NR. 36, 27. JUNI 2014
DEUTSCHE AUSGABE
Fédération Internationale de Football Association – Seit 1904
ARGENTINIEN DIE LAUTESTEN FANS NIEDERLANDE LEKTIONEN AUS DEM HOCKEY
Auf in die Achtelfinals
Rendezvous in Rio
MATCH-FIXING VORBILD SIMONE FARINA
W W W.FIFA.COM/ THEWEEKLY
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Nord- und Mittelamerika 35 Mitglieder www.concacaf.com
Oh, Rio! Die brasilianische Strandmetropole steht ganz im Zeichen der Achtelfinals. Alan Schweingruber hat sich in den Strassen der Stadt umgesehen und ist auf der Suche nach den Geschichten rund um die WM-K.-o.-Phase in die Stimmung Rios eingetaucht.
Südamerika 10 Mitglieder www.conmebol.com
Thierry Henry im Interview Er wurde mit Frankreich Welt- und Europameister, seine Liebe zur Equipe Tricolore ist ungebrochen. Sein Rat an die heutige Gene ration lautet: “Man muss jede WM spielen, als wäre es die letzte.”
W M-Splitter Neymar oder das Tipp-Kick-Spiel, Flirten auf der Copacabana, Kloses beziehungsreiches Rekordtor und unterwegs im brasilianischen Verkehr – unsere Mitarbeitenden schildern ihre persönlichen WM-Augenblicke.
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Costa Rica Die Ticos sind das Team der Stunde. Gegen Griechenland wollen sie auch im Achtelfinale ihren WM-Traum weiterleben.
“Absichtlich verlieren? Niemals!” Simone Farina erteilte während seiner Aktivkarriere bei der AS Gubbio Match-Fixern eine Absage. Denn für den ehemaligen Fussballprofi kommt eines immer zuerst: Integrität.
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Achtelfinalspiele
Gustavo Pellizon / Caju
The-FIFA-Weekly-App The FIFA Weekly, das Magazin der FIFA, erscheint jeden Freitag neu und in fünf Sprachen – und ist auch auf Ihrem Tablet verfügbar.
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Spiel 49
Spiel 50
Spiel 51
BRA - CHI 28. Juni, 13:00 Belo Horizonte
COL - URU 28. Juni, 17:00 Rio de Janeiro
NED - MEX 29. Juni, 13:00 Fortaleza
Getty Images / REUTERS
Rendezvous in Rio Unser Cover zeigt die Strandmetropole in der blauen Stunde, im Mittelgrund das Maracanã.
Lateinamerikanische Dominanz Die WM in Brasilien ist das Turnier der Lateinamerikaner. Unter ihnen träumt auch Argentinien mit seinen euphorischen Fans vom Titel.
D I E WO C H E I M W E LT F U S S B A L L
Europa 54 Mitglieder www.uefa.com
Afrika 54 Mitglieder www.cafonline.com
Asien 46 Mitglieder www.the-afc.com
Ozeanien 11 Mitglieder www.oceaniafootball.com
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Sepp Blatter Der FIFA-Präsident über die neuen Technologien an der WM 2014 und die Möglichkeit von Video-Challenges.
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Niederlande Coach Louis van Gaal lässt sich von den schnellen Passfolgen und Tempodribblings im Feldhockey inspirieren.
Achtelfinalspiele Spiel 52
Spiel 53
Spiel 54
imago / AFP
1G CRC - GRE 29. Juni, 17:00 Recife
FRA - NGA 30. Juni, 13:00 Brasília
Spiel 55
2H
www.fifa.com 30. Juni, 17:00 Porto Alegre
Spiel 56
1H ARG - SUI 1. Juli, 13:00 São Paulo
2G
www.fifa.com 1. Juli, 17:00 Salvador
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© 2014 Visa. All rights reserved. Shrek © 2014 DreamWorks Animation L.L.C. All rights reserved.
Die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ ist, wo jeder von uns sein will.
UNCOVERED
Die Magie der Radioreportage Ein Carioca hängt an den Lippen des Reporters im Stadion – den Fernseher würdigt er keines Blickes.
Rios Vorfreude
Gustavo Pellizzon/Caju
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ie WM geht in ihre dritte Woche, und eines steht jetzt, vor den Achtelfinals, längst fest: Brasilien 2014 ist ein phänomenales Turnier. Die Teams befleissigen sich in ihrer grossen Mehrheit eines begeisternden Offensivfussballs. Der Übergang zwischen der Gruppen- und der K.-o.-Phase markiert nun eine Zäsur: Wer verliert, ist raus. Das Turnier beginnt mit den Achtelfinals sozusagen von Neuem, mit einem “neuen” Teilnehmerfeld, neuen Ambitionen und neuen Zielen. An diese “Zeitenwende” schmiegt sich Rio de Janeiro. Die Metropole bereitet sich auf ihre weltmeisterliche Bestimmung vor: auf das weltweit erwartete Finale
am 13. Juli im Maracanã. In diesem knisternden, poetischen Moment der Vorfreude nähert sich Alan Schweingruber in seiner grossen Reportage den Cariocas und ihrer Stadt.
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n Rio haben auch die vielen lateinamerikanischen Fans ihre Basis. Auf der Copacabana treffen sie friedlich aufeinander. Thomas Renggli hat sich umgesehen. wei Hilfsmittel – der Markierungsspray und die Torlinientechnologie – erweisen sich gleich bei ihrer Einführung ins WM-Turnier als wichtige Neuerungen. FIFA-Präsident Blatter will auf diesem Weg weitergehen. “Wird es in
Zukunft möglich sein – analog der Torlinientechnologie –, den Unparteiischen auch in anderen spielentscheidenden Situationen in Echtzeit ein Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, müssen wir dafür offen sein”, schreibt Sepp Blatter in seiner wöchentlichen Kolumne und nennt dabei die Video-Challenges.
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ein zu sagen, bedarf nicht selten eines gewissen Mutes. Simone Farina hat ihn bewiesen. Er erteilte Match-Fixern eine Absage. Der Italiener erzählt uns seinen “TurningPoint”. Å
Perikles Monioudis T H E F I FA W E E K LY
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DIE ACHTELFINAL S
Bereit für die Finalspiele Das schöne Rio de Janeiro mit seiner Lagune und dem Ipanema-Strand ganz rechts.
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DIE ACHTELFINAL S
OH, RIO!
Wenn es eine Stadt gibt, die das Abenteuer liebt, dann Rio de Janeiro. Die anstehenden Achtelfinals spornen die Strandmetropole zusätzlich an. Alan Schweingruber (Text) und Gustavo Pellizzon (Fotos), Rio de Janeiro
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DIE ACHTELFINAL S
Was die Nacht wohl bringt? Ein Fischer am Strand von Rio de Janeiro.
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as Bild von der Copacabana muss sich keiner erst zurechtlegen. Es taucht einfach vor dem geistigen Auge auf: Sonne, Musik, Wellen, zufriedene und glückliche Menschen. An diesem Abend aber ist die Stimmung anders am weltbekannten Strand von Rio de Janeiro. Es ist schon dunkel. Es regnet stark. Auf den Strassen rasen und hupen die Autos, der Boulevard ist menschenleer.
Häuserblocks An nasskalten Abenden hört man
Kaum zu glauben, dass in diesem Land gerade die Fussball-WM stattfindet. Natürlich hat die trübe Stimmung nichts mit der Weltmeisterschaft zu tun. Der Regen hat einfach wieder einmal eingesetzt. In Brasiliens Winterzeit kann das schon vorkommen. Dann verschanzen sich die Einheimischen in ihren Wohnungen. Und die Taxifahrer kennen nur ein Thema: das Wetter. Trotzdem verknüpft man diese sonderbare Atmosphäre mit dem Turnier. Sie passt ins Bild. Die letzten Gruppenspiele der WM werden
noch ausgetragen. Aber eigentlich steht alles schon im Zeichen des Neuanfangs. Am Samstag beginnen die Achtelfinals. Die Uhren werden auf null gestellt. Nun gilt: 90 oder 120 M inuten. Im schlimmsten Fall ein Elfmeterschiessen. Dann spätestens wird über Jubel oder Heimreise entschieden. Seltsam stilles Rio Irgendwoher ist die euphorische Stimme eines TV-Kommentators zu hören. Blick nach oben. In vielen Wohnungen des Häuserblocks flim-
Das Achtelfinale: Die hohe Hürde der Gruppenspiele ist überstanden, und man findet sich unter den besten 16 Mannschaften wieder. Von nun an ändert sich aber auch der Turniermodus. Ab jetzt geht es in die K.-o.-Phase, in der man jeweils nur einen Versuch hat. Ein Überblick über die dramatischsten Achtelfinals der WM-Geschichte. Dominik Petermann 8
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MEXIKO 1986 Italien - Frankreich 0:2 Welt- und Europameister treffen aufeinander Italien, Weltmeister 1982, und Frankreich, Europameister 1984, standen sich an der WM 1986 in Mexiko im Achtelfinale gegenüber. Das Momentum lag auf der französischen Seite, ihr Star Michel Platini traf schon nach 15 Minuten. Der italienische Star von 1982, Paolo Rossi, musste sich das Spiel von der Bank aus anschauen. Frankreich erreichte am Ende den dritten Platz hinter Argentinien und Deutschland.
Gustavo Pellizzon / Caju (13), Getty Images (4)
AUF IN DIE K .- O.- PH A SE
DIE ACHTELFINAL S
die Fernseher aus den Wohnungen.
WM-Alltag Die kleine Bar “Praia de Nazaré”.
Es ist sonderbar r uhig. In vielen W ohnungen flimmert ein Fernseher.
mert ein Fernseher. Die Balkontüren stehen offen. Es ist noch warm, bestimmt 22 Grad. An den Fensterbänken sind Flaggen befestigt. Der Nationalstolz im fünftgrössten Land der Welt ist weiter ungebrochen. Und nun, nachdem die Seleção doch noch ziemlich souverän in die Achtelfinals gestürmt ist, soll alles gut werden. “Wenn wir das Achtelfinale gegen Chile gewinnen, dann gewinnen wir auch die WM. Wenn die Maschine erst richtig läuft, sind wir nicht zu bremsen.” Der Hotelportier wirkt mit seiner Aussage überzeugend. Nur hält er den
Regenschirm etwas unbeholfen. Als ob er das nicht gewohnt wäre. Die letzten Wolken verziehen sich bei Sonnenaufgang. Die Strassen sind noch feucht, aber die Tendenz ist klar: Es wird ein sonniger Tag. Ein obdachloser Mann am Strand rasiert sich. Etwas weiter hinten, nahe am Wasser, sitzt ein junges Pärchen eng umschlungen im Sand. Viele Jogger sind in Fussballshirts unterwegs. Einige tragen Kopfhörer. Wo sie wohl mit ihren Gedanken sind? Beim Achtelfinalspiel Brasilien gegen Chile vom Samstag?
ITALIEN 1990
USA 1994
Kamerun - Kolumbien 2:1 n.V. Roger Milla schiesst Afrika ins Glück Der 38-jährige Kameruner Roger Milla avancierte zum heimlichen Star des 1990er-Turniers, indem er mit seinen zwei Toren in der Nachspielzeit die “Unzähm baren Löwen” ins Viertelfinale schoss. Unvergesslich blieb sein Torjubel, als er um die Eckfahne tänzelte. Milla setzte den Rekord als ältester Torschütze an einer WM und überbot diesen vier Jahre später, als er mit 42 Jahren nochmals traf.
