Chiapas und Guatemala, zwei Regionen mit einer gemeinsamen Vergangenheit unter spanischer Kolonialherrschaft und den Wurzeln der Hochkultur der Maya. Zwei Regionen, die geprägt sind von einer lebendigen indigenen Kultur und Tradition und starken Widerstandsbewegungen der marginalisierten Bevölkerung. Während in Guatemala Mitte der 90er der Bürgerkrieg mit Friedensverhandlungen zu einem unblutigen Ende gebracht wurde, begann in Chiapas gerade der Aufstand der Zapatisten international aufsehen zu erregen. Während in Chiapas die indigene zapatistische Bewegung ihre Autonomie immer weiter ausbaut, hat auch der Friedensprozess der indigenen Mehrheit Guatemalas kein Leben in Ruhe und Wohlstand gebracht.
Chiapas y Guatemala Widerstand und Menschenrechte 11 Interviews einer politischen Reise durch Mittelamerika
Während einer sechsmonatigen Reise durch Chiapas und Guatemala im Winter 2003/2004 führte Felix Koltermann in beiden Regionen zahlreiche Interviews mit politischen Akteuren und Vertretern der sozialen Kämpfe. Ob die Vertreterin der Witwen Guatemalas Rosalina Tuyuc, die linke Abgeordnete Nineth Montenegro oder das Mitglied der Generalkommandantur der EZLN, Comandante Moisés, in meinen Augen leisten sie einen gemeinsamen Widerstand gegen ein System, das der Mehrheit der Bevölkerung ein Leben in Frieden und Würde verwehrt. Analytischere Blicke auf die Prozesse vor Ort von Tom Koenigs als ehemaligen Leiter der UN-Mission MINUGUA oder von Marina Pages von der internationalen Friedensorganisation SIPAZ runden die Broschüre ab. In Zusammenarbeit mit CAREA e.V. und UMBRUCH-Bildungswerk ISBN 3-931729-21-4
CAREA e.V. Guatemala Chiapas
Begleitung und Menschenrechtsbeobachtung in Mittelamerika CAREA e.V. existiert seit 1992 und ist als bundesweites Projekt aus der Solidaritätsarbeit zu Guatemala entstanden. Als deutsche Menschenrechtsorganisation bereitet CAREA e.V. Menschenrechtsbeobachter für die Konfliktregion im südmexikanischen Chiapas und Zeugenbegleiter für die Prozesse gegen die ehemaligen Dikatoren Rios Montt und Lucas Garcia in Guatemal vor. Vorraussetzung für die Arbeit mit CAREA ist die Teilnahme an den Vorbereitungsseminaren.
Kontakt: CAREA e.V., Haus der Demokratie und Menschenrechte Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel./Fax.: 030-42805666 www.buko.info/carea, carea@gmx.net
Eine Broschüre von Felix Koltermann in Zusammenarbeit mit CAREA e.V. und UMBRUCH-Bildungswerk Preis 2,50
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Chiapas y Guatemala
Zum Weiterlesen
Chiapas y Guatemala
Inhaltsverzeichnis
Zum Weiterlesen Galeano, Eduardo Die offenen Adern Lateinamerikas, Peter Hammer Verlag
Mexico Boris, Dieter Foxtrott in Mexiko – ISP Verlag Kerkeling, Luz La lucha sigue – Unrast Montemayor, Carlos Krieg im Paradies, Verlag Libertäre Assoziation Munoz Ramirez, Gloria EZLN: 20 und 10: Das Feuer und das Wort, Unrast Traven, B. Die Rebellion der Gehenkten - Diogenes
Inhaltsverzeichnis
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Chiapas y Guatemala
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Guatemala – Eine Einführung
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Interview mit Tom Koenigs, MINUGUA
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Leocadio Juracan, CNOC – CCDA Juan Tinay, CCDA Rosalina Tuyuc, CONAVIGUA Domingo Hernandez, Centro Maya SAQ´BE
16 20 24 30
Estela Maldonado, URNG Nineth Montenegro, ANN
43 38
Claudia Samayoa, CICIACS
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Chiapas – Eine Einführung
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Comandante Moises, EZLN Antonio, Las Abejas Marina Pages, SIPAZ
56 62 70
Schlussbetrachtung Ausblick
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Glossar Zum Weiterlesen
84 88
Guatemala Allebrand, Raimund Die Erben der Maya, Horlemann Verlag Mahony/Eguren Gewaltfrei stören, Die Peace Brigades International - Rotpunktverlag Menchú, Rigoberta CUC Klage der Erde, Lamuv Stumpf/Milborn (Hrsg.) Guatemala, Ein Land auf der Suche nach Frieden, Brandes & Aspel Rey Rosa, Rodrigo Die Henker des Friedens, Rotpunktverlag AutorInnenkollektiv/Infoladen Bankrott – Qué pasa? Entwicklungszusammenarbeit, Biopiraterie und Aufstandsbekämpfung
Impressum
Infostelle Nicaragua/Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit Freihandel und Widerstand in Zentralamerika
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Chiapas y Guatemala
Einleitung
Chiapas y Guatemala
Glossar
Companeros Ejido
Chiapas y Guatemala
Mexiko und Guatemala stehen in Deutschland höchst selten im Fokus des öffentlichen Interesses. Den Medien sind die Geschehnisse in den beiden lateinamerikanischen Ländern meist nur Randnotizen wert. Wenn etwas näher beleuchtet wird, so ist es das touristisch Verwertbare: die landschaftlichen Schönheiten, die beeindruckenden Pyramiden der vorkolumbianischen Hochkultur der Maya, die kolonialen Städte und die bunten Märkte der Indigenas. Nur der weitgehend gewaltlose Aufstand der vermummten Zapatisten in Chiapas hat es seit 1994 geschafft, zumindest in der Alternativpresse und interessierten Kreisen eine stetige Neugier zu erzeugen. Dass beide Länder formal demokratische Staaten sind, ändert nichts an der Tatsache, dass dort die sozialen und politischen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Zahlreiche soziale Kämpfe prägen das Leben der Menschen im Süden Mexikos und in Guatemala. Während in Chiapas der Fokus des Widerstandes die Rebellion gegen die ungerechten Lebensverhältnisse ist, so ist in Guatemala der Kampf für die Aufarbeitung der Verbrechen des Bürgerkrieges eines der zentralen Anliegen.
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Mitglieder bzw. Anhänger Kollektives Gemeindeland; Begriff der seit der mexikanischen Revolution das Rückgrat der Landbevölkerung bildete, da es sich bis zur Verfassungsänderung 1992 um unveräußerliches Land handelte EZLN Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional – Zapatistisches Heer der Nationalen Befreiung; auch unter Zapatisten bekannt; genannt Emiliano Zapata Lacandonen Ethnie die in der Selva Lacandona lebt; wurde durch präsiden-tielles Dekret 1972 Landbesitzer über einen Großteil der Selva Ley Cocopa Gesetzesinitiative zur Umsetzung der Verträge von San Andres Ley Indigena 2001 verabschiedetes Gesetz über indigene Rechte und Kultur; höhlt die Ley Cocopa aus; Grund der Zapatisten Dialog mit der Regierung wieder abzubrechen Marcha Indigena Marsch der Zapatisten durch 31 Städte nach Mexiko Stadt zur Unterstützung der Ley Cocopa 2001 Menschenrechts- Konzept zum Schutz der indigenen Gemeinden durch beobachtung internationale Präsenz Montes Azules Region in der Selva Lacandona mit großer Biodiversität ; Biosphärenreservat Pablo Salazar Gouverneur von Chiapas für die PRD seit 2001 PRD Partido Revolucionario Democratico; Demokratische Revolutionäre Partei, Abspaltung der PRI PRI Partido Revolucionario Institucional; Partei der Institutionalisierten Revolution; Staatspartei bis 2000 Seguridad Öffentliche Sicherheit; Bezeichnet alle Polizeikräfte Publica In Chiapas gemeinsame Patrouillen mit Bundesarmee Selva Lacandona Region an der Grenze zu Guatemala; Zum Großteil der den Lacandonen zugesprochen; Hauptkonfliktgebiet Tzeltal Indigene Ethnie die hauptsächlich in der Selva von Chiapas vertreten ist Tzotzil Indigenas aus dem Hochland; Nachfahren der Maya Verträge von San Vertrag über indigene Rechte und Kultur von 1997; Andres sollte der Beginn einer Reihe von Abkommen zwischen Regierung und EZLN sein; nie umgesetzt Vincente Fox Präsident Mexikos seit 2001; gehört zur rechtskonservativen Partei PAN
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Chiapas y Guatemala
GANA Lucas Garcia MINUGUA Oskar Berger PDH REMHI Rios Montt UNE URNG Voto Util
Glossar
den Bürgerkrieg in Guatemala beendeten Gran Allianza Nacional; Große Nationale Allianz, momentan Regierungspartei des Präsidenten Berger Ehemaliger Diktator Guatemalas Mission der Vereinten Nationen zur Verifizierung der Friedensverträge in Guatemala Seit Anfang 2004 Präsident Guatemalas Procuraduria de Derechos Humanos ; Menschenrechtsstaatsanwaltschaft, Staatliche Institution die aus den Friedensverträgen hervorging Recuperacion de la Memoria y Historia, kirchliche Wahrheitskommission die Bericht Nunca Mas herausbrachte Ehemaliger Diktator von 1982-83 ; Blutigste Zeit der Bürgerkrieges ; war 2003 Präsidentschaftskandidat für die FRG Union Nacional de Esperanza ; Nationale Einheit der Hoffnung, Partei von Alvaro Colom Unidad Revolucionaria Nacional de Guatemala; Nationale Guerillakoordination Guatemalas; nach den Friedensverträgen Transformation in politische Partei Bedeutet nützliche Stimmabgabe – “Das kleinste Übel”
Chiapas Abejas Aguascalientes Autonome Gemeinden CAPISE Caracoles Chenalho Compas -
Bienen – Religiöse Gemeinschaft die im Hochland angesiedelt ist Alte Versammlungszentren der EZLN und Treffpunkt für und mit der Zivilgesellschaft Zusammenschluss zapatistischer Gemeinden, die unabhängig von der Regierung organisiert sind NGO aus Chiapas die im Februar eine Studie über Militarisierung in Chiapas veröffentlicht hat Schnecken; lösten die Aguascalientes ab; Sitz der Guten Regierungen der Zapatisten; Versammlungszentren Bezirk im Hochland von Chiapas mit sehr hoher Präsenz von Paramilitärs Bruder, Kollege; Bezeichnung der Zapatisten für ihre 86
Chiapas y Guatemala
Einleitung
Beide Regionen standen über mehrere Jahrhunderte unter dem Einfluss der Hochkultur der Maya. Für den Kolonialismus, der Lateinamerika in die Abhängigkeit Europas trieb, gehörte die Region zu den mittelamerikanischen Provinzen. Erst die Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert und der später erfolgte Anschluss von Chiapas an Mexiko trennten das Schicksal der beiden Regionen. Als in Guatemala der über 30-jährige Bürgerkrieg Mitte der 90er zu Ende ging, begann zu dieser Zeit erst der Konflikt in Chiapas an die Ober-fläche zu treten. Die Friedensverhandlungen wurden durch den Beginn des Aufstandes der Zapatisten 1994 noch beschleunigt. So sind heute die Zapatisten in Chiapas weltweit ein Beispiel für eine neue Form des zivilen Widerstandes. Die Organisationen in Guatemala haben nach jahrzehnten erfolglosen Widerstandes und bewaffneten Kampfes mit einer großen Resignation zu kämpfen. Für beide Regionen gleichermaßen ist eine krasse soziale Ungerechtigkeit sowie eine Marginalisierung der indigenen Bevölkerung kennzeichnend. Das Interesse und der Reiz, beide Regionen auf einer Reise zu verbinden und thematisch zusammenzubringen, lag für mich zum einen in der geographischen Nähe und zum anderen in der gemeinsamen geschichtlichen Entwicklung begründet. Es war der Versuch, eine Brücke zwischen den Widerstandsbewegungen der beiden mittelamerikanischen Regionen zu schaffen. Während einer sechsmonatigen Reise durch Chiapas und Guatemala für CAREA e.V. im Winter 2003/2004 führte ich in beiden Regionen zahlreiche Interviews mit politischen Akteuren und Vertretern der sozialen Kämpfe. Ob die Vertreterin der Witwen Guatemalas, Rosalina Tuyuc, die linke Abgeordnete Nineth Montenegro oder das Mitglied der Generalkommandantur der EZLN, Comandante Moises, in meinen Augen leisten sie einen gemeinsamen Widerstand gegen ein System, das der Mehrheit der Bevölkerung ein Leben in Frieden und Würde verwehrt. Auch wenn ihre Widerstandsformen andere sind, die Bauernorganisationen Guatemalas den Fokus ihres täglichen Kampfes anders legen als die Gemeinschaft der Abejas in Chiapas oder städtische Maya-Intelektuelle, gemeinsam ist ihnen das Ziel strukturelle Veränderungen zugunsten der Indigenas und Campesinos zu schaffen. Analytischere Blicke auf die Prozesse vor Ort, wie von Tom Koenigs, als ehemaligem Leiter der UN-Mission Guatemalas MINUGUA, oder von Marina Pages von der internationalen Friedensorganisation SIPAZ, runden die Broschüre ab. Die Interviews sind redaktionell überarbeitet, aber bewusst nicht aktualisiert, da sie einmalige Stimmen aus Guatemala darstellen, die über die tagesaktuellen Themen hinausgehen.
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Chiapas y Guatemala
Glossar
Glossar Allgemein ALCA ASC CAFTA
Campesino GATS GTZ Indigenas
Ladinos NAFTA OEA Paramilitärs PPP School of the Americas WTO
Area Latinoamericana de Libre Comercio – Gesamtamerikanische Freihandelszone, geplant ab 2005 Allianza Social Continental – Zusammeschluss der sozialen Bewegungen Lateinamerikas Central American Free Trade Area – Mittelamerikanische Freihandelszone zwischen den USA, Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Panama; soll Anfang 2005 in Kraft treten Kleinbauer der von der Subsistenzwirtschaft lebt General Agreement on Trade in Services – Dienstleistungsabkommen innerhalb der WTO Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit Staatliche Deutsche Entwicklungsorganisation Bezeichnung für die indigene Bevölkerung oder Ursprungsbevölkerung die vor der Kolonialisierung Lateinamerika bevölkerte – ersetzt den als abwertend empfundenen Begriff des Indio Mischlingsbevölkerung zwischen Nachfahren der Spanier und Indigenas North American Free Trade Area – Nordamerikanische Freihandelszone zwischen Mexiko, den USA und Kanada, seit 1994 in Kraft Organisation Amerikanischer Staaten Bezeichnung für bewaffnete Gruppen die mit oder ohne Unterstützung des Staates meist gegen die linken Guerillas agieren Plan-Puebla-Panama; Plan der mexikanischen und zentralamerikanischen Regierungen zur wirtschaftlichen Entwicklung Offiziersschule in den USA die unter zweifelhaftem Ruhm steht, da dort viele lateinamerikanische Folterknechte und Diktatoren ausgebildet und in Techniken der Aufstandsbekämpfung geschult wurden World Trade Organization – Welthandelsorganisation
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Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
Mit 56% der Bevölkerung stellt die indigene Bevölkerung in Guatemala die Bevölkerungsmehrheit. Die über 20 verschiedenen Ethnien, die über das ganze Land verteilt leben, insbesondere jedoch im Hochland, stammen zum Großteil von der Hochkultur der Maya ab. Nur an der Karibikküste gibt es eine Enklave der Garifunas, Nachfahren schwarzer Sklaven aus der Karibik. Mit Beginn der Kolonialisierung setzte ein bis heute andauernder Prozess der Assimilierung und der Unterdrückung ihrer Kulturen ein. Heute sind sie der marginalisierteste Teil der guatemaltekischen Gesellschaft und leben meist von der Subsistenz-wirtschaft. Indigene Widerstände und Rebellionen gibt es seit Jahrhunderten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Indigenen Forderungen waren auch zentraler Bestandteil der revolutionären Bewegungen Guatemalas. In den letzten Jahren spricht man von einer Renaissance indigener Bewegungen und einem neuen Selbstbewusstsein. Mitte des 19. Jahrhunderts begann unter tatkräftiger Hilfe deutscher Pflanzer der forcierte Kaffeeanbau. Mit Hilfe von Zwangsarbeit und erpresserischen Gesetzen, welche den Indigenas ihr Land raubten, wurden weite Teile der fruchtbaren Hochtäler in Kaffeemonokulturen umgewandelt. Anfang des 20. Jahrhunderts begann unter dem Präsident General Ubico das USamerikanische Unternehmen „United Fruit Company“ in Guatemala Fuß zu fassen und einen flächendeckenden Bananenanbau - insbesondere an der Karibikküste - hochzuziehen. Mit der Zeit wurde die Macht der UFCO so groß, dass sie zum Staat im Staate und zum größten Landbesitzer wurde. Anders als in Mexiko gab es in Guatemala keine Revolution, die die Herrschaftsverhältnisse umgestoßen hätte. In der Zeit des demokratischen Frühlings in den 40er und Anfang der 50er Jahre, nach jahrzehntelanger autokratischer Herrschaft, wurden jedoch erste vorsichtige Reformen eingeleitet. Verbesserte Arbeitsgesetze, eine Ausweitung des Wahlrechts sowie eine vorsichtige Landreform standen im Mittelpunkt. Im Juni 1954 wurde diese Phase mit dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung durch eine von den CIA und der UFCO finanzierten Söldnerarmee beendet. Das Militär übernahm die Macht im Land und sollte diese bis heute nicht mehr ganz loslassen. In einer großen Repressionswelle mit Tausenden Opfern zerschlug das Militär alle demokratischen Kräfte im Land. Anfang der 60er Jahre entstand aus einer Reformbewegung innerhalb des Militärs eine erste Guerillagruppe, die jedoch relativ schnell zerschlagen wurde. Der Hass der Oligarchie und des Militärs richtete sich gegen jede zivile und demokratische Opposition im Land. Fast täglich verschwanden Oppositionelle. In diesem Klima entstanden Anfang der 70er Jahre neue Guerillagruppen, die sich 1982 zur URNG (Nationale Revolutionäre Einheit) 5
Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
zusammenschlossen. Anders als beispielsweise in El Salvador oder Nicaragua schafften sie es jedoch nie, den Staat militärisch ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Trotzdem bekämpfte der Staat die Guerilla mit unglaublicher Brutalität. Vor allem unter den Generälen Rios Montt und Lucas Garcia wurde die Aufstandsbekämpfung mit der Politik der verbrannten Erde perfektioniert, der Tausende unschuldig Campesinos zum Opfer fielen. 1998 legte der Bericht der Wahrheitskommission offen, dass über 90% der Verbrechen im Bürgerkrieg vom Militär verübt wurden.
Mit der Unterzeichung eines ersten Abkommens über die Einhaltung der Menschenrechte kam nach mehrjährigen vorsichtigen Annäherungen der Friedensprozess 1994 in Gang. Dieses Abkommen schaffte die Grundlage für den Beginn der UN-Mission MINUGUA. Bis zur Unterzeichung des endgültigen Friedensabkommens in Guatemala-Stadt im Dezember 1996 wurden zahlreiche Einzelpunkte verhandelt, wie die Rolle des Militärs in einer zivilen Gesellschaft, die Aufklärung der zahlreichen MR-Verletzungen, sowie die Rechte der indigenen Bevölkerung. Damit war der Bürgerkrieg formal beigelegt, aber wie es die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu ausdrückte: “Denn Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit von Krieg, wenn es keine Scharmützel und keine Schlacht mehr gibt. Frieden ist auch, Essen zu haben, in einem menschenwürdigen Haus zu leben, Respekt voreinander zu haben.“ 6
Chiapas y Guatemala
Ausblick
Die Zivilgesellschaft ist leider immer noch schwach und gespalten, Frucht eines erfolgreichen Konterguerillakrieges. Auch Berger hat es wie so viele Präsidenten vor ihm meisterhaft geschafft, wichtige Köpfe der Zivilgesellschaft in seine Regierung einzubinden, wie die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, die Botschafterin Ad Honorem des Friedens geworden ist. Trotzdem gibt es immer mehr Organisationen, die angesichts der Misere nicht mehr schweigen, die versuchen, der Machtelite immer neue Kompromisse abzuringen und auf lokaler Ebene den Aufbau einer neuen Gesellschaft in Angriff nehmen. Die Bauernbewegungen haben dabei mit Abstand das größte Mobilisierungspotential. Bis sich jedoch signifikante Ergebnisse zeigen, wird es noch ein weiter Weg sein. Auch wenn der Jahreswechsel 2004-2005 ohne großen öffentlichen Auftritt der Zapatisten zu Ende gegangen ist, halten diese allen Unkenrufen zum Trotz weiter ihre Stellung in den verschiedenen Regionen von Chiapas. Auch wenn es immer wieder Nachrichten über den Abbruch von Unterstützergemeinden gibt, so beeinträchtigt dies insgesamt doch kaum die zapatistische Bewegung. Ob ein Fehlen von großen medien-wirksamen Aktionen wie des Marsches nach Mexiko Stadt im Frühjahr 2001 als eine Schwäche der Bewegung zu begreifen ist, oder sich die Zapatisten mehr auf die Selbstorganisation konzentrieren, ist Interpretationssache. Festzuhalten ist, dass die Zapatisten weiterhin starke Präsenz zeigen, daneben aber unzählige andere Organisationen in Chiapas sich des sozialen Kampfes angenommen haben. Immer noch sind zwei Lager auszumachen, diejenigen, die mit der Regierung zusammenarbeiten und über Geld und Projekte verfügen und diejenigen, die dies ablehnen, solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Und die Rahmenbedingungen sind weiterhin hart. Da können der Bundespräsident Fox und der Gouverneur Salazar noch so viel Werbung für Frieden in Chiapas machen, ein negativer Beigeschmack bleibt, wenn man nach dem Sinn der Militarisierung fragt. Und die neuen Projekte mit der GTZ und der EU in der Selva Lacandona geben klar die Richtung der Politik vor: Neoliberale Großprojekte, Ausbeutung der Ressourcen verbunden mit selektiver Entwicklung regierungsnaher Gemeinden. Naturschutz wird vorgegeben, solange er den eigenen Projekten nicht im Wege steht. Dies ist immer noch konträr zum Konzept eines selbstbestimmten und würdigen Lebens indigener Gemeinschaften in Chiapas und anderer Regionen Mexikos.
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Chiapas y Guatemala
Ausblick
Chiapas y Guatemala – Wie weiter?
Einen Ausblick in die Zukunft zu wagen ist schwer, unterliegen die politischen Prozesse insbesondere in den lateinamerikanischen Ländern doch wenig verlässlichen Konstanten. Dennoch sind immer wieder aktuelle Entwicklungen zu beobachten und zu kommentieren, die so traurig es ist, sich immer wieder den negativen Nachrichten der letzten Jahrzehnte gleichen. Positive Akzente gibt es zumindest von der offiziellen Seite der Politik her kaum zu beobachten. Fast ein Jahr nach dem Amtsantritt Oscar Bergers ist es an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Über 30 Jahre Bürgerkrieg haben das Land in jeder Hinsicht tief getroffen und zerrüttet. Die sozialen Konflikte, die in den 60er und 70er Jahren zum Aufbau der Guerillas führten, bestehen bis heute ungelöst fort. Auch Oscar Berger hat es bisher nicht geschafft, sich an sie heran zu wagen. Er hat im Gegenteil durch zahlreiche gewalttätige Räumungen von besetzten Fincas noch düsterere Wolken aufziehen lassen. Eine von vielen als Schlüssel empfundene Landreform, die breiten Teilen der indigenen Landbevölkerung zu Gute kommen müsste, scheint unter ihm undenkbar. Dazu müsste die Agro-Industrielle Oligarchie von der Verteidigung ihrer alteingesessenen Privilegien abrücken. Und davon ist man immer noch weit entfernt. Auch das Rassismusproblem, dass manche zu Vergleichen mit der Apartheid veranlasst, ist nicht im mindesten andiskutiert, geschweige denn auf den Weg der Lösung gebracht. Die Ausmaße der Korruption, die unter dem letzten Präsidenten Portillo erblühte, sind beängstigend. Es besteht unangetastet ein Geflecht von staatlichen Funktionären, Militärs, organisiertem Verbrechen und paramilitärischen Kräften, das die Macht in ihren Händen hält. So verwundert es auch nicht, dass die Einrichtung der CICIACS nicht so recht gelingen will. 82
Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
Wirkliche strukturelle Veränderungen hat trotz der Verpflichtung der Friedensverträge keine demokratische Regierung bis jetzt vorgenommen. Besonders deutlich wird dies im Agrarsektor, wo die extrem ungerechte Landverteilung fortbesteht. Auf eine harte Zerreißprobe wurde Guatemala mit den Präsidentschaftswahlen im November 2003 gestellt. Als aussichtsreichster Kandidat galt Rios Montt, gegen den Menschenrechtsorganisationen Klagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einreichen wollen. Letztlich wurde vom Verfassungsgericht seine Kandidatur bestätigt. Im Land war eine starke Polarisierung zu beobachten, verstärkt durch die Initiative des letzten Amtsinhabers Portillo, die ehemaligen paramilitärischen Gruppen zu entschädigen. In punkto Wahlen erwies sich die guatemaltekische Demokratie jedoch als krisenfest und verwies Rios Montt auf einen Dritten Platz. Unterstützt von Hunderten nationalen und internationalen Wahlbeobachtern wurde in einem zweiten Wahlgang im Dezember 2003 der Unternehmer Oscar Berger zum neuen Präsidenten gewählt. Im Gegensatz zu den Hoffnungen die es nach der Unterzeichnung der Friedensverträge 1996 für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation gab, hat es nur eine kurze Phase der Erholung gegeben. Insbesondere in den letzten Jahren haben Verbrechen gegen Menschenrechtsaktivisten wieder massiv zugenommen. Es gibt große Defizite bei der Polizei und der Justiz, die ein allgemeines Klima der Straffreiheit fördern. Die Alltagskriminalität hat einen rasanten Anstieg erfahren und paralysiert insbesondere das städtische Leben. Aber auch angesichts der Bedrohungen gehören die Menschenrechtsorganisationen zu den stärksten und kritischsten Stimmen im Land. Von ihnen ging auch die Initiative zur Schaffung der CICIACS, einer Kommission zur Untersuchung illegaler Corps und clandestiner Sicherheitsapparate aus. Während der Zeit des Bürgerkrieges gab es in Guatemala keine linke Vertretung innerhalb des Kongresses, da linke Politik immer mit den revolutionären Bewegungen in Verbindung gebracht und verfolgt wurde. Nach Unterzeichung der Friedensverträge formierten sich unterschiedliche Gruppierungen mit meist sehr kurzer Lebensdauer. Die Nationale Guerillakoordination Guatemalas URNG wandelte sich ebenfalls in eine politische Partei um. Bei den drei Wahlen die es seit den Friedensverträgen gab, kamen die linken Parteien nie über 10% der Stimmen hinaus und die linken Präsidentschaftskandidaten hatten nie reale Chancen. Linke Politiker haben auch heute noch oft unter Bedrohungen und Verfolgungen zu leiden.
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Chiapas y Guatemala
Ausblick
Chiapas y Guatemala
Tom Koenigs
Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahlen für die Zukunft Guatemalas?
Die indigenen Organisationen aus Guatemala beschäftigen sich viel stärker mit Möglichkeiten von Reformen innerhalb des Staates und den von der Regierung unterzeichneten Friedensverträgen, als mit Möglichkeiten, Lebensformen parallel zum Staatssystem umzusetzen, wie es in Chiapas der Fall ist.
Die Niederlage des früheren Militärdiktators Rios Montt bei den Präsidentschaftswahlen gründet sich insbesondere in der Rückkehr Guatemalas zur Zivilgesellschaft. Ein breiter Teil der Bevölkerung ist gegen die alten Diktatoren und die sehr autoritäre, stark um Rios Montt strukturierte Regierungspartei FRG, die zerfallen wird. Auf der anderen Seite sind die beiden stärksten Parteien der letzten Präsidentschaftswahlen GANA und PAN keine Parteien mit einer breiten sozialen Verankerung. Eine gegen die Oligarchie gerichtete Vertretung der Linken existiert nicht. In Guatemala gehören drei Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Bodens. Gleichzeitig lebt die Hälfte der Bevölkerung von der Landwirtschaft, darunter ein erheblicher Teil von der Subsistenzwirtschaft. Diese Menschen drängen sich auf dem wenigen verbleibenden Boden. Wie erklären Sie sich, dass es die linken Parteien, sei es URNG oder ANN, nicht schafften, genau da anzusetzen?
Chiapas hat als Teil Mexikos zumindest von einem Teil der sozialen Reformen der Mexikanischen Revolution von 1911 profitiert. Wobei in Chiapas durch eine ungebrochene Macht regionaler oligarchischer Eliten die Reformen der Revolution und späterer fortschrittlicher Regierungen nur zum Teil – insbesondere im agrarischen nicht - umgesetzt wurden. Trotz allem gab es einen relativen sozialen Frieden, der auch durch die Versuche, nach 1968 Guerillabewegungen aufzubauen, nicht gestoppt wurde. Während in Guatemala der Bürgerkrieg tobte, fanden Intellektuelle und NGO´s in Mexiko Zuflucht und gab es große Flüchtlingslager entlang der gemeinsamen Grenze. Im Zentrum nationaler und internationaler Aufmerksamkeit steht Chiapas erst seit dem Aufstand der Zapatisten 1994. Die Bewegung trat zu einer Zeit ans Licht, als in Guatemala die Guerilla und die sozialen Bewegungen gerade viel Macht verloren und im Friedensprozess steckten. Anstatt nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden, haben die Zapatisten in den letzten zehn Jahren beeindruckende autonome indigene Strukturen entwickelt, wie sie zu keinem Zeitpunkt in Guatemala existierten, noch zur Debatte standen.
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Durch die systematischen Massaker während des Bürgerkriegs an der Linken gibt es weder eine sozialdemokratische Partei noch ein breites Spektrum von Intellektuellen, Lehrern, Wissenschaftlern, Gewerkschaftern, von sozial oder christlich engagierten Leuten. Unter Linke verstehe ich nicht nur, was bei uns SPD oder PDS ist, sondern jeden, der sich irgendwie politisch betätigt. Diese ganze Generation der Blairs und Schröders, aber auch der Aznars sind in Guatemala systematisch umgebracht worden. Es fehlt eine ganze Generation. Einerseits führte dies zu einer allgemeinen Entpolitisierung. Auf der anderen Seite ging ein Teil der politischen Aktivisten ins Exil und einige andere wie Nineth Montenegro sind gegen die Militärs auf die Straße gegangen. Nineth Montenegro entwickelte als Kongressabgeordnete eine unglaubliche Stärke und ist für uns eine große Unterstützung, denn wir können nur verstärken, was sowieso gesagt wird. Ein weiterer markanter Faktor in Guatemala ist die Rassendiskriminierung. Sie funktioniert hier folgendermaßen: Alle sagen, sie seien keine Rassisten. Rassismus aus Ignoranz ist aber auch Rassismus. Mit der Hälfte der Bevölkerung, nämlich den Indígenas, will das hauptstädtische kleinbürgerliche Milieu nichts zu tun haben, es sei denn als Hausangestellte. Aber die darf bitte schön ihre Wäsche nicht in der selben Waschmaschine waschen wie sie. In den kleinbürgerlichen Haushalten sind die von den Indígenas in Chichicastenango gewebten bunten Tücher nicht zu finden, denn das ist eine 9
Chiapas y Guatemala
Tom Koenigs
Chiapas y Guatemala
Ausblick
andere Klasse. Das ist die interpersonelle Diskriminierung. Eine gesetzliche Diskriminierung besteht in der Nichtberücksichtigung der Multikulturalität im Rechtssystem. Die Existenz der 23 Sprachen kommt weder in der Rechtsordnung noch im Institutionensystem vor. In den existierenden Institutionen hingegen nimmt die Zahl der beschäftigten Indígenas umso mehr ab, je höher es in die Hierarchien hinaufgeht, sowohl in der Wirtschaft als auch in Politik und Wissenschaft. Die Indígenas bilden ein nicht erschöpftes Reservoir an Intelligenz und Friedensfähigkeit. Die stärkste Form der Diskriminierung ist die infrastrukturelle. Legt man die Karten mit dem Gebiet der höchsten Analphabetenrate, der schlechtesten Versorgung mit Polizei und Justiz und der größten Armut übereinander, so ergeben sich die indigenen Gebiete. Dies wird international überhaupt nicht wahrgenommen. Deshalb fehlen entsprechende Aufrufe und Sanktionen.
lich gewesen. Genaueres weiß man jedoch nicht über die aktuellen Prozesse in Guatemala.
Alle Gründe, die damals den bewaffneten Kampf ausgelöst haben, existieren auch heute noch. Allerdings ist im Bewusstsein der Menschen der bewaffnete Kampf kein Weg mehr. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass er noch mehr Armut brachte. Alle Nicht-Diskriminierten schieben den ganzen Komplex der Diskriminierung auf die Indígenas. „Ihr müsst euch einigen!“ Einige dich mal mit 23 verschiedenen Sprachen, die so weit oder nah sind wie Ungarisch und Deutsch. Die Partei, die politische Gruppierung, die Bewegung gegen die Diskriminierung, gibt es hier nicht. Das ist eine Charakteristik Guatemalas. Dieses Problem müssen wir uns in den entwickelten reichen Ländern genau vor Augen führen. Es ist hier nicht wie in Chile oder Argentinien mit seinen Entwicklungsmöglichkeiten, sondern eher wie in einem afrikanischen Land.
Der größte und wichtigste und damit prägendste Unterschied zwischen beiden Regionen ist sicherlich die trotz aller Gemeinsamkeiten die sehr unterschiedliche geschichtliche Entwicklung. In Guatemala explodierten die sozialen Kämpfe unter zunehmend repressiven Regimes in den siebziger Jahren und mündeten in den Aufbau starker Guerillastrukturen, die über Jahre in einem Bürgerkrieg mit dem Staat verwickelt waren. Ein unglaublich repressiver und diktatorischer Staat versuchte mit einem Genozid an den Indigenas den Aufständischen das Wasser abzugraben und den sozialen Widerstand zu vernichten, was fast gelang. Der Friedensvertrag, der 1996 von Regierung und Guerilla unterzeichnet wurde ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Man muss miteinbeziehen, dass der „demokratische“ Staat der heute existiert das Produkt der Militärs der 80er Jahre ist, die einsahen dass ein diktatorisches Regime nicht geeignet ist ohne große internationale Proteste die eigenen Ideen umzusetzen. So ist es nicht verwunderlich, dass von dem auf dem Papier eigentlich fortschrittlichen Friedensvertrag nur die wenigsten Passagen umgesetzt wurden. Das kritische Potential der guatemaltekischen Bevölkerung wurde von den Militärs systematische dezimiert, was sich heute im Fehlen durchsetzungsfähiger Köpfe zum Aufbau neuer sozialer Bewegungen zeigt.
Wie erklären Sie sich, dass genau in den marginalisierten, vom Bürgerkrieg am stärksten betroffenen Gebieten die FRG die meisten Stimmen bekommen hat, womit sie auch nach der Niederlage von Rios Montt die die FRG zweitstärkste Partei bleibt?
Ähnlich sieht es in Guatemala aus. So weiß man dort kaum Genaueres über den Aufstand der Zapatisten und die wenigsten indigenen Organisationen Guatemalas haben sich mit dem Konzept indigener Autonomie und Basisdemokratie auseinandergesetzt. Durch die indigene Mehrheit im Hochland gibt es dort ein ganz anderes Selbstbewusstsein der indigenen Gemeinschaften. Die sozialen Bewegungen und die neuen Organisationen, die in Mexiko schon 1994 angestoßen von den Botschaften der Zapatisten entstanden, sind in Guatemala erst im Aufbaustadium. Nur wenige Gruppen wie die HIJOS versuchen sich direkt mit den Bewegungen in Chiapas zu vernetzen und positiv auf den Aufstand zu beziehen.
Guatemala hat viele Probleme, und die FRG hat einige dieser Probleme aufgegriffen, z. B. auch einen Teil des Rassismusproblems. Die FRG hatte im Vergleich mit anderen Parteien die meisten Indígenas in ihren Reihen. Durch die Struktur der Partei sind Nominierungen für das Parlament persönliche Entscheidungen von Rios Montt. Außerdem brachte der bewaffnete Kampf Tote auf beiden Seiten. Indígenas befanden sich sowohl auf Seiten der Soldaten, Zivilpatrouillen und Milizen als auch auf Seiten der Guerilla. Hingegen waren die Führer auf beiden Seiten Nicht-Indígenas. Eine breite 10
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Chiapas y Guatemala
Ausblick
Chiapas y Guatemala – Menschenrechte und Widerstand Bilanz einer politischen Reise
Chiapas y Guatemala
Tom Koenigs
Gruppe von Indígenas z.B. aus dem von den meisten Massakern betroffenen Ort Rabinal sagt: „Als der General kam, war endlich Schluss mit der Gewalt von der einen oder anderen Seite. Da haben wir Ruhe gehabt, wir brauchen eine starke Hand.“ Auf der anderen Seite äußern Opferverbände: „Die starke Hand hat uns genau die Massaker gebracht.“ Die Massaker waren oft auch mit Konflikten zwischen Landbesitzern und Oligarchen auf der einen und Indígenas und Landlosen auf der anderen Seite verbunden. In Rabinal kam noch ein massiver ökologischer Konflikt hinzu. An der Stelle des scheußlichsten Massakers in Rio Negro, das nur zwei Kinder überlebten, befindet sich heute ein Stausee. Diese Facetten müssen bei einer Bewertung des Wahlverhaltens alle mitgesehen werden. Könnte man da denn nicht auch an Wahlbetrug denken?
Vor meiner Abreise erschien es mir logisch unter dem oben genannten Thema meine Vorstellungen zu verknüpfen und mit dem besseren Kennenlernen der beiden Regionen auch zu versuchen, die politischen Entwicklungen beider Regionen zu vergleichen. Jetzt nach meiner Rückkehr erscheint mir dies immer noch nachvollziehbar, aber in seiner ganzen Bandbreite keinesfalls in einem halben Jahr bearbeitbar. Ein gute Herangehensweise ist es sicherlich, Menschen aus den sozialen Bewegungen der beiden Regionen zu Wort kommen zu lassen. So war eine Standardfrage in Guatemala, wie man denn die Tragweite des zapatistischen Aufstandes in Chiapas einschätze und was man von dort zu übernehmen gedenke, und in Mexiko, was man aus der Geschichte des Bürgerkrieges und des Kampfes der sozialen Bewegungen in Guatemala gelernt habe. Generell ist festzuhalten, dass die Kontakte zwischen Organisationen aus beiden Regionen sehr gering sind. Zum einen sind dabei Hindernisse wie die Migrationspolitik der mexikanischen Regierung zu überwinden, die es Guatemalteken nicht gerade einfach macht nach Mexiko zu reisen und zum anderen ist man einfach sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Eine Ausnahme stellen, wie man mir mehrfach versicherte, Kongresse wie das Treffen gegen Militarisierung in San Cristobal im letzten Frühjahr dar. In Chiapas wird immer wieder betont, wie sehr man dem Kampf der guatemaltekischen Guerillas gegen die wechselnden Militärregime und die Oligarchie Tribut zolle. Der bewaffnete Kampf wird als ein Schritt innerhalb der Emanzipierung der Bauern und Indigenas Guatemalas auf dem Weg zur Verwirklichung ihrer Rechte gesehen. Ohne diesen Kampf wäre eine Organisierung, wie es sie heute in Guatemala gibt, wahrscheinlich nicht mög78
Ich glaube nicht an einen allzu großen Wahlbetrug. Es war die für Guatemala bestbeobachtete Wahl. Die Regierung beschloss ein Jahr vor den Wahlen, die Zivilpatrouillen durch Schuldenaufnahme zu bezahlen. So erhielten etwa 520000 ehemalige paramilitärische Mitglieder der Zivilpatrouillen Zahlungen. Die FRG spekulierte auf die Stimmen von den Angehörigen der Zivilpatrouillen und ihren Familien, insgesamt 1,5 bis 1,9 Millionen Stimmen, um die Wahlen zu gewinnen. Die Leute nahmen natürlich das Geld und protestierten bei Nichtzahlungen. Aber sie vertrauten auf eine geheime Wahl und wählten, was sie wollten. Sie küssen nicht die Hand, die ihnen dieses Staatsgeld aushändigt. Die Indígenaverbände warnten die FRG-Regierung immer wieder, sie solle nicht glauben, das „voto indio“ so kaufen zu können. Daher bin ich bezüglich des politischen Bewusstseins, der politischen Entwicklung der Indígenas sehr hoffnungsvoll, hoffnungsvoller als mit den Ladinos. Guatemala wird wahrscheinlich wieder eine oligarchische Regierung bekommen, die diese ganzen Elemente der Zivilbevölkerung, der Bewegung gegen Rios Montt, nicht wird aufnehmen können oder wollen. Die GANA ist keine Partei der Landreform. Wie könnte eine Form der Entschädigung aussehen, die in den Friedensverträgen vorgesehen und noch nicht erfolgt ist? Bisher wurden ausschließlich die Täter entschädigt. Gibt es eine Form der Entschädigung, die allen zu Gute kommen könnte? Die Mitglieder der Zivilpatrouillen sind meistens gezwungen worden mitzumachen, aber es gibt auch viele Täter unter ihnen. Es war eine antidemokratische rechtsterroristische Bewegung. Trotzdem ist bei den insgesamt 800 000 Angehörigen der Patrouillen genau zu differenzieren. 11
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Ziel ist nicht eine Versöhnung, die den Geschädigten sagt: „Ihr müsst verzeihen, dann ist doch alles klar“, sondern die der Regierung sagt: „Das war Staatsterror, der Staat muss dafür die Verantwortung übernehmen“.
