The FIFA Weekly Ausgabe #4

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NR. 04, 15. NOVEMBER 2013

DEUTSCHE AUSGABE

Fédération Internationale de Football Association – Seit 1904

WM-PLAYOFFS: DAS DUELL DER SUPERSTARS SEPP BLATTER: KEIN STADIONVERBOT FÜR FRAUEN FC BARCELONA: AM ANFANG WAR EIN SCHWEIZER Fünf Mannschaften für Brasilien 2014

Afrikanische Träume W W W.FIFA.COM/ THEWEEKLY


I N H A LT

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“Football for Hope” in Südafrika Mit der Einweihung des Sozialzentrums Alexandra in Johannesburg geht ein wichtiges FIFA-Projekt auf die Zielgerade. Insgesamt werden in Südafrika 20 solcher Einrichtungen zur Förderung benachteiligter junger Menschen geschaffen.

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Rayo Vallecano Auf dem richtigen Weg: Warum Rayo Vallecano mit seinem Trainer Paco Jémez gute Chancen hat, aus dem Tabellenkeller der Primera División zu finden.

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Interview Coach Victor Piturca will das rumänische Team nach 16 Jahren wieder an die WM bringen. Obwohl sich der Fussball in seinem Land in einer Krise befindet, sagt er vor den Playoffs: “Wir haben eine Perspektive.”

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Nord- und Mittelamerika 35 Mitglieder 3,5 WM-Plätze www.concacaf.com

Krimi in Afrika Spektakel auf dem Schwarzen Kontinent. Die afrikanische WMQualifikation war so turbulent wie kaum je zuvor. Während etablierte Teams wie Marokko oder Südafrika vorzeitig scheiterten, spielten sich Aussenseiter wie Burkina Faso, Äthopien oder Kap Verde in den Vordergrund. Diverse Verbände verdribbelten sich allerdings schon auf dem administrativen Terrain. Trotzdem lebt der afrikanische Traum weiter. Er handelt vom grossen Coup an der WM 2014.

Cristiano Ronaldo Jubelt er auch gegen Schweden?

Portugal - Schweden: Fast wie das WM-Finale Ronaldo oder Ibrahimovic? An der WM in Brasilien kann es nur einen geben. In den europäischen Playoffs kommt es zum Duell der momentan vielleicht besten Fussballer der Welt.

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F IFA-Präsident Blatter: Gleiches Recht für Frauen In sozialen, politischen und religiösen Angelegenheiten ist der Fussball ein wichtiger Identifikationsfaktor. Dies fordert Sepp Blatter auch im Iran.

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F C Barcelona – die Geschichte des Vorzeigeklubs Messi, Xavi, Iniesta – Tiki-Taka. In Barcelona werden fussballerische Massstäbe gesetzt. Ohne einen Fussballpionier aus der Schweiz würde es den katalanischen Vorzeigeklub aber nicht geben.

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D ie Euro-Hymne von 2008 Den Hit “Seven Nation Army” von den White Stripes kennt jeder. Aber wussten Sie, dass die Refrain-Melodie schon in einer Sinfonie im Jahr 1881 vorkam?

Qualifiziert

Qualifiziert

USA

Brasilien (Gastgeber)

Costa Rica

Argentinien

Honduras

Ecuador

Playoff Hinspiel

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2

Südamerika 10 Mitglieder 5,5 WM-Plätze www.conmebol.com

“ Bleib dir treu” Jan Ceulemans schlug einst ein Angebot der AC Milan aus und blieb beim FC Brügge. Heute blickt der Belgier ohne Reue auf diese Entscheidung zurück.

Mexiko – Neuseeland 5:1 (2:0)

Chile Kolumbien Playoff Rückspiel 20. November 2013 Uruguay – Jordanien

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D I E WO C H E I N D E R W E LT D E S F U S S B A L L S

Europa 53 Mitglieder 13 WM-Plätze www.uefa.com

Afrika 54 Mitglieder 5 WM-Plätze www.cafonline.com

Asien 46 Mitglieder 4,5 WM-Plätze www.the-afc.com

Ozeanien 11 Mitglieder 0,5 WM-Plätze www.oceaniafootball.com

Giuseppe Rossi Mann der Stunde in der Serie A

NR. 04, 15. NOVEMBER 2013

Frauen im Iran Fussball als Türöffner

DEUTSCHE AUSGABE

Fédération Internationale de Football Association – Seit 1904

WM-PLAYOFFS: DAS DUELL DER SUPERSTARS SEPP BLATTER: KEIN STADIONVERBOT FÜR FRAUEN

Zlatan Ibrahimovic Showdown gegen Portugal

FC BARCELONA: AM ANFANG WAR EIN SCHWEIZER Fünf Mannschaften für Brasilien 2014

Afrikanische Träume W W W.FIFA.COM/ THEWEEKLY

Afrikas Hoffnung Auf Klubebene hat Didier Drogba fast alles erreicht. Jetzt will er auch mit der ivorischen Nationalmannschaft den grossen Coup landen.

Marcello Lippi Triumph in Asiens Champions League

Victor Piturca Rumäniens Trainer in der Krisenzeit Jan Ceulemans Brügge statt Milan

Inhalt: Getty Images, Pixathlon, Imago, Keystone

Qualifiziert

Playoff 15. / 19. November 2013

Kamerun – Tunesien 17. November

Cover: Marco Grob

Samuel Eto’o Mit Kamerun gegen Tunesien

Por tugal – Schweden

Ägypten – Ghana 19. November

Playoff Hinspiele

Qualifiziert

Playoff

Italien

Burkina Faso – Algerien 3:2

Australien

Rückspiel  20. November 2013

Niederlande

Elfenbeinküste – Senegal 3:1

Japan

Neuseeland – Mexiko

England

Äthiopien – Nigeria 1:2

Iran

Russland

Tunesien – Kamerun 0:0

Korea Republik

Belgien

Ghana – Ägypten 6:1

Schweiz Bosnien-Herzegowina Deutschland Spanien

Playoff Rückspiele

Playoff Hinspiel Jordanien – Uruguay 0:5 (0:2)

Algerien – Burkina Faso 19. November Senegal – Elfenbeinküste 16. November Nigeria – Äthiopien 16. November

Ukraine – Frankreich Griechenland – Rumänien Island – Kroatien

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Only eight countries have ever lifted the FIFA World Cup Trophy.

Yet over 200 have been winners with FIFA. As an organisation with 209 member associations, our responsibilities do not end with the FIFA World Cup™, but extend to safeguarding the Laws of the Game, developing football around the world and bringing hope to those less privileged. Our Football for Hope Centres are one example of how we use the global power of football to build a better future. www.FIFA.com/aboutfifa


UNCOVERED

(K)ein WM-Tourist: Roger Milla gönnt sich in Italien 1990 ein Sonnenbad – und schiesst Kamerun ins Viertelfinale.

Talent, Träume und ein Tippfehler Thomas Renggli

“A

frika als mitgliederstärkste Konföderation ist an der WM krass untervertreten. Dieser Missstand muss behoben werden”, schrieb FIFA-Präsident Sepp Blatter in seiner Kolumne vor drei Wochen – und löste damit einen Sturm von Reaktionen aus. Unter anderem schaltete sich UEFA-Präsident Michel Platini in die Diskussion ein und forderte – quasi zur Protektion der europäischen Verbände – eine Aufstockung des WM-Teilnehmerfeldes auf 40 Mannschaften.

Getty Images/Allsport

Blatters Vorstoss basiert auf mathematischen Tatsachen. Die fünf WM-Plätze für total 54 afrikanische Verbände stehen im Widerspruch zu den Vertretungen aus Europa (13 für 53 Verbände) und Südamerika (5,5 für 10 Verbände). Grundsätzlich ist die Geschichte der afrikanischen Präsenz an WM-Turnieren von Irrungen und Umwegen geprägt – nicht nur in der zu Ende gegangenen Qualifikationskampagne, in der neun Mannschaften nach dem Einsatz von gesperrten oder nicht lizenzierten Spielern mit einer Forfait-Niederlage bestraft wurden.

Die afrikanische Premiere – 1934 durch Ägypten – war begünstigt durch den Rückzug der türkischen Nationalmannschaft in der Qualifikation. Im Vergleich mit dem einzig verbliebenen Gruppengegner Palästina setzten sich die Ägypter mit einem Gesamtscore von 11:2 durch. Das afrikanische WM-Gastspiel blieb eine Stippvisite. Erst 1970 qualifizierte sich (mit Marokko) wieder ein Team vom Schwarzen Kontinent für die Endrunde. Allerdings war der Weg an die WM für die afrikanischen Auswahlen ein Marathon. Sie besassen keinen fixen Platz im Teilnehmerfeld und mussten am Ende der kontinentalen Ausscheidungsphase gegen einen Vertreter aus der Asien/Ozeanien-Poule stechen. Südafrika war aufgrund des Apartheid-Regimes zwischen 1964 und 1992 von der FIFA zuerst suspendiert, dann ausgeschlossen worden. Als erste schwarzafrikanische Mannschaft qualifizierte sich Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) für eine Endrunde. Seither ist der afrikanische Anspruch nach dem grossen Coup erhoben – doch Ambition und Wirklichkeit liegen in einem Missverhältnis. Nur Kamerun (1990), Senegal (2002) und Ghana (2010) erreichten bisher die Viertelfinals, scheiterten aber jeweils knapp (Ghana vor dreieinhalb Jahren erst im Penaltyschiessen an Uruguay). T H E F I FA W E E K LY

Die Drehbücher des afrikanischen Misserfolgs weisen auffällige Parallelen auf: Individuelle Klasse und Spielfreude waren jedes Mal wesentlich grösser als taktisches Verständnis und Systemtreue. “Afrikanisches Talent und asiatische Disziplin ergeben eine weltmeisterliche Mischung”, heisst es über das schlummernde Potenzial im Weltfussball. Zu was Afrikaner in einer funktionierenden Mannschaft fähig sind, zeigt das Beispiel von Didier Drogba. Der 35-jährige Ivorer gehörte zu den zentralen Figuren im Chelsea FC, gewann Meisterschaft, Cup und Champions League. In der Türkei führte er Galatasaray 2013 zum Gewinn des Doubles. Mit der Nationalmannschaft der Elfenbeinküste blieb er dagegen an den WM-Turnieren 2006 und 2010 in der Vorrunde hängen. Zwei Jahrzehnte vorher verzauberte Roger Milla die Fussballwelt. Mit vier Toren und seinen legendären Jubeltänzen führte er Kamerun 1990 unter die letzten acht Mannschaften. Vier Jahre später trat er 42-jährig in den USA erneut zu einer Endrunde an und avancierte mit seinem Treffer gegen Russland zum ältesten WM-Torschützen der Geschichte. Geboren wurde Roger Milla übrigens als Roger Miller. Sein heutiger Name geht auf einen Schreibfehler eines Zivilstandbeamten beim Ausfüllen der Geburtsurkunde zurück. Å 5


Dreimal Afrikas Spieler des Jahres. Der Kameruner Samuel Eto’o muss gegen Tunesien ran.

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WM - QUALIFIK AT ION

Heldengeschichten, Fussballmärchen, Favoritenstürze. Die afrikanische WM-Qualifikation war so turbulent wie kaum jemals. Und der Höhepunkt steht mit der entscheidenden Playoff-Runde erst bevor – ganz nach dem Gusto des afrikanischen Publikums, das ein spezielles Flair für sportliche Dramen hat.

KRIMI IN AFRIKA

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Mark Gleeson, Kapstadt

Gian Paul Lozza/13Photo

ie afrikanische Qualifikation zur WM 2014 in Brasilien wurde durch das Scheitern einiger tradi­ tioneller “Fussball-Grossmächte” wie Südafrika oder Marokko so­ wie einer Vielzahl administrati­ ver Fehltritte etwa in Äthiopien oder Burkina Faso geprägt – Plei­ ten, Pech und Pannen. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahr­ heit. Der andere birgt erfrischen­ den Fussball mit unerwarteten Ergebnissen und das Aufkommen gleich meh­ rerer neuer Anwärter auf die WM-Endrunde – Drama pur. Doch der Reihe nach. WM-Gastgeber 2010 out Von den 54 afrikanischen Verbänden werden es fünf nach Brasilien schaffen. Am Dienstag wird die afrikanische Qualifikations­ phase zu Ende gehen. Es droht ein altbekannter Ausgang: Mit Algerien, Kamerun, der Elfen­ beinküste, Ghana und Nigeria könnten sich die fünf Verbände durchsetzen, die auch an der WM 2010 teilnahmen. Sie haben hervorragende

