The FIFA Weekly Ausgabe #23

Page 1

NR. 23, 28. MÄRZ 2014

DEUTSCHE AUSGABE

Fédération Internationale de Football Association – Seit 1904

PANINI SAMMELFIEBER AUSGEBROCHEN PHILIPP LAHM TRIPLE ERNEUT MÖGLICH SEPP BLATTER FUSSBALL ALS LEBENSSCHULE

Japan

SAMURAI BLUE W W W.FIFA.COM/ THEWEEKLY


I N H A LT

6

Shinji Okazaki: “Japan ist stark!” Das japanische Nationalteam hat nach der WM 1998 in Frankreich kein WM-Turnier mehr verpasst und reist mit grossen Ambitionen an die Endrunde in Brasilien. Die Stars des aktuellen Kaders sind in grossen Ligen im Ausland engagiert und stehen für Spektakel und Offensivgeist aus dem Land der aufgehenden Sonne. So auch ­Shinji Okazaki vom Bundesligaklub Mainz 05. “Die europäischen Ligen machen uns stark”, sagt er im Hinblick auf die WM.

13

Bayern München: Philipp Lahm exklusiv Mit dem Sieg gegen Hertha Berlin setzte Bayern München einen Schlusspunkt hinter das deutsche Titelrennen – so früh wie noch nie in der Geschichte. Der Kapitän Philipp Lahm blickt auf die Entscheidung zurück – und auf die nächsten grossen Spiele voraus.

14

Ein Clásico für die Geschichtsbücher Sieben Tore, drei Penaltys, sieben Gelbe Karten, einen Platzverweis sowie Chancen hüben wie drüben. Der 227. Clásico zwischen Real und Barcelona bot ein seltenes Spektakel – und machte die s­ panische Meisterschaft wieder spannend.

16

“Griechenland aus der Krise helfen” Fernando Santos, Headcoach des griechischen Teams, erzählt im Interview, welchen Herausforderungen er im krisengeschüttelten Land gegenübersteht und warum Brasilien die WM gewinnen wird.

23

2 5 29

Jedem sein persönlicher Star 80 Seiten, 600 Sticker und ein Ziel: das Album zu füllen. Seit letzter Woche grassiert wieder das internationale Sammelfieber. The FIFA Weekly auf den Spuren von Panini.

op 11: Die Spitznamen der Nationalmannschaften T Piraten, Kupferkugeln, Furien. Die Nationalmannschaften tragen zum Teil überraschende Übernamen. In Kamerun geht die Bezeichnung der Landesauswahl auf einen präsidialen Beschluss zurück.

W illie: das erste Maskottchen Ein Plüschtier als Werbebotschafter. Mit dem World Cup Willie sorgte die englische FA an der WM 1966 für eine marketingstra­te­gische Revolution. Das erste Maskottchen brachte dem Veranstalter so viel Glück, dass ein Lattenschuss zum Siegestreffer wurde.

37

Den Menschen das Lächeln zurückgeben” “ Fussballstar und Modeikone Freddie Ljungberg war in Europa, Nordamerika und Asien zu Hause. Inspiriert hat ihn dabei vor allem seine Zeit in Japan direkt nach der Naturkatastrophe.

Südamerika 10 Mitglieder www.conmebol.com

Freddie Ljungberg Der Schwede liess sich in Japan inspirieren

S epp Blatter: Fussball als Lebensschule Soziale Kompetenz, Zusammengehörigkeitsgefühl, Integration. Im Mannschaftssport lassen sich in jungen Jahren Erfahrungen sammeln, die für den späteren Lebensweg von Bedeutung sind. Sepp Blatter schreibt über die Bedeutung des Fussballs als Lebensschule.

30

2

Nord- und Mittelamerika 35 Mitglieder www.concacaf.com

Jonathan Rodríguez Liegt mit Peñarol in der uruguayischen Meisterschaft zurück

U-17 Frauen-Weltmeisterschaft 15. März bis 4. April 2014, Costa Rica

T H E F I FA W E E K LY


D I E WO C H E I N D E R W E LT D E S F U S S B A L L S

Europa 54 Mitglieder www.uefa.com

Afrika 54 Mitglieder www.cafonline.com

Asien 46 Mitglieder www.the-afc.com

Ozeanien 11 Mitglieder www.oceaniafootball.com

Maskottchen Willie Englands Geniestreich vor der WM 1966

Samurai Blue Der neue Übername des japanischen Nationalteams verbindet die noble Art des Kämpfens mit dem Fussball – inzwischen spielen viele japanische Profis in grossen Ligen im Ausland. Im Bild unser Gesprächspartner Shinji Okazaki (r.) und Yuto Nagatomo.

Shinji Kagawa Leistungsträger im japanischen Team

Cover: Pedro Ugarte/Afp

Inhalt: Getty Images, Mariano Alvez

Fernando Santos Interview mit dem Griechenland-Coach

Viertelfinale

Halbfinale

Spiel um Platz 3

Final

27. März, Venezuela - Kanada (25) 27. März, Ghana - Italien (26) 27. März, Japan - Mexiko (27) 27. März, Nigeria - Spanien (28)

31. März, Sieger 25 - Sieger 27 (29) 31. März, Sieger 26 - Sieger 28 (30)

4. April, Verlierer 29 - Verlierer 30

4. April, Sieger 29 - Sieger 30

T H E F I FA W E E K LY

3



UNCOVERED

Schon wieder ein Titel Der FC Bayern feiert nach dem 27. Spieltag in Berlin die Deutsche Meisterschaft 2013/14.

D

er FC Bayern München, für viele das weltbeste Klubteam, hat einen weiteren Titel errungen – und dabei wieder einmal einen Rekord gebrochen. In 27 Spieltagen zur Deutschen Meisterschaft, das schaffte selbst Bayerns Wunderteam der Jahre 1971 bis 1974 nicht. In seinem Gastkommentar denkt Philipp Lahm, der Kapitän der Bayern und des deutschen Nationalteams, aber schon viel weiter: An eine ganze Saison ohne Niederlage. Das aktuelle Bayern-Team könnte dereinst das erste sein, dem das gelingt, schreibt Lahm. Der Verteidiger gilt für seinen Coach Pep Guardiola übrigens als intelligentester Spieler, den er je trainiert habe. Lahm schafft es, weit über hundert Pässe pro Partie zu spielen, ohne dass ihm ein Fehlpass unterläuft. Das ist die Grundlage für den Erfolg.

Oliver Hardt / Getty Images

I

n der Bundesliga ist auch Shinji Okazaki zu bestaunen. Der Japaner spielt für Mainz 05 – und will an der WM in Brasilien seine grossen Qualitäten als Stürmer unter Beweis stellen. “Das japanische Team ist stark”, sagt er im Gespräch mit unserem Mitarbeiter Roland Zorn. Grossen Anteil an der Qualität des Teams hätten die Auslandprofis. An ihrer Zahl und Stärke lässt sich ablesen, dass der japanische Fussball sich auf hohem Niveau konsolidiert hat. Brasilien 2014 ist schliesslich das fünfte WM-Turnier in Folge, das Japan absolvieren wird. Tashima Kohzo, Vizepräsident des japanischen Verbands, sagt: “Wir wollen den Titel geT H E F I FA W E E K LY

winnen.” Er weiss aber, dass das nicht realistisch ist: “Wir sind die FIFA-Nummer 48. Das Ziel ist, besser zu sein als bei der letzten WM. Wir wurden in Südafrika 16.”

D

as japanische Team lässt sich auch sammeln – in diesen Tagen bricht staatenübergreifend das Paninibildchen­Fieber aus. Als Giuseppe und Benito Panini 1961 das erste Fussball-Sammelalbum auf den Markt brachten, können sie kaum gewusst haben, welch durchschlagenden Erfolg ihrer Idee beschieden sein würde. Die WM hat für alle Sammler, Jung und Alt, schon jetzt begonnen. Der tatsächliche Kick-off erfolgt bekanntlich am 12. Juni in São Paulo!

D

ie Lebenserwartung liegt in manchen Ländern bei 80, in anderen bei unter 40 Jahren. Die Menschen müssen aber überall auf der Welt dieselben Chancen haben, hebt FIFA-Präsident Blatter in seiner wöchentlichen Kolumne hervor. Fussball könne die Menschen auf spielerische Weise zu mehr Bewegung motivieren. Å Perikles Monioudis

5


SHIN JI OK A Z AK I / JAPAN

Alberto Zaccheroni, Japans Nationalcoach, könnte sein Team für die WM in Brasilien aus elf Spielern bilden, die alle in grossen ­Ligen im Ausland aktiv sind. Das sagt Shinji Okazaki. Er selbst ist so ein Spieler.

Mit Shinji Okazaki sprach Roland Zorn

Haben Sie den Film “Lost in Translation” gesehen? Shinji Okazaki: Ich habe davon gehört, von der Geschichte eines Amerikaners und einer Amerikanerin, die sich in Tokio fremd und verloren vorkamen, gemeinsam unsere Hauptstadt erkundeten und dabei zu Freunden wurden. Als ich im Januar 2011 nach Stuttgart kam, wo ich einen Vertrag beim VfB unterzeichnete, war das eine andere Geschichte. Ich hatte mir den Traum eines jeden japanischen Fussballers erfüllt: in Europa zu spielen. Ich war im vornherein glücklich, in Deutschland zu sein und hatte keine Angst vor dem mir bis dahin nicht bekannten Land.

Es war alles neu für Sie in Stuttgart, die Stadt, das Land, die Liga, die Sprache. Wie sind Sie Ihr Abenteuer angegangen? Ich habe mich, was typisch für uns Japaner ist, schnell angepasst, denn alles, was neu war, war für mich auch eine Herausforderung. Da ich ein offener Mensch bin, habe ich versucht das, was auf mich zukam, so schnell und gut wie möglich anzunehmen und in positive Energie umzuwandeln.

Auch dass Sie beim VfB Stuttgart in den Bundesligaspielen vor allem auf dem linken Flügel und nicht, wie in Ihrer Nationalmannschaft, im Sturmzentrum aufgestellt wurden? Ich habe bei der Asienmeisterschaft schon auf dem rechten Flügel gespielt, und deshalb war es für mich nicht völlig ungewohnt, in Stuttgart meistens auf der linken Seite zu spielen. 6

“Unser Team ist stark” Wären Sie beim VfB lieber zentral als Sturmspitze eingesetzt worden?

Damals wusste ich selbst noch nicht genau, wo meine Stärken am besten zum Zuge kommen konnten. So gesehen war es gut, dass ich in Stuttgart die Möglichkeit hatte, meine offensiven Qualitäten auf einer Aussenposition auszuprobieren.

Hat Ihnen, als Sie im Sommer 2013 innerhalb der Bundesliga zu Mainz wechselten, Trainer Thomas Tuchel sofort gesagt, dass Sie bei ihm als Mittelstürmer vorgesehen seien? Nein. Es ging zunächst darum, was von mir in meinem neuen Verein verlangt wurde. In Stuttgart, wo ich mich weiterentwickeln konnte, war ich in der Offensive wie in der Defensive gleichermassen gefordert. Dort honorierte mein damaliger Trainer Bruno Labbadia auch Spiele, in denen ich kein Tor schoss – und das war in der Bundesligasaison 2012/13 fast immer der Fall, da ich nur einen einzigen Treffer erzielte. In Mainz erfülle ich die Aufgaben, die einem Mittelstürmer abverlangt werden: Ich schiesse Tore, elf an der Zahl nach 25 Spieltagen, ich spüre die Räume auf, in denen Angreifer Torgefahr ausstrahlen, arbeite nach hinten mit und versuche, vor dem Tor so cool wie möglich zu sein. Das ist mir in dieser Spielzeit bisher recht gut gelungen.

Warum klappte das so gut und so schnell? Genau weiss ich das auch nicht. Zu Beginn habe jedenfalls ich mich mehr auf die Mainzer Art Fussball zu spielen eingelassen – auch weil mein Trainer das täglich einfordert; als ich dann die ersten Tore geschossen hatte, T H E F I FA W E E K LY

haben sich die Kollegen auch auf meine Spielweise eingestellt. Es war also ein Geben und Nehmen. Ich fühle mich hier auch deshalb so wohl, weil auf allen Seiten viel Vertrauen und Selbstvertrauen zu spüren ist und weil der Trainer mir viel abverlangt. Herr Tuchel fragt mich manchmal schon im Training, warum ich in dieser oder jener Situation nicht getroffen habe. Ich fühle mich auch unter diesem Erwartungsdruck wohl und versuche, meinen Teil dazu beizutragen, dass wir mit Mainz 05 eine sehr erfolgreiche Saison spielen.

