasse der FHS, wo sie «ihren FHS-Moment» erlebt hat. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2019

Patrick Aeschlimann freut sich über Begegnungen im Fachhochschulzentrum – zum Beispiel bei einer Liftfahrt. (Foto: Bodo Rüedi)

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2019

Wissenschaftler

am Puls der Gemeinden Nina Rudnicki

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atrick Aeschlimann ist seit 2019 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ostschweizer Zentrum für Gemeinden tätig. Dass er eines Tages an einer Hochschule arbeiten würde, hätte sich der ehemalige Journalist nach dem Studium nicht vorstellen können. Der demografische Wandel stellt Gemeinden vor Herausforderungen: In Zeiten von zunehmender Digitalisierung und Mobilität braucht es neue Ansätze für die kommunale Politik. Wie gelingt es, die Bevölkerung in Entwicklungsprozesse besser einzubinden? Wie können Gemeinden mit ihren Einwohnerinnen und Einwohnern kommunizieren, wenn der Lokaljournalismus wegfällt? «Antworten auf diese Fragen zu finden, machen meine Arbeit interessant», sagt Patrick Aeschlimann. Seit gut einem Jahr arbeitet der 36-Jährige am Ostschweizer Zentrum für Gemeinden OZG-FHS. Die Ostschweiz sei für ihn eine der spannendsten Gemeindelandschaften in der Schweiz: «Eine solche Diversität an kleinen und grossen, urbanen und ländlichen Gemeinden auf so kleinem Raum findet sich kaum irgendwo sonst.» Als wissenschaftlicher Mitarbeiter erforscht und berät er Gemeinden beispielsweise im Bereich New Work. Im

Zentrum steht dabei die Frage, wie sich Gemeinden mit neuen Arbeitsformen für die Zukunft wappnen können und als Arbeitgeberin attraktiv bleiben. Ein weiterer Schwerpunkt ist, wie Gemeinden mit der Bevölkerung kommunizieren und partizipative Prozesse gestalten können.

Vom Journalismus zur Forschung Für seine Arbeit pendelt Patrick Aeschlimann aus Rüschlikon am Zürichsee nach St.Gallen. An seinem Job gefällt ihm, dass er direkt an Veränderungsprozessen beteiligt ist. «Dabei habe ich mir eine Tätigkeit an einer Hochschule lange gar nicht vorstellen können. Für mich war klar, dass ich nach meinem universitären Studium der Politikwissenschaft nicht in der Forschung würde arbeiten wollen. Eine wissenschaft­liche Karriere erschien mir damals zu praxisfern», sagt er. Vor seinem Eintritt in die FHS arbeitete er als Chefredaktor beim Kommunalmagazin. Dort schrieb er vor allem über poli­tische Entwicklungen in den Gemeinden sowie die

digitale Transformation verschiedener Lebensbereiche. «Als Journalist berichtete ich zwar über die verschiedenen Lösungsansätze, war aber nie an deren Erarbeitung beteiligt», sagt er. Als er die ausgeschriebene Stelle am Ostschweizer Zentrum für Gemeinden sah, war für ihn sofort klar, dass er diesen Job haben wollte – und dass ihn die Wissenschaft so praxisnah und am Puls der Gemeinden doch würde begeistern können. Den beruflichen Wechsel hat Patrick Aeschlimann nicht bereut. Nebst seinem Forschungsgebiet ist dafür vor allem Zwischenmenschliches ausschlaggebend. «Für mich sind es die Menschen, die die FHS ausmachen», sagt er. «Ob in der Kaffeepause, beim Weihnachtsessen oder im Lift, wie aus dem Nichts entstehen die überraschendsten Gespräche.» Auf einmal diskutierten ein Sozialpädagoge und eine Physikerin oder eine Professorin und ein Student über ein und dasselbe Thema. «So ergeben sich ganz neue Sichtweisen. Dies täglich erleben zu dürfen, ist für mich einzigartig.»