Diejenigen, die jetzt Geld fordern, sind vor allem arm. Die Friedensverträge sehen derartige Geldzahlungen nicht vor, wohl aber Infrastrukturmaßnahmen in den armen Gebieten und explizit Entschädigungen und Versöhnungsanstrengungen für die Opfer. Dafür notwendig war eine Organisation der Anspruchsberechtigten und ihrer Forderungen. Mittlerweile erfolgte der Zusammenschluss einer Vielzahl von Opfervereinigungen für einen nationalen Entschädigungsplan, den die letzte Regierung zumindest organisatorisch umsetzte. Den Opferverbänden geht es allerdings vielmehr um die Würdigung des Opfers, das die Bevölkerung erbracht hat. Ziel ist eine Würdigung durch den Staat, vertreten durch den Präsidenten, und ein Bewusstmachen der erfolgten Verluste in der Gesellschaft. Ein Ergebnis war die Einrichtung der Wahrheitskommission. Zusätzlich geht es um die Versorgung der Hinterbliebenen. Ziel ist nicht eine Versöhnung, die den Geschädigten sagt: „Ihr müsst verzeihen, dann ist doch alles klar“, sondern die der Regierung sagt: „Das war Staatsterror, der Staat muss dafür die Verantwortung übernehmen“. Es bedarf aber auch intellektueller Anstrengungen, des Staates oder derer, die im und für den Staat arbeiten. 12
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Marina Pages
Beziehung zum Militär, oder eher parapolizeilich mit Beziehung zur „Seguridad Publica“. Was ein Paramilitär ist, ist vielleicht der Punkt, wo die Diskussion auf der Ebene der NGOs am meisten fortgeschritten ist, da die Leute sich darüber klar geworden sind, dass es keine Sinn hat, den Begriff nach links wie nach rechts zu verwenden, ohne weiter zu spezifizieren, was man meint. Insbesondere in Europa denken die Leute, wenn man von Paramilitärs spricht, an Kolumbien und verstehen nicht, dass es in Chiapas einen ganz anderen Kontext gibt. Ich denke, da gibt es große Fortschritte und die Arbeit von CAPISE auf der Ebene des Militärs wie der Paramilitärs kann dazu beitragen, diese Fragen zu klären. Ändert sich denn auch die Definition der Aufstandsbekämpfung? Ja, und auch da ist eine wesentlich breiter gefasste Definition notwendig. Zu einem bestimmten Zeitpunkt beschränkte sich, von Aufstandsbekämpfung zu sprechen, auf Regierungsstrategien gegen die EZLN, als Gruppe bewaffneter Aufständischer, die der Regierung den Krieg erklärt haben. Mit dem Krieg niederer Intensität ging die Strategie dahin, nicht auf die EZLN, sondern die zivilen Unterstützungsbasen zu zielen. Heute, und da komme ich auf die Situation nach dem 11. September zurück, steht die Frage im Vordergrund, wer denn alles die Aufständischen sind? Und da hat sich der Begriff von der nordamerikanischen Logik kommend, auf alle antineoliberalen Bewegungen ausgeweitet. Aufständisch gegen ein militärisch und ökonomisch dominantes Modell. Und da wird die Sache natürlich auch für uns NGOs wesentlich schwerer. Denn vorher hatten wir es mit klar definierten Feindbildern zu tun, gegen die sich die Aufstandsbekämpfung richtete. Es ist auch diffus geworden, wer denn letztlich Aufstandsbekämpfung betreibt. Damit stellt sich auch die Frage, wo das Projekt der EU in Chiapas einzuordnen ist. Dazu kommt dann die Frage, was heißt es heute Zapatist zu sein? Jemand, der Verbindungen zum Aguascalientes von Madrid hat, ist der Zapatist oder nicht? Und da kommt zum Vorschein, was einer der großen Erfolge der EZLN ist, nämlich von einem lokalen oder im Maximum nationalen Widerstand ein Projekt des Widerstandes nach außen zu tragen, das als solches von anderen Bewegungen übernommen wird. Dazu gehört, all das, was mittlerweile schon weltweite Referenzpunkte sind, wie das „Gehorchend befehlen“, „Eine Welt, in die viele Welten passen. Damit ist ein Aufständischer auf dieser Ebene jeder, der sich gegen den Status Quo richtet. Und dann folgt natürlich die Gretchenfrage, wer dann alles Ziel der Aufstandsbekämpfung wird?
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genauso aber auch strategische Fehler. Man sieht nicht, was letztlich die Strategie der EZLN für die Montes Azules ist. Nach der Analyse von CAPISE bekommt man den Eindruck dass die Montes Azules dass Szenario des Konflikte sind und es da zu schweren Konfrontationen kommen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Präsenz der Milizionäre dort so groß ist, dass die EZLN sich der Bundesarmee stellen könnte und es würde der EZLN natürlich auch in keinster Weise entgegen kommen, die Waffenruhe zu brechen. Es scheint, als wäre es mehr die Strategie des kalten Krieges: Beide spielen alle Karten aus, aber vermeiden direkte Konfrontationen, denn das wäre fatal für alle. Mir gefällt dieses Bild des Kalten Krieges sehr gut, denn damit stellt sich ja die Frage wie dort eine Entspannungspolitik aussehen könnte? Mir erscheint es wie zwei parallele Welten die sich aufbauen, auf der einen Seite die Zapatisten mit ihren autonomen Strukturen, und auf der anderen Seite Salazar und mit den NGO´s die einen kleinen sozialen Wandel vorspielen. Das ist sehr interessant, denn mir ist das mit dem kalten Krieg auch noch nie vorher aufgefallen. Denn im Kalten Krieg gab es ja auch das Konzept des Dritten Weges der Entwicklungsländer. Die Zivilgesellschaft spielt so eine Rolle des Kissens, zwischen den beiden Parteien, mit ihrer physischen Präsenz. Heute herrscht bei der Zivilgesellschaft große Unklarheit. Wir haben in Mexiko die zapatistische Referenz als solche verloren. Vorher war es die EZLN,von der ausgehend alle sich organisierten, mit einer sehr weiten Reichweite, aber jetzt, mit dem ausgedehnten Konzept der Autonomie scheint jeder in seine Richtung zu gehen. Die Zivilgesellschaft steht da etwas auf verlorenem Posten. Sie gruppiert sich weiterhin um die strukturellen Ursachen des Konfliktes. Man wird sehen ob sie es schafft, wieder mehr an das zapatistische Konzept anzudocken. Einige interessante Beispiele wie in Tlanepantla oder vor einiger Zeit in Salvador Atenco, in eher urbanisierten Räumen, zeigen jedoch auch, dass die Frage der Autonomie gerade keine rein indigene ist, sondern in einem oder anderen Moment eine Form Politik zu machen.
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Tom Koenigs
In Guatemala sind noch zu viele an einem schwachen Rechtsstaat interessiert. Die Oligarchie sagte immer, wir machen das selber, wir können das selber. Wir brauchen weder einen Sozialstaat noch einen starken Rechtsstaat, wir verteidigen uns selbst, der Starke ist am mächtigsten allein. Es fehlt das Bewusstsein der Verpflichtung zu Steuerzahlungen. Der neoliberale Diskurs wird mit Begeisterung geführt. „Der Staat ist zu stark, wir müssen ihn abspecken, privatisieren.“ Und das bei einer Staatsquote von neun Prozent. Zum Vergleich: Schweden besitzt eine Staatsquote von 56 Prozent, Deutschland von 46 und die USA von 35. Das Bewusstsein ist hier überhaupt nicht da, Dienste wie Erziehung, Gesundheit und Infrastruktur durch den Staat für alle zur Verfügung zu stellen. Die Leute fordern internationale Hilfe, aber gleichzeitig wird diese Hilfe im nationalen Rahmen nicht gewährt. Der letzten Regierung gelang es nicht, die Steuern zu heben. Sie stießen auf einen massiven und erfolgreichen Widerstand der Bourgeoisie und Oligarchie. Diese wehren sich gegen jede Erhöhung der Staatsquote mit für Guatemala völlig absurden neoliberalen Argumenten. Ein Staat mit einer Staatsquote von neun Prozent ist nicht aufrechtzuerhalten. Ergebnis ist eine halb so starke Polizei wie in Bayern, und das in einer Nachkonfliktsituation mit einer sehr hohen Verbrechensrate. Gleichzeitig besitzt die Staatsanwaltschaft nur in 30 der 330 Gemeinden eine Vertretung und der Rechtsapparat ist schlecht ausgebildet. Sowohl in der Justiz als auch in der unterfinanzierten Polizei und Staatsanwaltschaft herrscht teilweise Korruption. Für die Bevölkerung besteht das Hauptproblem in der Sicherheit, dem Schutz von Leib und Leben. Selbst in Gebieten extremer Armut sieht die Hälfte der Bevölkerung die Sicherheit als das vorrangige Problem an und nicht etwa die Armut. Der Analphabetismus ist extrem hoch. Das charakterisiert das Entwicklungsland in Amerika, das am wenigsten Fortschritte gemacht hat. Guatemala ist ein Entwicklungsland in einem sehr frühen Stadium. Könnte in Anbetracht der Situation stärkerer internationaler Druck helfen, sei es von den USA oder von Deutschland?
In jedem Fall wird man die Paramilitärs wie die Aufstandsbekämpfung neu definieren müssen. Und das Thema der Paramilitärs ist auch das, wohin CAPISE geht. Das heißt zu differenzieren zwischen Bewaffneten, die nicht meinen Standpunkt teilen, und einem Paramilitär mit einer klar definierten
Der Druck Europas und der USA ist ein völlig unterschiedlicher. Für die USA spielt der Drogenhandel eine große Rolle. Guatemala ist Zwischenstation des Drogenhandels. Dadurch kommt eine ganze Welle organisierter Kriminalität ins Land, die bis in die Kreise der Kleinkriminalität hineinreicht. Dieses Riesenproblem benötigt eine starke und gut ausgebildete Polizei. Hier engagieren sich die US-Amerikaner sehr. Die Beziehungen zwischen Guatemala und den USA sind sehr komplex. Zwei Millionen in den USA lebende
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Wie geht man den zur Zeit mit dem Problem der Paramilitärs in Chiapas um?
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Guatemalteken schicken ihr Geld in die Heimat zurück. Die USA ihrerseits drängen nachdrücklich auf ein Freihandelsabkommen, das für Guatemala erhebliche Probleme mit sich bringen würde. Andererseits unterstützen die USA die UN-Mission intensiv im Kampf für einen Rechtsstaat. Europa hingegen spielt eine andere Rolle. Es setzte sich sehr stark für die Friedensverträge ein. Die Konditionierung der Entwicklungshilfe ist eine zweischneidige Sache. Auf Antrag der Grünen entschied der Bundestag bezüglich Lateinamerika, wir fördern keine Polizeiprojekte mehr. Das ist sehr ambivalent. Wirklich notwendig ist in Guatemala eine demokratische, effiziente und nicht korrupte Polizei. Wir wollen eine starke Polizei, aber natürlich keinen Polizeistaat. Die Friedensverträge sind ein Entwicklungsprogramm, und die gesamte Hilfe aller Länder orientiert sich daran. Das ist sehr positiv. Zu wünschen wäre ein Engagement Deutschlands an der Antidiskriminierungsfront ebenso wie deutliche Worte Europas an Guatemala in dieser Frage. Aber insgesamt gilt: Nicht Druck, sondern Aufmerksamkeit zählt. Viele Länder kündigten für den Fall der Wahl von Rios Montt einen Abzug ihrer Hilfe an. Diese Position ist für die auch von Deutschland unterstützte Defensoria Maya völlig unverständlich. Für sie wäre im Falle eines Wahlsiegs des Ex-Diktators eine Verdoppelung der Hilfe die einzig richtige Konsequenz gewesen. MINUGUA ist regierungskritisch, und der Präsident beschwerte sich ständig beim UN-Generalsekretär über MINUGUA und mich. Trotzdem sind wir eine Stimme, die gehört wird. Meine Position ist: Gute Projekte fördern, über Diskriminierung reden. Anzusetzen ist bei den Diskriminierern und weniger bei den Diskriminierten, denn die wissen was Diskriminierung ist. Welche Bedeutung haben heute noch die Friedensverträge? Die Friedensverträge sind ein Programm, vergleichbar dem einer sozialen, modern eingestellten Partei. Vereinigt man das Beste aus den Programmen von CDU und SPD in einem Konzept, kommt man ungefähr auf die Vision der Friedensverträge. Als ein völlig neues Element enthält der Friedensvertrag die Rechte der indigenen Bevölkerung, die sehr weitgehend und eine Perspektive für die nächsten Jahrzehnte sind. Allerdings wäre ein stärkerer Druck seitens der beiden vergangenen Regierungen in der Umsetzung der Friedensverträge zu wünschen gewesen. Dies gilt ebenso für die jeweils die Regierung tragenden Schichten, d.h. kleinbürgerlichen Kreise um die FRG und großbürgerliche und oligarchische Kreise. Nur mal ein Beispiel: Costa 14
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Marina Pages
Man stößt da auch auf eine andere wichtige Achse des Konfliktes in Chiapas, die sich um die Begriffe Legitimität und Legalität dreht. Auf legaler Ebene sind die Lacandonen die Besitzer, was man mit historischem Blick natürlich in Frage stellen kann, da sie nicht einmal von dort kommen. Aber immerhin leben die Lacandonen Jahrhunderte dort und haben, wie alle anderen auch, Rechte auf das Land. Und das war eine der ersten Forderungen der Zapatisten, das Recht auf Land als Menschenrecht zu betrachten. Bei den aktuellen Migrationen ist zu beachten, dass dort Gruppen hinkommen, die sich auf die eine oder andere Weise mit den Zapatisten verbinden. Das heißt, es ist natürlich wesentlich schwerer Leute zu vertreiben, die sich Zapatisten nennen, als jemanden, der zu einer anderen politischen Struktur gehört. Dazu kommen andere Widersprüche, wie der geschützten Biosphäre und erlaubt einen Umweltdiskurs, der halb gefährlich ist, da er die Indigenas als der Akteur sieht, der kommt um den Regenwald abzuholzen. Wenn man letztlich die Geschichte der Selva studiert, waren es nicht die Indigenas, die Raubbau betrieben, sondern Holzunternehmen, die in großem Stil dort aktiv waren. Der Umwelt-Diskurs wird dazu benutzt, die Invasionen von Land zu diskreditieren. Und letztlich sind die Migrationen dorthin Invasionen, Leute die nichts zu verlieren haben, aber Land brauchen und dies macht sie gefährlich. Auch wenn man mit den besten Absichten der Welt kommt, und den Konflikt lösen will, ist dies in keinster Weise einfach, da es dort zu viele Akteure gibt. Es ist eine Schlüsselregion für ökonomische Interessen und dort eine Lösung zu suchen, impliziert in jedem Fall große strukturelle Veränderungen. Welche Rolle können denn da die NGO´s einnehmen? Bei der Frage nach der Transformierung des Konfliktes stellt sich die Frage, wie man eine Lösung finden kann, wo alle gewinnen. Das ist natürlich nicht einfach. Und aus der Sicht der NGO´s stellt sich die Frage, welche Rolle man spielen will. Will man sich in der sehr polarisierten Situation der Montes Azules mit vielen Akteuren zusammen an einen Tisch setzen, als NGO im Mittelpunkt? Darüber schwebt letztlich der Konflitk EZLN Regierung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die NGO´s nicht die Legitimation fühlen, dies zu tun. Das hieße, die EZLN zu etwas zu zwingen, zu dem sie als einer der wichtigen Akteure dort nicht bereit ist. Jeder spielt letztlich mehr oder weniger die Rolle des Feuerwehrmannes, mit Brigaden und zivilen Friedenscamps in den harten Momenten. Die Frage ist auch, wie die EZLN mit ihren Fehlern umgeht, denn man kann nicht verneinen, dass es welche gibt. Auf der Ebene der Menschenrechte, 75
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Der Umwelt-Diskurs wird dazu benutzt, die Invasionen von Land zu diskreditieren. Und letztlich sind die Migrationen dorthin Invasionen, Leute die nichts zu verlieren haben, aber Land brauchen und dies macht sie gefährlich.
Seit 2001 gibt es auch große europäische NGOs wie Oxfam und NOVIB die auf die Karte der Co-Investition mit der Regierung setzen. Da erscheint das Projekt der EU natürlich rein politisch. Ich würde gerne auf den Konflikt um die Montes Azules zu sprechen kommen. Von Deutschland aus habe ich den Eindruck, dass es da eine sehr emotionalisierte Diskussion gibt, wo es sehr schwer zu entscheiden ist, wie und wo man dort intervenieren kann. Letztlich stößt man dort ja auf die Büchse der Pandora mit den strukturellen Ursachen des Konfliktes. Die Montes Azules sind sicherlich paradigmatisch für das Niveau der Komplexität des Konfliktes in Chiapas. Eine interessant Sache ist, dass der Konflikt in den Montes Azules als ein interethnischer Konflikt erscheint. Bisher gab es eher homogene Regionen, die Altos Region Tzotzil, die Selva Region Tzelta, die Grenzregion Tojolabal, etc.. Da die Montes Azules eine relativ junge Region der Migration sind, gibt es dort viele verschiedene Ethnien, die sich dort insbesondere mit den Lacandonen vermischen. Egal mit welchen politischen Optionen die anderen dorthin kamen, auf legaler Ebene ist die Erde dort Besitz der Lacandonen. In einem präsidentiellen Dekret wurden Millionen von Hektar einer Handvoll Familien übertragen, während der restliche Bundesstaat insbesondere in den Altos vor einem großen Landproblem steht. In den Montes Azules sind viele strukturelle Ursachen im Spiel, die früher oder später Veränderungen von der Föderation her bedürfen. Und da ist die offizielle Position, dass es kein Problem gibt, dies vielmehr gelöst ist, Land verteilt wurde, etc.
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Tom Koenigs
Rica gibt seit 25 Jahren pro Nase doppelt so viel für Erziehung aus. Das Analphabetismus-Problem auf dem Lande in Guatemala - 30 Prozent können nicht lesen und schreiben, bei Mädchen und Frauen sind es sogar 70 Prozent - lässt sich mit entsprechendem politischen Willen lösen. Die internationale Gemeinschaft würde eine wirkliche Alphabetisierungskampagne in Guatemala sicher fördern. Das wäre eine echte soziale Errungenschaft. Guatemala ist ein ressourcenreiches Land, besitzt Industrien und entsprechende ökonomische Möglichkeiten. El Salvador arbeitete sich aus einer größeren Armut als Guatemala hervor zu einer besseren Einkommensentwicklung. Selbst Nicaragua arbeitet, aus einer wesentlich schlechteren Ausgangssituation, relativ systematisch an dieser Aufgabe trotz seiner riesigen politischen Konflikte. Guatemala eben nicht. Ob die nächste Regierung die Probleme anpacken wird, werden wir sehen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob sie gegen den Widerstand der oligarchischen Kräfte die Landfrage angeht. Nach dem Verhalten des Parlaments in der letzten Periode ist eine Annahme durch die Partei des Präsidenten Berger sicherlich auszuschließen. Die internationale Gemeinschaft finanziert als ersten Schritt Pilotprojekte für ein Katastersystem mit bisher zwölf Millionen Dollar. In dem entsprechenden, von der letzten Regierung beschlossenen Gesetz ging es lediglich um die Klärung der Eigentumsfrage bzw. einen Mechanismus für deren Feststellung. Die rechten Parteien PAN und GANA lehnen dies entschieden ab, genauso wie die sie unterstützenden Landbesitzerverbände. Dieses Land ist systematisch kolonialisiert worden, nicht zuletzt mit besonderen Gesetzen für deutsche Siedler im 19. Jahrhundert. Zusätzlich versetzt man jetzt noch je nach Macht die Zäune. Kein Grundbesitzer hat Interesse an der Feststellung seines doch nicht ganz so großen Landbesitzes anhand irgendwelcher Dokumente. Diese ganzen Konflikte entladen sich derzeit teilweise gewaltsam. Die Forderung nach Landrechten ist eine der indigenen Bevölkerung auf der ganzen Welt. Wir arbeiten an dieser Frage gemäß den Friedensverträgen. Dies geht sehr tief in den gesellschaftlichen Konfliktbereich hinein, denn Guatemala ist eine agrarische Gesellschaft und daher sind Konflikte typischerweise Landkonflikte.
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Leocadio Juracan
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Kommunique der Zapatisten über das Cindarella-Syndrom beziehen, dass, bevor Du mir einen Schuh schenkst mich fragen sollst, ob ich den will. Wie schätzt Du denn das neue Projekt der Europäischen Union in Chiapas ein? Chiapas ist der erste Fall, wo es ein direktes Abkommen zwischen der EU und einem Bundesstaat gibt, und nicht der Nation oder der Föderation. Die Frage ist natürlich, worauf dies antwortet und wie weit die EU sich darüber bewusst ist, wo sie sich einmischt. Wenn man auf der anderen Seite die Dokumente liest, die bereits darüber zirkulieren, kann man sich nicht vorstellen, dass es soviel politische Blauäugigkeit gibt. Noch 1993 vor dem Aufstand wusste niemand auf höheren Regierungsebenen, wo Chiapas liegt, aber heute wird man auch in den höheren Kreisen der EU wissen, was es mit Chiapas auf sich hat. Natürlich passt dazu der Regierungsdialog, den Dialog auf Chiapas zu begrenzen oder soweit zu gehen wie 1994 zu behaupten, dass es nur vier Verbandsgemeinden wären, wo die EZLN die Bevölkerung repräsentiert, um damit dem Aufstand jede soziale Relevanz abzusprechen.
„Die Krise, die wir kleinen Produzenten erleben, ist schon eine Folge der Freihandelspolitik, ohne dass es formelle Abkommen gibt.“ Leocadio Juracan ist Vorsitzender des Komitees der Bauern des Hochlandes (CCDA – Comité Campesino del Altiplano). Gegründet wurde das CCDA am 2. März 1982. Die Organisation ist Mitglied der nationalen Kleinbauernkoalition CNOC. Das CCDA ist eine kleinbäuerliche indigene Organisation, die für die Forderungen der Kleinbauern des Hochlandes um Demokratie und eine gerechte Landverteilung kämpft. Die 99 Mitgliedsgemeinden des CCDA befinden sich zum Großteil in der Gegend des Atitlan-Sees. Das Interview wurde am 28. November 2003 in der Gemeinde Don Pancho in der Nähe von Esuintla bei der Übergabe einer Finca von Fontierra geführt.
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Die EU begibt sich in die Selva Lacandona, die seit 2002 problematischste Region. Jeder weiß, dass dies die Bastion der Zapatisten ist. Dazu kommt, dass man vermutet, dass auch die USA über NGOs wie „Conservation International“ dort Fuß fassen wollen. Da liegt es auch nicht fern, dahinter die Aufstandsbekämpfung zu vermuten. Wenn man genauer die Dokumente liest, stellt sich heraus, dass die EU Geld vor allem in die Weiter- und Ausbildung von Akteuren steckt. Das lässt sich natürlich sehr schwer hinterfragen, da dies keine direkte Intervention ist. Die wird wiederum mit Geld des Bundesstaates finanziert. Ich weiß nicht, was letztlich dahinter steht, aber die Selva Lacandona bedeutet in jedem Fall Biodiversität, Wasser, Erdöl, Tourismus. Darüber hinaus ist insbesondere nach dem 11. September die Frage, was dort alles zusammenkommt: es gibt eine bewaffnete Gruppe, den Aspekt der Migration und der Grenzen, sowie der strategischen Ressourcen. Wenn man dann die Karte, wo die EU aktiv werden will, mit der Karte von CAPISE über die Militarisierung in Chiapas übereinander legt, dann ergibt sich eine erstaunliche Übereinstimmung. Man muss sich fragen, ob es sich für die Militärs um Aufstandsbekämpfung handelt oder darum, geht, mögliche Investitionen abzusichern. Ich glaube nicht, dass alle Akteure den Konflikt als zentralen Aspekt sehen. Sie gehen im Gegenteil davon aus, durch Pazifizierung die Konfrontationen um ein Maximum reduzieren zu können um währenddessen stärker die ökonomische Karte zu spielen. 73
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Marina Pages
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Leocadio Juracan
SIPAZ arbeitet ja für die Versöhnung in Chiapas, aber ich denke, alle sind sich darüber im Klaren, dass immer noch die soziale Gerechtigkeit fehlt. Wie positioniert sich SIPAZ dazu?
Herr Juracan, lassen sie uns über die Probleme der Kleinbauern und Kaffeeproduzenten sprechen. Ist es aufgrund der Kaffeekrise überhaupt noch sinnvoll, Kaffee zu produzieren?
Das war eine sehr wichtige Diskussion. Und da gibt es eine Veränderung, denn mittlerweile spricht niemand mehr von Versöhnung, sondern davon, die Bedingungen für einen Dialog zu schaffen. SIPAZ hat schon 2000 seinen Auftrag geändert. Ich denke, niemand arbeitet direkt für den Dialog und er wird auch nicht als ein Ereignis der nahen Zukunft gesehen.
Die Kaffeekrise besteht aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Interessen der USA und dem Monopol 5 oder 6 großer Konzerne, die den Kaffeepreis kontrollieren. Die Kaffeeproduktion ist für die kleinen Produzenten längst kein wirtschaftlicher Faktor mehr und garantiert kein Grundeinkommen für eine Familie. Die kleinen Produzenten besitzen meist die schlechtesten Stücke Land, wo es keine Möglichkeit zur Bewässerung gibt und die klimatischen Bedingungen keine anderen Produkte zulassen. Dort, wo eine Diversifizierung möglich ist, arbeiten wir mit ökologischer Landwirtschaft und organischer Produktion. Wir empfehlen den Kaffeeanbau durch Grundnahrungsmittel und Kleintierzucht zu bereichern. Dort, wo dies nicht möglich ist, kann man auch versuchen mit Obstbäumen und Nutzholz die Diversifizierung voranzutreiben.
Aufgrund der mittlerweile fast achtjährigen Abwesenheit eines Dialoges richtet sich die Arbeit von SIPAZ, wie die vieler anderer nationaler Organisationen, die im Friedensbereich arbeiten, auf die strukturellen Ursachen des Konfliktes. Und auch mit einem Dialog würde dieses Thema immer noch auf der Tagesordnung stehen, insbesondere nachdem 1996 der Dialog von San Andres nach der ersten Runde abgebrochen wurde. SIPAZ kann so fortfahren, eine Position zwischen den Akteuren beizubehalten, muss aber eine klare Positionierung einigen Themen gegenüber finden. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr eine Schlüsselrolle im „Treffen der Hemisphäre gegen die Militarisierung“ gespielt. Dazu gehören auch die Themen des Neoliberalismus, der Armut und der Entwicklung und insbesondere, welche Art von Entwicklung. In Mexiko heißt das, auf der Seite der Indigenas zu stehen, und was die fordern, ist teilzuhaben am Design der Entwicklungspolitik. Letztlich ist das ja die Schlüsselfrage, ob es tatsächlich einen sozialen Wandel geben wird? Was in jedem Fall fehlt, ist zu definieren, was wir unter sozialem Wandel verstehen. Zum einen ist da die am meisten von den NGOs kritisierte Position von Salazar, weil sie keine Beziehung zu den Themen Gerechtigkeit, Militarisierung, etc. herstellt. Für ihn ist der soziale Wandel eine Armutsbekämpfung mit der Förderung einer Entwicklungspolitik, wie sie von den Indigenas nicht geteilt wird. Fox hat dies natürlich auf den Punkt gebracht, indem er sagte, dass der Traum von Entwicklung in diesem Land Fernsehen, einen Volkswagen und Arbeit für jeden bedeutet. Es gibt jedoch einige Akteure, die daran glaubten, darunter selbst Don Samuel Ruiz, als er in den Siebzigern nach Chiapas kam und meinte, es würde reichen abzusichern, dass alle ein Dach über dem Kopf haben und Spanisch sprechen können. Ich denke, e gibt in jedem Fall immer noch eine sehr paternalistische und karitative Sichtweise, den armen Indigena zu sehen, ohne ihn als Akteur eines tiefgehenden sozialen Wandels Ernst zu nehmen. Da muss man sich auf das 72
Aus diesem Grund begannen wir auch, als Alternative das Projekt Café Justicia zu entwickeln und zu stärken. Der Café Justicia ist eine Form sich den Konsumenten anzunähern und die Wertsteigerung aus dem Weiterverkauf bei uns zu behalten. Wir schaffen Arbeitsplätze in den Gemeinden und nutzen die Abfälle der Produktion, wie die Hülse der Bohnen, zur Herstellung von biologischem Dünger. Trotzdem trägt der Café Justicia nur zu etwa 59% des Einkommens der 31 Gemeinden bei, die Kaffee produzieren. Wir zahlen den Produzenten im Vergleich zu den Zwischenhändlern das Doppelte, zuzüglich zur technischen Hilfe und Weiterbildung. Einer der Unterschiede, wie wir den fairen Handel betreiben, ist nicht nur die ökonomische Hilfe für die Gemeinden, sondern damit verbunden politische Forderungen zu formulieren. Was ist aktuell für Sie die wichtigste Aufgabe der sich Guatemala stellen muss? Wir denken, dass das wichtigste und drängendste für Guatemala eine Landreform ist. Jedoch lassen die aktuellen juristischen und politischen Bedingungen in Guatemala dies unmöglich erscheinen. Es gibt z.B. viele durch die Kaffeekrise verlassene Fincas, aber dem Staat fehlt die politische Fähigkeit zu verhandeln, staatliche Subventionen zur Verfügung zu stellen und den landlosen Bauern die Möglichkeit zu geben, Lebensmittel zu produzieren. Guatemala ist ein Land reich an Naturschätzen und natürlichen Ressourcen, und trotzdem gibt es Gemeinden, die vor einer Hungerskatastrophe stehen. Das ist etwas widersprüchlich zu dem Reichtum im Land 17
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Leocadio Juracan
und der aktuellen wirtschaftlichen Situation. Die Nahrungsmittelsicherheit ist machbar, wenn es finanzielle Ressourcen gibt um das Land zu bearbeiten und auf dem eigenen Eigentum Lebensmittel produzieren zu können, d.h. Grundnahrungsmittel für die Familien und später für den Export und die Kommerzialisierung. Sehen sie mit den beiden Kandidaten der Stichwahl im Dezember, Berger und Colom, eine Lösung für die Probleme auf dem Land und gibt es Hoffnungen dass Fortschritte beim Agrarthema gemacht werden? In jedem Fall repräsentieren die beiden Kandidaten der Stichwahl die Oligarchie unseres Landes. Etwas genauer auf die beiden Parteien schauend fällt jedoch auf, dass die Große Nationale Allianz GANA von Oscar Berger noch stärker in die Verteidigung der Privilegien der Oligarchie verstrickt ist. Aus diesem Grund würden wir für das kleinere Übel stimmen, wohl wissend, dass beide die Oligarchie repräsentieren und ausschließlich die Interessen der Reichen verteidigen. Auch um nach dem Sieg der GANA in den Parlamentswahlen ein Gleichgewicht innerhalb der Verwaltung des Staates zu schaffen, würden es vorziehen, dass Colom gewinnt. Wie beeinflussen Freihandelsabkommen, wie beispielsweise das Mittelamerikanische Freihandelsabkommen CAFTA oder die zukünftige Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA die Mitglieder des CCDA? Die Politik der neoliberalen Globalisierung der Wirtschaft haben wir vom CCDA stets offen zurückgewiesen. Wir sind der Meinung dass die Krise, die wir kleine Produzenten erleben, schon jetzt die Folge der Freihandelpolitik ist, ohne dass es formelle Abkommen gibt. Wenn die Freihandelsabkommen denn tatsächlich in Kraft treten werden, wird der Effekt noch größer sein. Aber die wichtigste negative Konsequenz ist, dass weiterhin neue Einkünfte ausschließlich für große Unternehmen geschaffen werden. Die USA haben ein neues Gesetz gegen Bioterrorismus das besagt, dass jedes Lebensmittelprodukt, welches in die USA exportiert werden soll, registriert werden muss. Hat dies auch Effekte auf die kleinen Kaffeeproduzenten und Kooperativen?
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Marina Pages
Welche Rolle nehmt ihr als unabhängige Organisation gegenüber den Regierungen auf Bundes- und Landesebene ein? Zuerst ist festzustellen, dass wir sehr differenzierte Beziehungen zu den verschiedenen Akteuren im Konflikt in Chiapas haben. Insbesondere mit der Regierung und der EZLN steht in keinem Fall eine direkte Unterstützung als Akteur an. Aber es gab und wird weiter eine Gesprächsebene mit den verschiedenen Akteuren geben. Das ist ein unersetzliches Element, um eine genaue Analyse eines unglaublich komplexen Konfliktes zu machen. Wir können für SIPAZ festhalten, dass wir den alten Akteuren des Konfliktes gegenüber unserer Position der Unabhängigkeit beibehalten. Mit der Zivilgesellschaft als relativ neuem Akteur haben wir eine Beziehung, die bis hin zu Kooperationen reicht. Wie könnt ihr rechtfertigen, mit allen am Konflikt beteiligten zu reden und in Kontakt zu stehen? Ich kann mir vorstellen, dass dies zum Teil scher zu vermitteln ist? Das war etwas, was uns viel Zeit kostete, den Akteuren verständlich zu machen. Noch wichtiger war es in den ersten Jahren der Präsenz von SIPAZ Kontakte aufzubauen. Und auf dieser Ebene gibt es eine sehr klare Beziehung. SIPAZ wird als externe Referenz gesehen, die fortfährt, von Chiapas außerhalb von Mexiko zu sprechen und dies ist für alle Akteure sehr wichtig. Ich denke, in den Augen der Regierung kann SIPAZ in einem Moment die Rolle einer Brücke spielen, mit einer eher vermittelnden Rolle. Aus Sicht der Akteure gesehen, war diese Haltung sehr viel schwerer in den ersten Jahren zu verstehen, als die Zivilgesellschaft sich für eine bedingungslose Unterstützung der zapatistischen Sache entschieden hatte. Heutzutage mit der bleibenden Polarisierung EZLN – Regierung gibt es wesentlich mehr Akteure dazwischen, insbesondere nach den Wahlen aus dem Jahr 2000. Einige NGO´s haben angefangen sehr stark mit der Bundesstaatsregierung zusammenzuarbeiten. Viele sind sich darüber klar geworden, dass man den Konflikt nicht in Schwarz-Weiß betrachten kann, sondern es sehr viele Graustufen gibt. Und es gibt natürlich Leute unter uns, die die Ursachen des Aufstandes akzeptieren, nicht jedoch die Mittel.
Definitiv. Das sind Mechanismen, die insbesondere die USA benutzen, um die kleinen Produzenten an den Rand zu drängen. Ständig verabschieden sie neue Regeln und Normen für den Export in die USA, die wir Kleinbauern 18
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aufgrund der Kosten, des Zeitaufwandes und der Informationen, die man benötigt, um diese Regeln umzusetzen, nicht erfüllen können. Das ist eine neue Form der Kontrolle um zu verhindern, dass die Kleinbauern Zugang zum Markt gewinnen. Das sind die Widersprüche des freien Marktes, denn genau das ist er nicht! In diesem Zusammenhang sind auch die Agrarsubventionen der USA zu nennen, die einen negativen Einfluss auf die guatemaltekischen Kleinbauern haben, weil wir keine Subventionen bekommen. Für uns gibt es keine staatlichen Privilegien, um mit den Produzenten der Vereinigten Staaten oder anderer westlicher Staaten konkurrieren zu können.
„Mittlerweile spricht niemand mehr von Versöhnung, sondern davon, die Bedingungen für einen Dialog zu schaffen.“
Marina ist seit 2001 Koordinatorin des Internationalen Dienstes für den Frieden in Chiapas (SIPAZ). SIPAZ ist eine Koalition internationaler Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die seit 1995 in Chiapas arbeitet. Das Interview entstand am 10. März 2004 in San Cristobal.
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Sehen sie in anderen schon existierenden neoliberalen Wirtschaftsprojekten in der Region wie dem auch Aspekte einer zunehmenden Militarisierung und einer Repression der sozialen Bewegungen Lateinamerikas? Die wirtschaftlichen Machtinteressen brauchen immer eine gewisse Sicherheit um ihre Interessen zu verteidigen. In Guatemala wissen wir, dass im Zuge des Kampfes gegen den Drogenhandel eine Basis der US-Army an der guatemaltekischen Pazifikküste eingerichtet wurde. Hinter dieser Begründung steckt jedoch die Absicht, die antineoliberalen Bewegungen im Land zu kontrollieren. Sie verteidigen ihre Interessen, sie haben wirtschaftliche Macht und den Militärapparat, um der Welt ihre Regeln aufzudrücken. Es ist ein Kontrollinstrument für die sozialen Kämpfe und die sozialen Bewegungen. Wie beurteilen Sie die Bewegung der Zapatisten in Mexiko? Könnten die Formen des Kampfes dort beispielhaft sein für die sozialen Kämpfe in Guatemala? Meiner Meinung nach ist der Kampf der Zapatisten in Mexiko ein positives Beispiel für die mesoamerikanischen Länder, die Freihandelsabkommen und die wirtschaftliche Globalisierung ablehnen. Einer der Gründe, aus denen die Bewegung entstand, war die Opposition gegen die neoliberale Globalisierung, wo Mexiko mit der NAFTA ein klares Beispiel für negative Folgen darstellt. So sind für uns der zapatistische Aufstand sowie die anderen sozialrevolutionären Bewegungen Mexikos ein positives Beispiel und wir bewundern, wie sie ihre antineoliberalen Aktivitäten entwickeln. Wir glauben, dass dies auch ein Beispiel sein kann, Raum für eine mesoamerikanische Bewegung gegen die Freihandelsabkommen zu schaffen. Denn dort sehen wir, dass wir uns mobilisieren müssen, um gegen diese ungerechte neoliberale Wirtschaftspolitik zu handeln. 19
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Juan Tinay
„Die aktuelle Politik ist nichts anderes als ein Mord an den indigenen Völkern Guatemalas und genauso Südmexikos.“
Juan Tinay ist Vorsitzender der Nationalen Koordination der Kleinbauern und Indigenas (Coordinacion Nacional Indigena y Campesino – CONIC). CONIC ist eine der größten Organisationen des Landes und unterstützt im ganzen Land juristische Prozesse von Kleinbauern um Landtitel, sowie Landbesetzungen. Wie das CCDA ist CONIC Mitglied von CNOC. Das Interview entstand am 16. Januar 2004 in Havanna auf dem Treffen der Hemisphäre des Widerstandes gegen die ALCA.