Sie leben und arbeiten jetzt schon seit mehr als zwei Jahren in Deutschland. Wie viel Japan ist um Sie herum – sei es, weil Sie mit Ihrer Frau und Ihren zwei Kindern in Mainz leben, sei es, weil Sie bei japanischen Journalisten Spiel für Spiel gefragt sind, sei es, weil Sie hier unter vielen japanischen Restaurants auswählen können, sei es, weil noch sieben andere Japaner in der ersten Bundesliga spielen? Ich hatte ja schon in Stuttgart das Glück, meinem Landsmann Gotoku Sakai zu begegnen, der immer noch als Aussenverteidiger des VfB einen guten Job macht. In Mainz ist noch etwas hinzugekommen: Die Nähe zur Metropolregion Frankfurt mit dem Rhein-Main-Flughafen empfinde ich als angenehm. In Frankfurt sind auch ein, zwei japanische Lieblingsrestaurants, in denen ich mit meiner Frau oder dem für Eintracht Frankfurt spielenden Kollegen Takashi Inui essen gehe. In Frankfurt kommen Freunde aus Japan an, die mich hier besuchen. Dazu haben sich auch meine Frau und meine Kinder an Deutschland gewöhnt, zumal wir in


Thorsten Zimmermann

SHINJI OK AZAKI

T H E F I FA W E E K LY

7


Karim Jaafar/Afp

Ab nach vorn Torj채ger Shinji Okazaki im japanischen Nationaldress

8

T H E F I FA W E E K LY


S H I N J I O K A Z A K I /J A P A N

Mainz ein schönes Zuhause haben. Das zusammen macht alles einfacher.

schreibt und eine grosse Resonanz in den Medien findet.

Da ist es gewiss auch kein Nachteil, dass Sie bei Mainz 05 mit den Koreanern Park Joo-ho und Koo Ja-cheol in einer Mannschaft spielen?

Dazu tragen nicht zuletzt die Samurai Blue bei, also die Nationalmannschaft. Japan hat sich seit 1998 immer für die Weltmeisterschafts­ endrunden qualifiziert, für die WM 2014 in Brasilien sogar als erstes Team, Japan ist Asienmeister, das Niveau der Samurai Blue scheint zuletzt noch einmal gewachsen zu sein, was Hoffnungen nähren dürfte, im Sommer erstmals über das WM-Achtelfinale hinauszukommen. Teilen Sie diese Einschätzung und träumen Sie manchmal davon, als Torschützenkönig der Weltmeisterschaft gefeiert zu werden?

Mit beiden verstehe ich mich bestens. Mit Park, der in der J-League gespielt hat, spreche ich japanisch; mit Koo, der von uns dreien am besten deutsch spricht, deutsch. Das übersetze ich Park dann auf japanisch.

Wie steht es um die Kontakte zu den anderen japanischen Profis in Deutschland, etwa zu Makoto Hasebe, der jetzt in Nürnberg spielt und Kapitän der japanischen Nationalmannschaft ist? Wir kommunizieren sehr häufig untereinander, sei es per Telefon, sei es über Mails oder soziale Netzwerke. Wenn ich dann Tore geschossen habe in der Liga, dauert es nie lange, bis die ersten Glückwünsche kommen.

Gefällt es den Japanern in der Bundesliga auch deshalb so gut, weil die deutschen Kollegen oft genug auch jene Tugenden verkörpern, die Japanern zu eigen sind? Das mag sein. Auf Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ordnung wird sowohl in Deutschland wie in Japan sehr geachtet.

In Japan waren Sie schon ein Star, als Sie in Deutschland noch so gut wie niemand kannte. Inzwischen haben Sie mit 38 Toren in 73 Länderspielen die drittmeisten Tore in der Geschichte der Samurai Blue erzielt – sind Sie sich Ihrer Popularität daheim bewusst? Meine Bekanntheit in Japan ist vermutlich noch gestiegen, weil ich auch in der Bundesliga meine Tore schiesse. Aber ein Superstar bin ich deswegen noch lange nicht und will es auch nicht sein. Es passt nicht zu meinem Leben. Sicher ist, dass den Japanern, die im Ausland Fussball spielen, eine grössere Aufmerksamkeit zukommt als denen, die daheim in der J-League am Ball sind. Mein Los ist es, Tore zu schiessen. Solange ich Treffer erziele, bin ich in Japan gefragt. Wenn nicht, lässt das Interesse an mir sofort nach.

Noch ist in Japan Baseball populärer als der Fussball. Waren Sie als Kind einmal versucht, es eher mit dem Baseball zu versuchen als Fussball zu spielen? Mein Vater war Baseballspieler – wenn auch nicht als Profi. Er wollte, dass ich Baseball spiele. Da aber mein älterer Bruder schon Fussball spielte und mir dieser Sport auch besser gefiel, bin auch ich Fussballer geworden – mit Leib und Seele. Heutzutage ist der Fussball bei den jungen Japanern fast schon beliebter als Baseball – auch, weil er längst seine eigene Erfolgsgeschichte

Ich setze mir keine spezifischen Ziele. Spielt die Mannschaft gut, steigen die Chancen, über die Vorrunde – vielleicht auch über das Achtelfinale – hinaus zu kommen, und es steigen auch die Chancen darauf, dass ich bei der WM Tore erziele. Wie viele, wird man dann sehen. Wie stark unser Team ist, zeigt sich auch daran, dass Shinji Kagawa für Manchester United spielt, Yuto Nagatomo für Inter Mailand und Keisuke Honda für die AC Milan – drei Weltklubs immerhin. Inzwischen wäre es für unseren italienischen Nationaltrainer Alberto Zaccheroni möglich, die erste Elf aus Spielern zu bilden, die allesamt in grossen Ligen im Ausland spielen.

Das wird er vermutlich deshalb nicht tun, weil auch in der heimischen J-League noch eine Reihe verheissungsvoller Profis beschäftigt sind. Andererseits: Wie stolz sind Sie darauf, dass die J-League in ihren frühen Jahren nach der Gründung 1993 vor allem alternde Stars aus Europa und Südamerika verpflichtete und heute junge, japanische Stars von morgen in die europäischen Ligen exportiert? Für mich war es zu Beginn meiner Profikarriere wichtig, erst einmal in der J-League, beim Gründungsmitglied Shimizu S-Pulse, Fuss zu fassen. Ich habe dort viel gelernt, vor allem von den erfahrenen, älteren Spielern. Danach war ich so weit, ins Ausland gehen zu können.

Wie schätzen Sie die heutige Qualität der J-League ein? Sie ist eine sehr gute Schule, jahrelang geprägt von südamerikanischen Trainern. Das heisst aber nicht automatisch, dass derjenige, welcher in der J-League erfolgreich spielt, auch im Ausland reüssiert. Dazu muss man bereit sein, geduldig zu bleiben, auch wenn es am Anfang vielleicht nicht gut läuft. Die meisten Trainer in der Bundesliga werden, wenn ein Japaner und ein deutscher Profi gleich stark sind, eher auf den deutschen Spieler setzen. Wenn ein Japaner aber ungeduldig ist und die Dinge schleifen lässt nach T H E F I FA W E E K LY

“Ich habe mir den Traum eines jeden japa­nischen Fussballers erfüllt: in Europa zu spielen.”

ersten Rückschlägen, schadet es seiner Karriere. Man muss immer das Auf und Ab einer Laufbahn vor Augen haben, egal, warum das Pendel mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlägt.

Warum ist die englische Premier League in Japan so beliebt? Ich bin als Kind mit dieser Liga und der italienischen Serie A gross geworden. Das waren die Ligen, die bei uns live im Fernsehen gezeigt wurden. Übertragungen aus der Bundesliga werden seit einigen Jahren auch bei uns gern gesehen, weil eine Reihe von Japanern in Deutschland spielen, doch die Strahlkraft der Premier League hat die Bundesliga noch nicht.

Wer war denn Ihr Stürmervorbild? Filippo Inzaghi in seiner grossen Zeit bei der AC Milan. Ein bisschen so wie er, der an den Schnittstellen zum Abseits mit Raffinesse seine Räume für den Torschuss suchte und fand, versuche auch ich zu spielen. Einen Lieblingsklub in Europa hatte ich allerdings nie.

Japans Frauen haben 2011 in Deutschland erstmals den Weltmeistertitel geholt. Sind Sie darauf stolz? Und wie. Ich war mit den beim 1. FFC Frankfurt spielenden Weltmeisterinnen Asuna Tanaka, eine Innenverteidigerin, und Kozue Ando schon mal japanisch essen. Populärer in Japan ist aber schon noch der Männerfussball, wenn auch der Weg zum Weltmeistertitel noch sehr, sehr weit ist. Å 9


JAPAN

Schutzkleidung und Fussball Vor dem J-Village, dem Trainingsgel채nde in der Fukushima-Pr채fektur (Nov. 2011). 10

T H E F I FA W E E K LY

Kim Hong-Ji/Reuters, David Guttenfelder/Keystone

Gemeinsam zum Erfolg Der japanische Fussball integriert viele Ausnahmespieler


JAPAN

Nach der Katastrophe Drei Jahre sind seit dem WM-Sieg der Frauen vergangen, drei Jahre seit dem Tsunami: In welcher Atmosphäre wird das japanische Nationalteam an die WM in Brasilien reisen? Perikles Monioudis

A

ls David Baxter im April 2012 an einem Strand von Middleton Island vor Alaska einen verwaisten Fussball entdeckte, stellte er fest, dass der Ball japanisch beschriftet war. Baxters Ehefrau Yumi ist Japanerin; sie schloss aus der Situation, dass der Ball ganz allein den Pazifik überquert, 5000 km weit getrieben haben musste – angestossen von einer riesenhaften Welle wie jener, die ein Jahr zuvor Japan heimgesucht hatte. Am 11. März 2011 verursachte das Tohoku­Erdbeben 30 km unter Wasser einen Tsunami, dem in Japan 16 000 Menschen zum Opfer fallen sollten, weitere 2700 werden vermisst. Im Atomkraftwerk in Fukushima kam es zu drei Kernschmelzen. Die Verwüstungen und radio­ aktiven Verseuchungen nahmen traumatische Proportionen an. Der Fussball gehörte dem damals 16-jährigen Misaki Murakami, der sich über Yumi Baxters Anruf freute. Der Ball – ein Geschenk – wies eine längere Widmung auf, die Murakami 2005 auf eine neue Schule begleiten sollte. “Ich habe alles im Tsunami verloren”, sagte der junge Mann der Weltpresse damals, “ich bin hocherfreut, den Fussball wiederzuhaben.” Den Fussball wiederzuhaben, die Emotionen, die das Spiel bereithält, wiederzuleben – das wurde ganz Japan zuteil, als das Nationalteam der Frauen im Juli 2011, viereinhalb Monate nach dem Tsunami, die Weltmeisterschaft in Deutschland für sich entschied. Norio Sasaki, der Trainer der Japanerinnen, nutzte Fotos von den Verheerungen in der Heimat zur Veranschaulichung des höheren Ziels, das das Team verfolgte: Den Landsleuten zu Hause mit einem Sieg Hoffnung geben. Der Tsunami erfolgte nach dem ersten Spieltag der J-League 2011/12. Der Spielbetrieb ruhte für sechs Wochen, in denen Spieler, Trainer, Schiedsrichter und Fans damit beschäftigt waren, den Opfern der Katastrophe zu helfen. Spieler sammelten in der Tokioter U-Bahn Geld für sie. Das Nationalteam trat bereits eine Woche nach dem Tsunami zu Wohltätigkeitszwecken auf. Neuseeland war der geplante Gegner, doch der reiste nicht an. Man spielte deshalb gegen eine Auswahl der J-League, vor 50 000 Besuchern

in Osaka. Als der Star Yasuhito Endo das 1:0 für das Nationalteam erzielte, reckten die Spieler ­ihren Trauerflor gen Himmel. Sie gaben ihrem Leid Ausdruck – und sie bezogen Kraft daraus. Wie stark ist das japanische Team heute, elf Wochen vor dem Beginn der WM in Brasilien? Zuletzt gewann das Team des sehr erfahrenen italienischen Coachs Alberto Zaccheroni gegen Neuseeland (4:2 am 5. März). Zuvor gelangen den Japanern in den beiden Testspielen vom vergangenen November ein Sieg in Belgien (3:2) und ein 2:2-Remis in Genk gegen die Nieder­ lande. Für die WM wurde ihnen Kolumbien, Griechenland und die Elfenbeinküste zugelost – Teams, die im FIFA-Ranking (sehr weit) vor Japan stehen. Aber das gilt ja auch für Belgien und die Niederlande. Das japanische Team ist wettkampfstark und mit Stars wie Keisuke Honda (AC Milan), Shinji Kagawa (Manchester United), Shinji Okazaki (Mainz 05), dem erwähnten Freistossspezialisten Yasuhito Endo (Gamba Osaka) oder dem Schalke-04-Verteidiger Atsuto Uchida besetzt. Auch wenn es für sie schwierig werden wird, die K.o.-Runde zu erreichen: Einen wichtigen Sieg haben die japanischen Spieler mit der Qualifikation für die WM bereits errungen – sportlich und für ihre leidgeprüften Landsleute. Å

T H E F I FA W E E K LY

Japan Football Association Gründung 1921 Beitritt zur FIFA 1921 FIFA-Ranking 48. Platz (Stand März 2014) WM-Teilnahmen 1998, 2002, 2006, 2010, 2014 Homepage www.jfa.or.jp

11


A FIFA World Cup in Brazil is just like Visa: everyone is welcome.

TM & © 2014 Lucasfilm Ltd. All Rights Reserved. Used Under Authorization.