«WIE AUS DEM NICHTS ENTSTEHEN DIE SPANNENDSTEN GESPRÄCHE.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2020

Geglückter Start

in einer verrückten Zeit Andrea Sterchi

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emeinsame Ziele und achtsames Zusammenwirken sind ihr wichtig. Leistungsbereiche vernetzen und Handlungsspielraum bewahren setzt sie sich als Ziele. Seit dem 1. März 2020 ­leitet Yvonne Gassmann den Fachbereich Soziale Arbeit. Ihren Start an der FHS hat sie sich jedoch anders vorgestellt. Viele Menschen kennenlernen, Gespräche führen, ein Gespür für den Fachbereich und die Fachhochschule entwickeln – so hatte es Yvonne Gassmann geplant. Es kam ganz anders, als sie am 1. März offiziell als Leiterin des Fachbereichs Soziale A ­ rbeit und Prorektorin startete. In einer Zeit, in der die Corona-Pandemie das ­Leben auf den Kopf zu stellen begann. «Bei meiner ersten Führung durch die FHS durfte ich niemandem die Hand ­geben. Eine spezielle Situation», erzählt sie. Kurz darauf leerte sich der FHS-Turm, Homeoffice und Distance Learning wurden zum Alltag. Zeit zum Einarbeiten blieb ihr w ­ enig. «Wir mussten unter Zeitdruck entscheiden.» Trotzdem fühlt sie sich gut angekommen: Dank breit abgestützter Prozesse im Fachbereich und mit der Leitungskonferenz. «Viele kamen mit ihren Anliegen offen auf mich zu,

man traute mir etwas zu. Dieses Vorschussvertrauen tut gut und macht handlungsfähig.»

Die Rolle der Wegbegleiterin Yvonne Gassmann hat in Erziehungswissenschaft/Pädagogische Psychologie doktoriert, ihre Habilitation legte sie im Fach Erziehungswissenschaft/ Sozialpädagogik ab. Sie hat an Schweizer und deutschen Hochschulen doziert und geforscht, zuletzt an der EH Ludwigsburg. Wieso also der Wechsel nach St.Gallen? Die FHS als Mehrspartenhochschule mit vielfältigen Kompetenzen und der Fachbereich hätten eine passende Grösse. «Man kann etwas bewirken, ohne dass alles zu schwer­fällig und langsam ist, aber so, dass man gehört wird.» Als Fachbereichsleiterin obliegt ihr die Koordination des Leistungsauftrags – Lehre, Weiterbildung, Forschung, Dienstleistung –, sie ist verantwortlich für Strategieprozesse und die Geschäftsplanung, auch in der OST, in der sie die Leitung des Departements Soziale Arbeit und das Amt als stellvertretende Rektorin übernimmt.

Die 48-Jährige sieht sich als Wegbegleiterin, die Menschen auf ihrem beruflichen und akademischen Weg unterstützt. Gemeinsame Ziele und achtsames Zusammenwirken sind ihr ­wichtig. Dafür brauche es transparente und abgestimmte Kommunikationsund Entscheidungswege sowie eine ­Dialogkultur und Offenheit. Ihr geht es darum, die Leistungsbereiche gut zu vernetzen, damit sie voneinander profitieren. «So kann aus einem Forschungsprojekt etwas in die Lehre einfliessen, ein Weiterbildungsangebot oder eine Dienstleistung entstehen.» Zugleich steht sie für Freiheit von Forschung und Lehre. «Möglichst grosse Autonomie ist nötig. Es gilt, den Handlungsspielraum und die Entscheidungsfreiheit des Departements zu bewahren.» Ein Moment hat ihren Start geprägt: die Diplomfeier. Auch wenn sie ohne Gäste stattfand. «Die Diplomierenden haben mich beeindruckt. Sie gaben mir das Gefühl, dass wir an der FHS Menschen ganzheitlich ausbilden. Die thematische Breite und die innovativen, mutigen Themen der Abschlussarbeiten haben mir imponiert.»

«DIESES VORSCHUSSVERTRAUEN TUT GUT UND MACHT HANDLUNGSFÄHIG.»