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Las Abejas
Aber respektiert ihr deren Kampf und ihre Form Widerstand zu leisten? Und könnt ihr Euch vorstellen die autonome Gerichtsbarkeit in den Caracoles zu nutzen, um nicht auf das System der Regierung angewiesen zu sein? Gehen wir davon aus, dass wir versuchen innerhalb unserer Organisation erst einmal alle Probleme selbst zu lösen und Gerechtigkeit zu üben. Nicht notwendigerweise über die Apparate der Regierung. Aber wenn es Streit zwischen Leuten aus den Gemeinden und der Regierung oder Regierungsanhängern gibt, müssen wir die Rechtsprechung der Regierung und des Staates nutzen und Ihnen beweisen, dass sie die Gesetze verletzen. Das müssen wir so machen. Aber wir müssen internationale Gesetze stärker in Betracht ziehen, denn die mexikanischen Gesetze werden immer wieder verletzt und niemand nimmt sie mehr ernst. Etwas steht als Recht in der Verfassung, aber niemand setzt dies um. Sie machen, was sie wollen, außerhalb der Gesetze. Was ist das wichtigste an der Präsenz internationaler Beobachter in Euren Gemeinden? Die internationale Beobachtung behandeln wir wie Botschafter des Friedens, Leute die uns besuchen um mit uns zu reden. Das ist nichts falsches sondern etwas reales. Das ist eine Präsenz, die in jedem Moment die Repression gegen uns bestätigen kann. Über ihre Kontakte können wir sie schnell benachrichtigen und sie darauf aufmerksam machen, was gerade hier passiert. Das ist eine wichtige Funktion, die Besuche aus anderen Ländern, Leute die kommen und deren Herz schmerzt aufgrund der Vorgänge in anderen Ländern. Auch wenn wir andere Sprachen sprechen, sind wir alle Kinder Gottes. Gibt es von den Abejas Kontakte zu anderen indigenen Völkern in Mexiko oder im Nachbarland Guatemala? Schau, so wie die Basis des gläubigen Volkes und unserer Organisation die katholische Kirche ist, die Wurzeln, die Kultur und die Identität der indigenen Kultur Mexikos und Lateinamerikas resptektierend, gibt es große Übereinstimmungen mit Guatemala und anderen Ländern. Mittlerweile besuchen regelmäßig companeros die zeremonialen Zentren drüben in Guatemala und von dort kommen Leute zu uns um sich auszutauschen und das zu retten, was vielleicht schon verlorengegangen ist. Wir stehen uns sehr nah denn dort lebt man dieselbe Armut und wir haben die gleichen indigenen Wurzeln. 68
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Juan Tinay
Herr, Tinay, in Mittelamerika steht das Projekt der Zentralamerikanischen Freihandelszone CAFTA vor dem Abschluss der Verhandlungen. Was werden die Folgen des Abkommens für die Menschen in Mittelamerika und insbesondere in Guatemala sein und wie sieht die Beziehung zur ALCA aus? An erster Stelle ist zu nennen, dass die CAFTA Teil des Paketes der ALCA ist. Auch wenn der juristische Rahmen noch nicht festgelegt ist, konkretisieren sich die Pläne der Vereinigten Staaten schon in der Praxis. In Mittelamerika sind diese schon sehr weit fortgeschritten. In dieser Woche wird in den USA der Abschlusstext zur CAFTA veröffentlicht. Der erste Widerspruch ist, dass damit ein Text verabschiedet wird, der das Leben eines ganzen Volkes bestimmen wird, ohne dass dieses ihn kennt. Es ist nicht zufällig, dass dies hinter dem Rücken des Volkes diskutiert wurde. Wir müssen den Regierungen unserer Länder vorwerfen, dass sie eine Diskussion zulassen, ohne dass das Volk über ihren Inhalt Bescheid weiß. Wir glauben, dass wir vor einem sehr großen Risiko stehen, der Lebensstandard weiter zusammenbrechen wird und es große Schäden für die Umwelt geben wird. Die Probleme, die heute schon existieren, werden sich durch die CAFTA weiter verschlimmern. Guatemala hat einen großen Reichtum, was die Biodiversität und die Nutzung der Wasserkraft angeht und einiges mehr, worauf der Blick der USA in diesem Moment gerichtet ist. Dieses Projekt wird dem Leben unsere Völker einen signifikanten Schaden zufügen, aber man muss dies noch mehr auf die indigenen Völker fokussieren. Wir stellen 68% der Bevölkerung im Land und leben zu einem Grossteil in Gebieten, die sie „geschützte Regionen“ nennen. Geschützt, damit sie ihren Profit daraus ziehen können. Geschützt vor uns, damit wir nicht fortfahren, auf dieser Erde zu leben und sie zu bebauen. Diese Gebiete, die man heute geschützte Regionen nennt, sind die von der indigenen Bevölkerung bewohnten Regionen und nicht die Kaffeeregionen oder Monokulturen der Küste. Wie ist es möglich, dass über Generationen unsere Gemeinschaften dort gelebt haben und heute diese Territorien vor uns geschützt werden müssen. Das Ziel ist, mit der Ausbeutung dieser Regionen fortzufahren, was der kolonialen Politik der Vertreibung gleichkommt. Die aktuelle Politik ist nichts anderes als ein Mord an den indigenen Völkern Guatemalas und genauso für die Indigenas im Süden Mexikos und in Honduras. Die Repressionswelle, die seit kurzem über die Indigenas von Honduras hinwegrollt, ist ein Symptom dieser neuen Situation. Auch wenn der Prozess der Installierung der CAFTA schon so weit fortgeschritten ist, 21
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Juan Tinay
hoffen wir, dass es noch Möglichkeiten gibt ihn zu stoppen und das nordamerikanische wie das europäische Volk sich dieser Situation bewusst werden. Es ist aber vor allem wichtig, den großen Zusammenhang zu verstehen, dass einige wenige transnationale Konzerne dabei sind, unsere Lebensgrundlage zu zerstören. Vor kurzem hat der neue Präsident Oscar Berger sein Amt angetreten. In einem sehr widersprüchlichen Wahlkampf hat er auf der einen Seite mit einem Nein zu weiteren Privatisierungen öffentlicher Dienste geworben, sich aber nicht explizit gegen die CAFTA ausgesprochen. Welche Chancen zu Veränderung räumen sie ihm ein? Ich glaube vom Diskurs zur Praxis ist es ein weiter Weg. Da sollten wir uns nicht selbst belügen und hoffen, dass es keine Privatisierungen mehr geben wird. Das ist reiner Wahlkampfdiskurs. Wenn wir nur auf die Zusammenstellung seines Kabinetts in allen seinen Aspekten schauen, so ist es von Unternehmern geprägt und trägt damit auch eine unternehmerische Vision. Guatemala wird sich in ein großes Unternehmen verwandeln. In diesen Tagen gab es zwei Räumungen von besetzten Fincas durch die Regierung Berger, die von Indigenas besetzt worden waren, weil die Arbeitsverträge nicht eingehalten worden waren. Die Leute wurden vertrieben, ohne dass der Eigentümer seinen nicht erfüllten Verpflichtungen nachgekommen wäre. Wir glauben, dass dies eine Politik ist, die Privatisierung weiter voranzutreiben und private Güter stärker zu schützen. Sie interessiert nicht das Gemeinwohl Guatemalas, sondern ihr privater Reichtum. Auch wenn sich die Transnationalen Konzerne unserer Reichtümer bemächtigen, ruft dies bei Ihnen keinen Widerstand hervor, weil sie selbst zu an diesen Unternehmen beteiligt sind. Das wollen sie, da für sie kein Vaterland existiert. Guatemala ist nicht nur von der CAFTA betroffen sondern auch von anderen Projekten wie dem PPP, der auch Aspekte wie eine verstärkte Militarisierung beinhaltet. Wie kann man dies in Zusammenhang mit den unternehmerischen Projekten bringen, und welche Auswirkungen wird dies auf die indigenen Völker Guatemalas haben? Die Militarisierung ist integraler Bestandteil des Projektes, zusammen mit dem Zugriff auf natürliche Ressourcen und der geographischen Kontrolle. Deswegen sagte ich am Anfang, dass dies kein unternehmerisches Projekt ist. Die Freihandelsabkommen sind nur die Konkretisierung dieser Politik. Der 22
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Las Abejas
Das Caracol, wie es Subcomandante Marcos sieht, heißt, dass der Anfang bei einem Punkt in einem Land liegt und sich von dort aus immer weiter ausdehnt. Der Kampf der Indigenas der von der EZLN angeführt wird, hat diese Punkte, wie das Herz von La Realidad in Chiapas Mexiko, und dort beginnt das Caracol.
Heute prägt und formiert die EZLN den Kampf der Indigenas von den Gemeinden aus, was sich das Recht auf Land nennt, das Gewohnheitsrecht der Gemeinden und die Selbstbestimmung. Wir wollen nicht, dass die Regierung von Mexiko kommt um uns zu organisieren, denn wir sind autonom, sondern wir selbst organisieren uns, bestimmen die Prozesse und koordinieren wie wir uns die Autonomie der indigenen Völker vorstellen, um unsere Rechte und unsere Kultur zu retten. Heute kommen sie und komplizieren unser Leben mit genetisch veränderten Lebensmitteln, mit Lebensmitteln in Dosen, die wertlos sind und uns als Lebewesen schaden. Wenn einer nicht weiß, was es ist, wird er es konsumieren. Wir müssen auch wie von der Position der Militärs und Paramilitärs reden. Warum will der Präsident diese nicht zurückziehen? Damit die Leute stumm bleiben und schweigen, ohne die Hand und die Stimme gegen die Politik zu erheben. Alle die dies tun werden von der Armee registriert, fotografiert um zu sehen, aus welcher Gemeinde er kommt, wer steht dahinter etc. Und einen Moment später wird er von Kugeln niedergestreckt. Wir stimmen mit der EZLN in ihren Forderungen überein, wenn wir auch auf einem anderen pazifistischen gewaltfreien Weg gehen.
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haben viele neue Arbeitsfelder wie die Gesundheit, Erziehung, Menschenrechte, der Chor, das Kunsthandwerk und die Organisierung der Frauen. Das Radio ist ein weiteres aktuelles Projekt. Wie schätzen Sie den zapatistischen Aufstand ein? Und wie ist Ihre Position gegenüber der Installation der Caracoles und der Räte der Guten Regierung? Vielen Dank Bruder, für diese Frage. Es ist sehr wichtig genau darüber Bescheid zu wissen damit Du die Informationen in Deinem Kreis weitergeben kannst. Bei einer Betrachtung des Aufstandes der Zapatisten und der Caracoles muss man bis ins Jahr 1992 zurückgehen, als der Paragraph 7 der mexikanischen Verfassung geändert wurde, womit die Privatisierung und der Verkauf von Ejido, von Gemeindeland möglich wird und damit das Recht der Indigenas auf gemeinschaftlichen Landbesitz angetastet wurde. Danach begann auch der Kampf der Abejas, der sich auch gegen diese Verfassungsänderung richtete. Diese Änderung kommt einer Forderung der USA nach, und woraus sich mit Kanada der Freihandelsvertrag NAFTA entwickelte. Später wurde dies mit dem PlanPuebla-Panama ausgeweitet und jetzt steht man vor dem Projekt der ALCA. Dies wiederum geht alles in der WTO auf. Das Caracol, wie es Subcomandante Marcos sieht, heißt, dass der Anfang bei einem Punkt in einem Land liegt und sich von dort aus immer weiter ausdehnt. Der Kampf der Indigenas der von der EZLN angeführt wird, hat diese Punkte, wie das Herz von La Realidad in Chiapas Mexiko, und dort beginnt das Caracol. Schritt für Schritt wächst das Caracol, damit es eine Stimme bekommt, sich artikulieren kann, über Euch, die internationalen Beobachter, das Radio, die Presse und alle internationalen Kontakte. So wächst das Caracol immer weiter. Dieses Caracol ist ein integraler Bestandteil des Kampfes der indigenen Bevölkerung in Amerika. Nehmen wir an, dass die EZLN ein internationales Treffen gegen Neoliberalismus verwirklicht hat. Das Herz der Realität in Chiapas Mexiko, in Lateinamerika, ist La Realidad, aber es gibt auch ein anderes Herz der Zapatisten in anderen Kontinenten, die von La Realidad ausgehen. Aber mit den Herzen geht der Wille einher, den Widerstand gegen die große neoliberale Politik der Regierungen der Welt zu unterstützen. Es geht um den Nutzen für die indigenen Völker und die nichtindigenen, alle Völker dieser Welt, unabhängig von der Rasse oder der Hautfarbe, was zählt, ist sich zu organisieren, die Kräfte zu bündeln, alle die im Caracol sind um sich weiterzuentwickeln und den Kampf der EZLN und der nationalen Zivilgesellschaft zu unterstützen. Wir nennen uns „sociedad civil las abejas“, aber alle die wir hierhin kommen wie ihr, die sich in den Weg des Widerstandes einreihen, sind Teil der Zivilgesellschaft. 66
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Juan Tinay
PPP hat große und wichtige Gegenspieler. Wenn wir z.B. an die Staudammprojekte im Peten denken, so lassen sie sich nicht so umsetzen wie man es sich gedacht hat, weil sie auf starken Widerstand in der Region stoßen. Trotzdem ist noch viel Arbeit nötig, denn es gibt unzählige solcher Projekte. Die Militarisierung ist ein Teil davon, der die Bevölkerung einschüchtern soll um zu verhindern dass sie sich einmischt. Es muss eine Zurückweisung dieser Politik geben, insbesondere durch die europäische Gemeinschaft, und eine kritische Sensibilität für diese Art von Projekten entwickeln werden. Wenn die Bevölkerung diese Projekte aufgrund ihrer antidemokratischen Ausprägungen nicht mehr akzeptiert, werden uns schwere Konfrontation bevorstehen. Ich denke es ist wichtig, dass wir über diese Fragen zu einer größeren Einheit zusammenfinden, denn die nordamerikanische Politik der Militarisierung und der Terrorismusbekämpfung ist im Moment untolerierbar. Es sind die selben Terroristen, die uns ihre Politik aufzwingen wie die, die sie vorgeblich bekämpfen. Es ist wichtig, diese Politik offen zu legen, um uns darüber klar zu werden, welche Zukunft wir mit dieser Art von Plänen bauen. Der Kampf für Land in Guatemala hat schon viele Märtyrer zu beklagen, da die Agrarfrage weiterhin ungelöst ist. Wie lässt sich dieser Prozess stoppen? Ich denke, dass das Thema Land oder Freihandel in Guatemala wie in anderen Ländern bedeutet, das Leben zu riskieren um zu überleben. Das Ergebnis der verschiedenen Projekte, die über uns gekommen sind ist, dass die Kleinbauern keine Einkünfte mehr aus ihrem Land ziehen können. Ich denke, wir sind so weit, dass es für sie nichts mehr bedeutet, das Leben zu riskieren. Es erfordert eine kollektive Antwort auf diese Probleme. Ob auf die Forderungen eingegangen wird oder nicht, die Probleme im Land gehen weiter. Und das wird sich mit dem zunehmenden Engagement der Transnationalen Konzerne noch verstärken. Anstatt sich dieser Probleme anzunehmen, werden Projekte vorangetrieben, die komplett abseits dieser Realität stehen. Die sozialen Forderungen müssen anerkannt werden, nicht nur die nach Land. Wir brauchen Investitionen in den kleinbäuerlichen Markt und eine Technisierung. Das sind eine Reihe von Forderungen, auf die eingegangen werden müsste. Im Gegenteil schmälern die neoliberalen Maßnahmen die Möglichkeit des Marktzugangs und der Teilhabe am technischen Fortschritt. Zu diesen Fragen geben muss es eine Aufmerksamkeit auf integraler Ebene mit Fragen der Gesundheit und der Erziehung geben. Dazu gehört auch die Anerkennung und Respektierung der indigenen Kultur.
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Rosalina Tuyuc
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Las Abejas
Die Abejas haben ja, wie sie gerade schilderten, eine starke Kritik an der Regierung und dem Staat. Auf der anderen Seite nehmen sie Infrastrukturhilfe wie Schulgebäude an. Wie rechtfertigen sie diese Zweideutigkeit?
„Nach meiner Erfahrung im Kongress gibt es im Kongress kein Bewusstsein, was die Genderfrage, die ethnische Vielfalt oder die soziale Frage angeht.“
Rosalina Tuyuc ist Vorsitzende der Nationalen Koordination der Witwen Guatemalas (Coordinacion Nacional de Viudas de Guatemala – CONAVIGUA). Dort sind hauptsächlich indigene Bürgerkriegswitwen organisiert, die seit den 80er Jahren für Exhumierungen von Massengräbern und die Suche nach den Verschwundenen aus dem Bürgerkrieg kämpfen. Rosalina Tuyuc war von 1996 bis 2000 Abgeordnete des Kongresses. Das Interview wurde am 12. Dezember 2003 in Guatemala Stadt geführt.
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Das ist, was wir von der Regierung natürlich auch einfordern. Aber unsere erste Forderung ist immer die Gerechtigkeit. Danach fordern wir auch, dass sie ihr Wort halten und ihre Arbeit machen. Es kann nicht sein, dass sie nur das Militär finanzieren, während die Gemeinden unter schlechten Bedingungen leben müssen, ohne Schule und Strassen. Ihr selbst seid die Zeugen, wie das Leben auf dem Land ist, was es heißt zu essen und zu schlafen. Du siehst, dass die Ernährung nicht sehr vielfältig ist, jeden Tag musst du Bohnen und Tortillas essen und das für dein ganzes Leben. Du kannst nicht sagen, dass Du ab morgen nur noch Fleisch und Obst ist. So ist das Leben und die Armut in den Gemeinden. Und das ist, was wir immer wieder von den Regierungen eingefordert haben, denn unsere Forderungen sind Demokratie, Gerechtigkeit und die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Und da ist nichts passiert. Die Regierung wird ihrer Verantwortung nicht gerecht. Denn wenn du z.B. eine Straße verlangst, bekommst du einen Topf oder eine Gabel, nichts was Wert hätte. Die Regierung gibt nichts, was dem Gemeinwohl der Gemeinden zu Gute käme, dass es z.B. bessere Schulen gäbe, Kliniken. Wo kann hier eine Klinik mit guten Bedingungen finden? Nichts, da gibt es gar nichts. In den Gemeinden gibt es kaum Schulen, schon gar keine weiterführenden, keine Gesundheitsversorgung. Es fehlt alles, was die Bevölkerung bräuchte. Die Regierung gibt nichts, was dem Volk zu Gute käme. Im Gegenteil. Hat sich denn in den letzten Jahren auch der Fokus des Widerstandes der Abejas ausgeweitet, in dem Sinne das Themen wie fairer Handel, der Widerstand gegen den Plan-Puebla-Panama und andere Themen zu den ursprünglichen Forderungen dazugekommen sind? Ja, so ist es. Wir versuchen die Leute immer mehr zu organisieren. Deswegen sagen wir oft, dass das Blut, was unserer Märtyrer hier in der heiligen Erde von Acteal gelassen haben, nicht umsonst war, sondern uns viel Kraft und Motivation zum Widerstand gab. Es entstanden viele Ideen, wie wir unsere Lebensbedingungen und die Armut und die Marginalisierung überwinden könnten. Viele Arbeiten die Du heute sehen kannst, wie die Kooperative Maya Vinik, sind daraus entstanden. Dies ist ein Erfolg der Kampfes der indigenen Völker. Wichtig ist, dass wir unsere Rechte kennen, und wir anfangen, selbst unsere Produkte wie den Kaffee zu kommerzialisieren. Wir 65
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Las Abejas
Im Jahr 1997, als das Massaker hier in Acteal passierte, haben wir dies schwer betrauert. Es kamen 45 Brüder und Schwestern ums Leben. Die meisten Opfer waren Frauen, Kinder und auch schwangere Frauen waren dabei, die mit Macheten zerstückelt wurden. Es gab auch viele Tote in den Gemeinden und viele flohen aus Angst aus der Region und suchten in anderen Gemeinden Zuflucht. Wir gründeten zivile Friedenscamps, in Tzajalchen, in Acteal, in X-Oyeb und in Xojolo. Es ist das traurigste, sich an dieses Massaker erinnern zu müssen. Immer wieder schmerzt uns diese Wunde, wenn wir sie berühren. Wir haben uns von der Gewalt jedoch nicht abschrecken lassen und. Wir fuhren fort, von der Regierung Gerechtigkeit zu verlangen und dass die Verantwortlichen des Massakers nicht straffrei bleiben. Wir sind eine pazifistische Organisation und denken nicht an Rache, sondern wollen die waren Verantwortlichen des Massakers vor Gericht sehen, d.h. vor allem die Regierungsfunktionäre, die dieses Massaker planten. Zuerst planten sie in ihren Büros, wie man so etwas machen könne und dann bildete die Armee die Paramilitärs aus. Als sie gut genug vorbereitet waren, kamen sie um das Massaker durchzuführen. Trägt auch die aktuelle Regierung unter Salazar noch Verantwortung? Ja, denn obwohl man sagte, dass es eine Regierung des Wechsels wäre, stimmt das nicht. Sie haben nur den Namen und das Hemd gewechselt. Als das Massaker von Acteal passierte, war der aktuelle Gouverneur Pablo Salazar Abgeordneter der PRI und schon an der Macht beteiligt. Dieselben Leute, die das Massaker vorbereiteten sind heute an der Macht. Als er seine Wahlkampagne 2000 durchführte, versprach er Gerechtigkeit zu schaffen. Jetzt ist er drei Jahre an der Macht, ohne etwas verändert zu haben. Er verwirrt die Leute und verbreitet über die Kommunikationsmedien, dass es in Chiapas keinen Krieg mehr gibt, dass Ruhe und Frieden herrscht. Aber wir sehen zur Zeit, dass dies falsch ist. Man kann nicht von Frieden in Chenalho und Chiapas sprechen, während die Paramilitärs frei sind und von der Straflosigkeit profitieren. Die Präsenz der Waffen in den Gemeinden geht weiter und man hört immer wieder Schüsse. Wir haben uns immer noch nicht an die Präsenz der Polizei und der Armee gewöhnt, was insbesondere die Kinder betrifft, denn die starke Präsenz der Bundesarmee geht weiter. Auf den Werbetafeln sagen sie, dass sie Sozialarbeit machen. Aber sie tun dies nur für die Paramilitärs, die dort Essen und Medikamente bekommen und sich so eingebunden fühlen, dass sie nicht mehr auf die Felder zur Arbeit gehen. Für uns ist es sehr traurig zu sehen, dass Tag für Tag die Prostitution und der Drogenmissbrauch in den Dörfern zunehmen.
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Rosalina Tuyuc
Ich würde gerne auf die Demonstration am Tag der Menschenrechte in Guatemala zur Unterstützung des nationalen Entschädigungsprogramms zu sprechen kommen. Was bedeutet es für sie, dass die beiden Präsidentschaftskandidaten ihre Forderungen unterschrieben haben? Es ist sehr wichtig, dass die beiden Kandidaten anerkennen, dass es im Bürgerkrieg einen Völkermord an der indigenen Bevölkerung gegeben hat und sie den Opfern des Bürgerkrieges Aufmerksamkeit schenken. Das ist der Kompromiss mit dem Entschädigungsprogramm für alle Witwen des Krieges. Beide äußerten sich positiv über ein Gesetz zu Exhumierungen und das nationale Entschädigungsprogramm und gingen damit eine Verpflichtung nicht nur den Organisationen, sondern allen Gemeinden gegenüber ein. Es ist sehr wichtig, dass sie gesehen haben, dass wir keine Gerechtigkeit mit unseren Händen üben wollen und sie den Opfern zugehört und politischen Willen gezeigt haben. Eine Sache ist eine Absichtserklärung im Wahlkampf zu unterschreiben, die andere, dies danach auch umzusetzen. Wie kann die Zivilgesellschaft durchsetzen, dass die neue Regierung ihre eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Indigenas, den Campesinos, etc einhält? So wie wir es gestern gesagt haben. Wenn sie ihre Versprechen nicht einhalten, gehen unsere Proteste ihnen gegenüber weiter, damit die Opfer entschädigt werden. Wir sind uns darüber im klaren, dass sie nicht den Willen haben alles umzusetzen. Aber wenn sie auch nur einen Teil umsetzen, so wäre damit für uns schon einmal ein wichtiger Schritt getan. Ich glaube dass es eine neue Dynamik gibt, die alle sozialen Organisationen erfasst hat. Bei den letzten Wahlen ist es ganz anders gelaufen. Damals gab es keine öffentlichen Verpflichtungen der Kandidaten mit der Zivilgesellschaft. In einigen Fällen gab es die mit der Jugend und den Indigenas, aber dies passierte hinter verschlossenen Türen und nicht auf breiter öffentlicher Basis. In diesem Fall wurden alle Forderung massiv in die Öffentlichkeit getragen und ich denke, das ist für uns das wichtigste. Wir werden aufmerksam verfolgen was die Abgeordneten machen, und vielleicht gibt es auch Möglichkeiten einer intensiveren Koordinierung. Viel wird davon abhängen, ob die neue Regierung einen minimalen Anlauf startet um gegen die clandestinen Gruppen vorzugehen, die immer mehr Macht bekommen und Terror unter dem Mantel der Straffreiheit streuen. Wenn die neue Regierung diese Aktionen toleriert, wird die Zivilgesellschaft immer 25
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Rosalina Tuyuc
unter der Belästigung durch Bedrohungen und Einschüchterungen stehen, und natürlich immer auch unter der Frage des Exils, denn viele Aktivisten haben Guatemala in den vergangenen vier Jahre wieder verlassen, darunter Anwälte, Aktivisten aber auch Richter. Wie schätzen sie die Bedeutung der CICIACS ein, die sich ja der Bekämpfung der eben von Ihnen angesprochenen clandestinen Gruppen zum Ziel gesetzt hat? Ich denke, auch das wird wiederum sehr stark vom Willen der neuen Regierung abhängen und dass alles im Rahmen dessen geschieht, was die Organisationen der Zivilgesellschaft fordern. Denn wenn es im Rahmen der Interessen der Militärs geschieht, wird dies nicht funktionieren. Vor allem auch die Frage, ob die Kapazitäten der Menschenrechtsorganisationen mit einfließen werden. Den Indigenas wurde z.B. bei der Ausarbeitung des Vorschlages über die Bildung der CICIACS keine Beteiligung bei der Frage zugestanden, was nachher entstehen soll. Auf der anderen Seite war es für mich ein großer Fehler, die Auflösung des Estado Mayor Presidencial zu akzeptieren, ohne dass es eine gerichtliche Untersuchung über seine Aktivitäten gegeben hätte. Denn die Mehrheit derer, die Teil dieser Institution waren, tragen eine große Verantwortung in den Fällen des gewaltsamen Verschwindenlassens. Die Auflösung des EMP brachte auch eine Auflösung der Archive mit sich und garantiert weiterhin die Straffreiheit, unter der diese Verbrechen funktionieren. Bei vielen ehemaligen Mitgliedern des EMP vermutet man Verbindungen zu den Morden, die es in den letzten Jahren gegeben hat. Da ist für mich die Auflösung schwer nachzuvollziehen: Denn man löst den EMP nicht nur auf und nimmt ihnen damit die Stimme, sondern zahlt ihnen auch noch eine sehr hohe Abfindung.
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Las Abejas
Antonio, kannst Du den Weg der Abejas seit der Entstehung der Organisation vor mehr als 12 Jahren etwas erläutern? Die Organisation der Abejas wurde vor 12 Jahren gegründet, aufgrund von konkreten Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeiten. Damals kamen in der Gemeinde Tzajalchen fünf unserer Brüder ungerechtfertigterweise ins Gefängnis. Sie wurden des Mordes und der Vergewaltigung angeklagt, waren aber unschuldig. Die Ursache dieses Falles aus dem Jahr 1992 waren Landprobleme, ein Streit um Landtitel. Die Behörden wollten auch nach mehrmaligen Bitten und Beschwerden diese Probleme nicht angehen. So versuchten die Leute, unter sich einen Weg zu finden die Probleme zu lösen. Ein Mitglied der Gemeinde Tzajalchen bat die Gemeinde um Hilfe, aber die Leute aus dem Dorf waren nicht damit einverstanden, sich unter Brüdern zu konfrontieren. Die Leute aus dem Dorf sagten, dass es besser wäre, sich an einen Tisch zu setzen und zu reden um eine Lösung für das Problem zu suchen. Aber diejenigen, die die Konfrontation suchten, wollten davon nichts wissen, sondern sich mit ihren Gegnern streiten und Waffen benutzen. Sie gingen in ein anderes Dorf um dort um Unterstützung zu bitten. Dort vergewaltigten sie Frauen und ermordeten Leute aus der Gemeinde. Und für eben diese Tat wurden dann die falschen ins Gefängnis gesperrt. Da die Gemeinde schon organisiert war, demonstrierte sie gegen die Verhaftung und für die Freilassung ihrer Brüder. Es kamen nicht nur Leute aus dem Bezirk Chenalho, sondern aus 10 Bezirken der Tzotziles im Hochland von Chiapas. Unsere Bewegung gewann an Kraft und machte sehr viele Aktionen, Pilgerzüge, Demonstrationen, Kundgebungen und übte Druck auf die Regierung aus, die wahren Schuldigen vor Gericht zu stellen. Obwohl die Fest-genommenen 25 Jahre Haft bekommen sollten, erreichten wir nach 27 Tagen ihre Freilassung. So gewannen wir weiter an Stärke, da wir sahen, dass wir gemeinsam etwas erreichen können.
Ich denke, dass viele von uns hoffen, dass die Prozesse gegen diejenigen, die für die vielen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, jetzt zum Laufen gebracht werden. Natürlich gibt es immer noch keine Gewissheit, wann die Prozesse vor den Gerichten landen und wer die Anklage gegen die Militärs vorbringt. Aber wir hoffen, dass es eines Tages die Möglichkeit gibt Gerechtigkeit zu schaffen.
Mit dem Aufstand der EZLN 1994 erklärten wir, dass wir eine eigene unabhängige Organisation, die Organisation der Abejas seien. Deswegen nennen wir uns auch „sociedad civil las abejas“ (Zivilgesellschaft - Die Bienen), um uns von den Kämpfern der EZLN abzugrenzen und man uns als Organisation anerkennt, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen, Ungerechtigkeit und den Krieg wehrt. Wir betonten, dass unsere Forderungen zum Teil mit denen der EZLN übereinstimmen, da wir die gleiche Situation der Armut und Marginalisierung erleben, dass wir aber auf anderen Wegen mit pazifistischen Mitteln kämpfen. Immer wenn es Dialogversuche zwischen der EZLN und der Regierung gab, haben wir teilgenommen und waren auch beispielsweise bei den Friedensgürteln zum Schutz der Verhandlungen direkt eingebunden.
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Zu sehen, dass Rios Montt in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen ausscheiden musste, gibt ihnen das Hoffnung, endlich Prozesse gegen ihn wegen der Verbrechen aus dem Bürgerkrieg anstrengen zu können?
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Las Abejas
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Rosalina Tuyuc
„Nach meiner Erfahrung im Kongress gibt es im Kongress kein Bewusstsein, was die Genderfrage, die ethnische Vielfalt oder die soziale Frage angeht.“ „Man kann nicht von Frieden in Chenalho und Chiapas sprechen, während die Paramilitärs frei sind und von der Straflosigkeit profitieren.“
Auch wenn es ein weiter und kostspieliger Weg ist und diese Prozesse auch große Risiken für die Familien, die Zeugen und die Verantwortlichen bergen, die eine solche Untersuchung voranbringen wollen. Wenn dies nicht in der nächsten Legislaturperiode möglich ist, so wird es in einer anderen passieren. Es ist egal, wo es passiert und wie lange es noch dauert. Für uns war es ein sehr wichtiger Schritt, dass die spanischen Gerichte die Anklage gegen Rios Montt akzeptiert haben, auch wenn es nur im Fall der spanischen Bürger ist. Aber es ist ein Prozess, der nach den intellektuell Verantwortlichen unter den guatemaltekischen Militärs suchen wird. Das ist für uns sehr wichtig. Vielleicht ist es möglich, diesen Prozess auszudehnen und auf die indigenen Gemeinden auszuweiten und nicht nur bei den spanischen Bürgern zu bleiben. Dies ist ein Prozess, von dem wir hoffen, dass er in den nächsten 5 Jahren hier zu Debatte stehen wird. Lassen sie uns von ihren Erfahrungen als Kongressabgeordnete sprechen. Sehen sie dort die Möglichkeiten für dauerhafte und tiefgreifende Veränderungen?
Die Mesa Directiva ist der für ein Jahr nach traditionellen Gesetzen der Indigenas gewählte Vorstand der Organisation der Abejas (Bienen). Die Leute arbeiten auf freiwilliger Basis ohne Entschädigung im Büro in Acteal, wo auch das Interview mit Antonio Ende Februar 2004 entstand.
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Ich würde sagen, dass es sehr schwer sein wird in der nächsten Legislaturperiode einen Wechsel herbeizuführen. Man muss in Betracht ziehen, dass die Indigenas im Kongress die absolute Minderheit sind, ich glaube, es sind ganze neun oder zehn. Für 158 Abgeordnete ist dies unglaublich wenig. Nach meiner eigenen Erfahrung im Kongress gibt es dort kein Bewusstsein, was die Genderfrage, die ethnische Vielfalt oder die soziale Frage angeht. Mit diesen Beschränkungen, ist es sehr wenig, was man erreichen kann. Das wird natürlich auch von den politischen Fähigkeiten der indigenen Abgeordneten und ihrer Einheit abhängen. Wenn sie geschlossen als Block auftreten und ihre Stimme erheben würden, könnte dies zumindest in einigen Fällen Erfolg haben. Wenn sie jedoch unter dem Fraktionszwang agieren werden, gibt es nicht sehr viel Hoffnung. 27
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Rosalina Tuyuc
Sehen sie die Lösung im Konzept einer gewissen politischen Autonomie für die indigenen Völker, wie es sie z.B. in Chiapas im Nachbarland Mexiko unter den Zapatisten gibt? Dass ist im Moment nicht aktuell. Wir haben über die Bedeutung der Autonomie und der Selbstbestimmung diskutiert, aber es gibt kein Konzept, was von allen Organisationen angenommen und unterstützt wird. Ich denke, dass da ein ganzer Prozess fehlt, die Situation zu analysieren und Konsense voranzubringen. Man fängt gerade erst an davon zu reden, ein Indigenes Parlament einzufordern oder eine eigene Stimme im politischen System zu bekommen. Ich glaube, dass sind einige Punkte, wo es schon ein Bewusstsein gibt, aber es gibt noch keinen Austausch darüber, wie so etwas aussehen könnte, wer dies voran bringt und vor allem zu welchem Zeitpunkt. Da fehlt meiner Ansicht nach noch einiges an Reife, um zu einer Verständigung zu kommen. Wie schätzen sie denn die Arbeit der Menschenrechtsstaatsanwaltschaft PDH als staatlicher Institution ein? Seit der neue Staatsanwalt die Leitung der PDH übernahm, hat sie eine sehr wichtige Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte gespielt, aber ich bedaure zutiefst, dass MINUGUA oder andere internationale Institutionen, der PDH nicht mehr Unterstützung zukommen ließen, damit die Institution alle Verpflichtungen aus den Friedensverträgen erfüllen kann. Ich glaube, dass es sehr schwer sein wird, dass die PDH wirklich umfassend die Aufgabe der Überwachung der Friedensverträge erfüllen kann. Auch die Regierungen haben die PDH immer wenig unterstützt. Die Regierung der FRG hat der PDH nie einen würdigen Haushalt gegeben. Genauso wenig wurde evaluiert, welche Rolle die PDH nach dem Weggehen der MINGUA haben müsste.
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Comandante Moises
Das waren alle meine Fragen. Haben sie noch eine Botschaft für die sozialen Bewegungen in Deutschland? Die Worte für unsere Brüder und Schwestern in Deutschland sind, dass wir in der Welt, wie wir sie heute vorfinden, nicht das neue System aus den Augen verlieren dürfen, in dem die armen Länder dieser Welt dominiert werden sollen und welches schon unter dem Namen neoliberal bekannt ist. Ich glaube dass wir unsere Ideen und Gedanken vereinigen müssen, auch wenn wir in verschiedenen Ländern aber unter dem selben Gedanken kämpfen, ist die Frage, wie wir es schaffen, dass sie uns nicht besiegen, weil sie uns eine Sache aufdrücken wollen, die nicht den Völkern dieser Erde zu Gute kommt. Dafür ist es nicht unbedingt wichtig, dass wir uns physisch kennen lernen, aber verstehen, dass die Form, wie sie uns in den verschiedenen Regionen der Welt dominieren wollen, die selbe ist. Heute z.B. versammeln sie sich in Monterrey in einem Treffen über die ALCA und es ist dort, wo sie planen, wie sie uns dominieren wollen. Auch wenn es Regierungen vieler verschiedener Länder sind, wissen sie alle genau worum es geht. Es ist falsch, dass sie Regierungen des Volkes sind, denn ich glaube nicht, dass eine wahre Regierung erlauben würde, dass es ausgebeutet, erniedrigt und unterdrückt wird. In Mexiko z.B. lehnen wir die Privatisierung des Stromsektors ab, aber Fox bleibt hart, damit er mit seiner Politik fortfahren kann. Sie finden immer wieder Vorwände wie der Herr Bush. So ist es nicht wichtig, dass wir uns physisch kennen lernen. Aber wie das Wort schon sagt, es gibt fehlende Freiheit, Ungerechtigkeit. Die Demokratie muss das Recht des Volkes werden und ich denke, das ist was uns vereint und mit Respekt dazu müssen wir unsere Kämpfe miteinander verketten. Das wären meine Worte.
Lässt sich für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Guatemala über eine Kandidatur eines Indigena nachdenken, oder ist das noch zu früh? Ich denke, dass ist leider immer noch zu früh. Es gibt keinen Weg, wie man dies machen könnte. Mir scheint es sehr schwer jetzt daran zu denken aufgrund der Schwierigkeiten, die ich ihnen eben schilderte, und des Parteiensystems das die Organisationsstrukturen der Indigenas nicht anerkennt. Wir haben die Erfahrung einiger Versuche in dieser Richtung, und immer sehen sie die Indigenas auf dem zweiten Platz, aber nie an erster Stelle.
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Comandante Moises
dass sie uns unter Kontrolle haben. Egal was ihr macht, auch wir sind da, das war, was sie uns zeigen wollten. In der vergangenen Zeit hat auch die Regierung bewiesen, was es mit der Kampagne der Aufstandsbekämpfung auf sich hat, denn es ist die Armee, die diese kontrolliert. Aufstandsbekämpfungsstrategie heißt, uns ein paar Wellbleche für unsere Dächer zu geben und, wie um zu sagen dass die Regierung jetzt gut ist, sind es die Militärs, die die Aufgabe haben, dieses zu transportieren aber natürlich nicht in Uniformen, sondern als Zivilisten gekleidet. Sie selbst helfen bei der Montage der Dächer und haben so Zeit zum observieren und beobachten. Sie glauben, dass wir unser Wort vom 9. August 2003 in Oventic, dass wir die Straßensperren auflösen werden, nicht halten. Sie glauben, dass wir unser Wort nicht halten und darum verkleiden sich die Soldaten als Chauffeure, um dies zu überprüfen, nur um festzustellen, dass es sie nicht mehr gibt. Zur gleichen Zeit nutzen sie die Gelegenheit, z.B. hier in der Gemeinde La Realidad, um am Eingang zum Caracol anzuhalten oder in der Mitte des Dorfes so tuend, als würden sie etwas zu Essen suchen oder als wollten sie etwas kaufen, um zu sehen was es für Bewegungen gibt und daraus ihre Analyse zu ziehen. Das haben sie sehr oft gemacht. Im Hochland und in der Gemeinde Roberto Barrios waren die Provokationen sehr viel direkter. Sie haben die Kontrolle über die Aufstandsbekämpfung und die die auf ihrer Seite stehen, mit dem Effekt, dass es für uns schwierig ist, uns zu bewegen und zu arbeiten. So geht es jeden Tag. Als letzten Punkt würde mich interessieren, ob es eine Verbindung zwischen ihrem Kampf und dem Kampf der Kleinbauern und Indigenas im Nachbarland Guatemala gibt, und wie die Beziehung zu den indigenen Maya-Brüdern dort aussieht? Eine direkte Beziehung zwischen Organisationen gibt es nicht. Eine eher indirekte Beziehung zwischen unseren Völkern gibt es auf dem Niveau der Armut. Oder es kommt heute z.B. ein guatemaltekischer Bruder zu uns, um Kleidung und andere Waren zu verkaufen. Wenn wir uns treffen, gibt es natürlich immer einen freundlichen Austausch und wir haben keinerlei Probleme mit ihnen. Ob sie die Begegnungen als Beispiel ansehen, weiß ich nicht, dass ist ihre Sache. Sie haben die Freiheit, zu uns zu kommen und wieder zu gehen. Zum Teil sehen wir sie schon als Chiapaneken. Natürlich sehen wir auch ihren Kampf als beispielhaft an. Der Kampf von damals entstand aus derselben Ungerechtigkeit und Ungleichheit unter dem gleichen System. Und leider besteht diese Ungerechtigkeit gegen die sie kämpften weiter fort.
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Domingo Hernandez
Empowerment gegen das ewige Los des Kaugummiverkäufers
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Seit fast 10 Jahren sind auch internationale Menschenrechtsbeobachter in Chiapas und begleiten die Gemeinden. Welche Bedeutung hat heutzutage ihre Anwesenheit in den autonomen Gebieten? Das wertvolle an der Anwesenheit der nationalen oder internationalen Beobachter sind zwei Momente. Der eine ist in der Schlacht, von denen es zur Zeit keine gibt, dafür aber sehr viele Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen und Paramilitärs, die sich organisieren und unsere Gemeinden belästigen. Wenn das Militär selbst nicht provoziert, schicken sie andere Leute vor. Wenn wir dagegen eine Anzeige aufgeben, hat das keinen Sinn, aber wenn die Beobachter da sind, hat dies ein ganz anderes Gewicht. Auch für uns Soldaten der EZLN ist es wichtig, dass uns jemand darauf aufmerksam macht, wenn wir die Menschenrechte nicht respektieren. Mit internationaler Präsenz gibt es mehr Zeugen und man kann mehr Druck ausüben. Um ein Beispiel zu nennen: die meisten Gemeinden hier wussten vorher nicht, was Marihuana ist, aber durch die Präsenz des Militärs ist es Realität geworden. Einige unserer indigenen Brüder in den Gemeinden wurden vom Militär mit Geld bestochen, damit sie Marihuana anpflanzen. Das schafft Probleme innerhalb der Gemeinden. Ganz in der Nähe von hier haben wir einen halben Hektar Marihuana zerstört. Unsere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass es Leute - keine Zapatisten - aus den Gemeinden waren, die sich vom Militär haben benutzen lassen. Mit den Beobachtern im Rücken haben unsere Aussagen mehr Gewicht und man kann mit größerer Sicherheit etwas sagen. Wie beeinträchtigt heute die Militarisierung des Bundesstaates Chiapas und die Paramilitarisierung das Leben in den Gemeinden?
Domingo Hernandez ist Leiter des Centro Maya SAQ`BE. Während der Zeit des Bürgerkrieges war als Intellektueller und Aktivist der Maya-Bewegung für mehrere Jahre in Mexiko im Exil. Die Organisation Maya SAQ`BE hat ihren Sitz in Chimaltenango, im Hochland Guatemalas, und widmet sich hauptsächlich der psychosozialen Betreuung von Bürgerkriegsopfern sowie der Bildungsarbeit. Das Interview entstand am 19. Dezember 2003 .