DER AK T UELLE G A S T KOMMEN TAR

Philipp Lahm: “Wir können das Triple erneut gewinnen”

M

it dem Sieg am vergangenen Dienstag gegen Hertha BSC ist der erste Schritt in Richtung Saisonziel gemacht. Wir haben den Meistertitel erfolgreich verteidigt, und zwar nicht irgendwie – wir haben unseren eigenen Rekord aus der vorherigen Saison nochmals um einen Spieltag unterboten und feiern damit die früheste Meisterschaft in der Bundesligahistorie! Nach nur 27 Spieltagen! Wenn mir in der letzten Saison die Frage gestellt wurde, ob mir bewusst sei, dass wir diesen oder jenen Rekord brechen könnten, habe ich meist verneint. Denn in erster Linie zählen die Titel am Ende, und es ist für die meisten Spieler im ersten Moment weniger entscheidend, ob dieser mit 70, 80 oder 100 Punkten erreicht wird. Je souveräner und selbstsicherer die Mannschaft allerdings auftrat und je deutlicher unsere Dominanz in der Liga wurde, umso häufiger wurden die Gespräche in Training und Kabine auch von Rekorden und Statistiken beherrscht. Auch zum jetzigen Erfolg 2013/14 gibt es massenweise Zahlen. Während

sich über Stil und Schönheit von Spielen diskutieren lässt, belegen die statistischen Werte völlig unstrittig, was wir nach dem Triple 2012/13 gesagt haben: Die aktuelle Mannschaft des FC Bayern ist weiterhin hungrig. Einsatzbereitschaft und Motivation sind ungetrübt. Wir sind seit inzwischen 52 Spielen ungeschlagen. Nur der AC Milan gelang es Anfang der Neunziger bisher, noch sechs Spiele länger ohne Niederlage zu bleiben. Das ist ein Ansporn. Genauso wie die Chance, eine komplette Saison lang kein Spiel zu verlieren. In 51 Jahren Bundesliga hat das noch kein Team geschafft. Sollte es gelingen, dann mit dieser Mannschaft. Denn Mentalität, Persönlichkeiten und Charakter erinnern an den FC Bayern der 70er-Jahre. Unser Gesamtziel muss deshalb sein, nochmals das Triple zu gewinnen. Wir haben die Qualität. Die Erfolge aus der Bundesliga verleihen Selbstbewusstsein und lassen die Mannschaft weiter wachsen. In jedem Training geht es darum, sich für die Startelf zu qualifizieren. Dieser maximale Erfolgshunger zeichnet den FC Bayern aus. Mit

dem Erreichen des ersten Ziels richtete sich die Aufmerksamkeit auf die weiteren Herausforderungen. Der internationale Wettbewerb fordert alleine durch den K.o.-Modus 100-prozentige Konzentration und Leistung. Um die Spannung zu halten, bietet die Liga auch nach der Meisterschaft noch genügend Anreize: Unsere Torjäger können sich an der Marke von 101 Treffern messen, die seit der Saison 71/72 steht, Manuel Neuer kann sich selbst überbieten, indem er in den übrigen Spielen maximal noch fünf Tore zulässt, womit wir unter 18 Gegentreffern bleiben würden. Sowohl nach vorne als auch nach hinten muss dafür die ganze Mannschaft mitarbeiten. 91 Punkte gilt es aus der vergangenen Saison zu knacken. Die perfekte Saison zu Hause kann uns noch gelingen und die meisten Siege in einer Spielzeit. Wenn mich in dieser Saison also jemand fragt – ja, ich bin mir bewusst, welche Rekorde möglich sind. Trotzdem zählen am Ende für den FC Bayern weiter nur die Titel. Die März-Meisterschaft war der erste Schritt. Jetzt freuen wir uns auf Manchester United und den Pokal. Å

Marco Leipold / City-Press GbR

Philipp Lahm ist Kapitän des FC Bayern München und der deutschen Nationalmannschaft.

Ein Selfie in der Umkleide Philipp Lahm (Bildmitte) und Teamkollegen nach dem Bundesliga-Titelgewinn am Dienstag in Berlin. T H E F I FA W E E K LY

13


BLICK IN DIE LIGEN

I

N

S

I

D

E

Primera División

“El Clásico” – nächste Episode Jordi Punti ist Romanautor und Verfasser zahlreicher Fussball-­ Features in den spanischen Medien.

Und dabei hätte Messi am meisten Grund gehabt, dieses Tor zu feiern, denn damit stellte er gleich zwei neue persönliche Rekorde auf. Er zog an Di Stefano (18 Treffer) vorbei und avancierte zum Rekordtorschützen des “Clásico” sowie zum zweitbesten Torjäger in der Geschichte der spanischen Liga. Mit 236 Treffern liess der Argentinier Hugo Sánchez hinter sich und hat den Blick nun fest auf den besten Torschützen aller Zeiten gerichtet: Telmo Zarra, der in den 40er und 50er Jahren 251 Treffer für Athletic Bilbao erzielte. Messis Einstellung sollte sich am Ende auch auf der Anzeigetafel niederschlagen. Nach einem Hattrick des Argentiniers stand es 4:3 für Barça (zwei Tore waren vom Elfmeterpunkt aus gefallen). Sein Einfluss machte sich nicht nur beim Ergebnis bemerkbar, sondern auch im Spiel seines Teams. Obwohl es sich um eine sehr ausgeglichene Partie handelte, mit wechselnden Spielständen und Fehlern in beiden Abwehrreihen, kann man wohl sagen, dass Barças auf Kurzpässe und Ballkontrolle ausgerichtetes Spiel sich gegen den kraftvollen Direktfussball Reals durchgesetzt hat. Ronaldo war abgemeldet, und so hing die Offensive des Teams von den Angriffen Di Marías und den Toren Benzemas ab, der zwei sehr schöne Treffer erzielte, jedoch auch weitere Chancen vergab. Ausser Messi sorgte die Überlegenheit von Barças Mittelfeld dafür, dass das Team die Nase vorn hatte: Xavi, Busquets, Fàbregas und ein allgegenwärtiger Iniesta überzeugten. 14

Ein weiterer Hattrick Barça-Star Lionel Messi erzielte bei Real Madrid drei Treffer zum 4:3-Sieg seines Teams.

Seit einigen Jahren, vor allem seit den verbalen und taktischen Duellen zwischen Guardiola und Mourinho, ist der spanische Klassiker zu einer Saga mit epischen Ausmassen avanciert. Die Fans erleben ihn wie eine Fernsehserie mit Fortsetzungen, mit einem Handlungsstrang aus Intrigen und Rachefeldzügen, mit Helden und bösen Buben, mit Haupt- und Nebendarstellern. Tatsache ist, dass die beteiligten Spieler sich in- und auswendig kennen. Sie sind Freunde und Rivalen. Viele von ihnen haben mit der spanischen Nationalmannschaft gemeinsam die WM und die EM gewonnen, nämlich Xavi, Ramos, Iniesta, Xabi Alonso, Alba, Arbeloa… Andere sind in unterschiedlichen Wettbewerben bereits zahlreiche Male aufeinander getroffen und haben viele Erinnerungen mit in die Partie genommen. Das Spiel hat zwar in der Gegenwart stattgefunden, ist aber gleichzeitig auch Teil einer Fortsetzungsgeschichte. So betrachtet kann der jüngste Klassiker als Debatte zwischen neu und alt betrachtet werden, mit zwei Trainern, die ihren persönlichen Anschauungen treu geblieben sind, ohne jedoch die Erinnerung an Vergangenes zu vernachlässigen. Gerardo Martino setzte erneut auf die traditionelle Ballkontrolle, um sich des Mittelfelds zu bemächtigen – wie zu Guardiolas besten Zeiten. Nach dem 3:3 und dem Platzverweis von Sergio Ramos wurde Ancelotti italienischer denn je, das heisst defensiver. Er nahm mit Benzema seinen besten Mann vom Platz und brachte stattdessen Varane, einen Verteidiger, der das Ergebnis sichern sollte (was am Ende jedoch nicht gelang). T H E F I FA W E E K LY

Neymar und Bale, die beiden Stars, die dieses Jahr verpflichtet wurden, spielten von Beginn an, hatten jedoch wenig Einfluss auf das Spiel. Wenn diese Partie am Ende auch als grossses Fussballspektakel in Erinnerung bleiben wird, so wird sicherlich auch noch einige Tage über die strittige Schiedsrichterleistung gesprochen werden. In einer angespannten Atmosphäre gab der Unparteiische drei Elfmeter und irrte sich bei mehr als einer Entscheidung, wobei man nicht sagen kann, dass dies entscheidende Auswirkungen auf das Ergebnis hatte. Nach Spielende zeigte Ancelotti sich höflich und zuvorkommend, einige Spieler von Real machten allerdings ihrem Ärger Luft und gingen den Schiedsrichter mit harschen Worten an. Diese Reaktion hätte eigentlich besser in die Zeit von Mourinho gepasst, als Neid und Komplotte fester Bestandteil des Drehbuchs für die Rechtfertigung von Niederlagen waren. Durch den Sieg des FC Barcelona wurden die Karten in der Tabelle neu gemischt, und Atlético Madrid ist nun Tabellenführer. Dennoch ist es acht Spieltage vor Schluss noch immer unmöglich, einen Titelfavoriten auszumachen. Die drei Anwärter – Atlético, Real und Barça – haben alle im Saisonverlauf Formtiefs überwunden und stehen jetzt vor kniffligen Partien. Wie in jeder guten Fernsehserie steuert man mit dem Spiel zwischen dem FC Barcelona und Atlético Madrid am letzten Spieltag der Liga auf ein grandioses Finale zu. Das ist Spannung pur! Å

Victor Carretero / Getty Images

Es gibt Momente, die sinnbildlich für den Charakter einer Partie stehen. In der 42. Minute des “Clásico” zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona am vergangenen Sonntag sicherte sich Messi kurz vor dem Fünfmeterraum den Ball, setzte zum Schuss an und lenkte die Kugel mit links zum 2:2 ins Tor. Als seine Teamkameraden auf ihn zuliefen, um ihn zu umarmen, holte Messi den Ball aus den Maschen und machte sich eilends auf den Weg zur Mitte. Es gab keine Zeit zu verlieren. Während Fàbregas und Pepe – immer Pepe – nach dem Tor aneinandergerieten, umringt von mehreren Spielern und dem Schiedsrichter, dachte Messi bereits an den nächsten Spielzug. Er wusste, dass für Barça nur der Sieg zählte, wenn man sich die Chance auf den Meistertitel bewahren wollte.


Primera División de Uruguay

Tabárez und die Stadtliga Sven Goldmann ist Fussball­ experte beim “Tagesspiegel” in Berlin.

Wenn denn irgendwann einmal die sieben Weltwunder des Fussballs ermittelt werden, von Pelés 1970er WM-Elf bis zum Tiki-Taka der Neuzeit, dann darf Uruguay nicht fehlen. Einfach so als Gesamtkunstwerk. Gut drei Millionen ­Einwohner, 1000 Klubs und 200 000 Spieler – wie schafft es diese zwischen Brasilien und Argentinien liegende Nation nur, eine so dominante Rolle zu spielen, ja sogar als Geheimfavorit zur WM nach Brasilien zu fahren? Zur lokalen Prominenz zählen Klubs mit klangvollen Namen wie Peñarol, ­Nacional, Liverpool oder River Plate, und das Besondere an ihnen ist, dass sie alle aus ein und derselben Stadt kommen.

Contador José Pedro Damiani 0:1 gegen Club Atletico Cerro (natürlich auch ein Klub aus Montevideo und keineswegs zu verwechseln mit Cerro Largo aus Melo). Javier Delgado schoss nach einer Stunde das Tor des Tages. Mit dem gleichen Ergebnis verlor Nacional ebenfalls daheim im Parque Central dem bisherigen Schlusslicht Juventud, durch ein Tor in der Schlussminute, erzielt von Jaime Baez Stabile. Nationaltrainer Óscar Washington Tabárez schaut öfter bei den Ligaspielen zu – und rekrutiert seine Mannschaft für die WM doch ausschliesslich aus Spielern, die ihr Geld in Europa, Argentinien und Brasilien verdienen. Seit Diego Forláns Wechsel zu Cerezo Osaka ist auch Japan in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Das heisst aber nicht, dass sich niemand interessiert für die erweiterte Stadt-

meisterschaft von. Tabárez sieht seine Hauptaufgabe neben der Betreuung von Cavani, Suarez und Co. in der Hege des Nachwuchses, und der bekommt früh die Chance, sich in der Primera División zu beweisen. Regelmässig beobachtet Tabárez auf dem Verbandsgelände in der Nähe des Flughafens von Montevideo das Training der Nachwuchs-Nationalmannschaften. Hier kickt Uruguays Zukunft, und natürlich träumt sie davon, so erfolgreich zu werden wie die Gegenwart. Luis Suarez ging mit 19 von Nacional in die Niederlande, Edinson Cavani mit 20 Jahren von Danubio nach Italien, Diego Lugano mit 22 von Nacional nach Brasilien. Fortsetzung folgt. Å

Die Primera División de Uruguay ist kaum mehr ist als eine Stadtmeisterschaft von Montevideo. 14 von 16 Klubs spielen in der Hauptstadt, die beiden auswärtigen Klubs Cerro Largo und Juventud belegen die Tabellenplätze 12 und 15. Seit 1900 gibt es ein Ligasystem, seitdem ist noch nie ein Klub ausserhalb Montevideos Meister geworden. Ewig jung ist das Duell zwischen Peñarol (38-mal Meister) und Nacional (32).