Rumänien - Argentinien 3:2 Das Ende der Ära Maradona Die Überraschungsmannschaft Rumänien beendete die argentinischen Träume bereits im Achtelfinale mit einem 3:2-Sieg. Der einstige Kapitän und Star der Argentinier, Diego Maradona, wurde positiv auf Drogen getestet und musste bereits beim letzten Gruppenspiel von der Bank aus zuschauen. Ein jähes Ende für den Weltmeister von 1986. T H E F I FA W E E K LY
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DIE ACHTELFINAL S
Seleção Wie weit trägt uns Scolaris Mannschaft?
Oder gar bei den überraschenden Überfliegern aus Costa Rica? Magische Achtelfinals Das Achtelfinale. Für viele Mannschaften soll es nur eine Art Zwischenstopp sein. Für ande re hat das Erreichen der K.-o.-Phase schon fast historischen Charakter. In Honduras reden sie heute noch von der WM 1982. Die kleine Nation aus Zentralamerika hatte in den Gruppenspie len gegen Gastgeber Spanien und Nordirland Unentschieden gespielt und war auf dem bes
Markt Verkauft wird auch Musik.
ten Weg ins Achtelfinale. Aber dann, im dritten Spiel, wurde Jugoslawien ein umstrittener Elf meter zugesprochen – Honduras verlor 0:1. Das war hart. Die Akteure hatten das Turnier ihres Lebens gespielt. Wie Kinder sackten sie nach dem Schlusspfiff weinend zu Boden. Der chile nische Schiedsrichter Gastón Castro erlangte in Honduras eine zweifelhafte Berühmtheit. Er hatte die grösste Sensation in der hondurani schen Fussballgeschichte verhindert. Das Achtelfinale. Es zeigt auf, wo das Team in seiner Entwicklung steht. Gute Ansätze
i nteressieren nicht mehr. Nun geht es ans Ein gemachte. Ältere, müde Verteidiger werden Laufduelle verlieren. Bei anderen brechen alte Verletzungen auf. Vor allem aber ist der Geist gefordert. Das junge Team der Belgier verfügt über grosse Qualitäten. Aber es stellt sich die Frage, ob das Team von Marc Wilmots auch bestehen kann, wenn die “Hintertür” – ein Treffer kurz vor Schluss – geschlossen ist. Sportpsychologen reden in dieser Phase eines Turniers oft von einer mentalen Bewäh rungsprobe mit vier Hauptaspekten: Selbst
AUF IN DIE K .- O.- PH A SE FRANKREICH 1998
KOREA / JAPAN 2002
Frankreich - Paraguay 1:0 n.V. Ein Golden Goal für Frankreich In Frankreich 1998 wurde das Golden Goal ein geführt. Ähnlich dem Sudden Death im Eishockey war die Partie beendet, sobald eine Mannschaft den ersten Trefferin der Verlängerung erzielte. Im Achtelfinale zwischen Gastgeber Frankreich und Paraguay kam die neue Regel zum Zug: Laurent Blanc schoss die Franzosen in der 114. Minute eine Runde weiter.
Schweden - Senegal 1:2 n.V. Afrika hat seine zweite Sensation Das senegalesische Team war die Überraschung im Turnier von 2002. Schon im Eröffnungsspiel sorgte es für einen Paukenschlag, als es den amtierenden Weltmeister Frankreich 1:0 bezwang. Nach Kamerun (1990) schaffte Senegal als zweite afrikanische Mannschaft den Einzug ins Viertel finale durch ein 2:1 nach Verlängerung gegen Schweden.
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Endlich Flaggen mit dem aktuellen brasilianischen Team sind erst seit ein paar Tagen zu bekommen.
vertrauen, Leistungsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen und Konzentrationsfähigkeit. 4000 km mit dem Wohnmobil Mitten in Rio, auf einem städtischen EventAreal, haben sich chilenische und argentinische Fussballfans eingerichtet. Sie leben hier in ihren Wohnmobilen. Die Weltmeisterschaft müsse man im Austragungsland verbringen. Dafür seien sie bis zu 4000 Kilometer weit hergefahren. Tagsüber ruhen sie sich aus. Am späteren Nachmittag fahren sie zum Public
Viewing an die Copacabana oder zum Spiel ins Maracanã-Stadion. Luis aus Santiago de Chile schaut aus seinem Zelt. Er lacht. Keine zwanzig Meter entfernt führt eine dreispurige Schnellstrasse vorbei. “Es ist nicht immer einfach, hier zu schlafen. Aber es ist WM. Dafür sind wir da. Es gibt keine Regeln. Wir trinken viel Bier und leben den Fussball.” Im Leben der Brasilianer gibt es auch während der WM Regeln, auch wenn einem diese Vorstellung manchmal schwer fällt bei all den Samba-Klischees. Eine Regel lautet: Zu einem
siegreichen Spiel gehört auch schöner Fussball. Eine zweite: Die ganze Nation muss sich mit der Seleção identifizieren können. Punkt eins wird an Relevanz verlieren, sollte Felipe Scolari mit seiner Mannschaft in die absolute Endphase des Turniers vorstossen. Spannend ist Punkt zwei: Da findet derzeit nämlich ein Umbruch statt. Auf dem hektischen Markt in der Innenstadt, dort wo nur die Einheimischen einkaufen und man den Gringos (den Nicht-Lateinamerikanern) nachschaut, werden erst seit einigen Tagen Flaggen
DEUTSCHLAND 2006
SÜDAFRIKA 2010
Schweiz - Ukraine 0:0 n.V., 0:3 i.E. Die Schweiz scheidet ohne Gegentor aus Ein bitteres Ausscheiden aus dem Turnier mussten die Schweizer 2006 hinnehmen. Das Team kam ohne einen Gegentreffer durch die Gruppenphase und traf im Achtelfinale auf die Ukraine. Diese Begegnung stand nach 120 Minuten 0:0. Im Elfmeterschiessen vergaben die Schweizer ihre ersten drei Versuche, sodass die Ukraine das Duell vom Elfmeterpunkt 3:0 gewann.
USA - Ghana 1:2 n.V. Ghana schafft den Sprung ins Viertelfinale Die erste WM auf afrikanischem Boden brachte einen weiteren afrikanischen Viertelfinalisten hervor. Ghana wusste im Achtelfinale gegen die USA mit einem 2:1 zu überzeugen und stiess als drittes afrikanisches Team in ein WM-Viertel finale vor. Die Ghanaer machten auch da eine gute Figur und hatten die Chance, als erste afrikanische Mannschaft ein Halbfinale zu erreichen. Im Elfmeterkrimi gegen Uruguay verpassten sie aber die ganz grosse Sensation. T H E F I FA W E E K LY
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DIE ACHTELFINAL S
Zuverlässig Ein in die Jahre gekommenes Wohnmobil aus Argentinien.
mit Bildern des aktuellen Teams angeboten. Dani Alves. Dante. Hulk. Das sind Namen, mit denen sich vorher nur die Fussballfans iden tifiziert haben. Jetzt sind sie allgegenwärtig. “Die neue Generation ist an der Reihe”, sagt der Verkäufer. “Endlich hat die Mannschaft ein Gesicht bekommen. Auch meine Mutter kennt die Spieler nun wieder.” Übermütige Männer Rio de Janeiro wirkt dann doch etwas normal, wenn man sich in die Nähe des Hauptbahnhofs
begibt. Männer in Anzügen. Frauen in Business-Outfits. Dort, wo U-Bahn, Busse und Züge zusammenkommen, fernab vom Strand, findet also so etwas wie ein Alltag statt. Aus den Restaurants riecht es nach Fisch. In einer kleinen Bar herrscht Betrieb. Ein Spiel ist gerade angelaufen im “Praia de Nazaré”. Die Bar, Ende der 1960er-Jahre von einem Portu giesen eröffnet, hat schon viele Weltmeisterschaften erlebt. Artillo, Mitte fünfzig, wirkt nervös. Er trägt ein Argentinien-Shirt und trinkt Bier. Sein
Fürs Leben Artillo (links) aus Argentinien und sein brasilianischer Freund. 12
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Warten auf das Spiel Ein junger Chilene verbringt
Bauch strapaziert den feinen Stoff. Wenn er sich über eine Szene ärgert, dann in gepflegtem Portugiesisch. Artillo stammt aus dem Süden Argentiniens und lebt seit 32 Jahren in Rio. Er kramt in seiner Hosentasche und zeigt uns seinen WM-Spielplan. Alles ist schön nachgetragen. Dann tippt er mit dem Finger auf das leere Final-Feld. Hier wolle er sein Land sehen, sagt er. Die Zeit sei reif nach 1986. Übermütig schenken sich die Männer Bier nach. Der älteste Kollege sitzt draussen auf einem Plastikstuhl. Er hat sich vom Fernseher
Im Fahrplan Die Männer tragen jedes Resultat nach.
DIE ACHTELFINAL S
den Nachmittag in seinem Bus.
Waschtag Mitten in Rio leben WM-Touristen aus ganz Lateinamerika.
“Es ist nicht einfach, hier zu schlafen. Aber es ist WM. Dafür sind wir da.”
abgedreht und lauscht einer Politiksendung am Taschenradio. “Früher”, erzählt er, “habe ich jeden Spieler der Seleção gekannt. Das war schön. Aber heute will ich das nicht mehr. Ich wende mich lieber den wirklich interessanten Dingen zu.” Der alte Mann schüttelt den Kopf An der Bar bricht grosser Jubel aus. Artillo umarmt seine Freunde, ein Bierglas kippt um. Der alte Mann auf dem Plastikstuhl schüttelt nur den Kopf. “Diese Weltmeisterschaft. Ist schon
etwas verrückt, nicht? Und dabei geht es jetzt erst richtig los.” Å
Die Achtelfinals Brasilien - Chile, 28. Juni 2014, Belo Horizonte
Durchatmen Artillo kommt die 15-minütige Halbzeitpause recht. T H E F I FA W E E K LY
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WM-CAMP
Costa Rica
Einsatz und Wille Costa Ricas Kapitän Bryan Ruiz will hoch hinaus.
Weltmeister vernascht Sarah Steiner ist redaktionelle Mitarbeiterin bei The FIFA Weekly.
Drei grosse Namen des Fussballs, drei Champions, drei Teams mit Stars wie Andrea Pirlo, Luis Suárez und Wayne Rooney: Italien, Uruguay und England. Die vieldiskutierte Gruppe D, die “Todesgruppe”. Welcher Weltmeister würde schon nach der Vor runde nach Hause fahren müssen? Diese Frage beschäftigt nicht nur die heimische Presse. Dass es nun gleich deren zwei sind, ist – nach dem Aus von Spanien – die zweite grosse Überraschung der WM 2014. Denn es ist das Team aus Costa Rica, das sich den ersten Platz in dieser Gruppe erkämpft hat. Und erkämpft ist genau das richtige Wort. Mit Einsatz, Wille und einer grossen Portion Selbstvertrauen sind die Ticos ins Turnier gestartet. Ihr Kapitän Bryan Ruiz hatte vor der WM gesagt: “Alle sprechen von den anderen Mann schaften in unserer Gruppe, als ob wir Glück hätten, überhaupt dabei zu sein. Uns würde ohnehin jeder schlagen. Aber sie sollten aufpassen, denn wir können viele überraschen.”
