16. Februar–31. März 2015
Koji Yakusho Fritz Kortner
Der erfolgreichste kubanische Film seit Fresa y chocolate und La vida es silbar.
Ernesto Daranas, Kuba
AB 26. FEBRUAR IM KINO
«Ergreifend, hervorragend umgesetzt, berührend gespielt.» Hollywood Reporter
REFUGIADO Diego Lerman, Argentinien AB 12. MÄRZ IM KINO
01 Editorial
Ein pausenloses Kinojahr Wir hatten es anlässlich der Rückschau auf das Jahr 2013 versprochen: Wir würden alles daran setzen, das Filmpodium in Zukunft wieder durchgehend zu bespielen. Dank des Kniffs, das Sommerprogramm auf zwölf Wochen zu «strecken», konnten wir 2014 unser Versprechen halten. Die Resonanz war entsprechend positiv, etwa von dieser Zuschauerin: «Auch ich gehöre zum ‹cinephilen Stammpublikum›, das über die Sommerpause im vergangenen Jahr nicht erbaut war. Umso fantastischer ist dieses Jahr das Angebot, ein wahres Feuerwerk an spannenden Filmen, insbesondere auch, was die Sommerpremieren betrifft!» Das Angebot des Filmpodiums im vergangenen Jahr umfasste insgesamt 314 Filme. Den Regisseuren Ken Loach, Seijun Suzuki, Sergio Leone und Alexander Sokurow wurden umfangreiche Hommagen gewidmet; weitere Reihen galten dem Filmschaffen aus Japan, San Francisco und der ČSSR. Filmhistorische Schwerpunkte bildeten das traditionelle Stummfilmfestival, die Retrospektiven über Pre-Code Hollywood und das legendäre italienische Produktionshaus Titanus – nebst unserer Filmgeschichtsreihe «Das erste Jahrhundert des Films», die soeben das vierte Jahr abgeschlossen hat. Gäste in unserem Haus waren u. a. die Drehbuch-Legende Jean-Claude Carrière sowie Edgar Reitz und Shawkat Amin Korki, die ihre neuesten Werke vorstellten. Diese Anlässe wurden – wie auch das wieder aufgenommene Filmbuff-Quiz im Dezember – durch den Filmpodium-Förderverein Lumière mitfinanziert, dem wir an dieser Stelle für sein Engagement herzlich danken. Die 928 öffentlichen Vorstellungen verzeichneten insgesamt 39 647 Eintritte. Das sind 3638 oder gute 9 % mehr als im Vorjahr! Auch die durchschnittliche Zuschauerzahl ist von 41 auf 43 pro Vorstellung gestiegen. Die erfolgreichsten Filme waren Akadimia Platonos mit 739 und Die andere Heimat mit 686 Eintritten, gefolgt von Kes und It’s a Wonderful Life. Auch gemessen daran, dass die Eintritte in den Deutschschweizer Kinos 2014 zurückgegangen sind, dürfen sich die Zahlen des Filmpodiums durchaus sehen lassen. Unser Dank gilt darum ganz besonders Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich immer wieder auf unsere Festival entdeckungen und «Ausgrabungen» aus der Filmgeschichte einlassen. Wir hoffen, dass wir weiterhin auf Ihre Treue und Ihre Neugierde zählen dürfen – zum Beispiel bei den aktuellen Reihen mit Filmen der grossen Schauspieler Fritz Kortner und Koji Yakusho. Corinne Siegrist-Oboussier Titelbild: Der Aal mit Koji Yakusho
02 INHALT
Koji Yakusho
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Koji Yakusho zählt zu Japans grössten Stars, doch sein Name ist international kaum bekannt. Sein Gesicht allerdings schon; immerhin hat er in einigen der erfolgreichsten japanischen Filme der letzten Jahre mitgewirkt, in Masayuki Suos Original von Shall We Dance?, in Shohei Imamuras Der Aal und Kyoshi Kurosawas Cure, aber auch in Hollywood-Produktionen wie Babel. Seine Wandlungs fähigkeit ist einzigartig; in subtilen Familienporträts à la Ozu überzeugt er ebenso wie in Kon Ichikawas Samuraifilm Dora-Heita und Tetsuya Nakashimas rabiatem Thriller The World of Kanako. Koji Yakusho wird im Filmpodium persönlich über seine Erfahrungen mit japanischen Cineasten mehrerer Generationen sowie sein eigenes Regiedebüt Toad’s Oil Auskunft geben. Bild: Babel
Fritz Kortner
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Als Schauspieler gehörte der in Wien geborene und ausgebildete Fritz Kortner (1892–1970) in den 1920er Jahren zu den absoluten Stars; heute ist er vor allem bekannt als einer der Grossen der deutschsprachigen Bühne. Im Rahmen der Viennale 2014 hat das Filmarchiv Austria Kortners Filmarbeit eine Retrospektive gewidmet, die das Filmpodium jetzt teilweise nachspielt: Sie reicht vom romantisch-expressionistischen Stummfilm Schatten und der Wedekind-Verfilmung Die Büchse der Pandora mit Louise Brooks über seine Exil-Filme Abdul the Damned und The Strange Death of Adolf Hitler bis zum Fernsehspiel Die Sendung der Lysistrata mit der jungen Romy Schneider. Bild: Fritz Kortner (© Filmarchiv Austria)
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Das erste Jh. des Films: 1935
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Ein freudianisches Ärztedrama (Die ewige Maske), ein Klassiker des Horrorfilms (The Bride of Frankenstein), ein stilbildendes Werk faschistischer Ästhetik (Triumph des Willens) und ein Höhepunkt des anarchischen Humors (A Night at the Opera) sowie ein Vorläufer des Neorealismus (Toni): 1935 bietet ein echtes Wechselbad.
Premiere: Belle
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Im 18. Jahrhundert wächst die junge Schwarze Belle inmitten der britischen Aristokratie auf. Romantisches Sozialdrama nach Tatsachen. Bild: Belle
Premiere: Norte, the End of History 36 Ein Student wird zum Mörder; für seine Bluttat büsst ein Unschuldiger. Lav Diaz’ Sittengemälde der heutigen Philippinen, frei nach Dostojewski.
Filmpodium für Kinder: Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa
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Die junge Giraffe Zarafa wird aus Afrika verschleppt und soll dem französischen König als Geschenk überbracht werden. Der 10-jährige Waisenjunge Maki hat aber Zarafas Mutter versprochen, ihr Kind zurückzubringen, und damit beginnt eine erlebnisreiche Irrfahrt für Mensch und Tier. Packender Animationsfilm. Bild: Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa
Einzelvorstellungen IOIC-Soireen: Maciste all’inferno White Shadows in the South Seas Zur Kosmos-Ausstellung im Museum Rietberg: Contact Sélection Lumière: Drifting Clouds
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05 Koji Yakusho
Der Alleskönner Es gibt Stars, die mit ihrer Persönlichkeit die Eigenheiten der verkörperten Figur überstrahlen, und es gibt Schauspieler, die so in ihrer Rolle aufgehen, dass man sie selbst kaum wahrnimmt. Wenn letztere ihre Kunst so weit entwickeln, dass sie sich damit Starruhm erspielen, entspricht dies den höchsten Weihen dieses Berufs. Ein solches Ausnahmetalent ist Koji Yakusho, der die ihm gewidmete Retrospektive im Filmpodium mit einem Besuch beehren wird. «Yakusho ist ein grossartiger Schauspieler. Er kann jeden Charakter spielen. Mal ist er der ganz normale Typ von nebenan. Dann wieder kann er zum Monster werden, bei dem man keine Ahnung hat, was in ihm vorgeht. Da wir gleich alt sind, teilen wir eine ähnliche Sicht auf die Welt, die wir als instabil und fragil empfinden.» Dies die Antwort des Regisseurs Kiyoshi Kurosawa (Cure) auf die Frage, warum er in seinen Filmen so oft mit Koji Yakusho zusammenarbeite. Ob Yakusho diese Sicht der Welt teilt, sei dahingestellt. Dass er jedoch ein unglaublich vielseitiger Schauspieler ist – facettenreich und genreübergreifend –, zeigt die Retrospektive von dreizehn Filmen, in denen Yakusho meist die Hauptrolle verkörpert. Sei es der Protagonist in Masayuki Suos herrlicher Komödie Shall We Dance?, ein unbeholfener, biederer Buchhalter, der eines Abends beim Anblick einer schönen Unbekannten seine Faszination für den Gesellschaftstanz entdeckt, dadurch zu sich selbst findet und glücklicher wird. Oder sei es in The World of Kanako der verstörte, brutale Ex-Polizist auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter, den Yakusho so packend und mit einer derartigen Intensität verkörpert, dass man Gänsehaut bekommt. Oder auch die Rolle des Schriftstellers in Masato Haradas Chronicle of My Mother, der nur in seiner Welt des Schreibens lebt und sich von seiner Familie abschottet, beziehungsweise diese für seine literarischen Zwecke benutzt. Erst durch den Tod seines Vaters und die fortschreitende Demenz seiner Mutter, die ihn als Kind verstossen hat, beginnt er sich zu verändern und sein Machogehabe abzulegen. In all diese Figuren schlüpft Yakusho scheinbar mühelos, als seien sie ihm auf den Leib geschrieben, und er spielt sie mal mit Intensität und Leidenschaft, mal mit dezenter Zurückhaltung.
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Mit drei Kids unterwegs im Niemandsland: Eureka von Shinji Aoyama < Resozialisierung eines Menschenfeinds: Der Aal von Shohei Imamura
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Die Bürde der familiären Vergangenheit: Chronicle of My Mother von Masato Harada
06 Von der Amtsstelle auf die Bühne Koji Yakusho (eigentlich: Hashimoto), 1956 in Nagasaki geboren, hatte nicht vor, Schauspieler zu werden. Nach dem Schulabschluss arbeitete er vorerst im Gemeindeamt eines Tokioter Bezirks. Er liebte das Theater; insbesondere soll ihn die Aufführung von Maxim Gorkis «Nachtasyl» sehr berührt haben. In der Folge entschloss er sich 1976, Schauspieler zu werden. 1978 wurde er von der renommierten Schauspielschule Mumeijuku – die der legendäre Star Tatsuya Nakadai leitete – aufgenommen. Als Anspielung auf seine frühere Beamtentätigkeit soll Nakadai ihm zum Künstlernamen Yakusho («Amtsstelle») geraten haben; gleichzeitig bedeutet der Name im Japanischen auch «breites Rollenspektrum». Durch verschiedene Fernsehdramen und als weiss gekleideter Yakuza in Juzo Itamis Film Tampopo wurde Yakusho dem breiten Publikum bekannt. Richtig in Fahrt kam seine Karriere 1996, als er in drei Filmen drei völlig verschiedene Figuren spielte: den bereits erwähnten Buchhalter (Shall We Dance?), einen einfühlsamen Elektriker (Der schlafende Mann) und einen Yakuza, der auf Crystal Meth steht (Shabu gokudo). Für diese Rollen heimste er mehrere Auszeichnungen ein. Die Erfahrungen und Begegnungen mit Filmregisseuren bewogen ihn dazu, sich mehr auf Kinofilme als auf Theater und TV-Dramen zu konzentrieren, obwohl die Situation der Filmproduktion in Japan alles andere als einfach war – und immer noch ist. Dass Filme nicht verschwinden, gefiel Yakusho; sie gehen auf Reisen und werden so auch von einem internationalen Publikum wahrgenommen. Trotz seines Erfolgs gab Yakusho nie etwas auf rein kommerzielle Unterhaltungsfilme, die möglichst viel Geld einbrachten. Ausschlaggebend bei der Wahl seiner Rollen waren stets das Drehbuch und ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Bis heute ist er bereit, für kleine Gagen zu spielen. So arbeitet er vor allem mit japanischen Cineasten zusammen, die anspruchsvolle, qualitativ hochstehende Filme drehen, welche nicht unbedingt das grosse Publikum anlocken, sondern eher bei der Kritik und an Festivals Anklang finden. Shinji Aoyamas Eureka handelt von drei Überlebenden einer sinnlos brutalen Busentführung. Eine Reise im Wohnmobil durch Kyushu soll die erstarrte Gefühlswelt der Protagonisten aufbrechen. Ruhige, meditative Einstellungen und wunderbare Landschaftsaufnahmen in Sepia-Tönen spiegeln die Seelenlandschaften der traumatisierten Figuren. Auch in Yakushos Regiedebüt Toad’s Oil geht es um die Verarbeitung, diesmal um die Trauer über den Tod des einzigen Sohnes. Yakusho verkörpert hier einen schwerreichen Börsenspekulanten, der sich auf eine Reise begibt, um mit dem Verlust klarzukommen und sein Leben zu hinterfragen. Neuer Schwung für alte Genres Auch in einigen Filmen der Altmeister Shohei Imamura und Kon Ichikawa hat Yakusho mitgewirkt, wiederum in völlig verschiedenen Rollen. In Imamuras Der Aal etwa, einer Geschichte über Resozialisierung, spielt er einen haftent-
07 GRUSSWORT DER SCHWEIZERISCH-JAPANISCHEN GESELLSCHAFT Das Filmpodium Zürich hat im letzten Mai/Juni-Programm in Zusammenarbeit mit der SchweizerischJapanischen Gesellschaft und Japan Foundation die Reihe «Japan im Spiegel seiner Filmklassiker» gezeigt, zur Feier von 150 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und der Schweiz. Das Publikumsecho war sehr positiv. Nun zeigt das Filmpodium erneut japanische Filme und zwar lauter Werke mit einem der bedeutendsten japanischen Schauspieler der Gegenwart: Koji Yakusho. Der Schweizerisch-Japanischen Gesellschaft ist es mit Hilfe der Japan Foundation und des Filmpodiums gelungen, den Star zur Eröffnung dieser Filmreihe nach Zürich einzuladen. Seine erste Hauptrolle hatte Koji Yakusho im Film Another Way, der 1988 interessanterweise zum Teil in der Schweiz gedreht wurde; dabei war der Schauspieler u. a. ein erstes Mal in Zürich zu Gast; nun gibt es für ihn ein Wiedersehen mit der Limmatstadt anlässlich der weltweit bisher grössten Retrospektive seines Schaffens. Koji Yakusho wird am 16. und 17. Februar 2015 im Filmpodium anwesend sein und über seine Arbeit vor und hinter der Kamera Auskunft geben. Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Japan Foundation und beim Filmpodium für die Zusammenarbeit. Der Besuch von Koji Yakusho bildet den abschliessenden Höhepunkt der Veranstaltungen mit japanischen Filmen im Rahmen des 150-jährigen Jubiläums. Kyoko Ginsig, Vizepräsidentin Schweizerisch-Japanische Gesellschaft www.schweiz-japan.ch
Für die freundliche Unterstützung danken wir
lassenen Mörder, der nur mit Mühe in die Gesellschaft zurückfindet. Imamuras Film wurde in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Auch Kon Ichikawas Samurai-Drama Dora-Heita (2000) fand internationale Beachtung. Das wichtige «Jidaigeki»-Genre, welches seine Hochblüte in den 1920er und -30er Jahren hatte und in den 1950er Jahren eine Renaissance erlebte, ist in der heutigen japanischen Kinolandschaft kaum mehr zu finden. Laut Yakusho gibt es immer weniger Regisseure und Schauspieler, die solche historischen Dramen beherrschen. Deshalb sei es wichtig, dieses Genre wieder aufzunehmen, bevor es zu spät sei. Die Rolle eines Samurais verkörpert Yakusho auch gleich in zwei Filmen von Takashi Miike (Harakiri, 13 Assassins). Und es erstaunt nicht, dass diese «Jidaigeki»-Untergattung unter Miikes brillanter Regie ganz neue, ungewöhnliche Dimensionen erreicht. Koji Yakusho hat neben vielen Auszeichnungen und Preisen 2014 auch den renommierten Toshiro-Mifune-Preis für seine herausragende Tätigkeit erhalten. Regula König Regula König ist Japanologin und doziert an der Universität Zürich über japanischen Film und Literatur.