Mariano Alvez

Der Modus ist ein bisschen kompliziert. Wie in Südamerika üblich, werden Halbjahresturniere gespielt, Apertura und Clausura, aber im uruguayischen Modell fliessen sie nach europäischem Vorbild in eine Jahrestabelle ein. Die Sieger von Apertura und Clausura treffen in einem Halbfinale aufeinander, dessen Sieger es dann in Hin- und Rückspiel mit dem Ersten der Gesamtjahrestabelle zu tun bekommt. In diesem Frühjahr besteht immerhin die Möglichkeit eines Finals ohne Peñarol und Nacional. Als Sieger der Clausura hat sich der Danubio Fútbol Club für das Halbfinale qualifiziert, und in der Apertura liegt nach acht Spieltagen der Centro Atlético Fénix in Führung, allerdings mit minimalem Vorsprung. Die Carboneros von Peñarol und die Bolsos von Nacional sind mit eher bescheidenem Erfolg gestartet. Peñarol unterlag am vergangenen Wochenende daheim im Estadio

Aufbäumen ohne Erfolg Marcelo Zalayeta (l.) und sein Peñarol unterlagen Atlético Cerro mit Pablo Melo 0:1. T H E F I FA W E E K LY

15


Name Fernando Manuel Costa Santos Geburtsdatum, Geburtsort 10. Oktober 1954, Lissabon (Portugal) Griechische Nationalmannschaft Seit 2010 Erfolge als Trainer Portugiesischer Meister, zweifacher portugiesischer Pokalsieger, griechischer Pokalsieger WM-Gruppenspiele 2014

Ronny Hartmann / dapd

Kolumbien (14. Juni), Japan (19. Juni), Elfenbeinküste (24. Juni)

16

T H E F I FA W E E K LY


DAS INTERVIEW

“Griechenland geht es nicht gut” Als Nachfolger von Otto Rehhagel hat Fernando Santos im krisengeschüttelten Griechenland eine neue Ära eingeleitet. Seine Arbeit als Nationalcoach ist beeindruckend. “Die dritte WM-Qualifikation wird nun dem ganzen Land helfen”, sagt der 59-jährige Portugiese im Interview.

Herr Santos, wo der steht der griechische Fussball? Fernando Santos: Das Niveau in Griechenland ist tief. Von Olympiakos Piräus mal abgesehen, gibt es kein Team, das sich derzeit international bewähren könnte. Die Misere ist auch eine Folge der Wirtschaftskrise. Es geht Griechenland nicht gut, das wirkt sich auf den Fussball aus. Die Klubs haben kein Geld, es findet fast keine Entwicklung statt.

Gibt es keine positiven Ansätze? Es steht wirklich schlecht. Wir müssen versuchen, die jungen, griechischen Talente wieder vermehrt zu integrieren und zu fördern – in den Klubs, in den Schulen und in den Nationalteams. Auch ich muss dieses Ziel verfolgen, dafür bin ich vom griechischen Verband angestellt worden. Klar steht die erste Mannschaft im Vordergrund, aber die Nachwuchsarbeit ist genauso wichtig. Mein jüngster Spieler in der A-Nationalmannschaft ist 17 Jahre alt. Es ist gut, dass er jetzt schon dabei ist und von den erfahrenen Spielern lernen kann. Ich persönlich, und das ist mir wichtig, will meinen Teil zur Entwicklung beitragen.

Sie geniessen als Portugiese in Griechenland viel Respekt. Als Klubcoach wurden Sie viermal zum “Trainer des Jahres” gewählt. Wie nimmt man Sie als ausländischen Nationalcoach wahr? Das müssen Sie die Menschen in Griechenland fragen.

immer wieder erfolgreich in Griechenland gearbeitet habe. Zuerst bei AEK Athen, dann bei Panathinaikos, später bei PAOK Thessaloniki. Mein Vorgänger Otto Rehhagel hat Grossartiges geleistet, von seiner Arbeit profitieren wir heute noch. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es für ihn schwierig war, nach dem Europameistertitel 2004 grosse Fortschritte zu erzielen. Ich versuche da anzuknüpfen, wo er vor vier Jahren aufgehört hat. Das ist nicht einfach. Aber so eine Herausforderung macht Spass. Und wir haben uns schliesslich für die WM qualifiziert.

Träumen die Griechen von einem zweiten grossen Titel?

Ich glaube, dass sie im Stande sind, diesen grossen Vorteil zu nutzen. Brasilien wird’s machen.

Sie und Ihre Frau leben seit Jahren in ­Griechenland. Kehren Sie noch nach Portugal zurück? Bestimmt. Aber Griechenland hat sehr viel zu bieten und wir fühlen uns wohl hier. Es ist ein bisschen wie zu Hause. Griechenland und Portugal haben vieles gemeinsam: die Mentalität, das Essen, die Kultur und das Klima. Ich liebe beide Länder. Å Mit Fernando Santos sprach Alan Schweingruber

Der EM-Triumph von 2004 war ein Wunder. So etwas möchte man wieder erleben, klar. Aber deswegen ist die Erwartungshaltung im Land nicht grösser. Wir sind zum dritten Mal an einer Weltmeisterschaft dabei und das ist toll. Die Qualifikation war hart (Griechenland hat sich via Barrage gegen Rumänien qualifiziert, die Red.). Die Leute in Griechenland schätzen das. Und wir wissen alle, dass diese Teilnahme der Nation gut tun wird. Wenn ich nur an die fantastische Atmosphäre in den griechischen Städten denke, an das Public Viewing und an die vielen Events. So eine positive Stimmung kann mitreissend wirken und einem Land aus der Krise helfen. Wir wollen den griechischen Fussball gut verkaufen und im Juni die WM-Gruppenphase zum ersten Mal überstehen.

Fühlen Sie sich respektiert? Es gibt einfachere Aufgaben als die Nachfolge von Otto Rehhagel anzutreten.

Wer wird Weltmeister?

Ich werde als Nationalcoach respektiert, die Resultate stimmen. Wir haben in 44 Spielen nur fünfmal verloren. Man bringt mir auch Respekt entgegen, weil ich seit 2001

Ihr Favoritenkreis ist nicht sehr gross.

Brasilien.

Nun, ich könnte jetzt noch ein paar grosse Teams aufzählen. Aber die Brasilianer spielen eine Weltmeisterschaft im eigenen Land. T H E F I FA W E E K LY

17


C O U N T D O W N B R A S I L I E N 2 0 14 : N O C H 7 6 T A G E

Traumstoffe Tradition, Identität, Emotionen – das Fussballtrikot einer Mannschaft symbolisiert das Verständnis einer ganzen Nation. Die Shirts müssen allerdings den modischen Ansprüchen aller Fans gerecht werden.

Sarah Steiner

E

in Fussballtrikot ist weit mehr als nur ein Stück Stoff. Es gilt als Merkmal einer Mannschaft, eines gesamten Landes. Als gemeinsames Zeichen der Wiedererkennung, des Teamgedankens, ja gar der nationalen Identität. Eine lange Tradition steckt hinter den verschiedenen Shirts. Farben, Wappen und Embleme sind unwiderruflich mit dem jeweiligen Land verbunden. Oder was wäre die Ausrüstung der Franzosen ohne ihren Hahn? Und können Sie sich das brasilianische Shirt in violett vorstellen? Ganz zu schweigen von den Engländern ohne ihre drei Löwen. Die Trikots, in denen die grossen Titel erkämpft wurden, stehen für den Erfolg einer ganzen Nation. Und so wird auch die Vorstellung der offiziellen Shirts der Nationalmannschaften vor jeder Weltmeisterschaft mit Spannung erwartet. Der Wert eines sogenannten “matchworn”-Shirts – einem Trikot also, welches vom Spieler im besagten Spiel getragen wurde – hat weit mehr als symbolischen Wert. Pelés WM-Finale-Trikot von 1970 wurde 2002 vom Auktionshaus Christie’s für die Summe von 175 000 Euro versteigert. Das Shirt von George Hurst vom Finale vier Jahre zuvor wechselte für 80 000 Euro den Besitzer.

Von nützlich zu modisch Die Bekleidung der Fussballer hat im Laufe der Zeit einen unglaublichen Wandel durchlaufen. War das Material anfangs noch von geringer Bedeutung – Baumwolle reichte völlig aus –, wurde später eine eigene Wissenschaft daraus gemacht, und Hightech löste das einfache Nylon ab. Heute bestehen die Trikots aus verschiedenen Lagen, der Schweiss wird nach aussen hin transportiert, so dass der Körper zwar trocken bleibt, aber nicht auskühlt. Und auch das Design hat sich stark verändert. Den optischen Ansprüchen genügte im letzten Jahrhundert noch ein unifarbenes Hemd, auf das das Emblem des Verbandes 18

genäht wurde. Heute stehen aufwändige Drucke, Effekte und Muster im Mittelpunkt und machen das Trikot zu einem modischen Accessoire, das nicht nur von Sportlern getragen wird. Arbeitskleidung war gestern. Doch wie es im Sport so ist, untersteht auch die Ausrüstung einem strikten Kodex. Das FIFA-­ Reglement zur Ausrüstung umfasst 92 Seiten und regelt vom Kragen bis zum Stollen alles. Darin findet sich zum Beispiel folgender Artikel: “Sämtliche Teile der Spielausrüstung bestehen aus Schnittteilen (z.B. Ärmel, Kragen, Hosenbein oder Saum), die zusammen ein Hemd, eine Hose oder Stutzen ergeben.” Viel Spielraum für Interpretation lässt das Schriftstück nicht. Dennoch hat sich in den letzten Jahren das Aussehen der Trikots verändert. Der Trend geht hin zu körperbetonten, hautengen Shirts. Adidas stellt seinen Teams gar zwei verschiedene Modelle zur Auswahl. Einerseits das altbekannte Trikot, andererseits das TechFit-Modell, das ursprünglich aus dem Unterwäschesegment stammt. Der Stellenwert der Mode in der Gesellschaft ist sehr hoch. Dies nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den Fans. Die vielen weiblichen Zuschauerinnen tragen ihr übriges dazu bei. Doch wie muss das perfekte Fussballtrikot aussehen? Modeschöpfer Giorgio Armani sagte einmal über Kleidung: “Eleganz heisst nicht, ins Auge zu fallen, sondern im Gedächtnis zu bleiben.” Genau das wollen die Designer der Shirts erreichen und haben sich auch dieses Jahr wieder einiges überlegt. Wie also werden wir uns diesen Sommer kleiden? Seleção mit Tradition und Symbolik Das Bestseller-Shirt der WM wird wohl das brasilianische sein. Millionenfach wird es über die Ladentische gehen. Viel Zeit wurde in sein Design investiert. Das gelbe Heimtrikot mit den blauen Hosen bleibt dem klassischen Schnitt treu. Die Wellen auf dem blauen Auswärtstrikot symbolisieren die Wellen des Ozeans vor der T H E F I FA W E E K LY

Aus alt mach neu Die Deutschen werden sich an der WM 2014 nicht mehr in grün sondern in strahlendem weiss präsentieren.