Aussichten, erneut das WM-Ticket zu buchen, obwohl sich Burkina Faso (3:2 im Playoff-Hin­ spiel gegen Algerien) und Tunesien (0:0 gegen Kamerun) ebenfalls noch berechtigte Hoffnun­ gen machen können. Auf den ersten Bli ck scheint es, als ob sich in der Hackordnung des afrikanischen Fuss­ balls wenig verändert hätte. Doch um einige der vermeintlichen Supermächte des Konti­ nents entstand in der Vorausscheidung erheb­ licher Wirbel. Zu den prominentesten Opfern in der Gruppenphase gehören der Gastgeber von 2010, Südafrika sowie der viermalige WM-Teilnehmer Marokko. Ebenfalls bereits vor der abschliessenden Playoff-Runde schei­ terten der Afrikameister von 2012, Sambia, der Bronzegewinner bei den Afrikameisterschaf­ ten 2012 und 2013, Mali, und die ewig hinter den Erwartungen zurückbleibende Auswahl der Demokratischen Republik Kongo, die sich bereits lange vor den letzten Gruppenspielen von ihren WM-Ambitionen verabschiedete. Äthiopischer Mentalitätswandel Das starke Abschneiden der aufstrebenden Teams aus Burkina Faso, Äthiopien, Kap Verde T H E F I FA W E E K LY

und Libyen spiegelt indes wider, bis zu welchem Grad die etablierte Rangordnung infrage gestellt wird. Äthiopien gehörte zu den Gründungsmit­ gliedern der afrikanischen Fuss­ ballkonföde­ ration CAF, büsste aber s­ einen Status als konti­ nentale Macht Mitte der 70er-Jahre ein. Drei Jahrzehnte später ­erlebt der äthiopische Fuss­ ball dank einer starken einheimischen Liga, fanatischen Fans und einer sich erholenden Wirtschaft einen enormen Aufschwung. Auch wenn das Land bisher nur eine Hand­ voll Spieler vorweisen kann, die im Ausland aktiv sind – was im afrikanischen Fussball als Massstab für Leistungsstärke gilt –, hat sich das äthiopische Team als konkurrenzfähig er­ wiesen. Das hat mit einem Mentalitätswandel zu tun. “Unsere Spieler sind jung, frisch und haben gegen viele Profifussballer gespielt. Sie haben verstanden, dass es Mann gegen Mann geht, elf gegen elf, und dass sie jedes Team be­ zwingen können, wenn sie hart arbeiten”, sag­ te Coach Sewnet Bishaw. Das sagte sich auch das Team aus Burkina Faso. Es lieferte 2013 eine geradezu märchenhaf­ te Geschichte. Noch kurz vor Jahresbeginn wa­ 7


WM - QUALIFIK AT ION

Äthiopische Fans in Addis Abeba. Im Playoff gegen Nigeria bereits im Hintertreffen.

ren dem Verband Punkte aberkannt worden, nachdem zu Beginn der Qualifikation ein nicht spielberechtigter Akteur zum Einsatz gekommen war. Es sah alles danach aus, als ob die Mannschaft keine Chance mehr haben würde, Brasilien zu erreichen. Doch das “Land der aufrechten Männer” überraschte beim afrikanischen Nationenpokal Anfang 2013 in Südafrika mit dem Einzug ins Finale und nahm den Schwung in die WM-Qualifikation mit. Die Burkiner gewannen ihre fünf letzten Spiele in Folge und wahrten ihre Chance auf eine WM-Teilnahme. In der letzten Qualifikationspartie am Dienstagabend wird Burkina Faso in Blida auf Algerien treffen und versuchen, den 3:2-Vorsprung (aus dem Hinspiel in Ouagadougou) über die Runden zu bringen. Erfolg und Misserfolg aber liegen auch in Afrika sehr nahe. Wie Burkina Faso gelang es Äthiopien, die Peinlichkeit einer Niederlage am grünen Tisch zu überwinden. Die Äthiopier verrechneten sich bei den Gelben Karten ihrer Spieler und setzten beim 2:1-Sieg gegen Botsuana im Juni einen Spieler ein, der gesperrt war. Dadurch verlor das Team drei hart erarbeitete Punkte. 8

“Unsere Spieler sind jung und haben verstanden, dass sie jedes Team bezwingen können, wenn sie hart arbeiten.” Sewnet Bishaw, Coach Äthiopiens

Pleiten, Pech und Pannen Dass fünf weiteren afrikanischen Ländern bei der Nominierung von Spielern vergleichbare Fehler unterliefen, mutet angesichts der Tatsache, dass das noch nie zuvor geschehen war, verblüffend an. Äquatorial-Guinea, Gabun, Sudan und Togo wurden deshalb Punkte aberkannt. Der gröbste Schnitzer unterlief tragischerweise Kap Verde, einem Insel-Archipel von 500 000 Einwohnern. Das Team setzte den Verteidiger Fernando Varela in der entscheidenden Gruppenbegegnung gegen Tunesien im September ein, obwohl er aufgrund einer früheren Roten Karte hätte aussetzen müssen. Kap Verde errang einen unerwarteten 2:0-Erfolg in Tunesien, zweifellos eine der grössten Überraschungen im Verlauf der QuaT H E F I FA W E E K LY

lifikation. Doch als entdeckt wurde, dass Varela nicht spielberechtigt war, wurden der Mannschaft die Punkte aberkannt – und sie schied aus. Hätten sie diesen Fehler nicht begangen, wären die Insulaner nun in der Position, sich als kleinstes Land der Geschichte für eine WM-Endrunde qualifiziert zu haben. Der Aufstieg der vermeintlich Kleinen war in den letzten Jahren ein charakteristischer Aspekt in Afrika, denn die Kluft zwischen den Spitzenmannschaften und dem Rest schliesst sich. Libyen etwa ist ein weiteres Land ohne grosse WM-Tradition, das – trotz der ungewissen Sicherheitslage im Land – bis zum Ende der Gruppenphase im Dezember im Rennen blieb, bevor das Team an Kamerun scheiterte. Der Ligabetrieb in Libyen wurde nach zwei Jahren in-


Florian Kalotay/13Photo, Imago

WM - QUALIFIK AT ION

Auf dem besten Weg zur WM. Kevin-Prince Boateng mit dem ghanaischen Nationalteam.

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WM - QUALIFIK AT ION

Burkina Faso feiert. Torhüter Daouda Diakité (oben) im Mittelpunkt.

“Der Traum, die WM endlich zu erreichen, hielt unsere Mannschaft zusammen.” Bob Bradley, Coach Ägyptisches Nationalteam

Ian Walton/Getty Images

nerer Unruhen erst kürzlich wieder aufgenommen, was den Erfolg umso erstaunlicher macht. Ägypten makellos Auch Ägypten hatte mit einem ungewissen politischen Klima zu kämpfen. Vorübergehend untersagte die Regierung die Austragung von Partien in Kairo. Dennoch avancierten die Ägypter zum einzigen Team der Gruppenphase mit einer makellosen Bilanz (sechs Siege). Die hervorragende Arbeit des amerikanischen Coachs Bob Bradley schien der Schmach, in der WM-Qualifikation stets gescheitert zu sein, ein Ende zu bereiten. “Der Traum, die Weltmeisterschaft zu erreichen, hielt unsere Mannschaft in diesen zwei Jahren zusammen”, sagte Bradley. Doch nach einer hohen Niederlage gegen Ghana im 10

Playoff-Hinspiel im vergangenen Monat (Ghana - Ägypten 6:1) ist die Verwirklichung dieses Traums nunmehr eine nahezu unmögliche Aufgabe. Obschon Ägypten sowohl auf internationaler als auch auf Klubebene den afrikanischen Fussball dominiert, scheiterte das Land seit der letzten Teilnahme 1990 in Italien in der WM-Qualifikation. In derselben Zeit gewann die ägyptische Nationalmannschaft unerreichte vier Mal die Afrikameisterschaft. Die ägyptischen Spieler wie Ahmed Hassan, Wael Gomaa und Mohamed Aboutrika sind Legenden in der afrikanischen Szene, doch ihre erfolgreichen Karrieren wirken ohne eine einzige WM-Teilnahme unvollendet. Zu den weiteren Enttäuschungen in der afrikanischen Qualifikation zur WM gehört T H E F I FA W E E K LY

neben Marokko und Südafrika auch Mali. Alle drei Verbände verfügen über Kader von hoher Qualität. Doch den Teams mangelt es an Konstanz. Wie geht nochmals das geflügelte Wort? “Wenn man afrikanische Fantasie mit asiatischem Fleiss verbinden würde, wäre der Rest der Fussballwelt machtlos.” Å


FOOTBALL FOR HOPE

Afrika-Projekt im Schlussspurt Ein weiteres FIFA-Projekt ist auf der Zielgeraden: In Johannesburg wurde das “Football for Hope”-Zentrum Alexandra eingeweiht. Ziel der Kampagne namens “20 Zentren für 2010” ist es, in ganz Afrika 20 Bildungs-, Gesundheits- und Fussballzentren zu schaffen. Anstoss des Projektes war die letzte Weltmeisterschaft in Südafrika vor dreieinhalb Jahren. FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke: “Gastgeber der ersten Fussball-WM in Afrika zu sein, war für uns stets mehr als die Organisation der Veranstaltung. Deshalb haben wir uns fest verpflichtet, ein greifbares soziales Erbe für den ganzen afrikanischen Kontinent zu hinterlassen.” Mittlerweile kamen bereits 70 000 benachteiligte, junge Menschen in 16 Ländern zu Bildung und medizinischer Versorgung. Der Fokus im Zentrum Alexandra liegt auf der Aufklärung junger Leute bezüglich HIV und Aids. Å

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BLICK IN DIE LIGEN

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N Serie A

Ro s s i s Rü c k k e h r Luigi Garlando ist Redakteur der «Gazzetta dello Sport» und Autor zahlreicher Kinderbücher.

Hinter uns liegt ein Spieltag in der Meisterschaft, der an den Wiener Kongress erinnert: Die Serie A scheint auf dem besten Weg zur Restauration zu sein. Die AS Roma, die von Rudi Garcia betreute Überraschungsmannschaft der Saison, musste sich nach dem Ende der Rekordserie von zehn Auftaktsiegen bereits zum zweiten Mal in Folge mit einem Remis begnügen. Diesmal liess man im Heimspiel gegen Aufsteiger Sassuolo Punkte liegen, was deutlich macht, dass sich die Ausfälle von Totti und Gervinho erheblich auf die Offensiv­ leistung der Mannschaft auswirken. Rekordmeister und Titelverteidiger Juventus Turin schoss die von Rafael Benítez betreute SSC Neapel dank der wiedergefundenen Spielfreude (grossartige Leistung von Pogba) und der soliden Defensive (viertes Spiel ohne Gegentreffer) 3:0 aus dem Stadion und hat nur noch einen Punkt Rückstand auf den Tabel­ lenführer.

Gabriele Maltinti/Getty Images

Doch von allen Aspekten dieser Restauration war jener von Giuseppe Rossi der schönste. Der kleine Stürmer der AC Fiorentina hat nach seinen beiden Treffern am vergangenen Wochenende nun bereits eine zweistellige

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“Eigene Talente nicht zu erkennen, scheint eine typisch italienische Untugend zu sein.” Torausbeute vorzuweisen: elf Treffer in zwölf Partien, Führender der Torschützenliste – noch vor Higuaín, Tévez, Balotelli und allen anderen Topstürmern. Das ist nicht schlecht für einen jungen Mann, dessen Ziel vor dieser Saison nur die Rückkehr auf das Spielfeld gewesen ist. Am 26. Oktober 2011 hatte sich Rossi in seiner fünften Spielzeit beim CF Villarreal im Spiel gegen Real Madrid im Bernabéu-Stadion einen Kreuzbandriss im rechten Knie zugezo­ gen. Er wurde noch am darauffolgenden Tag operiert und fiel für die restliche Saison aus. Am 13. April 2012 folgte die nächste Verlet­ zung, diesmal am vorderen Kreuzband dessel­ ben Knies. Eine erneute Operation setzte ihn für weitere vier Monate ausser Gefecht. Es folgten ein dritter chirurgischer Eingriff und eine Zwangspause von sechs Monaten – ein scheinbar nicht enden wollender Leidensweg. Im Januar 2013 ging man bei der Fiorentina daher ein hohes Risiko ein, als man den Torjäger nach Italien zurückholte: ein zehn Millionen Euro schweres Risiko, plus sechs

Millionen Euro Bonus. Man setzte auf die vollständige Genesung des Italieners, der sich trotz all dieser Rückschläge niemals von seinem Weg hatte abbringen lassen. Nun, da Giuseppe Rossi an der Spitze der Torjägerliste steht, kann die Fiorentina nach einem opti­ malen Saisonstart mit Fug und Recht behaup­ ten, dass sich das Risiko bezahlt gemacht hat. Die Toskaner haben diesmal jenen Mut bewiesen, den der italienische Fussball bereits zweimal hatte vermissen lassen, als man den damals 17-jährigen Rossi nach Manchester hatte ziehen lassen und ihn drei Jahre später nicht in Italien hatte halten können, nachdem er beim FC Parma neun Treffer in 19 Partien erzielt hatte. Die eigenen Talente nicht zu erkennen und nicht richtig einschätzen zu können, scheint eine typisch italienische Untugend zu sein. Zumindest weiss man in Italien heute, wie viel Pepito Rossi wert ist. Diesen spanischen Spitznamen hatte ihm der unvergessliche ehemalige Nationaltrainer Enzo Bearzot gegeben, der mit den Azzurri 1982 in Spanien den Weltmeistertitel geholt hatte. Dieser erkannte die Parallelen mit “seinem” Rossi – Paolo, genannt Pablito, der die Brasilianer 1982 mit seinem legendären Hattrick nahezu im Alleingang zerlegt hatte. Und so wurde aus Giuseppe Pepito. Trotz seiner überragenden Leistungen beim Konföderationen-Pokal 2009 in Südafrika verzichtete Marcello Lippi bei der WM im darauffolgenden Jahr auf seine Dienste. Heute gehört der in den USA geborene ­Stürmer aus den Abruzzen wieder der Natio­ nalmannschaft an und wird mit 27 Jahren wohl seine erste Weltmeisterschaft bestrei­ ten. In Brasilien, wo der Name Rossi noch immer ein kollektives Trauma auslöst, wird Pepito versuchen, es seinem berühmten Namensvetter gleichzutun. Å

Fiorentina, wie es feiert: Giuseppe Rossi (ganz rechts) ist nach zwei Treffern bester Serie-A-Torschütze. T H E F I FA W E E K LY

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Premier League

G u te L au n e , s c h l e c hte L au n e David Winner ist Autor und Journalist in London. Zu seinen Büchern über Fussball gehören “Brilliant Orange” und “Dennis Bergkamp: Stillness and Speed”.