> Cure.
> Shall We Dance?.
> Der schlafende Mann.
> Dora-Heita.
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Koji Yakusho.
SHALL WE DANCE? (Shall we dansu?) Japan 1996
Der brav-biedere «salaryman» Sugiyama, magisch angezogen von einer Schönheit am Fenster einer Tanzschule, schreibt sich dort für einen Kurs ein. Obschon er nichts Unmoralisches tut, verheimlicht er sein Treiben, das gegen jegliche japanischen Gepflogenheiten verstösst, vor Frau und Familie, was zu allerlei komischen Verwicklungen führt. «Shall We Dance? verfügt bei allem Spass aber über einen durchaus ernsten Hintergrund. Er provoziert das Nachdenken über die Erlösung aus einer Midlife-Krise. Mehr noch: Er zeigt das Überwinden jener Einsamkeit, in der jede der handelnden Figuren zunächst gefangen zu sein scheint. Fast alle wichtigen Gestalten des Films tragen intime Geheimnisse mit sich herum, die erst nach und nach enthüllt werden. Die Maxime ‹Darüber spricht man nicht›, die in Japan, aber auch in anderen modernen Leistungsgesellschaften weitverbreitet ist, wird ironisch-kritisch befragt. Shall We Dance? drängt geradezu zur Erkenntnis, dass sich nur durch Offenheit auch die Möglichkeit für zwischenmenschliche Solidarität ergibt.» (Ralf Schenk, film-dienst 10/1999) Als tanzbegeisterter Sugiyama spielt Koji Yakusho jene Rolle, die im Hollywood-Remake von 2004 Richard Gere übertragen wurde. MO, 16. FEB. | 19.00 UHR ZU GAST: KOJI YAKUSHO 136 Min / Farbe / 35 mm / Jap/d/f // DREHBUCH UND REGIE Masayuki Suo // KAMERA Naoki Kayano // MUSIK Yoshikazu Suo // SCHNITT Junichi Kikuchi // MIT Koji Yakusho (Shohei Sugiyama), Tamiyo Kusaraki (Mai Kishikawa), Naoto Takenaka (Tomio Aoki), Eriko Watanabe (Toyoko Takahasi), Akira Emoto (Toru Miwa), Yu Tokui (Tockichi Hattori), Hiromasa Taguchi (Masahiro Tanaka).
DER SCHLAFENDE MANN (Nemuru otoko) Japan 1996
Takuji liegt seit einem Sturz in den Bergen im Koma, schwebt zwischen Leben und Tod und wird in seinem abgelegenen Heimatdorf aufopferungs- und liebevoll von Familie und Freunden umsorgt. «Die Ausländerin (gespielt vom indonesischen Star Christine Hakim), die in einer Bar Solveigs Wiegenlied aus Griegs ‹Peer Gynt› singt, der Elektriker (Koji Yakusho), der den Strom wieder an-
schliesst oder bei einer alten Dame die TV-Antenne richtet, und der kleine Junge, der vor dem Rad einer Wassermühle einem Greis Fragen stellt, sind einige der unzähligen Figuren, die Der schlafende Mann bevölkern und deren Geschichten knapp skizziert werden. Die höchste Aufmerksamkeit, die der Regisseur ihnen widmet, und das zugleich komplexe und einfache Beziehungssystem, dem sie angehören, erlauben allen, auf der Leinwand eine starke Existenz zu entfalten. Doch die Elemente der Natur (Wind, Regen, die Berge, der Wald im Laufe der Jahreszeiten und sogar das Meer) sind ebenso präsent wie die Menschen, und der Film wirft auch die Frage nach dem Platz des Menschen im Universum auf (‹Ist der Mensch etwas Grosses oder etwas Kleines?›), ohne naivem Pantheismus oder schwülstiger Poesie anheimzufallen.» (Claude Rieffel, aVoiraLire.com, 9/2010) 103 Min / Farbe / 35 mm / Jap/d/f // REGIE Kohei Oguri // DREHBUCH Kohei Oguri, Kiyoshi Kenmochi // KAMERA Kiyoshi Kenmochi // MUSIK Toshio Hosokawa // SCHNITT Nobuo Ogawa // MIT Koji Yakusho (Kamimura), Ahn Sung-Ki (Takuji, der schlafende Mann), Christine Hakim (Tia), Masaso Imafuku (Takujis Vater), Akiko Nomura (Takujis Mutter), Masako Yagi (Omoni).
DER AAL
(Unagi) Japan 1997 Der Büroangestellte Takuro begeht im Affekt einen Mord. Während seiner langen Haftstrafe hat er nur einen zahmen Aal als Gefährten. Die Rückkehr in die menschliche Gesellschaft fällt Takuro schwer, bis er eine junge Frau vor einem Selbstmordversuch rettet. Hauptdarsteller Koji Yakusho wurde mit dem japanischen Academy Award und dem Kinema Junpo Award ausgezeichnet; Shohei Imamura gewann 1997 mit Der Aal in Cannes die Goldene Palme. «Mit der Gelassenheit von mehr als vier RegieJahrzehnten zelebriert der 72-jährige Regisseur einen provozierenden Stil der Kontemplation, in dem sich die Kunst der Reduktion nahtlos mit einem Realismus vereint, der die Authentizität von Schauplätzen und Zeitumständen wahrt, ohne das Reich der Träume auszusperren. (...) In der Geschichte eines emotional gehemmten Mörders handelt Imamura von der Gegenwart seines Landes, von Isolation, Angst und den Verkrustungen einer autoritären Männerwelt.» (Josef Lederle, film-dienst 3/1998) 117 Min / Farbe / 35 mm / Jap/d/f // REGIE Shohei Imamura // DREHBUCH Motofumi Tomikawa, Daisuke Tengan, Shohei
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Koji Yakusho. Imamura, nach dem Roman «Yami ni Hirameku» von Akira Yoshimura // KAMERA Shigeru Komatsubara // MUSIK Shinichiro Ikebe // SCHNITT Hajime Okayasu // MIT Koji Yakusho (Takuro Yamashita), Misa Shimizu (Keiko Hattori), Fujio Tsuneta (Jiro Nakajima), Mitsuko Baisho (Misako Nakajima), Akira Emoto (Tamotsu Takasaki).
CURE
(Kyua) Japan 1997 Im ersten von bisher acht Filmen unter der Regie von Kiyoshi Kurosawa verkörpert Koji Yakusho den Polizisten Takabe, der zusammen mit dem Psychiater Sakuma eine bizarre Mordserie aufklären soll. Während sich alle Opfer durch ein eingeschnittenes X im Brustbereich auszeichnen, sind die Täter ahnungslose Durchschnittsbürger, die von ihrer Bluttat nichts mehr wissen. Die Ermittler stossen auf einen jungen Mann namens Mamiya, der offenbar fähig ist, mittels Mesmerismus Menschen zu Mördern zu machen. Takabe, der privat mit den psychischen Problemen seiner Frau zu kämpfen hat, bangt bald selbst um seinen Verstand. «In Cure, Kiyoshi Kurosawas hypnotischem Trip in die Abgründe des menschlichen Geistes, findet das Thema seine perfekte Entsprechung im Ton und der Atmosphäre. (...) Autor und Regisseur Kurosawa liegt offensichtlich weniger an normalen Methoden der Verbrechensaufklärung und sauberen Erklärungen als an einer Darstellung des Wahnsinns als Produkt des modernen Chaos.» (David Rooney, Variety, 10.3.1998) 111 Min / Farbe / 35 mm / Jap/e // DREHBUCH UND REGIE Kyoshi Kurosawa // KAMERA Tokusho Kikumura // MUSIK Gary Ashiya // SCHNITT Kann Suzuki // MIT Koji Yakusho (Kenichi Takabe), Masato Hagiwara (Kunio Mamiya), Tsuyoshi Ujiki (Makoto Sakuma), Anna Nakagawa (Fumie Takabe), Yoriko Doguchi (Dr. Akiko Miyajima), Yukijiro Hotaru (Ichiro Kuwano), Ren Osugi (Fujiwara), Denden (Oida), Masahiro Toda (Toru Hanaoka), Misayo Haruki (Tomoko Hanaoka), Shun Nakayama (Kimura), Akira Otaka (Yasukawa).
DORA-HEITA Japan 2000 «Basierend auf einem Drehbuch, das Kon Ichikawa schon 1969 gemeinsam mit den berühmten Regisseurskollegen Akira Kurosawa, Keisuke Kinoshita und Masaki Kobayashi verfasst hatte, um dem damals in der Krise befindlichen japanischen Kino neue Möglichkeiten auch ausserhalb des eigenen Landes zu eröffnen, erzählt sein jüngster
Samurai-Film vom unkonventionellen Kampf eines neu berufenen Richters gegen eine Bande finsterer Schurken in einer kleinen japanischen Gemeinde.» (Katalog Berlinale 2000) Dem Magistraten Koheita Mochizuki eilt ein übler Ruf voraus; sein Spitzname «Dora-Heita» bedeutet streunender Kater. Tatsächlich erscheint er gar nie in seiner neuen Amtsstube, sondern treibt sich heimlich und unbefugt im verruchten Hafenviertel herum, wo er allerlei Kontakte zur Unterwelt knüpft. Dabei spürt er nicht nur diverse Verbrecher auf, sondern auch die korrupten Beamten, die von ihnen profitieren. Das macht Koheita in den eigenen Reihen unbeliebt und bringt ihn in Gefahr. Koji Yakusho tritt als «Dora-Heita» in die Fussstapfen Toshiro Mifunes, der den schlitzohrigen Samurai ursprünglich verkörpern sollte. (mb) DI, 17. FEB. | 18.00 UHR ZU GAST: KOJI YAKUSHO 111 Min / Farbe / 35 mm / Jap/d // REGIE Kon Ichikawa // DREHBUCH Akira Kurosawa, Keisuke Kinoshita, Kon Ichikawa, Masaki Kobayashi, nach dem Roman «Machi bugyo nikki» von Shugoro Yamamoto // KAMERA Yukio Isohata // MUSIK Kensaku Tanikawa // SCHNITT Chizuko Osada // MIT Koji Yakusho (Koheita Mochizuki/«Dora-Heita»), Yuko Asano (Kosei), Tsurutaro Kataoka (Hanzo Yasukawa), Ryudo Uzaki (Giyoro Senba), Bunta Sugawara (Nadahachi), Renji Ishibashi (Saibei).
EUREKA Japan 2000 Zwei Kinder und der Fahrer überleben als einzige die Entführung eines Busses durch einen Amokläufer. Das Schockerlebnis kettet sie während Jahren aneinander und tritt erst im Lauf einer gemeinsamen Reise allmählich in den Hintergrund. «Teilweise ein Actionfilm, ein Roadmovie, ein Whodunit und ein Slasher-Film, handelt Eureka in einem tieferen Sinn vom unermesslichen und bleibenden Schaden, den jene erleiden, welche sinnlose Gewalt erlebt haben. Während eines grossen Teils des Films scheinen die drei Überlebenden einer Schiesserei zum ‹ewigen Wandern zwischen den Winden› verdammt zu sein, um es mit einem Zitat aus John Fords The Searchers zu sagen, den Aoyama als eine Inspirationsquelle anführt. Obschon der Film auch dichte, verstörende Momente aufweist, (...) baut er zum grössten Teil auf lange Sequenzen, die manche Kritiker als steril kritisiert haben. Gerade sie erweisen sich aber als erstaunlich kraftvoller und präziser Ausdruck der Leere, welche die Charaktere erfahren. Und als eine genuin japanische Reise in einen offenen Raum, der traditioneller Bedeutun-
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Koji Yakusho. gen entleert ist, gewinnen sie eine ganz eigene, hypnotische, meditative Qualität.» (Fred Camper, Chicago Reader, 4.5.2001) «Eureka verkörpert nicht mehr und nicht weniger als ein seltenes Beispiel der Verschmelzung Foucaultscher Theorien und westlich geprägter Kinematografie mit fernöstlicher Mystik und Ästhetik. Ein Glücksfall für die mit Innovationen chronisch unterversorgte Filmlandschaft.» (Claus Löser, film-dienst 23/2001) 217 Min / sw / 35 mm / Jap/d // DREHBUCH UND REGIE Shinji Aoyama // KAMERA Masaki Tamura // MUSIK Shinji Aoyama, Isao Yamada // SCHNITT Shinji Aoyama // MIT Koji Yakusho (Makoto Sawai), Aoi Miyazaki (Kozue Tamura), Masaru Miya zaki (Naoki Tamura), Yoichiro Saito (Akihiko), Sayuri Kokusho (Yumiko), Ken Mitsuishi (Shigeo), Yutaka Matsushige (Matsuoka), Go Riju (Bus-Entführer).
WARM WATER UNDER A RED BRIDGE (Akai hashi noshitano nurui mizu) Japan/Frankreich 2001
Vier Jahre nach Der Aal setzte Shohei Imamura Koji Yakusho und Misa Shimizu in einer völlig anderen Geschichte in Szene: Yosuke, arbeitslos und desorientiert, hadert mit seiner Frau und dem Leben. Als er von einem goldenen Buddha hört, der vor langem gestohlen und bei einer roten Brücke versteckt wurde, macht er sich auf die Suche nach dem Schatz. Er wird fündig, aber anders als er dachte. Am angegebenen Ort stösst er auf Saeko, eine Frau mit einem ganz eigenen Problem: In ihr bauen sich Wassermassen auf, die nur durch Sex freigesetzt werden können. Yosukes Begegnung mit diesem wandelnden Lebensquell verändert nicht nur sein Dasein. Imamuras eigenwillige Fabel handelt von Männerfantasien über weibliche Sexualität und vom Gegensatz zwischen der lebensfeindlichen bürgerlichen Ordnung und der ungehemmt sprudelnden Natur. Diese Spannung spiegelt sich auch im Kontrast zwischen der ruhigen, kunstvollen Bildgestaltung und der ungehemmten und anarchischen Handlung des Films. (mb) «Nur in einem Land, wo Körperfunktionen sachlich diskutiert werden, wo öffentliches Nacktbaden keinen Anstoss erregt und wo die Verschämtheit über die sanitären Anlagen des Menschen nicht ritualisiert worden ist, könnte dieser Film so ankommen, wie Imamura ihn gemeint hat. Ihn als Westler zu sehen, ist jedoch ein erhellendes, gar befreiendes Erlebnis.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 27.9.2002) 119 Min / Farbe / 35 mm / Jap/d/f // REGIE Shohei Imamura // DREHBUCH Motofumi Tomikawa, Daisuke Tengan, Shohei
Imamura, nach dem Roman von Yo Henmi // KAMERA Shigeru Kamatsubara // MUSIK Shinichiro Ikebe // SCHNITT Hajime Okayasu // MIT Koji Yakusho (Sasano Yosuke), Misa Shimizu (Aizawa Saeko), Mitsuko Baisho (Aizawa Mitsu), Mansaku Fuwa (Gen), Kazuo Katramura (Taro).