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20 Jahre FHS St.Gallen – 2020

Yvonne Gassmann schätzt die FHS als Mehrspartenhochschule: «Man kann etwas bewirken, ohne dass alles zu schwerfällig und langsam ist.» (Foto: Bodo Rüedi)

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FHS St.Gallen – 20 Jahre

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FHS St.Gallen – 20 Jahre

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Persönlich – Zu Besuch bei Tamara und Thomas Bosshard

Zwei Alumni, ein Haushalt

und zig Gegensätze

Malolo Kessler

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amara und Thomas Bosshard haben zeitgleich Betriebsökonomie an der FHS studiert. Begegnet sind sie sich erst Jahre später. Heute verbindet die beiden Alumni die Leidenschaft fürs Unternehmertum und ein Ehering. Mit einer Reklamation, Flip-Flops und einem Wurst-Käse-Salat: So beginnt die Geschichte von Tamara Roderer und Thomas Bosshard. Es ist eine Geschichte, die keine klassische Liebesgeschichte ist. Eine, bei der zu Beginn einiges schiefläuft. Sieben Jahre nach ihrem ersten Treffen erzählen die beiden FHS-Alumni, was sie zusammengeführt hat und welche Erinnerungen sie ans Studium haben. Dort, wo sie sich zum ersten Mal getroffen und später auch geheiratet haben: in der Lok­ remise St.Gallen, bei einem Kaffee.

Verkuppelt vom Dozenten Das Alumni-Paar hat sich bei der Eröffnung des Fachhochschulzentrums im Sommer 2013 zum ersten Mal getroffen. Ihr Studium in Betriebsökonomie hatten beide damals schon länger abgeschlossen, fast zeitgleich und ohne sich jemals gesehen zu haben. «­Thomas war eben eher weniger oft anwesend gewesen», sagt Tamara Bosshard, lacht. Am Anlass in der Lokremise wurden die

beiden von FHS-Dozent Walter Hagmann einander vorgestellt und fanden rasch heraus, dass sie indirekt schon einmal miteinander zu tun gehabt hatten. Thomas Bosshard hatte zuvor mit seinem Unternehmen einen Wirtschaftspreis gewonnen, eine Weiter­ bildung am KMU-Institut der HSG, an dem Tamara Bosshard damals arbeitete. Sie fragte ihn also an diesem Tag in der Lokremise, wie die Weiterbildung war – und er liess kein gutes Haar daran. Überhaupt nicht. «Was mir gar nicht passte und mir keine Ruhe liess», erzählt Tamara Bosshard. ­Wegen der Reklamation nahm sie Tage später Kontakt mit ihm auf, sie verabredeten sich zu einem Spaziergang bei den Drei Weieren. «Er, der Unternehmer, den ich nur in Schale kannte, kam in Flipflops, mit kurzen Hosen. Und ich viel schicker», erzählt Tamara Bosshard. Und es ging so unglücklich weiter: Eine Frau mit Hund spazierte an den beiden vorbei, Thomas Bosshard sagte, er möge keine Menschen mit

­ unden. T H ­ amara Bosshard dachte an ­ihren Hund Diego, den sie daheim gelassen hatte. Im «Scheitlinsbüchel» kehrten sie ein, Tamara Bosshard bestellte einen Salat und ein Rivella Blau und sagte, sie trinke keinen Alkohol. ­Thomas Bosshard dachte: «Ja, bravo» und an den Weinkeller bei sich daheim, während er ein Bier trank und einen grossen Wurst-Käse-Salat ass. Und doch: Irgendwann an diesem Abend im «Scheitlinsbüchel» entdeckten sie eine Gemeinsamkeit: dass beide New York mögen. «Und von da an ging es schnell», sagt Thomas Bosshard. Etwas mehr als acht Monate später machte er ihr in der Metropolitan Opera in New York einen Antrag, 2015 heirateten sie in der Lokremise. Einer der Ehrengäste: FHS-Dozent Walter Hagmann.

Die Welt der KMU Dass sich die beiden nicht früher begegnet sind, ist nicht nur seltsam, weil beide fast zeitgleich dasselbe studierten. Sie bewegten sich auch beide

ES IST EINE GESCHICHTE, DIE KEINE KLASSISCHE LIEBES­GESCHICHTE IST. EINE, BEI DER ZU BEGINN EINIGES SCHIEFLÄUFT.

