Ist Atomstrom verzichtbar? Die Atomkatastrophe von Fukushima in Japan im Jahre 2011 hat von neuem eine breite Diskussion über die Gefahren der nuklearen Stromgewinnung hervorgerufen. Als Folge dieser verheerenden Katastrophe haben einige Länder wie zum Beispiel Deutschland beschlossen, ihre Pläne zum Ausbau ihres Atomprogramms zu stoppen und stufenweise ihre Atomkraftwerke zu schließen. Wird der Anteil von Atomstrom am Gesamt-Stromverbrauch, der derzeit weltweit circa 15 % beträgt, in Zukunft sinken oder steigen? Graph 1
Weltweite Entwicklung der Atomkraftwerke und Kapazitäten 1954-2013
(Gigawatt) 400 350 300
(Anzahl) 500
Kapazität(GW)
450
Anzahl der aktiven Atomkraftwerke
400 350
250
300
200
250
150
200 150
100
100
50 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
0
50 0
Quelle: Internationale Atomenergie Agentur (IAEA) Die zivile Nutzung der Atomenergie in Atomkraftwerken begann um die Mitte der 1950er Jahre. Im Jahr 1957 wurde zum Zwecke der friedlichen Nutzung der Kernenergie die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) gegründet. In den folgenden Jahrzehnten wurden in vielen Industriestaaten Atomkraftwerke gebaut und deren Leistung pro Reaktor wuchs schnell an. Seit den 1970er Jahren kam es in vielen Ländern zu Anti-Atomkraft-Bewegungen, da viele Bürger wegen der großen Risiken die zivile Nutzung der Atomenergie ablehnten. Die zwei Erdölschocks mit drastisch ansteigenden Erdölpreisen in den 1970er Jahren ließen die Atomenergie weiter stark anwachsen, obwohl Erdöl sowohl damals als auch heute bei der Elektrizitätsgewinnung eine untergeordnete Rolle spielt. Der Atomunfall im Kernkraftwerk Three Mile Island in den USA 1979 sowie die Katastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 machten die Gefahren und Risiken von Kernkraftwerken für Bevölkerung und Natur deutlich. Seit Ende der 1980er Jahre verlangsamte sich der Ausbau der Atomkraft deutlich. Infolge der niedrigen Zuwachsraten sowie
der Stilllegung von Reaktoren, insbesondere nach der Katastrophe von Fukushima, betrug die Anzahl der Kernkraftwerke weltweit im Jahr 2013 434 mit einer installierten Leistung von 372 GW 1.
Graph 2
Mit circa 100 Kernkraftwerken stehen die USA an der Spitze, gefolgt von Frankreich mit fast 60 Atomkraftwerken und Japan mit knapp 50. Dann folgen Russland, Südkorea, China und Indien. Obwohl an der Spitze drei OECD-Staaten liegen, so zeigt sich doch, dass die wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländer Russland, China und Indien auch an vorderster Stelle stehen. Auffallend ist auch, dass Länder mit einem großen Potential an fossilen und erneuerbaren Energiereserven und Ressourcen wie zum Beispiel Russland, Brasilien, Mexiko und Iran, Atomenergie nutzen. 1 IAEA- International Atomic Energy Agency , Nuclear Power Reactors in the World 2014 edition
Graph 3
Anzahl der im Im Bau befindlichne Atomkraftwerke: 71 China Indien Südkorea Ukraine Pakistan Frankreich
1 1 1 1 1
Brasilien Argentinien 0
5 5
2 2 2 2 2
5
29
10
6
10
15
20
25
30
35
Quelle: Internationale Atomenergieagentur (IAEA)
Derzeit befinden sich 71 Atomkraftwerke im Bau, wobei China mit 27 Neuerrichtungen an erster Stelle liegt, gefolgt von Russland, Südkorea, Indien und den USA. In den westeuropäischen Ländern dagegen werden nur wenige neue Atomkraftwerke gebaut. Nach dem Unfall von Fukushima hat in diversen europäischen Ländern ein Umdenken begonnen. Weltweit ist die Atomenergie jedoch im Wachsen begriffen. Zusätzlich zu den 71 im Bau befindlichen Kernkraftwerken befinden sich circa 100 Atomkraftwerke in der Planungs- und/oder Genehmigungsphase. Auch hier ist China an der Spitze, gefolgt von Russland, den USA und Indien.
Graph 4
Atomstrom hat im Jahre 2010 15% der weltweiten Stromerzeugung ausgemacht. Laut Prognose von ExxonMobil wird der Anteil im Jahre 2025 auf 16% steigen und 2040 20% ausmachen. Prognosen anderer Firmen/Organisationen zeigen ein ähnliches Bild. Schaut man sich die OECDund die Nicht-OECD-Länder an, so ergibt sich ein differenzierteres Bild.
