Artikel 16: Der Europäische Gasmarkt im Umbruch

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Der Europäische Gasmarkt im Umbruch Mit fast einem Viertel am Gesamtenergieverbrauch spielt Gas eine sehr wichtige Rolle in Europa1. In einigen europäischen Ländern, wie z.B. in Italien oder Großbritannien beträgt der Gasverbrauch am Gesamtenergieverbrauch sogar 36 % bzw. 33%. Europa hat einen Anteil von über 40% an den weltweiten Gasimporten. Die Gaspreise sind deshalb von zentraler Bedeutung einerseits für die europäische Wirtschaft und andererseits für die Verbraucher im privaten Sektor. Die EU hat schon in den 1990er Jahren rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen um den Gasmarkt zu liberalisieren, auch mit dem Ziel die Europäische Wirtschaft konkurrenzfähig zu erhalten und für die Endverbraucher niedrigere Preise zu gewährleisten. Was sind die Auswirkungen dieses Liberalisierungsprozesses und welche anderen Faktoren haben in den vergangen Jahren dazu beigetragen, dass es bei der Gaspreisbildung zu beträchtlichen Veränderungen gekommen ist? Graph 1

Europa: Primärenergieverbrauch nach Energieträger 2013 (Anteil in %) 6,2 7,0 35,3

11,0

16,9

Erdöl Gas Kohle Atomenergie Wasserkraft Erneuerbare Energie

23,6

Quelle: BP Statistical Review of the World Energy

Schon seit Anfang der 1970er Jahre konnte die Gasproduktion in Europa nicht mehr mit dem Gasverbrauch Schritt halten und Europa musste als Folge dieser Entwicklung Gas importieren. Die Gasimporte sind seit damals ständig gestiegen. In diesem Zusammenhang ist es immer wieder zur Diskussion über die Importabhängigkeit und die Energiesicherheit gekommen, da der größte Teil des importierten Gases aus nur wenigen Ländern kommt. Erst seit 2009 ist es als Folge der Wirtschaftskrise zu einem leichten Rückgang des Verbrauchs und entsprechend auch zu sinkenden Gasimporten gekommen (siehe Graph 2 und Graph 3). 1

Europa inkludiert die Europäischen OECD-Länder


Graph 2

Der größte Teil des importierten Gases wird über Pipelines nach Europa importiert, jedoch ist der Anteil an LNG2-Importen in den vergangen Jahren stark gewachsen. Das wichtigste Land ,aus dem Gas importiert wird, ist Russland mit einem Anteil von 32,7% im Jahre 2013, gefolgt von Norwegen mit 20,2%, den Niederlanden mit 11,6% und Algerien mit 6,6%. LNG-Importe machen 11,7% aus und der Anteil von Pipeline-Importen aus anderen Ländern beträgt 17,2%. Wenn sich auch die Anzahl der Länder vergrößert hat, so ist Europa nach wie vor stark von einigen wenigen großen Gasexportländern, allen voran Russland, abhängig. Die Gaspreise wurden seit den 1970er Jahren in langfristigen Verträgen zwischen den Exportländern und den großen Gasimporteuren, die meist im Strom- oder Energiesektor tätig sind, wie z.B. Eni und Enel in Italien, GDF Suez in Frankreich oder E.ON und RWE in Deutschland, festgelegt. Die Erlöse aus den Gaspreisen sollten einerseits dazu beitragen die Erdgasfelder zu erschließen, was durch langfristige Verträge (25 bis 35 Jahre) gewährleistet war. Die Preisgestaltung sollte außerdem gewährleisten, die Erträge für die Fördergesellschaften zu maximieren und zudem Gas konkurrenzfähig mit anderen Energieformen zu machen. In den 1970er Jahren waren das vor allem Erdölprodukte wie Schweröl und leichtes Heizöl, deshalb wurden die Gaspreise an die Erdölpreise gekoppelt. Diese Art der Preisbindung hat sich in Europa bis in die Gegenwart gehalten, allerdings wird Gas seit einigen Jahren auch auf Basis von Spotoder Marktpreisen gehandelt. Inzwischen ist vor allem im Elektrizitätsgewinnungssektor Kohle ein Konkurrenzprodukt zu Gas und nicht mehr Erdölprodukte. Deshalb argumentieren viele Analysten, dass es sinnvoller sei, die Gaspreise an die Kohlepreise zu koppeln.