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Sie betrifft uns auf eine erstaunende Art und Weise. Ich will Euch erzählen und aufklären, was in den Tagen, bevor das Jahr 2003 zu Ende ging, passierte. Ungefähr 10 Tage vor Neujahr begangen Soldaten in Zivil in unsere Gemeinden zu kommen, verkleidet als Händler, um zu schauen, was dort vor sich ging, etwas, was wir Spionage nennen. Als die Stunde des neuen Jahres immer näher rückte, begann das Militär Straßensperren auf der geteerten Strasse zu errichten, die von Comitan über Ixcan und Bonampak bis nach Palenque führt. Sie wollten Erklärungen von den Leuten, die dort auf der Straße unterwegs waren, was sie in ihren Rucksäcken trugen, wie sie heißen, wohin sie wollen und was sie dort machen, ohne Respekt ergreifen sie Frauen und Männer, und natürlich nutzten diese Situation auch die Paramilitärs um zu provozieren. Wieder einmal begannen die Aufklärungsflüge der Flugzeuge über unseren Gemeinden, um zu zeigen, 59
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mit unserer Stimme, unserem Wort, den Ideen und dem Wissen von dem was hier im Caracol entsteht, damit es überall weiterverbreitet wird. Im Caracol tritt zu Tage warum wir kämpfen, gibt es einen Austausch von Erfahrungen. Das ist der Sinn des Caracols und deshalb haben wir unserer Erde diesen Namen gegeben. Was sind denn die Projekte, mit denen die Caracoles in Zukunft weiterarbeiten wollen? Es gibt zwei Ziele. Eines ist, wie wir es 2001 auf der Marcha sagten, die Botschaft dass wir weitermachen, mit oder ohne „ley indigena“. Denn was wir heute sehen, ist, dass der Dialog von Zedillo und Fox nicht ehrlich gemeint war. Genau deswegen sagen wir, dass, egal ob mit oder ohne „ley indigena“, wir mit dem Ausbau unserer Autonomie fortfahren. Aber logischerweise gefällt dies dem mexikanischen Staat nicht, da dies seine Kontrolle über das mexikanische Volk schmälert und da wir aufdecken, auf welche Art und Weise das Volk an der Leine gehalten und bevormundet wird. Das zweite Ziel ist, dass wir mit dem Kampf fortfahren werden. Wir werden uns der Bundesarmee nicht ergeben. Wir sind überzeugt von diesen zwei Dingen, den Kampf des Widerstandes zu führen und gleichzeitig die Selbstregierung voranzutreiben. Damit wollen wir Euch und allen Brüdern und Schwestern auf der Welt zeigen, dass wir niemanden töten wollen und auch nicht sterben wollen. Wir wollen zeigen, dass wir uns selbst regieren können. Ein konkreter Schritt, mit dem wir anfangen, ist Produkte auszutauschen. Die compas im Hochland ernten z.B. nicht viel Mais, dafür wir hier in der Selva. Also fangen wir an zu tauschen, weil wir nicht den Mais aus den Staaten haben wollen. Auf diese Art und Weise wollen wir uns auch mit anderen indigenen Völkern in Guerrero, Oaxaca und Chihuahua vernetzen. Unser Ziel ist es, unsere natürlichen, nicht genetisch veränderten Nahrungsmittel aufzuteilen. Und natürlich wollen wir auch einen fairen Preis für unsere Produkte und das was wir kaufen. Deshalb wollen wir uns selbst regieren und unabhängig von dem sein, was die Regierung macht.
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Was bedeutet für sie die Kosmovision der Maya? Uns sind die Werte, die uns von unseren Großvätern und Urgroßvätern weitergegeben wurden, sehr wichtig. Luft, Feuer, und Bäume haben einen großen Wert für uns. Wir kommunizieren mit Ihnen, mit dem Regen, den Wolken. Wir sehen uns als Lebewesen mit einer sehr intimen Beziehung zum Kosmos. Was uns passiert, nimmt auch den Kosmos mit und wird der Kosmos in Mitleidenschaft gezogen, betrifft dies auch uns. Wir und die Natur sind eine große Familie. Darum halten wir Zeremonien ab, bedan-ken uns, wenn die Sonne aufgeht und untergeht, wenn wir unsere Ernte empfangen oder den Regen. Wenn die Natur untergeht, werden wir mit ihr untergehen. Uns ist es wichtig, diese Werte weiter zu verbreiten. Unsere Gesellschaften sind sehr inhuman geworden. Viele denken nur an den Besitz. Wenn eine Person nichts besitzt, heißt es, dass sie nichts wert ist. Wir glauben aber, dass ein Person an sich einen Wert hat, und zwar durch das, was sie tut und ist. Diese Denkweise und diese Werte wollen wir bekannt machen. Und als wir davon erzählten, sagten uns die Leute dass ihnen ihre Großeltern davon erzählt hatten. Wenn wir mit der Kultur der Maya arbeiten, sagen wir nicht, dass wir etwas Neues erschaffen, sondern wiedererschaffen, ein neues Bewusstsein wecken. Unsere Großeltern kannten all diese Werte, aber durch die Diskriminierung, die Repression, die Misere und den Krieg, mussten viele emigrieren. Dadurch sind die Bindungen zu unseren Gemeinden verloren gegangen. Aber wenn wir anfangen, von den alten Werten zu erzählen, stellen wir fest, dass sie weiterhin in vielen Köpfen weiterhin präsent sind. Von wem wurde die Diskriminierungspolitik, die über Jahrhunderte die Indigenas ausschloss, hauptsächlich betrieben? Die Tatsache, dass die indigene Bevölkerung jahrhundertelang von der Politik ausgeschlossen wurde, ist unserer Meinung nach Erbe des Kolonialismus. Die Marginalisierung der indigenen Völker war die Basis, um einer kleinen Gruppe von Menschen den Reichtum in Guatemala zu sichern. Die Diskriminierung und die Marginalisierung in unserem Land haben ein klar definiertes ökonomisches Interesse. Die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung ist kein aktuelles Problem sondern hat Wurzeln, die man als ein koloniales Erbe interpretieren und offen legen muss. Dazu kommen auch strukturelle Probleme: die Landverteilung, die mangelnde Präsenz der indigenen Bevölkerung in der Politik und die öffentlichen Ausgaben. Wir haben das Recht, genauso behandelt zu
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werden wie die Regionen, in denen Indigenas nicht in der Mehrheit sind. Heutzutage haben die Regionen, in denen Indigenas die Bevölkerungsmehrheit stellen, das geringste Haushaltsbudget. Das lässt sich sehr schön an der aktuellen Regierung der FRG sehen, die uns als minderwertig betrachtet. Wenn sie davon reden, dass sie uns billig Düngemittel zur Verfügung stellen werden oder die Selbstverteidigungspatrouillen manipulieren, wissen sie genau, dass der Hunger und die Bedürftigkeiten der Menschen auf dem Land so groß ist, dass sie von dort Unterstützung bekommen werden. Das selbe System, das letztlich für die Not verantwortlich ist, versucht bei den Armen Kräfte zu sammeln, um sich an der Macht zu halten, indem man ihnen verspricht, dass sie für ihre Arbeit in den Patrouillen entschädigt werden. Unsere Leute, von denen viele noch nie 1000 Quetzales (ca. 90,- Euro) auf einem Haufen gesehen haben, unterstützen die Mächtigen, obwohl sie, dass das Mörder sind. Damit wird das niedrige Bildungsniveau unserer Bevölkerung schamlos ausgenutzt. Diese Politik wurde selbstverständlich von den Intellektuellen und dem Bürgertum in Guatemala mitgetragen. Teil der so genannten Aufstandsbekämpfung war die Strategie, Guatemala von einem Militärregime in einen formal demokratischen Staat zu überführen. Welche Rolle spielt diese Strategie heute noch? Es gab nie eine demokratische Bewegung in der Gesellschaft, aus der ein neues System hätte entstehen können. Klar ist, dass der dominierenden Klasse in Guatemala - den Militärs und der Oligarchie - eine wahre Demokratie im Land nicht Recht wäre. Es kommt ihnen ungelegen, wenn wir Rechte besitzen Wenn wir es schaffen, uns als Zivilgesellschaft zu organisieren, so stellt dies eine Bedrohung für ihre Aktivitäten dar. Als Ausgleichskraft könnten wir die Korruption, den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen kontrollieren. Die große Gewaltwelle, die zur Zeit das Land überzieht und die du hier erleben konntest, ist ein klares Zeichen. Die existierende parallele Macht im Land, verfolgt eine langangelegte Strategie um sich an der Macht zu halten. Sie beschränken sich darauf Kapital zu akkumulieren. Eine Industrialisierung und Modernisierung oder die Entwicklung der ländlichen und indigenen Regionen steht nicht zur Debatte. Stattdessen wird Rauschgift angebaut und die Infrastruktur für den Transit von Drogen aus Kolumbien angelegt. Guatemala soll das Trampolin werden, für den Transport der Drogen in die USA.
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Was waren die Motive für die Gründung der Caracoles? Ein wichtiger Punkt, der die Caracoles betrifft, hat mit den politischen Veränderungen auf dieser Welt zu tun. Um dies verständlicher zu machen, dazu ein Beispiel über das Internationale Rote Kreuz. Da gab es einen Fall in der Gemeinde San Jose del Rio, nur etwa 4 Stunden von hier entfernt, wo das Militär versuchte, in den Ort einzudringen. Die compas haben versucht ihnen zu sagen, dass ihre Präsenz im Ort nicht erwünscht sei, weil die Kinder Angst hätten und sich fürchten würden. Die Soldaten begannen Schüsse in die Luft abzufeuern und die compas mussten sich zurückziehen. Letztlich nahm die Armee 20 compas mit. Die Gemeinde bat dann das Internationale Rote Kreuz IRK um Hilfe, das zurückfragte, warum man sie nicht 20 Tage vorher vom geplanten Angriff in Kenntnis gesetzt habe. Die compas antworteten, dass es keinen Angriff der EZLN gegeben habe und wollten wissen, wie man das IRK denn 20 Tage im voraus informieren könne, wenn jetzt die Bedrohungssituation bestehe? Da das IRK in diesem Fall nicht aktiv werden wollte, fragten wir zurück, ob sie denn nicht den Zivilisten in den Unterstützungsbasen helfen könnten, um Probleme wie Malaria und Tuberkulose, oder die ganzen Dinge wie Durchfall und Parasiten kurieren zu können. Dies lehnte das IRK mit dem Argument ab, die Gesetze erlaubten ihnen nur, in Gefechten verletzte Zivilisten zu versorgen. Wir antworteten verbittert, dass, wenn sie Verletzte haben wollten um zu intervenieren, sie uns doch bitte Waffen schicken sollten, um uns mit denen zu konfrontieren, die uns ausbeuten und mit Füßen treten, wenn sie meinen dass nur so die Gesetzte erfüllt werden. Es sind andere Formen, wie man heute kämpft und Krieg führt und obwohl wir es nicht wollen, werden wir dazu gezwungen daran teilzunehmen. Als Botschaft gaben wir Ihnen mit in die Schweiz, dass der Krieg heute ein anderer ist als noch vor 20 oder 30 Jahren und man die Gesetze daran anpassen sollte. Ähnlich ist es mit den Aguascalientes, die vor 10 Jahren ans Licht der Öffentlichkeit traten. Wir sehen, dass ein Teil der Ziele, mit denen wir begannen, erreicht wurden. Man kennt uns, genauso wie wir unsere Schwestern und Brüder aus anderen Ländern kennen gelernt haben. Das, was wir jetzt zeigen wollen, ist die Praxis: d.h die Aguascalientes wurden für tot erklärt, damit Neues entsteht. Mag sein, dass es einen schmunzeln lässt, denn wie soll aus heißem Wasser ein Caracol – eine Schnecke - entstehen, denn das Wasser kocht und darin kann kein Leben entstehen. Trotzdem gibt es jetzt dort, wo vorher ein Aguascalientes war, ein Caracol. Aber warum Caracol? Ihr z.B. kommt hier an, seid hereingekommen und musstet einen weiten Weg zurücklegen, um hier im Zentrum des Caracoles anzukommen und mit uns zu sprechen. Danach müsst ihr die Schnecke wieder verlassen 57
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Wie sehen die Beziehungen zwischen dem Staat und den parallelen Mächten aus? Sind neben Militärs auch Politiker an der parallelen Macht beteiligt? Unter den parallelen Mächten gibt es Zivilisten, aber sie ist in der Hand der Militärs und zwar derjenigen, die in den Drogenhandel verwickelt sind. Wir wissen, dass es innerhalb des Militärs Machtkämpfe um die Kontrolle des Drogenhandels gibt. Es gibt mindestens 20.000 Bewaffnete in diesem Land gibt, die sich untereinander bekämpfen. Menschen die versuchen, diese Machtstrukturen zu enttarnen, werden sofort aus dem Weg geräumt.
„Mag sein, dass es einen schmunzeln lässt, denn wie soll aus heißem Wasser ein Caracol entstehen, denn das Wasser kocht und darin kann kein Leben entstehen. Trotzdem gibt es jetzt dort, wo vorher ein Aguascalientes war, ein Caracol.“
Comandante Moises ist Mitglied in der General-kommandantur des Zapatistischen Heeres der Nationalen Befreiung EZLN. Capitan Federico gehört einem niedrigeren militärischen Rang an. Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Luz Kerkeling Ende Januar in La Realidad. Beim Interview war auch der Rat der Guten Regierung anwesend.
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Gibt es auf militärischer Ebene immer noch eine starke Zusammenarbeit zwischen Guatemala und den USA? Seit einigen Jahren gibt es auch eine Basis der US-Army an der Grenze zu Mexiko. Steht dahinter auch der Gedanke die sozialen Bewegungen im Land zu kontrollieren? Die Beziehung mit den Vereinigten Staaten sind seit 1954 stets sehr ausgeprägt gewesen, als sie die Intervention und die Zerstörung der Regierung von Jacobo Arbenz betrieben. Die Reichen unseres Landes sahen die USA als die Kraft, die ihnen helfen konnte, ihre Macht zurückzugewinnen. Bei uns in Guatemala sind die Amerikaner für einen Grossteil der Verbrechen verantwortlich. Dokumente des CIA belegen die USamerikanische Unterstützung der schmutzigen Kriege in Guatemala, ebenso wie in Chile, Paraguay, Argentinien, Nicaragua und El Salvador. Es ist wichtig, die Menschen darauf hinzuweisen, weil viele dies heute schon vergessen haben. Meine Aufmerksamkeit wird auch sehr von den Interventionen der Amerikaner heute in anderen Regionen der Welt angezogen. Was sie dort schaffen, ist keine Stabilität, sondern Instabilität, die gut für ihre Geschäfte ist. Die Amerikaner suchen keine Demokratie für die Interessen der Völker, sondern eine Demokratie, die ihren globalen Interessen förderlich ist. Ich finde es besorgniserregend und in diesem Punkt möchte ich ganz offen und ehrlich sprechen, dass unsere Welt von heute sich von den USA terrorisieren lässt und sich darüber ausschweigt. Vor 10 Tagen massakrierten sie 10 fußballspielende Kinder in Afghanistan. Sie bringen unschuldige Menschen im Irak um, und niemand sagt etwas. Die Amerikaner können mit vollständiger Straffreiheit auf der ganzen Welt ihre Politik verfolgen. Dazu setzen sie virtuos ihre Desinformationspolitik ein und informieren nur worüber sie wollen. Ich bin kein Befürworter des Terrorismus und erinnere mich noch gut daran, wie Saddam Hussein 1978/79 den Iran angriff und 33
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später Kuwait überfiel. Die Amerikaner jedoch nutzen diese Tyrannen, um ihre weltweite Hegemonie aufrecht erhalten zu können. Immer wenn die Herrscher ihre Freunde sind, schweigen sie, egal welcher Verbrechen sich diese schuldig gemacht haben. Deswegen glaube ich nicht an ihr Demokratiemodell, denn es ist falsch und zu stark mit ihren Interessen verwoben. Hoffentlich etablieren sich eines Tages weltweit neue Werte, damit diese Herrscher nicht damit fortfahren, weiter Menschen umzubringen. Wenn vom Terrorismus die Rede ist, frage ich mich, wer der Terrorist ist, denn es ist schwer zu beurteilen, wer was tut und die Handlungen die die Amerikaner durchführen, sind genau dieselben.
handlungen des amtierenden Präsidenten Fox war es, die Gesetzesvorlage in den Kongress einzubringen. Der Marsch der Zapatisten nach Mexiko Stadt im Frühjahr 2001 und die damit einhergehende massive Mobilisierung der mexikanischen Zivilgesellschaft sollten die Umsetzung der Verträge von San Andres unterstützen. Im April 2001 verabschiedete der Kongress ein Abkommen über indigene Rechte und Kultur, das die essentiellen Punkte des Abkommens von San Andres, wie das Recht der indigenen Gemeinden auf kollektiven Landbesitz und Verfügung über ihre Ressourcen, sowie die Anerkennung ihrer Autonomie nicht übernahm. Die Zapatisten brachen daraufhin den nach dem Marsch begonnenen Dialog zur Regierung wieder ab.
Wie schätzen sie den PPP im Rahmen der aktuellen Politik ein?
Meiner Meinung nach stehen die Guatemalteken und die Maya insbesondere vor einem großen Nachteil. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Das Projekt der Ruta Maya sieht vor, dass große Tourismuskomplexe mit 5Sterne-Hotels gebaut werden, zu denen wir aber keinen Zugang haben werden. Das einzige, was für uns bleibt, ist im besten Fall ein Job als Bauarbeiter oder Kaugummiverkäufer auf der Straße. So sehen die Prozesse aus.
Profilieren will sich der ehemalige Coca-Cola Manager Vincente Fox mit neoliberalen Großprojekten wie dem Plan Puebla-Panamà (PPP). Dieser sieht die wirtschaftliche Erschließung des gesamten südmexikanischen Territoriums und der anderen mittelamerikanischen Staaten vor. Die Ressourcen der Region wie Erdöl, Wasser und Biodiversität sollen ausgebeutet und Lizenzen an transnationale Konzerne verkauft werden. Durch Infrastrukturmaßnahmen und den Bau sogenannter Maquiladora-Zentren (Billiglohnfabriken) soll nach offiziellen Angaben die Marginalisierung der Region beseitigt werden. Mexikanische und internationale NGO’s sowie indigene Gemeinden, die enteignet werden sollen, laufen Sturm gegen das Projekt. Der PPP muss in Zusammenhang mit den Bestrebungen gesehen werden, die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA auf ganz Lateinamerika auszuweiten. Die neue ALCA genannte Freihandelszone soll bis 2005 auf den Weg gebracht sein und sieht umfangreiche Liberalisierungen in allen Bereichen außer dem länderüber-greifenden Personenverkehr vor. Zur Zeit plant die Europäische Union in Zusammenarbeit mit der Bundesstaatsregierung und der GTZ ein umstrittenes Entwicklungsprojekt im Biosphärenreservat Montes Azules.
Ein großes Problem der Regierungen unseres Landes wie ganz Zentralamerikas ist, dass alles auf die Regierungszeit von 4 Jahren angelegt ist, die Zeit die sie an der Regierung sind. Genau dass aber brauchen wir nicht, sondern Projekte, die sich mit den Notwendigkeiten der nächsten 30 oder 50 Jahre auseinandersetzen. Das heißt auch klar zu definieren, was können und was wollen wir in den nächsten 4 und den nächsten 8 Jahre erreichen, damit wir wirklich etwas grundlegendes tun um die Armut zu bekämpfen. In diesem Land gibt es eine große Notwendigkeit, die Gedankenstrukturen zu verändern. Wenn es z.B. eine Entschädigung für die Opfer des Bürgerkrieges geben wird, ohne dass der Staat und die Gesellschaft ihre Beziehung zu den indigenen Völkern ändern, so ist dies eine Ressourcenverschwendung. Sie können Eier, Hühner und Saatgut oder
Als am 1. Januar 2003 zum ersten Mal seit mehreren Jahren Tausende Zapatisten in San Cristobàl de las Casas einzogen und damit ihr fast zwei Jahre dauerndes Schweigen brachen, griffen sie in ihren Comuniques vor allem die Regierungspolitik von Präsident Fox an. Als Antwort auf die NichtExistenz einer Dialogbereitschaft und die weiterer Militarisierung hatten sie im Stillen weiter ihre Autonomie ausgebaut. Im Sommer 2003 eröffneten sie offiziell die Caracoles als Sitz der von ihnen geschaffenen Räte der Guten Regierungen, die damit die Aguascalientes ablösten. Die Räte koordinieren die Arbeit der autonomen Landkreise und repräsentieren die Zapatisten auf ziviler Ebene nach Außen. Sie üben auch Funktionen wie die Rechtsprechung aus, und setzen damit Teile der Abkommen von San Andres auf eigene Faust um.
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Wir sehen das größte Problem in all diesen Projekten der wirtschaftlichen Integration darin, wie dies passieren soll. 1.) Unsere Regierungen wollen alles mitmachen ohne dass es fähige Leute gibt welche die Interessen unserer Region vertreten könnten. Das ist ein großer Nachteil. 2.) Die Vorteile dieser Projekte liegen ganz klar bei den Transnationalen Konzernen und nicht bei unseren Völkern. Es heißt zwar, dass sie unsere Leute aus der Armut reißen werden, aber das stimmt nicht, denn es werden nur einige wenige sein, die wirklich neue Arbeit finden ohne dass klar wäre mit welchem Gehalt und zu welchen Bedingungen.
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Einführung Chiapas
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Nach mehreren gescheiterten Verhandlungsversuchen zwischen den Zapatisten und der Regierung startete die mexikanische Armee Anfang 1995 erneut eine Offensive gegen die indigenen Gemeinden, die Tausende Bauern zur Flucht zwang. Die Bevölkerung traute sich aus Angst vor staatlicher Repression nur in Begleitung internationaler Beobachter in ihre Heimatorte zurück. Dies war der Beginn der Menschenrechtsbeobachtung in den zivilen Friedenscamps, die seitdem in über 60 Gemeinden in Chiapas die Zivilbevölkerung beschützt.
sogar Geld zu den Leuten bringen, aber was wird danach kommen. Die Menschen werden nur im ersten Moment glücklich sein. Es gibt die Notwendigkeit etwas zu verändern und ich bin davon überzeugt, dass die Armut das Basisproblem von allen ist, welches angegangen werden muss. Wenn Armut und Analphabetismus weiter existieren, wird es keinen Schritt voran gehen. Sollten wir es nicht schaffen, unsere Kinder auf die Universitäten vorzubereiten und das akademische Niveau zu heben, so sind wir zum Verschwinden verurteilt.
Da die großen Militäroffensiven 1994 und 1995 großen nationalen und inter-nationalen Protest hervorriefen, ging die Regierung zunehmend zu einer Kriegsführung niederer Intensität über, einer Aufstandsbekämpfungsstrategie, die in den 80er Jahren in den USA entwickelt wurde. Dabei stehen keine direkten Kampfhandlungen mehr im Vordergrund. Durch Kontrollen und alltägliche Schikanen sowie paramilitärischen Terror auf der Einen und großzügige Sozialprogramme auf der Anderen soll der Widerstand der Bevölkerung zermürbt werden. Die paramilitärischen Gruppen zeichnen für zahlreiche Morde verantwortlich und verübten im Dezember 1997 in der Gemeinde Acteal im Hochland von Chiapas ein Massaker an 45 unbewaff-neten Bauern in einer Kirche. Der Regierung bot die paramilitärische Gewalt die Möglichkeit, den Aufstand als Konflikt rivalisierender Campesino-Gruppen darzustellen und die eigene Armee als Garanten der öffentlichen Ordnung zu positionieren.
Haben denn die sozialen Bewegungen Guatemalas und die Zivilgesellschaft eine reale Macht, Veränderungen herbeizuführen? Wenn die Regierungen nicht den Willen zur Veränderung haben, müssten doch die Impulse aus dem Volk kommen ...
Ende 1995 nahmen Regierung und EZLN erneut Verhandlungen auf, die 1996 im chiapanekischen San Andres zur Unterzeichung eines ersten Abkommens über indigene Rechte und Kultur führten, dem weitere Abkommen zur Beilegung des Konfliktes in Chiapas folgen sollten. Eine Parlamentskomission erarbeitete einen Gesetzesvorschlag zur Änderung der Verfassung, der jedoch von der Regierung nicht umgesetzt wurde. Dies hatte den Abbruch der Friedensverhandlungen durch die Zapatisten zur Folge.
Um ehrlich zu sein: Es gibt diese Macht zur Veränderung noch nicht. Es gibt einige Organisationen, die aber meist zu schwach sind. Die Aufstandsbekämpfung in unserem Land hatte sich zur Aufgabe gesetzt, die wichtigsten Köpfe der Bewegung zu ermorden und zu eliminieren, und zwar aller Bewegungen, der revolutionären, der demokratischen, der indigenen. So wurden 1979 auch Manuel Colom Argueta und Alberto Fuentes Morr, die beide Visionen für unser Land hatten, ermordet. Unter den Studentenführern ließ Olivero Castaneda de Leon sein Leben. Die vielen intelligenten Köpfe die es gab, hat die Aufstandsbekämpfung weitgehend dezimiert. Heute sind wir in der schweren Phase der Erholung und der Reorganisation. Denn viele der heutigen Köpfe der Bewegung haben nicht dasselbe Charisma und die dieselben Fähigkeiten und politische Bildung wie die, die wir im Kampf verloren haben. Wir stehen immer noch einer sehr ängstlichen Gesellschaft gegenüber, die in der Apathie versinkt. Diese Situation macht es schwer Kräfte zu bündeln, um Guatemala zu verändern. Das heißt, sie suchen Menschen, die sich der Angst und der Gleichgültigkeit stellen wollen, diese durchbrechen und bereit sind, sich mit der Macht zu konfrontieren, die genau dieses Klima aufrecht erhalten will.
Im Jahr 2000 beendete Vincente Fox von der PAN (Partei der Nationalen Aktion) mit seinem Wahlsieg die über 70jährige quasi Einparteienherrschaft der PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) in Mexiko. Er hatte im Wahlkampf damit geworben den Konflikt in Chiapas zu lösen und es gab große Hoffnungen in seine Versprechungen. Eine der ersten Amts-
Genau. Denn die Botschaft an das guatemaltekische Volk ist, dass man sein Leben in Gefahr bringt, wenn man zuviel redet. Der Mord an Bischof Gerardi war die erste Warnung an die Gesellschaft, ihre Organisationen und ihre Führer. Auch dort war die Botschaft klar: wenn ihr weiterhin das bestehende System in Frage stellt, werdet ihr sterben wie Juan Gerardi. Wenn wir einen Bischof ermorden, können wir auch jeden anderen ermorden. Zwei
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Domingo Hernandez
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Jahre später wurde Barbara Forr, eine Nonne aus den Vereinigten Staaten, ermordet, die mit uns die psychosoziale Begleitung der Gemeinden organisierte und die von mehreren Kugeln in der Zone 10 niedergestreckt wurde. Nicht einmal die Botschaft der Vereinigten Staaten hat auch nur einen Finger gerührt um den Fall aufzuklären. Alle zogen den Schluss, dass es Teil der Allgemeinkriminalität ist. Ich schließe daraus, dass sich der guatemaltekische Staat weiterhin der Aufstandsbekämpfung verschrieben hat und dass er uns von Zeit zu Zeit Botschaften sendet, die uns einschüchtern sollen. Ich z.B. kann mein Haus nach acht Uhr Abends nicht mehr verlassen, um zu einer Versammlung zu gehen, denn ich habe Angst, dass etwas passiert. Der Staat, der die Macht hatte eine sehr starke Guerilla-Bewegung zu besiegen, sollte auch die allgemeine Kriminalität stoppen können. Sie wissen, wie man Gruppen infiltrieren und aufspüren kann, aber für sie ist es vorteilhaft, dass diese Kriminalität existiert, denn sie garantiert ihnen, dass ihre Macht nicht in Frage gestellt wird. Bindungen zum Militär und den alten Strategen der Aufstandsbekämpfung hat auch die aktuelle Politik: Neben Oskar Berger steht Otto Perez Molina, neben Colom steht sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft,. Das Panorama ist klar: Das Militär weiß, wo es sich einbringen muss, um nicht marginalisiert zu werden. Lassen sie uns auf die Hoffnungen zu sprechen kommen. Unweit der guatemaltekischen Grenze führt seit 1994 die Bewegung der Zapatisten einen Kampf für indigene Autonomie. Wäre eine ähnliche Form des Kampfes auch eine mögliche Strategie im Kampf der indigenen Völker Guatemalas?
Chiapas und die EZLN Als der Aufstand der Zapatisten in Chiapas am 1. Januar 1994 mit der Besetzung mehrer Städte des Hochlandes begann, war Mexiko wie die übrige Welt perplex. Niemand hatte mehr damit gerechnet, dass nach dem Sieg des Kapitalismus noch einmal sozialrevolutionäre Befreiungsbewegungen in Lateinamerika an die Öffentlichkeit treten würden. Die Mitglieder der EZLN (Zapatistisches Heer der Nationalen Befreiung) forderten mit ihrem Ruf „Ya Basta – Es reicht“ ein Leben in Demokratie und Würde und Schluss mit über 500 Jahren Unterdrückung der indigenen Bevölkerung. Bewusst hatten sie für den Beginn des Aufstandes das Datum gewählt, an dem Mexiko durch den Beginn der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA offiziell der ersten Welt beitreten sollte.
Über Autonomie an sich zu sprechen, ist für uns in Guatemala immer noch sehr schwer. In Mexiko, insbesondere in Chiapas ist die indigene Bewegung in einer anderen Situation. Der Regierung Mexikos sind die Hände wesentlich stärker gebunden, was die Repression der Bewegung angeht, als in Guatemala, wobei ich nicht sagen will, dass sie dort nicht repressiv sind, aber der internationale Druck ist wesentlich größer. Aber der Druck der Zivilgesellschaft in Mexiko ist viel größer, als er dies bei uns ist. Ich erinnere mich sehr gut an das Massaker von Acteal, weil ich zu diesem Zeitpunkt in Mexiko war. Nach dem Massaker gab es eine Demonstration von 1,5 Millionen Menschen, darunter Künstler und Intellektuelle. Das war eine klare Warnung an die mexikanische Regierung: Chiapas steht nicht allein. Das halte ich für sehr wichtig. Nichtsdestotrotz denken auch wir in Guatemala über die Autonomie als einer wichtigen Forderung nach. Wir fangen gerade an, uns zu sammeln und von neuem zu organisieren. Die Notwendigkeit,
Nirgendwo anders als in Chiapas lassen sich bis heute die negativen Auswirkungen des Abkommens auf die Kleinbauern besser verdeutlichen. In den letzten zehn Jahren sind die Lebensbedingungen der Bauern immer schlechter geworden, obwohl Chiapas zu den fruchtbarsten Bundesstaaten gehört, dort reiche Erdölvorkommen liegen und es reichhaltige Wasservorräte gibt. Trotzdem sind zwei Drittel der Bevölkerung unterernährt, ein Grossteil der Haushalte ist ohne fließend Wasser und Strom.Die mexikanische Regierung zeigte sich völlig indifferent den sozialen Ursachen des Aufstandes gegenüber und antwortete mit einer breiten Offensive der mexikanischen Bundesarmee. Heute ist mit 60.000 Soldaten ein Drittel der mexikanischen Armee in Chiapas stationiert. Die Zapatisten zogen sich angesichts der massiven Militärschläge in die Selva zurück und versuchten fortan mit politischen Initiativen an die Öffentlichkeit zu gelangen.
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Claudia Samayoa
Die Veränderungen sind wirklich minimal. Es gibt z.B. einige kleine Hindernisse im Prozessverlauf, was sich als problematisch erwies. Da ist das Problem mit den Anträgen, wie im Fall Mack, als die Verteidiger mit 40 bis 50 Anträgen den Prozess fast komplett zum Erliegen brachten. Und es gibt das Strafgesetzbuch. Dort gibt es zwar den Straftatbestand, der dann verfolgt werden soll, aber dies muss gestärkt werden und einige existieren auch noch nicht. Es muss auch soweit gehen, dass jemand, der bewusst juristische Fehler begeht oder Lücken im Strafrecht nutzt, dafür auch belangt werden kann. Ein anderes Problem ist, dass es in Guatemala kein System administrativer Sanktionen gegen die Funktionäre und Beamten gibt. Frankreich ist da sehr fortschrittlich. Andere Länder nennen dies Disziplinarrecht. Es gibt in Guatemala zwar einige Gesetze, die so etwas regeln sollen, aber die haben sich so entwickelt, dass sie mitverantwortlich sind für die Straffreiheit im Land. Ist das generelle Problem Guatemalas nicht, dass mit den Friedensverträgen nicht auch eine Säuberung des Staatsapparates einsetzte? Meiner Ansicht nach basiert das Problem Guatemalas auf dem Punkt, dass unsere Wahrheitskommission keine Namen ans Licht brachte. Und der Fakt, keine Namen genannt zu haben, brachte den Prozess der Straffreiheit in Gang. Denn was man nicht sah, war, dass viele der Namen immer noch Macht hatten und aus genau dem Grund nicht ans Licht kamen. Wenn mit der CEH die Namen ans Licht gekommen wären, wäre es möglich gewesen, schon damals Prozesse zu führen und wir würden heute nicht vor den großen Problemen stehen. Präsident Arzu entließ 1997 z.B. 125 hohe Ränge des Militärs. Sie waren in das Netz Moreno verwickelt und viele von Ihnen gehörten zu den Geheimdienststrukturen. Aber es war nicht möglich, alle gerichtlich zu belangen und der Boss der Gruppe wurde sogar mit einem nicht anfechtbaren Urteil freigesprochen. Das heißt, dieses System der Straffreiheit und die Unfähigkeit des Systems, sich juristisch den Problemen zu stellen, ist das große Problem. Solange wir alle in Guatemala immer noch nicht die Wahrheit über den Bürgerkrieg akzeptieren und keine gerichtliche Aufarbeitung betreiben, wird es auch keine Chancen auf Veränderungen geben. Und gerade heute stehen wir vor einem anderen Problem. Es stellt sich heraus, dass die beiden chancenreichsten Präsidentschaftskandidaten mit ihren Stäben militaristischer sind als der noch amtierende Präsident Portillo. Sie geben uns, was die Sicherheitsfragen angeht, die gleichen Antworten wie die FRG. Sie haben nicht verstanden, wie man mit einer horrenden Zahl täglicher Morde umgeht.
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Chiapas y Guatemala
Domingo Hernandez
Erfahrungen mit den Mexikanern auszutauschen halte ich für sehr wichtig. Das war, was es bisher zu wenig gab, denn sie haben sich sehr erfolgreich der Aufgabe gewidmet, uns durch Grenzen etc. zu trennen. Du fragtest was die Hoffnung ist. Ich denke, wir müssen sie in die Kinder und Jugendlichen pflanzen. Wir haben die Gewissheit, dass es zumindest eine Grundstruktur von Organisationen gibt, und ich bin überzeugt, dass der Tag kommen wird, wo es neue Erhebungen unseres Volkes geben wird. Es werden neue Organisationen entstehen und neue Kämpfe ausgetragen werden. Wer auch immer neuer Präsident wird, es wird große Auseinandersetzungen mit ihm geben. Die Campesino-Bewegung hat einen großen Marsch nach Guatemala Stadt gemacht und deutlich gezeigt, dass das große Problem Landbesitz gelöst werden muss. Auch die Opfer des Bürgerkrieges, die um Entschädigung bitten, haben schon eine große Demo organisiert und Stärke gezeigt. Die nächsten Jahre erwarten uns wichtige Kämpfe und auch ein sehr repressiver Staat. Bei den Protesten die es in einigen Municipios nach der Wahl gab, war die Antwort des Staates nicht die eines Staates des Volkes, sondern die eines repressiven Staates. Wir brauchen keine Repressoren sondern Mediatoren, die vermitteln können und verstehen, wo es Unzufriedenheiten auf beiden Seiten gibt. Was passiert, wenn ich in einem Dorf bin und sehe, wie die Spezialeinheiten mit Stöcken und Tränengasgranaten anrücken? Natürlich werde ich mich vorbereiten und Steine suchen damit sie mich nicht angreifen. Dieser Staat ist nicht dafür geschaffen mit Frieden zu antworten, sondern mit Gewalt auf soziale Forderungen zu reagieren. Dabei ist die Frage nicht, ob die, die sich jetzt auflehnen Recht haben, oder die Schuld tragen, sondern dass wir respektieren, dass sie etwas in Frage stellen. Das heißt nicht, dass wir ihnen Recht geben müssen, aber sie in keinem Fall unterdrücken, sondern mit ihnen reden. Wir standen über 36 Jahre in einem bewaffneten Konflikt. Als die Friedensverträge unterschrieben wurden, wurde es notwendig, neue Formen des Kampfes zu finden, aber auch die Forderungen anders anzugehen. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages wurden in keinem Fall die Konflikte beigelegt, aber sie öffnen die Möglichkeit zu reden und die Wurzeln anzugehen, die diesen Konflikt ausgelöst haben.
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Nineth Monetengro
Chiapas y Guatemala
Claudia Samayoa
Gab es international eine Initiative an der sie sich orientieren konnten?
„Ich gebe mein Sandkörnchen für dieses Land, das sich im Wandel befindet.“
In El Salvador gab es eine Kommission, die im Rahmen der Friedensverträge entstand, als es plötzlich eine große Welle von Attacken gegen Ex-FML Mitglieder gab. Die Menschenrechtsstaatsanwaltschaft El Salvadors ersuchte die UNO um die Schaffung einer Kommission, um die paramilitärischen Gruppen zu untersuchen. Diese Kommission brachte sehr unterschiedliche Ergebnisse zu Tage. Immerhin jedoch konnten die Morde gestoppt werden, was in meinen Augen schon die ganze Arbeit wert war. Es wurde ein öffentlicher Abschlußbericht herausgegeben, der jedoch keine Namen enthielt. Wir wissen jedoch, dass in einem geheimen Bericht 145 Namen von Polizisten und Anderen innerhalb des staatlichen Apparates gab, die Teil der paramilitärischen Strukturen waren. Da dies nicht öffentlich wurde, gab es keinen sozialen Druck die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Das Einzige, was die Regierung anscheinend tat, war, sie von ihren Posten zu versetzen. Trotz allem wurden danach keine neuen paramilitärischen Strukturen aufgebaut. Wie sieht denn der Aufbau der CICIACS aus, der sich zur Zeit abzeichnet?
Nineth Montenegro ist seit 4 Jahren Kongressabgeordnete für die Linkspartei Allianz Neue Nation ANN. Sie kommt aus dem Spektrum der guatemaltekischen Volksbewegung und gehört zu den Gründern der Grupo de Apoyo Mutuo (GAM), in der sich die Verwandten von im Buergerkrieg Verschwundenen zusammenfanden. Sie hat sich im Kongress, in dem sie jetzt zum vierten Mal vertreten sein wird, insbesondere als Haushaltsexpertin und starke Kritikerin der Regierungspolitik einen Namen gemacht. Bei den Wahlen im Dezember war die ANN die stärkste linke Kraft, erreichte aber landesweit nur 3% der Stimmen. Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Malte Schnitger kurz nach den Wahlen am 11. November 2003.
Das was ich zur Zeit mit Sicherheit sagen kann, ist, dass die CICIACS von einem Kommissar geleitet werden soll, mit einer nationalen und internationalen Expertengruppe als Unterstützung. Sie wird eng mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten und die Figur des Nebenklägers (Querellante Adhesivo) nur nutzen, wenn dies notwendig sein sollte. Die OEA wird ganz draußenbleiben, ebenso ein nationaler Kommissar. Wir müssen hier in Guatemala noch eine Reihe von Gesetzen überprüfen und auch eine Reihe von internationalen Abkommen wie die Konvention von Palermo, wie den Zeugenschutz und die Antikorruptionsgesetze umsetzen, die das Justizsystem stärken sollen. In den drei Jahren, die fürs erste für die Kommission angedacht sind, werden natürlich nicht alle Fälle aufgerollt, geschweige denn viele Prozesse geführt werden können. Aber der Teufelskreis für die guten Leute im System, die sich mit ihrer Arbeit in Lebensgefahr begeben, wird hoffentlich unterbrochen werden und es wird ein Raum entstehen, in dem diese ihrer Arbeit nachgehen können. Heißt das nicht, dass ohne eine Stärkung des Justizsystem, auch eine erfolgreiche CICIACS nichts wird machen können? Denn wie sollen ohne Änderung im Justizsystem die Prozesse gegen die okkulten Mächte geführt werden?
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Chiapas y Guatemala
Claudia Samayoa
wie viele als rechtschaffen bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens darin verwickelt sind. Genau das Prinzip einer Mafia. Gibt es Verbindungen zwischen legalisierten privaten Sicherheitsagenturen und den illegalen Corps? Ja, da gibt es Verbindungen. Das ist Teil eines Phänomens, das sich nicht notwendigerweise CIACS nennen muss. Das ist das Phänomen der Militarisierung und es gibt illegale Sicherheitsapparate, die nachweislich in die Verbrechen gegen Menschenrechtsaktivisten verwickelt sind. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass 90% der Eigentümer von privaten Sicherheitsfirmen Militärs und insbesondere Geheimdienstleute sind. Welche Rolle spielen die USA in diesem Prozess, da sie ja nach ihrer Erkenntnis ein Motor der Militarisierung Lateinamerikas sind? Alle diese Corps und die Struktur der illegalen Sicherheitsapparate wurden von den USA geschaffen. Das war der Prozess des Aufbaus von Geheimdienststrukturen innerhalb des Planes der nationalen Sicherheit. Viele der Mitglieder wurden in den USA in der „School of the Americas“ ausgebildet und die Methoden, die sie auch heute noch benutzen, sind Methoden der Aufstandsbekämpfung. Ich bearbeite heute Fälle von Menschenrechtsaktivisten, die unter psychischem Terror leiden, im besten Stile der 80er Jahre. Wir bestehen darauf, dass diese Gruppen im Schatten der Macht der USA wachsen und gedeihen konnten und einige noch unter ihrer Kontrolle stehen, andere wiederum nicht. Deswegen ist uns wichtig, dass die USA an der Lösung des Problems beteiligt werden. Was war letztlich der Auslöser für den Ruf nach der CICIACS? Die Idee zur Schaffung der Kommission entstand 2002, als wir uns einer Welle der Repression und der Attacken auf Menschenrechtsverteidiger gegenübersahen. Wir begannen mit einem Prozess der Systematisierung und Information über diese Attacken. Wir schafften es, Informationen aus verschiedenen Sektoren der Gesellschaft zusammenzutragen, was uns die neue Dimension des Phänomens vor Augen führte und uns klar machte, dass dahinter die alten Gebilde der illegalen Corps und geheimen Sicherheitsapparaten standen. Ein weiterer Schritt legte die Untätigkeit der Justiz noch einmal klar vor unsere Augen.