Laszlo Balogh / REUTERS
Der Spielmacher steht stellvertretend für das Team aus Costa Rica. Er stammt aus einem Armenviertel am Stadtrand von San José, wuchs bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. Schon früh lernte er, sich durch zusetzen und nicht aufzugeben. 2006 ver passte er den Sprung ins WM-Kader und löste damit eine Kontroverse aus – sah man in ihm doch gemeinhin den talentiertesten costa-ricanischen Spieler seit Jahrzehnten. Vier Jahre später wäre er zwar dabei gewe sen, er verpasste mit dem Team aber die Qualifikation um Sekunden – aufgrund der Tordifferenz. Dieses Mal will er sich den Erfolg nicht nehmen lassen. Schon jetzt ist dieser riesig. “Wir haben Geschichte geschrieben”, sagt der Kapitän und fügt hinzu: “Jetzt dürfen wir noch grössere Träume haben.” Die Ticos treffen im Achtelfinale auf das Team Griechenlands, das sich in letzter Sekunde per Elfmetertor für die nächste Runde qualifiziert hat. Dabei gilt es für Costa Rica nicht etwa, gegen einen weltmeisterlichen Sturm zu bestehen, sondern vielmehr, das griechische Abwehr-Bollwerk zu knacken. Å
Mexiko
“Es geht um unser Land” Sven Goldmann ist Fussball experte beim “Tagesspiegel” in Berlin und weilt zurzeit an der WM in Brasilien.
Jetzt schiesst er auch Tore. Rafael Márquez legt bei der WM ein Comeback hin, wie er es wahrscheinlich selbst kaum für möglich gehalten hätte. 35 Jahre ist er jetzt alt und doch so wertvoll wie noch nie. Dank Márquez ist Mexikos gewöhnungsbedürftige Fünfer-Abwehrkette so schwer zu überwinden wie kaum eine andere Verteidigung. In drei Vorrunden spielen gab es nur ein einziges Gegentor, es fiel kurz vor Schluss gegen Kroatien, als Mexiko schon 3:0 in Führung lag. Márquez dirigierte während des Spiels im Zentrum, dazu glänzte er mit grossartiger Laufleis tung und sogar als Torschütze.
Das finale Gruppenspiel gegen Kroatien in Recife näherte sich seinem Ende. Es stand 0:0, was den Mexikanern für das Achtelfina le gereicht hätte, aber sie wollten Sicherheit. Es flog ein Eckball in den kroatischen Straf raum, und vier Spieler stiegen hoch, aber keiner sprang so kraftvoll ab wie Márquez, der den Ball mit der Stirn zum wegweisenden Führungstor ins Netz wuchtete. Später bereitete er auch noch das 3:0 vor. Márquez ist eine Respektsperson, auf dem Rasen wie im mexikanischen Team-Quar tier in São Paulo. Das Wort des Kapitäns hat Gewicht, und keiner würde es wagen, dage gen aufzubegehren. Vor dem Achtelfinale am Sonntag im Castelão von Fortaleza gegen die Niederlande hat er die Kollegen wissen lassen, dass es um mehr geht als nur ein Fussballspiel. “Wir sind hier, um G eschichte zu schreiben”, sagt Márquez. “Es geht um unser Land.” Zum vierten Mal spielt Márquez mit der grün-weiss-roten Tricolor bei einer Welt meisterschaft. Dreimal endete der Traum im T H E F I FA W E E K LY
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WM-CAMP
Achtelfinale. Diesmal soll es mehr werden, und die Hoffnung lebt dank der starken Defensive, dank des schier unüberwindlichen Torhüters Guillermo Ochoa und der strategischen Begabung des Abwehrchefs Rafael Márquez.
Niederlande
Hockey als Inspiration Andreas Jaros ist freier Autor
Dabei hatte der ewige Márquez das Thema Nationalmannschaft eigentlich schon abgehakt. Vor einem Jahr, als Mexiko beim Confed-Cup nur das bedeutungslose letzte Spiel gegen Japan gewann und nach der Vorrunde ausschied, war er schon nicht mehr dabei. Nach langen und erfolgreichen Jahren beim FC Barcelona hatte er sich auf eine Abschiedstournee in die US-Profiliga zu den New York Red Bulls begeben. In der Heimat galt er als zu langsam und sein Spiel als nicht mehr zeitgemäss. Dann aber kam die völlig missratene WM-Qualifikation, die Mexiko (mit drei Trainerwechseln) nur deshalb überstand, weil die USA in letzter Minute noch ein Tor gegen Panama schossen. Der neue und letztlich erfolgreiche Trainer Miguel Herrera holte Márquez zurück und machte ihn gleich zum Kapitän. Å
und lebt in Wien.
Das Mannschaftsquartier des Gruppensiegers in Rio de Janeiro ist ein fideler Ort. Die Stimmung im exquisiten Hotel “Caesar Park”, wo auch schon Madonna abstieg, könnte nicht besser sein. Ihren uralten Hit “Holiday” befolgten die Oranjes in den Regenerationspausen zwischen den Matches nur allzu gerne: Man braucht bloss eine Strasse zu überqueren, um sich am Strand von Ipanema fallen zu lassen. Ein Hauch von Urlaub, der freilich auf hochkonzentrierte Leistungen in den Stadien von Salvador, Porto Alegre und São Paulo folgte; drei Vorrundenspiele, drei Siege; drei Tore erhalten, famose zehn erzielt, gleich acht davon in der zweiten Hälfte. Der Achtelfinalschlager gegen Mexiko kann kommen.
Louis van Gaal ist aber nicht nur Stratege und Bondscoach, sondern auch ein akribischer Tüftler, der nichts unversucht lässt, um zusätzliche ein, zwei Prozent an Optimierungspotenzial herauszukitzeln. Der 62-Jährige scheut sich nicht, beim Feldhockey an den schnellen Passfolgen und Tempodribblings Anleihen zu nehmen – eine Sportart, in der die Niederlande absolute Weltspitze sind. Erst kürzlich setzten sich die Frauen der Niederlande zum siebten Mal die WM-Krone auf – Rekord. Die Männer, permanent unter den ersten Drei der Welt rangliste, stürmten zu Silber. In anderen Ländern müsste der Fussball- Teamc hef mit Spott und Hohn rechnen, würde er sich Inspiration von der Krummholz-Fraktion holen. Aber in den Niederlanden haben diese Seitenblicke durchaus Tradition, auch wenn es nicht hoch gehängt wird: Selbst das Genie Johan Cruyff war sich nicht zu schade, in seiner Zeit als Clubtrainer bei Ajax Amsterdam den Besuch von Hockey-Länderspielen zum Ideentransfer zu nutzen. Marc Lammers, ein ehemaliger Coach des Frauen-Hockey-Teams, behauptet, dass
Wong Maye-E / AP Photo
Ab ins Netz Memphis Depay erzielt das 2:0 der Niederländer gegen Chile (Endstand 2:0).
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WM-CAMP
auf den Hockeyfeldern die Basis für den revolutionären Totalvoetbal der Siebzigerjahre gelegt worden sei: “Hockey stand damals für Tempo, Kreativität, individuelle Klasse und ständige Positionswechsel. Unser Fussball hat daraus seine Lehren gezogen.”
Belgien
Die wichtigen Kleinigkeiten Andrew Warshaw ist Redakteur von “Inside World Football”.
Van Gaal ist jedenfalls derart überzeugt vom taktischen Crossover, dass er zwei ehemalige Hockeyspieler in sein Betreuerteam aufgenommen hat: Teammanager Hans Jorritsma war Mitglied des Olympiateams von 1976, Ex-Profi Max Reckers kam als Leistungsdiagnostiker an Bord und wird Van Gaal nach der WM auch zu Manchester United begleiten. Selbst César Luis Menotti spionierte vor der WM 1978 bei den Hockeymannschaften. Er schaute im Trainingslager des pakistanischen Teams vorbei: Das ausgeklügelte Flügelspiel der Jungs machte sie damals zu dominanten Überfliegern. Drei Monate nach seiner Stippvisite war El Flaco (der Dürre) dick dabei – Fussball-Weltmeister mit Argentinien. Ein persönliches Dankschreiben nach Pakistan ist verbrieft. Å
der Ankunft in der drittgrössten Stadt Brasiliens bekam die Mannschaft sogleich einen Trainingsplatz in einer Entfernung von nur 20 Minuten von dem Stadion zugewiesen, in dem das Auftaktspiel gegen Algerien stattfand.
Der Erfolg bei einer WM hängt nicht nur von den Spielern ab, die man zur Verfügung hat. Es kommt auch nicht nur darauf an, wie gut der Trainer ist oder wie viele Fans ein Team im Stadion hat. Es sind vielmehr die Kleinigkeiten, auf die es wirklich ankommt: das Mannschaftsquartier, die Verpflegung, die Stimmung, die Gruppendynamik – und genau deswegen blickt Belgien mit so grossem Enthusiasmus auf das Achtelfinale.
Denn die Belgier mussten den offiziellen Statistiken zufolge in der Anfangsphase des Turniers weniger als alle anderen Mannschaften reisen. Nun wissen wir zwar alle, dass Statistiken nicht immer ein vollständiges Bild liefern, es ist jedoch unbestritten, dass sich körperliche Erschöpfung auch auf die geistige Aufmerksamkeit auswirkt. Konnte Belgien diesen Umstand nun zu seinen Gunsten nutzen? Genau das deutete der belgische Kapitän Vincent Kompany an, als sein Team zum ersten Spiel in Belo Horizonte antrat. Nach
Gelöste Stimmung Im Camp der Belgier ist gute Laune an der Tagesordnung.
“Wir haben in einem sehr ruhigen Umfeld trainieren können. Das ist ausgesprochen hilfreich”, so Kompany. Die ruhige Umgebung und die Tatsache, dass sie nur wenig reisen mussten, komme ihnen zugute. “Für einige Trainingseinheiten mussten wir nur eine Dreiviertelstunde Anfahrt einplanen. Manchmal hätten wir sogar zu Fuss gehen können. Manche Teams waren fast den ganzen Tag unterwegs, um hinzukommen. Meiner Meinung nach kann man sich nicht richtig vorbereiten, wenn die Wege und die Reisezeiten zu lang sind. Die Vorbereitungen laufen genau so ab, wie ich es mir erhofft habe.” Natürlich wird es noch eine ganze Weile dauern, bis man weiss, wie weit Belgien unter Trainer Marc Wilmots bei der ersten WM-Teilnahme seit zwölf Jahren kommen kann. Es gibt auf jeden Fall einen intakten Teamgeist, woran ja viele im Vorfeld gezweifelt hatten, weil so viele hoch bezahlte Stars zum belgischen Kader gehören. “Letztlich wird es darauf ankommen, inwieweit die Spieler zu einer Einheit zusammenwachsen”, sagt Kompany, der nicht befürchtet, dass ein allzu ausgeprägtes Ego Einzelner zu Problemen führen könnte. “Für die meisten von uns ist dies die erste WM-Teilnahme. Aber ich gehöre schon seit zehn Jahren zu dieser Gruppe und wir kommen alle sehr gut miteinander aus”, meint er. “Wir waren schon lange nicht mehr bei einer WM dabei. Was auch passiert, ich werde dies alles nie vergessen.”