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LNG ist verflüssigtes Gas. Es wird in einer Gasverflüssigungsanlage auf -164 °C abgekühlt und unter atmosphärischem Druck verflüssigt, so dass das ursprüngliche Volumen des Erdgases auf ein Sechshundertstel reduziert wird. LNG wird dann in LNG-Tankern transportiert. Im Importland wird das Gas in speziellen LNG-Terminals wieder in seinen gasförmigen Zustand zurückversetzt bevor es in die Verteilerpipelines eingespeist wird.


Graph 3

Im Unterschied zu Erdöl gibt es keinen globalen Gasmarkt, sondern regionale Märkte, wobei die wichtigsten drei Märkte der US-, der Europäische und der Asiatische Markt sowie vor allem der Japanische Markt sind. Der Hauptgrund für das Fehlen eines globalen Marktes ist darin zu sehen, dass Gas im Unterschied zu Erdöl hinsichtlich seines Transportes nicht so flexibel ist wie Erdöl. Gas wird zu einem großen Teil über regionale Pipelines befördert. Allerdings hat der Transport mittels LNG-Tanker stark zugenommen und wird laut neuesten Prognosen in Zukunft weiter zunehmen. Das könnte mittel- bis langfristig in Richtung einer Globalisierung der Gasmärkte führen. Die Preisgestaltung ist in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich.

Graph 4


Bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts zeigten die Preise in den USA, in Europa und in Japan einen ähnlichen Verlauf und folgten dem Trend der Erdölpreise. Seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts kam es jedoch zu einer divergierenden Entwicklung der Gaspreise in den verschiedenen Regionen (siehe Graph 4). Als Folge der steigenden Schiefergasproduktion sanken die Gaspreise in den USA stark und folgten nicht mehr dem Trend der Erdölpreise. Der amerikanische Gasmarkt ist vollständig liberalisiert und die Gaspreise bilden sich nach den Marktgegebenheiten basierend auf Angebot und Nachfrage. Gas kostet in den USA nur ungefähr die Hälfte wie in Europa und macht nicht einmal ein Drittel der LNG-Preise in Japan aus. Als Folge der steigenden Erdölpreise kam es in den vergangenen 10 Jahren bei den an das Erdöl gekoppelten Gaspreisen zu massiven Preissteigerungen.

Abbildung 1 Europa: Die wichtigsten Gas Hubs und Gasimport-Ströme

Der Liberalisierungsprozess des Gasmarktes nahm in Großbritannien bereits in den 1990er Jahren seinen Anfang. 1996 kam es zur Gründung des NBP (National Balancing Point) einem sogenannten „Gas Hub“3, an welchem Gas gehandelt wird, wobei sich die Preise nach Angebot und Nachfrage richten. Im vergangenen Jahrzehnt wurden auch in anderen Europäischen Ländern Gas-Hubs gegründet. Vor allem die Nordwesteuropäischen Hubs sind durch Pipelines miteinander verbunden, was einen Handel zwischen den einzelnen Hubs ermöglicht.

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Ein Gas „Hub“ ist ein virtueller Transaktionspunkt, an dem Gas gehandelt wird. Hierbei bilden sich die Preise nach Angebot und Nachfrage. Die Marktteilnehmer an den Hubs sind LNG- und Pipeline-Gas-Anbieter, große Elektrizitätsgesellschaften oder große Industriebetriebe, die Gas benötigen, aber auch Finanzinvestoren, die Hedgegeschäfte abschließen. An den Gas-Hubs wird Gas wie an einer Börse gehandelt. Neben Spotgeschäften, werden an den Hubs auch „Futures“-Geschäfte abgewickelt.


Der Gashandel an den Europäischen Hubs hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. An erster Stelle steht der britische Gas Hub NBP, gefolgt von TTF in den Niederlanden. 2013 kam es in Folge sinkender Nachfrage zu einer Verringerung des gehandelten Volumens. Laut neuesten Zahlen kann im Jahre 2014 wieder mit einem Anstieg an den meisten Europäischen Hubs gerechnet werden.