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Persönlich – Zu Besuch bei Tamara und Thomas Bosshard

Tamara und Thomas Bosshard in der Lokremise, wo sie sich am Eröffnungsfest der FHS St.Gallen kennenlernten und später heirateten. (Foto: Bodo Rüedi)

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Persönlich – Zu Besuch bei Tamara und Thomas Bosshard

Zeit ihres Lebens in der Ostschweiz. Tamara Bosshard ist im St.Galler ­ ­Museumsquartier mit einer Schwester aufgewachsen, besuchte dort die Wirtschaftsmittelschule und begann nach dem Abschluss am KMU-Institut der HSG zu arbeiten. «In diesem Umfeld bekam ich extrem Lust, selbst zu studieren», erzählt sie. «Mich reizte aber das Praxisorientierte an der FHS. Ich bin keine Wissenschaftlerin.» Und so begann sie, zwischen den Hochschulen zu pendeln: Sie arbeitete weiter an der HSG, studierte Betriebsökonomie an der FHS. Etwas weniger urban – oder in ­seinen Worten: «in der Pampa» – aufgewachsen ist Thomas Bosshard. Er verbrachte seine Kindheit in der Oberen Hueb in Herisau, gemeinsam mit e­ iner Schwester und einem Bruder. «Ich bin mit sehr viel Urvertrauen aufgewachsen, hatte oft Glück im Leben.» Die Welt der KMU war ihm schon damals nah: «Mein Vater erzählte uns beim Znacht immer vom Geschäft, das war spannend.» Thomas Bosshard ging nach einer KV-Lehre mit Berufsmatura ins Militär, schlug sich anschliessend etwa ein Jahr in New York durch, bis ihm das Geld ausging. Wieder in der Ostschweiz zurück, begann er das Studium an der FHS und schloss ein Jahr früher als Tamara Bosshard ab. Seit 2010 führt er gemeinsam mit seinem Bruder das Familienunternehmen, die Oertli In­strumente AG in

Berneck. Das KMU mit 200 Mitarbeitenden produziert und vertreibt weltweit Geräte für die Augenchirurgie. Tamara Bosshard wechselte nach 14 Jahren am KMU-Institut als Assistentin des CEO zur Hälg Group, die schweizweit Gebäudetechnikprojekte realisiert. Beide sprechen von sehr fordernden Aufgaben – etwas, das sie eint. Unternehmertum, Weiterbildung, Engagement, Wertschöpfung in der Ostschweiz, das ist ihnen wichtig. Auch auf die Studienzeit schauen sie mit ähnlichen Gefühlen zurück. Für beide steht ausser Frage, dass sie den Alumni angehören. «Ich würde hundert Mal wieder die FHS wählen. Die FHS ist down to earth», sagt Thomas Bosshard, im Appenzeller-Hinterländer-Dialekt, wie so oft gespickt mit Anglizismen. «Das Einzige, was mich rückblickend irritiert hat: Wir wurden stets als angehende Führungskräfte angesprochen. Aber Führung lernt man nicht an einer Hochschule, sondern on the job. You have to earn it.»

Ins Ziel geschafft Während Tamara und Thomas Bosshard an diesem Nachmittag ihre Geschichte erzählen, könnte nicht deut­ licher werden, dass sich in ihrem Fall die redensartlichen Gegensätze anziehen. Sie ist kontrolliert, er extrovertiert. Sie ist im Alltag und im Gespräch strukturiert und gradlinig, er springt

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hin und her, spricht wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Während er Gas gibt, bremst sie, während sein Glas halb voll ist, ist ihres halb leer. Thomas Bosshard sagt, er sei ein «Gadget-­Fuzzi», flog einst Sportflugzeuge, machte eine Weinsommelier­ ausbildung, ist Passivsport-Fan und Hobby-Schlagzeuger. Tamara B ­ osshard