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Nineth Monetengro
Zu Beginn möchte ich Ihnen zum großen Erfolg der ANN in Guatemala Stadt gratulieren. Wie interpretieren sie dieses regionale Ergebnis und den Ausgang der Wahlen insgesamt? Zu unser aller freudigen Überraschung hat sich gezeigt, dass unser Volk in den vergangenen 18 Jahren der Demokratie auf unglaubliche Art und Weise gereift ist. Insbesondere bei der Wahlbeteiligung der Frauen und der Jugend gab es große Fortschritte. Guatemala ist aufgewacht und mit der Zerstörung des Mythos Rios Montt durch seine Wahlniederlage ist etwas völlig Neues passiert. Für uns, die wir Verwandte von Verschwundenen sind und die Gewalt der Vergangenheit am eigenen Leib erfahren haben ist dies überwältigend. In dem politischen Schema welches sich jetzt im Kongress bietet, gehören die beiden wichtigsten Kräfte zur politischen Strömung der Rechten. Diese repräsentieren aber immerhin schon den zivilen Sektor Guatemalas und tragen den Geist der Veränderung in sich. In Fall der ANN in Guatemala Stadt lässt Guatemala interessanterweise den Konservatismus hinter sich. Der kritische Teil der Bevölkerung von Guatemala Stadt unterstützt progressive Kräfte mit einer neuen Vision von Nation. Dies ist ein großer Fortschritt und ein Qualitätssprung den das guatemaltekische Volk da vollzogen hat. Wie erklären sie es sich, dass die guatemaltekische Linke es nicht schafft, landesweit größere Unterstützung in der Bevölkerung zu finden? Ich glaube dies ist auch der fehlenden Vision der ANN geschuldet. Die Notwendigkeit eines indigenen Kandidaten für das höchste Staatsamt, der die Mehrheit unseres Volkes repräsentieren könnte, wird immer noch nicht wahrgenommen. Wir haben immer noch keine richtigen politischen Parteien, da die antidemokratischen Strukturen in ihnen fortbestehen. Dazu kommt, dass unsere Parteien immer noch sehr urban sind und wir uns der Realität auf dem Land annähern müssen wo es immer noch eine starke Marginalisierung und Ausgrenzung gibt. Meine Präsenz war aufgrund der zu starken Zentralisierung unserer Partei, der auch immer noch eine demokratische Vision fehlt, leider auf die Hauptstadt beschränkt. Alleine dort gewannen wir drei Direktmandate und zusätzlich zwei über die Landesliste. Auch in den politischen Parteien wird uns Frauen immer noch die Rolle verweigert, die ihnen im internationalen Rahmen wie in diesem Land zusteht. 39
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Nineth Monetengro
Viele Menschen warten darauf, dass mit dem Ende dieser Legislaturperiode im Januar auch die Immunität von Rios Montt aufgehoben wird, um ihn für den Völkermord in den 80er Jahren zur Rechenschaft ziehen zu können. Ist dies eine realistische Perspektive? Ich halte dies für sehr kompliziert. Trotz der Reife des guatemaltekischen Volkes hat es die FRG geschafft, zweitstärkste Kraft im Kongress zu werden. Sie bekam große Unterstützung insbesondere in den Gebieten des Landes, die am meisten vom Bürgerkrieg betroffen waren. Das heißt es ist immer noch viel zu tun was die Aufarbeitung der Vergangenheit in einigen Regionen des Landes angeht. Der Krieg hat uns schwer getroffen und gespalten. Wir müssen lernen, uns wieder einander anzunähern um diese Wunden zu heilen. Rios Montt hat letztlich auch von der Generalamnestie profitiert, die Militär wie Guerilla von der Verfolgung während des Krieges begangener Verbrechen schützt. Die einzige Ausnahme, wo man Rios Montt belangen könnte ist Völkermord. Auf internationaler Ebene wurden Klagen gegen Rios Montt eingereicht, aber auf nationaler Ebene wird es die Rechtsprechung in jedem Fall schwerer haben. In der Wahlkampagne hat die ANN damit geworben, eine Bildungsreform voranzubringen. Worin soll diese Reform bestehen? Guatemala trägt im Bildungssystem sehr viele alte Strukturprobleme mit sich herum. In Guatemala interessiert uns die Weltgeschichte sehr stark, aber unsere nationale Realität nicht, von der wir zusätzlich ein sehr verdrehtes Bild haben. So steht die Erziehung in keinem Zusammenhang zur Realität des Landes. Ein anderer Aspekt ist das hohe Niveau an Diskriminierung die unser Bildungssystem beinhaltet. Die Erziehung kommt auf dem Land nicht an, wo es das indigene Kind ist, was den geringsten Zugang zu Bildung hat. Dazu gibt es immer noch Rollenbilder; die uns Stereotypen der Mutter am Herd und des Vaters auf der Arbeit vermitteln. Das sind Rollenbilder, die unsere Kinder reproduzieren werden und die uns als Frauen die Entwicklung erschweren. Das muss natürlich verändert werden. Eine andere wichtige Sache ist ein dezentralisierter Haushalt, der den ländlichen Regionen zu Gute kommt und der von den Gemeinden und dem Bildungsministerium verwaltet werden kann.
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Chiapas y Guatemala
Claudia Samayoa
Wenn von clandestinen Sicherheitsstrukturen die Rede ist, was genau ist damit gemeint? Es gibt genaugenommen zwei Namen: Illegale Corps und geheime Sicherheitsapparate. Wenn man sich auf ein Corps bezieht, kann dies ein polizeiliches oder militärisches sein. Das heißt, eine militärisch entwickelte Struktur mit Waffen und Feuerkraft. Das gilt auch für die illegalen Corps. Es gibt illegale Corps, die nichtlegalisierte private Sicherheitsdienste sind. Das ist typisch für die illegalen Corps. Ein anderer Typ sind die Milizen der Großgrundbesitzer, die hauptsächlich verantwortlich für die Morde an Bauernaktivisten sind und die auch nicht legalisiert sind. Sie strukturieren sich wie Milizen. Vor allem im Bürgerkrieg waren sie sehr stark, sind aber unter der Regierung Portillo wieder aufgeblüht. Die geheimen Sicherheitsapparate sind etwas komplexer. Denn ein Apparat benötigt nicht notwendigerweise auch eine bewaffnete Struktur, sondern kann sich auch auf eine Struktur von Zivilisten beziehen, die „Sicherheit“ anbieten, die letztlich aber Unsicherheit bedeutet. Ein Aspekt der Sicherheit, die diese Leute aber für ihre Geschäfte und Zwecke brauchen. Die geheimen Sicherheitsapparate sind zuerst zum reinen Zweck der Aufstandsbekämpfung aufgetaucht. Was war dies dann letztlich? Eine Struktur von Spionen, die diejenigen identifizieren sollte, die möglicherweise Guerilleros sind, eine Struktur die innerhalb des Justiz-, des Steuer- und des Behördensystems funktionierte und erlaubte, alle Bewegungen dieser Leute zu verfolgen und die den eigenen Angehörigen Sicherheit gewährleistete. Das hat sich in den letzten Jahren zu einem System gewandelt, das allen Arten von Geschäften Sicherheit anbietet. Das sind Geheimdienststrukturen, die innerhalb eines Systems der Straffreiheit operieren und in deren Brust die illegalen Corps arbeiten und die Verbrechen ausführen. Seit 1985/86 sind das dieselben Strukturen, die arbeiten. Es gab einen Prozess der Umwandlung der illegalen Corps immer mehr in Richtung organisierte Kriminalität, das heißt, geheime Sicherheitsapparate die sich aus Kriminellen zusammensetzen. So erteilen diese Apparate den kriminellen Corps z.B. die „Erlaubnis“, eine Bank auszurauben, um im Gegenzug die Ermordung einer Person oder das Verwüsten eines Hauses zu verlangen. Dies kristallisierte sich mit der Zeit immer stärker heraus. Unsere Meinung ist, dass die Sicherheitsstrukturen und ihre Corps letztlich die Früchte anderer Strukturen im Hintergrund sind, die wir okkulte Mächte nennen und in deren Auftrag letztlich die Verbrechen geschehen. Für diese Arbeit werden Leute bezahlt oder bekommen andere Vergünstigungen. Eine Untersuchung dieser Mächte – wie mit der CICIACS angedacht - würde zu Tage bringen, 49
Chiapas y Guatemala
Claudia Samayoa
„Solange wir alle in Guatemala immer noch nicht die Wahrheit über den Bürgerkrieg akzeptieren und keine gerichtliche Aufarbeitung betreiben, wird es auch keine Chancen auf Veränderungen geben.“
Chiapas y Guatemala
Nineth Monetengro
In vier Regierungsjahren kann es keine fundamentalen Veränderungen geben. Das ist unmöglich, weil die Probleme des Landes strukturell sind und der Staat nicht Wohltäter sondern Verführer der Gesellschaft war, und sich durch die Staatsgüter bereichert hat.
Was ist die Position der ANN gegenüber den Freihandelsabkommen wie der Zentralamerikanischen Freihandelszone (CAFTA) oder deren Ausdehnung auf ganz Lateinamerika (ALCA)?
Die Anwältin Claudia Samayoa gehört zu den führenden Kräften der Stiftung Mirna Mack. Sie hat mit anderen Menschenrechtsorganisationen vor einiger Zeit die Initiative in die Hand genommen, das Konzept für eine internationale Kommission zur Untersuchung der illegalen Corps und der illegalen Sicherheitsagenturen (CICIACS) zu entwickeln. Mitte 2003 musste sie aufgrund von Drohungen gegen sie und ihre Person für einige Zeit das Land verlassen. Das Interview wurde am 18. Dezember 2003 in Guatemala Stadt geführt.
Meiner Meinung nach bringen die Freihandelsabkommen Vorteile in Bezug auf die Möglichkeit unsere Märkte auszubauen. Sie bringen aber auch Nachteile für Länder die keine konkurrenzfähige Wirtschaft haben. Das große Problem der latein-amerikanischen und speziell der zentralamerikanischen Länder ist, dass wir unser Wirtschaftsmodell nicht geändert haben. Wir haben weiterhin sehr traditionelle Wirtschaftsstrukturen mit einer Landwirtschaft die auf Primärprodukte wie Kaffee, Bananen etc. ausgelegt ist, was uns immer weniger konkurrenzfähig macht. Dieses Wirtschaftsmodell müssen wir ändern. Obwohl wir ein Land mit hoher wirtschaftlicher Produktion sind, können wir mit der europäischen und US-amerikanischen Agrarwirtschaft, die subventioniert und unterstützt wird, nicht konkurrieren. Das ist ein großes Drama. Es muss darauf geachtet werden, dass die Verträge soweit wie möglich den Interessen der Entwicklungsländer entsprechen. Daher bin ich für einen Aufschub der Entscheidungen, um zunächst einen Konsens zwischen produktivem Sektor, der Arbeiterschaft und Staat hinzubekommen. So wie die Dinge liegen, sehe ich es wie Joseph Stiglitz der sagt: „Lateinamerika hat dabei viel mehr zu verlieren als zu gewinnen.“ Im aktuellen politischen Geschehen ist es normal, von schnellen
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Chiapas y Guatemala
Nineth Monetengro
und leichten Lösungen für die drängendsten Probleme des Landes zu sprechen. Welche Projekte lassen sich tatsächlich im Laufe von 4 Jahren umsetzen? Sie haben Recht dass es sehr einfach ist zu reden, aber konkret zu werden in einem Land wo die Probleme wie Armut und Gewalt strukturelle Probleme sind, ist sehr schwierig. Daher glaube ich, was die Menschen heute verlangen, sei es nun von der Rechten oder der Linken, sind Resultate, eine produktive Einstellung, Prinzipien, Ethik, Arbeit und Ehrlichkeit, was verlorengegangene Werte in Guatemala sind. Wenn wir die Dinge so angehen, trotz der wenigen Möglichkeiten die existieren, glaube ich können wir Sachen verbessern. Ich bin sehr zufrieden mit der demokratischen Reifung der guatemaltekischen Gesellschaft. Ich glaube die Gesellschaft hat heute viele Dinge verstanden, über die wir früher mit ihnen geredet haben. Aber sie wird auch verstehen müssen, das in vier Jahren keine großen Veränderungen herbeigeführt werden können. Es wird über eine Verfassungsreform und eine Wahlgesetzreform debattiert, um eine Beständigkeit der politischen Parteien und längerfristige Projekte möglich zu machen. Ich hoffe, dass sich die demokratische Regierungsführung in Guatemala festigen wird. Wo sehen sie Nineth Montenegro in 10 Jahren und was könnte eine realistische Zukunftseinschätzung für Guatemala sein? Ich hoffe mal nicht im Haus!! Auch wenn die Frauen in diesem Land immer noch einen weiten Weg zu gehen haben. Die Sensibilisierung ist sehr wichtig, da es weiterhin soziokulturelle Schnittmuster von Diskriminierung und Ausgrenzung gibt. Ich sehe mich als jemand der dazu beitraegt: Ich gebe meine Sandkörnchen für dieses Land, das sich im Wandel befindet, dazu. Die politische Reifung die wir jetzt mit unterstützen, könnte sich festigen und in einigen Jahren dazu führen, das wir Frauen, die wir die Mehrheit in diesem Land stellen, Ämter übernehmen können die uns in der Geschichte vorenthalten wurden. Das halte ich für möglich.
Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado
Vom Punkt der Legislative aus gibt es zwei Dinge. Einer ist, dass man heute von einer Agrarreform reden kann, ohne dass man als Kommunist beschimpft wird. Das geht soweit, dass sogar die jetzige Regierung von einer Agrarreform spricht. In der legislativen Agenda der URNG stehen zwei wichtige Punkte: Einer ist das Gesetz zur Schaffung eines Katasters, das egal wohin es danach geht - fundamental ist. Und das andere ist das Agrargesetz, dessen Intention es ist, mit den Kleinbauernorganisationen zu reden um eine legale Basis für Landfragen zu erhalten. Ich denke, das sind die beiden essentiellen Punkte. Fundamental ist, dass ein ökonomisches Modell gefunden wird, welches dem kleinen Kaffeeproduzenten Hilfen zum Export gibt. Ich denke, das ist die Basis für jedwede Entwicklung. Gerade ist in Miami die Ministerkonferenz der ALCA zu Ende gegangen und man vermutet, dass bald das Freihandelsabkommen zwischen Guatemala, Zentralamerika und den USA unterzeichnet wird. Welche Position hat die URNG diesen Abkommen gegenüber? Um anzufangen würde ich sagen, dass die Integration in Zentral-amerika sehr wichtig ist und wir unsere Probleme auf dieser Ebene diskutieren müssen und nicht als einzelnes Land, um einen regionalen Vorschlag oder eine regionale Position zu finden. Wir haben beide Kandidaten in einem öffentlichen Brief aufgefordert eine Position zu finden, die die Souveränität Guatemalas nicht beeinträchtigt und die Position der Bevölkerung miteinbezieht. Niemand in Guatemala weiß, was der Inhalt dieses Freihandelsabkommens ist, was Marktöffnung heißt und unter welchen Bedingungen diese geplant ist. Welche Rolle wird die Souveränität des eigenen Landes noch spielen, wer wird über lokale Probleme und Entwicklungen entscheiden und die Fäden in der Hand halten? Ein anderer Punkt ist der Schutz der Arbeitsgesetze, dass diese nicht ausgehöhlt werden, sowie der Umweltschutz. Das sind Abkommen über die die Bürger informiert werden müssten und wo wir als Bürger mitentscheiden müssen. Als letzte Frage wüsste ich gerne von Ihnen wie Sie sich ihre Arbeit in den nächsten vier Jahren vorstellen und mit welcher Vision Sie in den neuen Kongress einziehen? Es werden sehr schwere Jahre werden. Leider gibt es immer noch nicht die politischen Bedingungen für einen Aufbruch, auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Und aus persönlicher Sicht bin ich „servidora“ der Partei und sehe meine Funktion als eine weitere Aufgabe innerhalb der Partei, um mich dem Wohl der Bevölkerung zu widmen.
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Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado
Das hat natürlich in gewisser Weise auch die Linke Mexikos vor den Kopf gestoßen.
Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado „Das größte Risiko der Linken Guatemala – nicht nur der URNG ist vom System kooptiert zu werden.“
Wie sehen sie die sozialen Bewegungen in Guatemala? Haben sie eine starke Stellung in der Gesellschaft oder was sind für sie überhaupt, die sozialen Bewegungen Guatemalas? Ich denke, da ist erst etwas am Entstehen. Es gab Zeiten in Guatemala, da gab es eine sehr starke soziale Bewegung in Guatemala. Momente, in denen die Bewegung die Kraft hatte, bestimmte Dinge einzubringen und zu bestimmen, z.B. die Bewegung der Zucker-rohrarbeiter an der Pazifikküste in den 80er Jahren. Davon ausgehend wurde der Mindestlohn eingeführt. Das war eine der großen Errungenschaften. Die Guerilla-Bewegung Guatemalas geht auch aus den sozialen Bewegungen, insbesondere der studentischen Bewegung, hervor. Das heißt, es gibt eine Geschichte der sozialen Bewegungen, die sehr stark ist. Schon die Oktoberrevolution von 1944 war der Höhepunkt einer sehr starken städtischen Bewegung. Ich denke, in der Aktualität muss die Bewegung sich konsolidieren und wachsen, den Raum nutzend, der zur Zeit zur Verfügung steht. Wie beurteilen sie den Prozess der URNG, der Transformation von einer Guerilla-Bewegung in eine Partei? Als wir den Friedensvertrag unterschrieben, gingen wir damit auch die Verpflichtung ein, uns in eine politische Partei zu verwandeln. Damit haben wir uns auch für den politischen Weg um unsere Aktivitäten zu entwickeln entschieden. Zusammen mit dem politischen Weg hängt der Weg der Wahlen. Wir hatten sehr viele Probleme uns als politische Partei zu formieren. In den ersten zwei Jahren nach dem Friedensabkommen waren wir nur damit beschäftigt Parteistrukturen aufzubauen. Jetzt sind schon 7 Jahre vergangen, was für eine Partei sehr jung ist, auch wenn wir als Bewegung schon Veteranen sind. Der Schritt, den wir gehen müssen, ist fortzuführen, was der erste Kongress der URNG verlangte. Da ist innerhalb der Komplexität des politischen Systems der wichtigste Punkt der Wahlkampf. Auch wenn es schwer ist, sind wir da und haben die Aufgabe, es jedes Mal besser zu machen. Eines der größten Probleme bis heute ist der Landmangel für viele Menschen. Halten sie in der nächsten Zeit eine Agrarreform für realistisch und worin könnte diese bestehen, bzw. was wäre da der wichtigste Punkt?
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Estela Maldonado wird zum zweiten Mal die URNG im guatemaltekischen Kongress vertreten. Sie errang bei den Wahlen im letzten Jahr eines von zwei Direktmandaten der Partei, die die Präsenz im Kongress absicherten. Estela Maldondo war als „Comandante Lola“ Guerillakommandantin der URNG während des Bürgerkrieges. Das Interview wurde am 5. Dezember 2003 in Guatemala Stadt geführt.
Frau Maldonado, zuerst einmal vielen Dank für diese Möglichkeit zu einem Gespräch. Könnten sie aus ihrer Sicht eine kurze Einschätzung des Verlaufes der Wahlen vom 9. November geben? Zum einen gibt es das Phänomen des „Voto cruzado“ zu beobachten. Eine Erklärung dafür ist der „Voto Util“. Bei diesen Wahlen gab es eine große Anstrengung wichtiger Sektoren des Landes, politischer wie wirtschaftlicher, Rios Montt als Präsidenten zu verhindern. Das war ein großer Schachzug, der in Teilen gelang, denn er konnte eine große Machtbasis insbesondere auf dem Land verteidigen, wie z.B. die Zahl der errungenen Bürgermeisterämter. Es stimmt nicht, dass die FRG am Punkt des Verschwindens stehen würde, im Gegenteil, ist sie immer noch eine sehr große Kraft. Der Punkt des Voto Util, denke ich, war sehr deutlich. So gibt es z.B. bei der GANA wie bei der UNE zwischen den Stimmen für den Präsidentschaftskandidaten und die Abgeordneten einen Unterschied in absoluten Zahlen von fast 300.000 Stimmen. Ich denke, dass ist ein neues Phänomen in Guatemala. Trotzdem war die Abwahl von Rios Montt ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Im Fall der URNG ist natürlich das Gleiche passiert. Meiner Meinung nach hatten wir es mit einer Kampagne zu tun, die ganz klar auf die Kommunikationsmedien zugeschnitten war. Mir scheint dass man diese Wahl als die Wahl der Medien bezeichnen kann. Natürlich haben die Medien immer eine große Rolle gespielt, aber ich denke, in diesem Fall hatte dies wesentlich mehr Gewicht. Da spielen auch die Umfragen eine große Rolle, der Punkt, damit zu verführen war ganz klar. Die Botschaft war weg mit der FRG, der „Voto Util“ und darauf hatte sich natürlich auch das andere politische Spektrum ausgerichtet. 43
Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado
Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado
Die URNG konnte 9 Bürgermeisterämter und 2 Sitze im Kongress erringen, im Gegensatz zu 12 Bürgermeisterämtern und 9 Abgeordneten vor 4 Jahren. Was sind die Gründe für diesen Rückgang?
gemacht wird, sollte deutlich getan werden und dann auch öffentlich verbreitet werden. Das war eines unserer größten Probleme in der letzten Legislaturperiode, dass wir den wenigen Raum, den wir hatten, nicht maximal genutzt haben.
Das sind wir zur Zeit am evaluieren. Ich kann ihnen da keine um-fassende Antwort aus Sicht der Partei geben, da wir zur Zeit noch in der Analyse stecken. In dieser müssen wir insbesondere die internen und externen Faktoren vergleichen. Wobei die internen natürlich große Bedeutung haben da wir nicht alle Verantwortung nach außen abgeben können. Denn auch die URNG ist nicht am Faktor FRG und Rios Montt vorbeigekommen. Es gab Gemeinden und Sektoren, die angesichts der Situation, dass die URNG dort nicht stark genug gewesen wäre und das Risiko in die Hände der FRG zu fallen sehr groß war, für eine andere Alternative stimmten. Das waren in diesem Fall natürlich die großen Parteien mit klarer Abgrenzung von Rios Montt. Ein anderer sehr wichtiger externer Faktor war der eben schon erwähnte der Medien. Wir wurden permanent unsichtbar gemacht.
Auf die Linke in Guatemala allgemein bezogen, sehen sie da einige kritische Punkte?
Bei den internen Faktoren ist sicherlich von großer Bedeutung dass unsere Strukturen nicht stark genug waren, um eine große Kampagne zu tragen. Auch der ökonomische Faktor war wichtig. Unsere Mittel sind so knapp, dass wir nicht einmal die Grundversorgung für eine Partei, mit 6 oder 8 Stellen in der Geschäftsstelle bezahlen können. Die Kampagne haben wir mit fast nichts im Haushalt aufgezogen. Ich denke wir beurteilen auch mit zuwenig Objektivität unsere Stärken, wie die Stärken unserer Gegner, um zu sehen mit welcher Strategie wir besser aufgetreten wären. Wofür sollten wir stehen, was wollten wir mit diesen Wahlen erreichen, da hätte uns mehr Objektivität sehr gut getan. Der Vorschlag zur Reform des Parteiengesetzes geht in die richtige Richtung, dass jede Partei eine ausreichende materielle Unter-stützung erhält. Die großen Parteien bekommen Millionen von der Oligarchie, um eine starke Präsenz zeigen zu können. Ein anderer Punkt ist, dass es seit den Friedensverträgen - erst durch die PAN dann durch die FRG - die klare Strategie gab, die URNG als Partei verschwinden zu lassen. Angesichts dieser Situation müsste die Rolle unserer Partei und unserer Abgeordneten wesentlich aggressiver sein. Auch oder gerade mit unserer Mittelknappheit. Wir wissen, dass die Zeitungen uns keine Aufmerksamkeit schenken, das Fernsehen ein bisschen, das Radio etwas mehr. Aber auf der Ebene des öffentlichen Auftretens hätten wir viel mehr die Rolle einer Partei spielen müssen, die laut denkt, Fragen stellt und auch versucht Antworten zu geben. Nicht so sehr eine Partei, die nur auf die Gesetze schaut und versucht da mit anderen zu kooperieren. Das was 44
Ich denke, das größte Risiko der Linken im allgemeinen, nicht nur auf die URNG bezogen, ist, dass sie vom System kooptiert wurde. Das heißt nicht nur vom System, sondern kooptiert von der wirtschaftlichen Macht. So wurden in der Regierungszeit der FRG linke Kader für die Regierung kooptiert und auch bei der GANA wird es so sein, dass Leute der sogenannten Linken die Seite wechseln werden, und das raubt der Linken natürlich jedes Profil. Verkauft wird dies als eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Siegerpartei und den Versuch, Räume innerhalb der Rechten für die eigene Politik zu nutzen, wobei das Linke Projekt immer verliert. Hoffen wir dass die Linke mit ihren progressiven und innovativen Fähigkeiten es schafft, das zu verändern, was die Zeit verlangt, aber zur gleichen Zeit ihre Position der sozialen Gerechtigkeit beibehält und neue Konzepte entwickelt. Ich denke in der heutigen Zeit muss die Linke mit der Rechten in Dialog treten, genauso wie mit den Repräsentanten des großen Kapitals, um kleine Abkommen für den Fortschritt des Landes zu schließen. Aber die Linke muss dort mit eigenen Vorschlägen auflaufen, das Großkapital bitten, dass es sich sensibilisiert und humanisiert, damit es eine Zeit des Regierens zumindest mit einer minimalen Gleichheit gibt. Wir dürfen uns dabei natürlich keinem sozialistischen Projekt komplett verschließen, welches aber zur Zeit noch keine Zukunft hat. Das heißt Kooperation, Sensibilisierung auf diesem Weg mit den anderen politischen Kräften, aber keine Kooptierung. Was denken sie über die zapatistische Bewegung die sich nur unweit von hier in Chiapas entfaltet? Wir sind der Meinung, dass die Zapatisten einen sehr wichtigen Raum in Mexiko öffneten. Es gibt eine klare Differenz zwischen dem Zustand vor und nach dem Aufstand der Zapatisten. Mexiko wurde gezwungen, die Augen für die marginalisierten Regionen zu öffnen, mit sehr klaren Forderungen der Aufständischen. Regionen, die ein Niveau der Armut aufweisen, wie es sehr ähnlich dem hier in Guatemala ist. Das andere Mexiko hat zum ersten Mal aufbegehrt und Dinge auf die Tagesordnung gesetzt wie die Rechte der indigenen Bevölkerung und die Respektierung ihrer Würde. 45
Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado
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Estela Maldonado
Die URNG konnte 9 Bürgermeisterämter und 2 Sitze im Kongress erringen, im Gegensatz zu 12 Bürgermeisterämtern und 9 Abgeordneten vor 4 Jahren. Was sind die Gründe für diesen Rückgang?
gemacht wird, sollte deutlich getan werden und dann auch öffentlich verbreitet werden. Das war eines unserer größten Probleme in der letzten Legislaturperiode, dass wir den wenigen Raum, den wir hatten, nicht maximal genutzt haben.
Das sind wir zur Zeit am evaluieren. Ich kann ihnen da keine um-fassende Antwort aus Sicht der Partei geben, da wir zur Zeit noch in der Analyse stecken. In dieser müssen wir insbesondere die internen und externen Faktoren vergleichen. Wobei die internen natürlich große Bedeutung haben da wir nicht alle Verantwortung nach außen abgeben können. Denn auch die URNG ist nicht am Faktor FRG und Rios Montt vorbeigekommen. Es gab Gemeinden und Sektoren, die angesichts der Situation, dass die URNG dort nicht stark genug gewesen wäre und das Risiko in die Hände der FRG zu fallen sehr groß war, für eine andere Alternative stimmten. Das waren in diesem Fall natürlich die großen Parteien mit klarer Abgrenzung von Rios Montt. Ein anderer sehr wichtiger externer Faktor war der eben schon erwähnte der Medien. Wir wurden permanent unsichtbar gemacht.
Auf die Linke in Guatemala allgemein bezogen, sehen sie da einige kritische Punkte?
Bei den internen Faktoren ist sicherlich von großer Bedeutung dass unsere Strukturen nicht stark genug waren, um eine große Kampagne zu tragen. Auch der ökonomische Faktor war wichtig. Unsere Mittel sind so knapp, dass wir nicht einmal die Grundversorgung für eine Partei, mit 6 oder 8 Stellen in der Geschäftsstelle bezahlen können. Die Kampagne haben wir mit fast nichts im Haushalt aufgezogen. Ich denke wir beurteilen auch mit zuwenig Objektivität unsere Stärken, wie die Stärken unserer Gegner, um zu sehen mit welcher Strategie wir besser aufgetreten wären. Wofür sollten wir stehen, was wollten wir mit diesen Wahlen erreichen, da hätte uns mehr Objektivität sehr gut getan. Der Vorschlag zur Reform des Parteiengesetzes geht in die richtige Richtung, dass jede Partei eine ausreichende materielle Unter-stützung erhält. Die großen Parteien bekommen Millionen von der Oligarchie, um eine starke Präsenz zeigen zu können. Ein anderer Punkt ist, dass es seit den Friedensverträgen - erst durch die PAN dann durch die FRG - die klare Strategie gab, die URNG als Partei verschwinden zu lassen. Angesichts dieser Situation müsste die Rolle unserer Partei und unserer Abgeordneten wesentlich aggressiver sein. Auch oder gerade mit unserer Mittelknappheit. Wir wissen, dass die Zeitungen uns keine Aufmerksamkeit schenken, das Fernsehen ein bisschen, das Radio etwas mehr. Aber auf der Ebene des öffentlichen Auftretens hätten wir viel mehr die Rolle einer Partei spielen müssen, die laut denkt, Fragen stellt und auch versucht Antworten zu geben. Nicht so sehr eine Partei, die nur auf die Gesetze schaut und versucht da mit anderen zu kooperieren. Das was 44
Ich denke, das größte Risiko der Linken im allgemeinen, nicht nur auf die URNG bezogen, ist, dass sie vom System kooptiert wurde. Das heißt nicht nur vom System, sondern kooptiert von der wirtschaftlichen Macht. So wurden in der Regierungszeit der FRG linke Kader für die Regierung kooptiert und auch bei der GANA wird es so sein, dass Leute der sogenannten Linken die Seite wechseln werden, und das raubt der Linken natürlich jedes Profil. Verkauft wird dies als eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Siegerpartei und den Versuch, Räume innerhalb der Rechten für die eigene Politik zu nutzen, wobei das Linke Projekt immer verliert. Hoffen wir dass die Linke mit ihren progressiven und innovativen Fähigkeiten es schafft, das zu verändern, was die Zeit verlangt, aber zur gleichen Zeit ihre Position der sozialen Gerechtigkeit beibehält und neue Konzepte entwickelt. Ich denke in der heutigen Zeit muss die Linke mit der Rechten in Dialog treten, genauso wie mit den Repräsentanten des großen Kapitals, um kleine Abkommen für den Fortschritt des Landes zu schließen. Aber die Linke muss dort mit eigenen Vorschlägen auflaufen, das Großkapital bitten, dass es sich sensibilisiert und humanisiert, damit es eine Zeit des Regierens zumindest mit einer minimalen Gleichheit gibt. Wir dürfen uns dabei natürlich keinem sozialistischen Projekt komplett verschließen, welches aber zur Zeit noch keine Zukunft hat. Das heißt Kooperation, Sensibilisierung auf diesem Weg mit den anderen politischen Kräften, aber keine Kooptierung. Was denken sie über die zapatistische Bewegung die sich nur unweit von hier in Chiapas entfaltet? Wir sind der Meinung, dass die Zapatisten einen sehr wichtigen Raum in Mexiko öffneten. Es gibt eine klare Differenz zwischen dem Zustand vor und nach dem Aufstand der Zapatisten. Mexiko wurde gezwungen, die Augen für die marginalisierten Regionen zu öffnen, mit sehr klaren Forderungen der Aufständischen. Regionen, die ein Niveau der Armut aufweisen, wie es sehr ähnlich dem hier in Guatemala ist. Das andere Mexiko hat zum ersten Mal aufbegehrt und Dinge auf die Tagesordnung gesetzt wie die Rechte der indigenen Bevölkerung und die Respektierung ihrer Würde. 45
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Estela Maldonado
Das hat natürlich in gewisser Weise auch die Linke Mexikos vor den Kopf gestoßen.
Chiapas y Guatemala
Estela Maldonado „Das größte Risiko der Linken Guatemala – nicht nur der URNG ist vom System kooptiert zu werden.“
Wie sehen sie die sozialen Bewegungen in Guatemala? Haben sie eine starke Stellung in der Gesellschaft oder was sind für sie überhaupt, die sozialen Bewegungen Guatemalas? Ich denke, da ist erst etwas am Entstehen. Es gab Zeiten in Guatemala, da gab es eine sehr starke soziale Bewegung in Guatemala. Momente, in denen die Bewegung die Kraft hatte, bestimmte Dinge einzubringen und zu bestimmen, z.B. die Bewegung der Zucker-rohrarbeiter an der Pazifikküste in den 80er Jahren. Davon ausgehend wurde der Mindestlohn eingeführt. Das war eine der großen Errungenschaften. Die Guerilla-Bewegung Guatemalas geht auch aus den sozialen Bewegungen, insbesondere der studentischen Bewegung, hervor. Das heißt, es gibt eine Geschichte der sozialen Bewegungen, die sehr stark ist. Schon die Oktoberrevolution von 1944 war der Höhepunkt einer sehr starken städtischen Bewegung. Ich denke, in der Aktualität muss die Bewegung sich konsolidieren und wachsen, den Raum nutzend, der zur Zeit zur Verfügung steht. Wie beurteilen sie den Prozess der URNG, der Transformation von einer Guerilla-Bewegung in eine Partei? Als wir den Friedensvertrag unterschrieben, gingen wir damit auch die Verpflichtung ein, uns in eine politische Partei zu verwandeln. Damit haben wir uns auch für den politischen Weg um unsere Aktivitäten zu entwickeln entschieden. Zusammen mit dem politischen Weg hängt der Weg der Wahlen. Wir hatten sehr viele Probleme uns als politische Partei zu formieren. In den ersten zwei Jahren nach dem Friedensabkommen waren wir nur damit beschäftigt Parteistrukturen aufzubauen. Jetzt sind schon 7 Jahre vergangen, was für eine Partei sehr jung ist, auch wenn wir als Bewegung schon Veteranen sind. Der Schritt, den wir gehen müssen, ist fortzuführen, was der erste Kongress der URNG verlangte. Da ist innerhalb der Komplexität des politischen Systems der wichtigste Punkt der Wahlkampf. Auch wenn es schwer ist, sind wir da und haben die Aufgabe, es jedes Mal besser zu machen. Eines der größten Probleme bis heute ist der Landmangel für viele Menschen. Halten sie in der nächsten Zeit eine Agrarreform für realistisch und worin könnte diese bestehen, bzw. was wäre da der wichtigste Punkt?
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Estela Maldonado wird zum zweiten Mal die URNG im guatemaltekischen Kongress vertreten. Sie errang bei den Wahlen im letzten Jahr eines von zwei Direktmandaten der Partei, die die Präsenz im Kongress absicherten. Estela Maldondo war als „Comandante Lola“ Guerillakommandantin der URNG während des Bürgerkrieges. Das Interview wurde am 5. Dezember 2003 in Guatemala Stadt geführt.
Frau Maldonado, zuerst einmal vielen Dank für diese Möglichkeit zu einem Gespräch. Könnten sie aus ihrer Sicht eine kurze Einschätzung des Verlaufes der Wahlen vom 9. November geben? Zum einen gibt es das Phänomen des „Voto cruzado“ zu beobachten. Eine Erklärung dafür ist der „Voto Util“. Bei diesen Wahlen gab es eine große Anstrengung wichtiger Sektoren des Landes, politischer wie wirtschaftlicher, Rios Montt als Präsidenten zu verhindern. Das war ein großer Schachzug, der in Teilen gelang, denn er konnte eine große Machtbasis insbesondere auf dem Land verteidigen, wie z.B. die Zahl der errungenen Bürgermeisterämter. Es stimmt nicht, dass die FRG am Punkt des Verschwindens stehen würde, im Gegenteil, ist sie immer noch eine sehr große Kraft. Der Punkt des Voto Util, denke ich, war sehr deutlich. So gibt es z.B. bei der GANA wie bei der UNE zwischen den Stimmen für den Präsidentschaftskandidaten und die Abgeordneten einen Unterschied in absoluten Zahlen von fast 300.000 Stimmen. Ich denke, dass ist ein neues Phänomen in Guatemala. Trotzdem war die Abwahl von Rios Montt ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Im Fall der URNG ist natürlich das Gleiche passiert. Meiner Meinung nach hatten wir es mit einer Kampagne zu tun, die ganz klar auf die Kommunikationsmedien zugeschnitten war. Mir scheint dass man diese Wahl als die Wahl der Medien bezeichnen kann. Natürlich haben die Medien immer eine große Rolle gespielt, aber ich denke, in diesem Fall hatte dies wesentlich mehr Gewicht. Da spielen auch die Umfragen eine große Rolle, der Punkt, damit zu verführen war ganz klar. Die Botschaft war weg mit der FRG, der „Voto Util“ und darauf hatte sich natürlich auch das andere politische Spektrum ausgerichtet. 43
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Nineth Monetengro
und leichten Lösungen für die drängendsten Probleme des Landes zu sprechen. Welche Projekte lassen sich tatsächlich im Laufe von 4 Jahren umsetzen? Sie haben Recht dass es sehr einfach ist zu reden, aber konkret zu werden in einem Land wo die Probleme wie Armut und Gewalt strukturelle Probleme sind, ist sehr schwierig. Daher glaube ich, was die Menschen heute verlangen, sei es nun von der Rechten oder der Linken, sind Resultate, eine produktive Einstellung, Prinzipien, Ethik, Arbeit und Ehrlichkeit, was verlorengegangene Werte in Guatemala sind. Wenn wir die Dinge so angehen, trotz der wenigen Möglichkeiten die existieren, glaube ich können wir Sachen verbessern. Ich bin sehr zufrieden mit der demokratischen Reifung der guatemaltekischen Gesellschaft. Ich glaube die Gesellschaft hat heute viele Dinge verstanden, über die wir früher mit ihnen geredet haben. Aber sie wird auch verstehen müssen, das in vier Jahren keine großen Veränderungen herbeigeführt werden können. Es wird über eine Verfassungsreform und eine Wahlgesetzreform debattiert, um eine Beständigkeit der politischen Parteien und längerfristige Projekte möglich zu machen. Ich hoffe, dass sich die demokratische Regierungsführung in Guatemala festigen wird. Wo sehen sie Nineth Montenegro in 10 Jahren und was könnte eine realistische Zukunftseinschätzung für Guatemala sein? Ich hoffe mal nicht im Haus!! Auch wenn die Frauen in diesem Land immer noch einen weiten Weg zu gehen haben. Die Sensibilisierung ist sehr wichtig, da es weiterhin soziokulturelle Schnittmuster von Diskriminierung und Ausgrenzung gibt. Ich sehe mich als jemand der dazu beitraegt: Ich gebe meine Sandkörnchen für dieses Land, das sich im Wandel befindet, dazu. Die politische Reifung die wir jetzt mit unterstützen, könnte sich festigen und in einigen Jahren dazu führen, das wir Frauen, die wir die Mehrheit in diesem Land stellen, Ämter übernehmen können die uns in der Geschichte vorenthalten wurden. Das halte ich für möglich.
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Estela Maldonado
Vom Punkt der Legislative aus gibt es zwei Dinge. Einer ist, dass man heute von einer Agrarreform reden kann, ohne dass man als Kommunist beschimpft wird. Das geht soweit, dass sogar die jetzige Regierung von einer Agrarreform spricht. In der legislativen Agenda der URNG stehen zwei wichtige Punkte: Einer ist das Gesetz zur Schaffung eines Katasters, das egal wohin es danach geht - fundamental ist. Und das andere ist das Agrargesetz, dessen Intention es ist, mit den Kleinbauernorganisationen zu reden um eine legale Basis für Landfragen zu erhalten. Ich denke, das sind die beiden essentiellen Punkte. Fundamental ist, dass ein ökonomisches Modell gefunden wird, welches dem kleinen Kaffeeproduzenten Hilfen zum Export gibt. Ich denke, das ist die Basis für jedwede Entwicklung. Gerade ist in Miami die Ministerkonferenz der ALCA zu Ende gegangen und man vermutet, dass bald das Freihandelsabkommen zwischen Guatemala, Zentralamerika und den USA unterzeichnet wird. Welche Position hat die URNG diesen Abkommen gegenüber? Um anzufangen würde ich sagen, dass die Integration in Zentral-amerika sehr wichtig ist und wir unsere Probleme auf dieser Ebene diskutieren müssen und nicht als einzelnes Land, um einen regionalen Vorschlag oder eine regionale Position zu finden. Wir haben beide Kandidaten in einem öffentlichen Brief aufgefordert eine Position zu finden, die die Souveränität Guatemalas nicht beeinträchtigt und die Position der Bevölkerung miteinbezieht. Niemand in Guatemala weiß, was der Inhalt dieses Freihandelsabkommens ist, was Marktöffnung heißt und unter welchen Bedingungen diese geplant ist. Welche Rolle wird die Souveränität des eigenen Landes noch spielen, wer wird über lokale Probleme und Entwicklungen entscheiden und die Fäden in der Hand halten? Ein anderer Punkt ist der Schutz der Arbeitsgesetze, dass diese nicht ausgehöhlt werden, sowie der Umweltschutz. Das sind Abkommen über die die Bürger informiert werden müssten und wo wir als Bürger mitentscheiden müssen. Als letzte Frage wüsste ich gerne von Ihnen wie Sie sich ihre Arbeit in den nächsten vier Jahren vorstellen und mit welcher Vision Sie in den neuen Kongress einziehen? Es werden sehr schwere Jahre werden. Leider gibt es immer noch nicht die politischen Bedingungen für einen Aufbruch, auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Und aus persönlicher Sicht bin ich „servidora“ der Partei und sehe meine Funktion als eine weitere Aufgabe innerhalb der Partei, um mich dem Wohl der Bevölkerung zu widmen.