Als sich der moderne Fussball im 19. Jahrhundert in den Industrieregionen Grossbritanniens etablierte, kristallisierte sich ein interessantes Phänomen heraus: Wenn die Heimmannschaft den Platz als Sieger verliess, stieg die Produktivität in den umliegenden Fabriken, Hütten und Werften an. Verlor die Heimelf hingegen, sank die Produktivität. Auch heute noch hat der Fussball massgeblichen Einfluss auf unsere Gemütslage – allerdings mit dem Unterschied, dass sich die geografische Reichweite mittlerweile enorm ausgedehnt hat. Das wird jeder bestätigen können, der das Spiel zwischen Manchester United und dem FC Arsenal auf Twitter verfolgt hat. Der Match war die bisherige Top-Begegnung der aktuellen Premier-League-Saison und man sah den amtierenden Meister dank des 1:0-Heimerfolgs gegen den Tabellenführer wieder neuen Mut in der Meisterschaft schöpfen. Weltweit zeigten sich die Anhänger der Red Devils begeistert über das Ergebnis und liessen auch ihrer Schadenfreude freien Lauf: So verkündete ein offizieller Fanclub aus Malaysia, dass die “unsichtbare Leistung” von Mesut Özil Uniteds Verzicht auf dessen Verpflichtung mehr als rechtfertige. Gleichzeitig schien derselbe United-Fan überaus glücklich darüber zu sein, dass ausgerechnet der ehemalige Arsenal-Kapitän Robin van Persie das entscheidende Tor der Begegnung erzielte. Sein Kommentar zur Halbzeit: “Yeehhhhhaaaaa!!” “Red Miss Devil” aus Indonesien (ein “Manchester-United-Girl”, das United “für immer im Herzen” trägt) hielt sich weniger zurück und postete ein Bild von Van Persies Torjubel unter der Überschrift “GROAAAAAARRRRRRRRR!!!” und dem Zusatz “Brrrülllll wie ein Tiger!!!!” sowie “Menaaaaaaaaang!!!!” und “Yippieeeee!!” Die Gefühlslage bei den Arsenal-Fans war naturgemäss eine völlig andere. Als Van Persies Kopfball im Netz zappelte, beklagte “Twin Cities Gooner” aus dem 14 000 km entfernten 14

Grosser Jubel nach grossem Spiel: ManU-Torschütze Van Persie lässt sich von Rooney feiern.

Minnesota mit einem “Was??!! Nein!!!” die Ereignisse, die er live vor dem Fernseher verfolgte. Später räumte er ein, dass Arsenal an diesem Tag einfach “nicht gut genug” war und dass er nach dem Spiel erst einmal “wieder runterkommen” muss. Seiner Ansicht nach liegt die “grösste Enttäuschung darin, dass wir sie, wenn es wirklich darauf ankommt, einfach nicht schlagen (können). Das nervt!” Im nigerianischen Lagos begann der Tag für eine andere Arsenal-Anhängerin namens Rita C. Onwurah durchaus heiter (“Ich fühle mich wie die Königin der Welt!”). Doch nur wenig später durchlebte sie die klassischen Trauerphasen und bewegte sich zwischen Wut und Nicht-wahrhaben-wollen, bis schliesslich die Akzeptanz einsetzte. “Ich wüsste nicht, warum ich wegen diesem Spiel angefressen sein sollte. Arsenal hat sich gut geschlagen und unglücklich verloren. Es war Pech, dass der Ausgleich nicht fiel.” Bei Einbruch der Dunkelheit fand sich Rita auf beeindruckend philosophische Art und Weise mit der Niederlage ab: “Nun ja! Das Leben geht weiter, nicht wahr?” Diese Ansicht teilen scheinbar nicht alle. “MIR IST NACH STERBEN ZUMUTE!”, verkündete ein Arsenal-Fan, der sich selbst “NoÖzilNoParty” nennt und dessen Aufenthaltsort nicht bekannt ist. Und ein Typ, der unter dem Namen “BeritaArsenal” (“Stolzer Gooner aus Indonesien. Vorstand raus!”) auf Twitter aktiv ist, meldete den Endstand wie folgt: “Man. Utd (Söhne der Sünde) 1, ARSENAL 0”. Am Ende seines (hoffentlich nicht letzten!) Tages zeigte sich Berita trotzig und veröffentlichte ein bekanntes Bild, das die deutliche Abneigung eines Fans gegenüber Manchester United unterstreicht. Das Bild zeigt einen Grabstein mit der Inschrift: “Lieber hier als im Old Trafford!” Å T H E F I FA W E E K LY

Bundesliga

K e i n e D e p r e s s io n? Sven Goldmann ist Fussball­ experte beim “Tagesspiegel” in Berlin.

Es ist gerade ein Jahr her, da hat der Münchner Nationalspieler Thomas Müller die Bundesliga wissen lassen, sie könne ja gern auf eine bayerische November-Depression hoffen, “aber da könnt ihr lange warten!” Das war nach dieser blöden Niederlage gegen Bayer Leverkusen, es war die erste in der Saison und sie gab der Konkurrenz in Dortmund oder Gelsenkirchen ein kleines bisschen Hoffnung. Vielleicht würden sich die Bayern zu Beginn der dunklen und kalten Jahreszeit eine Krise nehmen … Die Münchner Antwort kam schnell und deutlich. In Form eines 3:0-Sieges in Hamburg, gefolgt von einem 6:1 in der Champions League gegen Lille. Noch Fragen? Jetzt werden die Tage wieder kürzer und dunkler, die Bundesliga debattiert wieder über eine November-Depression, und wieder betrifft sie den FC Bayern. Aber nur indirekt. Es geht um ihren grössten, ja ihren einzigen richtigen Rivalen. Borussia Dortmund schlingert durch ein herbstliches Stimmungstief. Und das ausgerechnet vor dem Spitzenspiel am 23. November gegen die Bayern. Eine schwere Woche liegt hinter den Dortmundern. Erst kassierten sie eine 0:1-Niederlage gegen den FC Arsenal, wodurch die Qualifikation für das Achtelfinale in der Champions League ernsthaft in Gefahr geraten ist. Drei Tage später gab es auch noch ein 1:2 in Wolfsburg. Der Rückstand auf Bayern München ist auf vier Punkte angewachsen, sodass es auch im Fall


eines Dortmunder Sieges im Treffen der so unterschiedlichen Giganten nicht zu einer Wachablösung kommen wird. Selten hat Jürgen Klopp einen so ratlosen, ja verzweifelten Eindruck gemacht wie am Samstag in Wolfsburg. Nur halbherzig hat er sich aufgeregt über zwei Szenen, in denen seine Spieler gern einen Elfmeter bekommen hätten. Klopp sprach leise und nachdenklich über eine “schreckliche Nachricht”. Dabei ging es weniger um die Niederlage in Wolfsburg, sondern um die schwere Verletzung seines Innenverteidigers Neven Subotić: Kreuz- und Innenbandriss im rechten Knie. Für den Serben ist die Saison vorbei, bevor sie so richtig begonnen hat. Für Klopp ist Subotić ein ganz besonderer Spieler. Eine Vertrauensperson auf dem Platz, ein Stimmungsmacher in der Kabine. Die beiden haben schon in Mainz zusammengearbeitet, und als Jürgen Klopp vor fünf Jahren nach Dortmund wechselte, da war es keine Frage, dass Neven Subotić mitkommen musste. Kein Verlust hätte den Dortmunder Trainer härter treffen können. So wie Jürgen Klopp steckt auch seine Mannschaft in einer kleinen Identitätskrise. In Wolfsburg war wenig zu sehen von der Gier und von der Leidenschaft, mit der die Dortmunder in der vergangenen Saison ganz Europa überrannten (mal abgesehen von den Bayern). Klopp wirkte ein wenig ratlos, er sprach davon, dass “die vergangene Woche kein Kindergeburtstag war” und wie viel Kraft der hohe Laufaufwand koste.

John Super/Keystone

Die Bayern sind so gut besetzt, dass sie am Samstag auch mit bescheidenem Aufwand 3:0 gegen Augsburg siegten. Dortmund muss immer volles Tempo gehen. Diese Mannschaft funktioniert über Emotionen, über ihre Begeisterung, und eine Atmosphäre des allgemeinen Wohlbefindens. Das macht sie so anfällig für eine Depression, wenn es einmal nicht so läuft. Wie jetzt im November, wenn die Tage wieder kürzer und dunkler werden. Å

«Selten hat Jürgen Klopp einen so ratlosen Eindruck gemacht.»

Primera División

A n c e l ot t i a p p l au d i e r t P a c o Jé m e z JordÍ Punti ist Romanautor und Verfasser zahlreicher Fussball-­ Features in den spanischen Medien.

Nach mehr als fünf Jahren, in denen der FC Barcelona bezüglich Ballbesitz bei allen Pflichtspielen stets die dominierende Mannschaft war, kam es vor wenigen Wochen im September zu einer Partie, bei der die Katalanen diesen Status erstmals wieder an den Gegner verloren. Die Rede ist vom Ligaspiel gegen das Team von Rayo Vallecano, das von Paco Jémez trainiert wird. Und obwohl Barça durch drei Tore von Pedro und einen Treffer von Cesc Fàbregas mit 4:0 die Oberhand behielt, haftete diesem Sieg dennoch ein kleiner Schönheitsfehler an. Denn am Ende wies die Statistik für Rayo Vallecano mit 51 Prozent etwas mehr Ballbesitz aus als für den FC Barcelona. Zuvor hatte Barça in 316 Pflichtspielen in Folge die Ballhoheit inne gehabt. Begonnen hatte diese Serie am 7. Mai 2008, als noch Frank Rijkaard auf der Trainerbank der Katalanen sass. Weder unter Guardiola noch unter Tito Vilanova hatte die Mannschaft die Ballhoheit an das gegnerische Team verloren. Denn die gilt als wichtiger Bestandteil ihrer Spielphilosophie. Ganz im Sinne von Johan Cruyff, der diese einst so umschrieb: "Solange man selbst den Ball hat, hat der Gegner ihn nicht." Dass Barcelona nach so langer Zeit der Dominanz erstmals wieder weniger Ballbesitz als sein Gegner verbuchen konnte, rief auch die ersten Kritiker an der Arbeitsweise des Trainers Tata Martino auf den Plan. Während dessen Befürworter darin ein Zeichen für Veränderungen im Hinblick auf einen neuen, eher pragmatisch geprägten Spielstil sahen, liessen Spieler wie Xavi oder Iniesta inzwischen verlauten, dass die bisherige Spielphilosophie "nicht zur Debatte stehe" und dass es sich bei dem Missverhältnis in der Partie gegen Rayo Vallecano um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt habe. Dabei wäre es sicher unkomplizierter und wohl auch ehrlicher gewesen, wenn man auch einmal das Verdienst des Gegners gewürdigt hätte. Schliesslich zählt Rayo Vallecano zu den Mannschaften der spanischen Liga, deren Spielweise darauf ausgerichtet ist, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten. T H E F I FA W E E K LY

Drei Wochen vor der Begegnung mit Barça hatte das Team von Paco Jémez gegen Atlético Madrid ein 0:5 kassiert und dabei trotzdem mehr Ballbesitz (54 Prozent zu 46 Prozent) gehabt. Ähnlich verhielt es sich vor ein paar Tagen im Punktspiel gegen Real Madrid. Denn auch wenn Rayo Vallecano am Ende im eigenen Stadion mit 2:3 das Nachsehen hatte, in der zweiten Halbzeit waren die Gastgeber die dominierende Mannschaft, die nicht nur mehr Tormöglichkeiten als Real Madrid herausspielte und noch zwei Treffer erzielte, sondern mit 59 Prozent auch mehr Ballbesitz hatte. Genau das bewog Real-Coach Carlo Ancelotti dann dazu, nach Spielschluss seinem Kollegen Paco Jémez Beifall zu zollen. Durch die Niederlage gegen Real Madrid rutschte Rayo Vallecano zwischenzeitlich auf den letzten Tabellenplatz ab. Für Paco Jémez noch lange kein Grund, sich Sorgen zu machen. Denn der frühere Innenverteidiger von Deportivo La Coruña und Real Saragossa, der auch in der spanischen Nationalmannschaft zum Einsatz kam, gilt als Verfechter der konzeptionellen Ideen von Guardiola. Demnach nimmt die Ballkontrolle in seinem fussballerischen Konzept einen grösseren Stellenwert ein als das Ergebnis. Und die Erfolge geben ihm Recht. Letzte Saison schloss der Verein aus dem Madrider Stadtteil Vallecas auf Platz 8 und damit mit der besten Platzierung in seiner Geschichte ab. Und was die Ballkontrolle anbelangt, belegte das Team von Paco Jémez im europäischen Massstab mit einer Quote von 58,13 Prozent den dritten Platz. Besser waren nur Barcelona (69,13 Prozent) und Bayern München (63,62 Prozent). All das bei einem Budget von gerade einmal 7,5 Millionen Euro, dem niedrigsten überhaupt in der Primera División. “Das Wichtigste ist, dass man den Leuten etwas bietet, das ihnen Spass macht und neue Kraft gibt. Das gilt ebenso für das Theater oder die Oper wie für den Fussball”, sagte Jémez in einem Interview mit der Zeitschrift Jotdown. Für diejenigen, die das Stadion von Rayo Vallecano aus eigenem Erleben kennen, wird die Bedeutung dieser Worte schnell klar. Denn die Spielstätte, in der seine Mannschaft ihre Heimspiele austrägt, gehört zu den kleinsten der Liga und ist daher nicht für das Kurzpassspiel und lange Ballstafetten prädestiniert. Dennoch konzentriert sich Jémez in seiner Arbeit auf die Intensivierung der Offensive, weil er überzeugt ist, dass dies immer zum Torerfolg führt. Den besten Beleg dafür, dass er sich auf dem richtigen Weg befindet, lieferte der 2:0-Auswärtssieg über Celta Vigo, auch wenn die Gastgeber mehr Ballbesitz hatten. Übrigens pflegen auch die von Luis Enrique betreuten Nordspanier das einst von de Cruyff & Co. eingeführte Kurzpassspiel. Å 15


DAS INTERVIEW

“Da ist keine Infrastruktur” Coach Victor Piturca will mit dem rumänischen Nationalteam nach 16 Jahren wieder an einer WM teilnehmen. Der Fussball in seinem Land befindet sich in einer langen und tiefen Krise. Wie weiter?