FHS ALUMNI Die Ehemaligen-Organisation der FHS St.Gallen ist ein starkes und aktives Netzwerk von rund 3000 Alumni sowie aktuell Studierenden, die untereinander und mit der Hochschule verbunden bleiben. Kontakte pflegen und neue knüpfen, innerhalb des eigenen Fachbereichs sowie interdisziplinär wird mit dem Zusammenschluss zur neuen «OST – Ostschweizer Fachhochschule» per 1. September noch vielfältiger. Die drei Alumni-Organisationen AlumniHSR, Club Alumni NTB und FHS Alumni haben ein gemeinsames Projekt gestartet, wie in der neuen OST das Alumniwesen organisiert werden soll. Wir halten euch auf dem Laufenden! www.fhsalumni.ch


Persönlich – Zu Besuch bei Tamara und Thomas Bosshard

INS ZIEL SCHAFFTEN SIE ES AN IHREM ERSTEN GEMEINSAMEN MARATHON TROTZ ODER GERADE DANK IHRER GEGENSÄTZE. konzentriert sich darauf, in ihrem Leben die sechs grossen Marathons der Welt zu laufen. Berlin und New York hat sie bereits geschafft. Bei Letzterem ist 2016 auch ihr Ehemann mitge­ laufen. «Ich hatte mir gesagt, dass ich seckle, bis ich nicht mehr mag. Das war leider ziemlich bald. Es hat mich fast verrissen – Tamara war ziemlich besorgt, mich  butzt’s    », erzählt Thomas Bosshard. «Er ist auch losgerannt als wäre die Polizei hinter ihm her, nicht sehr durchdacht», ergänzt seine Frau. Beide lachen, wie so oft, er legt den Arm um ihre Schultern. Ins Ziel schafften sie es an ihrem ersten gemeinsamen Marathon trotzdem. Oder gerade deswegen, eben weil sie sich durch ihre Gegensätze ergänzen.

ganzen Gender-Themen etwa stehen für uns völlig ausser Frage, Pluralität schafft Kreativität.» Seit dreieinhalb Jahren wohnen sie in einer Eigentumswohnung in Appenzell. Wobei es ihn schon ein bisschen Überwindung gekostet habe, die Kantonsgrenze ins Innerrhodische zu überwinden, erzählt Tamara Bosshard, beide lachen. «Jetzt ist er der grösste Fan von Appenzell, den es überhaupt gibt.» Und noch etwas Wesentliches hat sich seit dem ersten Spaziergang der beiden auf Drei Weieren geändert: Thomas ­Bosshard mag heute Menschen mit Hunden nicht nur, er ist selbst ein Hundeliebhaber geworden. Diego, der Hund von Tamara Bosshard, ist auch in Appenzell eingezogen.

«Pluralität schafft Kreativität»

Alumni-Events September Networking-Tag 2020 «Wie viel Erde braucht der Mensch?» Im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie Freitag, 4. September 2020, 13 Uhr St.Gallen

Oktober Workshop «Get Creative» – visuelles Präsentieren und Auftreten Freitag, 2. Oktober 2020, 13 Uhr St.Gallen Warum der nächste Google aus der Schweiz kommt – Einblicke in die Schweizer Start-up-Szene Mittwoch, 21. Oktober 2020, 18 Uhr St.Gallen

November Umwelt Arena: Nachhaltigkeit im Alltag Dienstag, 3. November 2020, 18 Uhr Spreitenbach Informationen zur Durchführung der Alumni-Veranstaltungen: www.fhsalumni.ch/veranstaltungen

Was die beiden teilen, sind ihre wichtigsten Werte: Toleranz, Freiheit, Grosszügigkeit, Pluralität. «Wir sind beide sehr tolerant, also in Bezug auf Gesellschafts- und Lebensformen. Die

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FHS St.Gallen – Stimmen aus Politik, Wirtschaft & Gesellschaft

«Ich erwarte von der Fach­ hochschule nebst dem ­aktuellen evidenzbasierten Wissen auch das Lehren von praktischen ­Anwen­dungen. Allein unser Wissen hilft Patient*innen und ihren Angehörigen nicht weiter. Sie erwarten von uns, dass wir als angehende Fach­per­sonen die Theorie in die Praxis umsetzen können, um sie bestmöglich und pro­ fessionell zu pflegen. Nur so bin ich für den Berufsall­ tag gut ausgerüstet.» Afrash Malik, Bachelor-Studentin Pflege