Tabelle 1: Anteil von Atomstrom an der Elektrizitätsgewinnung 2010
2025
2040
OECD
26%
28%
32%
Nicht-OECD
5%
8%
15%
Der Anteil ist und wird auch in Zukunft in den OECD-Ländern wesentlich höher sein als in den Nicht-OECD-Ländern. Das Wachstum in den Schwellenländern China, Russland und Indien ist jedoch wesentlich stärker, der Anteil von 5% im Jahre 2010 wird im Jahre 2040 auf 15% steigen. Wie stark sind die einzelnen Länder in der Elektrizitätsgewinnung von Atomstrom abhängig? Wie aus Graph 5 ersichtlich ist, zeigt sich ein stark divergierendes Bild. Insgesamt gibt es weltweit 31 Länder, die Atomenergie zur Elektrizitätsgewinnung nutzen. Der Anteil der Nutzung der Kernenergie zur Elektrizitätsgewinnung variiert je nach Land sehr stark. Frankreich führt mit einem Anteil von über 70%, gefolgt von Belgien und der Slowakei mit circa 50% und der Ukraine und Schweden mit über 40%. Vor allem in den europäischen Ländern hat Atomstrom einen hohen Anteil an der Stromgewinnung. Uran ist der Rohstoff, der für die Atomenergieerzeugung benötigt wird. Wie fossile Energieträger steht auch Uran nicht unendlich zur Verfügung. Die derzeitigen Uranreserven belaufen sich laut BGR 2 auf 2,16 Millionen Tonnen. 98% der Uranreserven sind auf nur 11 Länder verteilt. Das Land mit den größten Reserven ist Australien, gefolgt von Kanada, Kasachstan, Brasilien und China. Diese 5 Länder machen bereits 84% der gesamten Reserven aus. Nimmt man noch Russland, Südafrika, Niger, die USA, Namibia und die Ukraine dazu, so kommt man auf 98% der weltweiten Uranreserven. Die geschätzten Uranressourcen (das sind die Vorräte, die derzeit entweder aus wirtschaftlicher oder technologischer Sicht noch nicht gefördert werden können) belaufen sich auf 13 Millionen Tonnen. In der folgenden Abbildung ist die weltweite Verteilung von Uranreserven und Ressourcen aufgezeigt. 2
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover – Energiestudie 2013
Uran: Weltweite Reserven und Ressourcen
Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) Hannover – Energiebericht 2013 MT= MillionTonnen
Die Uranproduktion liegt in den Händen einiger weniger Konzerne. 2012 wurden 82% der weltweiten Uranproduktion von lediglich acht Großkonzernen gefördert. Auch auf der Verbraucherseite wird der größte Teil des Urans nur von einigen wenigen Ländern verbraucht, wobei über die Hälfte auf nur drei Länder entfällt: die USA, Frankreich und China. Uran wird weltweit hauptsächlich über langfristige Lieferverträge gehandelt. Trotz der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem darauffolgenden Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie sowie dem Atomausbaustopp von Italien, der Schweiz und Belgien ist die weltweite Uranproduktion in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. Die größten UranProduzenten sind Kasachstan, Kanada und Australien mit einem Anteil von 63% an der weltweiten Uranproduktion. In Kanada befindet sich die weltweit größte Lagerstätte, der McArthur River, welche 13% der globalen Uranproduktion abdeckt. Laut BGR 3 ist aus geologischer Sicht für die kommenden Jahrzehnte genügend Uran vorhanden. Mittel- bis langfristig ist durch zunehmende Explorationstätigkeit mit einer Ausweitung der Uranvorkommen zu rechnen. 3
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover – Energiestudie 2013
Graph 5
Vor allem in Asien und im Mittleren Osten, aber auch in Nord- und Südamerika wird weiter am Atomstrom festgehalten und werden neue Kernkraftwerke geplant. Seit die Verringerung der CO2Emissionen auf der politischen Agenda steht, versuchen Vertreter der Atomlobby und AtomkraftBefürworter darauf hinzuweisen, dass Atomstrom billig sei und sich positiv auf den Klimaschutz auswirke, da bei der Erzeugung keine CO2-Emissionen anfallen. Zudem sei eine hohe Versorgungssicherheit gegeben, da Uran noch reichlich vorhanden sei. Atomkraftgegner stehen solchen Vorschlägen negativ gegenüber, indem sie anführen, dass Atomstrom weder billig noch sauber sei. Das Argument vom billigen Atomstrom sei nicht haltbar, da die Kosten des Rückbaus von Atomkraftwerken sowie die Kosten von Störfällen nicht kalkulierbar seien. Ein Kostenvergleich mit anderen Energieträgern sei gar nicht möglich, da die Frage der Endlagerung nicht geklärt ist und somit ein wesentlicher Teil der Kosten gar nicht erfasst werden könne. Massive Investitionen in die Atomenergie würden die dringend notwendigen Investitionen in Energieeffizienz und in erneuerbare Energien verzögern. Die Liste der Standpunkte der Atomenergie-Befürworter und -Gegner ist lang. Die Frage, ob Atomstrom unverzichtbar ist oder nicht, ist letztlich eine politische bzw. eine wirtschaftliche Frage und muss für jedes Land einzeln beantwortet werden. Wenn Länder, wie Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie schaffen, sollte es auch für andere Länder möglich sein, ohne Atomstrom auszukommen. Diverse Studien haben ergeben, dass der weltweite Stromverbrauch auch ohne Atomstrom abgedeckt werden kann, wenn von der Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie zum Beispiel gesetzliche Richtlinien für die Steigerung der Energieeffizienz und die Förderung von Investitionen in erneuerbare Energien. Je stärker die Abhängigkeit von Atomstrom in einem Land ist, desto schwieriger gestaltet sich ein Ausstiegsszenario und ist wohl nur über einen sehr langen Zeitraum zu bewerkstelligen. Länder, die sehr stark vom Atomstrom abhängig sind, verfügen oft über hochentwickelte Technologien zur Errichtung von Kernkraftwerken, die sie nicht nur im eigenen Land nutzen, sondern auch an andere Länder weiterverkaufen. Ein Ausstieg aus der Kernenergie würde so große wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen, da wichtige, vor allem kapitalintensive Industriezweige im Land aufgelassen werden müssten, Technologietransfer und Exporte negativ davon betroffen wären und Arbeitsplätze verlorengingen. Ein Atomausstieg auf globaler Ebene wäre zwar langfristig möglich, erscheint aber unwahrscheinlich. Aus heutiger Sicht kann man davon ausgehen, dass der Anteil von Atomstrom an der Stromerzeugung weltweit weiter zunehmen wird, wie die diversen Prognosen aufzeigen.
Monika Psenner - Energie-Expertin
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