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Claudia Samayoa
„Solange wir alle in Guatemala immer noch nicht die Wahrheit über den Bürgerkrieg akzeptieren und keine gerichtliche Aufarbeitung betreiben, wird es auch keine Chancen auf Veränderungen geben.“
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Nineth Monetengro
In vier Regierungsjahren kann es keine fundamentalen Veränderungen geben. Das ist unmöglich, weil die Probleme des Landes strukturell sind und der Staat nicht Wohltäter sondern Verführer der Gesellschaft war, und sich durch die Staatsgüter bereichert hat.
Was ist die Position der ANN gegenüber den Freihandelsabkommen wie der Zentralamerikanischen Freihandelszone (CAFTA) oder deren Ausdehnung auf ganz Lateinamerika (ALCA)?
Die Anwältin Claudia Samayoa gehört zu den führenden Kräften der Stiftung Mirna Mack. Sie hat mit anderen Menschenrechtsorganisationen vor einiger Zeit die Initiative in die Hand genommen, das Konzept für eine internationale Kommission zur Untersuchung der illegalen Corps und der illegalen Sicherheitsagenturen (CICIACS) zu entwickeln. Mitte 2003 musste sie aufgrund von Drohungen gegen sie und ihre Person für einige Zeit das Land verlassen. Das Interview wurde am 18. Dezember 2003 in Guatemala Stadt geführt.
Meiner Meinung nach bringen die Freihandelsabkommen Vorteile in Bezug auf die Möglichkeit unsere Märkte auszubauen. Sie bringen aber auch Nachteile für Länder die keine konkurrenzfähige Wirtschaft haben. Das große Problem der latein-amerikanischen und speziell der zentralamerikanischen Länder ist, dass wir unser Wirtschaftsmodell nicht geändert haben. Wir haben weiterhin sehr traditionelle Wirtschaftsstrukturen mit einer Landwirtschaft die auf Primärprodukte wie Kaffee, Bananen etc. ausgelegt ist, was uns immer weniger konkurrenzfähig macht. Dieses Wirtschaftsmodell müssen wir ändern. Obwohl wir ein Land mit hoher wirtschaftlicher Produktion sind, können wir mit der europäischen und US-amerikanischen Agrarwirtschaft, die subventioniert und unterstützt wird, nicht konkurrieren. Das ist ein großes Drama. Es muss darauf geachtet werden, dass die Verträge soweit wie möglich den Interessen der Entwicklungsländer entsprechen. Daher bin ich für einen Aufschub der Entscheidungen, um zunächst einen Konsens zwischen produktivem Sektor, der Arbeiterschaft und Staat hinzubekommen. So wie die Dinge liegen, sehe ich es wie Joseph Stiglitz der sagt: „Lateinamerika hat dabei viel mehr zu verlieren als zu gewinnen.“ Im aktuellen politischen Geschehen ist es normal, von schnellen
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Nineth Monetengro
Viele Menschen warten darauf, dass mit dem Ende dieser Legislaturperiode im Januar auch die Immunität von Rios Montt aufgehoben wird, um ihn für den Völkermord in den 80er Jahren zur Rechenschaft ziehen zu können. Ist dies eine realistische Perspektive? Ich halte dies für sehr kompliziert. Trotz der Reife des guatemaltekischen Volkes hat es die FRG geschafft, zweitstärkste Kraft im Kongress zu werden. Sie bekam große Unterstützung insbesondere in den Gebieten des Landes, die am meisten vom Bürgerkrieg betroffen waren. Das heißt es ist immer noch viel zu tun was die Aufarbeitung der Vergangenheit in einigen Regionen des Landes angeht. Der Krieg hat uns schwer getroffen und gespalten. Wir müssen lernen, uns wieder einander anzunähern um diese Wunden zu heilen. Rios Montt hat letztlich auch von der Generalamnestie profitiert, die Militär wie Guerilla von der Verfolgung während des Krieges begangener Verbrechen schützt. Die einzige Ausnahme, wo man Rios Montt belangen könnte ist Völkermord. Auf internationaler Ebene wurden Klagen gegen Rios Montt eingereicht, aber auf nationaler Ebene wird es die Rechtsprechung in jedem Fall schwerer haben. In der Wahlkampagne hat die ANN damit geworben, eine Bildungsreform voranzubringen. Worin soll diese Reform bestehen? Guatemala trägt im Bildungssystem sehr viele alte Strukturprobleme mit sich herum. In Guatemala interessiert uns die Weltgeschichte sehr stark, aber unsere nationale Realität nicht, von der wir zusätzlich ein sehr verdrehtes Bild haben. So steht die Erziehung in keinem Zusammenhang zur Realität des Landes. Ein anderer Aspekt ist das hohe Niveau an Diskriminierung die unser Bildungssystem beinhaltet. Die Erziehung kommt auf dem Land nicht an, wo es das indigene Kind ist, was den geringsten Zugang zu Bildung hat. Dazu gibt es immer noch Rollenbilder; die uns Stereotypen der Mutter am Herd und des Vaters auf der Arbeit vermitteln. Das sind Rollenbilder, die unsere Kinder reproduzieren werden und die uns als Frauen die Entwicklung erschweren. Das muss natürlich verändert werden. Eine andere wichtige Sache ist ein dezentralisierter Haushalt, der den ländlichen Regionen zu Gute kommt und der von den Gemeinden und dem Bildungsministerium verwaltet werden kann.
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Claudia Samayoa
Wenn von clandestinen Sicherheitsstrukturen die Rede ist, was genau ist damit gemeint? Es gibt genaugenommen zwei Namen: Illegale Corps und geheime Sicherheitsapparate. Wenn man sich auf ein Corps bezieht, kann dies ein polizeiliches oder militärisches sein. Das heißt, eine militärisch entwickelte Struktur mit Waffen und Feuerkraft. Das gilt auch für die illegalen Corps. Es gibt illegale Corps, die nichtlegalisierte private Sicherheitsdienste sind. Das ist typisch für die illegalen Corps. Ein anderer Typ sind die Milizen der Großgrundbesitzer, die hauptsächlich verantwortlich für die Morde an Bauernaktivisten sind und die auch nicht legalisiert sind. Sie strukturieren sich wie Milizen. Vor allem im Bürgerkrieg waren sie sehr stark, sind aber unter der Regierung Portillo wieder aufgeblüht. Die geheimen Sicherheitsapparate sind etwas komplexer. Denn ein Apparat benötigt nicht notwendigerweise auch eine bewaffnete Struktur, sondern kann sich auch auf eine Struktur von Zivilisten beziehen, die „Sicherheit“ anbieten, die letztlich aber Unsicherheit bedeutet. Ein Aspekt der Sicherheit, die diese Leute aber für ihre Geschäfte und Zwecke brauchen. Die geheimen Sicherheitsapparate sind zuerst zum reinen Zweck der Aufstandsbekämpfung aufgetaucht. Was war dies dann letztlich? Eine Struktur von Spionen, die diejenigen identifizieren sollte, die möglicherweise Guerilleros sind, eine Struktur die innerhalb des Justiz-, des Steuer- und des Behördensystems funktionierte und erlaubte, alle Bewegungen dieser Leute zu verfolgen und die den eigenen Angehörigen Sicherheit gewährleistete. Das hat sich in den letzten Jahren zu einem System gewandelt, das allen Arten von Geschäften Sicherheit anbietet. Das sind Geheimdienststrukturen, die innerhalb eines Systems der Straffreiheit operieren und in deren Brust die illegalen Corps arbeiten und die Verbrechen ausführen. Seit 1985/86 sind das dieselben Strukturen, die arbeiten. Es gab einen Prozess der Umwandlung der illegalen Corps immer mehr in Richtung organisierte Kriminalität, das heißt, geheime Sicherheitsapparate die sich aus Kriminellen zusammensetzen. So erteilen diese Apparate den kriminellen Corps z.B. die „Erlaubnis“, eine Bank auszurauben, um im Gegenzug die Ermordung einer Person oder das Verwüsten eines Hauses zu verlangen. Dies kristallisierte sich mit der Zeit immer stärker heraus. Unsere Meinung ist, dass die Sicherheitsstrukturen und ihre Corps letztlich die Früchte anderer Strukturen im Hintergrund sind, die wir okkulte Mächte nennen und in deren Auftrag letztlich die Verbrechen geschehen. Für diese Arbeit werden Leute bezahlt oder bekommen andere Vergünstigungen. Eine Untersuchung dieser Mächte – wie mit der CICIACS angedacht - würde zu Tage bringen, 49
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Claudia Samayoa
wie viele als rechtschaffen bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens darin verwickelt sind. Genau das Prinzip einer Mafia. Gibt es Verbindungen zwischen legalisierten privaten Sicherheitsagenturen und den illegalen Corps? Ja, da gibt es Verbindungen. Das ist Teil eines Phänomens, das sich nicht notwendigerweise CIACS nennen muss. Das ist das Phänomen der Militarisierung und es gibt illegale Sicherheitsapparate, die nachweislich in die Verbrechen gegen Menschenrechtsaktivisten verwickelt sind. Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass 90% der Eigentümer von privaten Sicherheitsfirmen Militärs und insbesondere Geheimdienstleute sind. Welche Rolle spielen die USA in diesem Prozess, da sie ja nach ihrer Erkenntnis ein Motor der Militarisierung Lateinamerikas sind? Alle diese Corps und die Struktur der illegalen Sicherheitsapparate wurden von den USA geschaffen. Das war der Prozess des Aufbaus von Geheimdienststrukturen innerhalb des Planes der nationalen Sicherheit. Viele der Mitglieder wurden in den USA in der „School of the Americas“ ausgebildet und die Methoden, die sie auch heute noch benutzen, sind Methoden der Aufstandsbekämpfung. Ich bearbeite heute Fälle von Menschenrechtsaktivisten, die unter psychischem Terror leiden, im besten Stile der 80er Jahre. Wir bestehen darauf, dass diese Gruppen im Schatten der Macht der USA wachsen und gedeihen konnten und einige noch unter ihrer Kontrolle stehen, andere wiederum nicht. Deswegen ist uns wichtig, dass die USA an der Lösung des Problems beteiligt werden. Was war letztlich der Auslöser für den Ruf nach der CICIACS? Die Idee zur Schaffung der Kommission entstand 2002, als wir uns einer Welle der Repression und der Attacken auf Menschenrechtsverteidiger gegenübersahen. Wir begannen mit einem Prozess der Systematisierung und Information über diese Attacken. Wir schafften es, Informationen aus verschiedenen Sektoren der Gesellschaft zusammenzutragen, was uns die neue Dimension des Phänomens vor Augen führte und uns klar machte, dass dahinter die alten Gebilde der illegalen Corps und geheimen Sicherheitsapparaten standen. Ein weiterer Schritt legte die Untätigkeit der Justiz noch einmal klar vor unsere Augen.
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Nineth Monetengro
Zu Beginn möchte ich Ihnen zum großen Erfolg der ANN in Guatemala Stadt gratulieren. Wie interpretieren sie dieses regionale Ergebnis und den Ausgang der Wahlen insgesamt? Zu unser aller freudigen Überraschung hat sich gezeigt, dass unser Volk in den vergangenen 18 Jahren der Demokratie auf unglaubliche Art und Weise gereift ist. Insbesondere bei der Wahlbeteiligung der Frauen und der Jugend gab es große Fortschritte. Guatemala ist aufgewacht und mit der Zerstörung des Mythos Rios Montt durch seine Wahlniederlage ist etwas völlig Neues passiert. Für uns, die wir Verwandte von Verschwundenen sind und die Gewalt der Vergangenheit am eigenen Leib erfahren haben ist dies überwältigend. In dem politischen Schema welches sich jetzt im Kongress bietet, gehören die beiden wichtigsten Kräfte zur politischen Strömung der Rechten. Diese repräsentieren aber immerhin schon den zivilen Sektor Guatemalas und tragen den Geist der Veränderung in sich. In Fall der ANN in Guatemala Stadt lässt Guatemala interessanterweise den Konservatismus hinter sich. Der kritische Teil der Bevölkerung von Guatemala Stadt unterstützt progressive Kräfte mit einer neuen Vision von Nation. Dies ist ein großer Fortschritt und ein Qualitätssprung den das guatemaltekische Volk da vollzogen hat. Wie erklären sie es sich, dass die guatemaltekische Linke es nicht schafft, landesweit größere Unterstützung in der Bevölkerung zu finden? Ich glaube dies ist auch der fehlenden Vision der ANN geschuldet. Die Notwendigkeit eines indigenen Kandidaten für das höchste Staatsamt, der die Mehrheit unseres Volkes repräsentieren könnte, wird immer noch nicht wahrgenommen. Wir haben immer noch keine richtigen politischen Parteien, da die antidemokratischen Strukturen in ihnen fortbestehen. Dazu kommt, dass unsere Parteien immer noch sehr urban sind und wir uns der Realität auf dem Land annähern müssen wo es immer noch eine starke Marginalisierung und Ausgrenzung gibt. Meine Präsenz war aufgrund der zu starken Zentralisierung unserer Partei, der auch immer noch eine demokratische Vision fehlt, leider auf die Hauptstadt beschränkt. Alleine dort gewannen wir drei Direktmandate und zusätzlich zwei über die Landesliste. Auch in den politischen Parteien wird uns Frauen immer noch die Rolle verweigert, die ihnen im internationalen Rahmen wie in diesem Land zusteht. 39
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Nineth Monetengro
Chiapas y Guatemala
Claudia Samayoa
Gab es international eine Initiative an der sie sich orientieren konnten?
„Ich gebe mein Sandkörnchen für dieses Land, das sich im Wandel befindet.“
In El Salvador gab es eine Kommission, die im Rahmen der Friedensverträge entstand, als es plötzlich eine große Welle von Attacken gegen Ex-FML Mitglieder gab. Die Menschenrechtsstaatsanwaltschaft El Salvadors ersuchte die UNO um die Schaffung einer Kommission, um die paramilitärischen Gruppen zu untersuchen. Diese Kommission brachte sehr unterschiedliche Ergebnisse zu Tage. Immerhin jedoch konnten die Morde gestoppt werden, was in meinen Augen schon die ganze Arbeit wert war. Es wurde ein öffentlicher Abschlußbericht herausgegeben, der jedoch keine Namen enthielt. Wir wissen jedoch, dass in einem geheimen Bericht 145 Namen von Polizisten und Anderen innerhalb des staatlichen Apparates gab, die Teil der paramilitärischen Strukturen waren. Da dies nicht öffentlich wurde, gab es keinen sozialen Druck die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Das Einzige, was die Regierung anscheinend tat, war, sie von ihren Posten zu versetzen. Trotz allem wurden danach keine neuen paramilitärischen Strukturen aufgebaut. Wie sieht denn der Aufbau der CICIACS aus, der sich zur Zeit abzeichnet?
Nineth Montenegro ist seit 4 Jahren Kongressabgeordnete für die Linkspartei Allianz Neue Nation ANN. Sie kommt aus dem Spektrum der guatemaltekischen Volksbewegung und gehört zu den Gründern der Grupo de Apoyo Mutuo (GAM), in der sich die Verwandten von im Buergerkrieg Verschwundenen zusammenfanden. Sie hat sich im Kongress, in dem sie jetzt zum vierten Mal vertreten sein wird, insbesondere als Haushaltsexpertin und starke Kritikerin der Regierungspolitik einen Namen gemacht. Bei den Wahlen im Dezember war die ANN die stärkste linke Kraft, erreichte aber landesweit nur 3% der Stimmen. Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Malte Schnitger kurz nach den Wahlen am 11. November 2003.
Das was ich zur Zeit mit Sicherheit sagen kann, ist, dass die CICIACS von einem Kommissar geleitet werden soll, mit einer nationalen und internationalen Expertengruppe als Unterstützung. Sie wird eng mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten und die Figur des Nebenklägers (Querellante Adhesivo) nur nutzen, wenn dies notwendig sein sollte. Die OEA wird ganz draußenbleiben, ebenso ein nationaler Kommissar. Wir müssen hier in Guatemala noch eine Reihe von Gesetzen überprüfen und auch eine Reihe von internationalen Abkommen wie die Konvention von Palermo, wie den Zeugenschutz und die Antikorruptionsgesetze umsetzen, die das Justizsystem stärken sollen. In den drei Jahren, die fürs erste für die Kommission angedacht sind, werden natürlich nicht alle Fälle aufgerollt, geschweige denn viele Prozesse geführt werden können. Aber der Teufelskreis für die guten Leute im System, die sich mit ihrer Arbeit in Lebensgefahr begeben, wird hoffentlich unterbrochen werden und es wird ein Raum entstehen, in dem diese ihrer Arbeit nachgehen können. Heißt das nicht, dass ohne eine Stärkung des Justizsystem, auch eine erfolgreiche CICIACS nichts wird machen können? Denn wie sollen ohne Änderung im Justizsystem die Prozesse gegen die okkulten Mächte geführt werden?
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Chiapas y Guatemala
Claudia Samayoa
Die Veränderungen sind wirklich minimal. Es gibt z.B. einige kleine Hindernisse im Prozessverlauf, was sich als problematisch erwies. Da ist das Problem mit den Anträgen, wie im Fall Mack, als die Verteidiger mit 40 bis 50 Anträgen den Prozess fast komplett zum Erliegen brachten. Und es gibt das Strafgesetzbuch. Dort gibt es zwar den Straftatbestand, der dann verfolgt werden soll, aber dies muss gestärkt werden und einige existieren auch noch nicht. Es muss auch soweit gehen, dass jemand, der bewusst juristische Fehler begeht oder Lücken im Strafrecht nutzt, dafür auch belangt werden kann. Ein anderes Problem ist, dass es in Guatemala kein System administrativer Sanktionen gegen die Funktionäre und Beamten gibt. Frankreich ist da sehr fortschrittlich. Andere Länder nennen dies Disziplinarrecht. Es gibt in Guatemala zwar einige Gesetze, die so etwas regeln sollen, aber die haben sich so entwickelt, dass sie mitverantwortlich sind für die Straffreiheit im Land. Ist das generelle Problem Guatemalas nicht, dass mit den Friedensverträgen nicht auch eine Säuberung des Staatsapparates einsetzte? Meiner Ansicht nach basiert das Problem Guatemalas auf dem Punkt, dass unsere Wahrheitskommission keine Namen ans Licht brachte. Und der Fakt, keine Namen genannt zu haben, brachte den Prozess der Straffreiheit in Gang. Denn was man nicht sah, war, dass viele der Namen immer noch Macht hatten und aus genau dem Grund nicht ans Licht kamen. Wenn mit der CEH die Namen ans Licht gekommen wären, wäre es möglich gewesen, schon damals Prozesse zu führen und wir würden heute nicht vor den großen Problemen stehen. Präsident Arzu entließ 1997 z.B. 125 hohe Ränge des Militärs. Sie waren in das Netz Moreno verwickelt und viele von Ihnen gehörten zu den Geheimdienststrukturen. Aber es war nicht möglich, alle gerichtlich zu belangen und der Boss der Gruppe wurde sogar mit einem nicht anfechtbaren Urteil freigesprochen. Das heißt, dieses System der Straffreiheit und die Unfähigkeit des Systems, sich juristisch den Problemen zu stellen, ist das große Problem. Solange wir alle in Guatemala immer noch nicht die Wahrheit über den Bürgerkrieg akzeptieren und keine gerichtliche Aufarbeitung betreiben, wird es auch keine Chancen auf Veränderungen geben. Und gerade heute stehen wir vor einem anderen Problem. Es stellt sich heraus, dass die beiden chancenreichsten Präsidentschaftskandidaten mit ihren Stäben militaristischer sind als der noch amtierende Präsident Portillo. Sie geben uns, was die Sicherheitsfragen angeht, die gleichen Antworten wie die FRG. Sie haben nicht verstanden, wie man mit einer horrenden Zahl täglicher Morde umgeht.
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Chiapas y Guatemala
Domingo Hernandez
Erfahrungen mit den Mexikanern auszutauschen halte ich für sehr wichtig. Das war, was es bisher zu wenig gab, denn sie haben sich sehr erfolgreich der Aufgabe gewidmet, uns durch Grenzen etc. zu trennen. Du fragtest was die Hoffnung ist. Ich denke, wir müssen sie in die Kinder und Jugendlichen pflanzen. Wir haben die Gewissheit, dass es zumindest eine Grundstruktur von Organisationen gibt, und ich bin überzeugt, dass der Tag kommen wird, wo es neue Erhebungen unseres Volkes geben wird. Es werden neue Organisationen entstehen und neue Kämpfe ausgetragen werden. Wer auch immer neuer Präsident wird, es wird große Auseinandersetzungen mit ihm geben. Die Campesino-Bewegung hat einen großen Marsch nach Guatemala Stadt gemacht und deutlich gezeigt, dass das große Problem Landbesitz gelöst werden muss. Auch die Opfer des Bürgerkrieges, die um Entschädigung bitten, haben schon eine große Demo organisiert und Stärke gezeigt. Die nächsten Jahre erwarten uns wichtige Kämpfe und auch ein sehr repressiver Staat. Bei den Protesten die es in einigen Municipios nach der Wahl gab, war die Antwort des Staates nicht die eines Staates des Volkes, sondern die eines repressiven Staates. Wir brauchen keine Repressoren sondern Mediatoren, die vermitteln können und verstehen, wo es Unzufriedenheiten auf beiden Seiten gibt. Was passiert, wenn ich in einem Dorf bin und sehe, wie die Spezialeinheiten mit Stöcken und Tränengasgranaten anrücken? Natürlich werde ich mich vorbereiten und Steine suchen damit sie mich nicht angreifen. Dieser Staat ist nicht dafür geschaffen mit Frieden zu antworten, sondern mit Gewalt auf soziale Forderungen zu reagieren. Dabei ist die Frage nicht, ob die, die sich jetzt auflehnen Recht haben, oder die Schuld tragen, sondern dass wir respektieren, dass sie etwas in Frage stellen. Das heißt nicht, dass wir ihnen Recht geben müssen, aber sie in keinem Fall unterdrücken, sondern mit ihnen reden. Wir standen über 36 Jahre in einem bewaffneten Konflikt. Als die Friedensverträge unterschrieben wurden, wurde es notwendig, neue Formen des Kampfes zu finden, aber auch die Forderungen anders anzugehen. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages wurden in keinem Fall die Konflikte beigelegt, aber sie öffnen die Möglichkeit zu reden und die Wurzeln anzugehen, die diesen Konflikt ausgelöst haben.
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Chiapas y Guatemala
Domingo Hernandez
Chiapas y Guatemala
Einführung Chiapas
Jahre später wurde Barbara Forr, eine Nonne aus den Vereinigten Staaten, ermordet, die mit uns die psychosoziale Begleitung der Gemeinden organisierte und die von mehreren Kugeln in der Zone 10 niedergestreckt wurde. Nicht einmal die Botschaft der Vereinigten Staaten hat auch nur einen Finger gerührt um den Fall aufzuklären. Alle zogen den Schluss, dass es Teil der Allgemeinkriminalität ist. Ich schließe daraus, dass sich der guatemaltekische Staat weiterhin der Aufstandsbekämpfung verschrieben hat und dass er uns von Zeit zu Zeit Botschaften sendet, die uns einschüchtern sollen. Ich z.B. kann mein Haus nach acht Uhr Abends nicht mehr verlassen, um zu einer Versammlung zu gehen, denn ich habe Angst, dass etwas passiert. Der Staat, der die Macht hatte eine sehr starke Guerilla-Bewegung zu besiegen, sollte auch die allgemeine Kriminalität stoppen können. Sie wissen, wie man Gruppen infiltrieren und aufspüren kann, aber für sie ist es vorteilhaft, dass diese Kriminalität existiert, denn sie garantiert ihnen, dass ihre Macht nicht in Frage gestellt wird. Bindungen zum Militär und den alten Strategen der Aufstandsbekämpfung hat auch die aktuelle Politik: Neben Oskar Berger steht Otto Perez Molina, neben Colom steht sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft,. Das Panorama ist klar: Das Militär weiß, wo es sich einbringen muss, um nicht marginalisiert zu werden. Lassen sie uns auf die Hoffnungen zu sprechen kommen. Unweit der guatemaltekischen Grenze führt seit 1994 die Bewegung der Zapatisten einen Kampf für indigene Autonomie. Wäre eine ähnliche Form des Kampfes auch eine mögliche Strategie im Kampf der indigenen Völker Guatemalas?
Chiapas und die EZLN Als der Aufstand der Zapatisten in Chiapas am 1. Januar 1994 mit der Besetzung mehrer Städte des Hochlandes begann, war Mexiko wie die übrige Welt perplex. Niemand hatte mehr damit gerechnet, dass nach dem Sieg des Kapitalismus noch einmal sozialrevolutionäre Befreiungsbewegungen in Lateinamerika an die Öffentlichkeit treten würden. Die Mitglieder der EZLN (Zapatistisches Heer der Nationalen Befreiung) forderten mit ihrem Ruf „Ya Basta – Es reicht“ ein Leben in Demokratie und Würde und Schluss mit über 500 Jahren Unterdrückung der indigenen Bevölkerung. Bewusst hatten sie für den Beginn des Aufstandes das Datum gewählt, an dem Mexiko durch den Beginn der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA offiziell der ersten Welt beitreten sollte.
Über Autonomie an sich zu sprechen, ist für uns in Guatemala immer noch sehr schwer. In Mexiko, insbesondere in Chiapas ist die indigene Bewegung in einer anderen Situation. Der Regierung Mexikos sind die Hände wesentlich stärker gebunden, was die Repression der Bewegung angeht, als in Guatemala, wobei ich nicht sagen will, dass sie dort nicht repressiv sind, aber der internationale Druck ist wesentlich größer. Aber der Druck der Zivilgesellschaft in Mexiko ist viel größer, als er dies bei uns ist. Ich erinnere mich sehr gut an das Massaker von Acteal, weil ich zu diesem Zeitpunkt in Mexiko war. Nach dem Massaker gab es eine Demonstration von 1,5 Millionen Menschen, darunter Künstler und Intellektuelle. Das war eine klare Warnung an die mexikanische Regierung: Chiapas steht nicht allein. Das halte ich für sehr wichtig. Nichtsdestotrotz denken auch wir in Guatemala über die Autonomie als einer wichtigen Forderung nach. Wir fangen gerade an, uns zu sammeln und von neuem zu organisieren. Die Notwendigkeit,
Nirgendwo anders als in Chiapas lassen sich bis heute die negativen Auswirkungen des Abkommens auf die Kleinbauern besser verdeutlichen. In den letzten zehn Jahren sind die Lebensbedingungen der Bauern immer schlechter geworden, obwohl Chiapas zu den fruchtbarsten Bundesstaaten gehört, dort reiche Erdölvorkommen liegen und es reichhaltige Wasservorräte gibt. Trotzdem sind zwei Drittel der Bevölkerung unterernährt, ein Grossteil der Haushalte ist ohne fließend Wasser und Strom.Die mexikanische Regierung zeigte sich völlig indifferent den sozialen Ursachen des Aufstandes gegenüber und antwortete mit einer breiten Offensive der mexikanischen Bundesarmee. Heute ist mit 60.000 Soldaten ein Drittel der mexikanischen Armee in Chiapas stationiert. Die Zapatisten zogen sich angesichts der massiven Militärschläge in die Selva zurück und versuchten fortan mit politischen Initiativen an die Öffentlichkeit zu gelangen.
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Einführung Chiapas
Chiapas y Guatemala
Domingo Hernandez
Nach mehreren gescheiterten Verhandlungsversuchen zwischen den Zapatisten und der Regierung startete die mexikanische Armee Anfang 1995 erneut eine Offensive gegen die indigenen Gemeinden, die Tausende Bauern zur Flucht zwang. Die Bevölkerung traute sich aus Angst vor staatlicher Repression nur in Begleitung internationaler Beobachter in ihre Heimatorte zurück. Dies war der Beginn der Menschenrechtsbeobachtung in den zivilen Friedenscamps, die seitdem in über 60 Gemeinden in Chiapas die Zivilbevölkerung beschützt.
sogar Geld zu den Leuten bringen, aber was wird danach kommen. Die Menschen werden nur im ersten Moment glücklich sein. Es gibt die Notwendigkeit etwas zu verändern und ich bin davon überzeugt, dass die Armut das Basisproblem von allen ist, welches angegangen werden muss. Wenn Armut und Analphabetismus weiter existieren, wird es keinen Schritt voran gehen. Sollten wir es nicht schaffen, unsere Kinder auf die Universitäten vorzubereiten und das akademische Niveau zu heben, so sind wir zum Verschwinden verurteilt.
Da die großen Militäroffensiven 1994 und 1995 großen nationalen und inter-nationalen Protest hervorriefen, ging die Regierung zunehmend zu einer Kriegsführung niederer Intensität über, einer Aufstandsbekämpfungsstrategie, die in den 80er Jahren in den USA entwickelt wurde. Dabei stehen keine direkten Kampfhandlungen mehr im Vordergrund. Durch Kontrollen und alltägliche Schikanen sowie paramilitärischen Terror auf der Einen und großzügige Sozialprogramme auf der Anderen soll der Widerstand der Bevölkerung zermürbt werden. Die paramilitärischen Gruppen zeichnen für zahlreiche Morde verantwortlich und verübten im Dezember 1997 in der Gemeinde Acteal im Hochland von Chiapas ein Massaker an 45 unbewaff-neten Bauern in einer Kirche. Der Regierung bot die paramilitärische Gewalt die Möglichkeit, den Aufstand als Konflikt rivalisierender Campesino-Gruppen darzustellen und die eigene Armee als Garanten der öffentlichen Ordnung zu positionieren.
Haben denn die sozialen Bewegungen Guatemalas und die Zivilgesellschaft eine reale Macht, Veränderungen herbeizuführen? Wenn die Regierungen nicht den Willen zur Veränderung haben, müssten doch die Impulse aus dem Volk kommen ...
Ende 1995 nahmen Regierung und EZLN erneut Verhandlungen auf, die 1996 im chiapanekischen San Andres zur Unterzeichung eines ersten Abkommens über indigene Rechte und Kultur führten, dem weitere Abkommen zur Beilegung des Konfliktes in Chiapas folgen sollten. Eine Parlamentskomission erarbeitete einen Gesetzesvorschlag zur Änderung der Verfassung, der jedoch von der Regierung nicht umgesetzt wurde. Dies hatte den Abbruch der Friedensverhandlungen durch die Zapatisten zur Folge.
Um ehrlich zu sein: Es gibt diese Macht zur Veränderung noch nicht. Es gibt einige Organisationen, die aber meist zu schwach sind. Die Aufstandsbekämpfung in unserem Land hatte sich zur Aufgabe gesetzt, die wichtigsten Köpfe der Bewegung zu ermorden und zu eliminieren, und zwar aller Bewegungen, der revolutionären, der demokratischen, der indigenen. So wurden 1979 auch Manuel Colom Argueta und Alberto Fuentes Morr, die beide Visionen für unser Land hatten, ermordet. Unter den Studentenführern ließ Olivero Castaneda de Leon sein Leben. Die vielen intelligenten Köpfe die es gab, hat die Aufstandsbekämpfung weitgehend dezimiert. Heute sind wir in der schweren Phase der Erholung und der Reorganisation. Denn viele der heutigen Köpfe der Bewegung haben nicht dasselbe Charisma und die dieselben Fähigkeiten und politische Bildung wie die, die wir im Kampf verloren haben. Wir stehen immer noch einer sehr ängstlichen Gesellschaft gegenüber, die in der Apathie versinkt. Diese Situation macht es schwer Kräfte zu bündeln, um Guatemala zu verändern. Das heißt, sie suchen Menschen, die sich der Angst und der Gleichgültigkeit stellen wollen, diese durchbrechen und bereit sind, sich mit der Macht zu konfrontieren, die genau dieses Klima aufrecht erhalten will.
Im Jahr 2000 beendete Vincente Fox von der PAN (Partei der Nationalen Aktion) mit seinem Wahlsieg die über 70jährige quasi Einparteienherrschaft der PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) in Mexiko. Er hatte im Wahlkampf damit geworben den Konflikt in Chiapas zu lösen und es gab große Hoffnungen in seine Versprechungen. Eine der ersten Amts-
Genau. Denn die Botschaft an das guatemaltekische Volk ist, dass man sein Leben in Gefahr bringt, wenn man zuviel redet. Der Mord an Bischof Gerardi war die erste Warnung an die Gesellschaft, ihre Organisationen und ihre Führer. Auch dort war die Botschaft klar: wenn ihr weiterhin das bestehende System in Frage stellt, werdet ihr sterben wie Juan Gerardi. Wenn wir einen Bischof ermorden, können wir auch jeden anderen ermorden. Zwei
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Domingo Hernandez
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Einführung Chiapas
später Kuwait überfiel. Die Amerikaner jedoch nutzen diese Tyrannen, um ihre weltweite Hegemonie aufrecht erhalten zu können. Immer wenn die Herrscher ihre Freunde sind, schweigen sie, egal welcher Verbrechen sich diese schuldig gemacht haben. Deswegen glaube ich nicht an ihr Demokratiemodell, denn es ist falsch und zu stark mit ihren Interessen verwoben. Hoffentlich etablieren sich eines Tages weltweit neue Werte, damit diese Herrscher nicht damit fortfahren, weiter Menschen umzubringen. Wenn vom Terrorismus die Rede ist, frage ich mich, wer der Terrorist ist, denn es ist schwer zu beurteilen, wer was tut und die Handlungen die die Amerikaner durchführen, sind genau dieselben.
handlungen des amtierenden Präsidenten Fox war es, die Gesetzesvorlage in den Kongress einzubringen. Der Marsch der Zapatisten nach Mexiko Stadt im Frühjahr 2001 und die damit einhergehende massive Mobilisierung der mexikanischen Zivilgesellschaft sollten die Umsetzung der Verträge von San Andres unterstützen. Im April 2001 verabschiedete der Kongress ein Abkommen über indigene Rechte und Kultur, das die essentiellen Punkte des Abkommens von San Andres, wie das Recht der indigenen Gemeinden auf kollektiven Landbesitz und Verfügung über ihre Ressourcen, sowie die Anerkennung ihrer Autonomie nicht übernahm. Die Zapatisten brachen daraufhin den nach dem Marsch begonnenen Dialog zur Regierung wieder ab.
Wie schätzen sie den PPP im Rahmen der aktuellen Politik ein?
Meiner Meinung nach stehen die Guatemalteken und die Maya insbesondere vor einem großen Nachteil. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Das Projekt der Ruta Maya sieht vor, dass große Tourismuskomplexe mit 5Sterne-Hotels gebaut werden, zu denen wir aber keinen Zugang haben werden. Das einzige, was für uns bleibt, ist im besten Fall ein Job als Bauarbeiter oder Kaugummiverkäufer auf der Straße. So sehen die Prozesse aus.
Profilieren will sich der ehemalige Coca-Cola Manager Vincente Fox mit neoliberalen Großprojekten wie dem Plan Puebla-Panamà (PPP). Dieser sieht die wirtschaftliche Erschließung des gesamten südmexikanischen Territoriums und der anderen mittelamerikanischen Staaten vor. Die Ressourcen der Region wie Erdöl, Wasser und Biodiversität sollen ausgebeutet und Lizenzen an transnationale Konzerne verkauft werden. Durch Infrastrukturmaßnahmen und den Bau sogenannter Maquiladora-Zentren (Billiglohnfabriken) soll nach offiziellen Angaben die Marginalisierung der Region beseitigt werden. Mexikanische und internationale NGO’s sowie indigene Gemeinden, die enteignet werden sollen, laufen Sturm gegen das Projekt. Der PPP muss in Zusammenhang mit den Bestrebungen gesehen werden, die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA auf ganz Lateinamerika auszuweiten. Die neue ALCA genannte Freihandelszone soll bis 2005 auf den Weg gebracht sein und sieht umfangreiche Liberalisierungen in allen Bereichen außer dem länderüber-greifenden Personenverkehr vor. Zur Zeit plant die Europäische Union in Zusammenarbeit mit der Bundesstaatsregierung und der GTZ ein umstrittenes Entwicklungsprojekt im Biosphärenreservat Montes Azules.
Ein großes Problem der Regierungen unseres Landes wie ganz Zentralamerikas ist, dass alles auf die Regierungszeit von 4 Jahren angelegt ist, die Zeit die sie an der Regierung sind. Genau dass aber brauchen wir nicht, sondern Projekte, die sich mit den Notwendigkeiten der nächsten 30 oder 50 Jahre auseinandersetzen. Das heißt auch klar zu definieren, was können und was wollen wir in den nächsten 4 und den nächsten 8 Jahre erreichen, damit wir wirklich etwas grundlegendes tun um die Armut zu bekämpfen. In diesem Land gibt es eine große Notwendigkeit, die Gedankenstrukturen zu verändern. Wenn es z.B. eine Entschädigung für die Opfer des Bürgerkrieges geben wird, ohne dass der Staat und die Gesellschaft ihre Beziehung zu den indigenen Völkern ändern, so ist dies eine Ressourcenverschwendung. Sie können Eier, Hühner und Saatgut oder
Als am 1. Januar 2003 zum ersten Mal seit mehreren Jahren Tausende Zapatisten in San Cristobàl de las Casas einzogen und damit ihr fast zwei Jahre dauerndes Schweigen brachen, griffen sie in ihren Comuniques vor allem die Regierungspolitik von Präsident Fox an. Als Antwort auf die NichtExistenz einer Dialogbereitschaft und die weiterer Militarisierung hatten sie im Stillen weiter ihre Autonomie ausgebaut. Im Sommer 2003 eröffneten sie offiziell die Caracoles als Sitz der von ihnen geschaffenen Räte der Guten Regierungen, die damit die Aguascalientes ablösten. Die Räte koordinieren die Arbeit der autonomen Landkreise und repräsentieren die Zapatisten auf ziviler Ebene nach Außen. Sie üben auch Funktionen wie die Rechtsprechung aus, und setzen damit Teile der Abkommen von San Andres auf eigene Faust um.
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Wir sehen das größte Problem in all diesen Projekten der wirtschaftlichen Integration darin, wie dies passieren soll. 1.) Unsere Regierungen wollen alles mitmachen ohne dass es fähige Leute gibt welche die Interessen unserer Region vertreten könnten. Das ist ein großer Nachteil. 2.) Die Vorteile dieser Projekte liegen ganz klar bei den Transnationalen Konzernen und nicht bei unseren Völkern. Es heißt zwar, dass sie unsere Leute aus der Armut reißen werden, aber das stimmt nicht, denn es werden nur einige wenige sein, die wirklich neue Arbeit finden ohne dass klar wäre mit welchem Gehalt und zu welchen Bedingungen.
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Comandante Moises
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Domingo Hernandez
Wie sehen die Beziehungen zwischen dem Staat und den parallelen Mächten aus? Sind neben Militärs auch Politiker an der parallelen Macht beteiligt? Unter den parallelen Mächten gibt es Zivilisten, aber sie ist in der Hand der Militärs und zwar derjenigen, die in den Drogenhandel verwickelt sind. Wir wissen, dass es innerhalb des Militärs Machtkämpfe um die Kontrolle des Drogenhandels gibt. Es gibt mindestens 20.000 Bewaffnete in diesem Land gibt, die sich untereinander bekämpfen. Menschen die versuchen, diese Machtstrukturen zu enttarnen, werden sofort aus dem Weg geräumt.
„Mag sein, dass es einen schmunzeln lässt, denn wie soll aus heißem Wasser ein Caracol entstehen, denn das Wasser kocht und darin kann kein Leben entstehen. Trotzdem gibt es jetzt dort, wo vorher ein Aguascalientes war, ein Caracol.“
Comandante Moises ist Mitglied in der General-kommandantur des Zapatistischen Heeres der Nationalen Befreiung EZLN. Capitan Federico gehört einem niedrigeren militärischen Rang an. Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Luz Kerkeling Ende Januar in La Realidad. Beim Interview war auch der Rat der Guten Regierung anwesend.