Europa und die Welt vermisst seit Jahren die technische Finesse des rumänischen Teams. Was ist geschehen? Victor Piturca: Ganz einfach: Es fehlen in Rumänien die überragenden Spieler.

Wie gehen Sie damit um? Die Stärke eines Teams hängt zwar von den Spielern ab, aber eben auch von seiner Organisation. Da wir die Spieler nicht haben, stützen wir uns auf eine gute Organisation des Spiels ab. Und das gelingt uns auch.

der EM 2016. Ich baute also ein Team neu auf, berücksichtigte Spieler, die bis dahin nicht zum Zuge gekommen waren. Ich festigte das Team, es fasste Tritt. Und darüber gelang ein paar Spielern wie Vlad Chiriches (23, Tottenham Hotspur), Bogdan Lobonţ (35, AS Roma) oder Răzvan Raț (32, West Ham United) der Sprung ins westliche Ausland.

Was wollen Sie mit Ihrem Team erreichen? Den Einzug in die WM-Endrunde in Brasilien. Auch wenn das nicht in meinem Vertrag steht.

Warum sind da keine Spieler? Es ist vieles verschwunden. Eine Generation von potentiellen Spielern ist verschwunden, die Jungen sitzen heute lieber vor dem Computer. Vier von fünf Spielfeldern sind verschwunden, und auch die Jugendausbildungszentren sind verschwunden. Heute ist in Rumänien selbst der Strassenfussball verschwunden.

Sie sind nun zum dritten Mal Coach des rumänischen Nationalteams. Sie haben mit dem Team Höhen und Tiefen erlebt. Warum übernahmen Sie nochmals?

Da ist keine Infrastruktur. Und der Appetit auf Fussball ist bei den Jugendlichen nicht vorhanden.

Ich habe als Coach dieselbe Philosophie wie als Spieler. Ich möchte mich ständig verbessern. Ein Team aus Superstars fand ich nie vor. Ich musste jedes Mal ein Team aufbauen. Ich übernahm 1998 und brachte das Team an die EM 2000. Als ich 2004 zurückkam, zogen wir ins EM-Turnier 2008 ein. Nun wollen wir an die WM 2014.

Deutschland, Frankreich, Belgien und die Schweiz zum Beispiel können auf Spieler mit Migrationshintergrund zurückgreifen. Rumänien aber ist kein Einwanderungsland, sondern ein Auswanderungsland. Bergen umgekehrt die jungen Italiener, Spanier und Franzosen mit rumänischen Wurzeln kein Potenzial?

Sie haben sich zwar für die EM 2000 qualifiziert, durften dann aber das Team am Turnier nicht coachen. Sie beharrten damals auf Spielern, die anderen Kräften im rumänischen Fussball nicht genehm waren, und Sie mussten zurücktreten. Könnte so etwas in Rumänien auch heute geschehen?

Nein, da sind keine Spieler, die infrage kämen.

Der Verband hat den Preis bezahlt: Rumänien konnte sich acht Jahre lang nicht mehr für ein grosses Turnier qualifizieren. Der damalige Präsident, der auch heute noch im Amt ist, Mircea Sandu, wird ganz sicher nie mehr so handeln. Aber im rumänischen Fussball können solche Dinge immer noch geschehen. Da tummeln sich zu viele Leute, die mit Fussball oder überhaupt mit Sport nichts am Hut haben.

Auf welche Infrastruktur können Sie bauen?

Sie haben die Playoffs gerade noch geschafft. Wie stark ist Ihr Team? Wenn man die Playoffs erreicht, ist man stark. Wir spielen gegen Griechenland nicht ohne Chance. Und wir haben auch eine Perspektive. Einige unserer Spieler sind etwa in der Premier League aktiv. Die jungen Spieler aber sind noch nicht so weit.

Sie müssen mittelfristig wieder ein ganz neues Team formen.

1986 haben Sie als Stürmer mit Steaua Bukarest den europäischen Meisterpokal errungen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Als ich es vor etwas über zwei Jahren übernahm, war das Team auf dem absteigenden Ast. Mein Auftrag war klar: Teilnahme an

Ich werde das natürlich nie vergessen. Die finanziellen Möglichkeiten des Klubs waren gleich null, wir kamen aus dem Kommunis-

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mus. Dennoch setzten wir uns gegen einen der damals reichsten Klubs der Welt durch, den RSC Anderlecht, und auch gegen den FC Barcelona. Wir waren ein echtes Team, bestehend aus hervorragenden Spielern.

Was bedeutete das in Rumänien? Es war phantastisch. Wir wurden in Bukarest am Flughafen von Abertausenden empfangen, weitere Zehntausende wären gekommen, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten. Wir brachten den Menschen Freude. Das ist das, was ich als Nationaltrainer auch heute versuche. Denn in Rumänien gibt es Armut. Die Lebensqualität ist eher gering.

Wo wird der rumänische Fussball in 15 Jahren stehen? Es ist klar, dass etwas getan werden muss. Zunächst einmal müssen alle professionellen Klubs verpflichtet werden, Jugendausbildungszentren zu gründen. Sonst wird es sehr schwer werden. Ausserdem muss auch der Staat helfen, die Infrastruktur für den Sport zu verbessern. Ohne das geht es nicht.

Sie treffen in den WM-Playoffs auf Griechenland. Wer wird Weltmeister in Brasilien? Argentinien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande: Diese fünf könnten es schaffen.

Keine Überraschungen? Nein. Aber Belgien könnte noch etwas reissen. Å Mit Victor Piturca sprach Perikles Monioudis


Name: Victor Piţurcă Geburtsdatum: 8. Mai 1956 Geburtsort: Orodel, Rumänien Stationen als Spieler: 1974–1975 Dinamo Slatina 1975–1977 Universitatea Craiova 1977–1978 Pandurii Targu Jiu 1978–1979 Drobeta-Turnu Severin 1979–1983 Olt Scornicesti 1983–1989 Steaua Bukarest 1989–1990 Racing Club de Lens

Stationen als Coach: 1992 Steaua Bukarest 1994–1995 Universitatea Craiova 1996–1998 Rumänien U21 1998–1999 Rumänien 2000–2002 Steaua Bukarest 2002–2004 Steaua Bukarest 2004–2009 Rumänien 2010 Steaua Bukarest 2010 Universitatea Craiova

Tom Shaw/FIFA/Getty Images

Seit 2011 Rumänien

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Die Macht der Vorfreude Perikles Monioudis

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m Frühsommer 2013 kam es in Brasilien zu Massendemonstrationen, in denen die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung über die soziale Ungleichheit im Land drastisch zum Ausdruck gebracht wurde. Der FIFA-Konföderationen-Pokal und die FIFA selbst diente dabei so manchem als Ventil für seinen Unmut. Längst aber sprechen die seriösen Medien davon, dass die sozialen Probleme des Landes so gross sind, wie sie kein Sportverband je herbeiführen könnte.

Emilio Morenatti/AP

Dennoch setzen in Brasilien nicht wenige noch immer auf FIFA-Schelte, wenn es darum geht, einen Schuldigen für die soziale Unzufriedenheit zu finden. “Skrupellos” nannte der einstige Fussballstar Romário die FIFA und das lokale WM-Organisationskomitee LOK vor ein paar Tagen. Die FIFA verdiene 1,2 Milliarden Euro an der WM, das LOK – die zu 100 % von der FIFA finanzierte, private Gesellschaft des brasilianischen Verbands CBF – fast eine Milliarde, und die WM-Kosten lägen schon 1,5 Milliarden Euro über dem Anfangsplan. Deshalb

seien schon viele Nahverkehrsprojekte von der WM-Agenda gestrichen worden. Richtig ist: Die FIFA nimmt keinerlei öffentliche Gelder in Anspruch und investiert in die Organisation der WM 2014 etwa 1,5 Milliarden Dollar, dies beinhaltet auch das gesamte Budget des LOK (450 Millionen). Diese Gelder werden zur Gänze privat durch den Verkauf diverser Marketing- und Fernsehrechte erwirtschaftet. Über 850 Millionen Dollar davon fliessen direkt in die brasilianische Wirtschaft, vor allem in kleine und mittlere Betriebe, die diverse Serviceleistungen etwa im IT- und Logistikbereich erbringen, sowie für Veranstaltungen und Unterbringung. Das LOK verzeichnet keinerlei Einnahmen. Er sei zwar gegen “die exzessiven Kosten der WM”, schreibt der 47-jährige Romário auf Twitter, aber er sei nicht gegen die WM. Mit Letzterem steht er nicht allein da. Das brasilianische Meinungsforschungsinstitut Datafolha stellte neulich eine 90-prozentige Zustimmung der Brasilianer zur WM fest. Sponsorship Intelligence erhob, dass zwei Drittel der Brasilianer

von einer gut verlaufenden WM 2014 ausgehen. Der frühere Präsident Lula, der die WM nach Brasilien brachte, sagte neulich: “Wenn die siebtgrösste Volkswirtschaft der Welt keinen Sport-Grossanlass veranstalten könnte, bliebe uns in Zukunft weltweit nur eine Handvoll Optionen für eine Vergabe übrig.” Die brasilianische Regierung beziffert die Investitionen in die WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 für den Zeitraum von 2007 bis 2016 auf etwa 0,15 % des BIP. Die OECD weist überdies aus, dass die Bildungsausgaben in Brasilien von 3,5% (2000) auf 5,6 % (2010) angestiegen sind. Die Investitionen in die Stadien für die WM stammen nicht aus dem Bundesstaatssäckel, sondern von der Brazilian Development Bank (BNDES), die Infrastrukturprojekte weltweit finanziert. Die Darlehen müssen nach der WM von den neun staatlichen und drei privaten Stadionbetreibern zurückgezahlt werden. Nach Studien von Ernst & Young in Zusammenarbeit mit der FGV werden die durch die WM generierten Steuereinnahmen (9 Milliarden Dollar) die Investitionen in die Stadien (3,5 Milliarden Dollar) weit übertreffen. Å

Sozialer Protest. Die Brasilianerinnen und Brasilianer freuen sich dennoch sehr auf ihre WM. T H E F I FA W E E K LY

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ZEITSPIEGEL

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Wembley, London

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Englisches Fussballfieber: Selbst das Luftschiff “Graf Zeppelin”, mit einer Länge von 236,6 M ­ etern und einem Durchmesser von 30 Metern auch für Fussballfans mit Tunnelblick kaum zu übersehen, ist für die Zuschauer während des FA-Cup­-Finales am 26. April 1930 nur eine Rand­notiz. Die Blicke sind auf das Geschehen auf dem Wembley-­Rasen gerichtet, wo Arsenal gegen Huddersfield Town 2:0 gewinnt.

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ZEITSPIEGEL

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Plaza Colón, Madrid

Denis Doyle/Getty Images

2008 Spanische Überflieger: In Wien trifft Fernando Torres am 30. Juni 2008 im EM-Finale gegen Deutschland zum Sieg bringenden 1:0. In Madrid feiern die Fans auf der Plaza Colón den ersten Titelgewinn der spanischen Nationalmannschaft seit 1964. Die Luftwaffe liefert den farblichen Rahmen zum Moment der nationalen Erlösung.

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Die “heissesten” Derbys

Kein Kommentar Thomas Renggli

“E

in Spiel dauert 90 Minuten”, behaup­ tete die deutsche Trainerikone Sepp Herberger. Die Jahrhundertaussage ist einer der grössten Irrtümer des Fussballs. Kein Schiedsrichter würde es sich je erlauben, nach 90 Zeiger­ umdrehungen den Schlusspunkt (bzw. Schluss­ pfiff) zu setzen. So dauern die vom Regelwerk empfohlenen zweimal 45 Minuten gelegentlich 100 Minuten. Die Sand-, Wasser- und Son­ nenuhren unserer Ahnen waren präziser als die Handgelenk-mal-Pi-Zeitschätzungen der Un­ parteiischen.