C O U N T D O W N B R A S I L I E N 2 0 14 : N O C H 7 6 T A G E

→ http://www.fifa.com/worldcup

Maskottchen max. 100cm2

Sponsor

FIFA-WM-Siegersterne

Emblem 25cm2

Nummer 10 bis 15 cm

Joern Pollex/Getty Images, Keystone, Imago

brasilianischen Küste, die winzigen Kreise und Diamanten, welche auch Teil des Wappens sind, den Nationalstolz. Auf der Brust das obligate aufgestickte Wappen des Verbandes, darüber fünf Sterne für die fünf WM-Titel. Auf der Rückseite des Wappens – auf der Trikotinnenseite also – befindet sich der aufgedruckte Slogan “Nascido para jogar futebol” (Geboren für den Fussball). Die wohl grösste Neuerung ist aber das Material. Neben all den technischen Attributen setzt die Seleção auf Nachhaltigkeit: Das gesamte Trikotset besteht aus recycelten Plastikflaschen. Das Selbstverständnis der Deutschen Auch die Deutschen haben sich reichlich Gedanken zu ihrem WM-Auftritt gemacht. Das Team rund um Adidas-Chefdesigner Jürgen Rank hatte sich minutiös auf das Thema vorbereitet. Interviews mit Jugendlichen sowie Analysen mit Universitätsprofessoren zur Entwicklung der deutschen Identität haben zum fertigen Produkt geführt. “Das deutsche Sommermärchen war ein Neuanfang, ein neuer Ansatz, mit den deutschen Farben umzugehen, als Auslöser eines neuen Selbstwertgefühls, allerdings ohne dabei Super-Deutsch zu sein.”, sagt Rank. Vor diesem Hintergrund hat er auch das Trikot 2014 entworfen. Leidenschaft für das Spiel, Selbstbewusstsein und hohes Qualitätsdenken stehen im Mittelpunkt des eigentlich ganz in weiss gehaltenen Sets. Rank erklärt sein Design so: “Die Grafik symbolisiert das deutsche Selbstbewusstsein und interpretiert die deutsche Flagge in Rottönen, welche für unaufhaltsame Energie stehen, die vom Team und der neuen Generation Spieler abstrahlt. Die Linien der Grafik stellen Integration und Teamwork sowie die verschiedenen kulturellen Hintergründe und Erfahrungen der Spieler dar.” Ob es den deutschen Fans gefällt oder nicht, kaufen werden sie es alleweil, denn auch 2014 soll für sie ein Sommermärchen werden. T H E F I FA W E E K LY

Die unzähmbaren Löwen Neben Brasilien und Deutschland wird auch das Trikot der Kameruner Armanis Ausspruch gerecht. Die Zentralafrikaner sorgen nicht zum ersten Mal mit ihrer Ausrüstung für Gesprächsstoff. Waren sie es doch, die zur WM 2002 ärmellos antreten wollten – die FIFA verbot es – und zwei Jahre später in einem engen Einteiler am Afrika-Cup aufliefen (was ihnen eine Strafe von über 160 000 Euro eintrug). In Brasilien werden sie sich dem WM-Publikum in sattem Dunkelgrün präsentieren. Angelehnt an ihren Übernamen “Les Lions Indomtables” (die unzähmbaren Löwen) ziert das Shirt eine umfassende Grafik. Die Trikots erinnern an die Shirts der Nationalmannschaft an der WM 1990, an der das Team rund um den tanzenden Torschützen Roger Milla bis ins Viertelfinale einzog. Das Ziel in diesem Jahr ist ähnlich ambitioniert. Und ihr Superstar Samuel Eto’o ist sicher: “Kamerun ist die beste afrikanische Mannschaft”. Zumindest die Trikots passen zu den Erwartungen. Der WM-Monat wird also bunt. Und ganz egal, wie optisch ansprechend oder technisch hochstehend das Trikot des WM-Siegers sein wird, eines ist klar: Es wird das Shirt sein, das für immer in Erinnerung bleiben wird. Denn es ist das Erfolgstrikot, das in die Geschichtsbücher eingehen und für die Fans weit mehr sein wird als nur ein Stück Stoff. Es wird der Stoff sein, aus dem Träume gemacht worden sind. Å

19


First Love


Or t: Dublin, Irland Datum: 6. September 2005 Zeit: 13.47 Uhr

Photograph by Levon Biss with support from Umbro / RPM

T H E F I FA W E E K LY

21


DEBAT T E

Fussballerische Früherziehung

Kinderfussball Der Spass am Spiel steht im Vordergrund. Doch auf spielerische Art werden erzieherische Werte vermittelt.

Thomas Renggli

A

uf politischem Parkett wird der Sportgeist beschworen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beispielsweise sagt: “Im Sport werden grundlegende Werte des gesellschaftlichen Miteinanders und Zusammenlebens vermittelt. Toleranz und Respekt gegenüber anderen, ­K ameradschaft, Fairness, Hilfsbereitschaft und das Ausloten eigener Grenzen.” Der britische Premierminister David Cameron dribbelt ebenfalls mit und spricht dem nationalen Schulsport 150 Millionen Pfund pro Jahr zu: “Sport ermutigt die Kinder, aktiv zu sein und einen gesunden Lebensstil zu fördern, 22

Freunde zu finden – und natürlich Spass zu ­haben. Schulsport eröffnet aber auch die Möglichkeit, den beruflichen Werdegang positiv zu beeinflussen – es fördert das Selbstvertrauen, die Zielstrebigkeit und lehrt an einer Aufgabe zu wachsen, fördert den Charakter und verhilft zu einem erfolgreichen Leben.” Was der hohen Politik recht ist, ist dem Ausbildner an der Basis billig. Der ehemalige FIFA-Mitarbeiter Marco Bernet, Sportchef im FC Zürich und für den Aufbau der Kinderfussball-Abteilung verantwortlich, bezeichnet den Sport als optimales Instrument, um sich in der Gesellschaft schneller zurechtzufinden: “Der Fussball bietet die Möglichkeit, Erziehung mit Leistung zu verbinden. Kinder lernen Disziplin, Ordnung und mit Erwartungen umzugehen” Möchte ein Kind einem Fussballklub beitreten, sind solche Gedankengänge kaum relevant. Es geht (in den meisten Fällen) um den Spass am Spiel. Dieser Aspekt ist für Bernet entscheidend: “Wenn man mit Freude bei einer Sache ist, geht alles schneller – man lernt auch einfacher mit Rückschlägen zurechtzukommen und Niederlagen zu verkraften.” Der Deutsche Fussball-Bund präsentierte im Dezember 2009 einen Leitfaden seines NachT H E F I FA W E E K LY

wuchskonzepts, der auf die Persönlichkeitsbildung abzielt und fünf Punkte umfasste: Geschichte, Ziele, Werte, Persönlichkeit und Verhalten. Matthias Sammer, der damalige Sportdirektor des Verbandes, heute in gleicher Funktion bei Meister Bayern München tätig, musste sich trotz grosser Erfolge auf allen Ebenen, auch gegen kritische Stimmen wehren:“ Es geht nicht darum, unsere Spieler in ein Schema zu pressen oder wie in der DDR strammstehen zu lassen. Sie haben genügend Spielräume, aber es geht um die Orientierung, wie sie sich zu verhalten haben.” Gleichwohl steht das Leistungsprinzip schon für siebenjährige Junioren im Zentrum. Die Experten sprechen von “fussballerischer Früherziehung”. Oder wie es im Volksmund heisst: “Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.” Å

Die Weekly-Debatte. Was brennt Ihnen unter den Nägeln? Über welche Themen wollen Sie diskutieren? Ihre Vorschläge an: feedback-theweekly@fifa.org.

Martin Ruetschi / Keystone

Im Teamsport können Kinder Erfahrungen sammeln, die später von Bedeutung sind. Wie wichtig ist der Fussball für die Erziehung und Entwicklung?


DEBAT T E

Sport ist definitiv eine Art Lebensschule. Man reift durch den Sport, wird auf die Herausforderungen und Anforderungen des Lebens vorbereitet, pflegt soziale Kontakte und kann sich auch mal abreagieren. Falk Olsson, Göteborg (Schweden)

“Fussball ­liefert gute wie schlechte ­Beispiele.” Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig für Kinder ist, Sport zu treiben, denn durch den Sport lernen die Kinder den Umgang mit Erfolg und Misserfolg. In Teamsport­ arten lernen sie vor allem auch Teamgeist und Sozialkompetenz kennen. Diese Punkte sind aus meiner Sicht extrem wichtig für eine ­positive Entwicklung des Charakters.

PRESIDENTIAL NOTE

Mannschaftssport ist definitiv eine gute Lebensschule. Mein Sohn hat erst im Fussballverein gelernt, Rücksicht auf andere zu nehmen und mit dem Gefühl der Niederlage umzugehen. Diego Gentiloni, Mailand (Italien)

Der Sport kann ein wichtiger Faktor in der beruflichen Laufbahn sein. Wer beispielsweise in einem Teamsport eine Führungs­ position einnimmt, merkt schnell, dass eine Mannschaft um ihn herum bestehen muss, sonst funktioniert sie nicht. Der Leader sollte aber auch mal jemand anderen vorne hin­ stellen können. Es bestehen grosse Unterschiede zwischen Einzel- und Mannschaftssportarten. Beim Einzelsport lernt man sicherlich zu kämpfen, aber auch mit Sieg und Niederlage umzugehen. Der Teamgedanke jedoch, der in einer Managerposition extrem wichtig ist, kann im Einzelsport weniger gut erlernt werden. Carsten Schwank, Düsseldorf (Deutschland)

Ich bin nicht der Meinung, dass der Fussball eine ideale Lebensschule ist. Schaut man sich ein Fussballspiel im Fernsehen an, sieht man Dinge, die man den eigenen Kindern nicht vermitteln möchte: böse Fouls, theatralische Schwalben, permanentes Reklamieren. Ich hoffe, dass meine heute vierjährige Tochter nie auf die Idee kommt, Fussball zu spielen – sondern sich für Ballet- oder Eislauf­ unterricht entscheidet. Olga Sedokova, Sumy (Ukraine)

Gesa Jürgens, St. Gallen (Schweiz)

Die Bedeutung des Fussballs für die Erziehung ist immens. Neben positiven Aspekten wie Teamgeist, Erfolg und Fairness werden allerdings – gerade auf Spitzenniveau – auch negative Assoziationen wie Schummeleien (auf dem Spielfeld), Zuschauerausschrei­ tungen und Geldverschwendung geweckt. Mit anderen Worten: Der Fussball liefert gute wie schlechte Beispiele als Lebensschule. Thomas Meier, Basel­­­­­ (Schweiz)

Für mich persönlich scheint von elementarer Bedeutung, dass sich ein Kind ausreichend bewegt. Zusätzlich sollte es möglichst viel Zeit im Freien an der frischen Luft verbringen. Dazu kommt die Förderung des Teamgedankens. Fussball ist da der ideale Sport. Daneben sind aber musische Aktivitäten auch von Bedeutung für die Entwicklung. Das Kind soll vieles ausprobieren können, aber nichts müssen. Fabio Lenzlinger, St. Gallen (Schweiz)

“Sport kann beruflich ein Faktor sein.”

Fussball als Lebensschule

“N

o sports”, sagte Winston Churchill mit staatsmännischer Vehemenz. Ich muss ihm da heftig widersprechen: Sport im Allgemeinen und Fussball (als Mannschaftssport) im Speziellen sind eine ideale Lebensschule. Wo sonst lassen sich in jungen Jahren soziale Qualitäten wie Zusammengehörigkeitsgefühl, Integration, Kreativität oder Fairness spielerisch erleben und aneignen? Wo sonst lernt man im Team auf ein Ziel hinzuarbeiten – zu gewinnen, aber auch mit Rückschlägen umzugehen? Dazu kommt der Beitrag des Fussballs zur Volksgesundheit. Mit dem FIFA-Programm “Football for Health” wollen wir die Bedeutung dieses Aspekts und das Bewusstsein dafür fördern. In manchen Ländern liegt die Lebens­ erwartung bei über 80, in anderen bei unter 40 Jahren. Es gilt Wege zu finden, diese Diskrepanz zu verringern, auch den Menschen in ärmeren Ländern die selben Chancen zu geben. Dank seiner weltweiten Popularität kann der Fussball in der Förderung des Gesundheitsverständnisses und der Prävention eine Vorreiterrolle einnehmen – die Menschen auf spielerische Weise zu mehr Bewegung motivieren und dazu beitragen, Krankheiten zu bekämpfen und die Lebensqualität zu erhöhen. Ich war diese Woche in Kirgistan, Tadschikistan und Kasachstan unterwegs und durfte erleben, welch integrative Wirkung der Fussball auch in dieser Region besitzt – gerade bei Kindern. In Tadschikistan haben wir im Zentralstadion von Duschanbe den Kunstrasen eingeweiht und den Grundstein für die Fortsetzung der Entwicklungsarbeit gelegt. Dies wird vor allem auch dem Nachwuchs zugute kommen – und die Bedeutung des Fussballs als ­Lebensschule akzentuieren.

Ihr Sepp Blatter T H E F I FA W E E K LY

23


emirates.com

Tomorrow brings us all closer To new people, new ideas and new states of mind. Here’s to reaching all the places we’ve never been. Fly Emirates to 6 continents.