«Wir benötigen ein fachlich starkes Ausbildungsangebot, um den Menschen in der Ostschweiz wertvolle Berufs­ chancen zu eröffnen. Damit erhöhen wir die Attraktivität einer ganzen Region mit ­ihren Herausforderungen. Doch wie sagte es Albert Schweitzer so treffend: ‹Das Wissen hat Grenzen. Das Denken nicht!›. Deshalb sind gerade auch Fachhochschu­ len wichtige Zwischen­ etappen auf einem endlosen persön­lichen Entwick­ lungsweg.»

«Die FHS St.Gallen ist ge­fordert, den Spagat ­zwischen der Praxisanfor­ derung einerseits und ­gleichzeitig aktuell aner­ kanntem Hochschul­wissen andererseits zu ­schaffen. ­Zudem muss die FHS St.Gal­ len nicht nur fachliche ­Kompetenzen ­vermitteln, sondern auch eine Weitsicht über die ­verschiedenen ­Dis­ziplinen ­hinaus bei den ­Studierenden erzeugen. Aus Sicht der ­Wirtschaft ist die Fachhochschule ein wichtiges Standbein der dualen Berufs­ bildung und damit für die Ausbildung von qualifizierten Fachkräften.» Dr. Cornelia Gut-Villa, Geschäftsführerin Stiftung Startfeld

Christian Lohr, Nationalrat CVP Thurgau

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OST – Ausblick mit Daniel Seelhofer

Aus Drei wird Eins Die Fachhochschulen FHS St.Gallen, HSR Rapperswil und NTB Buchs schliessen sich per 1. September 2020 zur OST – Ostschweizer Fachhochschule zusammen. Ein Gespräch mit Rektor Daniel Seelhofer über seine Antritts­ besuche, die Bedeutung von Fachhochschulen für die Ostschweiz und seine ­persönlichen Ziele als Rektor. Interview: Willi Meissner, Lea Müller Sie sind mit dem Ziel angetreten, jede Hand an der FHS, HSR und NTB mindestens einmal zu schütteln. Haben Sie es geschafft? Daniel Seelhofer: Noch nicht ganz. Ich habe bislang etwa 95% der ­zukünftigen OST-Mitarbeitenden ken­ nengelernt. Ob ich die restlichen Hände auch noch schütteln darf, wird sich zeigen. In der aktuellen ­Situation ist das leider schwierig. An meinem Anspruch, möglichst alle Mitarbeitenden persönlich zu ken­ nen, hat sich aber nichts geändert.

Welche Synergien ­und gegenseiti­ gen «Verstärker» haben Sie bei Ih­ ren Antrittsbesuchen in St.Gallen, Rapperswil und Buchs erkannt? Seelhofer: An allen drei Stand­orten hat mich der ausgeprägte Berufs­ stolz auf sämtlichen Stufen sehr beeindruckt. Ich stelle auch eine ausgesprochene Qualitäts- und Ziel­ orientierung fest. Insgesamt ergän­ zen sich die Standorte exzellent. Durch den Zusammenschluss wird das Leistungsportfolio abgerundet und noch interessanter.

Drei Standorte, eine Hochschule. Wie funktioniert das in der Praxis? Seelhofer: Ein departements- und standortübergreifender Austausch ist sehr wichtig. Das funktioniert in der aktuellen Fusionsphase bereits wie selbstverständlich, indem zum

Beispiel Projektsitzungen rotierend an den Standorten stattfinden. Zu­ künftig werden wir auch vermehrt standortübergreifende Studien­ gänge anbieten. Die OST-Kultur ent­wickelt sich mit der Zeit, aber an jedem Standort soll auch eine ge­ wisse eigen­ständige Kultur beibe­ halten werden. Das ist normal und macht das standortübergreifende Arbeiten ja auch interessant.