BABEL Frankreich/USA/Mexiko 2006 «Ein Schuss aus einem Gewehr in der Wüste Marokkos ist der auslösende Moment für eine Kette von Ereignissen in vier Schicksalen von unterschiedlichen Menschen, die sich auf drei unterschiedlichen Kontinenten befinden: Der amerikanische Tourist Richard und seine Frau Susan, ein mexikanisches Kindermädchen, ein taubstummer japanischer Teenager und zwei kleine Jungs, die wissen, dass sie etwas Furchtbares getan haben.» (allesfilm.com) «Trotz des monumentalen Titels und seines ambitionierten Anliegens ist Babel kein grössenwahnsinniger Film geworden. Iñárritus Episoden sind wesentlich intimistischer als in seinen ersten beiden Filmen (Amores perros und 21 Grams). Die Aufmerksamkeit des Regisseurs richtet sich auf die Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit seiner Figuren.» (Martin Rosefeldt, Die Zeit, 2.2.2009) Koji Yakusho, der in Babel Yasujiro Wataya, den Vater des japanischen Teenagers Chieko, spielt, wurde gemeinsam mit Brad Pitt, Cate Blanchett, Adriana Barraza, Rinko Kikuchi und Gael García Bernal mit mehreren Darstellerpreisen ausgezeichnet. Alejandro González Iñárritus neuer Film Birdman macht derzeit im Kino Furore. 143 Min / Farbe / 35 mm / OV/d/f // REGIE Alejandro González Iñárritu // DREHBUCH Guillermo Arriaga, nach einer Idee von Guillermo Arriaga und Alejandro González Iñárritu // KAMERA Rodrigo Prieto // MUSIK Gustavo Santaolalla // SCHNITT Stephen Mirrione, Douglas Crise // MIT Koji Yakusho (Yasujiro Wataya), Brad Pitt (Richard Jones), Cate Blanchett (Susan Jones), Rinko Kikuchi (Chieko Wataya), Gael García Bernal (Santiago), Adriana Barraza (Amelia).
TOAD’S OIL
(Gama no abura) Japan 2009 Koji Yakushos Regiedebüt Toad’s Oil «porträtiert die in Tokio lebende Familie Yazawa und deren Bekannte, die alle mit dem plötzlichen Verlust des einzigen Sohnes, Takuya, fertig werden müssen. Der Protagonist, Takuyas Vater Takuro, gespielt von Yakusho, ist ein grossmäuliger Börsenspekulant und Millionär, der als symbolischer Exponent weltlicher Habgier gezeichnet wird. Als
> The Woodsman and the Rain.
> The World of Kanako.
> Toadâ&#x20AC;&#x2122;s Oil.
> Warm Water Under a Red Bridge.
> 13 Assassins.
> Babel.
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Koji Yakusho. aber sein Sohn stirbt, beginnt er eine spirituelle Reise auf der Suche nach dem wahren Glück, bei der er sich auf tief empfundene, oft komische und sogar mythische Weise mit Takuyas Freunden, den Toten und spirituellen Wesen auseinandersetzen muss.» (Hiroshi Matsubara, Asahi Weekly, 3.5.2009) «Wie der Oscar-gekrönte Film Departures eröffnet auch Toad’s Oil einen faszinierenden Blick auf das Verhältnis der Japaner zu Tod und Sterben. Zwar ist der Film thematisch und visuell in der japanischen Kultur verwurzelt, doch mit seiner Botschaft kann sich jeder identifizieren: dass die Geister der Lieben, die verstorben sind, weiter existieren, solange wir ihrer gedenken und sie in Ehren halten.» (Catherine Munroe Hotes, Nishikata Film Review, 15.5.2010) 131 Min / Farbe / 35 mm / Jap/e // REGIE Koji Yakusho // DREHBUCH Urara, nach einer Vorlage von Koji Yakusho, Hideko Nakata // KAMERA Toyomichi Kurita // MUSIK Neko Saito // SCHNITT Soichi Ueno // MIT Koji Yakusho (Takuro Yazawa), Satomi Kobayashi (Terumi Yazawa/Oteru), Eita (Takuya Yazawa), Kaoru Yachigusa (Tiyo Arai), Toru Masuoka (Koutaro), Fumi Nikaido (Hikari Horie), Junichi Sawayashiki (Saburo Akiba).
13 ASSASSINS ( Jusan-nin no shikaku) Japan/GB 2010 Wie Eiichi Kudos Original von 1963 dreht sich Takashi Miikes Remake um eine Verschwörung von Samurai, die im Auftrag des Ältestenrats den sadistischen Fürsten Naritsugu ermorden sollen, bevor dieser noch mehr Macht bekommt. Koji Yakusho verkörpert den Anführer der Attentäter, die um des Gemeinwohls willen gegen den Kadavergehorsam des Samurai-Kodex verstossen. «Miikes Inszenierung ist schnörkellos und elegant, mit langen Einstellungen und prägnanten Dialogen, die er nicht ins Pathetische steigert. Der stille Zorn, mit dem sich die Männer auf die Ankunft des Fürsten vorbereiten und dabei ein ganzes Dorf als tödliche Falle umgestalten, schlägt in der zweiten Hälfte in furioses Actionkino um. Die 13 Verschwörer sehen sich 200 Männern gegenüber, und es wird eine Schlacht entfesselt, die nur noch wenig mit den ästhetischen Kampfballetten etwa in Crouching Tiger, Hidden Dragon zu tun hat. Es sind raue, wirkliche Kämpfe, die auf Leben und Tod ausgefochten werden.» (Sascha Koebner, film-dienst 22/2011) 126 Min / Farbe / Digital HD / Jap/d // REGIE Takashi Miike // DREHBUCH Daisuke Tengan, nach einem Drehbuch von Kaneo Ikegami // KAMERA Nobuyasu Kita // MUSIK Koji Endo
// SCHNITT Kenji Yamashita // MIT Koji Yakusho (Shinzaemon Shimada), Takayuki Yamada (Shinrokuro Shimada), Yusuke Iseya (Koyata Kiga), Ikki Sawamura (Gunjiro Mitsuhashi), Masachika Ichimura (Hanbei Kito), Goro Inagaki (Naritsugu Matsudaira), Arata Furuta (Heizo Sahara), Sosuke Takaoka (Yasokichi Hioki), Seiji Rokkaku (Mosuke Otake), Kazuki Namioka (Rihei Ishizuka), Koen Kondo (Yahachi Horii), Tsuyoshi Ihara (Kujuro Hirayama).
CHRONICLE OF MY MOTHER (Waga haha no ki) Japan 2011
Der erfolgreiche Autor Kosaku hat in seinen Werken stets seine Familie miteinbezogen, sowohl als Inspiration für die Handlung als auch bei Herstellung und Vertrieb seiner Bücher. Nach dem Tod ihres Vaters Ende der fünfziger Jahre müssen sich Kosaku und seine Schwestern vermehrt um die Mutter Yae kümmern, die in den folgenden Jahrzehnten zunehmend dement wird. Kosakus Tochter Kotoko, die Fotografin werden will, beobachtet die Veränderungen in der Familie und versucht zu verstehen, woher der Groll rührt, den ihr Vater gegen Yae hegt und der stets eine Triebkraft seines Schaffens war. Masato Haradas Adaptation der autobiografischen Erzählungen von Yasushi Inoue (deutsch: «Meine Mutter») ist in ihrer subtilen Zeichnung familiärer Beziehungen klar von Yasujiro Ozu inspiriert. Im Unterschied zu Inoues Vorlage, die stark von der patriarchalischen Perspektive des Autors und des Erzählers geprägt ist, baut Harada mit Kotoko einen Gegenpol auf, der eine weibliche und junge Sichtweise einbringt. Chronicle of My Mother wurde 2011 in Montréal mit dem Special Grand Prix der Jury ausgezeichnet. (mb) 108 Min / Farbe / Digital HD / Jap/e // REGIE Masato Harada // DREHBUCH Masato Harada, nach autobiografischen Erzählungen von Yasushi Inoue // KAMERA Akiko Ashizawa // MUSIK Harumi Fuki // SCHNITT Eugene Harada // MIT Koji Yakusho (Kosaku), Kaho Minami (Kuwako), Aoi Miyazaki (Kotoko), Kirin Kiki (Yae), Takahiro Miura (Segawa), Kumiko Ito (Tamayo), Rentaro Mikuni (Hayato), Mimura (Ikuko), H iroyuki Fujii (Ochiai), Tomomi Sato (Nipponmaru-Matrose).
THE WOODSMAN AND THE RAIN (Kitsutsuki to ame) Japan 2011
Der 60-jährige Holzfäller Katsuhiko wird bei der Arbeit gestört, weil ein Filmteam in seinem abgelegenen Waldbezirk einen Zombie-Streifen drehen will. Wider Willen in die ihm völlig fremde
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Koji Yakusho.
> Schritt hinter die Kamera: Koji Yakusho inszeniert Toad’s Oil.
Welt der Filmschaffenden hineingezogen, ist Katsuhiko bald fasziniert, und zwischen dem ruppigen Landarbeiter und dem überforderten jungen Regiedebütanten Koichi aus der Stadt entspinnt sich eine Art Vater-Sohn-Beziehung. «Vor allem strahlt The Woodsman and the Rain eine tiefe Liebe zu Filmen aus, selbst solchen über läppische Zombie-Apokalypsen. Wie Katsuhiko, der mit glänzenden Augen Koichis Drehbuch liest, uns in Erinnerung ruft, hat das Erzählen von Geschichten für die Kamera etwas Magisches an sich, das jeder verstehen kann, sogar (oder besser: erst recht) einer, der sein Leben im Wald verbracht hat und nicht im Kino.» (Mark Schilling, The Japan Times, 10.2.2012) 129 Min / Farbe / Digital HD / Jap/e // REGIE Shuichi Okita // DREHBUCH Fumio Moriya, Shuichi Okita, nach seinem Roman // KAMERA Yuta Tsukinaga // MUSIK o mu-tone, Gen Hoshino // SCHNITT Takashi Sato // MIT Koji Yakusho (Katsuhiko), Shun Oguri (Koichi), Tsutomu Yamazaki, Kengo Kora, Masato Ibu, Asami Usuda.
THE WORLD OF KANAKO (Kawaki) Japan 2014
mas Suche führt ihn in die Unterwelt und gerät zum Amoklauf; er muss feststellen, dass seine vergötterte Tochter alles andere als ein Opfer ist. Tetsuya Nakashima erkundet nach Confessions erneut die Entfremdung der Generationen, diesmal im furiosen Stil von Park Chan-wooks Oldboy. «Nakashima und sein Team spielen auf japanische und amerikanische Exploitation-Streifen der sechziger und siebziger Jahre an, aber wenige dieser Filme (oder andere klare Vorläufer wie Paul Schraders Hardcore) wagten es, eine so schwarze Seele zu zeigen und den durchgeknallten Antihelden partout nicht mit einem rettenswerten Teenager aufzuwiegen. (...) Gegen Ende steht der Film auf der Kippe, denn jede neue Enthüllung droht The World of Kanako ebenso hohl zu machen wie das Mädchen selbst, aber dank der masochistischen Entschlossenheit von Yakushos Darbietung bleibt das Ganze verstörend menschlich.» (John DeFore, The Hollywood Reporter, 22.9.2014) 118 Min / Farbe / DCP / Jap/e // REGIE Tetsuya Nakashima // DREHBUCH Tetsuya Nakashima, Miako Tadano, Nobuhiro Monma, nach einem Roman von Akio Fukamachi // KAMERA Shoichi Ato // SCHNITT Yoshiyuki Koike // MIT Koji Yakusho (Akikazu Fujishima), Nana Komatsu (Kanako Fujishima),
Geschieden und versoffen, arbeitet Ex-Cop Fujishima als Wachmann. Durch einen Mordfall kommt er wieder in Kontakt mit der Polizei, und seine Exfrau bittet ihn, ihre verschwundene 17-jährige Tochter Kanako aufzuspüren. Fujishi-
Satoshi Tsumabuki (Inspektor Asai), Hiroya Shimizu (Ich/ Erzähler), Fumi Nikaido (Nami Endo), Ai Hashimoto (Emi Morishita), Jun Kunimura (Dr. Tsujimura), Jo Odagiri (Inspektor Aikawa), Miki Nakatani (Rie Azuma), Aoi Morikawa (Tomoko Nagano), Munetaka Aoki (Sakiyama).
15 Fritz Kortner
Die Filme des Gestaltungsbesessenen Fritz Kortner (1892 –1970) ist vor allem bekannt als einer der Grossen der deutschsprachigen Bühne. Im Rahmen der Viennale 2014 hat das Filmarchiv Austria Kortners Filmarbeit eine Retrospektive gewidmet, die aufgezeigt hat, dass auch viele seiner Filmrollen ebenso sehenswert bleiben wie die nach seinen Drehbüchern entstandenen Werke und die wenigen Filme, in denen er Regie geführt hat. Als Schauspieler gehörte der in Wien geborene und ausgebildete Fritz Kortner in den 1920er Jahren zu den absoluten Stars. Von 1949 an wurde er zu jenem Regisseur, der für die Befreiung des bundesdeutschen Theaters vom pseudoinnerlichen Getöne der Nazizeit so Wesentliches leistete wie Bertolt Brecht als Theaterpraktiker in Ostberlin. Kortners Einfluss auf die nachfolgende Generation war immens. Noch bevor Kortner sich in der Spielzeit 1919/1920 erfolgreich auf den Berliner Bühnen durchsetzte, hatte er bereits in 16 Filmen als Darsteller mitgewirkt – und in zweien (leider nicht erhaltenen) selbst Regie geführt. Mag der Antrieb zu diesen Ausflügen ins Studio anfänglich durchaus an mangelnder Auslastung durch interessante Bühnenrollen gelegen haben, dass er dem Film auch neben seiner fulminanten Theaterkarriere treu blieb, zeugt von einer nachhaltigen Faszination. Vom Stummfilmdarsteller zum Komödienregisseur Rasch hat Kortner den in den 1910er Jahren weit verbreiteten äusserlichen Darstellungsstil überwunden und auch vor der Kamera nach einem unverwechselbaren Ausdruck gesucht, der die innere Bewegung der Figur ausdrückt, ohne zu oberflächlich-konventionellen Mitteln zu greifen. Ähnlich wie auf der Bühne konnte er sich im Film nicht nur in eine naturalistische Regiekonzeption einordnen, sondern auch in eine expressionistische, wie er etwa in Hintertreppe (Leopold Jessner/Paul Leni, 1921) oder Schatten (Arthur Robison, 1923) bewies. Kortners mit gutem Grund berühmteste Stummfilmpräsenz ist die Rolle des Dr. Schön in Georg Wilhelm Pabsts Wedekind-Adaptation Die Büchse der Pandora. Mit realistisch-zurückhaltenden Mitteln gestaltete er im Film den inneren Widerstreit des Chefredakteurs, der Lulu in ihrer Sinnlichkeit hoffnungslos verfallen ist, sich um seiner Karriere willen aber von ihr lösen möchte. Beschränken sich andere Darsteller gerne auf den Ausdruck eines Ge-
17 fühls, hat Kortner die Ambition, das Verhalten der Figuren als Resultat innerer Kämpfe zwischen unterschiedlichen Gefühlen zu gestalten. Oft wurde Kortner als Bühnendarsteller für die geistige Durchdringung und rhetorische Formung des Textes gerühmt, doch hat er seine Figuren in hohem Masse auch gestisch und mimisch angepackt. Viele seiner Stummfilmrollen belegen, dass die körperliche Umsetzung so «sprechend» war, dass er keines Dialogtextes bedurfte, um so unterschiedliche Figuren wie einen Bauernknecht, Beethoven, einen gehemmt-tyrannischen jungen Gouverneur oder einen aalglatten Fabrikdirektor eindrücklich zu gestalten. Im frühen deutschen Tonfilm griff man gerne auf den bühnenbewährten prägnanten Sprecher mit grosser Filmerfahrung zurück. Als Oberst Alfred Dreyfus (im gleichnamigen Film von Richard Oswald, 1930) spielte Kortner erschütternd den von den Höhen gesellschaftlicher Respektabilität in den Abgrund der Verbannung Gestürzten, der das Ungeheuerliche des ihm widerfahrenen Unrechts erst nach und nach zu fassen beginnt. Kortner hat sicher eigene Erlebnisse von antisemitischen Angriffen in die Rolle eingebracht. Während verschiedene Anläufe Kortners scheiterten, im Theater Regie zu führen, fand er ab 1931 entsprechende Betätigungsmöglichkeiten im Film, etwa in der Komödie Der brave Sünder, die er nach einem Drehbuch von Alfred Polgar realisierte. Sie wurde zum Erfolg, wohl nicht zuletzt dank dem legendären Bühnenkomiker Max Pallenberg in der Hauptrolle. Seiner Muttersprache beraubt Die Nationalsozialisten hatten Kortner als «jüdischen Kulturbolschewisten» zu einem ihrer Lieblingsfeinde erkoren. So war für ihn 1933 die Notwendigkeit der Emigration evident. Über Wien gelangte er nach London, wo man dem Star grössere Filmrollen anbot, obwohl er sich mit dem Erlernen der englischen Sprache schwertat. In Abdul the Damned (1935), einem Film über die Verlogenheit und den Zynismus jeder Machtpolitik, spielte Kortner nicht nur die Haupt- bzw. Doppelrolle, sondern er hatte (wenn auch ungenannt) das Drehbuch mitverfasst. Den Londoner Produzenten wurde aber bald klar, dass sie sich mit der Besetzung des den Nazis so verhassten Darstellers den gewichtigen Absatzmarkt Deutschland verschlossen. Kortner entschied sich daher 1937, sein Glück in den USA zu versuchen. Jenseits des Ozeans war er anfänglich als Schauspieler nicht gefragt. Er schrieb ein Bühnenstück und mehrere Drehbücher. Erst als Hollywood begann, Anti-Nazi-Filme zu drehen, gab es für Kortner – wie für viele der emigrierten Schauspieler – Arbeit.