Bruno Fahy / Belga Photo
Wilmots seinerseits hat es geschafft, die Spieler nachhaltig zu beeindrucken. Man kann im Training erkennen, dass sie mit der richtigen Einstellung bei der Sache sind und sich auf die aktuelle Aufgabe konzentrieren, statt an ihre einträglichen Vereinskarrieren zu denken. “Ich habe ‘ich, ich, ich’ durch ‘wir, wir, wir’ ersetzt”, so Wilmots, der an jenem schicksalhaften Tag im Jahr 1990 auf der Bank sass, als die Belgier im Achtelfinale gegen England ausschieden. Der entscheidende Treffer fiel in der Verlängerung, nachdem Belgien eigentlich das Geschehen beherrscht hatte. Auch damals gaben Kleinigkeiten den Ausschlag. So trafen die Belgier zweimal nur das Gebälk. Wilmots tut, was er kann, damit sich dieses Mal all die wichtigen Kleinigkeiten zugunsten seines Teams auswirken. Å T H E F I FA W E E K LY
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Name Thierry Henry Geburtstag, Geburtsort 17. August 1977, Les Ulis (Frankreich) Stationen als Spieler AS Monaco, Juventus Turin, FC Arsenal, FC Barcelona, New York Red Bulls Nationalmannschaft
Fred R. Conrad / laif
123 Länderspiele, 51 Tore
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DAS INTERVIEW
“Man muss jede WM spielen, als wäre es die letzte” Thierry Henry wurde mit der französischen Nationalmannschaft Welt- und Europameister. Die Liebe zu den Bleus hält bis heute an. Er glaubt an der Erfolg des Teams in Brasilien und gibt den Spielern den Rat, die WM in vollen Zügen zu geniessen.
Die französische Nationalmannschaft – welche ist Ihre erste Erinnerung? Thierry Henry: Meine erste Erinnerung an die französische Nationalmannschaft ist das Tor von Marius Trésor bei der WM 1982 in Spanien. Es erscheint mir wie eine Blitzlichtaufnahme. Ich begriff gar nicht, was da genau passierte. Ich drehte mich um und sah die Zeitlupe mit dem Volleyschuss von Trésor. Der Rest ist bekannt ...
Hat es da bei Ihnen bereits gefunkt? Ich war damals erst fünf Jahre alt. Es war das einzige Bild, das ich hatte. 1986 hingegen war das schon etwas anderes. Les Bleus haben ein gutes Turnier gespielt und Brasilien ausgeschaltet. Da habe ich angefangen, richtig Gefallen daran zu finden. Davor fand noch die Euro 1984 statt. Als Fan war es leicht, sich in diese Mannschaft zu verlieben.
Sie waren kaum 16 Jahre alt, als Sie für die Jugendmannschaft aufgeboten wurden ... Ich erinnere mich, wie man mir zum ersten Mal die Tasche der französischen Nationalmannschaft überreicht hat. Ich war sehr stolz. Auch wenn es in der Jugendauswahl war und man nie weiss, wie die Geschichte ausgehen wird, habe ich mich gefreut, nach Hause zurückzukehren und sie vorzuführen. Sie können jeden Spieler fragen: An diesen M oment, in dem man zum ersten Mal diese Tasche bekommt, erinnert sich jeder.
Und Ihr erstes Mal mit der ersten Mannschaft? Südafrika, 1997, Spiel in Lens. Ich erinnere mich an die Ankunft im Hotel. Ich kannte Youri Djorkaeff und Lilian Thuram, weil ich mit ihnen in Monaco zusammengespielt hatte. Abgesehen davon kannte ich nicht viele. Du kommst an, du trainierst, du setzt dich hin und du schaust zu!
Wann haben Sie gespürt, dass die Liebe zum französischen Team auf Gegenseitigkeit beruht? Eine WM vor heimischer Kulisse zu spielen, hilft sehr. Der WM-Titel 1998 war die
absolute Krönung. Davon träumst du als kleiner Junge. Man sagt sich immer wieder, dass man eines Tages Weltmeister wird, auch wenn man weiss, dass dies nur ein Traum ist, der wohl nie in Erfüllung gehen wird. Und am Ende ist mein Traum doch wahr geworden. Noch dazu ganz in der Nähe des Ortes, wo ich aufgewachsen bin. Das war wirklich fantastisch.
Was für ein Gefühl ist das für Sie, dass die Leitung der französischen Nationalmannschaft nun in den Händen von Didier Deschamps liegt? Das ist Kontinuität. Ich finde es gut, einen ehemaligen Spieler, der alles gewonnen hat, mit der Leitung betraut zu wissen. Das macht Freude. Es ist auch bekannt, dass er viel erlebt hat. Er hat grosse Turniere gespielt und grosse Klubs trainiert. Noch bevor er seine Karriere beendet hatte, sagten alle, dass er eines Tages ein guter Trainer werden würde. Das hat er bewiesen.
Was würden Sie der neuen Spielergeneration raten? Der einzige Ratschlag, den ich den Spielern mit auf den Weg geben kann, ist der, dass sie ihre Chance nutzen sollen. Und ich würde ihnen sagen, dass ihre Erfahrung mit jedem Turnier wachsen wird. Sie werden dazulernen, das wird nicht immer einfach sein. Doch diese Generation hat tatsächlich die Qualität, um sich durchzusetzen und uns einen Titel nach Hause zu bringen. Ich hoffe, dass dies schon bald der Fall sein wird. Wenn man zu einer WM fährt, weiss man nie, ob man diese Gelegenheit noch einmal bekommen wird. Ich hatte die Möglichkeit, bei vier Turnieren dabei zu sein. Insofern mag meine Bemerkung etwas seltsam klingen, doch man muss jede WM spielen, als ob es die letzte wäre.
Raphaël Varane ... Es wird derzeit viel von den Mittelfeldspielern und den Stürmern gesprochen, doch Varane ist ein aussergewöhnlicher Spieler. Er strahlt Ruhe aus. Er wirkt, als hätte er bereits zehn Jahre als Verteidiger gespielt. In meinen Augen wird er noch nicht genügend wahrgenommen. Schliesslich ist es nicht unbedingt der Normalfall, dass man in seinem Alter bereits so reif ist, wenngleich ihm seine Zeit bei Real Madrid dabei sicher geholfen hat.
Sprechen wir ein wenig über die anderen Länder. Ihr Treffer an der WM 2006 besiegelte das Ausscheiden Brasiliens im Viertelfinale. Wie wurden Sie hier empfangen? Sehr gut. Brasilien ist ein sehr gastfreundliches Land. Ich war bereits vergangenes Jahr hier. Die Menschen gehen auf einen zu und wollen wissen, woher man kommt. Einige erkennen mich, andere nicht. Überrascht hat mich die herzliche und fröhliche Art der Menschen. Ihre Lust, Spass zu haben. Sicher, über mein Tor von 2006 wird auch gesprochen. Doch letztlich haben sie jenes Turnier nicht gewonnen – und wir auch nicht. Es kann nur die Mannschaft zufrieden und glücklich nach Hause fahren, die das Finale gewonnen und den Titel geholt hat.
Sie haben in Barcelona Lionel Messi kennen gelernt. Glauben sie, dass er eine grosse WM spielen wird? Wird dies die Stunde Argentiniens sein? Der letzte Titelgewinn liegt schon lange zurück. Deshalb ist es nicht ein “Messi-Problem”. Die Mannschaft muss geschlossen auftreten und hart arbeiten. Dann werden wir einen grossartigen Messi erleben. So einfach ist das. Å Mit Thierry Henry sprach Pascal De Miramon
Gibt es aktuelle französische Nationalspieler, die Ihnen besonders gefallen? Aber ja! Auch wenn Franck Ribéry bei dieser WM nicht zur Verfügung steht, ist und bleibt er ein herausragender Fussballer! Dasselbe gilt für Karim Benzema, Paul Pogba, T H E F I FA W E E K LY
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First Love Or t: Duba, Saudi Arabien Datum: 18. Juni 2014 Z e it : 19. 4 6 U h r
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Mohamed Alhwaity/Reuters
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emirates.com
Tomorrow brings us all closer To new people, new ideas and new states of mind. Here’s to reaching all the places we’ve never been. Fly Emirates to 6 continents.
WM-SPLIT TER
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ine grüne Filzmatte, zwei Tore, zwei Torhüter und zwei beliebig positionierbare Feldspieler. Beim Antippen des Kopfes bewegt sich der Fuss der Spielfigur und kickt den Ball. Jedes fussballverrückte Kind in Deutschland oder der Schweiz hat es in seinem Kinderzimmer liegen: das Tipp-Kick-Spiel. Seit Kurzem haben die Kinder eine Szene mehr zum Nachspielen. Bei der letzten Partie der Gruppe A (Brasilien – Kamerun, 4:1) hebelte Luiz Gustavo mit einem Pass die gesamte kamerunische Abwehr aus, in der Mitte wartete Neymar. Und als hätte man ihm auf den Kopf getippt, bewegte sich sein Fuss – zwar nicht wie bei der Spielfigur nach vorne, sondern zur Seite. Eine kleine, kaum wahrnehmbare Bewegung. Ein Meisterstück. Ein Tor, das wieder einmal das unglaubliche Talent Neymars aufzeigt. Und der Beweis, wie einfach, wie schnörkellos Fussball sein kann. Fussball mit Köpfchen. Å Sarah Steiner
David Gray / Reuters
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ie beiden Buben waren mit Talent gesegnet, man sah es auf den ersten Blick. Elegant spielten sie sich den Ball zu, ein Trick hier, ein Trick da, und wenn sie wollten, dann jonglierten sie so gekonnt, dass der Ball für mindestens zwei Minuten nicht in den Sand fiel. Aber sie wollten heute nicht. Hinter ihnen hatten sich zwei Mädchen auf ein grosses Badetuch gelegt. Prioritäten setzen – das lernt man schon mit 14 Jahren. Locker gingen die Buben auf die Mädchen zu und klopften S prüche. Einer war offenbar lustig. Alle lachten auf. Auch dieses Spiel schienen sie zu beherrschen. Nun machten es sich die Buben auf einer Ecke des Badetuchs bequem, braun gebrannt, wie sie waren. Und dann auch noch das: Einer führt ein akrobatisches Kunststück auf einem Arm vor. Wow, wo lernt man das denn? In brasilianischen Hinterhöfen? Als die Mutter aus dem nahen Restaurant nach ihnen rief, machten sich die Buben mürrisch auf den Weg. “Später kehren wir zurück”, versprach einer – in astreinem Britischen Englisch. Å Alan Schweingruber
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eim 2:2 der Deutschen gegen Ghana erzielte Miroslav Klose sein 15. Tor an einer WM und zog damit mit Ronaldo gleich – Rekord. K lose kam von der Bank und drückte in der 71. Minute den Ball – nach einem Eckstoss von Kroos und der Kopfball-Verlängerung durch Höwedes – über die Torlinie. Auch die deutsche Torhüterlegende Oliver Kahn freute sich z unächst; er steht dem deutschen Fernsehen als Experte zur Verfügung. Nach dem Spiel gab sein langjähriger Teamkollege Mehmet Scholl eine E inschätzung des Remis ab. Als der M oderator neben ihm an seinem Ohrhörer herumdrückte und den Namen Kahn vielsagend aussprach, verfinsterte sich Scholls Mine zusehends. Kahn und Scholl erinnerten sich sofort an jenes für sie unheilvolle Tor durch Ole Gunnar Solskjaer zum 2:1 für Manchester United im Champions- League-Finale 1999 g egen ihren FC Bayern München kurz vor Schluss – Kloses Treffer ist eine exakte Kopie davon. Å Perikles Monioudis
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arcus gehört zu den 15 000 Freiwilligen, die an der WM mit Charme und Begeisterung für eine herzliche Atmosphäre sorgen. Er fährt einen Wagen des offiziellen WM-Transportdienstes in Salvador. Während der Fahrt erzählt er, dass er das Militär liebe und in der Fremdenlegion gedient habe. Wir sind auf der Überholspur unterwegs. Plötzlich tritt Marcus auf die Bremse und bringt den Wagen vor einem Rotlicht abrupt zum Stehen. Der Fahrer hinter ihm hupt sofort. Ein anderer überholt. Der Verkehr rollt vorbei, als sei die Ampel ein Trugbild. Marcus sagt entschuldigend: “Wir sind mit einem offiziellen Auto unterwegs. Wenn ich auch fahren würde, stünde morgen in der Zeitung: ‘Die FIFA fährt bei Rot.’” Marcus beachtet die Verkehrsregeln – bis zum Ende seines Auftrags. Danach hält er sich wieder an die ortsüblichen Gepflogenheiten: “Das Recht des Stärkeren und Schnelleren”, wie er sagt. Ä hnlich wie in der Fremdenlegion. Å Thomas Renggli T H E F I FA W E E K LY
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DEBAT T E
Klare Grenzen
Bis hierher Die Kroaten richten sich an der temporären Linie aus.