Was muss eine Fachhochschule leisten? Seelhofer: Eine Fachhochschule schafft Lösungen. Im Gegensatz zu einer Universität, die oft auch Grundlagenforschung betreibt, de­ ren Nutzen möglicherweise erst in der Zukunft klar wird, ist eine Fach­ hochschule inhärent anwendungs­ orientiert. Dies zieht sich durch alle Leistungsbereiche hindurch. Sie befähigt Studierende, direkt in anspruchsvolle Berufe einzu­ steigen. Die hohe Quote an Stu­ dierenden, die unmittelbar nach dem Studium eine Stelle finden, spricht Bände. Die anwendungs­ orientierte Forschung und Ent­ wicklung – der Name sagt es schon – sowie die Dienstleistungen stel­ len konkrete Problemlösungen in den Vordergrund. Somit schafft eine Fachhochschule einen sehr di­ rekten Nutzen für die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft und hat eine

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Daniel Seelhofer, Rektor der OST

dementsprechend hohe Bedeutung, gerade auch für die Ostschweiz als eher strukturschwache Region.

Was sind Ihre persönlichen Ziele als Rektor der OST? Seelhofer: Ich habe die Vision einer fairen, transparenten Fachhoch­ schule, an der die Mitarbeitenden mit Herzblut und Professionalität bei der Sache sind, an der alle am gleichen Strang ziehen und sich ge­ genseitig Vertrauen und Verständ­ nis entgegenbringen. Sie sollen unter anderem durch den wechsel­ seitigen, auch departementsüber­ greifenden Austausch beflügelt und zu Höchstleistungen motiviert wer­ den. Studierende sollen im Nach­ hinein zurückblicken und sagen: «Das war es wirklich wert!». Und Kunden und Forschungspartner sollen so zufrieden sein, dass sie wieder mit uns zusammenarbeiten. Lesen Sie das ausführliche Interview unter: www.fhsg.ch/substanz


FHS St.Gallen – 20 Jahre

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FHS St.Gallen – 20 Jahre

Impressum Herausgeberin FHS St.Gallen, Hochschule für ­Angewandte Wissenschaften, St.Gallen. ­Redaktion Lea Müller (Chefredaktion und Projekt­leitung), ­Andrea Sterchi (stv. Leitung), Jasmina ­Henggeler, Basil Höneisen, Christian Jauslin, Claudia Z ­ üger. Weitere Auto­ rinnen und ­ Autoren dieser Ausgabe Ludwig H ­ asler, Malolo Kessler, Marion ­Loher, Willi Meissner, Nina Rudnicki, Nathalie Schoch. Bildkonzept «20» Redaktion substanz, FHS St.Gallen. Fotografie Bodo Rüedi, St.­Gallen. Grafik/­Layout Milena Bieri, FHS St.Gallen. Illustration Kolumne Philip Meuli, St.Gallen. Korrektorat/Vorstufe/Druck Schmid-Fehr AG, Goldach. Inserate MetroComm AG, 9001 St.Gallen, +41 71 272 80 57 Auflage 7500 Exemplare. Erscheint zwei Mal jährlich, ISSN-­ Nummer: 2297-4806 Abonnemente substanz@fhsg.ch, www.fhsg.ch/ substanz Kontakt FHS St.Gallen, Redaktion ­Substanz, Rosenbergstrasse 59, Postfach, 9001 St.Gallen, +41 71 226 16 04, substanz@fhsg.ch ­Anmerkung Die Beiträge im «substanz» ent­ sprechen dem Leitfaden für die sprachliche Gleich­stellung der FHS St.Gallen. Wird aus Platzgründen nur die männliche Form verwendet, ist die weibliche Form immer mit eingeschlossen.

PERFO RMAN CE

neutral Drucksache No. 01-20-562022 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership

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Schlusspunkt – Kolumne

Köpfe! Für originelle Ideen. Für unerhörte Lösungen. Für humorvolle Entkrampfungen.