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V on naiver Verliebtheit zum eifersüchtigen Wahn: Fritz Kortner als rasender Ehemann in Schatten (Arthur Robinson, 1923)
18 Mit The Strange Death of Adolf Hitler (1943) durfte er die Verfilmung eines seiner Drehbücher erleben und als Darsteller mitgestalten. Der Film versucht, den Amerikanern die Situation im Nazireich näherzubringen. Geschickt bedient er sich dafür vertrauter Genrefilmanklänge und unterschlägt neben der grossen Tragik auch die unfreiwillige Komik der Popanze nicht. Nach vielen vergeblichen Anläufen wird Kortner schliesslich Anfang 1946 von Twentieth Century Fox als «contract player» und Drehbuchautor engagiert. Seine Situation ist, anders als die vieler seiner Exilgefährten, wirtschaftlich solide, doch künstlerisch unbefriedigend, als er sich, nunmehr US-Bürger geworden, Ende 1947 entschliesst, nach Deutschland zurückzukehren. Die schwierige Rückkehr Wegen seines engen Kontakts zu Brecht und anderen linken Emigranten hatte Kortner den Argwohn des FBI erregt. Das dürfte einer der Gründe sein, weshalb ihm von den US-Besatzungsbehörden anfänglich jede schauspielerische oder Regie-Betätigung in Deutschland verunmöglicht wurde. Schliesslich erwirkte Erich Pommer als Filmoffizier der US-Militärverwaltung, dass ein Drehbuch Kortners mit ihm selbst und seiner Frau Johanna Hofer in den Hauptrollen realisiert werden konnte. Der Ruf (1949), deutlich den engagiert-aufklärerischen Impuls der Anti-Nazi-Filme fortführend, schildert die Rückkehrschwierigkeiten der Emigranten und auch den im Nachkriegsdeutschland noch immer virulenten Antisemitismus. Dieser Thematik verschloss sich damals das deutsche Publikum; heute gilt der Film zusammen mit Peter Lorres Der Verlorene als wichtigstes Zeugnis des – weitgehend unerwünschten – Versuchs von Remigranten, künstlerische und politische Impulse für einen deutschen Neuanfang zu geben. Nach einigen wenigen Film- und Theaterrollen sowie zwei Filmen in eigener Regie konzentrierte sich Kortner ab Mitte der Fünfzigerjahre auf die vor 1933 vergeblich angestrebte Stellung als Theaterregisseur und verabschiedete sich vom Film. Nur für das Fernsehen drehte er noch Die Sendung der Lysistrata (1961), einen höchst unbequemen Beitrag zur bundesdeutschen Remilitarisierungsdebatte. Kortners aus einem humanistischen Welt- und Menschenbild resultierende besessene Suche nach dem unverbrauchten und authentischen Ausdruck menschlicher Empfindungen zieht sich als roter Faden durch seine Arbeit. Kortner war selbst nie zufrieden mit dem Erreichten, und vielleicht liegt seine Stärke auch eher in den herausragenden und massstabsetzenden Höhepunkten als in einem durchgehend perfekten Gleichmass. Gerade das macht die Wiederbegegnung mit dem Schauspieler und Regisseur Kortner so anregend. Martin Girod
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Fritz Kortner.
HINTERTREPPE Deutschland 1921 Leopold Jessner gilt mit seinen Berliner Inszenierungen von «Wilhelm Tell», «Marquis von Keith» und «Richard III.», alle mit Kortner, als Hauptexponent des expressionistischen Theaters. Die Zusammenarbeit setzte er in seinem ersten Film fort. «Jessner hat sichtbar gesucht, Formen der expressionistischen Szenengestaltung auf den Film zu übertragen. Der psychologische Ausdruck der Gebärde verkürzt sich zu starken, sparsamen Gesten, er arbeitet mit Andeutungen, statt voll ausklingen zu lassen, und schafft dann wieder Konzentrationsmomente im starken Ausbruch.» (Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film, Berlin 1926) Die Szenerie mit der Briefträgerwohnung im Souterrain und der titelgebenden Hintertreppe, die als Dienstboteneingang zur Küche der bürgerlichen Wohnung führt, ist im Ansatz durchaus naturalistisch, nur die akzentuierenden Zuspitzungen erinnern an den Expressionismus. Ähnliches gilt für Kortners Verkörperung des schüchternen, buckligen Postboten, der in seiner Verliebtheit, angesichts der aussichtslosen Konkurrenz mit dem stämmigen Verlobten, zu argen Listen Zuflucht nimmt. In seiner Figur ist immer ein sehr realer Kern zu spüren, doch wird sie durch das gedehnt expressive Spiel überhöht. ca. 50 Min / sw / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // REGIE Leopold Jessner, Paul Leni // DREHBUCH Carl Mayer // K AMERA Karl Hasselmann // MIT Henny Porten (das Dienstmädchen), Fritz Kortner (der Briefträger), Wilhelm Dieterle (der Bauarbeiter).
DO, 19. FEB. | 18.15 UHR EINFÜHRUNG Einleitend zur Vorführung von Hintertreppe er läutert Martin Girod anhand von Filmausschnitten die Eigenart und die Entwicklung Kortners als Filmschauspieler (ca. 60 Min.).
SCHATTEN – EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION Deutschland 1923 In Schatten sind die expressionistischen Momente eingebettet in eine Rahmenhandlung. Die stilis tische Übersteigerung dient der Darstellung einer klaustrophoben Scheinwelt, in der Schatten, Spiegelbilder und sonstige Täuschungen die latente Eifersucht des Grafen zum (gespielten) Drama werden lassen. Schon der «Rahmen» am Anfang ist die Zeichnung eines wahnhaften Zu-
stands, die Figuren (der eifersüchtige Ehemann, die kokette Frau, der hemmungslose Galan) gebärden sich fast wie Puppen, nur wenig lebendiger als die Schattenfiguren des Puppenspielers. Das im hypnotischen Trancezustand imaginierte Spiel steigert diese Züge noch vollends ins Absurde, bis das symbolische Aufstossen eines Fensters und der Blick nach draussen, auf den Platz mit seinem Markttreiben, die allmähliche Rückkehr zu Besonnenheit und Alltagsnormalität einleitet. Kortners Interpretation des Grafen bewegt sich fliessend vom realistischen Ausgangspunkt naiver Verliebtheit zum Wahn fratzenhafter Eifersucht, bis sich der Bann am Ende löst. Auch hier vermag der Schauspieler, den Intentionen des Filmemachers folgend, naturalistische wie expressiv überhöhte Darstellungsformen adäquat einzubringen. ca. 85 Min / sw, tinted / 35 mm / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // RESTAURIERTE FASSUNG // REGIE Arthur Robison // DREHBUCH Rudolf Schneider, Arthur Robison, nach einer Idee von Albin Grau // KAMERA Fritz Arno Wagner // MIT Fritz Kortner (der Graf), Ruth Weyer (seine Frau), Gustav von Wangenheim (ihr Liebhaber), Alexander Granach (der Schattenspieler), Fritz Rasp (Diener), Karl Platen (Diener), Ferdinand von Alten, Max Gülstorff (Kavaliere).
ORLACS HÄNDE Österreich 1925 «Einem Pianisten, der bei einem Zugunglück seine Hände verloren hat, werden die Hände eines hingerichteten Raubmörders transplantiert. Fortan wird er von panischen Angstzuständen heimgesucht, die erst ein Ende finden, als er ein teuflisches Komplott aufdecken kann.» (Lexikon des int. Films) Der sich immer mehr in einen Wahn steigernde Musiker und seine exaltierte Frau agieren stilisiert abgehoben, betont durch expressive Licht- und Schatteneffekte, Veidt wirkt, wie er zur S-Form verkrümmt umherwankt, einmal mehr fast nachtwandlerisch. Kortner dagegen in der Rolle des finsteren Manipulators setzt das «dämonische» Spiel als Mittel zum erpresserischen Zweck ein; sein schief gezogener Mund macht die Imponier-Anstrengung der Figur deutlich. Von der Polizei entlarvt, kommt ihr «wahres» Profil zum Vorschein: ein gewöhnlicher Ganove. Eine Konstellation, die es Kortner erlaubt, seine Beherrschung gegensätzlicher Stilmittel innerhalb des einen Films einzusetzen. 103 Min / sw / Digital SD / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // RESTAURIERTE FASSUNG // REGIE Robert Wiene // DREHBUCH Louis Nerz, nach dem Roman von Maurice Renard // KAMERA Günther Krampf, Hans Androschin // MIT Conrad
> Hintertreppe.
> Die B체chse der Pandora.
> Orlacs H채nde.
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Fritz Kortner. Veidt (Paul Orlac), Alexandra Sorina (Yvonne Orlac), Fritz Kortner (Nera), Carmen Cartellieri (Regine), Paul Askonas (Diener).
DIE BÜCHSE DER PANDORA Deutschland 1928 «Frank Wedekinds Dramen vom Aufstieg und Untergang der Tänzerin Lulu, die den Männern, denen sie begegnet, den Tod bringt, bis sie schliesslich selbst das Opfer des geheimnisvollen Mörders Jack the Ripper wird, sind von Pabst in einem Film zusammengefasst worden. (...) Er hat seinen Film ganz auf zwei Wirkungsmöglichkeiten gestellt: auf expressive Grossaufnahmen und auf atmosphärische Bildimpressionen.» (Reclams Filmführer) Aus Wedekinds Bühnenstück «Erdgeist» stammt die komplexe Figur des erfolgsverwöhnten Chefredakteurs, der offensichtlich auf gesellschaftliches Akzeptiertwerden erpicht, zugleich aber unfähig ist, der erotischen Leidenschaft zu Lulu, dem «Mädchen aus der Gosse», zu widerstehen, sodass er schliesslich nicht umhin kann, sie zu heiraten – und alsogleich an dieser Ehe zerbricht. Mit stupender Ökonomie der einge setzten Mittel erreicht Kortner eine Spitzenleistung schauspielerischen Nuancenreichtums. Innerhalb nur eines Aktes durchmisst er die Fallhöhe von dem sich in falscher Sicherheit wiegenden und triumphierenden Dr. Schön zu dessen gesellschaftlichem «Selbstmord». 119 Min / sw / DCP / Stummfilm mit dt. Zw’titeln // RESTAURIERTE FASSUNG // REGIE Georg Wilhelm Pabst // DREHBUCH Ladislaus Vajda, nach den Theaterstücken «Erdgeist» und «Die Büchse der Pandora» von Frank Wedekind // KAMERA Günther Krampf // MIT Louise Brooks (Lulu), Fritz Kortner (Dr. Peter Schön), Gustav Diessl (Jack the Ripper), Franz Lederer (Alva Schön), Carl Goetz (Schigolch), KrafftRaschig (Rodrigo Quast), Alice Roberts (Gräfin Geschwitz), Siegfried Arno (der Inspizient), Daisy d’Ora (Dr. Schöns Verlobte), Michael von Newlinsky (Marquis Casti-Piani).
DREYFUS Deutschland 1930 Verhaftung und Verurteilung wegen Landesverrats des französischen Generalstabsoffiziers Dreyfus, seine späte Begnadigung in den 1890er Jahren, schliesslich seine noch zögerlichere Rehabilitierung. «Eine Rekonstruktion der wesentlichen Ereignisse und Vorgänge des Falls. (…) [Ihn] 1930 in deutsche Filmtheater zu bringen erforderte Zivilcourage und demokratisches Engagement. (…) Historische Parallelen drängten sich förmlich
auf.» (Fred Gehler, in: Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933, Berlin DDR 1988) «Die Titelrolle stellt nur nominell die Hauptrolle dar; tatsächlich sind in diesem glänzend besetzten Historienfilm Heinrich George als Zola, Albert Bassermann als Colonel Picquart und Oskar Homolka als dem in Wahrheit schuldigen Major Walsin-Esterhazy die dankbareren Aufgaben zugefallen. Kortner verleiht dem jüdischen Offizier stille Würde, aber keinen Glanz und bleibt gerade so der historischen Wahrheit treu, dass der zum Spielball der Mächtigen Degradierte nicht Subjekt der ihm widerfahrenen Geschichte sein konnte, sondern ein Opfer ohne eigene Handlungsoptionen war.» (Christoph Brecht) 115 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Richard Oswald // DREHBUCH Heinz Goldberg, Fritz Wendhausen, nach dem Buch von Bruno Weil // KAMERA Friedl Behn-Grund // SCHNITT Hans Oser // MIT Fritz Kortner (Alfred Dreyfus), Grete Mosheim (Lucie), Heinrich George (Emile Zola), Albert Bassermann (Oberst Picquart), Oskar Homolka (Major Walsin-Esterhazy), Erwin Kalser (Mathieu Dreyfus, Alfreds Bruder), Ferdinand Hart (Major Henry), Fritz Rasp (Major du Paty de Clam), Paul Bildt (Georges Clémenceau), Fritz Kampers (Verteidiger Labori), Paul Henckels (Verteidiger Demange), Bernhard Goetzke (General Pellieux).