Grundsätzlich ist der Arbeitstag eines Fussballers mit dem letzten Kick ohnehin nicht zu Ende. Nach dem Spiel ist vor der Spielana­lyse. Letztere muss zwischen Seiten­ linie und Duschkabine vor Kameras und Mik­ rofonen verrichtet werden. Dabei wird das Ziel ebenso oft verfehlt wie auf dem Platz beim Torschuss. Ein Querschnitt durch die Fussbal­ leraussagen zwischen Wladiwostok und Van­ couver sowie Perth und dem Nordkap klingt ligen- und länderunabhängig Woche für Wo­ che ungefähr so: Å “Es war ein Spiel auf Augenhöhe. Die Effi­ zienz hat entscheiden.” Å “Wir müssen diese Niederlage abhaken und vorwärts schauen.” Å “Wir waren nicht so gut, wie das Resultat aussieht. Aber diese drei Punkte kann uns niemand mehr nehmen.” Å “Wenn wir die Tore weglassen, waren wir gleich gut.” Å “Uns fehlte das Wettkampfglück.” Å “Wir nehmen Spiel für Spiel.” Å “Ein anderer Schiedsrichter hat diesen Penalty auch schon gegeben.” Å “Diesen Penalty pfeift nicht jeder Schiri.” Å “Ich kann diesen Triumph noch nicht reali­ sieren. Dieses Gefühl muss ich zuerst ver­ arbeiten.” Å “Der Cup hat eigene Gesetze.”

Eigene Gesetze hat auch die gepflegte Form des Kurzinterviews. Ebenso wenig wie die Be­ fragten sind die Fragesteller intellektuell im­ mer über alle Zweifel erhaben. Frei nach dem Bonmot: “Journalisten sind wie Eunuchen. Sie wissen wie es geht, doch sie können es nicht.” Oder mit anderen Worten: Einer dummen Antwort geht in der Regel eine dumme Frage voraus. Beispiele aus dem Alltag der Prima­ vista-Berichterstattung: Å “Sind Sie froh, dass Sie das Spiel gewonnen haben?” Å “Ärgern Sie sich über den entscheidenden Gegentreffer in der Nachspielzeit?” Å “Weshalb haben Sie fünf Minuten vor Schluss den Penalty verschossen?” Å “Wie fühlen Sie sich nach dieser Kanternie­ derlage?” Analysiert man die allwöchentlichen Ad­ hoc-Analysen, kommt man zu einem ernüch­ ternden Resultat. Am besten würde man die Nachspielzeit nach der Nachspielzeit ersatzlos streichen. Ein starkes Zeichen setzte diesbe­ züglich Milan Šašić, der Trainer des deutschen Drittligisten Saarbrücken, nach dem 2:2 seiner Mannschaft gegen Münster am vergangenen Wochenende: “Ich bitte euch zu verstehen, dass ich das heutige Spiel nicht kommentiere.” Nicht alle halten sich aber an die Weisheit: “Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.” Deshalb lässt sich abschliessend feststellen, dass es hochintelligente, sehr intelligente, intelligente und andere Fussballer gibt. Dabei gilt eine ein­ fache Rechnung: Fussballer-IQ (Intelligenzquo­ tient) und Fussballer-EK (Einkommen) sind zwei verschiedene Dinge. Erst im Amateurfuss­ ball ist der IQ garantiert höher als das EK. Å

Die wöchentliche Kolumne aus der The-FIFA-Weekly-Redaktion. T H E F I FA W E E K LY

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Celtic – Rangers: Im “Old Firm” spiegeln sich religiöse und politische Gegensätze. Celtic ist der Verein der Katholiken, die Rangers vertreten die Protestanten.

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Boca Juniors – River Plate: “El Super­ clásico”. Das wohl heisseste Derby der Welt steht auch für zwei soziale Schich­ ten. Boca vertritt die Arbeiterklasse, River Plate die privi­legiertere Bevölke­ rung.

3

Galatasaray – Fenerbahce: Eine Stadt, zwei Kontinente. Galatasaray stammt aus dem euro­päischen Stadtteil Beyoglu, Fenerbahce aus dem asiatischen Kadi­ köy-Viertel.

4

Partizan Belgrad – Roter Stern: Das explosivste Derby Europas ist berüch­ tigt für seine gewaltbereiten Fans. Bri­ sant auch seine Geschichte: Partizan wurde vom Militärregime gegründet.

5

AS Roma – S.S. Lazio: Das heisseste Derby Italiens. Die AS steht für die Stadt Rom, Lazio für die Region.

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Liverpool – Everton: Näher geht fast nicht: Die Heimstätten der beiden Teams liegen gerade mal 800 Meter voneinan­ der entfernt. Hinzu kommt, dass die “Anfield Road” für Everton erbaut wor­ den war.

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Flamengo – Fluminese: Im legendären Maracanã-Stadion wird das Fla-Flu-­ Derby ausgetragen. 1963 verfolgten 194 603 Fans das Spiel: Weltrekord.

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Austria Wien – Rapid Wien: Nach dem Old Firm ist das Wiener Derby das am zweithäufigsten ausgetragene Städte­Duell Europas – bis heute über 400-mal.

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Al-Ahly – El Zamalek: Über 100 000 Fans im Stadion, Millionen vor den TV-Bild­ schirmen. Wenn in Kairo das Derby steigt, sind die Strassen leergefegt.

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Mohun Bagan – East Bengal FC: In Indien ist eigentlich Cricket das Mass aller Dinge. Aber wenn in Kalkutta das Derby steigt, bringen 120 000 Fans das Stadion zum Kochen.

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Sporting Lissabon – Benfica Lissabon: 1907 wechselten sieben Benfica-Spieler zu Sporting. Es war der Anfang einer grossen Rivalität.

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P L AYO F F S

Die Spektakelmacher Athletisch, kraftvoll, wuchtig: Ein Fallrückzieher von Ronaldo ist immer wieder schön anzusehen.

Ronaldo oder Ibrahimovic: Einer der beiden Stars reist nicht an die WM 2014. Ein Vergleich vor dem ­Playoff-Showdown Portugal gegen Schweden.

W

Jordi Punti

as ist das Gegenteil von Anspannung? Laut Wörterbüchern sind das Ruhe, Ausgeglichenheit oder gar Freude. Zwischen diesen beiden Gemütszuständen dürften sich Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic von Freitag bis nächsten Dienstag befinden, wenn sie sich in der Playoff-Runde um die letzten Startplätze bei der Weltmeisterschaft in Brasilien gegenüberstehen. Nur selten hat ein ganzes Land sein Schicksal mit so viel Vertrauen in die Hände eines einzigen Fussballers gelegt, wie das derzeit bei Portugal und Schweden der Fall ist. Es werden zwar zwei Mannschaften auf dem Platz stehen, die Abhängigkeit der beiden Teams von ihren Stars lässt das Ganze aber fast zu einem persönlichen Duell werden. Die besondere Attraktivität dieses Duells ist auch darauf zurückzuführen, dass beide Spieler auf dem Platz ein ähnliches Auftreten an den Tag legen: Sie sind charismatisch, vereinigen eine starke Physis und eine herausragen24

de Technik auf sich und setzen diese zudem noch für spektakuläre Aktionen ein. Ihr Spiel ist allgegenwärtig. Beide sind ausgesprochen ehrgeizig und gehen bis an ihre Grenzen. Manchmal vermitteln sie den Eindruck von Arroganz und Ich-Bezogenheit und werden dafür von ihren Fans geliebt, während die Gegner verärgert reagieren. Ihre Äusserungen in der Öffentlichkeit beginnen in der Regel mit "Ich", und wenn sie ein Tor feiern, bleiben sie ganz ruhig, breiten die Arme aus und heben den Kopf als wollten sie sagen: "Hier bin ich, bewundert mich!" Wenn sie eine gute Gelegenheit auslassen, blicken sie auf den Ball, den Torhüter oder gen Himmel, als habe sich die ganze Welt gegen sie verschworen. Beide in absoluter Topform Weil sie beide den Eindruck eines Tigers in Lauerstellung erwecken, ist es vielleicht schwer, sich CR7 und Ibra als direkte Kontrahenten vorzustellen und nicht als zwei Gefährten in der Wildnis. Auch wenn Ibrahimovic beim FC Barcelona ein Jahr lang an der Seite von Messi gespielt hat, würde man vermuten, dass er beim Ballon d'Or am 13. Januar 2013 Cristiano Ronaldo dem alten Teamkameraden vorziehen würde. T H E F I FA W E E K LY

Ronaldo ist bei Real Madrid der bestbezahlte Spieler der Welt, Ibrahimovic ist bei Paris Saint Germain der am drittbesten bezahlte Spieler der Welt. Diese Zahlen verlieren jedoch an Bedeutung, wenn es um die Auftritte im Nationaltrikot geht. Derzeit fungieren beide in ihrem Nationalteam als Mannschaftskapitän. Dabei geht es nicht nur darum, die Spielweise der Mannschaft zu beeinflussen, sondern sie haben erkannt, dass sie ihre Teamkameraden als Verbündete brauchen, um als Fussballer individuelle Erfolge feiern zu können. Ganz nach dem Motto “Quid pro quo”. In der Weltrangliste der FIFA belegt Portugal den 14. und Schweden den 25. Platz. Da es sich um relativ kleine Länder handelt, werden die Erfolge von Ibrahimovic und Ronaldo zu nationalen Angelegenheiten. Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic gehen beide in absoluter Topform in dieses Duell. Als wollten sie ihre Waffen präsentieren, erzielten beide am letzten Wochenende für ihre Klubs einen Hattrick – von Nervosität keine Spur. Real Madrid setzte sich mit 5:1 gegen Real Sociedad San Sebastián durch und Ronaldo stellte bei dieser Gelegenheit die ganze Bandbreite seines Könnens zur Schau: Er versenkte das Leder nach einer Flanke, per Elfme-


P L AYO F F S

“Wenn mich jemand als den besten Fussballer der Welt bezeichnen würde, würde mich das nicht überraschen.”

Alter: 32

Alter:

WM-Spiele:

28

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WM-Spiele:

Letzter Transfer:

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2012 für 20 Millionen Euro von der AC Milan zu Paris Saint Germain

Jugendklub: Malmö Anadolu BI

Letzter Transfer: 2009 für 94 Millionen Euro von ManU zu Real Madrid

Tore für Schweden: WM (0) und WM-Quali (17)

Jugendklub: CF Andorinha

“Qualität hat nun mal ihren Preis. Ich verstehe die Kritik nicht. Je mehr Geld ich verdiene, desto mehr Steuern bekommt Frankreich.”

Tore für Portugal: WM (2) und WM-Quali (11)

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Möglicherweise wird erst ein Elfmeterschiessen die Entscheidung bringen. ter und per direkten Freistoss in den Maschen, setzte zudem noch einen Ball ans Gebälk und steuerte eine Vorlage bei. Paris Saint Germain gewann 3:1 gegen Nizza und auch Ibrahimovic unterstrich noch einmal seine Qualitäten: Er brachte einen Spielzug seines Teams erfolgreich zum Abschluss, verwandelte einen Elfmeter und erzielte einen weiteren Treffer per Kopf.

Unaufhaltsam: Wenn Ibrahimovic aufs Tor zieht, hat man oft das Gefühl, dass keine Heer an Verteidigern ihn stoppen kann.

Teamgeist der Schlüssel? Diese jüngsten Auftritte geben eine Vorahnung auf leidenschaftliche, ausgeglichene Qualifikationsspiele, bei denen am Ende möglicherweise erst Elfmeter die Entscheidung bringen werden. Fest steht: Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sich Ibra und CR7 in der Vergangenheit gegenüberstanden, waren die Partien vom Niveau her immer sehr ausgeglichen. Gleiches gilt für die Anzahl der erzielten Tore (je 1).

serung einhergegangen, wenn das beste Beispiel dafür auch das Freundschaftsspiel ist, das die Schweden vor einem Jahr gegen England bestritten haben (4:2). Alle vier Treffer steuerte Ibrahimovic zu diesem Sieg bei, einschliesslich der akrobatischen Meisterleistung, die um die ganze Welt ging und ihm den Spitznamen “Nureyev des Fussballs” einbrachte. Der zweite Platz Portugals hinter Russland ist hingegen inmitten einer typisch portugiesischen Melancholie zustande gekommen und es gab Kritik an der Schwäche der Mannschaft, die auch Ronaldo einschloss. Für das Team spricht hingegen die Vorrunde der Euro 2012. Hier qualifizierte sich Portugal ebenfalls erst über die Relegation, gegen Bosnien-Herzegowina, und zog anschliessend ins Halbfinale des Turniers ein, wo man erst im Elfmeterschiessen gegen Spanien unterlag.