Graph 5

Der Preis, zu dem an den Hubs gehandelt wird, richtet sich nach Angebot und Nachfrage. Als Folge der Schiefergasrevolution nahm die Gasproduktion in den USA stark zu und die Gaspreise sanken. Zudem wurde nun LNG, das ursprünglich in die USA exportiert werden sollte, nach Europa exportiert und zwar zu wesentlich niedrigeren Markt- oder Spotpreisen als die vertraglich festgelegten Preise. Als Folge der Wirtschaftskrise kam es zu einem Rückgang des Gasverbrauchs in Europa, was sich entsprechend auf die Preise an den Hubs auswirkte. Fazit war, dass die HubPreise und die Vertragspreise immer mehr auseinanderklafften. Die großen Gasimporteure erlitten infolge der sehr hohen, an den Erdölpries gekoppelten Vertragspreise, hohe finanzielle Einbußen, da sie das Gas zu Marktpreisen an die Endverbraucher weiterverkaufen mussten. Sie versuchten die Verträge mit den Gas-Exportländern neu zu verhandeln mit dem Ziel, die Gaspreise nicht mehr an die Erdölpreise zu koppeln, sondern Marktpreise als Basis für die Gaspreisbildung heran zuziehen. Auch die EU machte Druck, um die Gaspreise konkurrenzfähiger zu machen und so einerseits die Europäische Wirtschaft zu stärken und andererseits den Endverbrauchern im Strom- und Heizungssektor niedrigere Preise zu gewährleisten. Durch die niedrigen Gaspreise hatten amerikanische Firmen, die in energieintensiven Sektoren tätig waren, wie z. B. im Stahlsektor oder im Chemiesektor, einen großen Vorteil gegenüber den Europäischen Firmen. Zusätzlich gab es infolge niedriger Kohlepreise im Elektrizitätsgewinnungssektor starken Konkurrenzdruck auf die Gaspreise Die Niederländischen Gasgesellschaften und Statoil (Norwegen) waren als erste bereit, neue Gaslieferverträge auszuhandeln oder die bestehenden


Verträge zu adaptieren, und die Erdölpreise nur mehr teilweise oder überhaupt nicht mehr als Basis zur Gaspreisbildung heran zu ziehen. Inzwischen hat auch Russland einige Verträge neuverhandelt und Marktpreise als Basis der Preisbildung akzeptiert oder zumindest niedrigere Gaspreise angeboten4.

Graph 6

Wie aus Graph 6 ersichtlich, ist der Anteil der Gaspreise, die sich an den Marktpreisen orientieren von circa 15% im Jahre 2005 auf über 50% im Jahre 2013 gestiegen und parallel dazu hat sich der Anteil der Gaspreise, die an den Erdölpreis gekoppelt sind, von über 75% im Jahre 2015 auf weniger als 50% verringert. In Nordwesteuropa spielen Marktpreise mit circa 80% eine weit größere Rolle als in den Mittelmeerländern. Ein Grund dafür ist, dass die Liberalisierung der Gasmärkte in Nordwest-Europa viel weiter fortgeschritten ist und die Gas-Hubs eine viel stärkere Rolle spielen als im Süden. Es sei hier darauf hingewiesen, dass der Gasmarktpreis nicht immer niedriger sein muss als der an den Erdölpreis gekoppelte Vertragspreis. In Zeiten sehr niedriger Erdölpreise kann der Marktpreis auch über dem Vertragspreis liegen (siehe Graph 4). Es ist zu erwarten, dass in Zukunft noch mehr Verträge auf Basis von Marktpreisen abgeschlossen werden. Viele Analysten gehen jedoch davon aus, dass ein Teil des importierten Gases auch in Zukunft auf Basis langfristiger Verträge und unter Zugrundelegung einer Koppelung an den Erdölpreis oder vielleicht auch an Kohlepreise abgeschlossen werden. Ein wichtiger Vorteil langfristiger Lieferverträge besteht darin, dass sie einerseits mehr Liefersicherheit für die importierenden Firmen bieten und andererseits für die Exportländer eine längerfristige Planung der Investitionen möglich machen. Ein wichtiger Punkt, der in Gasliefer-Verträgen mehr berücksichtigt werden sollte, ist die Gewährung einer größeren Flexibilität der Gaspreise durch Berücksichtigung der jeweiligen Angebots- und Nachfrage-Situation am Gasmarkt. 4

Im Mai 2014 gelang es dem italienischen Energiekonzern Eni einen Gasliefervertrag mit der Russischen Gasgesellschaft Gazprom neu zu verhandeln, bei dem Marktpreise als Basis herangezogen wurden.


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