DER BRAVE SÜNDER Deutschland 1931 «Sicherlich die bedeutendste Hinterlassenschaft des Filmregisseurs Kortner – nicht nur einer der grossen Tonfilme der Weimarer Ära, sondern auch ein in seiner ästhetischen Faktur einzigartiges Stück Kino. Alfred Polgars am Theater durchgefallene Komödie ‹Die Defraudanten›, von Polgar selbst und Kortner für den Film gründlich umgearbeitet, stellt nur die – freilich solide – Grundlage für eine Tour de Force des grossen Max Pallenberg bereit: eine fast durchwegs atemberaubende, nicht nur das Publikum, sondern in gewisser Hinsicht auch den Film selbst überwältigende Darstellungsleistung. Hätten wir Der brave Sünder nicht, wir könnten uns aus dem Rest der filmischen Überlieferung kaum ein Bild machen von den erstaunlichen Fähigkeiten dieses Schauspielers. Umso grösser ist das Verdienst des Regisseurs Kortner, der sich einerseits bedingungslos auf die outrierte Performanz seines Protagonisten einlässt, dem es aber andererseits auch mit innovativen Mitteln gelingt, dessen darstellerisches Genie in Leinwandpräsenz zu übersetzen. Erzählt wird die bis heute unverwüstliche Geschichte vom Kleinbürger aus der Provinz, der in das Babel der modernen Grossstadt kommt, sich dort verirrt und auf Abwege gerät.» (Ines Steiner)
> Der MĂśrder Dimitri Karamasoff.
> Dreyfus.
> Der Ruf.
> Abdul the Damned.
> Die Sendung der Lysistrata.
> Der brave SĂźnder.
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Fritz Kortner. 109 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Fritz Kortner // DREHBUCH Alfred Polgar, Fritz Kortner, nach der Komödie «Die Defraudanten» von Alfred Polgar // KAMERA Günther Krampf // MUSIK Nikolaus Brodszky, Artur Guttmann // SCHNITT Géza Pollatschek // MIT Max Pallenberg (Leopold Pichler), Heinz Rühmann (Karl Wittek), Fritz Grünbaum (Klapka), Dolly Haas (Hedwig Pichler), Josefine Dora (Ludmilla Pichler), Julius Brandt (Geschäftsführer), Louis Ralph (Krull), Ekkehard Arendt (Direktor Härtl), Rose Poindexter (Kiddy).
DER MÖRDER DIMITRI KARAMASOFF Deutschland 1931 Eine Reduktion des Dostojewski-Romans auf wenige Elemente: auf die gespannte Beziehung zwischen Dimitri und seinem Vater; auf Gruschenka, die erst dem Vater, dann Dimitri den Kopf verdreht; auf den vom Diener Smerdjakoff begangenen Mord am alten Karamasoff, dessen Dimitri zu Unrecht angeklagt wird. «Kortner spielt den D imitri als einen Gehetzten, der gleichsam zum Untergang geboren ist; auch die Liebesszenen mit Anna Sten scheinen schon von der künftigen Katastrophe gezeichnet.» (Reclams Filmführer) «Ein Experimentalfilm und ein Publikumsfilm. Ein Ereignis. (…) Hier hat der Tonfilm die Vorarbeiten des stummen Films nicht verneint, nicht hochmütig abgetan, hier hat er sie fortgeführt und weiterentwickelt. (…) Thema, Regie, Schauspielkunst gehen restlos zusammen. Fritz Kortner als Dimitri Karamasoff steht beherr schend, aber eingeordnet im Ensemble. Seine Einfachheit ist nicht mehr Untertreibung, sie ist selbstverständlich und damit suggestiv geworden.» (Herbert Ihering, Berliner Börsen-Courier, 8.2.1931) 93 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Fedor Ozep // DREHBUCH Leonhard Frank, Fedor Ozep, Victor Trivas, nach Motiven des Romans von F. M. Dostojewski // KAMERA Friedl BehnGrund // MUSIK Karol Rathaus // SCHNITT Fedor Ozep // MIT Fritz Kortner (Dimitri Karamasoff), Anna Sten (Gruschenka), Max Pohl (der alte Karamasoff), Bernhard Minetti (Iwan Karamasoff), Fritz Rasp (Smerdjakoff), Hanna Waag (Katja), Fritz Alberti (Gerichtspräsident), Elisabeth Neumann (Fenja).
ABDUL THE DAMNED GB 1935 «Der despotische, unter Verfolgungswahn leidende Sultan Abdul Hamid befiehlt seinem Polizeichef, die jungtürkischen Rebellen zu unterwandern, sie in Misskredit zu bringen und schliesslich den alt-türkischen Führer Hassan Bey zu ermorden. Mag die Geschichte vom Aufstand der Jung-
türken auch im Jahre 1908 spielen – der von Fritz Kortner gespielte Abdul wirkt wie eine allegorische Darstellung Hitlers, das Massaker an den Jungtürken erinnert an die Ermordung Ernst Röhms und seiner SA-Führer durch Mitglieder der SS im Jahre 1934.» (Richard Falcon, in: London Calling, München 1993) Kortner hat (ungenannt) das Drehbuch mitverfasst und sich eine dankbare Doppelrolle geschrieben: als Sultan und als drittklassiger Schauspieler, der den Sultan doublieren soll und dabei kläglich versagt. Das unter Emigranten verbreitete Gerücht, Hitler habe einen Doppelgänger, mag hier wie später für The Strange Death of Adolf Hitler der Ausgangspunkt gewesen sein, doch gelingt es dem Film trotz konventionell- klischeehaften Elementen auf spannende Weise, die Verlogenheit und den Zynismus jeder Machtpolitik zu entlarven. 111 Min / sw / 35 mm / E // REGIE Karl Grune // DREHBUCH Ashley Dukes, Warren Chetham-Strode, Roger Burford, Fritz Kortner, nach einer Kurzgeschichte von von Robert Neumann // KAMERA Otto Kanturek // MUSIK Hanns Eisler // SCHNITT A.C. Hammond // MIT Fritz Kortner (Abdul Hamid II/Kislar), Nils Asther (Kadar Pasha), Adrienne Ames (Therese), John Stuart (Talak), Esme Percy (Ali, der Eunuch), Walter Rilla (Hassan Bey), Charles Carson (Halmi Pasha), Patric Knowles (Omar), Eric Portman (ein Verschwörer).
THE STRANGE DEATH OF ADOLF HITLER USA 1943 Ein Beamter, der zum Spass manchmal Hitlers Sprechweise verblüffend gut imitiert, wird von der SS entführt und als dessen Doppelgänger eingesetzt. Das von Kortner mitverfasste Drehbuch bietet den Rahmen für eine Menge politisch brisanter Fragen: Sich ducken oder Widerstand leisten? Individueller oder kollektiver Widerstand? Was kann das Attentat auf eine führende Persönlichkeit bewirken? Welche Rolle spielt das deutsche Militär? Doch gibt sich der Film nicht einen (letztlich begrenzten) dokumentarischen Anstrich, sondern entgeht der Kolportagegefahr, indem die Story mit dem beliebten Doppelgängermotiv ein fantastisches Moment enthält. «Dieses aus der Literatur der deutschen Romantiker stammende Motiv, das im Film über den deutschen Expressionismus bis hin zum ‹Gothic Horror›-Film Hollywoods gelangte, wird hier politisch eingesetzt. (…) Kaum ein anderer Film Hollywoods hat die Schuld des Mittelstandes an der faschistischen Machtübergabe so deutlich ausgesprochen.» (Jan-Christopher Horak: AntiNazi-Filme der deutschsprachigen Emigration von Hollywood 1939–1945, Münster 1984)
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Fritz Kortner. 74 Min / sw / 35 mm / E // REGIE James Hogan // DREHBUCH Fritz Kortner, nach einer Story von von Joe May, Fritz Kortner // KAMERA Jerome Ash // MUSIK Hans J. Salter // SCHNITT Milton Carruth // MIT Ludwig Donath (Franz Huber/Adolf Hitler), Gale Sondergaard (Anna Huber), George Dolenz (Hermann Marbach), Fritz Kortner (Karl Bauer), Ludwig Stössel (Graub), Willi Trenk-Trebitsch (Oberst von Zechwitz), Jack Mylong-Münz (General Halder), Hans Heinrich von Twardowski (ein Richter), Wolfgang Zilzer (Staatsanwalt), Ivan Triesault (Prinz Hohenberg), Ilka Grüning (eine Kleinbürgerin), Ernst Verebes (Graf Godeck).
DER RUF BRD 1949 «Das eigentliche Vermächtnis des Schauspielers – und übrigens auch das bleibende Denkmal des mit seinen dramatischen Versuchen für die Bühne mehrfach gescheiterten Autors – Fritz Kortner stellt das kurz nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten entstandene Melodram Der Ruf dar.» (Christoph Brecht) «1948 kehrt Professor Mauthner nach 15-jährigem Exil auf Einladung der Universität Göttingen in seine Heimat zurück. Deutschland aber bereitet dem Heimkehrenden grosse Enttäu schungen. Noch immer spürt Mauthner – selbst unter Berufskollegen – die alte Abneigung gegen seine jüdische Abstammung. (…) Obwohl Fritz Kortners ambitionierter Nachkriegsfilm – gerade auch der Ernsthaftigkeit seines Themas wegen – ein kolossaler wirtschaftlicher Misserfolg wurde, ist er neben Peter Lorres Der Verlorene (1951) das bedeutendste Filmdokument deutscher Remigration.» (Martin Prucha, in: Reclams Lexikon des deutschen Films, Stuttgart 1995) DI, 17. MÄRZ | 18.15 UHR EINFÜHRUNG: URSULA VON KEITZ, FILMUNIVERSITÄT BABELSBERG 104 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Josef von Baky // DREHBUCH Fritz Kortner // KAMERA Werner Krien // MUSIK Georg Haentzschel // SCHNITT Wolfgang Becker // MIT Fritz Kortner (Professor Mauthner), Johanna Hofer (Lina), Rosemary Murphy (Mary), Lina Carstens (Emma), William Sinnigen (Elliot), Charles Regnier (Bertram), Michael Murphy (Spencer), Ernst Schröder (Walter), Paul Hoffmann (Fechner), Arno Assmann (Kurt), Friedrich Domin (Helfert), Harald Mannl (Fränkl).
SARAJEVO Österreich 1955 «Der Besuch des österreichischen Thronfolgerpaares in Bosnien erfolgt im Juni 1914 aufgrund von Manövern an der serbischen Grenze. Als Ab-
schluss der Machtdemonstration ist ein Besuch Sarajevos geplant. (…) Vertraute des Thronfolgers Franz Ferdinand versuchen ihn in letzter Minute von seinem Besuch abzubringen, die Staatsräson aber verbietet eine Absage. (…) Die atmosphärisch dichte Rekonstruktion der letzten zwölf Stunden vor dem Attentat auf das österreichische Thronfolgerpaar (…) verknüpft private wie gesellschaftspolitische Handlungsebenen. Der daraus resultierende Spannungsaufbau sowie die einfühlsame Gestaltung der historischen Figuren heben diesen letzten Kinospielfilm Kortners über den Durchschnitt der biografischen Leinwandgemälde, die sich in den fünfziger Jahren grosser Beliebtheit erfreuten.» (Martin Prucha, in: Reclams Lexikon des deutschen Films, Stuttgart 1995) 95 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Fritz Kortner // DREHBUCH Robert Thoeren // KAMERA Heinz Hölscher // MUSIK Winfried Zillig // SCHNITT Renate Jelinek, Friederike Wieder // MIT Ewald Balser (Erzherzog Ferdinand), Luise Ullrich (Herzogin Sophie), Franz Stoss (Potiorek), Erik Frey (Pokorny), Fritz Eckhardt (Professor Weissbacher), Klaus Kinski (Cabrinovic), Erika Remberg (Nadja), Hans Olden (Durchlaucht), Hans Thimig (Rumerskirch), Josef Meinrad (Chauffeur), Hugo Gottschlich (Chauffeur), Hubert Hilten (Princip).
DIE SENDUNG DER LYSISTRATA BRD 1961 «Fritz Kortners Fernsehspiel nach Aristophanes’ altgriechischer Komödie über den Sexstreik, mit dem die Athener Frauen ihre kriegsgeilen Männer zur Räson bringen, entstand zur Zeit der Debatte über die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik und spielt in einer Rahmenhandlung explizit auf diese an. Zur Publizität des heftig umstrittenen Projekts trug bei, dass Kortner die 22-jährige Romy Schneider ins Ensemble aufnahm, die nach ihrer Abkehr von Sissi Persona non grata geworden war und beispielsweise vom Boulevardblatt ‹Bild› in diesem Zusammenhang als ‹erlöschender Filmstar› bezeichnet wurde. Ein Teil der Landessender, die der ARD angeschlossen waren, weigerte sich, den vom NDR produzierten Film ins Programm zu nehmen. Für die Weigerung, an der zuletzt nur noch der Bayerische Rundfunk festhielt, wurden abwechselnd politische und ‹sittliche› Gründe angeführt. Selbst im fortschrittlichen Nachrichtenmagazin ‹Der Spiegel› stand: ‹Das von anzüglicher Thematik bestimmte Werk bedingt, dass etwa die Darstellerin Romy Schneider in der Rolle der Lysistrata-Gefährtin Myrrhine Verse deklamieren muss, die der einstigen Sissi-Interpretin seltsam anstehen.›» (Andreas Furler, Programmheft Filmpodium, Feb./März 2010)
Fritz Kortner. 100 Min / sw / Digital SD / D // REGIE Fritz Kortner // DREHBUCH Fritz Kortner, nach Motiven der antiken Komödie von Aristophanes // KAMERA Wolfgang Zeh, Frank A. Banuscher // MUSIK Herbert Brün // SCHNITT Klaus Dudenhöfer, Ingeborg Taschner // MIT Barbara Rütting (Lysistrata/Agnes Salbach), Romy Schneider (Myrrhine/Uschi), Karin Kernke (Kalonike), Ruth-Maria Kubitschek (Lampito), Peter Arens (Kinesias/Hans Flims), Willy Reichert (Ratsherr), Wolfgang Kieling (Dr. Salbach), Karl Lieffen (Dr. Hellwig), Franz Schafheitlin (Kienast), Herta Worell (Frau Kienast), Ullrich Haupt (Ellinger), Ursula Graeff (Athenerin/Frau Ellinger).
FÜNFTER AKT, SIEBENTE SZENE. FRITZ KORTNER PROBT KABALE UND LIEBE BRD 1965 «1965 gelang es dem als freier Mitarbeiter für den Bayerischen Rundfunk tätigen Hans Jürgen Syberberg, sowohl seine Sendeanstalt als auch den alten Fritz Kortner zu einem ungewöhnlichen Projekt zu überreden. Der junge Filmemacher wollte den Regisseur bei der Theaterarbeit beobachten, aber er wollte nicht ‹das Übliche: Ausschnitte, Fetzen von Schauspieler-Intimitäten, etwas von hinter der Bühne. Voyeurhaftes.› Zumindest teilweise hinter dem Rücken sowohl des Beobachteten als auch der Auftraggeber gelang
es tatsächlich, Kortners Arbeit im Zusammenhang zu dokumentieren.» (Ines Steiner) «Es sieht aus wie selbstverständlich, ist aber detailliert vorbereitet, gedanklich und technisch, für Aufnahme und Schnitt, durch Vorgespräche sowie durch die Hingabe Kortners und der Schauspieler an ihre Arbeit, dass am Ende alles lief wie automatisch, als könnte es gar nicht anders sein. (…) Letzten Endes waren das Thema dieses Films die Mühen des Menschen bei der Herstellung von Kunst.» (Hans Jürgen Syberberg: Syberbergs Filmbuch, München 1976) 110 Min / sw / Digital SD / D // DREHBUCH UND REGIE Hans Jürgen Syberberg // KAMERA Kurt Lorenz, Konrad Wickler // SCHNITT Hans Jürgen Syberberg // MIT Fritz Kortner, Christiane Hörbiger, Helmut Lohner.