Angesichts dieser individuellen Klasse auf beiden Seiten drängt sich vielleicht die Schlussfolgerung auf, dass der Teamgeist und die Fähigkeit der Mannschaft, die beiden Stars zu ergänzen, den entscheidenden Unterschied ausmachen werden. Was das betrifft, geht Schweden mit einem leichten Vorteil in die Entscheidungsspiele. Der zweite Platz in der Qualifikationsgruppe hinter dem unbezwingbaren Deutschland ist mit einer spielerischen Verbes-

Der Schmetterlingseffekt Als ob die ganze Sache noch nicht dramatisch genug wäre, wissen Ibrahimovic und Ronaldo zudem noch, dass dies für sie vermutlich die letzte Gelegenheit sein wird, an einer WM teilzunehmen. Der 32-jährige Ibrahimovic ist ein Weltenbummler, der bereits für die besten europäischen Mannschaften gespielt hat. Ihm fehlen noch fünf Treffer, um zum Rekordtorschützen der schwedischen NationalmannT H E F I FA W E E K LY

schaft zu avancieren und bei einer WM hätte er die Gelegenheit, seinen Ruhm noch auszuweiten. Cristiano Ronaldo wird bei der WM in Brasilien 29 Jahre alt sein: das perfekte Alter, um mit Portugal Spuren zu hinterlassen. Vielleicht hätte er noch ein weiteres Mal Gelegenheit, am Weltturnier teilzunehmen, aber sein Einfluss wäre dann sicher nicht mehr derselbe. Die Playoff-Spiele der Qualifikation, wie Portugal gegen Schweden, in denen es um alles oder nichts geht, sind der erste Hinweis darauf, dass die Weltmeisterschaft vor der Tür steht. Man denke nur einmal an die Spiele zwischen Frankreich und Irland vor vier Jahren zurück, als sich Frankreich erst in der Verlängerung durch einen Treffer von Gallas die Qualifikation sicherte. Oder auch an Uruguay, das sich erst in letzter Minute qualifizierte und wenige Monate später gegen Niederlande im Halbfinale stand. Mit der Playoff-Runde wird der berühmte Schmetterlingseffekt im Fussballumfeld in Gang gesetzt. Jede Kleinigkeit, die in der Partie zwischen Portugal und Schweden passiert, mit Ronaldo und Ibrahimovic als Protagonisten, kann das Schicksal vieler beeinflussen und möglicherweise sogar das WM-Finale, das am 13. Juli nächsten Jahres um 16 Uhr nachmittags im Maracanã-Stadion stattfindet. Å 27


DEBAT T E

Fussball als Türöffner

Weibliche Offensive: In Teheran feiern Iranerinnen den Sieg ihrer Nationalmannschaft gegen Südkorea und die Qualifikation für die WM in Brasilien.

Thomas Renggli Zürich, 23. September 2013. Am Hauptsitz der FIFA reichen sich Jibril Al Rajoub, der Präsident des palästinensischen FussballVerbands, und sein israelischer Amtskollege Avi Luzon die Hand und einigen sich über ein Annäherungsverfahren der Länder – unter anderem mit einer Vereinfachung des Personen- und Warenverkehrs. Es war ein kleiner Schritt in der gegenseitigen Verständigung – aber einer, der ohne die vermittelnde Ausstrahlung des Fussballs wohl nie möglich gewesen wäre. Bei den gängigen Reiserestriktionen würden palästinen28

sische Fussballer und Fussballerinnen kaum die Möglichkeit erhalten, sich international zu messen. 1928 wurde der palästinensische Fussball-Verband gegründet, 70 Jahre später fand er Aufnahme in die FIFA. Dadurch öffnete sich für Palästina die Tür zur Aussenwelt wenigstens einen Spalt breit. Eine Kulturrevolution bedeutete das erste Spiel der palästinensischen Frauen-Nationalmannschaft am 22. September 2005. Honey Thaljieh, die Kapitänin jener Mannschaft, streicht die integrative Wirkung des Sports hervor: “Durch den Fussball konnten wir Barrieren niederreissen. Eingesperrt hinter der Mauer in Palästina und umgeben von Kontrollpunkten der Armee bedeutete der Fussball für uns ein Fenster zur Aussenwelt. Er war ein Funken Freude und eine menschliche Verbindung. Der Fussball erlaubte es uns, Mannschaften aus der ganzen Welt einzuladen. Wir konnten Brücken schlagen – Brücken der Kooperation, Toleranz und Verständigung.” Die palästinensischen Auswahlen stehen auch für die verschiedenen Religionen. Christen (bzw. Christinnen) spielen zusammen mit Muslimen (Muslima). Dass es auf internationalem T H E F I FA W E E K LY

Parkett je so weit kommen konnte, ist auch auf eine provisorische Regelanpassung zurückzuführen. 2012 hob das International Football ­Association Board das Kopftuchverbot auf – vorderhand für eine Testphase bis 2014. Dem Streit vorangegangen war unter anderem die Disqualifikation von Irans Frauen-Auswahl bei einem Olympia-Ausscheidungsturnier 2011. Eine ähnliche Diskussion wurde zwei Jahre später in Québec geführt, als der lokale Fussball-Verband einem muslimischen Spieler das Tragen eines Turbans verbot. Die FIFA intervenierte und regelte durch einen ausserordentlichen Beschluss, dass in Kanada auch Männer mit Kopfbedeckungen spielen dürfen, solange die Textilien die Sicherheit nicht gefährden und farblich auf das Tenue abgestimmt sind. Å

Die Weekly-Debatte. Was brennt Ihnen unter den Nägeln? Welche Themen wollen Sie diskutieren? Ihre Vorschläge an: feedback-TheWeekly@fifa.org.

AFP/Atta Kenare

Der Fussball allein kann die Welt nicht verbessern. Aber er erweist sich selbst auf den schwierigsten politischen und religiösen Terrains als Türöffner.


DEBAT T E

“Ich komme jeden Tag mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen. Wenn es mal Differenzen gibt, sind die spätestens beim gemeinsamen Fussballspielen verschwunden. Fussball ist nicht nur für den Körper gesund, sondern auch für Geist und Seele. Es lebe der Fussball! Er hilft uns über die grossen Schwierigkeiten im Leben hinweg.”

PRESIDENTIAL NOTE

weise eine Firma den Auftrag zum Bau von infrastrukturellen Einrichtungen, budgetiert sie mit dem teuersten Mate­rial – und verwendet am Schluss das billigste. Die Differenz versickert im Sumpf der Korruption. Man würde das Geld besser für Schulen, Spitäler und soziale Einrichtungen verwenden.” Semen Izemesiev, Rostov (Russland)

Fabio Ambrosone, Brescia (Italien)

“Der Fussball übernimmt vor allem bezüglich Respekt eine grosse Vorbildfunktion. Wenn wir nur sehen, wie manche Politiker ohne Achtung mit anderen Völkern und Kul­turen umgehen, erstaunt es nicht, weshalb grosse Probleme entstehen. Probleme, die man rund um den Fussball kaum kennt. Auf dem Feld gibt es keine falschen Aggressionen im zwischenmenschlichen Bereich. Wir spielen, kämpfen und schreien – am Schluss aber geben wir uns die Hand. Dafür liebe ich den Fussball. Schade, nehmen sich nicht mehr Menschen ein Beispiel an dieser schönen Sportart. Ich träume vom Tag, an dem die tibetische Nationalmannschaft an offiziellen, internationalen Spielen teilnehmen darf.” Jigme Ribi, Markham (Tibet)

“Keine Frauen im Stadion? Ich wusste gar nicht, dass es solche veralteten Regelungen noch gibt. Für mich ein absolutes No-Go. Das sind ja Zustände wie vor 300 Jahren. Fussball bringt auf moderne Weise Menschen aus den vielen Kulturen zusammen, da sind solche Verbote völlig fehl am Platz – egal welches Land sie erlässt. Wer im Fussball international mitspielen will, soll sich an gewisse Grundregeln halten. Dass Frauen im Stadion zugelassen sind, gehört natürlich dazu. Ich selbst würde im Iran die Spiele einfach boykottieren.” Alejandro Muñoz, Sabadell (Spanien)

“In Russland boomt der Fussball. Als Fan freue ich mich darüber, dass die Weltmeisterschaft 2018 in unserem Land stattfindet. Dass davon aber die gesamte Bevölkerung profitiert, ist höchst unrealistisch. In Russland läuft es leider immer gleich: Erhält beispiels-

“Das sind Regelungen wie vor 300 Jahren.” “Im mitteleuropäischen Kulturraum ist Frauenfussball heute etwas ganz Normales – und das ist auch gut so. Frauen, die nur Fussball spielen, weil sie damit ihre Unabhängigkeit und Fortschrittlichkeit demonstrieren wollen, passen nicht in mein Bild einer modernen Gesellschaft.” Viola Ziegler, Zürich (Schweiz)

“Wir haben uns vor der Euro 2012 grosse Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen und der öffentlichen Infrastruktur in der Ukraine gemacht. Persönlich spüre ich davon leider nichts. Daran ändern auch die neuen Fussball-­ Arenen nichts.”

Gleiches Recht für Mann und Frau

L

etzte Woche war ich im Iran. Der Fussballverband hatte mich eingeladen. Schon vor zwei Jahren. Doch erst jetzt konnte ich, auf dem Weg zum Finale der U-17-Weltmeisterschaft in den Arabischen Emiraten, einen Zwischenstopp einlegen und der Einladung folgen. Der Fussball im Iran ist sehr populär und erfolgreich dazu. Das Nationalteam hat sich für die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien qualifiziert – wie bereits 1978 für die WM in Argentinien und 1998 für die WM in Frankreich. Im Gruppenspiel besiegte damals der Iran die USA 2:1 in Lyon. Für viele Beobachter war das ein historisches Ereignis. Historisch könnte auch Irans Entscheid sein, Frauen dereinst den Eintritt ins Fussballstadion zu erlauben. Die Gesetzgebung des Landes lässt dies zurzeit nicht zu. Ob diese untragbare Situation verändert werden kann, weiss ich nicht. Anlässlich meiner Visite beim Staatspräsidenten Hassan Rohani und dem Parlamentspräsidenten Ali Laridschani habe ich das Thema angesprochen, und es später dann auch an der Pressekonferenz wiederholt: Als FIFA-Präsident, aber auch als Fussballfan, wünsche ich mir, dass das Fussballstadion allen Menschen offensteht. Antidiskriminierung heisst auch gleiche Rechte für Mann und Frau.

Oksana Galkina, Donetzk (Ukraine)

“Ich träume vom tibetischen Team.”

Will sich der Iran aus seiner Isolation befreien, dann sind nicht nur Nukleargespräche mit dem Westen angesagt. Der Weg zurück ins Spiel beginnt ganz unspektakulär: mit einem Matchticket für die Frauen.

Ihr Sepp Blatter T H E F I FA W E E K LY

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With Visa you are always welcome in the country of football.

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DAS FIFA-R ANKING Rang Team

1 2 3 4 5 6 7 8 8 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 44 46 47 47 49 49 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 61 63 64 65 66 67 68 69 70 71 71 73 74 75 76 77

Rang­veränderung Punkte

Spanien Deutschland Argentinien Kolumbien Belgien Uruguay Schweiz Niederlande Italien England

0 1 -1 1 1 1 7 1 -4 7

1513 1311 1266 1178 1175 1164 1138 1136 1136 1080

Brasilien Chile USA Portugal Griechenland Bosnien-Herzegowina Elfenbeinküste Kroatien Russland Ukraine Frankreich Ecuador Ghana Mexiko Schweden Dänemark Tschechische Republik Serbien Rumänien Slowenien Costa Rica Algerien Nigeria Honduras Schottland Panama Venezuela Armenien Peru Türkei Mali Kap Verde Ungarn Japan Wales Island Norwegen Tunesien Paraguay Iran Ägypten Burkina Faso Österreich Montenegro Usbekistan Republik Korea Australien Albanien Kamerun Republik Irland Libyen Südafrika Finnland Senegal Slowakei Israel Sambia Guinea Polen Jordanien Vereinigte Arabische Emirate Bolivien Sierra Leone Kuba Togo Bulgarien Marokko

-3 4 0 -3 -3 2 2 -8 -4 6 4 -2 1 -3 -3 -3 5 15 2 -1 2 -4 3 6 28 -1 -1 17 -5 9 -3 2 -13 -2 8 8 -8 -1 -8 -1 -1 -1 -6 -27 2 2 -4 -13 2 -1 9 7 -7 2 -5 3 4 8 -4 3 11 -9 -1 10 2 -12 -3

1078 1051 1040 1036 983 925 917 901 874 871 870 862 860 854 850 824 783 778 767 752 744 741 724 720 715 702 692 687 686 670 668 662 636 634 634 633 632 632 613 613 610 598 596 584 582 569 564 563 554 550 540 540 538 530 528 515 513 512 503 502 496 496 493 492 488 487 478

Rang

Mai 2013

Juni 2013

Juli 2013

Aug. 2013

Sept. 2013

Okt. 2013

1 -41 -83 -125 -167 -209

78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 103 105 106 107 107 109 110 111 112 112 114 115 116 117 118 119 120 121 121 123 124 125 126 127 128 129 129 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 141 143 144

Platz 1

Aufsteiger des Monats

Dominikanische Republik Neuseeland Haiti Trinidad und Tobago Jamaika Belarus Gabun Uganda EJR Mazedonien DR Kongo Aserbaidschan El Salvador Nordirland Kongo Oman Angola Benin Äthiopien Moldawien VR China Botsuana Estland Georgien Saudiarabien Simbabwe Litauen Irak Katar Liberia DVR Korea Zentralafrikanische Republik Kuwait Niger Kanada Guatemala Antigua und Barbuda Guyana Mosambik Tadschikistan Lettland Kenia Äquatorial-Guinea St. Vincent und die Grenadinen Libanon Burundi Bahrain Malawi Turkmenistan Neukaledonien Luxemburg Namibia Ruanda Tansania Suriname Grenada Afghanistan Zypern Kasachstan Sudan Philippinen St. Lucia Gambia Malta Syrien Lesotho Thailand Tahiti