PANINI - F IEBER

Die Stars nach Hause nehmen

Das Panini-Sammelbild ist ein magischer Draht vom Fan zum Fussballidol. Und mit dem letzten fehlenden Bild erringt der Panini-Sammler einen weiteren ganz persönlichen Teil an der WM 2014. Es geht los! Ronald Düker

Giuseppe Panini

V

on wann bis wann dauert eigentlich in diesem Jahr die Fussball-WM? Vom 12. Juni bis zum 13. Juli? Die internationale Grossgemeinde der Panini-Sammler folgt einem zusätzlichen Zeitplan. Für sie beginnt die WM schon gegen Ende März, dann erscheint das aktuelle Panini-Album. Und sie endet vielleicht erst nach dem Turnier. Denn erst, wenn alle Spielerportraits eingeklebt und das Album komplett ist, hat auch der Sammelbild-Freund sein ganz persönliches Turnier zu Ende gespielt. Das neueste WM-Album ist rund 80 Seiten dick, und es sind weit mehr als 600 Sticker darin einzukleben. Jeweils fünf davon gibt es in einem Tütchen, das am Kiosk rund 60 Eurocent kostet. Jedes Tütchen birgt eine Überraschung. Denn vielleicht enthält es die gesuchten Spielerbilder, vielleicht aber auch solche, die der Sammler längst besitzt. Unweigerlich wird er Duplikate erwerben, und unweigerlich wird er

sich nach Gleichgesinnten umsehen, mit denen er die Duplikate tauschen kann – das macht den Reiz des Sammelns aus, die Lotterie beim Kauf und die Begegnung mit anderen Panini-­ Sammlern. Die Panini-Bilder sind übrigens längst zum Fall der höheren Mathematik geworden. “Coupon Collector’s Problem” lautet eine anspruchsvolle Fragestellung der Stochastik, bei der es darum geht, wie viele Bilder im Durchschnitt gesammelt werden müssen, damit eine einzige Serie komplett ist. Das Glück des Tauschens Komplizierte Rechenoperationen führen zu dem Ergebnis, dass eine Serie von 150 Bildern den Kauf von 839 Stickern nötig macht. Wie viele wären das dann im Fall des neuen WM-­ Albums? Zum Glück gibt es eine grosse Zahl von Tauschbörsen ... Die Idee der Sammelbildalben stammt aus dem Jahr 1840 und diente zunächst dem Verkauf von Schokolade. Der deutsche SüsswaT H E F I FA W E E K LY

renfabrikant Franz Stollwerck hatte das Einwickelpapier seiner Schokoladentafeln mit Bildern bedrucken lassen, die, in Bücher eingeklebt, Geschichten ergaben. So erfuhren insbesondere naschwütige Kinder von den einzelnen Bau-Etappen des Kölner Doms oder den Schlachten des Deutsch-Französischen Kriegs. Die Panini-Brüder aus dem italienischen Modena waren aber die ersten, die diese Idee auf den Fussball übertrugen. In der Saison 1961/1962 erschien ihr erstes Album mit den Spielern der Serie A, im Jahr 1970 das erste zu einer WM. Über ein halbes Jahrhundert wuchs der kleine Familienbetrieb zu einem weltweit 25


PANINI - F IEBER

? agierenden Konzern heran, der heute einen Jahresumsatz von über 600 Millionen Euro erwirtschaftet und 900 Mitarbeiter beschäftigt. Soziale Beziehungen Sammler gehen ihrem Hobby mit grösster Akribie nach. Und man könnte denken, dass dies eine Marotte verschrobener Einzelgänger ist. Weit gefehlt! Panini-Bilder sammelt natürlich jeder und jede! Die Tatsache doppelter Bilder im eigenen Besitz stiftet geradezu automatisch soziale Beziehungen: Der eine hat, was dem anderen fehlt, und so bilden sich schon auf dem Schulhof Grüppchen tauschfreudiger Jugendlicher, die ihre Alben auf diese Weise viel schneller vervollständigen, als wenn sie allein sammeln würden. Heute organisieren sich Tauschgemeinschaften auch im Internet. Die Liebe zum Sammelbild hat eine riesige Online-Gemeinde von Gleichgesinnten geschaffen. Und es existiert auch die Möglichkeit, ein virtuelles Sammelalbum anzulegen. Die Stars bei sich zu Hause In welcher Tradition steht die Liebe zum Panini-Sammeln? Geht sie auf die Ikonenmalerei des Mittelalters zurück und umfängt den Fussballstar mit einer Aura religiöser Verehrung? 26

Ist der Sticker, wie sein enger Verwandter, die Autogrammkarte, ein magischer Draht des Fans und seinem Idol? Letzteres schon. Das Sammelbildalbum ist ein Museum, eine Bildergalerie. Jeder einzelne Spieler jeder einzelnen Mannschaft ist vor einem ähnlichen Hintergrund fotografiert und mit denselben Zusatzinformationen versehen: Name, Geburtsort, Alter, Grösse, Gewicht, Klubzugehörigkeit. Und doch weiss der Sammler, welche Sticker er besonders gern im Album haben möchte: die Stars. Ob Lionel Messi oder Asmir Begovic, ob Rui Patrício oder Philipp Lahm – hier ist jeder Spieler – ganz gleich, wie hoch sein Marktwert und wie gross seine Kunst am Ball auch ist – zwar ein wichtiges Teilchen in der Vervollständigung des Albums. Doch Messi, Ronaldo oder Ribéry, die für den FIFA-Ballon d’Or 2013 nominiert waren (Ronaldo ging bekanntlich siegreich hervor), sind die Stars nicht nur des Weltfussballs, sondern auch des Panini-Albums. Egal, dass ihnen gleich viel Raum im Album eingeräumt wird wie allen anderen Spielern. Der Sammler aber gewinnt mit den Stars und mit allen anderen Spielern einen weiteren ganz persönlichen Teil an der WM 2014, sobald er das letzte fehlende Paninibild eingeklebt hat. Å T H E F I FA W E E K LY

Panini

Alle Weltmeisterteambilder seit 1970 Brasilien 1970, Deutschland 1974, Argentinien 1978, Italien 1982, Argentinien 1986, Deutschland 1990 (vorherige Seite), ­Brasilien 1994, Frankreich 1998, Brasilien 2002, Italien 2006, Spanien 2010. Welche Mannschaft wird es wohl 2014?


DIE PANINI - BRÜDER

Sammeln einst und heute Yvonne Lemmer

A

Walter Breveglieri

ls die Brüder Giuseppe und Benito Panini im Jahr 1945 im italienischen Modena einen Zeitungsstand eröffneten, konnten sie wohl noch nicht ahnen, dass ihr Unternehmen eines Tages die weltweite Marktführerschaft im Bereich der Sammelbildchen innehaben würde. 1961 gründeten die Brüder die Panini-Gruppe, und im selben Jahr wurde auch das allererste Sammelalbum herausgegeben. Es enthielt Bilder von italienischen Fussballteams der ­ Saison 1961/1962. Noch heute kann man Serien aus diesem Album erwerben, etwa auf Aktionsseiten im Internet. Vor kurzem wechselten neun Bildchen von damaligen Milan-Stars für 110 Euro die Hand. Neun Jahre nach jenem italienischen Album erschien zum ersten Mal ein Panini-Sammel­ album für eine Fussball-Weltmeisterschaft – anlässlich des Turniers Mexiko 70. Zur WM 2010 in Südafrika veröffentlichte Panini ausser dem physischen Sammelheft erstmals auch ein Online-Panini-Album. Mehr als eine Million Sammelfreudige erstellten ihr privates Online-Album, und insgesamt wurden fast 395 Millionen Bildchen virtuell gesammelt. Das virtuelle Panini-Sammelalbum 2014 beinhaltet 352 Bildchen. Man muss sie zusammensuchen wie ihre papierenen Zwillinge, ­a llerdings nicht auf Tauschbörsen in Schulhöfen oder Büroräumen, sondern online: auf der Suche von im Netz versteckten Download-Codes. Jene 40 Bildchen, auf denen kein Spieler zu sehen ist, sind auf FIFA.com zu finden: auf der Website, aber auch in der App oder in den sozialen Netzwerken. Das wird einige Zeit beanspruchen, auch deshalb, weil bestimmte Bilder im Laufe des WM-Turniers freigeschaltet und dann überhaupt erst gesucht werden können. Eine weitere Neuerung entstand 2011 mit dem ersten Sammelalbum für eine Frauen-WM. Anlässlich des Turniers 2011 in Deutschland konnten erstmals auch Panini-Abziehbildchen der weltbesten Fussballspielerinnen gesammelt werden. Å

Vom Zeitungsstand zum Sammelalbum-Imperium Die Brüder Panini und ihr Kiosk in Modena.

Die Begeisterung ist ungebrochen Schon 1960 waren die Kinder ganz wild auf die Fussball-Sammelbilder. T H E F I FA W E E K LY

27


game onor game over

all in or nothing

adidas.com/worldcup Š 2014 adidas AG. adidas, the 3-Bars logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.


W E E K LY T O P 11

FREE KICK

Die Übernamen der Nationalteams

1

Seleção – Brasilien. In Brasilien werden die Fussballer auch “Canarinho” ­(Kanarienvögel), “Verdeamarelhos” (die grün-gelben) oder “Pentacampeão” (fünffache Meister) genannt.

2

Socceroos – Australien. Zusammenge­ setzt aus dem Wort Soccer (Fussball) und Kangaroos (Kängurus) hat ein Jour­ nalist das Nationalteam benannt.

Fussball-Arithmetik 3 Thomas Renggli

I

m Fussball gibt es den Fouleinwurf, den Fehlpass und die falsche Taktik. Und es gibt den falschen Neuner. Er unterscheidet sich vom echten Neuner (der Sturmspitze) darin, dass er sich ins Mittelfeld zurückfallen lässt und aus dem Rückraum zum Angriff bläst. Der katalanische Meisterstratege Pep Guardio­ la gewinnt mit dem FC Bayern München die Titel praktisch im Wochenrhythmus, an der wichtigsten Einheit in seiner Wahlheimat ver­ mochte er trotzdem nichts zu ändern: Der Masskrug beinhaltet noch immer exakt einen Liter Bier. Dafür korrigierte Guardiola die Arithmetik des Fussballs. Er lässt mit einem “Neuneinhalber” spielen – einem als Mittelfeld­ spieler getarnten Stürmer: Thomas Müller. Christian Streich, Guardiolas Berufskolle­ ge vom SC Freiburg, verfügt zwar nur über ein Achtel des Budgets (17 Millionen Euro) des Branchenkrösus, doch auf dem taktischen Parkett dribbelt er Guardiola locker aus: “Wir haben einen Achteinhalber und einen Neun­ einhalber, aber keine klassische Zehn”. Früher war die Welt noch in Ordnung – und das taktische Korsett lockerer. Als sich der Fussball zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Rugby emanzipierte, regierte der offensive Freigeist – oder das taktische Chaos. Frei nach dem Motto, dort, wo der Ball ist, sind auch die Spieler, schickten die Trainer einen Torhüter, einen Verteidiger und neun Stürmer aufs Feld. Erst im Verlaufe der Zeit wurde das defen­ sive Verständnis geweckt. Die Trainer kom­ mandierten wahlweise drei oder vier Spieler zur defensiven Pflichterfüllung ab. Die ersten mehrheitsfähigen Spielsysteme waren das “WM-System” (mit je fünf defensiven und of­ fensiven Spielern) sowie die “schottische Fur­ che”. Letztere prägte die Nummerierung der Spieler von 1 (Torhüter) bis 11 (Linksaussen).

Auf Schalke wurde der “Kreisel” erfunden, in der Schweiz – vom Österreicher Karl ­Rappan – der “Riegel”, eine Vorstufe des “Catenaccio”. Für die erste grosse Revolution sorgte der ungari­ sche Fussballlehrer Gusztav Sebes, der in den 50er Jahren um Ferenc Puskas eine der spekta­ kulärsten Mannschaften der Geschichte form­ te und mit dem taktisch flexiblen 2-3-3-2-Sys­ tem neue Wege ging. Damit brachte er die Gegner in höchste Schwierigkeiten – und mach­ te den Fussball zum Zahlenspiel: 4-2-4; 4-1-3-2; 4-2-1-3; 3-4-3; 4-3-3; 5-3-2; 3-5-2; 5-4-1; 4-5-1: 4-2-3-1; 4-1-4-1; 3-3-4; 3-6-1; 3-3-3-1; 4-6-0; 4-2-2-2; 4-4-2. Das sind weder die Ziehung der Lottozahlen noch die Bilanz eines Bingo-Abends, sondern die Lösungsansätze in einem durchschnittli­ chen Fussballlehrbuch. Um selbst in hektischen Saisonphasen das taktische Gleichgewicht zu wahren, gibt es eine Grundregel: Die Summe der Ziffern muss immer zehn ergeben. Gewisse Fakten haben sowieso alle SystemErfindungen und Taktik-Revolutionen über­ lebt: Torhüter und linke Flügel sind verrückt. Und im Zweifelsfall trägt der Schiedsrichter die Hauptschuld. Å

Die wöchentliche Kolumne aus der The-FIFA-Weekly-Redaktion T H E F I FA W E E K LY

Three Lions – England. Die drei Löwen beziehen sich auf das Wappen des eng­ lischen Fussballverbandes.

4

Chipolopolos – Sambia. Die Kupfer­ kugeln sollen ihr Ziel nicht verfehlen. Das Metall ist das Hauptexportgut des Landes.

5

La Furia Roja – Spanien. Die rote Furie trägt ihren Namen seit den olympischen Spielen 1920, bei denen sie völlig über­ raschend die Silbermedaille gewann.

6

Harambee Stars – Kenia. Das Suaheli­Wort Harambee bedeutet soviel wie am gleichen Strang ziehen.

7

Samurai Blue – Japan. In ihren blauen Trikots sollen die Spieler wie die traditi­ onellen Krieger kämpfen und gewinnen.

8

To Piratiko – Griechenland. Der Spitz­ name geht zurück auf einen TV-Kommen­ tator, der bei der EM 2004 sagte, die Grie­ chen müssten spielen wie ein Piratenschiff und die anderen Teams überfallen.

9

Les Lions Indomptables – Kamerun. Auf Beschluss des Präsidiums trägt das Team seit 1972 seinen Namen und soll genau so unzähmbar sein, wie der König der Tiere.

10

L a Mannschaft – Deutschland. Offiziell hat die DFB-Elf keinen Spitznamen. In Italien wird sie “La Mannschaft” genannt.

11

S oca Warriors – Trinidad & Tobago. Soca steht nicht etwa für Fussball, sondern für einen auf den Inseln typischen Tanzmu­ sikstil – ein Mix aus Soul und Calypso.