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Gibt es auf militärischer Ebene immer noch eine starke Zusammenarbeit zwischen Guatemala und den USA? Seit einigen Jahren gibt es auch eine Basis der US-Army an der Grenze zu Mexiko. Steht dahinter auch der Gedanke die sozialen Bewegungen im Land zu kontrollieren? Die Beziehung mit den Vereinigten Staaten sind seit 1954 stets sehr ausgeprägt gewesen, als sie die Intervention und die Zerstörung der Regierung von Jacobo Arbenz betrieben. Die Reichen unseres Landes sahen die USA als die Kraft, die ihnen helfen konnte, ihre Macht zurückzugewinnen. Bei uns in Guatemala sind die Amerikaner für einen Grossteil der Verbrechen verantwortlich. Dokumente des CIA belegen die USamerikanische Unterstützung der schmutzigen Kriege in Guatemala, ebenso wie in Chile, Paraguay, Argentinien, Nicaragua und El Salvador. Es ist wichtig, die Menschen darauf hinzuweisen, weil viele dies heute schon vergessen haben. Meine Aufmerksamkeit wird auch sehr von den Interventionen der Amerikaner heute in anderen Regionen der Welt angezogen. Was sie dort schaffen, ist keine Stabilität, sondern Instabilität, die gut für ihre Geschäfte ist. Die Amerikaner suchen keine Demokratie für die Interessen der Völker, sondern eine Demokratie, die ihren globalen Interessen förderlich ist. Ich finde es besorgniserregend und in diesem Punkt möchte ich ganz offen und ehrlich sprechen, dass unsere Welt von heute sich von den USA terrorisieren lässt und sich darüber ausschweigt. Vor 10 Tagen massakrierten sie 10 fußballspielende Kinder in Afghanistan. Sie bringen unschuldige Menschen im Irak um, und niemand sagt etwas. Die Amerikaner können mit vollständiger Straffreiheit auf der ganzen Welt ihre Politik verfolgen. Dazu setzen sie virtuos ihre Desinformationspolitik ein und informieren nur worüber sie wollen. Ich bin kein Befürworter des Terrorismus und erinnere mich noch gut daran, wie Saddam Hussein 1978/79 den Iran angriff und 33
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werden wie die Regionen, in denen Indigenas nicht in der Mehrheit sind. Heutzutage haben die Regionen, in denen Indigenas die Bevölkerungsmehrheit stellen, das geringste Haushaltsbudget. Das lässt sich sehr schön an der aktuellen Regierung der FRG sehen, die uns als minderwertig betrachtet. Wenn sie davon reden, dass sie uns billig Düngemittel zur Verfügung stellen werden oder die Selbstverteidigungspatrouillen manipulieren, wissen sie genau, dass der Hunger und die Bedürftigkeiten der Menschen auf dem Land so groß ist, dass sie von dort Unterstützung bekommen werden. Das selbe System, das letztlich für die Not verantwortlich ist, versucht bei den Armen Kräfte zu sammeln, um sich an der Macht zu halten, indem man ihnen verspricht, dass sie für ihre Arbeit in den Patrouillen entschädigt werden. Unsere Leute, von denen viele noch nie 1000 Quetzales (ca. 90,- Euro) auf einem Haufen gesehen haben, unterstützen die Mächtigen, obwohl sie, dass das Mörder sind. Damit wird das niedrige Bildungsniveau unserer Bevölkerung schamlos ausgenutzt. Diese Politik wurde selbstverständlich von den Intellektuellen und dem Bürgertum in Guatemala mitgetragen. Teil der so genannten Aufstandsbekämpfung war die Strategie, Guatemala von einem Militärregime in einen formal demokratischen Staat zu überführen. Welche Rolle spielt diese Strategie heute noch? Es gab nie eine demokratische Bewegung in der Gesellschaft, aus der ein neues System hätte entstehen können. Klar ist, dass der dominierenden Klasse in Guatemala - den Militärs und der Oligarchie - eine wahre Demokratie im Land nicht Recht wäre. Es kommt ihnen ungelegen, wenn wir Rechte besitzen Wenn wir es schaffen, uns als Zivilgesellschaft zu organisieren, so stellt dies eine Bedrohung für ihre Aktivitäten dar. Als Ausgleichskraft könnten wir die Korruption, den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen kontrollieren. Die große Gewaltwelle, die zur Zeit das Land überzieht und die du hier erleben konntest, ist ein klares Zeichen. Die existierende parallele Macht im Land, verfolgt eine langangelegte Strategie um sich an der Macht zu halten. Sie beschränken sich darauf Kapital zu akkumulieren. Eine Industrialisierung und Modernisierung oder die Entwicklung der ländlichen und indigenen Regionen steht nicht zur Debatte. Stattdessen wird Rauschgift angebaut und die Infrastruktur für den Transit von Drogen aus Kolumbien angelegt. Guatemala soll das Trampolin werden, für den Transport der Drogen in die USA.
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Comandante Moises
Was waren die Motive für die Gründung der Caracoles? Ein wichtiger Punkt, der die Caracoles betrifft, hat mit den politischen Veränderungen auf dieser Welt zu tun. Um dies verständlicher zu machen, dazu ein Beispiel über das Internationale Rote Kreuz. Da gab es einen Fall in der Gemeinde San Jose del Rio, nur etwa 4 Stunden von hier entfernt, wo das Militär versuchte, in den Ort einzudringen. Die compas haben versucht ihnen zu sagen, dass ihre Präsenz im Ort nicht erwünscht sei, weil die Kinder Angst hätten und sich fürchten würden. Die Soldaten begannen Schüsse in die Luft abzufeuern und die compas mussten sich zurückziehen. Letztlich nahm die Armee 20 compas mit. Die Gemeinde bat dann das Internationale Rote Kreuz IRK um Hilfe, das zurückfragte, warum man sie nicht 20 Tage vorher vom geplanten Angriff in Kenntnis gesetzt habe. Die compas antworteten, dass es keinen Angriff der EZLN gegeben habe und wollten wissen, wie man das IRK denn 20 Tage im voraus informieren könne, wenn jetzt die Bedrohungssituation bestehe? Da das IRK in diesem Fall nicht aktiv werden wollte, fragten wir zurück, ob sie denn nicht den Zivilisten in den Unterstützungsbasen helfen könnten, um Probleme wie Malaria und Tuberkulose, oder die ganzen Dinge wie Durchfall und Parasiten kurieren zu können. Dies lehnte das IRK mit dem Argument ab, die Gesetze erlaubten ihnen nur, in Gefechten verletzte Zivilisten zu versorgen. Wir antworteten verbittert, dass, wenn sie Verletzte haben wollten um zu intervenieren, sie uns doch bitte Waffen schicken sollten, um uns mit denen zu konfrontieren, die uns ausbeuten und mit Füßen treten, wenn sie meinen dass nur so die Gesetzte erfüllt werden. Es sind andere Formen, wie man heute kämpft und Krieg führt und obwohl wir es nicht wollen, werden wir dazu gezwungen daran teilzunehmen. Als Botschaft gaben wir Ihnen mit in die Schweiz, dass der Krieg heute ein anderer ist als noch vor 20 oder 30 Jahren und man die Gesetze daran anpassen sollte. Ähnlich ist es mit den Aguascalientes, die vor 10 Jahren ans Licht der Öffentlichkeit traten. Wir sehen, dass ein Teil der Ziele, mit denen wir begannen, erreicht wurden. Man kennt uns, genauso wie wir unsere Schwestern und Brüder aus anderen Ländern kennen gelernt haben. Das, was wir jetzt zeigen wollen, ist die Praxis: d.h die Aguascalientes wurden für tot erklärt, damit Neues entsteht. Mag sein, dass es einen schmunzeln lässt, denn wie soll aus heißem Wasser ein Caracol – eine Schnecke - entstehen, denn das Wasser kocht und darin kann kein Leben entstehen. Trotzdem gibt es jetzt dort, wo vorher ein Aguascalientes war, ein Caracol. Aber warum Caracol? Ihr z.B. kommt hier an, seid hereingekommen und musstet einen weiten Weg zurücklegen, um hier im Zentrum des Caracoles anzukommen und mit uns zu sprechen. Danach müsst ihr die Schnecke wieder verlassen 57
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Comandante Moises
mit unserer Stimme, unserem Wort, den Ideen und dem Wissen von dem was hier im Caracol entsteht, damit es überall weiterverbreitet wird. Im Caracol tritt zu Tage warum wir kämpfen, gibt es einen Austausch von Erfahrungen. Das ist der Sinn des Caracols und deshalb haben wir unserer Erde diesen Namen gegeben. Was sind denn die Projekte, mit denen die Caracoles in Zukunft weiterarbeiten wollen? Es gibt zwei Ziele. Eines ist, wie wir es 2001 auf der Marcha sagten, die Botschaft dass wir weitermachen, mit oder ohne „ley indigena“. Denn was wir heute sehen, ist, dass der Dialog von Zedillo und Fox nicht ehrlich gemeint war. Genau deswegen sagen wir, dass, egal ob mit oder ohne „ley indigena“, wir mit dem Ausbau unserer Autonomie fortfahren. Aber logischerweise gefällt dies dem mexikanischen Staat nicht, da dies seine Kontrolle über das mexikanische Volk schmälert und da wir aufdecken, auf welche Art und Weise das Volk an der Leine gehalten und bevormundet wird. Das zweite Ziel ist, dass wir mit dem Kampf fortfahren werden. Wir werden uns der Bundesarmee nicht ergeben. Wir sind überzeugt von diesen zwei Dingen, den Kampf des Widerstandes zu führen und gleichzeitig die Selbstregierung voranzutreiben. Damit wollen wir Euch und allen Brüdern und Schwestern auf der Welt zeigen, dass wir niemanden töten wollen und auch nicht sterben wollen. Wir wollen zeigen, dass wir uns selbst regieren können. Ein konkreter Schritt, mit dem wir anfangen, ist Produkte auszutauschen. Die compas im Hochland ernten z.B. nicht viel Mais, dafür wir hier in der Selva. Also fangen wir an zu tauschen, weil wir nicht den Mais aus den Staaten haben wollen. Auf diese Art und Weise wollen wir uns auch mit anderen indigenen Völkern in Guerrero, Oaxaca und Chihuahua vernetzen. Unser Ziel ist es, unsere natürlichen, nicht genetisch veränderten Nahrungsmittel aufzuteilen. Und natürlich wollen wir auch einen fairen Preis für unsere Produkte und das was wir kaufen. Deshalb wollen wir uns selbst regieren und unabhängig von dem sein, was die Regierung macht.
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Domingo Hernandez
Was bedeutet für sie die Kosmovision der Maya? Uns sind die Werte, die uns von unseren Großvätern und Urgroßvätern weitergegeben wurden, sehr wichtig. Luft, Feuer, und Bäume haben einen großen Wert für uns. Wir kommunizieren mit Ihnen, mit dem Regen, den Wolken. Wir sehen uns als Lebewesen mit einer sehr intimen Beziehung zum Kosmos. Was uns passiert, nimmt auch den Kosmos mit und wird der Kosmos in Mitleidenschaft gezogen, betrifft dies auch uns. Wir und die Natur sind eine große Familie. Darum halten wir Zeremonien ab, bedan-ken uns, wenn die Sonne aufgeht und untergeht, wenn wir unsere Ernte empfangen oder den Regen. Wenn die Natur untergeht, werden wir mit ihr untergehen. Uns ist es wichtig, diese Werte weiter zu verbreiten. Unsere Gesellschaften sind sehr inhuman geworden. Viele denken nur an den Besitz. Wenn eine Person nichts besitzt, heißt es, dass sie nichts wert ist. Wir glauben aber, dass ein Person an sich einen Wert hat, und zwar durch das, was sie tut und ist. Diese Denkweise und diese Werte wollen wir bekannt machen. Und als wir davon erzählten, sagten uns die Leute dass ihnen ihre Großeltern davon erzählt hatten. Wenn wir mit der Kultur der Maya arbeiten, sagen wir nicht, dass wir etwas Neues erschaffen, sondern wiedererschaffen, ein neues Bewusstsein wecken. Unsere Großeltern kannten all diese Werte, aber durch die Diskriminierung, die Repression, die Misere und den Krieg, mussten viele emigrieren. Dadurch sind die Bindungen zu unseren Gemeinden verloren gegangen. Aber wenn wir anfangen, von den alten Werten zu erzählen, stellen wir fest, dass sie weiterhin in vielen Köpfen weiterhin präsent sind. Von wem wurde die Diskriminierungspolitik, die über Jahrhunderte die Indigenas ausschloss, hauptsächlich betrieben? Die Tatsache, dass die indigene Bevölkerung jahrhundertelang von der Politik ausgeschlossen wurde, ist unserer Meinung nach Erbe des Kolonialismus. Die Marginalisierung der indigenen Völker war die Basis, um einer kleinen Gruppe von Menschen den Reichtum in Guatemala zu sichern. Die Diskriminierung und die Marginalisierung in unserem Land haben ein klar definiertes ökonomisches Interesse. Die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung ist kein aktuelles Problem sondern hat Wurzeln, die man als ein koloniales Erbe interpretieren und offen legen muss. Dazu kommen auch strukturelle Probleme: die Landverteilung, die mangelnde Präsenz der indigenen Bevölkerung in der Politik und die öffentlichen Ausgaben. Wir haben das Recht, genauso behandelt zu
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Domingo Hernandez
Empowerment gegen das ewige Los des Kaugummiverkäufers
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Comandante Moises
Seit fast 10 Jahren sind auch internationale Menschenrechtsbeobachter in Chiapas und begleiten die Gemeinden. Welche Bedeutung hat heutzutage ihre Anwesenheit in den autonomen Gebieten? Das wertvolle an der Anwesenheit der nationalen oder internationalen Beobachter sind zwei Momente. Der eine ist in der Schlacht, von denen es zur Zeit keine gibt, dafür aber sehr viele Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen und Paramilitärs, die sich organisieren und unsere Gemeinden belästigen. Wenn das Militär selbst nicht provoziert, schicken sie andere Leute vor. Wenn wir dagegen eine Anzeige aufgeben, hat das keinen Sinn, aber wenn die Beobachter da sind, hat dies ein ganz anderes Gewicht. Auch für uns Soldaten der EZLN ist es wichtig, dass uns jemand darauf aufmerksam macht, wenn wir die Menschenrechte nicht respektieren. Mit internationaler Präsenz gibt es mehr Zeugen und man kann mehr Druck ausüben. Um ein Beispiel zu nennen: die meisten Gemeinden hier wussten vorher nicht, was Marihuana ist, aber durch die Präsenz des Militärs ist es Realität geworden. Einige unserer indigenen Brüder in den Gemeinden wurden vom Militär mit Geld bestochen, damit sie Marihuana anpflanzen. Das schafft Probleme innerhalb der Gemeinden. Ganz in der Nähe von hier haben wir einen halben Hektar Marihuana zerstört. Unsere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass es Leute - keine Zapatisten - aus den Gemeinden waren, die sich vom Militär haben benutzen lassen. Mit den Beobachtern im Rücken haben unsere Aussagen mehr Gewicht und man kann mit größerer Sicherheit etwas sagen. Wie beeinträchtigt heute die Militarisierung des Bundesstaates Chiapas und die Paramilitarisierung das Leben in den Gemeinden?
Domingo Hernandez ist Leiter des Centro Maya SAQ`BE. Während der Zeit des Bürgerkrieges war als Intellektueller und Aktivist der Maya-Bewegung für mehrere Jahre in Mexiko im Exil. Die Organisation Maya SAQ`BE hat ihren Sitz in Chimaltenango, im Hochland Guatemalas, und widmet sich hauptsächlich der psychosozialen Betreuung von Bürgerkriegsopfern sowie der Bildungsarbeit. Das Interview entstand am 19. Dezember 2003 .
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Sie betrifft uns auf eine erstaunende Art und Weise. Ich will Euch erzählen und aufklären, was in den Tagen, bevor das Jahr 2003 zu Ende ging, passierte. Ungefähr 10 Tage vor Neujahr begangen Soldaten in Zivil in unsere Gemeinden zu kommen, verkleidet als Händler, um zu schauen, was dort vor sich ging, etwas, was wir Spionage nennen. Als die Stunde des neuen Jahres immer näher rückte, begann das Militär Straßensperren auf der geteerten Strasse zu errichten, die von Comitan über Ixcan und Bonampak bis nach Palenque führt. Sie wollten Erklärungen von den Leuten, die dort auf der Straße unterwegs waren, was sie in ihren Rucksäcken trugen, wie sie heißen, wohin sie wollen und was sie dort machen, ohne Respekt ergreifen sie Frauen und Männer, und natürlich nutzten diese Situation auch die Paramilitärs um zu provozieren. Wieder einmal begannen die Aufklärungsflüge der Flugzeuge über unseren Gemeinden, um zu zeigen, 59
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Comandante Moises
dass sie uns unter Kontrolle haben. Egal was ihr macht, auch wir sind da, das war, was sie uns zeigen wollten. In der vergangenen Zeit hat auch die Regierung bewiesen, was es mit der Kampagne der Aufstandsbekämpfung auf sich hat, denn es ist die Armee, die diese kontrolliert. Aufstandsbekämpfungsstrategie heißt, uns ein paar Wellbleche für unsere Dächer zu geben und, wie um zu sagen dass die Regierung jetzt gut ist, sind es die Militärs, die die Aufgabe haben, dieses zu transportieren aber natürlich nicht in Uniformen, sondern als Zivilisten gekleidet. Sie selbst helfen bei der Montage der Dächer und haben so Zeit zum observieren und beobachten. Sie glauben, dass wir unser Wort vom 9. August 2003 in Oventic, dass wir die Straßensperren auflösen werden, nicht halten. Sie glauben, dass wir unser Wort nicht halten und darum verkleiden sich die Soldaten als Chauffeure, um dies zu überprüfen, nur um festzustellen, dass es sie nicht mehr gibt. Zur gleichen Zeit nutzen sie die Gelegenheit, z.B. hier in der Gemeinde La Realidad, um am Eingang zum Caracol anzuhalten oder in der Mitte des Dorfes so tuend, als würden sie etwas zu Essen suchen oder als wollten sie etwas kaufen, um zu sehen was es für Bewegungen gibt und daraus ihre Analyse zu ziehen. Das haben sie sehr oft gemacht. Im Hochland und in der Gemeinde Roberto Barrios waren die Provokationen sehr viel direkter. Sie haben die Kontrolle über die Aufstandsbekämpfung und die die auf ihrer Seite stehen, mit dem Effekt, dass es für uns schwierig ist, uns zu bewegen und zu arbeiten. So geht es jeden Tag. Als letzten Punkt würde mich interessieren, ob es eine Verbindung zwischen ihrem Kampf und dem Kampf der Kleinbauern und Indigenas im Nachbarland Guatemala gibt, und wie die Beziehung zu den indigenen Maya-Brüdern dort aussieht? Eine direkte Beziehung zwischen Organisationen gibt es nicht. Eine eher indirekte Beziehung zwischen unseren Völkern gibt es auf dem Niveau der Armut. Oder es kommt heute z.B. ein guatemaltekischer Bruder zu uns, um Kleidung und andere Waren zu verkaufen. Wenn wir uns treffen, gibt es natürlich immer einen freundlichen Austausch und wir haben keinerlei Probleme mit ihnen. Ob sie die Begegnungen als Beispiel ansehen, weiß ich nicht, dass ist ihre Sache. Sie haben die Freiheit, zu uns zu kommen und wieder zu gehen. Zum Teil sehen wir sie schon als Chiapaneken. Natürlich sehen wir auch ihren Kampf als beispielhaft an. Der Kampf von damals entstand aus derselben Ungerechtigkeit und Ungleichheit unter dem gleichen System. Und leider besteht diese Ungerechtigkeit gegen die sie kämpften weiter fort.
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Rosalina Tuyuc
Sehen sie die Lösung im Konzept einer gewissen politischen Autonomie für die indigenen Völker, wie es sie z.B. in Chiapas im Nachbarland Mexiko unter den Zapatisten gibt? Dass ist im Moment nicht aktuell. Wir haben über die Bedeutung der Autonomie und der Selbstbestimmung diskutiert, aber es gibt kein Konzept, was von allen Organisationen angenommen und unterstützt wird. Ich denke, dass da ein ganzer Prozess fehlt, die Situation zu analysieren und Konsense voranzubringen. Man fängt gerade erst an davon zu reden, ein Indigenes Parlament einzufordern oder eine eigene Stimme im politischen System zu bekommen. Ich glaube, dass sind einige Punkte, wo es schon ein Bewusstsein gibt, aber es gibt noch keinen Austausch darüber, wie so etwas aussehen könnte, wer dies voran bringt und vor allem zu welchem Zeitpunkt. Da fehlt meiner Ansicht nach noch einiges an Reife, um zu einer Verständigung zu kommen. Wie schätzen sie denn die Arbeit der Menschenrechtsstaatsanwaltschaft PDH als staatlicher Institution ein? Seit der neue Staatsanwalt die Leitung der PDH übernahm, hat sie eine sehr wichtige Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte gespielt, aber ich bedaure zutiefst, dass MINUGUA oder andere internationale Institutionen, der PDH nicht mehr Unterstützung zukommen ließen, damit die Institution alle Verpflichtungen aus den Friedensverträgen erfüllen kann. Ich glaube, dass es sehr schwer sein wird, dass die PDH wirklich umfassend die Aufgabe der Überwachung der Friedensverträge erfüllen kann. Auch die Regierungen haben die PDH immer wenig unterstützt. Die Regierung der FRG hat der PDH nie einen würdigen Haushalt gegeben. Genauso wenig wurde evaluiert, welche Rolle die PDH nach dem Weggehen der MINGUA haben müsste.
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Comandante Moises
Das waren alle meine Fragen. Haben sie noch eine Botschaft für die sozialen Bewegungen in Deutschland? Die Worte für unsere Brüder und Schwestern in Deutschland sind, dass wir in der Welt, wie wir sie heute vorfinden, nicht das neue System aus den Augen verlieren dürfen, in dem die armen Länder dieser Welt dominiert werden sollen und welches schon unter dem Namen neoliberal bekannt ist. Ich glaube dass wir unsere Ideen und Gedanken vereinigen müssen, auch wenn wir in verschiedenen Ländern aber unter dem selben Gedanken kämpfen, ist die Frage, wie wir es schaffen, dass sie uns nicht besiegen, weil sie uns eine Sache aufdrücken wollen, die nicht den Völkern dieser Erde zu Gute kommt. Dafür ist es nicht unbedingt wichtig, dass wir uns physisch kennen lernen, aber verstehen, dass die Form, wie sie uns in den verschiedenen Regionen der Welt dominieren wollen, die selbe ist. Heute z.B. versammeln sie sich in Monterrey in einem Treffen über die ALCA und es ist dort, wo sie planen, wie sie uns dominieren wollen. Auch wenn es Regierungen vieler verschiedener Länder sind, wissen sie alle genau worum es geht. Es ist falsch, dass sie Regierungen des Volkes sind, denn ich glaube nicht, dass eine wahre Regierung erlauben würde, dass es ausgebeutet, erniedrigt und unterdrückt wird. In Mexiko z.B. lehnen wir die Privatisierung des Stromsektors ab, aber Fox bleibt hart, damit er mit seiner Politik fortfahren kann. Sie finden immer wieder Vorwände wie der Herr Bush. So ist es nicht wichtig, dass wir uns physisch kennen lernen. Aber wie das Wort schon sagt, es gibt fehlende Freiheit, Ungerechtigkeit. Die Demokratie muss das Recht des Volkes werden und ich denke, das ist was uns vereint und mit Respekt dazu müssen wir unsere Kämpfe miteinander verketten. Das wären meine Worte.
Lässt sich für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Guatemala über eine Kandidatur eines Indigena nachdenken, oder ist das noch zu früh? Ich denke, dass ist leider immer noch zu früh. Es gibt keinen Weg, wie man dies machen könnte. Mir scheint es sehr schwer jetzt daran zu denken aufgrund der Schwierigkeiten, die ich ihnen eben schilderte, und des Parteiensystems das die Organisationsstrukturen der Indigenas nicht anerkennt. Wir haben die Erfahrung einiger Versuche in dieser Richtung, und immer sehen sie die Indigenas auf dem zweiten Platz, aber nie an erster Stelle.
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Las Abejas
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Rosalina Tuyuc
„Nach meiner Erfahrung im Kongress gibt es im Kongress kein Bewusstsein, was die Genderfrage, die ethnische Vielfalt oder die soziale Frage angeht.“ „Man kann nicht von Frieden in Chenalho und Chiapas sprechen, während die Paramilitärs frei sind und von der Straflosigkeit profitieren.“
Auch wenn es ein weiter und kostspieliger Weg ist und diese Prozesse auch große Risiken für die Familien, die Zeugen und die Verantwortlichen bergen, die eine solche Untersuchung voranbringen wollen. Wenn dies nicht in der nächsten Legislaturperiode möglich ist, so wird es in einer anderen passieren. Es ist egal, wo es passiert und wie lange es noch dauert. Für uns war es ein sehr wichtiger Schritt, dass die spanischen Gerichte die Anklage gegen Rios Montt akzeptiert haben, auch wenn es nur im Fall der spanischen Bürger ist. Aber es ist ein Prozess, der nach den intellektuell Verantwortlichen unter den guatemaltekischen Militärs suchen wird. Das ist für uns sehr wichtig. Vielleicht ist es möglich, diesen Prozess auszudehnen und auf die indigenen Gemeinden auszuweiten und nicht nur bei den spanischen Bürgern zu bleiben. Dies ist ein Prozess, von dem wir hoffen, dass er in den nächsten 5 Jahren hier zu Debatte stehen wird. Lassen sie uns von ihren Erfahrungen als Kongressabgeordnete sprechen. Sehen sie dort die Möglichkeiten für dauerhafte und tiefgreifende Veränderungen?
Die Mesa Directiva ist der für ein Jahr nach traditionellen Gesetzen der Indigenas gewählte Vorstand der Organisation der Abejas (Bienen). Die Leute arbeiten auf freiwilliger Basis ohne Entschädigung im Büro in Acteal, wo auch das Interview mit Antonio Ende Februar 2004 entstand.
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Ich würde sagen, dass es sehr schwer sein wird in der nächsten Legislaturperiode einen Wechsel herbeizuführen. Man muss in Betracht ziehen, dass die Indigenas im Kongress die absolute Minderheit sind, ich glaube, es sind ganze neun oder zehn. Für 158 Abgeordnete ist dies unglaublich wenig. Nach meiner eigenen Erfahrung im Kongress gibt es dort kein Bewusstsein, was die Genderfrage, die ethnische Vielfalt oder die soziale Frage angeht. Mit diesen Beschränkungen, ist es sehr wenig, was man erreichen kann. Das wird natürlich auch von den politischen Fähigkeiten der indigenen Abgeordneten und ihrer Einheit abhängen. Wenn sie geschlossen als Block auftreten und ihre Stimme erheben würden, könnte dies zumindest in einigen Fällen Erfolg haben. Wenn sie jedoch unter dem Fraktionszwang agieren werden, gibt es nicht sehr viel Hoffnung. 27
Chiapas y Guatemala
Rosalina Tuyuc
unter der Belästigung durch Bedrohungen und Einschüchterungen stehen, und natürlich immer auch unter der Frage des Exils, denn viele Aktivisten haben Guatemala in den vergangenen vier Jahre wieder verlassen, darunter Anwälte, Aktivisten aber auch Richter. Wie schätzen sie die Bedeutung der CICIACS ein, die sich ja der Bekämpfung der eben von Ihnen angesprochenen clandestinen Gruppen zum Ziel gesetzt hat? Ich denke, auch das wird wiederum sehr stark vom Willen der neuen Regierung abhängen und dass alles im Rahmen dessen geschieht, was die Organisationen der Zivilgesellschaft fordern. Denn wenn es im Rahmen der Interessen der Militärs geschieht, wird dies nicht funktionieren. Vor allem auch die Frage, ob die Kapazitäten der Menschenrechtsorganisationen mit einfließen werden. Den Indigenas wurde z.B. bei der Ausarbeitung des Vorschlages über die Bildung der CICIACS keine Beteiligung bei der Frage zugestanden, was nachher entstehen soll. Auf der anderen Seite war es für mich ein großer Fehler, die Auflösung des Estado Mayor Presidencial zu akzeptieren, ohne dass es eine gerichtliche Untersuchung über seine Aktivitäten gegeben hätte. Denn die Mehrheit derer, die Teil dieser Institution waren, tragen eine große Verantwortung in den Fällen des gewaltsamen Verschwindenlassens. Die Auflösung des EMP brachte auch eine Auflösung der Archive mit sich und garantiert weiterhin die Straffreiheit, unter der diese Verbrechen funktionieren. Bei vielen ehemaligen Mitgliedern des EMP vermutet man Verbindungen zu den Morden, die es in den letzten Jahren gegeben hat. Da ist für mich die Auflösung schwer nachzuvollziehen: Denn man löst den EMP nicht nur auf und nimmt ihnen damit die Stimme, sondern zahlt ihnen auch noch eine sehr hohe Abfindung.
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Las Abejas
Antonio, kannst Du den Weg der Abejas seit der Entstehung der Organisation vor mehr als 12 Jahren etwas erläutern? Die Organisation der Abejas wurde vor 12 Jahren gegründet, aufgrund von konkreten Menschenrechtsverletzungen und Ungerechtigkeiten. Damals kamen in der Gemeinde Tzajalchen fünf unserer Brüder ungerechtfertigterweise ins Gefängnis. Sie wurden des Mordes und der Vergewaltigung angeklagt, waren aber unschuldig. Die Ursache dieses Falles aus dem Jahr 1992 waren Landprobleme, ein Streit um Landtitel. Die Behörden wollten auch nach mehrmaligen Bitten und Beschwerden diese Probleme nicht angehen. So versuchten die Leute, unter sich einen Weg zu finden die Probleme zu lösen. Ein Mitglied der Gemeinde Tzajalchen bat die Gemeinde um Hilfe, aber die Leute aus dem Dorf waren nicht damit einverstanden, sich unter Brüdern zu konfrontieren. Die Leute aus dem Dorf sagten, dass es besser wäre, sich an einen Tisch zu setzen und zu reden um eine Lösung für das Problem zu suchen. Aber diejenigen, die die Konfrontation suchten, wollten davon nichts wissen, sondern sich mit ihren Gegnern streiten und Waffen benutzen. Sie gingen in ein anderes Dorf um dort um Unterstützung zu bitten. Dort vergewaltigten sie Frauen und ermordeten Leute aus der Gemeinde. Und für eben diese Tat wurden dann die falschen ins Gefängnis gesperrt. Da die Gemeinde schon organisiert war, demonstrierte sie gegen die Verhaftung und für die Freilassung ihrer Brüder. Es kamen nicht nur Leute aus dem Bezirk Chenalho, sondern aus 10 Bezirken der Tzotziles im Hochland von Chiapas. Unsere Bewegung gewann an Kraft und machte sehr viele Aktionen, Pilgerzüge, Demonstrationen, Kundgebungen und übte Druck auf die Regierung aus, die wahren Schuldigen vor Gericht zu stellen. Obwohl die Fest-genommenen 25 Jahre Haft bekommen sollten, erreichten wir nach 27 Tagen ihre Freilassung. So gewannen wir weiter an Stärke, da wir sahen, dass wir gemeinsam etwas erreichen können.
Ich denke, dass viele von uns hoffen, dass die Prozesse gegen diejenigen, die für die vielen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, jetzt zum Laufen gebracht werden. Natürlich gibt es immer noch keine Gewissheit, wann die Prozesse vor den Gerichten landen und wer die Anklage gegen die Militärs vorbringt. Aber wir hoffen, dass es eines Tages die Möglichkeit gibt Gerechtigkeit zu schaffen.
Mit dem Aufstand der EZLN 1994 erklärten wir, dass wir eine eigene unabhängige Organisation, die Organisation der Abejas seien. Deswegen nennen wir uns auch „sociedad civil las abejas“ (Zivilgesellschaft - Die Bienen), um uns von den Kämpfern der EZLN abzugrenzen und man uns als Organisation anerkennt, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen, Ungerechtigkeit und den Krieg wehrt. Wir betonten, dass unsere Forderungen zum Teil mit denen der EZLN übereinstimmen, da wir die gleiche Situation der Armut und Marginalisierung erleben, dass wir aber auf anderen Wegen mit pazifistischen Mitteln kämpfen. Immer wenn es Dialogversuche zwischen der EZLN und der Regierung gab, haben wir teilgenommen und waren auch beispielsweise bei den Friedensgürteln zum Schutz der Verhandlungen direkt eingebunden.
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Zu sehen, dass Rios Montt in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen ausscheiden musste, gibt ihnen das Hoffnung, endlich Prozesse gegen ihn wegen der Verbrechen aus dem Bürgerkrieg anstrengen zu können?
Chiapas y Guatemala
Las Abejas
Im Jahr 1997, als das Massaker hier in Acteal passierte, haben wir dies schwer betrauert. Es kamen 45 Brüder und Schwestern ums Leben. Die meisten Opfer waren Frauen, Kinder und auch schwangere Frauen waren dabei, die mit Macheten zerstückelt wurden. Es gab auch viele Tote in den Gemeinden und viele flohen aus Angst aus der Region und suchten in anderen Gemeinden Zuflucht. Wir gründeten zivile Friedenscamps, in Tzajalchen, in Acteal, in X-Oyeb und in Xojolo. Es ist das traurigste, sich an dieses Massaker erinnern zu müssen. Immer wieder schmerzt uns diese Wunde, wenn wir sie berühren. Wir haben uns von der Gewalt jedoch nicht abschrecken lassen und. Wir fuhren fort, von der Regierung Gerechtigkeit zu verlangen und dass die Verantwortlichen des Massakers nicht straffrei bleiben. Wir sind eine pazifistische Organisation und denken nicht an Rache, sondern wollen die waren Verantwortlichen des Massakers vor Gericht sehen, d.h. vor allem die Regierungsfunktionäre, die dieses Massaker planten. Zuerst planten sie in ihren Büros, wie man so etwas machen könne und dann bildete die Armee die Paramilitärs aus. Als sie gut genug vorbereitet waren, kamen sie um das Massaker durchzuführen. Trägt auch die aktuelle Regierung unter Salazar noch Verantwortung? Ja, denn obwohl man sagte, dass es eine Regierung des Wechsels wäre, stimmt das nicht. Sie haben nur den Namen und das Hemd gewechselt. Als das Massaker von Acteal passierte, war der aktuelle Gouverneur Pablo Salazar Abgeordneter der PRI und schon an der Macht beteiligt. Dieselben Leute, die das Massaker vorbereiteten sind heute an der Macht. Als er seine Wahlkampagne 2000 durchführte, versprach er Gerechtigkeit zu schaffen. Jetzt ist er drei Jahre an der Macht, ohne etwas verändert zu haben. Er verwirrt die Leute und verbreitet über die Kommunikationsmedien, dass es in Chiapas keinen Krieg mehr gibt, dass Ruhe und Frieden herrscht. Aber wir sehen zur Zeit, dass dies falsch ist. Man kann nicht von Frieden in Chenalho und Chiapas sprechen, während die Paramilitärs frei sind und von der Straflosigkeit profitieren. Die Präsenz der Waffen in den Gemeinden geht weiter und man hört immer wieder Schüsse. Wir haben uns immer noch nicht an die Präsenz der Polizei und der Armee gewöhnt, was insbesondere die Kinder betrifft, denn die starke Präsenz der Bundesarmee geht weiter. Auf den Werbetafeln sagen sie, dass sie Sozialarbeit machen. Aber sie tun dies nur für die Paramilitärs, die dort Essen und Medikamente bekommen und sich so eingebunden fühlen, dass sie nicht mehr auf die Felder zur Arbeit gehen. Für uns ist es sehr traurig zu sehen, dass Tag für Tag die Prostitution und der Drogenmissbrauch in den Dörfern zunehmen.
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Rosalina Tuyuc
Ich würde gerne auf die Demonstration am Tag der Menschenrechte in Guatemala zur Unterstützung des nationalen Entschädigungsprogramms zu sprechen kommen. Was bedeutet es für sie, dass die beiden Präsidentschaftskandidaten ihre Forderungen unterschrieben haben? Es ist sehr wichtig, dass die beiden Kandidaten anerkennen, dass es im Bürgerkrieg einen Völkermord an der indigenen Bevölkerung gegeben hat und sie den Opfern des Bürgerkrieges Aufmerksamkeit schenken. Das ist der Kompromiss mit dem Entschädigungsprogramm für alle Witwen des Krieges. Beide äußerten sich positiv über ein Gesetz zu Exhumierungen und das nationale Entschädigungsprogramm und gingen damit eine Verpflichtung nicht nur den Organisationen, sondern allen Gemeinden gegenüber ein. Es ist sehr wichtig, dass sie gesehen haben, dass wir keine Gerechtigkeit mit unseren Händen üben wollen und sie den Opfern zugehört und politischen Willen gezeigt haben. Eine Sache ist eine Absichtserklärung im Wahlkampf zu unterschreiben, die andere, dies danach auch umzusetzen. Wie kann die Zivilgesellschaft durchsetzen, dass die neue Regierung ihre eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Indigenas, den Campesinos, etc einhält? So wie wir es gestern gesagt haben. Wenn sie ihre Versprechen nicht einhalten, gehen unsere Proteste ihnen gegenüber weiter, damit die Opfer entschädigt werden. Wir sind uns darüber im klaren, dass sie nicht den Willen haben alles umzusetzen. Aber wenn sie auch nur einen Teil umsetzen, so wäre damit für uns schon einmal ein wichtiger Schritt getan. Ich glaube dass es eine neue Dynamik gibt, die alle sozialen Organisationen erfasst hat. Bei den letzten Wahlen ist es ganz anders gelaufen. Damals gab es keine öffentlichen Verpflichtungen der Kandidaten mit der Zivilgesellschaft. In einigen Fällen gab es die mit der Jugend und den Indigenas, aber dies passierte hinter verschlossenen Türen und nicht auf breiter öffentlicher Basis. In diesem Fall wurden alle Forderung massiv in die Öffentlichkeit getragen und ich denke, das ist für uns das wichtigste. Wir werden aufmerksam verfolgen was die Abgeordneten machen, und vielleicht gibt es auch Möglichkeiten einer intensiveren Koordinierung. Viel wird davon abhängen, ob die neue Regierung einen minimalen Anlauf startet um gegen die clandestinen Gruppen vorzugehen, die immer mehr Macht bekommen und Terror unter dem Mantel der Straffreiheit streuen. Wenn die neue Regierung diese Aktionen toleriert, wird die Zivilgesellschaft immer 25
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Rosalina Tuyuc
Chiapas y Guatemala
Las Abejas
Die Abejas haben ja, wie sie gerade schilderten, eine starke Kritik an der Regierung und dem Staat. Auf der anderen Seite nehmen sie Infrastrukturhilfe wie Schulgebäude an. Wie rechtfertigen sie diese Zweideutigkeit?
„Nach meiner Erfahrung im Kongress gibt es im Kongress kein Bewusstsein, was die Genderfrage, die ethnische Vielfalt oder die soziale Frage angeht.“
Rosalina Tuyuc ist Vorsitzende der Nationalen Koordination der Witwen Guatemalas (Coordinacion Nacional de Viudas de Guatemala – CONAVIGUA). Dort sind hauptsächlich indigene Bürgerkriegswitwen organisiert, die seit den 80er Jahren für Exhumierungen von Massengräbern und die Suche nach den Verschwundenen aus dem Bürgerkrieg kämpfen. Rosalina Tuyuc war von 1996 bis 2000 Abgeordnete des Kongresses. Das Interview wurde am 12. Dezember 2003 in Guatemala Stadt geführt.