T H E F I FA W E E K LY

9 -12 -2 4 -4 -3 -1 -4 -11 4 19 4 -4 1 4 -4 -4 -2 33 2 6 -11 -3 8 -1 9 2 3 8 6 -4 0 -8 -5 -12 -1 16 1 1 -2 0 -21 2 -1 3 -2 -2 0 -31 -1 -1 2 -2 4 -13 -1 0 -3 4 4 0 -3 2 2 6 -4 2

Absteiger des Monats

474 470 464 457 456 441 438 431 430 411 407 404 399 394 381 380 378 376 369 365 354 351 350 338 328 323 323 313 312 310 310 307 306 296 294 294 286 282 280 277 274 273 271 267 267 266 263 254 249 247 246 242 242 237 233 223 219 216 215 213 203 202 192 183 183 181 179

145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 162 162 165 166 167 168 169 170 171 171 173 173 175 176 177 178 178 180 181 182 183 183 185 186 186 188 189 190 191 192 193 193 195 196 197 198 199 200 201 202 202 204 204 206 207 207 207

Belize Palästina St. Kitts und Nevis Hongkong Myanmar Kirgisistan Vietnam Mauretanien Nicaragua Indien Singapur Tschad Malediven Liechtenstein Puerto Rico Malaysia Bermuda Indonesien São Tomé und Príncipe Bangladesch Nepal Sri Lanka Laos Pakistan Dominica Curaçao Salomon-Inseln Guam Barbados Aruba Färöer Chinese Taipei Jemen Samoa Mauritius Madagaskar Guinea-Bissau Vanuatu Swasiland Mongolei Fidschi Amerikanisch-Samoa Tonga Bahamas Montserrat Komoren Amerikanische Jungferninseln Cayman-Inseln Brunei Darussalam Osttimor Eritrea Seychellen Papua-Neuguinea Kambodscha Britische Jungferninseln Andorra Somalia Dschibuti Cook-Inseln Südsudan Macau Anguilla Bhutan San Marino Turks- und Caicos-Inseln

0 3 -10 0 13 -6 2 -2 0 1 4 2 -5 -2 1 1 -4 8 1 4 -2 2 5 2 -2 4 -2 4 -22 -8 7 -1 -4 -1 -1 -1 -1 -1 3 2 2 2 2 3 4 3 -1 0 -11 -11 0 0 0 1 -2 0 0 1 1 1 -2 0 0 0 0

178 175 172 171 169 161 159 158 155 151 149 148 147 141 139 137 127 120 120 120 119 108 105 102 89 88 86 86 82 82 81 79 72 62 62 57 56 53 49 49 47 43 43 40 33 32 30 29 26 26 24 23 21 20 18 16 14 11 11 10 10 3 0 0 0

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T H E F I FA W E E K LY


First Love Or t: R io de Janeiro, Brasilien J a h r : 20 0 5

Photograph by Levon Biss with support from Umbro/RPM

THE FIF FA A W E E K LY

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HISTORY

Wie der Fussball nach Barcelona kam

Der Barça-Offensivspieler Hans Gamper (2.v.r.) in seinem Element (1903).

Der FC Barcelona gilt für viele als der Klub mit dem weltweit stärksten Team. Gegründet wurde er vor bald 114 Jahren von einem Schweizer – dem Barcelona nicht gut bekommen sollte.

D

Perikles Monioudis

er Schweizer Meister FC Basel ist im Land, in dem die FIFA ihren Sitz hat, seit Jahren das spielstärkste Team. Wenn der Champions-League-Teilnehmer in seinen blau-roten Jerseys auf den Platz läuft, hält das so mancher Betrachter in Europa für anmassend: Wie kann man es wagen, in den Farben des grossen FC Barcelona zu spielen? Sind eine gesunde Selbsteinschätzung und etwas Respekt vor dem besten Klub der Welt zu viel verlangt? Oder ist umgekehrt der Barça-Star Neymar etwa im FC-Basel-Kit denkbar?

Fragen über Fragen – und leider können hier die beiden Klubs nicht weiterhelfen. Der FC Barcelona hat sich, was seine Farbwahl anbelangt, auf ein offizielles “Man-weiss-esnicht” zurückgezogen, und den FC Basel kümmert die Frage eher wenig. Das ist das Recht 34

dessen, der zuerst war. Ohnehin sprechen die Basler Medien seit langem von einem “nicht belegbaren Mythos”, wenn es um allfällige frühe Anleihen der Katalanen bei den Baslern geht. Unbestritten aber ist, dass der FC Barcelona von einem Schweizer gegründet wurde. Ein Fussballer in der Fremde Hans Gamper wird in Barcelona nach wie vor gehuldigt. Der Zürcher, der zwischen 1896 und 1898 auch für den FC Basel seine Treffer erzielte, liess sich ein Jahr später aus beruflichen Gründen und auf Einladung seines Onkels in der katalanischen Hauptstadt nieder. Dort hob der einstige Gründer des in Blau und Rot spielenden FC Excelsior Zürich, eine Woche nach seinem 22. Geburtstag, am 29. November 1899 den Futbol Club Barcelona aus der Taufe – ein protestantischer Klub in der katholischen Metropole. Dieser religiöse Gegensatz sollte für Hans Gamper – der sich bald einmal Joan nannte – die bestimmende Erfahrung in seiner Zeit am T H E F I FA W E E K LY

Mittelmeer werden. Als er, der sehr begabte Fussballer, protestantische Kirchgänger und Buchhalter in der Crédit-­ Lyonnais-Filiale in dem bürgerlichen Bezirk Sant Gervasi, im Turnverein Tolosa vorstellig wurde, bekam er vom Präsidenten Jaume Vila ohne Umschweife einen Korb. Gamper gehörte in Barcelona nicht dazu, und das war wohl alles andere als neu für ihn. Vila wollte weder Ausländer noch Protestanten im Turnverein – und schon gar keinen Fussballklub mit ihnen gründen. Im Turnverein Solé aber – wo auch die Sportzeitschrift “Los Deportes” verlegt wurde, für die Gamper später ab und zu schrieb – schlossen sich dem Schweizer ein paar Spielwillige an. Nach einer Anzeige in der “Los Deportes”, mit der Gamper weitere Spieler fand, lud er zur Gründungsversammlung des FC Barcelona ein. Die staatliche Bewilligung für den Sportklub wurde kurz darauf eingeholt. Diese bedingte einen Präsidenten, der für die Finanzen des Klubs verantwortlich war. Gamper hatte keine Lust, den Spie-


HISTORY

Barcelona 1930: Hans Gamper wird zu Grabe getragen.

1898: Hans Gamper als junger Mann in der Schweiz.

1961: Barça-Fans im Berner Wankdorf-Stadion.

1901: Das erste Team Barcelonas (Gamper u., 3.v.l.).

FC Barcelona/Keystone

lern und ihren Mitgliedsbeiträgen nachzulaufen, weshalb er auf das Präsidium vorerst verzichtete und sich als der hervorragende Angreifer und Goalgetter zeigte, der er ohne Zweifel war (angeblich 120 Treffer in 51 Partien). Als ernsthafte Konkurrenz des FCB etablierte sich bald einmal der FC Català, gegründet von jenem Jaume Vila, der Gamper einst zurückgewiesen hatte. Heirat mit einer Katholikin Der neue Klub machte dem FC Barcelona den Status als ältestes Fussballteam der Stadt streitig – und hatte in seinen Reihen nun auch ausländische Spieler, sechs Schotten bei fünf Katalanen. Die (protestantischen) Schotten waren keine Kirchgänger und konnten deshalb im FC Català als nicht gläubig oder quasi-katholisch durchgehen. Gamper verstand damit, dass es nicht seine Herkunft, sondern in Wahrheit seine Religion war, die ihn in Barcelona verhinderte. Nur Deutsche und Schweizer besuchten den protestantischen Gottesdienst.

1927: Der Bankangestellte Hans Gamper.

Gamper beendete 1903 seine Karriere, heiratete 1907 die Katholikin Maria Emma Pilloud und wurde dadurch erstmals gesellschaftsfähig – auch für den FCB. Man wählte ihn 1908 zum ersten Mal zum Präsidenten des Vereins, nachdem sein einstiger Mitstreiter und immer selbstbewusstere, am Ende fanatische Katholik Luis D’Ossó in der grossen Wirtschaftskrise andere Sorgen hatte, als den FCB in einen rein katholischen Klub umzuwandeln. Der Klub war in wenigen Jahren von 198 Mitgliedern auf 34 geschrumpft. Gamper übernahm als Notbesetzung und bestellte beim FC Basel sogleich hundert von den Farben her zum FC Barcelona passende Matchplakate. Gampers Freitod Die letzte Amtsperiode absolvierte Joan Gamper von 1924 bis 1925. Sie endete so abrupt wie sein Leben. Der Diktator Miguel Primo de Rivera ordnete die Schliessung der Spielstätte an, nachdem FCB-Spieler und -Anhänger vor einer Partie die spanische Hymne verhöhnt und die englische bejubelt hatten. Gamper T H E F I FA W E E K LY

musste abtreten. Fünf Jahre später, 1930, erschoss er sich in seinem Haus. Der FC Barcelona geriet ab 1936 in die Wirren des Bürgerkriegs. Die Spieler des FCB kämpften gegen die Falangisten, die den Barça-Präsidenten Josep Sunyol töteten. 1943 ordnete der Diktator Franco die Niederlage des FCB in der “Copa del Generalísimo” gegen Real Madrid an (1 : 11). Neymar, der gefeierte neue FC-Barcelona-Star, wäre weder im FC Català noch bei Real Madrid der Vor- und Kriegszeit glücklich geworden. Im Hier und Jetzt debütierte er unlängst im Gamper-Cup im blau-roten FCB-Jersey. Im traditionell ersten Heimauftritt der Saison präsentierten sich etwa Diego Armando Maradona (1982), Ronald Koeman (1989), Hristo Stoitschkov (1990) oder Ronaldinho und Romário (1993) zu Ehren des Schweizers. Auch der FC Basel hätte sie alle gut gebrauchen können. Å

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THE SOUND OF FOOTBALL

DAS OBJEK T

Perikles Monioudis Ein kostspieliger Transfer wird im Fussballgeschäft heutzutage aus ganz unterschiedlichen Quellen finanziert. Ein Gareth Bale entsprang der Schatulle des Real-Präsidenten Florentino Pérez, während in vergleichsweise kleineren Klubs Spielerhändler und Klubfunktionäre in Personalunion oder gleich als Investmentkonsortium auftreten können.

“Seven Nation Army”

So ungewiss die Performance eines Transfers auch ist – ein Spieler kann in ein Formtief geraten, sich verletzen –, eine Einnahmequelle ist sicher und erschliesst sich bei Megatransfers umgehend: Die Verkäufe seines Shirts.

Hanspeter Kuenzler

Die Entstehungsgeschichten der Tribünengesänge sind manchmal mysteriös. Man nehme das Beispiel von “Daa da da da da daa daa”, beziehungsweise “Seven Nation Army” von den White Stripes. Es ist zu bezweifeln, dass viele europäische Fussballfans schon vor der EM 2008 Bekanntschaft gemacht hatten mit dem aus Jack und Meg White bestehenden Duo aus Detroit. Die beiden suchten seit 1997 eine musikalische Symbiose aus urtümlichem Blues und ästhetischen Konzepten, wie sie den Köpfen von smarten Ex-Kunststudenten entspringen. Der FC Brügge war nicht in Rot, Weiss und Schwarz gekleidet – den Farben, in denen die White Stripes konsequent auftraten – als sich seine Fans im Oktober 2003 vor dem Champions-League-Match bei AC 36

Mailand in einer Mailänder Bar versammelten und sich Mut antranken. So oder so hatte die Jukebox einen guten Tag und spielte “Seven Nation Army”, das erste Stück auf dem White-Stripes-Album “Elephant”. Die gut gelaunten Belgier röhrten mit, und als ihre Mannschaft dank einem Tor von Mendoza in der 33. Minute zu einem 1:0-Sieg kam, war der glückbringende Ruf des Liedes besiegelt. Nun entwickelte die Melodie ein Eigenleben. Als Brügge im UEFA-Cup drei Jahre später gegen die AS Roma spielte, “reiste” der Song mit deren Fans zurück nach Italien, wo er sich alsbald zur in­ offiziellen Landeshymne der Tifosi mauserte – gerade rechtzeitig auf die Fussballweltmeisterschaft in Deutschland hin. Als die Italiener Weltmeister wurden, war “Seven Nation Army” bald derart omnipräsent auf den europäischen Fuss-

balltribünen, dass er von der UEFA zum offiziellen Einlauf­ song der Euro 2008 ernannt wurde. Der nach eigenen Angaben fussballerisch unbegabte Jack White fühlte sich geehrt: “Es gibt nichts Schöneres als wenn die Menschen einen neuen Song in ihre Mitte aufnehmen und zum Volkslied erheben”, sagte er. Ganz allein ist sein Lied indes nicht. Dieses “Daa da da da da daa daa” ist genauso in der 1881 fertiggestellten fünften Sinfonie in B-Dur von Anton Bruckner zu hören. Æ

Das war auch neulich beim deutschen Natio­ nalspieler Mesut Özil so. Das Arsenal-Shirt des früheren Real-Akteurs wurde sofort zum Renner – und generierte einen Gewinn, der gewissermassen aus der Schatulle Perez’ stammt. Als ein Shirt noch ein Shirt und weder eine Hightechtextilie noch ein Merchandisingprodukt war, dribbelte ein gewisser Luigi “Gino” Colaussi in Frankreich zum Weltmeistertitel, dem ersten für die Azzurri. Gino, aus dem Friaul gebürtig, kam an der WM 1938 als Linksaussen zu drei Einsätzen; er erzielte drei Treffer, zwei davon im Finale gegen Ungarn (4:2). Dabei trug er sein blaues Shirt, das über der rechten Brust das Hoheitszeichen der Savoyer aufweist. In der Beschreibung des Auktionshauses Christie’s steht zu dem fein gewobenen Baumwollshirt zutreffend: “Mehrere kleine Mottenlöcher.” Das Shirt ist ein wenig geschrumpft, war aber nie grösser als Grösse S. Es wechselte im Jahr 2000, fast ein Jahrzehnt nach Ginos Tod, für gut 20 000 Franken ins Archiv des Home of FIFA. Die Replika der Bale- und ÖzilShirts erlösen locker ein Vielfaches davon. Å

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TURNING POINT

“Bleib dir treu” Der belgische Rekordnationalspieler Jan Ceulemans schaffte es 1980 ins EM-Finale und führte das belgische Team 1986 ins WM-Halbfinale. Als ihn die AC Milan verpflichten wollte, schlug er die Offerte in den Wind und blieb beim Club Brügge.