Welches Team trägt den besten Spitznamen? Ihre Meinung an: feedback-theweekly@fifa.org 29


HISTORY

Kleiner Löwe, grosse Wirkung

Yvonne Lemmer

N

achdem bereits ein offizielles Emblem für das Turnier geschaffen worden war, suchte die Football Association (FA) in den frühen 1960er-Jahren nach einem weiteren Symbol, mit dem kostengünstig, aber im grossen Stil um Aufmerksamkeit für die bevorstehende Weltmeisterschaft geworben werden konnte. Doch die FA strebte nicht bloss P ­ ublicity an, nein, auch die kommerzielle Vermarktung eines solchen Symbols war höchst erwünscht. Mit der Entwicklung eines möglichst erinnerungswürdigen Maskottchen wurde der Engländer Reginald Hoye, damals Zeichner bei Walter Tuckwell and Associates Limited, betraut. Diese Firma war von der FA mit der Vergabe von Lizenzrechten für die Nutzung von Event-Zeichen beauftragt worden. Vier Vorschläge reichte Reginald Hoye, der unter anderem auch als Zeichner für die weltbekannten Kinderbücher von Enid Blyton tätig war, der Football Association ein. Drei der Vorschläge stellten Zeichnungen von Löwen dar, einer zeigte einen Jungen. Das Rennen machte ein nach seinem 12-jährigen Sohn Leo entworfener Löwe mit einer Frisur im 60er-Jahre-Stil und Union Jack T-Shirt mit der Aufschrift World Cup. World Cup Willie war geboren. 30

Die Presse bekam den freundlichen kleinen, aber breitschultrigen Löwen erstmals im Juli 1965 zu Gesicht, als das Maskottchen an einer Pressekonferenz zu den Vorbereitungen auf die WM 1966 am Hauptsitz der Football Association so ganz nebenbei vorgestellt wurde. So beiläufig World Cup Willie auch der Öffentlichkeit präsentiert wurde, die Medien und Fans waren ihm sofort verfallen – genau dies hatte man sich seitens der WM-Organisation erhofft. Fortan erschien das Bild des plüschigen ­Löwen regelmässig in der englischen Presse und fast 100 Lizenznehmer wurden gefunden, die Souvenir-Artikel wie Schlüssel­a nhänger, Aufkleber, Postkarten, Tassen, Hüte oder T-Shirts mit dem Abbild von World Cup Willie oder dem offiziellen Emblem des Turniers ­herstellten. Das Merchandising hielt damit Einzug in die Fussball-WM. Der in der Zwischenzeit verstorbene Reginald Hoye ging mit World Cup Willie als Schöpfer des allerersten Fussball­ WM-Maskottchens in die Geschichte ein. Und Word Cup Willie läutete einen neuen Trend zur Bekanntmachung eines Events mit Hilfe eines Maskottchens ein, der bis heute anhält. Å

T H E F I FA W E E K LY

John Pratt / Getty Images

Wie schafft man möglichst viel Medien­präsenz, ohne dafür Millionen auszugeben? Das OK für die WM 1966 in England sah von teuren Zeitungs­ inseraten ab und warb mit dem Maskottchen World Cup Willie.


Der Sohn des KĂźnstlers Leo Hoye posiert im Februar 1966 mit den GeschĂśpfen seines Vaters Reg Hoye, den World Cup Willies.

T H E F I FA W E E K LY

31


ZEITSPIEGEL

T

H

E

N

Fussballstadion in Quito, Ecuador

1958

Paul Schutzer / Getty Images

Eine Art Torschuss von der Mittellinie – US-Vizepräsident Richard M. Nixon versuchte sich am 1. Mai 1958 auf seiner Südamerikareise als Kunstschütze. Mehr als zehn Jahre später wurde er als 37. US-Präsident inauguriert.

32

T H E F I FA W E E K LY


ZEITSPIEGEL

N

O

W

Favela Ciudad de Deus, Rio de Janeiro, Brasilien

2011

Pablo Martinez Monsivais / A P Photo

An der WM im Sommer könnte das US-Team erst in der K.o.-Runde auf den Gastgeber Brasilien stossen. Präsident Barack Obama traf am 20. März 2011 in Rio de Janeiro schon einmal den lokalen fussballerischen Nachwuchs.

T H E F I FA W E E K LY

33


EVERY GASP EVERY SCREAM EVERY ROAR EVERY DIVE EVERY BALL E V E RY PAS S EVERY CHANCE EVERY STRIKE E V E R Y B E AU T I F U L D E TA I L SHALL BE SEEN SHALL BE HEARD S H A L L B E FE LT

Feel the Beauty

BE MOVED

THE NEW 4K LED TV

“SONY” and “make.believe” are trademarks of Sony Corporation.


FIFA-R ANKING FR AUEN

Engländerinnen in den Top Ten Seit sechs Jahren führen die US-Amerikanerinnen das FIFA-Ranking der Frauen an. Nun zeichnet sich an der Spitze ein Wechsel ab. Deutschland liegt in der aktuellen Weltrang­ liste nur noch 24 Punkte hinter den USA. Das Team von Silvia Neid triumphierte am Algarve­

Rang Team Rangveränderung

Punkte

1 USA

0 2197

2 Deutschland

0 2173

3 Japan

0 2076

4 Frankreich

1 2051

5 Schweden

1 2016

6 Brasilien

-2 2006

7 Kanada

0 1971

8 England

3 1956

9 DVR Korea

1 1954

10 Norwegen

-2 1949

11 12 13 14 15 16 16 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 30 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

Australien Italien Dänemark Niederlande Spanien VR China Island Republik Korea Schottland Neuseeland Russland Schweiz Finnland Ukraine Mexiko Belgien Tschechische Republik Vietnam Österreich Thailand Republik Irland Kolumbien Polen Nigeria Argentinien Rumänien Wales Ungarn Chinese Taipei Costa Rica Chile Belarus Portugal Usbekistan Myanmar Serbien Slowakei Trinidad und Tobago Kamerun Ghana Indien Südafrika Äquatorial-Guinea Jordanien Iran Haiti Nordirland Slowenien

-2 0 0 0 0 2 3 -1 1 -4 0 0 0 0 0 1 -1 0 0 2 3 -3 -2 0 -1 -1 -1 0 0 -4 -2 -2 -3 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 0 0

1945 1880 1877 1852 1844 1843 1843 1833 1818 1810 1806 1796 1781 1772 1761 1698 1690 1664 1658 1649 1649 1641 1640 1623 1620 1613 1597 1582 1574 1561 1559 1558 1549 1548 1544 1537 1521 1509 1467 1459 1431 1430 1429 1415 1412 1397 1395 1393

→ http://www.fifa.com/womensworldcup/

Pokal, schlug Weltmeister Japan im Finale 3:0 (12. März). Auch der Zypern-Pokal hat Auswirkungen auf die Top Ten. England machte dank dem ­Finaleinzug in Nikosia (ebenfalls 12. März) drei Ränge gut und liegt neu auf Platz 8. Frankreich stiess dank seinem zweiten Turniersieg auf Rang 4 vor. Für die Grande Nation ist dies die

Rang Team Rangveränderung 58 60 61 62 63 63 65 66 66 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 101 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122

Bulgarien Israel Albanien Panama Kroatien Hongkong Venezuela Türkei Kasachstan Elfenbeinküste Griechenland Färöer Tunesien Indonesien Uruguay Algerien Estland Guatemala Marokko Bahrain Philippinen Bosnien und Herzegowina Laos Ägypten Malaysia Senegal Montenegro Litauen Bolivien Simbabwe Mali Lettland Palästina Singapur El Salvador Äthiopien Malta Luxemburg Honduras Kirgisistan DR Kongo Nicaragua Nepal Armenien Georgien Zypern EJR Mazedonien Namibia Bangladesch Sri Lanka Libanon Sambia Malediven Pakistan Tansania Afghanistan Mosambik Kuwait Katar Swasiland Lesotho Belize Bhutan Botsuana Ecuador** Papua-Neuguinea** Peru** Paraguay**

T H E F I FA W E E K LY

-2 -5 -2 -2 -2 -2 -3 -3 -2 -4 -3 -4 -5 -4 -4 -9 -5 -4 -6 -4 -5 -5 -5 -5 -6 -7 -7 -7 -7 -6 -8 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -7 -5 -8 -6 -9 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -6 -5

Punkte 1393 1388 1372 1364 1361 1361 1360 1358 1358 1357 1348 1338 1335 1330 1329 1327 1320 1318 1316 1314 1309 1306 1283 1273 1269 1252 1242 1241 1235 1226 1191 1189 1182 1177 1175 1163 1160 1155 1153 1136 1132 1111 1104 1104 1100 1086 1073 1015 979 965 955 948 942 937 931 899 873 870 867 838 836 827 785 736 1484 1476 1450 1430

beste Platzierung seit Einführung der Frauen­Weltrangliste 2003. 142 Partien wurden dieses Mal insgesamt berücksichtigt. Acht Nationen schafften die Wiederaufnahme in das Ranking: Argentinien, Bolivien, Chile, Venezuela, Tunesien, Algerien, Ägypten und Mali.

Rang Team Rangveränderung Aserbaidschan** Jamaika** Tonga** Fidschi** Guam** Guyana** Kongo** Tahiti** Dominikanische Republik** Kuba** Salomon-Inseln** Neukaledonien** Benin** Moldawien** Barbados** Cook-Inseln** Suriname** Vanuatu** Angola** Bahamas** Samoa** Puerto Rico** Amerikanisch-Samoa** Guinea** St. Lucia** Eritrea** Gabun** Grenada** St. Vincent und die Grenadinen** St. Kitts und Nevis** Uganda* Turks- und Caicos-Inseln** Bermuda** Guinea-Bissau** Syrien** Dominica** Amerikanische Jungferninseln** Irak** Britische Jungferninseln** Cayman-Inseln** Malawi** Curaçao** Aruba** Antigua und Barbuda** Komoren** Vereinigte Arabische Emirate* Sierra Leone* Burkina Faso* Liberia* Kenia*

Punkte 1341 1339 1316 1306 1294 1256 1238 1238 1226 1201 1195 1188 1187 1177 1173 1170 1159 1139 1134 1111 1110 1108 1075 1063 1061 1060 1031 1029 1008 974 965 963 950 927 927 906 885 882 867 847 840 831 803 757 534 1665 1132 1038 877 816

** Teams, die seit über 18 Monaten nicht mehr gespielt haben und deshalb nicht rangiert sind. * Provisorisch rangierte Teams, weil sie nicht mehr als fünf Spiele gegen offiziell rangierte Teams gespielt haben.

35


THE SOUND OF FOOTBALL

DAS OBJEK T

Perikles Monioudis

Don’t You Want Me Hanspeter Kuenzler

Der Schlager ging um die Welt und erreichte auch in den USA die Spitze der Charts. ­Seither gehört er zu den Dauerbrennern in den Juke­ boxes und Karaoke-Maschinen – und auf den Rängen vom Pittodrie Stadion des Aberdeen FC. Dort lautet der Text allerdings nicht “don’t you want me, baby”, sondern “Peter Pawlett Baby”. Wohl eine Anspielung darauf, wie jung und unschuldig der Mittelfeldspieler dreinschaute, als er im Februar 2009 mit 18 Jahren erstmals für die Dons auflief. Am 16. März gewann die Mannschaft, mit der 36

Alex Ferguson einst drei Meistertitel holte, seine erste Trophäe seit 19 Jahren, nämlich den Liga-Cup. Selbstverständlich zeigten sich die Fans nach dem 4:2 gewonnen Penalty-­ Schiessen gegen Inverness Caledonian Thistle in grosser Singlaune. Aus voller Kehle röhrten sie “Peter Pawlett Baby” – so laut, dass der euphorisierende Ohrwurm seine a nsteckende Wirkung über ­ die TV-Übertragung in ganz Schottland hinaus trug. Die siegreichen Dons-Spieler blieben auch nicht auf ihren Lorbeeren sitzen: Noch in der ­Garderobe kritzelten sie eine Tafel – “Get me to No. 1 – Peter Pawlett Baby” – und schickten es auf Twitter-Reise. Und siehe da: Am Ende des Tages lag das Stück auf Platz vier der iTunes-Download-Charts. Eine Gruppe von Fans lancierte postwendend die Facebook­ Gruppe “Peter Pawlett baby to No. 1” – sie verzeichnet inzwischen mehr als 12 000 Likes.

Des weiteren besprayte ein lokaler Autohändler einen Mini mit dem gleichen Slogan und liess den Golfprofi Paul Lawrie damit sehr publicity-trächtig durch die Stadt kurven. Ende der Woche war das Ziel erreicht: “Don’t You Want Me” stand an der Spitze der schottischen Hitparade. Inzwischen ist die Welle in den Süden nach England übergeschwappt. In den hiesigen Verkaufs-Charts liegt “Don’t You Want Me” ­derzeit auf Rang 19 – mit aufsteigender Tendenz. Derweil sich die Schöpfer des Liedes hoch erfreut zeigten und den ­Dons-Fans über Facebook eine Dankesbotschaft zukommen liessen, hat der Erfolg dennoch eine traurig-ironische Fuss­ note: Peter Pawlett konnte im besagten Cup-Final nicht spielen – er war verletzt. Æ

Sion Ap Tomos

Den Fans des Aberdeen FC hat die altbekannte Synthie-PopBand Human League dieser Tage ihren grössten Hit seit fast zwei Dekaden zu verdanken. Ganz neu ist das Liedchen indes nicht: Anno 1981 war die hymnische Liebeskummernummer “Don’t You Want Me” in England der ganz grosse Weihnachts-Hit.