Programmauswahl und Kurztexte, soweit nicht anders vermerkt: Martin Girod. An der Kinokasse erhältlich ist die Publikation des Filmarchivs Austria: «Das Gedächtnis des Films – Fritz Kortner und das Kino», hg. von Armin Loacker und Georg Tscholl. Die Zitate von Christoph Brecht und Ines Steiner stammen aus diesem Band.
LE MEiLLEUr dU CinEMa sUissE diE bEstEn sChwEiZEr FiLME
Entrée | Eintritt CHF 5.00 14. | 15. 3.2015 libre | gratis
ProPosEE Par | Ein angEbot von
En CoLLaboration avEC | in ZUsaMMEnarbEit Mit
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26 Das erste Jahrhundert des Films
1935 Inhaltlich von der Psychoanalyse, formal vom Expressionismus beeinflusst, brachte Die ewige Maske dem Regisseur Werner Hochbaum internationale Anerkennung ein – und das Misstrauen des NS-Regimes. Dieses hatte er schon mit seinen früheren Filmen erregt – Razzia in St. Pauli (1932) wurde verboten –, und so realisierte er den Ärztefilm als schweizerisch-österreichische Produktion. Ebenfalls Anleihen beim deutschen Expressionismus nimmt The Bride of Frankenstein, die geniale Fortsetzung des Horrorfilms Frankenstein (1933), dank seiner Darsteller, der Kameraarbeit, Ausstattung, Musik und Stimmung ein Meilenstein und Meisterstück des fantastischen Films. Während sich damals zahlreiche Werke kritisch mit der NS-Zeit auseinandersetzen, bringt das Jahr 1935 mit Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm Triumph des Willens auch das wohl bekannteste und meistdiskutierte Werk der NS-Propaganda hervor. Mit seiner Ästhetik beeinflusste es nach dem Zweiten Weltkrieg Spielund Dokumentarfilme ebenso wie die Werbung und wirft damit auch heute noch die Frage nach der Trennlinie zwischen Kunst, Politik und Ethik auf. Es geht in der aktuellen Auswahl von Jahrhundertfilmen aber auch heiterer zu und her: Im unsterblichen Klassiker A Night at the Opera kontrastiert die künstliche, bis zur Dekadenz verfeinerte Welt der Oper aufs Wildeste mit dem archaischen, kindlichen, destruktiven Humor der Marx Brothers. Einer der schönsten Filme aus Jean Renoirs Œuvre ist Toni, der – seiner Zeit voraus – radikal mit den herrschenden filmischen Moden bricht und als Vorläufer des Neorealismus bezeichnet werden kann. Liliane Hollinger Das erste Jahrhundert des Films In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2015 sind Filme von 1915, 1925, 1935 usw. zu sehen. Weitere wichtige Filme von 1935 Alice Adams George Stevens, USA A Midsummer Night’s Dream William Dieterle, Max Reinhardt, USA Amphitryon Reinhold Schünzel, D Anna Karenina Clarence Brown, USA A Tale of Two Cities Jack Conway, USA Broadway Melody of 1936 Roy Del Ruth, USA Captain Blood Michael Curtiz, USA Casta Diva Carmine Gallone, I Crime and Punishment Josef von Sternberg, USA Dangerous Alfred E. Green, USA Episode Walter Reisch, Österreich Goin’ to Town Alexander Hall, USA Gold Diggers Busby Berkeley, USA Le bonheur Marcel L’Herbier, F
Les misérables Richard Boleslawski, USA Mad Love Karl Freund, USA Mutiny on the Bounty Frank Lloyd, USA Naughty Marietta Robert Z. Leonard, W.S. Van Dyke, USA Ruggles of Red Gap Leo McCarey, USA Sylvia Scarlett George Cukor, USA The Dark Angel Sidney Franklin, USA The Devil Is a Woman Josef von Sternberg, USA The Ghost Goes West René Clair, GB The Informer John Ford, USA The Lives of a Bengal Lancer Henry Hathaway, USA The Whole Town’s Talking John Ford, USA The 39 Steps Alfred Hitchcock, USA Top Hat Mark Sandrich, USA
Das erste Jahrhundert des Films: 1935.
TONI Frankreich 1935 «Einer der schönsten Vorkriegsfilme von Renoir, das heisst, einer der schönsten Filme überhaupt. Die Geschichte spielt unter ausländischen Steinbrucharbeitern in der Provence, und Renoir war um puren Verismus bemüht. Kein Studio, keine Stars, kein Make-up: ‹Wir wollten, dass sich das Publikum vorstellen könnte, eine unsichtbare Kamera habe die Phasen eines Konfliktes gefilmt, ohne dass die unbewusst in diesen Konflikt ver wickelten Menschen sich dessen bewusst geworden wären.› Das Resultat steht gleichwohl in antik-französisch-klassischer Dramentradition. Toni, der Italiener, ist verheiratet mit Marie, aber verliebt in Josépha, die Spanierin, die die Geliebte ihres Vetters ist, aber den belgischen Vorarbeiter heiratet, der sie vergewaltigt hat. (…) Renoir, 22 Jahre nachdem er den Film gedreht hatte: ‹Diese Arbeiter sind die echtesten Erben der griechischrömischen Tradition, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind.›» (Die Zeit, 12.9.1969) «Für den französischen Realisten Renoir war ‹Authentizität› der filmkünstlerische Schlüsselbegriff. Toni handelt vom vergeblichen Kampf um
Anerkennung, den ausländische Landarbeiter in Südfrankreich führen, inszeniert als verzweifelte Geschichte von Liebe und Verbrechen, die auf Gerichtsakten basierte, zu denen Renoir Zugang hatte.» (Gerhard Schweppenhäuser, medienkunstnetz.de) «‹Das Auffälligste ist (…) die Beschreibung nicht von zwei Frauenfiguren, sondern vielmehr von zwei Etappen im Leben einer Frau: Nach ihrer Heirat mit Albert wird Josépha, die zunächst aufreizend und unwiderstehlich ist, ein Opfer wie Marie, eine arme Frau wie die anderen. Toni ist einer der fünf oder sechs schönsten Filme Renoirs, eine Tragödie, in der die Sonne den Platz des Schicksals einnimmt.» (François Truffaut) 84 Min / sw / 35 mm / F/e // REGIE Jean Renoir // DREHBUCH Jean Renoir, Carl Einstein, nach einer Recherche von J acques Mortier // KAMERA Claude Renoir // MUSIK Paul Bozzi // SCHNITT Marguerite Renoir, Suzanne de Troeye // MIT Charles Blavette (Antonio «Toni» Canova), Celia Montalván (Josépha), Jenny Hélia (Marie), Édouard Delmont (Fernand), Max Dalban (Albert), Andrex (Gaby, Joséphas Cousin), Michel Kovachevitch (Sébastian), Paul Bozzi (Jacques, der Gitarrist).
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Das erste Jahrhundert des Films: 1935.
THE BRIDE OF FRANKENSTEIN USA 1935 «‹Auf eine neue Welt der Götter und Monster!› So prostet Dr. Praetorius Dr. Frankenstein mit einem Glas Gin zu, um ihm gleich darauf eine Zusammenarbeit vorzuschlagen. ‹Du›, meint er zu Frankenstein, ‹hast einen Menschen kreiert. Gemeinsam werden wir nun seine Partnerin erschaffen.› Ihr Ziel bildet die Inspiration von James Whales The Bride of Frankenstein, dem besten unter den Frankenstein-Filmen – ein schlaues, subversives Werk, das sein schockierendes Material an der Zensur vorbeischmuggelte, indem es sich als Horrorfilm ausgab. Manche Filme altern; andere reifen. Aus der heutigen Sicht ist Whales Meisterwerk noch verblüffender als zu seiner Entstehungszeit, weil das heutige Publikum aufmerksamer ist gegenüber den versteckten Andeutungen der Homosexualität, der Nekrophilie und des Sakrilegs. Man braucht den Film jedoch keineswegs zu dekonstruieren, um ihn geniessen zu können; er ist satirisch, aufregend, lustig und ein einflussrei-
ches Meisterwerk der Ausstattungskunst. (...) Der Film ist eine Fortsetzung zu Whales Frankenstein von 1931, die das Monster nun als einen Ausgestossenen darstellt, der sich nach Freunden sehnt. (...) Whale gestaltete den Look des Films in Anlehnung an die Schlagschatten und verkanteten Kameraeinstellungen des deutschen Expressionismus (aus solchen Horrorfilmen stammt der Stil des Film noir in den Vierzigern). Die Inspiration für die Figur der Braut war Maria, die künstliche Frau aus Fritz Langs Metropolis – hier holte sich Whale auch Einrichtungsideen für Praetorius’ Labor.» (Roger Ebert, Chicago Sun-Times, 3.1.1999) 74 Min / sw / Digital HD / E/d // REGIE James Whale // DREHBUCH William Hurlbut, John Balderston, nach einem Roman von Mary Wollstonecraft Shelley // KAMERA John J. Mescall // MUSIK Franz Waxman // SCHNITT Ted J. Kent // MIT Boris Karloff (das Monster), Colin Clive (Henry Frankenstein), Elsa Lanchester (Mary Wollstonecraft Shelley/Braut des Monsters), Valerie Hobson (Elizabeth Frankenstein), Ernest Thesiger (Dr. Praetorius), Gavin Gordon (Lord Byron), Douglas Walton (Percy Shelley), Una O’Connor (Minnie), E. E. Clive (Bürgermeister), Lucien Prival (Butler), O.P. Heggie (Eremit), Dwight Frye (Karl).
Das erste Jahrhundert des Films: 1935.
TRIUMPH DES WILLENS Deutschland 1935 «Triumph des Willens ist ein propagandistischer Dokumentarfilm über den NSDAP-Reichsparteitag 1934 und gilt als eines der einflussreichsten Werke der Regisseurin Leni Riefenstahl. Der Film enthält Bildmaterial vom Parteitag mit seinen Paraden und Aufzügen sowie zahlreiche Auszüge aus Reden verschiedener Nazi-Führer während des Parteitags, unter anderem von Adolf Hitler. (…) Der Titel ist eine Anlehnung von Friedrich Nietzsches Schlagwort vom ‹Willen zur Macht›.» (filmhauer.net) «Wenn bei Hitchcock oder anderen Meistern der schnellen Montage die Bilder im Sekundentakt geschnitten, wenn nicht erzählt, sondern mit heterogenem Material Träume und Tempo suggeriert werden, wenn der Mensch in der Aufnahme zerlegt und am Schneidetisch wieder zusammengesetzt wird, dann erklingt immer auch Leni Riefenstahls virtuose Melodie und nicht etwa nur die Eisensteins, den die Filmhistoriker der politischen Korrektheit halber in diesem Zusammenhang lieber nennen. Wir können uns drehen und wenden, aber im kanonischen Gesangbuch der Filmgeschichte wird auch Leni Riefenstahl geführt, und vielleicht ist dies die grösste der Zumutungen, dass die künstlerische Profiteurin des
‹Dritten Reichs› zugleich einen der namhaftesten Beiträge der Deutschen zum internationalen Film geliefert hat. (…) Wir müssen es wohl akzeptieren: Auch für inhumane Botschaften eignet sich die Kunst. Dass das Schöne notwendig zum Guten strebt, ist ein frommer Aberglaube, den Leni Riefenstahl zerstört hat; aber nicht mit luzider Bosheit, sondern einem merkwürdig dumpfen, unbewussten inneren Gesetz folgend. Diese Dumpfheit und das Unbewusste, zum Letzten, sind das Anstössigste an dem grossen Werk dieser unzugänglichen Frau.» (Jens Jessen, Die Zeit, 38/2003) Riefenstahls Film gewann mehrere Preise in Deutschland, aber auch in den USA, Frankreich, Schweden und weiteren Ländern. 1937, während der Weltausstellung in Paris, wurde er mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. 114 Min / sw / 35 mm / D // DREHBUCH UND REGIE Leni Riefenstahl // KAMERA Sepp Allgeier // MUSIK Herbert Windt // SCHNITT Leni Riefenstahl. Mi, 18. MÄRZ | 18.15 UHR EINFÜHRUNG: URSULA VON KEITZ, FILMUNIVERSITÄT BABELSBERG
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Das erste Jahrhundert des Films: 1935.
A NIGHT AT THE OPERA USA 1935 A Night at the Opera, der sechste von 13 MarxBrothers-Filmen, ist das erste und kommerziell erfolgreichste Werk, das bei MGM produziert wurde. Groucho zufolge «der beste unserer Filme», der – nicht nur wegen der unsterblichen Kabinen-Szene – Chaplin und Brecht, Ionesco und Dalí zu seinen vorbehaltlosen Fans zählt. «Nach den traditionellen Gesetzen des filmischen Erzählens ist eine Schiffskabine, in der sich ein blinder Passagier versteckt hält, ein Schauplatz, auf dem wir uns halbwegs auskennen und ein vertrautes Schema mit kriminellen und erotischen Verknotungen erwarten dürfen. Die Eskapaden der Marx Brothers in A Night at the Opera sind von anderer Art. (…) Groucho lässt sich von einer Millionärin aushalten und spielt sich als Theateragent auf; schon aus diesem Grund ist er genötigt, nach Amerika zu reisen und sich den Anschein zu geben, als sei er es nicht gewohnt, sich mit einer Schiffskabine zu begnügen, in der gerade noch sein Schrankkoffer Platz finden kann. Weil Chico sich als Manager eines Sängers ausgibt, schliesst Groucho mit ihm einen Teilhabervertrag ab, den allerdings beide nicht lesen kön-
nen – ebenso wie sich beide mit der Tatsache abfinden müssen, dass der Sänger, mit dem sie reich werden wollen, sich seinerseits als blinder Passagier im Schrankkoffer verstecken muss. Ein Ozeandampfer, eine Schiffskabine, ein überdimensionaler Koffer: Das sind Behältnisse, die man wie unterschiedlich grosse Schachteln je nach Bedarf auch gegen ihren ursprünglichen Bauplan verwenden kann. Man kann blinde Passagiere im Koffer und das halbe Schiffspersonal in der Kabine verschwinden lassen, bis die ganze buchstäblich verschachtelte Realität wie ein Kartenhaus zusammenbricht und, falls erforderlich, neu zusammengesetzt werden kann.» (Klaus Kreimeier, in: NRW feiert 100 Jahre Kino, Bielefeld 1995) 90 Min / sw / 35 mm / E/d/f // REGIE Sam Wood, Edmund Golding (ungenannt) // DREHBUCH George S. Kaufman, Morrie Ryskind, Al Boasberg (ungenannt), Buster Keaton (ungenannt), nach einer Erzählung von James Kevin McGuinness // KAMERA Merritt B. Gerstad // MUSIK Herbert Stothart // SCHNITT William LeVanway // MIT Groucho Marx (Otis B. Driftwood), Chico Marx (Fiorello), Harpo Marx (Tomasso), Kitty Carlisle (Rosa Castaldi), Allan Jones (Ricardo Baroni), Margaret Dumont (Mrs. Claypool), Sig Ruman (Gottlieb), E dward Keane (Captain), Robert Emmett O’Connor (Det. Henderson).