A

Name:

ls Kind spielte ich Basketball und Fussball mit derselben Begeisterung. Ich dachte nicht daran, das eine für das andere aufzugeben. Doch der Aufwand wurde zu gross, und ich fragte als Jugendlicher meinen Vater um Rat. Im Fussball könnte ich Geld verdienen, im Basketball nicht, lautete seine Antwort. Von da an spielte ich meine Körpergrösse nur noch im Fussball aus. Nicht, dass man im belgischen Fussball damals sehr viel Geld verdienen konnte – das war fast überall auf der Welt unmöglich. Aber ein Auskommen lag drin. Im Alter von 14 Jahren, praktisch noch als Junge, setzte ich in meinem Stammklub Lierse SK ganz auf den Fussball. Heute wäre es ­u ndenkbar, dass man einfach so von der Schule abgeht. Ich erhielt mit 16 Jahren meinen ersten Profivertrag und debütierte 1974 in der höchsten Spielklasse. Nach vier Saisons nahm ich die Möglichkeit wahr, im Fussball weiterzukommen und dabei etwas anderes kennenzulernen. Ich wechselte – mit 21 – zum Club Brügge. 14 Jahre lang spielte ich für diesen Klub und diese Stadt, die mir so viel bedeuten. Keine Verlockung, sie zu verlassen, war gross genug. Ich komme darauf zurück. Vier Meisterschaften und zwei Cuperfolge durfte ich als offensiver Mittelfeldspieler mit Brügge feiern. Und doch waren es die Momente mit dem Nationalteam, die zu den Highlights zählen. Der Einzug ins WM-Halbfinale in Mexiko 1986 gehört dazu. Ich erinnere mich an das Turnier, als wäre es gestern gewesen. Wir verloren die Eröffnungspartie gegen den Gastgeber 1:2, gewannen dann 2:1 gegen den Irak und spielten gegen Paraguay 2:2. Die drei Punkte reichten schon fürs Weiterkommen. Die Sowjetunion bezwangen wir nach Verlängerung, später Spanien nach dem Elfmeterschiessen. Erst im Halbfinale gegen Argenti­n ien endete unsere Glückssträhne. Gegen den späteren Weltmeister mit Kapitän Diego Maradona verloren wir 0:2.

Jan Ceulemans Geburtsdatum: 28. Februar 1957 Geburtsort: Lier, Belgien Körpergrösse: 1,88 m Einsätze im Nationalteam: 96 (belgischer Rekord) Klub: Club Brügge Als Coach: U. a. Club Brügge, zurzeit R. Cappellen FC

An der EM 1980 in Italien war kein Glück mehr im Spiel, wir erreichten das Finale gegen Deutschland nach Remis gegen Italien und England sowie einem Sieg gegen Spanien. Diese Leistung bewerte ich höher als jene an der WM 1986. Wir behaupteten uns gegen Topteams. Das befriedigt mich weit mehr.

schaft und dem nahen Meer. Auf Strandspaziergängen finde ich zu mir. Klar, es ging damals nicht um Unsummen von Geld. Heute hätte ich die Offerte der AC Milan wohl angenommen. Aber eines kann ich ohne Weiteres sagen: Ich habe es keinen Moment lang bereut, in Brügge geblieben zu sein. Å

An beiden Turnieren war Guy Thys unser Coach. Ich habe von ihm gelernt, dass man sich selbst treu bleiben muss. Thys war stets derselbe, ob man ihn nun zufällig auf der Strasse traf oder vor einem wichtigen Spiel in der Kabine mit ihm sprach. Er verstellte sich nicht. Er war als Person anwesend, nicht nur als Chefcoach.

Aufgezeichnet von Perikles Monioudis

Als sich nach der EM 1980 in Italien ein paar Klubs bei mir meldeten, ging ich zwar auf Gespräche ein. Im Fall der AC Milan reiste ich sogar hin. Doch mir wurde schnell klar, dass ich viel zu sehr mit Brügge verbandelt war – mit dem Klub, der stets so viel Vertrauen in mich gesetzt hatte, mit der wunderbaren Stadt, die eine der schönsten Europas ist, mit der LandT H E F I FA W E E K LY

Persönlichkeiten des Fussballs erzählen von einem wegweisenden Moment in ihrem Leben. 37


emirates.com

Tomorrow brings us all closer To new people, new ideas and new states of mind. Here’s to reaching all the places we’ve never been. Fly Emirates to 6 continents.


Impressum

FIFA - R ÄT SEL - CUP

The FIFA Weekly Eine Wochenpublikation der Fédération Internationale de Football Association (FIFA)

Wir starten mit zwei Fragen zum Aufwärmen. Los geht’s!

Internet: www.FIFA.com/TheWeekly

Er war Kapitän von Brasiliens Nationalmannschaft, Südamerikas Fussballer des Jahres und spielte für...

1

Herausgeberin: FIFA, FIFA-Strasse 20, Postfach, CH-8044 Zürich, Tel. : +41-(0)43-222 7777 Fax : +41-(0)43-222 7878

B  K-1933 Qaqortoq L  Neuchâtel Xamax

C  Garforth Town AFC S  Aloha Honolulu

Präsident: Joseph S. Blatter Generalsekretär: Jérôme Valcke

Eine Reise um die Welt: Veranstaltet von...

2

Direktor Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit: Walter De Gregorio

A  Adidas

O  Coca-Cola

E  Sony

I Emirates

Chefredakteur: Thomas Renggli Art Director: Markus Nowak

Die entscheidende Spielphase läuft. Jetzt ist Kaltblütigkeit gefordert.

Redaktion: Perikles Monioudis (Stv. Chefred.), Alan Schweingruber, Sarah Steiner Ständige Mitarbeiter: Jordi Punti, Barcelona; David Winner, London; Hanspeter Kuenzler, London; Roland Zorn, Frankfurt/M.; Sven Goldmann, Berlin; Sérgio Xavier Filho, São Paulo; Luigi Garlando, Mailand

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Nach welchem Schiedsrichter wurde ein Fussballstadion benannt (das übrigens auch für WM-Qualifikationsspiele genutzt wird)? C

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L

R

Bildredaktion: Peggy Knotz Produktion: Hans-Peter Frei (Leitung), Richie Krönert, Philipp Mahrer, Marianne Crittin, Mirijam Ziegler, Peter Utz, Olivier Honauer

Bei einem Konter sprintet Gareth 100 Meter weit mit 30 km/h. Leider umsonst. Also trabt er die 100 Meter gemächlich wieder zurück – mit 10 km/h. Welches Durchschnittstempo erreicht Gareth auf Hin- und Rückweg?

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Korrektorat: Nena Morf Redaktionelle Mitarbeit in dieser Nummer: Honey Thaljieh, Dominik Petermann

E  25 km/h

Redaktionssekretariat: Loraine Mcdouall

A  20 km/h

T  17,5 km/h

D  15 km/h

Übersetzung: Sportstranslations.com Projektmanagement: Bernd Fisa, Christian Schaub Druck: Zofinger Tagblatt AG www.ztonline.ch Kontakt: feedback-TheWeekly@fifa.org Der Nachdruck von Fotos und Artikeln aus dem The FIFA Weekly – auch auszugsweise – ist nur mit Genehmigung der Redaktion und unter Quellenangabe (© The FIFA Weekly, 2013) erlaubt. Die Redaktion ist nicht verpflichtet, unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos zu publizieren. Das FIFA-Logo ist ein eingetragenes Warenzeichen. In der Schweiz hergestellt und gedruckt.

Das Lösungswort des Rätsel-Cups aus der Vorwoche lautete: WALK (ausführliche Erklärungen auf FIFA.com/theweekly). Inspiration und Umsetzung: cus

Bitte senden Sie Ihre Lösung bis zum 20. November 2013 an feedback-­TheWeekly@fifa.org. Die richtigen Einsendungen aller Rätsel bis am 31. Dezember 2013 nehmen an der Verlosung von zwei Eintrittskarten für den FIFA Ballon d’Or 2013 am 13. Januar 2014 teil. Vor der Einsendung ihrer Antworten müssen die Teilnehmenden die Teilnahmebedingungen des Gewinnspiels sowie die Regeln zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, die unter folgendem Link zur Ansicht bereit stehen: de.fifa.com/aboutfifa/organisation/the-fifa-weekly/rules.pdf T H E F I FA W E E K LY

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FR AGEN SIE DIE FIFA!

UMFR AGE DER WOCHE

An wen geht der FIFA Ballon d’Or 2013?

Frage von Peter Ackermann, Bern: Mich irritiert, dass mein Lieblingsverein AC Milan nur einen Stern auf dem Trikot hat, aber Bayern München gleich vier. Weshalb ist das so? Antwort von Thomas Renggli, Chefredaktor: Generell gilt der Stern im Klubfussball als Zeichen für zehn Titelgewinne. Dass sich der FC Bayern München gleich mit vier Sternen schmücken kann, liegt daran, dass in Deutschland jene Titel zählen, die seit der Einführung der Bundesliga (1964) errungen wurden. Bei den international üblichen Kriterien hätte nur Bayern (mit 22 Titeln) das Recht auf Meistersterne. Um diese “Ungerechtigkeit” zu entschärfen, senkte die Deutsche Fussballliga die Anforderung und führte folgendes System ein: Ab drei Meistertiteln ein Stern. Ab fünf Meistertiteln zwei Sterne. Ab zehn Meistertiteln drei Sterne. Ab 20 Meistertiteln vier Sterne. Damit haben sich auch Borussia Mönchengladbach, Werder Bremen, Borussia Dortmund, der Hamburger SV sowie der VfB Stuttgart einen Platz am Fussball-Firmament verdient. DIE SPEK TAK ELM AC HER

56

Tore sind in den ersten zwölf Saisonspielen des deutschen Bundesligisten Hoffenheim gefallen – gerecht verteilt je 28 für und gegen den Klub aus Sinsheim. Das erfreut den neutralen Beobachter mehr als die gegnerischen Fans. Hoffenheim klebt trotz des Spektakels und der sieben Tore des Brasilianers Roberto Firmino (Bild) im Niemandsland der Tabelle fest.

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Lionel Messi mit schmerzverzerrtem Gesicht. Der Barça-Star ist in dieser Saison zum vierten Mal verletzt und fällt sechs bis acht Wochen aus. Damit droht er zum ersten Mal seit fünf Jahren bei der Auszeichnung für den besten Individualisten leer auszugehen. Antworten Sie unter: feedback-TheWeekly@fifa.org

ERGEBNIS DER LETZTEN WOCHE: Ausländische Investoren im Fussball: Fluch oder Segen?

58+42 SEGEN

FLUCH

42% 58%

7

DER AUFS TEIGER

Tore erzielte der Schwede Valmir Berisha an der U17WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Damit sicherte er sich den Titel des Torschützenkönigs an der Talentschau. Mit drei Toren

DAS NEUE FUSSBALL-MAGA ZIN ANALYSEN, REPORTAGEN, BILDER. The FIFA Weekly erscheint jede Woche freitags – als Printausgabe sowie als E-Magazin (www.Fifa.com/TheWeekly). Neben Berichterstattungen über die grössten Stars und attraktivsten Tore steht der Doppelpass mit den Lesern im Zentrum. Nehmen Sie an der Diskussion über die schönste Nebensache teil. REAKTIONEN AN: feedback-TheWeekly@fifa.org

DER CHAMPIONS -LEAGUE-SIEGER

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Titel hat der italienische Trainer Marcello Lippi im Profi-Fussball

beim 4:1 gegen Argen-

schon gewonnen. Nach Welt-

tinien war er im Spiel

meisterschaft, UEFA-Cham-

um Platz 3 die überra-

pions-League und nationalen

gende Figur. Berisha

Meriten setzte er am vergangenen

steht beim schwedi-

Wochenende ein weiteres High-

schen Klub Halmstad

light: Mit dem chinesischen

unter Vertrag – bis

Meister Guangzhou Evergrande

jetzt noch …

gewann er im Finale gegen den FC Seoul die asiatische Champions League.

T H E F I FA W E E K LY


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