Die FIFA setzt erstmals an einer Weltmeisterschaft der Männer Markierungsspray und Torlinientechnologie ein. Eine Erfolgsstory nimmt ihren Lauf.
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trittige In-Out-Entscheidungen an der Torlinie gehören der Vergangenheit an. Die Torlinientechnologie und die dar aus resultierenden grafischen Umset zungen machen es für jeden Zuschauer weltweit möglich, an einer in jedem Fall korrekten Entscheidung teilzuhaben: Hat der Ball die Torlinie mit seinem ganzen Um fang überquert, wird auf Treffer entschieden – und sonst nicht. Eine absichtlich einfach ge haltene Grafik – ganz ähnlich der HawkEye-Grafik im Welttennis – bildet die Signale der Torlinienkameras ab und beantwortet die Frage nach Treffer oder kein Treffer gültig. Hat man die Vorzüge der Torlinientechnologie erst einmal am konkreten Fall gesehen, fällt es ei nem schwer zu glauben, dass man im Profifuss ball je wieder ohne sie auskommen müsste. 24
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Dasselbe gilt für den Markierungsspray. Auch diese Neuerung wurde da und dort mit Skepsis empfangen – bis ihre Vorzüge buch stäblich sichtbar wurden: Der Schiedsrichter greift zum Spray und zieht eine gerade Linie vor der Freistossmauer, die sich nun nicht mehr nach vorn stehlen kann, sobald der Schiedsrichter wegsieht. Galt es früher schon bei den Jugendspielern als selbstverständ lich, sich in der Mauer dem Ball mit Trippel schritten zu nähern, wird dieser Marotte nun ein Riegel vorgeschoben. Der Abstand zwischen dem Ball und der Mauer ist aber nicht nur dem verteidigenden Team ein Anliegen, auch dem Freistossschüt zen kommt es gern in den Sinn, den Ball in Richtung des Tors zu verschieben. Damit ist nun Schluss, denn der Markierungsspray wird, noch bevor er die Linie vor der Mauer festlegt, vor dem Ball eingesetzt, der hinter
einer Art Kringel ruhen muss, bevor er wie der freigegeben wird. Torlinientechnologie, Markierungsspray – technische Hilfsmittel können den Fussball dort transparenter machen, wo das mensch liche Auge nicht ausreicht. Die Autorität des Schiedsrichtergespanns wird damit nicht tan giert. Die WM 2014 in Brasilien wird dereinst auch dank den neuen technischen Hilfsmitteln als sehr attraktiv in Erinnerung bleiben. Å
Die Weekly-Debatte. Was brennt Ihnen unter den Nägeln? Über welche Themen wollen Sie diskutieren? Ihre Vorschläge an: feedback-theweekly@fifa.org
Elsa / Getty Images
Perikles Monioudis
DEBAT T E
PRESIDENTIAL NOTE
Die Meinungen der FIFA.com-User zur ersten Turnierphase : Die Torlinientechnologie ist gut. Sie hätte schon vor Jahren eingeführt werden sollen! LinoLeary, Grossbritannien
Ich liebe Frankreich, egal was jetzt noch passiert! Die Leidenschaft der Spieler! Ihr Engagement! Diese Generation kann wirklich Trophäen stemmen! Allez les Bleus! kkk533, Frankreich
Denken Sie darüber nach! Der Schiedsrichter und seine Assistenten müssen 22 Spieler und einen Ball im Auge behalten. Selbst die besten Referees können nicht ständig alles sehen. Die Vorteile der Technik müssen, wann immer verfügbar, genutzt werden!
Das ist die beste kolumbianische Mannschaft aller Zeiten. Sie ist sogar sehr viel besser, als diejenige der 90er-Jahre. Vamos mi Seleccion! Ballsphere, Grossbritannien
Neymar ist Topskorer an der WM – bis jetzt. Ich hoffe, er macht genau so weiter und gewinnt den “Goldenen Schuh”. Er hat gegen Kamerun sehr gut gespielt und auch seine Teamkollegen haben alles gegeben. Ich habe sehr gehofft, dass sich auch Kroatien qualifizieren kann, doch leider konnten sie gegen Mexiko nicht gewinnen. virus920, Libyen
Deeelius, USA
Ich erwarte noch viel von den Niederlanden an dieser WM. Sie spielen wunderschönen Fussball und sind technisch sehr solide. Es ist wirklich eine Freude, ihnen zuzusehen, auch wenn sie nicht das Nummer-1-Team sind. Die Spieler sind nicht egoistisch, sondern bauen sich gegenseitig auf und spielen kluge Pässe. Ich denke, sie werden ins Finale kommen, aber ich persönlich drücke dem Team meiner Frau, der Seleção, und der USA die Daumen. Trotzdem Glückwunsch an die Oranje! robertestx, USA
Cesare Prandelli wird schmerzlich vermisst werden. Er ist ein grosser Trainer und seine Zeit an der Spitze sollte gefeiert werden. Der Catenaccio ist dank Prandelli schon lange vorbei und das ist vielleicht sein grösstes Vermächtnis. Viel Glück Prandelli!
“Das ist Prandellis grösstes V ermächtnis.”
ReusRepublis, Irland
Regeln gibt es nicht grundlos und wir können uns nicht nur auf menschliches Urteil verlassen. Es ist Zeit, dass wir die Hilfe von Videokameras für schwierige Entscheidungen in Anspruch nehmen – die Torlinientechnologie funktioniert sehr gut!
Griechenland hat den absoluten Sieg verdient. Dreimal verhinderte Aluminium ein Tor. In der FIFA-Weltrangliste ist Griechenland die Nummer 12. Ist das Glück? Sicherlich nicht. Gut gemacht Griechenland, ihr habt wie ein Team gespielt und nicht wie elf Individualisten.
brigitte.ode, Niederlande
Macedonian_T , Grossbritannien
“Selbst die Besten sehen nicht alles.”
Fussball in einer neuen Dimension
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pektakulär, packend, hochstehend – einfach grossartig. Was die 32 Teams an der WM bieten, ist kaum zu steigern. Das Turnier in Brasilien setzt neue Massstäbe. “A Copa das Copas!” Der Fussball erreicht in diesen Tagen soz usagen eine neue Dimension – in Sachen Tempo, Offensive und Risikobereitschaft. Auch was die technischen Hilfsmittel betrifft, machen wir neue, überraschende Erfahrungen. Die Torlinientechnologie ist ein Volltreffer. Wenn nur eine wegweisende Entscheidung (wie bei Frankreich - Honduras oder Italien Costa Rica) berichtigt werden kann, so hat sich die Neuerung schon gelohnt. Auch der Markierungsspray der Schiedsrichter ist innert kürzester Zeit von einem belächelten Kuriosum zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Spiels geworden. Endlich gibt es vor Freistössen keine Diskussionen und Schummeleien um Zentimeter mehr. Weshalb haben wir diesen Spray nicht schon vor 50 Jahren eingeführt? Ich brachte am Kongress die Idee der Video-Challenges für die Trainer ins Spiel. Zwei “Calls“ pro Spiel, bei strittigen Szenen. Es ist bisher nur ein Diskussionsansatz. Aber das Turnier zeigt, dass man sich vor der Moderne nicht verschliessen darf. Wird es in Zukunft möglich sein – analog zur Torlinientechnologie – den Unparteiischen auch in anderen spielentscheidenden Situationen in Echtzeit ein Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, müssen wir dafür offen sein. Denn Transparenz und Glaubwürdigkeit stehen im Fussball über allem. Ich wünsche Ihnen weiterhin eine wundervolle Fussball-WM.
Ihr Sepp Blatter T H E F I FA W E E K LY
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Messi im Herzen Die argentinische Sonne geht 端ber der Copacabana auf.
Stossgebet im Regen Kolumbianische Fans bitten f端r ihr Team.
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L AT EIN AMERIK ANISCHE FANS
Haarschleife mit Stern Eine Anh채ngerin des Chile-Teams.
Maradona, Messi & der Papst Die WM in Brasilien ist das Turnier der Lateinamerikaner. Keine Nation stellt ihre Anspr체che lauter als Argentinien. Thomas Renggli (Text) und Joe Raedle (Fotos), Rio de Janeiro T H E F I FA W E E K LY
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L AT EIN AMERIK ANISCHE FANS
Bemalt und bebrillt Atemlose Spannung bei brasilianischen Fans.
Torjubel in der Fremde Uruguay-Anh채nger auf dem Sand von Rio.