Alles begann in einem Kopf

Ludwig Hasler, Publizist und Philosoph Kurz vor Corona hörte ich: Autobauer schicken vermehrt wieder Menschen in ihre vollautomatisierten Fertigungshallen. Weil es mit den Automaten harzt? Oh nein, es läuft glatt. Zu glatt! Maschinen funktionieren perfekt, sie machen keine Fehler, sie wissen gar nicht, was das ist, ein F ­ ehler. Bloss fällt ihnen aus dem­ selben Grund nichts ein, was die Abläufe erneuern, schlauer machen könnte. Ganz anders wir Menschen. Wir sind nie ganz dicht. Wir hängen ­unseren Flausen nach, sind leicht abzulenken, langweilen uns rasch, werden ungeduldig. Darum produzieren wir laufend Fehler – und werden innovativ. Gerade weil wir nicht dicht sind, haben wir Poren – für Träume vom Schlaueren, Lustigeren, Eleganteren.

Darum liegt die Redaktion «substanz» goldrichtig. Sie präsentiert 20 Jahre FHS mit 20 Köpfen. Sie hätte auch die Geschichte der Institute nachzeichnen können, die Explosion der Aufgaben, die Fülle der Erfolge. ­Alles interessant. Und doch begann alles in einem Kopf. Jeder Kopf hat so um 85 Milliarden Hirnzellen. An der Hardware mangelt es also nie. Fragt sich nur, womit wir sie füttern. Das unterscheidet die Köpfe. Aus dem einen kommt nichts als ausgeleierter Wissenskram. Aus einem anderen springt plötzlich eine Idee, die zunächst selbstverständlich für eine Schnapsidee gehalten wird. Wir können Ideen nicht zwingen, sie verhalten sich gerne zickig, sie wollen verführt, nicht geplant werden, sie tauchen meist nebenher auf, wenn wir mal Urlaub vom Problem­ lösen machen, beim Musizieren, beim Weintrinken, beim Vertiefen in Erkenntnisse «entlegener» Wissenschaften wie Ornithologie oder Robotik. So agiert, kurz gesagt, ein Kopf, jedenfalls nicht auf vorgespurten Geleisen. An Hochschulen schon gar. Manche sehen in ihnen den Hort des Wissens, so etwas wie die Generalagentur zur

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Weitergabe von Kenntnissen. Dazu, finde ich, reichte eine Mediathek. Eine Hochschule muss Wissen nicht horten, sondern neu erzeugen – durch Beobachtung und kritisches Denken. Verfügbares Wissen ist ein Kind von gestern. Darum hat es den Rang sanktionierten Wissens. Und eben darum ist es unfähig, uns die Gegenwart zu erhellen. Die ist nämlich stets wieder neu und rätselhaft, siehe Pandemie. Von der Zukunft nicht zu reden. Also brauchen wir die junge Kraft des Denkens. Wir brauchen Köpfe mit neuen Ideen, die bereit sind, überliefertes Wissen anzuzweifeln statt nachzubeten. Wir brauchen Köpfe, die sehen, was jeder sieht, dabei aber denken, was noch keiner gedacht hat. Wir brauchen Menschen, die intuitiv erkennen, dass der von allen gesuchte Weg von A nach C nicht über B führt, sondern über Q oder X. Das verlangt etwas ganz anderes als ­Wissen – Mut. Ohne Mut kein frisches Denken. Ohne frisches Denken kein Wissen für morgen. Es mag in vielen Ohren komisch tönen: Wissenschaftliches Denken ist letztlich Charaktersache. In digitalen Zeiten erst recht. Sonst geraten wir zum Hanswurst von D ­ aten, die vorgestern erhoben wurden. Hauptsache, Köpfe? Na ja, das Herz packen wir auch noch dazu.


Aus

Drei wird

Eins. Die drei Fachhochschulen FHS St.Gallen, HSR Rapperswil und NTB Buchs schliessen sich per 1. September 2020 zur OST –  Ostschweizer Fachhochschule zusammen. Ab 2021 wird ein gemeinsames Hochschulmagazin die bisherigen Magazine ablösen. Wir freuen uns, Sie weiterhin zu unseren Leserinnen und Lesern zählen zu dürfen! Falls Sie das neue OST-Magazin lieber digital lesen oder nicht erhalten möchten, füllen Sie bitte die beiliegende Antwortkarte oder das Online-Formular unter www.fhsg.ch/ost-magazin aus.

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