Das erste Jahrhundert des Films: 1935.
DIE EWIGE MASKE Schweiz/Österreich 1935 «Ein Kampf zwischen moderner Psychiatrie und altväterischem Spitalethos. Oder einer zwischen der Helligkeit und neuen Sachlichkeit einer Bauhaus-Spitalarchitektur und einer expressionistisch verzerrten Art-déco-Hölle, das sind nur zwei der vielen Ebenen in einer verblüffenden schweizerisch-österreichischen Koproduktion.» (Sennhausers Filmblog, 5.7.2010) In diesem Film hat der Arzt und Wissenschaftler Dumartin ein Serum gegen eine grassierende Meningitis-Epidemie in einer Basler Klinik entwickelt. Ohne Einwilligung des Professors verabreicht er dieses einem Patienten – und stürzt nach dessen plötzlich eintretendem Tod in eine tiefe psychische Krise. «Die gut 20 Minuten, die den Halluzinationen des Schizophrenen gewidmet sind, wirken atemberaubend – weniger dank Originalität als durch ihre expressionistisch-bedrückende Atmosphäre: Dumartins Alpträume steigen aus der Nacht (…) und aus dem Gurgeln fremder Musik empor; im Rhein betrachtet der Kranke entsetzt sein grimassierendes Spiegelbild (die ‹ewige Maske›), Angesicht zu Angesicht nun mit dem ‹Anderen in uns› und den Wahnbildern, die dieses auslöst. Des Patienten Witwe, der anklagende Professor, Tingeltangel-Tänzerinnen quellen immer wieder aus ih-
ren undurchdringlichen Schlupfwinkeln in einem Labyrinth hervor.» (Hervé Dumont, Geschichte des Schweizer Films) Der Technik der Zeit entsprechend wurde der in Basel spielende Film vollständig im Studio realisiert, in den Rosenhügel-Filmstudios in Wien. Mit einem 30 Meter breiten Wasserlauf wie auch einem kompletten Krankenhausblock nahmen die Bauten des Filmarchitekten Hans Jacoby die Ausmasse einer Superproduktion an. «Die ewige Maske wird – unter Schweizer Flagge – an der dritten Mostra di Venezia (1935) als das Ereignis des Jahres gefeiert und erhält vom Schauspielverband die Medaille für die beste psychologische Studie zugesprochen (…). Wo immer der Film gezeigt wird, sorgt er für eine Sensation: Riesenerfolg in der Schweiz und in Österreich; in Paris und London bringt er es (in untertitelter Version!) auf eine Laufzeit von fast vier Monaten.» (Hervé Dumont) 85 Min / sw / 35 mm / D/f // RESTAURIERTE FASSUNG // REGIE Werner Hochbaum // DREHBUCH Werner Hochbaum, Leo Lapaire, Dr. Kurt Gauger, nach dem Roman von Leo Lapaire // KAMERA Oskar Schnirch // MUSIK Anton Profes // SCHNITT Else Baum // MIT Peter Petersen (Professor Tscherko), Mathias Wieman (Dr. Jakob Dumartin), Olga Tschechowa (Frau Negar), Thekla Ahrens (Schwester Anna), Tom Kraa (Dr. Wendt), Franz Schafheitlin (Adam N egar), Karl Skraup (Wärter).
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32 Filmpodium für Kinder
Die abenteuer der kleinen giraffe zarafa Ein mutiger Junge und eine Giraffe erleben eine abenteuerliche Odyssee von Afrika bis nach Paris: ein bildgewaltiger Animationsfilm nach wahren Begebenheiten, kindgerecht und voller Spannung inszeniert.
DIE ABENTEUER DER KLEINEN GIRAFFE ZARAFA (Zarafa) / Frankreich/Belgien 2012 78 Min / Farbe / DCP / D / 8/6 J // REGIE Rémi Bezançon, Jean-Christophe Lie // DREHBUCH Alexander Abela, Rémi Bezançon // MUSIK Laurent Perez // SCHNITT Sophie Reine.
Vor fast 200 Jahren, mitten in der afrikanischen Wüste: Der zehnjährige Waisenjunge Maki ist Gefangener des französischen Sklavenhändlers Moreno. Eines Nachts gelingt dem Jungen die Flucht – Hilfe erhält er dabei von einer Giraffenmutter und ihrem Jungtier Zarafa. Als kurz darauf das Muttertier vom skrupellosen Moreno getötet wird, rettet ein Beduine Zarafa; allerdings nimmt er sie mit, um sie dem französischen König als Geschenk zu überbringen. Maki verspricht der sterbenden Giraffenmutter, ihr Junges zurück zuholen, und so folgt er dem Beduinen und Zarafa quer durch die Wüste, per Heissluftballon über das Mittelmeer und die verschneiten Alpen bis nach Paris, wo das Tier in ein kleines Gehege im «Jardin des Plantes» gesteckt wird. Maki setzt nun alles daran, seine langhalsige Freundin zurück nach Afrika zu bringen – wie er es versprochen hat.
33 Im Jahre 1827 schenkte der ägyptische Vizekönig dem französischen König Karl X. aus diplomatischen Gründen tatsächlich eine Giraffe namens Zarafa (arabisch für Giraffe). Sie wurde als erste Giraffe überhaupt nach Frankreich gebracht, wo sie eine wahre «Zarafa-Manie» auslöste: Aufgetürmte Frisuren «à la girafe» und röhrenförmige Herrenhüte waren der letzte Schrei, Giraffenmuster zierten Krawatten, Handtaschen, Bügeleisen und Lebkuchen ... Das französische Regie-Duo Rémi Bezançon und Jean-Christophe Lie (der u. a. an Kirikou et les bêtes sauvages und Les triplettes de Belleville mitgewirkt hat) bereitet diese wahren Begebenheiten geschickt für ein junges Publikum auf und verstrickt sie mit einer märchenhaften Geschichte. Der Animationsfilm besticht durch seine bis ins kleinste Detail ausgefeilte, handgezeichnete Bilder welt – von der farbdurchtränkten Wüste bis zum schmutzig-grauen Paris; untermalt werden die eindrucksvollen Bilder von einer Musik, die afrikanische, orientalische und westliche Elemente ebenso gekonnt mischt wie die Geschichte selbst. Ein ergreifender Abenteuerfilm über Treue, Freundschaft und Verantwortung – tiefgründig und humorvoll zugleich. Tanja Hanhart
www.xenix.ch Filmstill: Plemya, 2014
Kino u Kraine
z m är
2015
34 Premiere: Belle von Amma Asante
Adlig, schön, schwarz Die verblüffende, aber wahre Geschichte einer Schwarzen, die im 18. Jahrhundert als Angehörige der britischen Aristokratie aufwuchs, wird von der Cineastin Amma Asante (*1969) als komplexe Parabel über Diskriminierung inszeniert. Gleichzeitig überzeugt Belle als klassische Kostümromanze à la Jane Austen.
BELLE / GB 2013 104 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Amma Asante // DREHBUCH Misan Sagay // KAMERA Ben Smithard // MUSIK Rachel Portman // SCHNITT Victoria Boydell, Pia Di Ciaula // MIT Gugu Mbatha-Raw (Dido Elizabeth Belle), Tom Wilkinson (Lord Mansfield), Emily Watson (Lady Mansfield), Sarah Gadon (Elizabeth Murray), Sam Reid (John Davinier), Miranda Richardson (Lady Ashford), Tom Felton (James Ashford), James Norton (Oliver Ashford), Matthew Goode (Capt. Sir John Lindsay), P enelope Wilton (Lady Mary Murray), Lauren Julien-Box (Dido als kleines Mädchen).
Im vergangenen Jahr machte ein Film über Sklaverei von sich reden: In 12 Years a Slave erzählte der schwarze britische Regisseur Steve McQueen von Solomon Northup, der als freier Schwarzer in den Nordstaaten der USA vor dem Bürgerkrieg verschleppt und im Süden als Sklave gehalten wurde. Dieses ungeschönte, blutige Drama nach Northups Aufzeichnungen wurde mehrfach preisgekrönt und hatte auch in der Schweiz Erfolg. Noch bevor McQueen sich ans Werk machte, hatte seine Landsfrau Amma Asante begonnen, einen ganz anders gearteten Film über Sklaverei zu drehen. Asante, in England als Tochter eingewanderter Ghanaer aufgewachsen, wurde schon als Kind Schauspielerin und schrieb später TV-Serien. 2004
35 errang sie mit ihrem Regiedebüt A Way of Life, einem hyperrealistischen Drama um den rassistisch motivierten Überfall auf einen Türken in Wales, mehrere Preise. Für ihren zweiten Spielfilm, Belle, wählte Asante einen historischen Stoff, den Misan Sagay, eine britische Autorin mit nigerianischen Wurzeln, zu einem Drehbuch umgearbeitet hatte. Sagay war im schottischen Schloss Scone Palace auf ein Gemälde aus dem späten 18. Jahrhundert gestossen, das eine junge schwarze Frau und eine junge weisse Frau zeigt, die sich offensichtlich sehr nahe standen und – unüblicherweise – sozial gleichgestellt wirkten. Sagays Nachforschungen ergaben, dass die junge Schwarze Dido Elizabeth Belle hiess und im Haushalt von Lord Mansfield aufwuchs, dem damaligen Lord Oberrichter Grossbritanniens. Sie war die uneheliche Tochter von Mansfields Neffen, Admiral John Lindsay, und einer ehemaligen Sklavin namens Maria Belle, und wuchs zusammen mit Lindsays junger Cousine Elizabeth in Mansfields Haus auf. Sozialkritik in romantischem Kostüm Sagay und Asante haben einige fiktionale Elemente ergänzt, um die bemerkenswerte Geschichte dieser jungen Schwarzen inmitten der britischen Aristokratie noch symbolhafter zu machen. Mansfield war als Lord Oberrichter in einige Fälle involviert, die für die spätere Abschaffung der Sklaverei von Belang waren; im Film nimmt die private Geschichte von Belle und ihrem liebevollen Ziehvater auf dessen Gesinnungswandel in juristischen Belangen Einfluss. Elizabeth hat – in der Fiktion – kein Vermögen und droht, eine alte Jungfer zu werden, wenn sie keinen wohlhabenden Ehemann findet, wogegen Belle, die den Reichtum ihres Vaters geerbt hat, aufgrund ihrer Hautfarbe kaum auf Akzeptanz in der Gesellschaft und damit eine Ehe hoffen darf. Anhand der beiden unterschiedlichen jungen Frauen werden die diversen Formen von Ausgrenzung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Reichtum und Stand erkundet. Verpackt ist diese durchaus zeitlose Studie in einer Romanze, die sich Asante zufolge an der Struktur von Jane Austens «Sense and Sensibility» anlehnt. Auch äusserlich erinnert Belle an die Austen-Adaptionen der letzten Jahre und vergleichbare Kostümfilme. Zur illustren Besetzung zählen Tom Wilkinson, Emily Watson, Sarah Gadon und Matthew Goode, und als altjüngferliche Tante ist Penelope Wilton aus Downton Abbey dabei. In der Titelrolle allerdings brilliert die südafrikanisch-stämmige Gugu Mbatha-Raw, und so ist dieser Film über Sklaverei, Sexismus und Rassismus in Grossbritannien zur Hauptsache – leider immer noch eine Seltenheit – das Werk dreier schwarzer Frauen. Michel Bodmer
36 Premiere: Norte, the End of History von Lav Diaz
Magische Schwerelosigkeit Schon 2013 in Cannes als einer der wichtigsten Filme des Festivals gefeiert, hat sich Lav Diaz’ Norte, the End of History nach dem Kinostart in den USA und England mehr und mehr zum Liebling des internationalen Feuilletons entwickelt. Der erste Film des eigenwilligen philippinischen Autorenfilmers, der es vom Festival ins Kino geschafft hat, gilt vielen Kritikern als bester Film des Jahres 2014. Der philippinische Regisseur Lav Diaz (*1958) galt bisher vor allem als Geheimtipp von Festivaliers, seine grössten Bewunderer sind Cineasten. Das mag auch an der Zeit liegen, die man sich für seine Filme nehmen muss: Evolution of a Filipino Family von 2004 ist ein Epos von fast elf Stunden Länge, Melancholia (2008) dauert 450 Minuten. From What Is Before, letztes Jahr in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet, dauert immerhin fünfeinhalb Stunden – und doch musste das Festival Zusatzvorstellungen ansetzen: Die Neugierde auf dieses singuläre Schaffen nimmt stetig zu. Während noch unsicher ist, wann wir From What Is Before im Filmpodium zeigen können, freuen wir uns, dass sein vorletzter Film Norte – Dauer: schlanke 250 Minuten – den Weg ins Kino gefunden hat und damit für ein breiteres Publikum ausserhalb des Festivalcircuits zugänglich wird. Inspiriert von Dostojewskis «Verbrechen und Strafe», erzählt Norte (mindestens) zwei sich verschränkende Geschichten: Da ist Fabian, der brillante Jurastudent aus gutem Hause, dem zum Studienabschluss und damit zur sicheren Karriere nur noch ein Jahr fehlt, der sich aber trotz Unterstützung durch Dozenten und Kollegen nicht dazu aufraffen kann und lieber selbstgerecht über die Revolution als solche und gescheiterte Umstürze auf den Phi lippinen im Besonderen schwadroniert. Auf der anderen Seite sind Joaquin und Eliza, die vom eigenen kleinen Imbissstand träumen, ein Traum, der nach einem Unfall von Joaquin in weite Ferne rückt und das Paar der skrupellosen Pfandleiherin Magda vollends ausliefert. Bei Magda hat auch Fabian Schulden – und in einem Akt der Verblendung wählt er die Wucherin, um seine Ideale in die Tat umzusetzen. Doch für den Mord wird schliesslich Joaquin mit lebenslanger Haft büssen müssen. (cs) «Norte ist (...) auch eine eindrucksvolle Schilderung des Lebens auf den Philippinen. In losen, hingetupften Szenen, deren ganze Tragweite und Komplexität sich erst nach und nach entfalten, entwirft Lav Diaz in wundervoll fliessenden, schwebenden Bildern das Porträt einer Gesellschaft, die vieles durchlitten hat und die noch weit davon entfernt ist, auch nur annähernd gerecht zu sein. In Joaquins bedauerlichem Schicksal bündeln sich die Erfahrun-
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NORTE, THE END OF HISTORY (Norte, hangganan ng kasaysayan) / Philippinen 2013 250 Min / Farbe / DCP / OV/d // REGIE Lav Diaz // DREHBUCH Lav Diaz, Rody Vera // KAMERA Lauro Rene Manda // MUSIK Perry Dizon // SCHNITT Lav Diaz // MIT Sid Lucero (Fabian), Angeli Bayani (Eliza), Archie Alemania (Joaquin), Mailes (Angelina) Kanapi (Hoda), Mae Paner (Magda), Soliman Cruz (Wakwak), Hazel Orencio (Ading), Ian Lomongo (Cesar), Kristian Chua (Peryong), Noel Sto. Domingo (Salvador, der Auftragskiller).
gen aus jahrzehntelanger Unterdrückung und postkolonialem Elend. Schonungslos legt der Film die Machtstrukturen der philippinischen Gesellschaft offen und versteht es zugleich, dem bedauernswerten Antihelden seine ganze Solidarität und Zärtlichkeit angedeihen zu lassen, dem am Ende sogar ein kleines Wunder zuteil wird.» (Joachim Kurz, www.film-zeit.de) «Ein Gefühl der Schwerelosigkeit überkommt einen beim Sehen von Norte. Langsam wird man eingesogen in diesen wunderbaren Kinomoment und kann sich vom ruhigen Erzählrhythmus durch ein Epos über Schuld, Vergebung, Recht und Gerechtigkeit tragen lassen. (...) Der Film verliert buchstäblich immer wieder die Bodenhaftung, etwa wenn die Kamera während einer Traumsequenz über eine scheinbar endlose Slumlandschaft schwebt. Es sind aber auch unterschwelligere Bewegungen wie Fahrten und leichte Schwenks, die dazu beitragen, dass das Seherlebnis zu einem einzigen Fluss wird, der zwar auch kontemplativ, vor allem aber überraschend narrativ ist.» (Michael Kienzl, www.critic.de)
38 IOIC-SOIREEN
ABENTEUER IM STUMMFILM In dieser Saison widmet sich das IOIC, das
Bosch erinnernden Szenerie gleich gegen ein ganzes Heer
Institut für incohärente Cinematographie,
Das IOIC präsentiert den bildgewaltigen Stummfilm mit ei-
dem im frühen Kino allgegenwärtigen Thema
von Hexen und Teufeln. ner neuen Vertonung der Zürcher Sängerin und Gitarristin
der Abenteuer, Expeditionen und Reisen. Im
Nadja Zela und ihrer Band. Die 2013 mit dem Werkjahr der
März ist das IOIC mit zwei Filmen im Film
drücklichen Vertonungen immer wieder, das Publikum in ih-
podium zu Gast, wie immer begleitet von innovativen Live-Ensembles.