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L AT EIN AMERIK ANISCHE FANS
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ie übernachten auf Parkbänken, sie breiten ihre Schlafsäcke am Sandstrand aus, sie hissen ihre Flaggen zwischen den Palmen an der Copacabana, sie trinken Fernet-Branca mit Cola und sie sind laut – sehr laut. Lauter als alle Holländer, Deutschen und Italiener an dieser WM zusammen. Rund 50 000 argentinische Fans reisen ihrer Mannschaft durch Brasilien nach und verleihen dem Turnier einen blau-weissen Glanz. In der Wahrnehmung der Brasilianer allerdings wecken sie fussballerische Urängste. 1950 waren es die Besucher aus Uruguay, die dem Gastgeber das WM-Fest zerstörten und den für das Heimteam reservierten Pokal entführten. 64 Jahre später könnten die Argentinier die Rolle des Partyk illers übernehmen und die Fortsetzung des “Maracanaço”, der Schmach vom Maracanã, schreiben: “Wir gehen erst wieder nach Hause, wenn wir den Titel gewonnen haben”, sagt Martino – und streckt seine mit einem blau-weissen Tuch umwickelte Faust gegen den Himmel.
Joe Raedle / Getty Images (5)
Stimmgewalt mit Nebengeräuschen Martino ist Anhänger der Boca Juniors – und der Albiceleste (der Weiss-Himmelblauen), wie die argentinische Nationalmannschaft genannt wird. Er trägt ein Amulett mit dem Gesicht von Papst Franziskus um den Hals. Seinen anderen Heiligen hat er sich auf den linken Oberarm tätowiert: Diego! Diego Maradona. Der Fussball-Gott – auf dem Platz ein Genie, daneben ein glückloser Dribbler. Doch die argentinische Ikone hat alle Stürme überstanden. In den Augen seiner Verehrer bleibt er der Heilsbringer, der das Land 1986 zum bisher letzten Titelgewinn geführt hat: “Er ist ein Zauberer, ein Akrobat”, versucht Martino seine Bewunderung in Worte zu fassen. “Diego ist der grösste Spieler aller Zeiten”, sagt er – und macht mit einem entschlossenen Blick deutlich, dass es reine Zeitverschwendung wäre, mit ihm über einen gewissen Pelé zu diskutieren. Mit ihrer Zahl und Stimmgewalt sind die argentinischen Fans ein prägendes Element in Brasilien. Doch sie sorgen auch für Misstöne. Zum ersten Spiel gegen Bosnien-Herzegowina verschafften sich einige von ihnen gewaltsam Zutritt zum Maracanã-Stadion. Auch chilenische WM-Touristen hielten sich nicht an die Spielregeln. Vor der Partie gegen Spanien rissen sie eine Absperrung im Medienbereich nieder und stürmten ins Stadion. Unabhängig von diesen Nebengeräuschen wird eine Tatsache immer klarer: Die WM in Brasilien ist das Turnier der Lateinamerikaner. Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Uruguay und Costa Rica waren die grossen Sieger der ersten zwei Wochen. Da stellt sich selbstredend die schon vor der Endrunde heiss diskutierte Frage des Heimvorteils. Jedes Mal, wenn die WM auf dem amerikanischen Kontinent stattfand, siegte eine Equipe aus Südamerika: 1930 (in Uruguay) und 1950 (in Brasilien) Uruguay, 1962 (in Chile) und 1970 (in Mexiko) Brasilien, 1978 (in Argentinien) und 1986 (in Mexiko) Argentinien und 1994 (in den USA) wieder Brasilien. Europäisches Jammern Der italienische Trainer Cesare Prandelli lässt bei seiner Interpretation der Lage keinen Raum für Missverständnisse. Dabei bezieht er sich vor allem aufs Klima: “Die Spieler aus Süd- und Mittelamerika leben und spielen unter diesen Bedingungen. Das ist ein Vorteil.” Dass in Italien (vorab im Süden des Festlands und auf Sizilien) ebenfalls regelmässig bei weit über 30 Grad gespielt wird, klammert er grosszügig aus. Auch Prandellis deutscher Kollege Joachim Löw sieht das brasilianische Klima als Bonus für die “heimischen” Mannschaften: “Sie wissen, wie man mit diesen Bedingungen umgeht und sind es gewohnt, in der Mittagshitze zu
spielen.” Was die klimatischen Extrembelastungen betrifft, gehörte das deutsche Team in der Gruppenphase zu den strapaziertesten WM-Teilnehmern. Es hatte alle Partien in den nördlichen – und damit sehr heis sen – Spielorten Salvador, Fortaleza und Recife auszutragen. Reinaldo Rueda, der kolumbianische Trainer von Ecuador, relativiert die Hitze-Diskussion: “Brasilien ist so gross wie ein ganzer Kontinent. Es gibt mehrere Klimazonen – und deshalb ist es schwer, von einem Heimvorteil zu sprechen.” Die sportlichen Tatsachen geben ihm recht. England beispielsweise erlitt die entscheidende Niederlage gegen Uruguay in São Paulo bei britischer Kühle (rund zehn Grad). Die englischen Fans – in offenbarer Un kenntnis der g rossen Temperfatur-Unterschiede in Brasilien – waren in Badelatschen und Shorts angereist und erlitten (nicht nur wegen des Auftritts ihrer Mannschaft) e inen Kälteschock. Die argentinischen WM-Touristen dagegen sind bestens vorbereitet. Den Mate-Tee haben sie aus der Heimat mitgebracht – alles Übrige besorgen sie im Supermarkt um die Ecke. Und wer noch keinen Schlafplatz hat, stösst bei Martino auf offene Ohren: “Für drei, vier Kollegen habe ich immer Platz.” Aber hat es auch für die argentinische Mannschaft Platz im Finale vom 13. Juli? Nach der Vorrunde sind nicht alle Zweifel vom Tisch. Denn obwohl sich die Mannschaft von Trainer Alejandro Sabella auf kürzestem Weg für die Direktausscheidung qualifizierte, machte sie keinen unwiderstehlichen Eindruck. Die Frage deshalb bleibt: Erhält Lionel Messi von seinen Mitspielern jenen Support, der für ein weltmeisterliches Kollektiv nötig ist?
“Für drei, vier Kollegen habe ich immer Platz.”
2010 vergessen So oder so stehen die argentinischen Fussballer bei ihren Fans in der Bringschuld. Seit sie 1990 letztmals das WM-Finale erreicht haben, nahmen ihre Endrunden-Teilnahmen stets ein ernüchterndes Ende: 1994 im Achtelfinale gegen Bulgarien, 1998 im Viertelfinale gegen die Niederlande, 2002 schon in der Vorrunde, 2006 sowie 2010 jeweils im Viertelfinale gegen Deutschland. Vor allem das Turnier vor vier Jahren würden die argentinischen Fans am liebsten aus den Geschichts büchern löschen – wegen des vernichtenden 0:4 im Viertelfinale gegen Deutschland und wegen des an Realsatire grenzenden Auftritts von Diego Maradona als Trainer. In Brasilien ist alles anders – und der Weg zum argentinischen Happy End vorgespurt. Martino und seine Mitreisenden denken bereits jetzt an einen möglichen Showdown gegen Lieblings-Feind Brasilien. Das WM-Tableau will es, dass es erst am 13. Juli im Maracanã zu dieser finalen Affiche kommen könnte. Bis dahin ist vor allem der Ballzauber von Lionel Messi gefordert. Welchen Status der Barça-Superstar in seiner Heimat geniesst, wird spürbar, wenn sich im Stadion 50 000 Fans mit einem langgestreckten “Meeeeessssssiiii” vor ihrem Messias verneigen. Und auch Trainer Sabella stimmt in den Chor mit ein: “Wenn Messi den Ball hat, macht er unser Spiel besser. Egal, was an dieser WM geschieht: Er gehört zu den besten Spielern in der Fussball-Geschichte.” Und falls es mit Messis Künsten allein doch nicht reicht, hat Argentinien noch zwei geistliche Trümpfe im Ärmel: Papst Franziskus – und die Hand Gottes. Für alle Fälle. Å T H E F I FA W E E K LY
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FREE KICK
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WM-Torrekorde
Auf der Kippe Alan Schweingruber
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en Gesprächen fremder Leute zuzuhören ist nicht anständig. Im Restaurant schon gar nicht. Aber was, wenn man gar nicht anders kann als ein wenig zu lauschen? Das Smartphone liegt zu Hause. Die Partnerin raucht draussen eine Zigarette.
Perplex schaut er zu ihr auf. “Das musst du aber nicht ...” “Nein, aber ich will.” “Wirklich? Und was machst du zwei Wochen lang in Schweden?” “Mal schauen. Ich werde mich mit Freunden treffen. Essen gehen.” Pause.
Sie: “Du willst Dir heute tatsächlich schon wieder ein Spiel anschauen?” Er: “Ich teile mir die Spiele doch ein. Du solltest mal die anderen sehen.” Sie schenkt sich Rotwein nach und runzelt die Stirn mürrisch. “Schliesslich beginnen nun die Achtelfinals”, sagt er. “Ab jetzt gelten neue Regeln.” “Die Regeln hatten wir klar ausgemacht. Wir müssen reden. Du hast den Kopf nur noch beim Fussball. Robben, Neymar, Rooney oder wie sie alle heissen …” Er: “Rooney ist ausgeschieden!” “Na wenn schon! Meinetwegen können sie alle ausscheiden.” Sie nimmt einen Schluck vom Rotwein und steht auf. “Wenn deine Mannschaft dabei wäre, dann sähe alles anders aus”, ruft er ihr nach. Sie verschwindet zu den Toiletten.
Er: “Triffst du Lars?” “Lars? Nein! Ich treffe mich doch nicht mit Exfreunden. Lars schaut sowieso Fussball.” “Und wenn nicht?” “Lars schaut Fussball, ich weiss es.” “Warum weisst du das?” Er ist aufgebracht. “Weil er früher schon Fussball schaute.” “Ach ja? Und bei mir machst du so ein Theater.” Sie zieht die Augenbrauen hoch: “Wegen des blöden Fussballs haben wir uns ja getrennt.”
In der Zwischenzeit macht ein Kellner den Tisch sauber. Er hat gute Laune. Dann geht er in einen kleinen Stauraum und kehrt mit e iner rollenden Kommode zurück. Auf dem Möbel steht ein Fernseher. “Chile oder Brasilien? Wer wird gewinnen?”, fragt er den Mann. Der Mann rollt mit den Augen. Die Szene von seiner Frau scheint programmiert. Als sie z urückkehrt und den Fernseher sieht, sagt sie: “Gut. Ich habe es mir überlegt. Ich fliege morgen für zwei W ochen zu meiner Mutter nach Stockholm. Dann kannst du in Ruhe die WM zu Ende schauen. Vielleicht tut uns eine Pause ganz gut.”
Ich winke dem Kellner und bestelle eiligst die Rechnung. Å
Nun wird es mir aber zu bunt. Trennung w egen Fussball. So was. Ich drehe mich weg. Brasilien und Chile starten furios ins Spiel. Ein richtig gutes Achtelfinale. Zwei Stunden Fussball. Ich freue mich. Doch dann schaue ich per Zufall aus dem Fenster und sehe, wie sich meine Partnerin mit einem fremden Raucher unterhält. Sie haben Spass.