Das Schienbein ist ein exponierter Teil des Körpers. Tritte dagegen werden nicht gross von Fett und Muskeln abgemildert, sie erreichen den Knochen, das eigentliche Schienbein, fast schon unmittelbar. Für die Fussballspielenden heisst das zweierlei. Er und sie müssen das Schienbein schützen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, bei jedem Foul einen Kratzer, einen tiefen Kratzer oder etwa eine Prellung davonzutragen. Doch mit der Tatsache der Verletzlichkeit kann auch kokettiert werden, etwa indem absichtlich keine Schienbeinschoner verwendet und die Stutzen lässig am Knöchel gerafft werden. Wer tut sowas? Nun, heute stellt sich die Frage auf internationalem Niveau zwar nicht mehr. Denn das Tragen von Schienbeinschonern ist längst, seit fast einem Vierteljahrhundert, Pflicht. Vergegenwärtigen wir uns aber zum Beispiel Hans-Peter Briegel, den 72-fachen deutschen Nationalspieler (1979 bis 1986) und Europameister 1980 sowie WM-Zweiten 1982 und 1986, stellen wir mit vielleicht grossem Erstaunen fest: Es ging auch mit den Stutzen unten. Wer also tat sowas? Briegel, uncharmant, aber herzlich gemeinhin als “Walz von der Pfalz” apostrophiert, mochte es sich dank seiner baren Kraft noch leisten, dem Gegner schonungslos zu begegnen. Was aber ist mit Maradona, der im Nationaltrikot auch schon ohne Schienbeinschoner spielte? Er wollte damit sagen: Ich bin sowieso zu schnell für euch! Dabei ist da noch eine Kompromissvariante. Die oben abgebildeten Schienbeinschoner (FIFA-Sammung) aus den 1890-er Jahren wurden äusserlich getragen, also über den Stutzen. Diese könnten dann ja wieder unten getragen werden. Å

T H E F I FA W E E K LY


TURNING POINT

“Den Menschen das Lächeln zurückgeben” Freddie Ljungberg hat in seiner Profikarriere die Welt bereist. Seine letzte Station in Japan hat ihn inspiriert – menschlich wie modisch.

John Keatley / Redux / laif

I

ch habe 18 Jahre lang meinen Traum leben können und Profifussball gespielt. Und dies auf drei Kontinenten. Ich kann mich nur glücklich schätzen. Sport war immer mein Leben. Bereits mit fünf Jahren war ich Teil der Juniorenmannschaft von Halmstads BK, mit 14 war ich im Jugendteam. Ich habe einige Altersstufen übersprungen, obwohl ich eigentlich nicht vollständig auf den Fussball fokussiert war. Sport im Allgemeinen faszinierte mich. Ich spielte Eishockey und Handball. Im Handball war ich sogar recht erfolgreich. Als ich das Aufgebot für die Nationalmannschaft erhielt, ist mir klar geworden: “Jetzt musst du dich entscheiden!”. Weshalb ich mich für Fussball entschied? Positionsbedingt kam ich einfach mehr an den Ball und somit zum Spielen. So einfach ist es manchmal. Ich wurde mit Halmstad Pokalsieger und Meister, bevor mich Arsène Wenger 1998 nach London zu Arsenal holte. Ein Traum ging in Erfüllung. Neun Jahre blieb ich in London. Der Verein wird immer ein Teil von mir bleiben. Zwei ­Meistertitel und drei FA-Cup-Siege, unzählige Erfahrungen, die ich nicht missen möchte. Ich war Teil der “Invincibles”, die 49 Partien am Stück nicht verloren – eine unglaubliche Serie, eine unglaubliche Mannschaft. Wir waren wie eine grosse Familie. Ich habe für dieses Team alles gegeben. Aber nicht nur für dieses. Ich denke, ich habe in meiner gesamten Karriere immer versucht, demütig zu sein und das Maximum aus mir herauszuholen. Das war später auch bei Seattle, Chicago, Celtic und Shimizu der Fall. Die Herausforderung, auf einem anderen Kontinenten zu spielen, hat mich immer gereizt. Es gab Leute, die hielten mich für verrückt, in den USA Fussball zu spielen. Sie sagten mir, dass der Sport da nicht entwickelt sei, sich niemand dafür interessiere. Ich habe dennoch nicht gezögert. Für mich sind Lebensqualität und der Ort, an dem ich wohne, sehr wichtig. In Amerika stimmte alles. Und der Fussball hat sich rasend schnell entwickelt. Die Spielqualität, die Trai-

nings und die Zuschauer. Wir spielten vor durchschnittlich 35 000 Besucher. Als 2011 der Tsunami Japan heimsuchte, war ich wirklich inspiriert von der Art und Weise, wie die Japaner mit dieser Katastrophe umgegangen sind. Als mich dann der Headcoach von Shimizu S-Pulse kontaktierte und mir von seiner Vision erzählt, den Menschen mit dem Fussball wieder Hoffnung zu machen und einen Teil Realität zurückzubringen, war ich sofort begeistert. “Den Menschen das Lächeln zurückgeben”, war das Motto. Keine einfache Aufgabe, denn es waren so viele Leute umgekommen. Und wir konnten diese Verluste mit unserem Sport ja nicht wieder wettmachen. Aber zumindest einen kleinen Beitrag zu leisten, hatten wir uns vorgenommen. Japan ist total verrückt. In allen Belangen. Aber es ist grossartig. Für mich als modebegeisterten Menschen sowieso. Mit Tokio besitzt Japan die Fashionmetropole schlechthin. Sich in dieser Stadt zu bewegen, ist einfach nur ein Traum. Å Aufgezeichnet von Sarah Steiner T H E F I FA W E E K LY

Name Karl Fredrik “Freddie” Ljungberg Geburtsdatum, Geburtsort 16. April 1977, Vittsjö (Schweden) Position Mittelfeld Vereine 1994–1998 Halmstads BK 1998–2007 Arsenal London 2007–2008 West Ham United 2009–2010 Seattle Sounders FC 2010 Chicago Fire SC 2011 Celtic Glasgow 2011-2012 Shimizu S-Pulse Nationalteam Schweden 75 Spiele, 14 Tore

Persönlichkeiten des Fussballs erzählen von einem wegweisenden Moment in ihrem Leben. 37



The FIFA Weekly Eine Wochenpublikation der Fédération Internationale de Football Association (FIFA)

FIFA - R ÄT SEL - CUP

Internet: www.fifa.com/theweekly

Trikot gewechselt, Maradona verrückt, vier Weltmeister im Halbfinale, 2:3 verloren – raten Sie mit!

Herausgeberin: FIFA, FIFA-Strasse 20, Postfach, CH-8044 Zürich Tel. +41-(0)43-222 7777 Fax +41-(0)43-222 7878

1

Präsident: Joseph S. Blatter

Brasiliens legendäres Nationaltrikot. Bei welchem WM-Endspiel trug es Brasilien zum ersten Mal? L 1950 B 1962

C 1958 H 1970

Generalsekretär: Jérôme Valcke Direktor Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: Walter De Gregorio Chefredakteur: Perikles Monioudis

2

Wer auf den vier Bildern ist Maradona?

Art Director: Markus Nowak Redaktion: Thomas Renggli (Autor), Alan Schweingruber, Sarah Steiner Ständige Mitarbeiter: Jordi Punti, Barcelona; David Winner, London; Hanspeter Kuenzler, London; Roland Zorn, Frankfurt/M.; Sven Goldmann, Berlin; Sérgio Xavier Filho, São Paulo; Luigi Garlando, Mailand Bildredaktion: Peggy Knotz, Andreas Wilhelm Produktion: Hans-Peter Frei (Leitung), Marianne Bolliger-Crittin, Susanne Egli, Richie Krönert, Peter Utz, Mirijam Ziegler

I

3

L

O

R

Vier frühere Weltmeister im Halbfinale – das gab es nur bei den W ­ eltmeisterschaften von ... L  1966 & 1986 N  1974 & 1994

O  1970 & 1990 R  1978 & 1998

Korrektorat: Nena Morf, Kristina Rotach Redaktionelle Mitarbeit in dieser Nummer: Yvonne Lemmer, Ronald Düker

4

Redaktionssekretariat: Honey Thaljieh Übersetzung: Sportstranslations Limited www.sportstranslations.com

Sandor Kocsis, Zoltan Czibor ... wer kennt nicht die Namen der ungarischen Wunderspieler! Im Wankdorfstadion von Bern ver­ lieren die beiden im Finale – trotz einem Tor von Czibor – mit 2:3. Gegen wen? T Brasilien M Belgien

K Benfica S Beckenbauer

Projektmanagement: Bernd Fisa, Christian Schaub Druck: Zofinger Tagblatt AG www.ztonline.ch Kontakt: feedback-theweekly@fifa.org Der Nachdruck von Fotos und Artikeln aus dem The FIFA Weekly, auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung der Redaktion und unter Quellenangabe (The FIFA Weekly, © FIFA 2014) erlaubt. Die Redaktion ist nicht verpflichtet, unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos zu publizieren. Die FIFA und das FIFA-Logo sind eingetragene Warenzeichen. In der Schweiz hergestellt und gedruckt. Ansichten, die in The FIFA Weekly zum Ausdruck gebracht werden, entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der FIFA.

Das Lösungswort des Rätsel-Cups aus der Vorwoche lautete: SHOT (ausführliche Erklärungen auf www.fifa.com/theweekly). Inspiration und Umsetzung: cus

Bitte senden Sie Ihre Lösung bis zum 2. April 2014 an die E-Mail feedback-theweekly@fifa.org. Die richtigen Einsendungen aller Rätsel bis zum 11. Juni 2014 nehmen an der Verlosung von zwei Eintrittskarten für den WM-Final am 13. Juli 2014 teil. Vor der Einsendung ihrer Antworten müssen die Teilnehmenden die Teilnahmebedingungen des Gewinnspiels sowie die Regeln zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, die unter folgendem Link zur Ansicht bereit stehen: http://de.fifa.com/aboutfifa/organisation/the-fifa-weekly/rules.pdf T H E F I FA W E E K LY

39


FR AGEN SIE DIE FIFA!

UMFR AGE DER WOCHE

Die FA sagt “Ja” – ist das der endgültige Durchbruch für den Kunstrasen? Der englische Verband erlaubt ab nächster Saison in allen Runden des FA Cups die künstliche Spielunterlage. Die englischen Medien sehen darin “einen einschneidenden Wechsel in der Haltung gegenüber diesem Terrain”. Meinungen an feedback-theweekly@fifa.org

Wann fand das erste Fussball­ spiel statt? Tamara Grab, Bregenz (Österreich)

ERGEBNIS DER LETZTEN WOCHE Welches der fünf afrikanischen Teams hat an der WM die besten Erfolgsaussichten? Nigeria

42% 28%

Ghana

17%

Elfenbeinküste

8%

Algerien

5%

MEISTERTEMPO

27

Punkte Vorsprung hatte Red Bull Salzburg nach 28 Runden der österreichischen Bundesliga auf den ersten Verfolger. Damit konnte der Klub von EnergyDrink-König Dietrich Mateschitz den Meistertitel so früh feiern wie kein anderer Verein im euro­ päischen Klubfussball. In Österreich war die Meisterschaft seit Einführung der Dreipunkteregel noch nie so früh entschieden.

4

Kamerun

JETL AG

S TANDH AF T

Privatjets hat der portugiesische Superstar Cristiano Ronaldo für die Dislokationen während der WM-Endrunde in Brasilien

82

Minuten blieb Loris Karius, der Torhüter des FSV Mainz, in der 26. Bundesliga-Runde gegen Bayern München ohne Gegentreffer – so lange wie kein anderer Keeper in dieser Saison. Dann rückte Bastian Schweinsteiger die Verhältnisse zurecht und legte die Basis zum 2:0-Erfolg der

gechartert. Der

Münchner. Das Team

Team-Kapitän selber

von Pep Guardiola

reist mit der Mannschaft im offiziellen Flugzeug. Seine Entourage folgt ihm in seiner “persönlichen” Flugstaffel. T H E F I FA W E E K LY

verlor in der Bundesliga letztmals am 28. Oktober 2012 gegen Leverkusen.

Carl Recine / Action Images / Getty Images

Die Antwort von Thomas Renggli: Verbürgt ist die LänderspielPremiere. Sie fand am 30. November 1872 im West of Scotland Cricket Ground in Glasgow zwischen Schottland und England statt. Obwohl sowohl Schotten (2-2-6-System) wie Engländer (1-1-8) sehr offensiv aufgestellt waren, fielen keine Tore. Beide Verbände boten ein Vereinsteam auf. Für Schottland spielte der seit der Gründung im Jahr 1867 ungeschlagenen Queens Park Glasgow FC, für die Engländer der amtierende FA-Cup-Sieger Wanderers FC London.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.