Stadt Zürich ausgezeichnete Musikerin schafft es mit einren Bann zu ziehen. Da der Film ja die Partitur vorgibt, dürfte es diesmal etwas heftiger als auch schon zu- und hergehen. Live-Vertonung: NADJA ZELA & BAND Nadja Zela (Stimme, E-Gitarre) Nico Feer (E-Gitarre, Banjo) Michel Lehner (E-Bass) Martin Fischer (Schlagzeug, Perkussion)
DO, 26. MÄRZ | 20.45 UHR ZIVILISATIONSKRITIK IN DER SÜDSEE
WHITE SHADOWS IN THE SOUTH SEAS / USA 1928 88 Min / sw / 35 mm / Stummfilm mit engl. Zw’titeln // REGIE W. S. Van Dyke, Robert Flaherty (ungenannt) // DREHBUCH Jack Cunningham, Ray Doyle, John Colton, nach dem Roman von Frederick O’Brien // KAMERA Clyde De Vinna, George Nogle, Bob Roberts // MUSIK William Axt, David Mendoza // SCHNITT Ben Lewis // MIT Monte Blue (Dr. Matthew Lloyd), Raquel Torres (Faraway), Robert Anderson (Sebastian), René Bush (Händler), Bill Bambridge (Matrose). Seit die Welt umsegelt wurde, stellen die Inseln der Südsee eine Projektionsfläche für die Sehnsüchte der sogenannt zivilisierten Welt dar. Inwiefern diese Sehnsüchte zugleich DO, 5. MÄRZ | 20.45 UHR EINLADUNG ZUM HÖLLENRITT
MACISTE ALL’INFERNO / Italien 1925
den Keim zum Untergang des Ersehnten in sich tragen, wird in diesem ersten auf Tahiti gedrehten Spielfilm nur zu schmerzlich ersichtlich. Die Perlenhändler nutzen die Unschuld der Ureinwohner schamlos aus und der von Ersteren
100 Min / sw / Digital HD / Stummfilm mit engl. Zw’titeln //
neu eingeführte Alkohol gibt diesen sprichwörtlich den Rest.
REGIE Guido Brignone // DREHBUCH Riccardo Artuffo, nach
Nur ein selbst dem Feuerwasser verfallener Arzt stellt sich
Dante Alighieri // KAMERA Ubaldo Arata, Massimo Terzano //
dem Untreiben entgegen, steht aber in seinem verzweifelten
MIT Bartolomeo Pagano (Maciste), Elena Sangro (Proser-
Aufbegehren alleine da.
pina), Lucia Zanussi (Luciferina), Franz Sala (Barbariccia/Dot-
Gezeigt wird der Film, der im Jahre 1928 den zum zweiten
tore Nox), Umberto Guarracino (Pluto), Mario Saio (Gerione),
Mal vergebenen Oscar für die Beste Kamera erhielt, in einer
Pauline Polaire (Graziella), Domenico Serra (Giorgio).
35-mm-Kopie der Cinémathèque suisse. Die passende Vertonung zu diesem frühen Abgesang an die Suche nach
«Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!» So lautet die
der idealen Insel liefern Fai Baba & Great Black Waters mit
Inschrift auf dem Tor zur Hölle in Dantes Göttlicher Komö-
ihren wehmütig-psychedelischen Blues-Klängen.
die. Maciste wäre aber nicht Maciste, wenn er selbst unter widrigsten Umständen die Hoffnung aufgeben würde. Als
Live-Vertonung: FAI BABA & GREAT BLACK WATERS
Nachfahre der antiken Helden wie Herakles und als Vorläu-
Fabian Sigmund (Stimme, E-Gitarre)
fer der modernen Superhelden wie Superman ist er sowohl
Björn Magnusson (E-Gitarre, Tonbandgerät)
der Götterwelt untertan als auch über fast alles Menschliche
Adrian Meier (Resonatorgitarre)
erhaben. Und so kämpft er zuversichtlich und fast schon frohen Mutes in einer an die düsteren Bilder des Hieronymus
Weitere Informationen zum IOIC: http://ioic.ch
39 ZUR KOSMOS-AUSSTELLUNG IM MUSEUM RIETBERG
SIGNALE VON FERNEN STERNEN: CONTACT Das Filmpodium begleitet die grosse Aus-
eine entscheidende Wendung, als Ellie Sig-
stellung «Kosmos – Rätsel der Menschheit»
nale vom Stern Wega empfängt.
im Museum Rietberg mit ausgewählten Fil-
«In Contact stellt der Regisseur Robert
men, die dem Reiz unserer unerklärlichen
Zemeckis weitreichende Fragen und insze-
Ursprünge auf unterschiedlichsten Wegen
niert diese mit bisweilen humoristischen
nachspüren. In Contact versucht eine junge
Zügen. Er setzt weniger auf Spezialeffekte,
Forscherin, intergalaktische Beziehungen
sondern rückt die Story in ein scheinbar re-
aufzunehmen.
ales Umfeld, in dem wiederholt CNN-News und Bill Clinton eingeblendet werden. (...)
Angesichts der unendlichen Weite des Welt-
Als Contact 1997 in die Kinos kam, hatte
alls stellt sich schnell die Frage, weshalb
der Stoff des Films schon eine lange Vor
sich die Schöpfung eine immense Platzver-
geschichte. Der Autor und Astronom Carl
schwendung geleistet und nur die Erde
Sagan, selbst ein Pionier der SETI-For
bevölkert haben soll. Als Kind mit dieser
schung (Search for Extraterrestrial Intelli-
Frage konfrontiert, hört die inzwischen er-
gence), hatte bereits Ende der 1970er Jahre
folgreiche Wissenschaftlerin Ellie Arroway
die Filmidee entwickelt, um das umstrittene
Radiowellen auf Zeichen aus dem All ab. Bei
Forschungsfeld SETI in den Fokus der Öf-
ihrem Forschungsprojekt zur Aufnahme in-
fentlichkeit zu rücken.» (Zeughauskino,
tergalaktischer Beziehungen sieht sie sich
Berlin 2011)
mit Skepsis und Misstrauen aus der männlichen Wissenschaftswelt und religiösen Kreisen konfrontiert. Die Geschichte nimmt
«Kosmos – Rätsel der Menschheit», Ausstellung im Museum Rietberg, bis 31.5.2015. Weitere Informationen unter: www.rietberg.ch. April/Mai: The Tree of Life (Terrence Malick, USA 2011)
CONTACT / USA 1997 150 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Robert Zemeckis // DREHBUCH James V. Hart, Michael Goldenberg, nach dem Science-Fiction-Roman von Carl Sagan // KAMERA Don Burgess // MUSIK Alan Silvestri // SCHNITT Arthur Schmidt // MIT Jodie Foster (Ellie Arroway), Matthew McConaughey (Palmer Joss), David Morse (Ted Arroway), Tom Skerritt (Dr. David Drumlin), James Woods (Michael Kitz), Angela Bassett (Rachel Constantine), John Hurt (S. R. Hadden).
40 SÉLECTION LUMIÈRE
DRIFTING CLOUDS Zu den Wunschfilmen der Mitglieder unseres
derholt anhören, sie sei zu alt. Lauri findet
Fördervereins Lumière zählt ein Meister-
eine Stelle als Reisebusfahrer, fällt dann
werk des Finnen Aki Kaurismäki: Kauas pilvet
aber infolge einer Gehörschwäche durch
karkaavat, international: Drifting Clouds. Sei-
die Prüfung und verliert seinen Fahraus-
nem abgrundtiefen Pessimismus zum Trotz
weis. Als Tellerwäscherin kommt Ilona in
gönnt Kaurismäki dem von der sozialen Rea-
der Imbissstube des dubiosen Geschäfts-
lität gebeutelten Paar in dieser Fabel ein
manns Forsström unter. Sie arbeitet sich
Happy End.
zur Köchin und Kellnerin hoch, doch als Steuerinspektoren Forsströms Buchhaltung überprüfen, ahnt Ilona, dass auch diese Anstellung ein Ende haben wird. Nichtsdestotrotz lassen sie und Lauri sich nicht unterkriegen und verfolgen hartnäckig ihren Traum vom eigenen Restaurant. Aki Kaurismäkis Minimalismus ist von der Rezession eingeholt worden, und trotz weltweiter Wirtschaftskrise und seiner eigenen Schwarzseherei ist Drifting Clouds einer seiner buntesten und schönsten Filme geworden. Dazu der Regisseur: «Alles ist so hoffnungslos, dass ich keinen Grund dafür sehe, noch mehr Pessimismus
DRIFTING CLOUDS (Kauas pilvet karkaavat) / Finnland 1996
zu verbreiten. Wir sind ohnehin am Ende, darum lasst uns eine Weile optimistisch
96 Min / Farbe / 35 mm / Finn/d/f // DREHBUCH UND REGIE
sein.» Das Zusammenhalten der kleinen
Aki Kaurismäki // KAMERA Timo Salminen // MUSIK Shelley
Leute, das im Film schliesslich zum glück-
Fisher // SCHNITT Aki Kaurismäki // MIT Kati Outinen (Ilona), Kari Väänänen (Lauri), Elina Salo (Frau Sjöholm), Sakari
lichen Ende führt, hält Kaurismäki aller-
Kuosmanen (Melartin), Markku Peltola (Lajunen), Matti
dings für utopisch: «Die Macht liegt in den
Onnismaa (Forsström), Outi Mäenpää (Lauris Schwester).
Händen von Leuten, die das Wort Solidarität noch nie gehört haben.»
Die Oberkellnerin Ilona meistert selbst be-
Michel Bodmer
waffnete Konflikte in der Küche des Restaurants «Dubrovnik» mit links; dennoch ver-
H am Mo, 23. März, 20.45 Uhr: Einführung
liert sie ihren Job, weil das Lokal verkauft
von Martin Walder
wird. Ilonas Mann Lauri wird als Tramchauffeur wegrationalisiert; seine Kollegen haben beim Auslosen der verbliebenen Stellen mehr Glück. Unverdrossen geht Ilona auf Arbeitssuche, muss sich aber wie-
41 IMPRESSUM
DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS
in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Corinne Siegrist-Oboussier (cs), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm) PROGRAMM-MITARBEIT Liliane Hollinger // PRAKTIKANT Marius Kuhn // SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 212 13 77 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 211 66 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Ascot Elite Entertainment Group, Zürich; British Film Institute, London; Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin; Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin; Filmarchiv Austria, Wien; Filmcoopi, Zürich; Gaumont, Neuilly sur Seine; Hollywood Classics, London; The Japan Foundation, Tokio; Jupiter-Film GmbH, Wien; Kadokawa Herald Pictures Inc., Tokio; Peter Langs/Universal Studios Film Archive, Los Angeles; Lionsgate, Santa Monica; Armin Loacker, Wien; Lobster Film, Paris; Motion Picture Licensing Corporation (MPLC), Zürich; Friedrich-Wilhelm-MurnauStiftung, Wiesbaden; Nikkatsu, Tokio; Norddeutscher Rundfunk, Hamburg; Pathé Films, Zürich; Phantom Film, Tokio; Pyramide Distribution, Paris; Schorcht International, München; Shochiku International, Tokio; Studiocanal, Berlin; Syberberg Filmproduktion, München; trigon-film, Ennetbaden; Universal Pictures International, Zürich; Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH, Zürich; Wild Bunch, Paris. DATABASE PUBLISHING BitBee Solutions GmbH, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS & Partner, Zürich // KORREKTORAT N. Haueter, D. Kohn // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 7000 ABONNEMENTE Filmpodium-Generalabonnement : CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // FilmpodiumHalbtaxabonnement: CHF 80.– / U25: CHF 40.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28
VORSCHAU Frederick Wiseman
John Hurt
Der Amerikaner Frederick Wiseman (*1930),
Wer ihn hinter der Maske von The Elephant Man
ursprünglich Jurist, beschloss bei einem Be-
nicht wiedererkannte, dem sind seine Darstel-
such in Bridgewater, einer Anstalt für geistes-
lungen als unfreiwilliger Inkubator in Alien, als
kranke Kriminelle, die dortigen Missstände fil-
Unterdrückter in 1984 oder als gequälter Häft-
misch festzuhalten. Mit dem aufrüttelnden
ling in Midnight Express in bester Erinnerung
Ergebnis, Titicut Follies, begann Wiseman 1967
geblieben: Seit 40 Jahren ist der Brite John
seine Karriere als Cineast. Seither ist er vor
Hurt (*1940) einer der Charakterköpfe des Ki-
allem dank seiner aufschlussreichen Porträts
nos. Die Retrospektive schlägt den Bogen von
komplexer Institutionen (Polizei, Kranken-
seinem Durchbruch im Fernsehen als Trans-
haus, Schule, Theater, Zoo usw.) zu einem
vestit Quentin Crisp (The Naked Civil S ervant)
der wichtigsten und einflussreichsten Doku-
über seine Zusammenarbeit mit Regisseuren
mentarfilmer überhaupt avanciert. Im Kino ist
wie Michael Cimino oder David Lynch bis zu
eben sein jüngstes Werk angelaufen, National
jüngeren Produktionen, etwa dem in der
Gallery; nun zeigt das Filmpodium eine Aus-
Schweiz noch nicht gezeigten Jayne Mansfield’s
wahl seiner früheren Filme.
Car von Billy Bob Thornton.
IN CINEMAS
FIFTYSHADESOFGREY-THEMOVIE.CH