Die wöchentliche Kolumne aus der The-FIFA-Weekly-Redaktion
1
Österreich - Schweiz: 12 Tore Resultat: 7:5 Datum: 26.06.1954 Turnier: WM 1954, Schweiz
2
Brasilien - Polen: 11 Tore Resultat: 6:5 Datum: 05.06.1938 Turnier: WM 1938, Frankreich
Ungarn - BR Deutschland: 11 Tore Resultat: 8:3 Datum: 20.06.1954 Turnier: WM 1954, Schweiz
Ungarn - El Salvador: 11 Tore Resultat: 10:1 Datum: 15.06.1982 Turnier: WM 1982, Spanien
5
Frankreich - Paraguay: 10 Tore Resultat: 7:3 Datum: 08.06.1958 Turnier: WM 1958, Schweden
6
Argentinien - Mexiko: 9 Tore Resultat: 6:3 Datum: 19.07.1930 Turnier: WM 1930, Uruguay
Ungarn - Korea Republik: 9 Tore Resultat: 9:0 Datum: 17.06.1954 Turnier: WM 1954, Schweiz
BR Deutschland - Türkei: 9 Tore Resultat: 7:2 Datum: 23.06.1954 Turnier: WM 1954, Schweiz
Frankreich - BR Deutschland: 9 Tore Resultat: 6:3 Datum: 28.06.1958 Turnier: WM 1958, Schweden
Jugoslawien - Zaire: 9 Tore Resultat: 9:0 Datum: 18.06.1974 Turnier: WM 1974, BR Deutschland
11
Italien - USA: 8 Tore Resultat: 7:1 Datum: 27.05.1934 Turnier: WM 1934, Italien
Quelle: FIFA (FIFA World Cup, Milestones & Superlatives, Statistical Kit, 12.05.2014) T H E F I FA W E E K LY
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Kairo, Ägypten
1994
Boaz Rottem / Getty Images
Der Fernseher als Fenster zur Welt – oder zumindest zum Stadion. In den Strassen verfolgen einheimische Männer und Jungen eine Partie der WM 1994 in den USA.
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ZEITSPIEGEL
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Salvador da Bahia, Brasilien
2014
Anne-Christine Poujoulat / AFP
Auch im digitalen Zeitalter muss der gute alte Fernseher in den Strassen herhalten – hier während der aktuellen WM in Brasilien.
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DAS FIFA-R ANKING Rang Team
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 23 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 52 54 55 56 57 57 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77
34
→ http://de.fifa.com/worldranking/index.html
Rangveränderung Punkte
Spanien Deutschland Brasilien Portugal Argentinien Schweiz Uruguay Kolumbien Italien England
0 0 1 -1 2 2 -1 -3 0 1
1485 1300 1242 1189 1175 1149 1147 1137 1104 1090
Belgien Griechenland USA Chile Niederlande Ukraine Frankreich Kroatien Russland Mexiko Bosnien und Herzegowina Algerien Dänemark Elfenbeinküste Slowenien Ecuador Schottland Costa Rica Rumänien Serbien Panama Schweden Honduras Tschechische Republik Türkei Ägypten Ghana Armenien Kap Verde Venezuela Wales Österreich Iran Nigeria Peru Japan Ungarn Tunesien Slowakei Paraguay Montenegro Island Guinea Sierra Leona Norwegen Kamerun Mali Republik Korea Usbekistan Burkina Faso Finnland Australien Jordanien Libyen Südafrika Albanien Bolivien El Salvador Polen Republik Irland Trinidad und Tobago Vereinigte Arabische Emirate Haiti Senegal Israel Sambia Marokko
1 -2 1 -1 0 1 -1 2 -1 -1 4 3 0 -2 4 2 -5 6 3 0 4 -7 -3 2 4 -12 1 -5 3 1 6 -2 -6 0 -3 1 -2 1 -3 5 3 6 -1 17 0 -6 2 -2 -6 1 -9 -3 1 -2 0 4 1 1 3 -4 3 -5 4 -11 3 3 -1
1074 1064 1035 1026 981 915 913 903 893 882 873 858 809 809 800 791 786 762 761 745 743 741 731 724 722 715 704 682 674 672 644 643 641 640 627 626 624 612 591 575 574 566 566 565 562 558 547 547 539 538 532 526 510 498 496 495 483 481 474 473 470 460 452 451 444 441 439
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Rang
01 / 2014
02 / 2014
03 / 2014
04 / 2014
05 / 2014
06 / 2014
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78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 90 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 110 112 113 114 115 116 116 118 119 120 120 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 134 136 137 137 139 140 140 142 143 144
Platz 1
Aufsteiger des Monats
Bulgarien Oman EJR Mazedonien Jamaika Belarus Aserbaidschan DR Kongo Kongo Uganda Benin Togo Gabun Nordirland Saudiarabien Botsuana Angola Palästina Kuba Georgien Neuseeland Estland Simbabwe Katar Moldawien Äquatorial-Guinea VR China Irak Zentralafrikanische Republik Litauen Äthiopien Kenia Lettland Bahrain Kanada Niger Tansania Namibia Kuwait Liberia Ruanda Mosambik Luxemburg Sudan Aruba Malawi Vietnam Kasachstan Libanon Tadschikistan Guatemala Burundi Philippinen Afghanistan Dominikanische Republik Malta St. Vincent und die Grenadinen Guinea-Bissau Tschad Suriname Mauretanien St. Lucia Lesotho Neukaledonien Syrien Zypern Turkmenistan Grenada
-5 3 0 0 1 2 4 7 0 10 1 -2 -6 -15 -1 1 71 -5 7 14 -5 -1 -5 -2 11 -7 -4 1 -2 -6 -2 0 -5 0 -10 9 6 -7 3 15 -4 -7 -3 35 0 -7 -6 -11 -5 -3 -3 11 -2 -5 -4 -7 50 31 -5 2 -4 2 -2 -6 -12 13 -8
Absteiger des Monats
425 420 419 411 397 396 395 393 390 386 383 382 381 381 375 364 358 354 349 347 343 340 339 334 333 331 329 321 319 317 296 293 289 289 284 283 277 276 271 271 269 267 254 254 247 242 241 233 229 226 221 217 215 212 204 203 201 201 197 196 196 194 190 190 189 183 182
144 146 147 148 149 149 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 164 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 176 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 190 192 192 192 195 196 196 198 198 200 201 202 202 204 205 206 207 207 207
Madagaskar DVR Korea Malediven Gambia Kirgisistan Thailand Antigua und Barbuda Belize Malaysia Indien Singapur Guyana Indonesien Puerto Rico Myanmar St. Kitts und Nevis Tahiti Liechtenstein Hongkong Pakistan Nepal Montserrat Bangladesch Laos Dominica Barbados Färöer São Tomé und Príncipe Swasiland Komoren Bermudas Nicaragua Chinese Taipei Guam Sri Lanka Salomon-Inseln Seychellen Curaçao Jemen Mauritius Südsudan Bahamas Mongolei Fidschi Samoa Kambodscha Vanuatu Brunei Darussalam Osttimor Tonga Amerikanische Jungferninseln Cayman-Inseln Papua-Neuguinea Britische Jungferninseln Amerikanisch-Samoa Andorra Eritrea Somalia Macau Dschibuti Cook-Inseln Anguilla Bhutan San Marino Turks- und Caicos-Inseln
45 -9 6 -14 -3 -6 -9 -8 -8 -7 -8 -5 -5 -9 14 -7 -4 -12 -5 -5 -5 22 -5 5 -6 -9 -7 -5 5 10 -6 -8 -6 -7 -6 -8 -5 -5 -4 -4 16 0 0 -6 -6 0 -10 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 0 0 0 0 0 0 0 0
182 175 171 166 163 163 158 152 149 144 141 137 135 134 133 124 122 118 112 102 102 99 98 97 93 92 89 86 85 84 83 78 78 77 73 70 66 65 61 57 47 40 35 34 32 28 28 26 26 26 23 21 21 18 18 16 11 8 8 6 5 3 0 0 0
TURNING POINT
Name Simone Farina Geburtsdatum, Geburtsort 18. April 1982, Rom Position Verteidiger Stationen als Spieler 2001–2002 AS Roma 2001–2002 Catania (ausgeliehen) 2002–2004 Cittadella 2004–2006 Gualdo 2006–2007 Celano 2007–2012 Gubbio Aktuelle Tätigkeit Jugendausbilder beim Aston Villa FC
“Absichtlich verlieren? Niemals!” Der frühere Fussballprofi Simone Farina erteilte Match-Fixern eine Absage. Heute kämpft er als Beispiel für Integrität weltweit gegen die Manipulation von Fussballspielen.
Pio Figueiroa
I
m September 2011 – ich war noch Profifussballer beim Serie-B-Club AS Gubbio – erhielt ich von einem Teamkollegen aus ganz alter Zeit, als ich noch sehr jung war und in Rom spielte, eine Einladung zu einem Gespräch. Bei unserem Treffen kam er schnell zur S ache: Ich sollte mein Team dazu bringen, eine bestimmte Partie zu verlieren, und zwar mit mindestens drei Treffern Unterschied. Als Verteidiger, so dachte er wohl, wäre ich in der Lage gewesen, eine Niederlage der AS Gubbio im Pokalspiel gegen das ohnehin bessere Team aus Cesena herbeizuführen. Er bot mir 200 000 Euro an. Ich verdiente damals etwa einen Fünftel dieser Summe. Am Telefon hatte ich eine Weile gebraucht bis ich mich an
ihn erinnern konnte; ich hatte seit zehn Jahren nichts mehr von ihm gehört. Er holte mich an jenem sonnigen Vormittag in der Stadtmitte mit seinem Auto ab, wir fuhren zu einer Kaffeebar. Er hatte einen Freund dabei, so waren wir zu dritt. Wir setzten uns. Er sagte mir ohne Umschweife, dass er meine Hilfe beim Spiel Gubbio - Cesena benötige, das in zwei Monaten anstand. Meine Antwort war sogleich ein Nein. Denn für mich kommt eines zuerst: Integrität. Ausserdem kam es für mich auch nicht annähernd in Frage, meine Chancen als Fussballer torpedieren zu lassen. Ich hatte viele O pfer gebracht, um mich sportlich auf dieses Niveau zu bringen – mein Traum, meine Lebensidee wären damit zunichte gemacht worden. Ich wollte spielen – und zwar sauber. Der alte Teamkollege nahm das Nein hin. Er fragte aber, ob er sich an meine Mitspieler wenden dürfe und ob ich mit der Telefonnummer etwa des Kapitäns oder des Klubpräsidenten dienen könne. Ich verneinte. Ich konnte ihm in keiner Weise helfen. Er insistierte nicht, und er bedrohte mich nicht. Ich wollte trotzdem gleich los. Die beiden fuhren mich zurück in die Stadtmitte. Aus dem Auto machte mir der alte Teamkollege Zeichen, ich soll keinem von unserem
Treffen berichten. Ich sprach aber zu Hause mit meiner Frau und wandte mich dann an die italienische Spielervereinigung. Sie wies mich darauf hin, dass ich gesperrt werden könnte, wenn ich direkt zur Polizei ginge. Ich folgte ihrem Rat und besprach mich gleich am folgenden Tag mit dem italienischen Verband FIGC in dessen Räumlichkeiten. Die FIGC informierte d araufhin die Polizei: Mein Nein hatte die Verhaftung von 17 Personen zur Folge. Es waren schwierige Monate. An wen sollte ich mich wenden? Ich fühlte mich alleine gelassen. Ich war besorgt um meine Familie, vor allem um meine beiden Kinder. Meine Profikarriere war zwar damit beendet, aber ich zweifelte keine Sekunde an meiner Entscheidung. Anstand macht sich bezahlt. Heute reise ich als Fair-Play-Botschafter um die Welt, um den Spielern von dieser Erfahrung zu erzählen. Vor allem habe ich mir aber einen Traum erfüllt: Ich arbeite bei Aston Villa als Jugendcoach und kümmere mich um Kids. Å Aufgezeichnet von Perikles Monioudis
Persönlichkeiten des Fussballs erzählen von einem wegweisenden Moment in ihrem Leben. T H E F I FA W E E K LY
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NET ZER WEISS ES!
DAS OBJEK T
Kann es ein Aussenseiter bis ins WM-Finale schaffen? Frage von Fabio Rossi, Alba (Italien)
Perikles Monioudis
D
Gute Aussichten Kolumnist Günter Netzer schreibt die WM-Aussenseiter nicht ab.
Sven Simon / imago, FIFA Sammlung
I
ch bin begeistert von der WM. So darf es weitergehen in den Achtelfinals. Den Aussenseitern gebe ich durchaus Chancen. Aber ich habe meine Zweifel, dass es einer bis ins Finale schaffen wird. Chile spielt ein grossartiges Turnier. Was diese Mannschaft schon in den Freundschaftsspielen angedeutet hatte, ist nun bestätigt: Sie kann mit den grossen Fussballnationen mithalten, sogar an Turnieren. Das hat seine Gründe. Ich habe ein Team gesehen, das viel Kampfgeist an den Tag legt. Chile spielt aggressiv und inspiriert. Und es verfügt ganz offensichtlich über einen gesunden Teamgeist. Nun wird es interessant zu sehen, wie sich die Mannschaft gegen Brasilien schlägt. Ich muss nicht näher darauf eingehen, wie schwierig diese Aufgabe wird. Aber ich traue Chile zu, dass es dem fünffachen Weltmeister die Stirn bietet. Jorge Sampaoli und seine Mannschaft werden sich von den grossen Namen nicht b eeindrucken lassen.
Im Grundsatz gilt: Für ein Vorstossen in Richtung Finale ist es für eine Nation mit Aussenseiterchancen entscheidend, ob sie auch an schlechten Tagen bestehen kann. Kein Team der Welt hält sein Niveau über sieben Partien. Es gibt Verletzte und Gesperrte. Und es wird Partien geben, in denen zwei oder drei wichtige Spieler ihre besten Leis tungen nicht abrufen können. Eine Finalmannschaft muss Ausfälle kompensieren können. Da geht es Brasilien, Deutschland oder Argentinien nicht anders. Å
en Ball mit den Händen zu spielen – das bleibt die grosse Versuchung. Nicht nur für jene Feldspieler, die auf unerlaubte Weise die Hand oder den Arm zu Hilfe nehmen und hoffen, der Schiedsrichter habe gerade einen Augenblick lang weggesehen. Und nein, auch die Torhüter spielen hier keine Rolle – für sie stellt das Spiel mit der Hand ohnehin keine Versuchung dar, sie sind dazu befugt und können ihrer taktilen Lust ausgiebig frönen. Das oben abgebildete Gesellschaftsspiel (England 1910; FIFA-Sammlung) trägt die Bezeichnung “Finga-Foota”; damit ist klar, dass der Ball mit den Fingern bewegt werden darf – gedribbelt, gepasst, geschossen. Dazu streifen sich die Spielenden nicht nur eine Gummi-Schutzhülle je über Zeige- und Mittelfinger, sie schlüpfen auch noch durch eine Papplasche, an der ein Pappkamerad befestigt ist (sechs im Karton). Er lässt den Spielenden wahlweise als Charlie Chaplin oder eine andere Persönlichkeit erscheinen. Der Sport mit den Fingern zählt auch heute noch zu den beliebten Beschäftigungen – wenn auch nicht mehr so sehr im Bereich des Fussballs. Die Skateboarder pflegen ihre Parks und auch ihre Figuren und Wettkampfprogramme mithilfe von Miniaturattrappen zu entwickeln; fingergrosse Skateboards für die Trockenübungen findet man heute fast in jedem Supermarkt. Es scheint, als hätten sie den kleinen Spielzeugautos den Rang abgelaufen – zumindest zeitweise. Denn im Unterschied zum Spiel mit den Autos benötigt man für den rollenden Flow auf dem Fingerskateboard eine bestimmte Geschicklichkeit – die könnte dem angehenden Klavierspieler von Nutzen sein, dem angehenden Dartspieler, dem angehenden Friseur. Ab ins Training – der Fussballfreund ins “Finga-Foota”! Man weiss nie, was aus einem noch werden wird. Å
Was wollten Sie schon immer über Fussball wissen? Fragen Sie Günter Netzer: feedback-theweekly@fifa.org T H E F I FA W E E K LY
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Š 2014 adidas AG. adidas, the 3-Bars logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.
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The FIFA Weekly Eine Wochenpublikation der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) Internet: www.fifa.com/theweekly
FIFA - R ÄT SEL - CUP
Ein Salto für ein Tor, zwei Farben für zwei Schuhe und 23 Spieler von 23 Vereinen – raten Sie mit!
Herausgeberin: FIFA, FIFA-Strasse 20, Postfach, CH-8044 Zürich Tel. +41-(0)43-222 7777 Fax +41-(0)43-222 7878 Präsident: Joseph S. Blatter
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Wer schoss sein 15. WM-Tor im Spiel gegen Ghana?
Generalsekretär: Jérôme Valcke Direktor Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: Walter De Gregorio Chefredakteur: Perikles Monioudis Redaktion: Thomas Renggli (Autor), Alan Schweingruber, Sarah Steiner Art Direction: Catharina Clajus
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Alle fünf Herren spielen bei dieser WM für Mannschaften aus ...
Bildredaktion: Peggy Knotz
O Japan I Asien und Südamerika E Südkorea A Afrika und Asien und Südamerika
Produktion: Hans-Peter Frei Layout: Richie Krönert (Leitung), Marianne Bolliger-Crittin, Susanne Egli, Mirijam Ziegler
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Korrektorat: Nena Morf, Kristina Rotach
Die 23 Spieler im Aufgebot spielen für 23 verschiedene Vereine – und für welchen Fussballverband?
Ständige Mitarbeitende: Sérgio Xavier Filho, Luigi Garlando, Sven Goldmann, Hanspeter Kuenzler, Jordi Punti, David Winner, Roland Zorn Mitarbeit an dieser Ausgabe: Andreas Jaros, Pascal De Miramon, Dominik Petermann, Alissa Rosskopf, Andrew Warshaw Redaktionssekretariat: Honey Thaljieh
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Der linke Schuh hat eine andere Farbe als der rechte Schuh – wer trug eine solche Kombination bei dieser WM im Spiel?
Projektmanagement: Bernd Fisa, Christian Schaub Übersetzung: Sportstranslations Limited www.sportstranslations.com Druck: Zofinger Tagblatt AG www.ztonline.ch
Getty Images (6) / AFP (2)
Kontakt: feedback-theweekly@fifa.org Der Nachdruck von Fotos und Artikeln aus The FIFA Weekly, auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung der Redaktion und unter Quellenangabe (The FIFA Weekly, © FIFA 2014) erlaubt. Die Redaktion ist nicht verpflichtet, unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos zu publizieren. Die FIFA und das FIFA-Logo sind eingetragene Warenzeichen. In der Schweiz hergestellt und gedruckt. Ansichten, die in The FIFA Weekly zum Ausdruck gebracht werden, entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der FIFA.
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Das Lösungswort des Rätsel-Cups aus der Vorwoche lautet: KING Ausführliche Erklärungen auf www.fifa.com/theweekly Inspiration und Umsetzung: cus
Bitte senden Sie das Lösungswort bis Mittwoch, 2. Juli 2014, an die E-Mail-Adresse feedback-theweekly@fifa.org Die korrekten Lösungen für alle seit dem 13. Juni 2014 erschienenen Rätsel nehmen im Januar 2015 an der Verlosung einer Reise für zwei Personen zum FIFA Ballon d’Or am 12. Januar 2015 teil. Vor Einsendung der Antworten müssen die Teilnehmenden die Teilnahmebedingungen des Gewinnspiels sowie die Regeln zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, die unter folgendem Link zu finden sind: http://de.fifa.com/mm/document/af-magazine/fifaweekly/02/20/51/99/de_rules_20140613_german_german.pdf T H E F I FA W E E K LY
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F R A G E N S I E T H E W E E K LY
UMFR AGE DER WOCHE
Welcher Torhüter gewinnt den “Adidas Golden Glove Award” ?
Wie kommt es, dass der Schaum des neuen Markierungssprays nach so kurzer Zeit verschwindet? João Silva dos Santos, São Paulo (Brasilien) Die Substanz, die aus der Spray dose kommt, besteht zu 20 Prozent aus Butangas, zu einem Prozent aus Tensiden und zu zirka zwei Prozent aus anderen Stoffen. Der grosse Rest ist Wasser. Beim Auftragen der Substanz auf den Rasen “expan diert” das Butan und löst die Schaumbildung aus. Sobald die Schaumbläschen platzen, ver flüchtigt sich die Markierung. Die Zeitspanne der Sichtbarkeit beträgt zwischen 30 Sekunden und zwei Minuten. Es bleiben keinerlei schädlichen Restbestän de zurück. Der Schaum ist biologisch abbaubar. Der Inhalt der Dose beträgt 147 Milliliter. (thr)
ERGEBNIS DER LETZTEN WOCHE Welche zwei Teams aus der Gruppe H qualifizieren sich für die Achtelfinals? 66% 16%
Belgien und Algerien Belgien und Russland
7%
Belgien und Korea Republik
5%
Russland und Korea Republik
3%
Algerien und Russland
3%
Algerien und Korea Republik
Z AHLEN DER WOCHE
100 32 WM-Tore! Diesen
Spiele und vier Monate. So lautet die Sperre, die die FI FA-Disziplinarkom mission gegen Urugu
Rekord
feierte das französi
sche Nationalteam
beim 5:2-Sieg gegen
die Schweiz in der
ays Stürmer Luis
Gruppe E. Olivier Giroud
Suárez ausgesprochen
trägt sich als Schütze des
hat. Im WM-Gruppen spiel gegen Italien
Treffers in die Geschichts bücher ein. Das erste Tor
Jahre ist es her, seit Algerien das letzte Mal bei
hatte der 27-Jährige
für Frankreich – und das
einer WM-Endrunde gewinnen konnte. Nun ist der
seinen italienischen
erste Tor, das an einer WM
Fluch gebrochen. Die Fennecs besiegten Korea
Gegenspieler Giorgio
überhaupt erzielt wurde–
Republik im zweiten Spiel der Gruppe H 4:2 und
Chiellini in die
schoss Lucien Laurent 1930 in
sind somit die erste afrikanische Mannschaft, die
Schulter gebissen.
Uruguay gegen Mexiko.
an einer WM in einem Spiel vier Tore schoss.
Getty Images
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Der “Adidas Golden Globe Award” wird am Ende des Turniers an den besten Torhüter verliehen. Gibt es für Sie schon einen Favoriten? Ihre Antwort bitte an: feedback-theweekly@fifa.org