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Das ist, was wir von der Regierung natürlich auch einfordern. Aber unsere erste Forderung ist immer die Gerechtigkeit. Danach fordern wir auch, dass sie ihr Wort halten und ihre Arbeit machen. Es kann nicht sein, dass sie nur das Militär finanzieren, während die Gemeinden unter schlechten Bedingungen leben müssen, ohne Schule und Strassen. Ihr selbst seid die Zeugen, wie das Leben auf dem Land ist, was es heißt zu essen und zu schlafen. Du siehst, dass die Ernährung nicht sehr vielfältig ist, jeden Tag musst du Bohnen und Tortillas essen und das für dein ganzes Leben. Du kannst nicht sagen, dass Du ab morgen nur noch Fleisch und Obst ist. So ist das Leben und die Armut in den Gemeinden. Und das ist, was wir immer wieder von den Regierungen eingefordert haben, denn unsere Forderungen sind Demokratie, Gerechtigkeit und die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Und da ist nichts passiert. Die Regierung wird ihrer Verantwortung nicht gerecht. Denn wenn du z.B. eine Straße verlangst, bekommst du einen Topf oder eine Gabel, nichts was Wert hätte. Die Regierung gibt nichts, was dem Gemeinwohl der Gemeinden zu Gute käme, dass es z.B. bessere Schulen gäbe, Kliniken. Wo kann hier eine Klinik mit guten Bedingungen finden? Nichts, da gibt es gar nichts. In den Gemeinden gibt es kaum Schulen, schon gar keine weiterführenden, keine Gesundheitsversorgung. Es fehlt alles, was die Bevölkerung bräuchte. Die Regierung gibt nichts, was dem Volk zu Gute käme. Im Gegenteil. Hat sich denn in den letzten Jahren auch der Fokus des Widerstandes der Abejas ausgeweitet, in dem Sinne das Themen wie fairer Handel, der Widerstand gegen den Plan-Puebla-Panama und andere Themen zu den ursprünglichen Forderungen dazugekommen sind? Ja, so ist es. Wir versuchen die Leute immer mehr zu organisieren. Deswegen sagen wir oft, dass das Blut, was unserer Märtyrer hier in der heiligen Erde von Acteal gelassen haben, nicht umsonst war, sondern uns viel Kraft und Motivation zum Widerstand gab. Es entstanden viele Ideen, wie wir unsere Lebensbedingungen und die Armut und die Marginalisierung überwinden könnten. Viele Arbeiten die Du heute sehen kannst, wie die Kooperative Maya Vinik, sind daraus entstanden. Dies ist ein Erfolg der Kampfes der indigenen Völker. Wichtig ist, dass wir unsere Rechte kennen, und wir anfangen, selbst unsere Produkte wie den Kaffee zu kommerzialisieren. Wir 65
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Las Abejas
haben viele neue Arbeitsfelder wie die Gesundheit, Erziehung, Menschenrechte, der Chor, das Kunsthandwerk und die Organisierung der Frauen. Das Radio ist ein weiteres aktuelles Projekt. Wie schätzen Sie den zapatistischen Aufstand ein? Und wie ist Ihre Position gegenüber der Installation der Caracoles und der Räte der Guten Regierung? Vielen Dank Bruder, für diese Frage. Es ist sehr wichtig genau darüber Bescheid zu wissen damit Du die Informationen in Deinem Kreis weitergeben kannst. Bei einer Betrachtung des Aufstandes der Zapatisten und der Caracoles muss man bis ins Jahr 1992 zurückgehen, als der Paragraph 7 der mexikanischen Verfassung geändert wurde, womit die Privatisierung und der Verkauf von Ejido, von Gemeindeland möglich wird und damit das Recht der Indigenas auf gemeinschaftlichen Landbesitz angetastet wurde. Danach begann auch der Kampf der Abejas, der sich auch gegen diese Verfassungsänderung richtete. Diese Änderung kommt einer Forderung der USA nach, und woraus sich mit Kanada der Freihandelsvertrag NAFTA entwickelte. Später wurde dies mit dem PlanPuebla-Panama ausgeweitet und jetzt steht man vor dem Projekt der ALCA. Dies wiederum geht alles in der WTO auf. Das Caracol, wie es Subcomandante Marcos sieht, heißt, dass der Anfang bei einem Punkt in einem Land liegt und sich von dort aus immer weiter ausdehnt. Der Kampf der Indigenas der von der EZLN angeführt wird, hat diese Punkte, wie das Herz von La Realidad in Chiapas Mexiko, und dort beginnt das Caracol. Schritt für Schritt wächst das Caracol, damit es eine Stimme bekommt, sich artikulieren kann, über Euch, die internationalen Beobachter, das Radio, die Presse und alle internationalen Kontakte. So wächst das Caracol immer weiter. Dieses Caracol ist ein integraler Bestandteil des Kampfes der indigenen Bevölkerung in Amerika. Nehmen wir an, dass die EZLN ein internationales Treffen gegen Neoliberalismus verwirklicht hat. Das Herz der Realität in Chiapas Mexiko, in Lateinamerika, ist La Realidad, aber es gibt auch ein anderes Herz der Zapatisten in anderen Kontinenten, die von La Realidad ausgehen. Aber mit den Herzen geht der Wille einher, den Widerstand gegen die große neoliberale Politik der Regierungen der Welt zu unterstützen. Es geht um den Nutzen für die indigenen Völker und die nichtindigenen, alle Völker dieser Welt, unabhängig von der Rasse oder der Hautfarbe, was zählt, ist sich zu organisieren, die Kräfte zu bündeln, alle die im Caracol sind um sich weiterzuentwickeln und den Kampf der EZLN und der nationalen Zivilgesellschaft zu unterstützen. Wir nennen uns „sociedad civil las abejas“, aber alle die wir hierhin kommen wie ihr, die sich in den Weg des Widerstandes einreihen, sind Teil der Zivilgesellschaft. 66
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Juan Tinay
PPP hat große und wichtige Gegenspieler. Wenn wir z.B. an die Staudammprojekte im Peten denken, so lassen sie sich nicht so umsetzen wie man es sich gedacht hat, weil sie auf starken Widerstand in der Region stoßen. Trotzdem ist noch viel Arbeit nötig, denn es gibt unzählige solcher Projekte. Die Militarisierung ist ein Teil davon, der die Bevölkerung einschüchtern soll um zu verhindern dass sie sich einmischt. Es muss eine Zurückweisung dieser Politik geben, insbesondere durch die europäische Gemeinschaft, und eine kritische Sensibilität für diese Art von Projekten entwickeln werden. Wenn die Bevölkerung diese Projekte aufgrund ihrer antidemokratischen Ausprägungen nicht mehr akzeptiert, werden uns schwere Konfrontation bevorstehen. Ich denke es ist wichtig, dass wir über diese Fragen zu einer größeren Einheit zusammenfinden, denn die nordamerikanische Politik der Militarisierung und der Terrorismusbekämpfung ist im Moment untolerierbar. Es sind die selben Terroristen, die uns ihre Politik aufzwingen wie die, die sie vorgeblich bekämpfen. Es ist wichtig, diese Politik offen zu legen, um uns darüber klar zu werden, welche Zukunft wir mit dieser Art von Plänen bauen. Der Kampf für Land in Guatemala hat schon viele Märtyrer zu beklagen, da die Agrarfrage weiterhin ungelöst ist. Wie lässt sich dieser Prozess stoppen? Ich denke, dass das Thema Land oder Freihandel in Guatemala wie in anderen Ländern bedeutet, das Leben zu riskieren um zu überleben. Das Ergebnis der verschiedenen Projekte, die über uns gekommen sind ist, dass die Kleinbauern keine Einkünfte mehr aus ihrem Land ziehen können. Ich denke, wir sind so weit, dass es für sie nichts mehr bedeutet, das Leben zu riskieren. Es erfordert eine kollektive Antwort auf diese Probleme. Ob auf die Forderungen eingegangen wird oder nicht, die Probleme im Land gehen weiter. Und das wird sich mit dem zunehmenden Engagement der Transnationalen Konzerne noch verstärken. Anstatt sich dieser Probleme anzunehmen, werden Projekte vorangetrieben, die komplett abseits dieser Realität stehen. Die sozialen Forderungen müssen anerkannt werden, nicht nur die nach Land. Wir brauchen Investitionen in den kleinbäuerlichen Markt und eine Technisierung. Das sind eine Reihe von Forderungen, auf die eingegangen werden müsste. Im Gegenteil schmälern die neoliberalen Maßnahmen die Möglichkeit des Marktzugangs und der Teilhabe am technischen Fortschritt. Zu diesen Fragen geben muss es eine Aufmerksamkeit auf integraler Ebene mit Fragen der Gesundheit und der Erziehung geben. Dazu gehört auch die Anerkennung und Respektierung der indigenen Kultur.
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Juan Tinay
hoffen wir, dass es noch Möglichkeiten gibt ihn zu stoppen und das nordamerikanische wie das europäische Volk sich dieser Situation bewusst werden. Es ist aber vor allem wichtig, den großen Zusammenhang zu verstehen, dass einige wenige transnationale Konzerne dabei sind, unsere Lebensgrundlage zu zerstören. Vor kurzem hat der neue Präsident Oscar Berger sein Amt angetreten. In einem sehr widersprüchlichen Wahlkampf hat er auf der einen Seite mit einem Nein zu weiteren Privatisierungen öffentlicher Dienste geworben, sich aber nicht explizit gegen die CAFTA ausgesprochen. Welche Chancen zu Veränderung räumen sie ihm ein? Ich glaube vom Diskurs zur Praxis ist es ein weiter Weg. Da sollten wir uns nicht selbst belügen und hoffen, dass es keine Privatisierungen mehr geben wird. Das ist reiner Wahlkampfdiskurs. Wenn wir nur auf die Zusammenstellung seines Kabinetts in allen seinen Aspekten schauen, so ist es von Unternehmern geprägt und trägt damit auch eine unternehmerische Vision. Guatemala wird sich in ein großes Unternehmen verwandeln. In diesen Tagen gab es zwei Räumungen von besetzten Fincas durch die Regierung Berger, die von Indigenas besetzt worden waren, weil die Arbeitsverträge nicht eingehalten worden waren. Die Leute wurden vertrieben, ohne dass der Eigentümer seinen nicht erfüllten Verpflichtungen nachgekommen wäre. Wir glauben, dass dies eine Politik ist, die Privatisierung weiter voranzutreiben und private Güter stärker zu schützen. Sie interessiert nicht das Gemeinwohl Guatemalas, sondern ihr privater Reichtum. Auch wenn sich die Transnationalen Konzerne unserer Reichtümer bemächtigen, ruft dies bei Ihnen keinen Widerstand hervor, weil sie selbst zu an diesen Unternehmen beteiligt sind. Das wollen sie, da für sie kein Vaterland existiert. Guatemala ist nicht nur von der CAFTA betroffen sondern auch von anderen Projekten wie dem PPP, der auch Aspekte wie eine verstärkte Militarisierung beinhaltet. Wie kann man dies in Zusammenhang mit den unternehmerischen Projekten bringen, und welche Auswirkungen wird dies auf die indigenen Völker Guatemalas haben? Die Militarisierung ist integraler Bestandteil des Projektes, zusammen mit dem Zugriff auf natürliche Ressourcen und der geographischen Kontrolle. Deswegen sagte ich am Anfang, dass dies kein unternehmerisches Projekt ist. Die Freihandelsabkommen sind nur die Konkretisierung dieser Politik. Der 22
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Las Abejas
Das Caracol, wie es Subcomandante Marcos sieht, heißt, dass der Anfang bei einem Punkt in einem Land liegt und sich von dort aus immer weiter ausdehnt. Der Kampf der Indigenas der von der EZLN angeführt wird, hat diese Punkte, wie das Herz von La Realidad in Chiapas Mexiko, und dort beginnt das Caracol.
Heute prägt und formiert die EZLN den Kampf der Indigenas von den Gemeinden aus, was sich das Recht auf Land nennt, das Gewohnheitsrecht der Gemeinden und die Selbstbestimmung. Wir wollen nicht, dass die Regierung von Mexiko kommt um uns zu organisieren, denn wir sind autonom, sondern wir selbst organisieren uns, bestimmen die Prozesse und koordinieren wie wir uns die Autonomie der indigenen Völker vorstellen, um unsere Rechte und unsere Kultur zu retten. Heute kommen sie und komplizieren unser Leben mit genetisch veränderten Lebensmitteln, mit Lebensmitteln in Dosen, die wertlos sind und uns als Lebewesen schaden. Wenn einer nicht weiß, was es ist, wird er es konsumieren. Wir müssen auch wie von der Position der Militärs und Paramilitärs reden. Warum will der Präsident diese nicht zurückziehen? Damit die Leute stumm bleiben und schweigen, ohne die Hand und die Stimme gegen die Politik zu erheben. Alle die dies tun werden von der Armee registriert, fotografiert um zu sehen, aus welcher Gemeinde er kommt, wer steht dahinter etc. Und einen Moment später wird er von Kugeln niedergestreckt. Wir stimmen mit der EZLN in ihren Forderungen überein, wenn wir auch auf einem anderen pazifistischen gewaltfreien Weg gehen.
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Las Abejas
Aber respektiert ihr deren Kampf und ihre Form Widerstand zu leisten? Und könnt ihr Euch vorstellen die autonome Gerichtsbarkeit in den Caracoles zu nutzen, um nicht auf das System der Regierung angewiesen zu sein? Gehen wir davon aus, dass wir versuchen innerhalb unserer Organisation erst einmal alle Probleme selbst zu lösen und Gerechtigkeit zu üben. Nicht notwendigerweise über die Apparate der Regierung. Aber wenn es Streit zwischen Leuten aus den Gemeinden und der Regierung oder Regierungsanhängern gibt, müssen wir die Rechtsprechung der Regierung und des Staates nutzen und Ihnen beweisen, dass sie die Gesetze verletzen. Das müssen wir so machen. Aber wir müssen internationale Gesetze stärker in Betracht ziehen, denn die mexikanischen Gesetze werden immer wieder verletzt und niemand nimmt sie mehr ernst. Etwas steht als Recht in der Verfassung, aber niemand setzt dies um. Sie machen, was sie wollen, außerhalb der Gesetze. Was ist das wichtigste an der Präsenz internationaler Beobachter in Euren Gemeinden? Die internationale Beobachtung behandeln wir wie Botschafter des Friedens, Leute die uns besuchen um mit uns zu reden. Das ist nichts falsches sondern etwas reales. Das ist eine Präsenz, die in jedem Moment die Repression gegen uns bestätigen kann. Über ihre Kontakte können wir sie schnell benachrichtigen und sie darauf aufmerksam machen, was gerade hier passiert. Das ist eine wichtige Funktion, die Besuche aus anderen Ländern, Leute die kommen und deren Herz schmerzt aufgrund der Vorgänge in anderen Ländern. Auch wenn wir andere Sprachen sprechen, sind wir alle Kinder Gottes. Gibt es von den Abejas Kontakte zu anderen indigenen Völkern in Mexiko oder im Nachbarland Guatemala? Schau, so wie die Basis des gläubigen Volkes und unserer Organisation die katholische Kirche ist, die Wurzeln, die Kultur und die Identität der indigenen Kultur Mexikos und Lateinamerikas resptektierend, gibt es große Übereinstimmungen mit Guatemala und anderen Ländern. Mittlerweile besuchen regelmäßig companeros die zeremonialen Zentren drüben in Guatemala und von dort kommen Leute zu uns um sich auszutauschen und das zu retten, was vielleicht schon verlorengegangen ist. Wir stehen uns sehr nah denn dort lebt man dieselbe Armut und wir haben die gleichen indigenen Wurzeln. 68
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Juan Tinay
Herr, Tinay, in Mittelamerika steht das Projekt der Zentralamerikanischen Freihandelszone CAFTA vor dem Abschluss der Verhandlungen. Was werden die Folgen des Abkommens für die Menschen in Mittelamerika und insbesondere in Guatemala sein und wie sieht die Beziehung zur ALCA aus? An erster Stelle ist zu nennen, dass die CAFTA Teil des Paketes der ALCA ist. Auch wenn der juristische Rahmen noch nicht festgelegt ist, konkretisieren sich die Pläne der Vereinigten Staaten schon in der Praxis. In Mittelamerika sind diese schon sehr weit fortgeschritten. In dieser Woche wird in den USA der Abschlusstext zur CAFTA veröffentlicht. Der erste Widerspruch ist, dass damit ein Text verabschiedet wird, der das Leben eines ganzen Volkes bestimmen wird, ohne dass dieses ihn kennt. Es ist nicht zufällig, dass dies hinter dem Rücken des Volkes diskutiert wurde. Wir müssen den Regierungen unserer Länder vorwerfen, dass sie eine Diskussion zulassen, ohne dass das Volk über ihren Inhalt Bescheid weiß. Wir glauben, dass wir vor einem sehr großen Risiko stehen, der Lebensstandard weiter zusammenbrechen wird und es große Schäden für die Umwelt geben wird. Die Probleme, die heute schon existieren, werden sich durch die CAFTA weiter verschlimmern. Guatemala hat einen großen Reichtum, was die Biodiversität und die Nutzung der Wasserkraft angeht und einiges mehr, worauf der Blick der USA in diesem Moment gerichtet ist. Dieses Projekt wird dem Leben unsere Völker einen signifikanten Schaden zufügen, aber man muss dies noch mehr auf die indigenen Völker fokussieren. Wir stellen 68% der Bevölkerung im Land und leben zu einem Grossteil in Gebieten, die sie „geschützte Regionen“ nennen. Geschützt, damit sie ihren Profit daraus ziehen können. Geschützt vor uns, damit wir nicht fortfahren, auf dieser Erde zu leben und sie zu bebauen. Diese Gebiete, die man heute geschützte Regionen nennt, sind die von der indigenen Bevölkerung bewohnten Regionen und nicht die Kaffeeregionen oder Monokulturen der Küste. Wie ist es möglich, dass über Generationen unsere Gemeinschaften dort gelebt haben und heute diese Territorien vor uns geschützt werden müssen. Das Ziel ist, mit der Ausbeutung dieser Regionen fortzufahren, was der kolonialen Politik der Vertreibung gleichkommt. Die aktuelle Politik ist nichts anderes als ein Mord an den indigenen Völkern Guatemalas und genauso für die Indigenas im Süden Mexikos und in Honduras. Die Repressionswelle, die seit kurzem über die Indigenas von Honduras hinwegrollt, ist ein Symptom dieser neuen Situation. Auch wenn der Prozess der Installierung der CAFTA schon so weit fortgeschritten ist, 21
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Juan Tinay
„Die aktuelle Politik ist nichts anderes als ein Mord an den indigenen Völkern Guatemalas und genauso Südmexikos.“
Juan Tinay ist Vorsitzender der Nationalen Koordination der Kleinbauern und Indigenas (Coordinacion Nacional Indigena y Campesino – CONIC). CONIC ist eine der größten Organisationen des Landes und unterstützt im ganzen Land juristische Prozesse von Kleinbauern um Landtitel, sowie Landbesetzungen. Wie das CCDA ist CONIC Mitglied von CNOC. Das Interview entstand am 16. Januar 2004 in Havanna auf dem Treffen der Hemisphäre des Widerstandes gegen die ALCA.
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Marina Pages
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Leocadio Juracan
aufgrund der Kosten, des Zeitaufwandes und der Informationen, die man benötigt, um diese Regeln umzusetzen, nicht erfüllen können. Das ist eine neue Form der Kontrolle um zu verhindern, dass die Kleinbauern Zugang zum Markt gewinnen. Das sind die Widersprüche des freien Marktes, denn genau das ist er nicht! In diesem Zusammenhang sind auch die Agrarsubventionen der USA zu nennen, die einen negativen Einfluss auf die guatemaltekischen Kleinbauern haben, weil wir keine Subventionen bekommen. Für uns gibt es keine staatlichen Privilegien, um mit den Produzenten der Vereinigten Staaten oder anderer westlicher Staaten konkurrieren zu können.
„Mittlerweile spricht niemand mehr von Versöhnung, sondern davon, die Bedingungen für einen Dialog zu schaffen.“
Marina ist seit 2001 Koordinatorin des Internationalen Dienstes für den Frieden in Chiapas (SIPAZ). SIPAZ ist eine Koalition internationaler Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die seit 1995 in Chiapas arbeitet. Das Interview entstand am 10. März 2004 in San Cristobal.
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Sehen sie in anderen schon existierenden neoliberalen Wirtschaftsprojekten in der Region wie dem auch Aspekte einer zunehmenden Militarisierung und einer Repression der sozialen Bewegungen Lateinamerikas? Die wirtschaftlichen Machtinteressen brauchen immer eine gewisse Sicherheit um ihre Interessen zu verteidigen. In Guatemala wissen wir, dass im Zuge des Kampfes gegen den Drogenhandel eine Basis der US-Army an der guatemaltekischen Pazifikküste eingerichtet wurde. Hinter dieser Begründung steckt jedoch die Absicht, die antineoliberalen Bewegungen im Land zu kontrollieren. Sie verteidigen ihre Interessen, sie haben wirtschaftliche Macht und den Militärapparat, um der Welt ihre Regeln aufzudrücken. Es ist ein Kontrollinstrument für die sozialen Kämpfe und die sozialen Bewegungen. Wie beurteilen Sie die Bewegung der Zapatisten in Mexiko? Könnten die Formen des Kampfes dort beispielhaft sein für die sozialen Kämpfe in Guatemala? Meiner Meinung nach ist der Kampf der Zapatisten in Mexiko ein positives Beispiel für die mesoamerikanischen Länder, die Freihandelsabkommen und die wirtschaftliche Globalisierung ablehnen. Einer der Gründe, aus denen die Bewegung entstand, war die Opposition gegen die neoliberale Globalisierung, wo Mexiko mit der NAFTA ein klares Beispiel für negative Folgen darstellt. So sind für uns der zapatistische Aufstand sowie die anderen sozialrevolutionären Bewegungen Mexikos ein positives Beispiel und wir bewundern, wie sie ihre antineoliberalen Aktivitäten entwickeln. Wir glauben, dass dies auch ein Beispiel sein kann, Raum für eine mesoamerikanische Bewegung gegen die Freihandelsabkommen zu schaffen. Denn dort sehen wir, dass wir uns mobilisieren müssen, um gegen diese ungerechte neoliberale Wirtschaftspolitik zu handeln. 19
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Leocadio Juracan
und der aktuellen wirtschaftlichen Situation. Die Nahrungsmittelsicherheit ist machbar, wenn es finanzielle Ressourcen gibt um das Land zu bearbeiten und auf dem eigenen Eigentum Lebensmittel produzieren zu können, d.h. Grundnahrungsmittel für die Familien und später für den Export und die Kommerzialisierung. Sehen sie mit den beiden Kandidaten der Stichwahl im Dezember, Berger und Colom, eine Lösung für die Probleme auf dem Land und gibt es Hoffnungen dass Fortschritte beim Agrarthema gemacht werden? In jedem Fall repräsentieren die beiden Kandidaten der Stichwahl die Oligarchie unseres Landes. Etwas genauer auf die beiden Parteien schauend fällt jedoch auf, dass die Große Nationale Allianz GANA von Oscar Berger noch stärker in die Verteidigung der Privilegien der Oligarchie verstrickt ist. Aus diesem Grund würden wir für das kleinere Übel stimmen, wohl wissend, dass beide die Oligarchie repräsentieren und ausschließlich die Interessen der Reichen verteidigen. Auch um nach dem Sieg der GANA in den Parlamentswahlen ein Gleichgewicht innerhalb der Verwaltung des Staates zu schaffen, würden es vorziehen, dass Colom gewinnt. Wie beeinflussen Freihandelsabkommen, wie beispielsweise das Mittelamerikanische Freihandelsabkommen CAFTA oder die zukünftige Gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA die Mitglieder des CCDA? Die Politik der neoliberalen Globalisierung der Wirtschaft haben wir vom CCDA stets offen zurückgewiesen. Wir sind der Meinung dass die Krise, die wir kleine Produzenten erleben, schon jetzt die Folge der Freihandelpolitik ist, ohne dass es formelle Abkommen gibt. Wenn die Freihandelsabkommen denn tatsächlich in Kraft treten werden, wird der Effekt noch größer sein. Aber die wichtigste negative Konsequenz ist, dass weiterhin neue Einkünfte ausschließlich für große Unternehmen geschaffen werden. Die USA haben ein neues Gesetz gegen Bioterrorismus das besagt, dass jedes Lebensmittelprodukt, welches in die USA exportiert werden soll, registriert werden muss. Hat dies auch Effekte auf die kleinen Kaffeeproduzenten und Kooperativen?
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Marina Pages
Welche Rolle nehmt ihr als unabhängige Organisation gegenüber den Regierungen auf Bundes- und Landesebene ein? Zuerst ist festzustellen, dass wir sehr differenzierte Beziehungen zu den verschiedenen Akteuren im Konflikt in Chiapas haben. Insbesondere mit der Regierung und der EZLN steht in keinem Fall eine direkte Unterstützung als Akteur an. Aber es gab und wird weiter eine Gesprächsebene mit den verschiedenen Akteuren geben. Das ist ein unersetzliches Element, um eine genaue Analyse eines unglaublich komplexen Konfliktes zu machen. Wir können für SIPAZ festhalten, dass wir den alten Akteuren des Konfliktes gegenüber unserer Position der Unabhängigkeit beibehalten. Mit der Zivilgesellschaft als relativ neuem Akteur haben wir eine Beziehung, die bis hin zu Kooperationen reicht. Wie könnt ihr rechtfertigen, mit allen am Konflikt beteiligten zu reden und in Kontakt zu stehen? Ich kann mir vorstellen, dass dies zum Teil scher zu vermitteln ist? Das war etwas, was uns viel Zeit kostete, den Akteuren verständlich zu machen. Noch wichtiger war es in den ersten Jahren der Präsenz von SIPAZ Kontakte aufzubauen. Und auf dieser Ebene gibt es eine sehr klare Beziehung. SIPAZ wird als externe Referenz gesehen, die fortfährt, von Chiapas außerhalb von Mexiko zu sprechen und dies ist für alle Akteure sehr wichtig. Ich denke, in den Augen der Regierung kann SIPAZ in einem Moment die Rolle einer Brücke spielen, mit einer eher vermittelnden Rolle. Aus Sicht der Akteure gesehen, war diese Haltung sehr viel schwerer in den ersten Jahren zu verstehen, als die Zivilgesellschaft sich für eine bedingungslose Unterstützung der zapatistischen Sache entschieden hatte. Heutzutage mit der bleibenden Polarisierung EZLN – Regierung gibt es wesentlich mehr Akteure dazwischen, insbesondere nach den Wahlen aus dem Jahr 2000. Einige NGO´s haben angefangen sehr stark mit der Bundesstaatsregierung zusammenzuarbeiten. Viele sind sich darüber klar geworden, dass man den Konflikt nicht in Schwarz-Weiß betrachten kann, sondern es sehr viele Graustufen gibt. Und es gibt natürlich Leute unter uns, die die Ursachen des Aufstandes akzeptieren, nicht jedoch die Mittel.
Definitiv. Das sind Mechanismen, die insbesondere die USA benutzen, um die kleinen Produzenten an den Rand zu drängen. Ständig verabschieden sie neue Regeln und Normen für den Export in die USA, die wir Kleinbauern 18
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Marina Pages
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Leocadio Juracan
SIPAZ arbeitet ja für die Versöhnung in Chiapas, aber ich denke, alle sind sich darüber im Klaren, dass immer noch die soziale Gerechtigkeit fehlt. Wie positioniert sich SIPAZ dazu?
Herr Juracan, lassen sie uns über die Probleme der Kleinbauern und Kaffeeproduzenten sprechen. Ist es aufgrund der Kaffeekrise überhaupt noch sinnvoll, Kaffee zu produzieren?
Das war eine sehr wichtige Diskussion. Und da gibt es eine Veränderung, denn mittlerweile spricht niemand mehr von Versöhnung, sondern davon, die Bedingungen für einen Dialog zu schaffen. SIPAZ hat schon 2000 seinen Auftrag geändert. Ich denke, niemand arbeitet direkt für den Dialog und er wird auch nicht als ein Ereignis der nahen Zukunft gesehen.
Die Kaffeekrise besteht aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Interessen der USA und dem Monopol 5 oder 6 großer Konzerne, die den Kaffeepreis kontrollieren. Die Kaffeeproduktion ist für die kleinen Produzenten längst kein wirtschaftlicher Faktor mehr und garantiert kein Grundeinkommen für eine Familie. Die kleinen Produzenten besitzen meist die schlechtesten Stücke Land, wo es keine Möglichkeit zur Bewässerung gibt und die klimatischen Bedingungen keine anderen Produkte zulassen. Dort, wo eine Diversifizierung möglich ist, arbeiten wir mit ökologischer Landwirtschaft und organischer Produktion. Wir empfehlen den Kaffeeanbau durch Grundnahrungsmittel und Kleintierzucht zu bereichern. Dort, wo dies nicht möglich ist, kann man auch versuchen mit Obstbäumen und Nutzholz die Diversifizierung voranzutreiben.
Aufgrund der mittlerweile fast achtjährigen Abwesenheit eines Dialoges richtet sich die Arbeit von SIPAZ, wie die vieler anderer nationaler Organisationen, die im Friedensbereich arbeiten, auf die strukturellen Ursachen des Konfliktes. Und auch mit einem Dialog würde dieses Thema immer noch auf der Tagesordnung stehen, insbesondere nachdem 1996 der Dialog von San Andres nach der ersten Runde abgebrochen wurde. SIPAZ kann so fortfahren, eine Position zwischen den Akteuren beizubehalten, muss aber eine klare Positionierung einigen Themen gegenüber finden. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr eine Schlüsselrolle im „Treffen der Hemisphäre gegen die Militarisierung“ gespielt. Dazu gehören auch die Themen des Neoliberalismus, der Armut und der Entwicklung und insbesondere, welche Art von Entwicklung. In Mexiko heißt das, auf der Seite der Indigenas zu stehen, und was die fordern, ist teilzuhaben am Design der Entwicklungspolitik. Letztlich ist das ja die Schlüsselfrage, ob es tatsächlich einen sozialen Wandel geben wird? Was in jedem Fall fehlt, ist zu definieren, was wir unter sozialem Wandel verstehen. Zum einen ist da die am meisten von den NGOs kritisierte Position von Salazar, weil sie keine Beziehung zu den Themen Gerechtigkeit, Militarisierung, etc. herstellt. Für ihn ist der soziale Wandel eine Armutsbekämpfung mit der Förderung einer Entwicklungspolitik, wie sie von den Indigenas nicht geteilt wird. Fox hat dies natürlich auf den Punkt gebracht, indem er sagte, dass der Traum von Entwicklung in diesem Land Fernsehen, einen Volkswagen und Arbeit für jeden bedeutet. Es gibt jedoch einige Akteure, die daran glaubten, darunter selbst Don Samuel Ruiz, als er in den Siebzigern nach Chiapas kam und meinte, es würde reichen abzusichern, dass alle ein Dach über dem Kopf haben und Spanisch sprechen können. Ich denke, e gibt in jedem Fall immer noch eine sehr paternalistische und karitative Sichtweise, den armen Indigena zu sehen, ohne ihn als Akteur eines tiefgehenden sozialen Wandels Ernst zu nehmen. Da muss man sich auf das 72
Aus diesem Grund begannen wir auch, als Alternative das Projekt Café Justicia zu entwickeln und zu stärken. Der Café Justicia ist eine Form sich den Konsumenten anzunähern und die Wertsteigerung aus dem Weiterverkauf bei uns zu behalten. Wir schaffen Arbeitsplätze in den Gemeinden und nutzen die Abfälle der Produktion, wie die Hülse der Bohnen, zur Herstellung von biologischem Dünger. Trotzdem trägt der Café Justicia nur zu etwa 59% des Einkommens der 31 Gemeinden bei, die Kaffee produzieren. Wir zahlen den Produzenten im Vergleich zu den Zwischenhändlern das Doppelte, zuzüglich zur technischen Hilfe und Weiterbildung. Einer der Unterschiede, wie wir den fairen Handel betreiben, ist nicht nur die ökonomische Hilfe für die Gemeinden, sondern damit verbunden politische Forderungen zu formulieren. Was ist aktuell für Sie die wichtigste Aufgabe der sich Guatemala stellen muss? Wir denken, dass das wichtigste und drängendste für Guatemala eine Landreform ist. Jedoch lassen die aktuellen juristischen und politischen Bedingungen in Guatemala dies unmöglich erscheinen. Es gibt z.B. viele durch die Kaffeekrise verlassene Fincas, aber dem Staat fehlt die politische Fähigkeit zu verhandeln, staatliche Subventionen zur Verfügung zu stellen und den landlosen Bauern die Möglichkeit zu geben, Lebensmittel zu produzieren. Guatemala ist ein Land reich an Naturschätzen und natürlichen Ressourcen, und trotzdem gibt es Gemeinden, die vor einer Hungerskatastrophe stehen. Das ist etwas widersprüchlich zu dem Reichtum im Land 17
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Leocadio Juracan
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Kommunique der Zapatisten über das Cindarella-Syndrom beziehen, dass, bevor Du mir einen Schuh schenkst mich fragen sollst, ob ich den will. Wie schätzt Du denn das neue Projekt der Europäischen Union in Chiapas ein? Chiapas ist der erste Fall, wo es ein direktes Abkommen zwischen der EU und einem Bundesstaat gibt, und nicht der Nation oder der Föderation. Die Frage ist natürlich, worauf dies antwortet und wie weit die EU sich darüber bewusst ist, wo sie sich einmischt. Wenn man auf der anderen Seite die Dokumente liest, die bereits darüber zirkulieren, kann man sich nicht vorstellen, dass es soviel politische Blauäugigkeit gibt. Noch 1993 vor dem Aufstand wusste niemand auf höheren Regierungsebenen, wo Chiapas liegt, aber heute wird man auch in den höheren Kreisen der EU wissen, was es mit Chiapas auf sich hat. Natürlich passt dazu der Regierungsdialog, den Dialog auf Chiapas zu begrenzen oder soweit zu gehen wie 1994 zu behaupten, dass es nur vier Verbandsgemeinden wären, wo die EZLN die Bevölkerung repräsentiert, um damit dem Aufstand jede soziale Relevanz abzusprechen.
„Die Krise, die wir kleinen Produzenten erleben, ist schon eine Folge der Freihandelspolitik, ohne dass es formelle Abkommen gibt.“ Leocadio Juracan ist Vorsitzender des Komitees der Bauern des Hochlandes (CCDA – Comité Campesino del Altiplano). Gegründet wurde das CCDA am 2. März 1982. Die Organisation ist Mitglied der nationalen Kleinbauernkoalition CNOC. Das CCDA ist eine kleinbäuerliche indigene Organisation, die für die Forderungen der Kleinbauern des Hochlandes um Demokratie und eine gerechte Landverteilung kämpft. Die 99 Mitgliedsgemeinden des CCDA befinden sich zum Großteil in der Gegend des Atitlan-Sees. Das Interview wurde am 28. November 2003 in der Gemeinde Don Pancho in der Nähe von Esuintla bei der Übergabe einer Finca von Fontierra geführt.
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Die EU begibt sich in die Selva Lacandona, die seit 2002 problematischste Region. Jeder weiß, dass dies die Bastion der Zapatisten ist. Dazu kommt, dass man vermutet, dass auch die USA über NGOs wie „Conservation International“ dort Fuß fassen wollen. Da liegt es auch nicht fern, dahinter die Aufstandsbekämpfung zu vermuten. Wenn man genauer die Dokumente liest, stellt sich heraus, dass die EU Geld vor allem in die Weiter- und Ausbildung von Akteuren steckt. Das lässt sich natürlich sehr schwer hinterfragen, da dies keine direkte Intervention ist. Die wird wiederum mit Geld des Bundesstaates finanziert. Ich weiß nicht, was letztlich dahinter steht, aber die Selva Lacandona bedeutet in jedem Fall Biodiversität, Wasser, Erdöl, Tourismus. Darüber hinaus ist insbesondere nach dem 11. September die Frage, was dort alles zusammenkommt: es gibt eine bewaffnete Gruppe, den Aspekt der Migration und der Grenzen, sowie der strategischen Ressourcen. Wenn man dann die Karte, wo die EU aktiv werden will, mit der Karte von CAPISE über die Militarisierung in Chiapas übereinander legt, dann ergibt sich eine erstaunliche Übereinstimmung. Man muss sich fragen, ob es sich für die Militärs um Aufstandsbekämpfung handelt oder darum, geht, mögliche Investitionen abzusichern. Ich glaube nicht, dass alle Akteure den Konflikt als zentralen Aspekt sehen. Sie gehen im Gegenteil davon aus, durch Pazifizierung die Konfrontationen um ein Maximum reduzieren zu können um währenddessen stärker die ökonomische Karte zu spielen. 73
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Der Umwelt-Diskurs wird dazu benutzt, die Invasionen von Land zu diskreditieren. Und letztlich sind die Migrationen dorthin Invasionen, Leute die nichts zu verlieren haben, aber Land brauchen und dies macht sie gefährlich.
Seit 2001 gibt es auch große europäische NGOs wie Oxfam und NOVIB die auf die Karte der Co-Investition mit der Regierung setzen. Da erscheint das Projekt der EU natürlich rein politisch. Ich würde gerne auf den Konflikt um die Montes Azules zu sprechen kommen. Von Deutschland aus habe ich den Eindruck, dass es da eine sehr emotionalisierte Diskussion gibt, wo es sehr schwer zu entscheiden ist, wie und wo man dort intervenieren kann. Letztlich stößt man dort ja auf die Büchse der Pandora mit den strukturellen Ursachen des Konfliktes. Die Montes Azules sind sicherlich paradigmatisch für das Niveau der Komplexität des Konfliktes in Chiapas. Eine interessant Sache ist, dass der Konflikt in den Montes Azules als ein interethnischer Konflikt erscheint. Bisher gab es eher homogene Regionen, die Altos Region Tzotzil, die Selva Region Tzelta, die Grenzregion Tojolabal, etc.. Da die Montes Azules eine relativ junge Region der Migration sind, gibt es dort viele verschiedene Ethnien, die sich dort insbesondere mit den Lacandonen vermischen. Egal mit welchen politischen Optionen die anderen dorthin kamen, auf legaler Ebene ist die Erde dort Besitz der Lacandonen. In einem präsidentiellen Dekret wurden Millionen von Hektar einer Handvoll Familien übertragen, während der restliche Bundesstaat insbesondere in den Altos vor einem großen Landproblem steht. In den Montes Azules sind viele strukturelle Ursachen im Spiel, die früher oder später Veränderungen von der Föderation her bedürfen. Und da ist die offizielle Position, dass es kein Problem gibt, dies vielmehr gelöst ist, Land verteilt wurde, etc.
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Rica gibt seit 25 Jahren pro Nase doppelt so viel für Erziehung aus. Das Analphabetismus-Problem auf dem Lande in Guatemala - 30 Prozent können nicht lesen und schreiben, bei Mädchen und Frauen sind es sogar 70 Prozent - lässt sich mit entsprechendem politischen Willen lösen. Die internationale Gemeinschaft würde eine wirkliche Alphabetisierungskampagne in Guatemala sicher fördern. Das wäre eine echte soziale Errungenschaft. Guatemala ist ein ressourcenreiches Land, besitzt Industrien und entsprechende ökonomische Möglichkeiten. El Salvador arbeitete sich aus einer größeren Armut als Guatemala hervor zu einer besseren Einkommensentwicklung. Selbst Nicaragua arbeitet, aus einer wesentlich schlechteren Ausgangssituation, relativ systematisch an dieser Aufgabe trotz seiner riesigen politischen Konflikte. Guatemala eben nicht. Ob die nächste Regierung die Probleme anpacken wird, werden wir sehen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob sie gegen den Widerstand der oligarchischen Kräfte die Landfrage angeht. Nach dem Verhalten des Parlaments in der letzten Periode ist eine Annahme durch die Partei des Präsidenten Berger sicherlich auszuschließen. Die internationale Gemeinschaft finanziert als ersten Schritt Pilotprojekte für ein Katastersystem mit bisher zwölf Millionen Dollar. In dem entsprechenden, von der letzten Regierung beschlossenen Gesetz ging es lediglich um die Klärung der Eigentumsfrage bzw. einen Mechanismus für deren Feststellung. Die rechten Parteien PAN und GANA lehnen dies entschieden ab, genauso wie die sie unterstützenden Landbesitzerverbände. Dieses Land ist systematisch kolonialisiert worden, nicht zuletzt mit besonderen Gesetzen für deutsche Siedler im 19. Jahrhundert. Zusätzlich versetzt man jetzt noch je nach Macht die Zäune. Kein Grundbesitzer hat Interesse an der Feststellung seines doch nicht ganz so großen Landbesitzes anhand irgendwelcher Dokumente. Diese ganzen Konflikte entladen sich derzeit teilweise gewaltsam. Die Forderung nach Landrechten ist eine der indigenen Bevölkerung auf der ganzen Welt. Wir arbeiten an dieser Frage gemäß den Friedensverträgen. Dies geht sehr tief in den gesellschaftlichen Konfliktbereich hinein, denn Guatemala ist eine agrarische Gesellschaft und daher sind Konflikte typischerweise Landkonflikte.
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Guatemalteken schicken ihr Geld in die Heimat zurück. Die USA ihrerseits drängen nachdrücklich auf ein Freihandelsabkommen, das für Guatemala erhebliche Probleme mit sich bringen würde. Andererseits unterstützen die USA die UN-Mission intensiv im Kampf für einen Rechtsstaat. Europa hingegen spielt eine andere Rolle. Es setzte sich sehr stark für die Friedensverträge ein. Die Konditionierung der Entwicklungshilfe ist eine zweischneidige Sache. Auf Antrag der Grünen entschied der Bundestag bezüglich Lateinamerika, wir fördern keine Polizeiprojekte mehr. Das ist sehr ambivalent. Wirklich notwendig ist in Guatemala eine demokratische, effiziente und nicht korrupte Polizei. Wir wollen eine starke Polizei, aber natürlich keinen Polizeistaat. Die Friedensverträge sind ein Entwicklungsprogramm, und die gesamte Hilfe aller Länder orientiert sich daran. Das ist sehr positiv. Zu wünschen wäre ein Engagement Deutschlands an der Antidiskriminierungsfront ebenso wie deutliche Worte Europas an Guatemala in dieser Frage. Aber insgesamt gilt: Nicht Druck, sondern Aufmerksamkeit zählt. Viele Länder kündigten für den Fall der Wahl von Rios Montt einen Abzug ihrer Hilfe an. Diese Position ist für die auch von Deutschland unterstützte Defensoria Maya völlig unverständlich. Für sie wäre im Falle eines Wahlsiegs des Ex-Diktators eine Verdoppelung der Hilfe die einzig richtige Konsequenz gewesen. MINUGUA ist regierungskritisch, und der Präsident beschwerte sich ständig beim UN-Generalsekretär über MINUGUA und mich. Trotzdem sind wir eine Stimme, die gehört wird. Meine Position ist: Gute Projekte fördern, über Diskriminierung reden. Anzusetzen ist bei den Diskriminierern und weniger bei den Diskriminierten, denn die wissen was Diskriminierung ist. Welche Bedeutung haben heute noch die Friedensverträge? Die Friedensverträge sind ein Programm, vergleichbar dem einer sozialen, modern eingestellten Partei. Vereinigt man das Beste aus den Programmen von CDU und SPD in einem Konzept, kommt man ungefähr auf die Vision der Friedensverträge. Als ein völlig neues Element enthält der Friedensvertrag die Rechte der indigenen Bevölkerung, die sehr weitgehend und eine Perspektive für die nächsten Jahrzehnte sind. Allerdings wäre ein stärkerer Druck seitens der beiden vergangenen Regierungen in der Umsetzung der Friedensverträge zu wünschen gewesen. Dies gilt ebenso für die jeweils die Regierung tragenden Schichten, d.h. kleinbürgerlichen Kreise um die FRG und großbürgerliche und oligarchische Kreise. Nur mal ein Beispiel: Costa 14
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Man stößt da auch auf eine andere wichtige Achse des Konfliktes in Chiapas, die sich um die Begriffe Legitimität und Legalität dreht. Auf legaler Ebene sind die Lacandonen die Besitzer, was man mit historischem Blick natürlich in Frage stellen kann, da sie nicht einmal von dort kommen. Aber immerhin leben die Lacandonen Jahrhunderte dort und haben, wie alle anderen auch, Rechte auf das Land. Und das war eine der ersten Forderungen der Zapatisten, das Recht auf Land als Menschenrecht zu betrachten. Bei den aktuellen Migrationen ist zu beachten, dass dort Gruppen hinkommen, die sich auf die eine oder andere Weise mit den Zapatisten verbinden. Das heißt, es ist natürlich wesentlich schwerer Leute zu vertreiben, die sich Zapatisten nennen, als jemanden, der zu einer anderen politischen Struktur gehört. Dazu kommen andere Widersprüche, wie der geschützten Biosphäre und erlaubt einen Umweltdiskurs, der halb gefährlich ist, da er die Indigenas als der Akteur sieht, der kommt um den Regenwald abzuholzen. Wenn man letztlich die Geschichte der Selva studiert, waren es nicht die Indigenas, die Raubbau betrieben, sondern Holzunternehmen, die in großem Stil dort aktiv waren. Der Umwelt-Diskurs wird dazu benutzt, die Invasionen von Land zu diskreditieren. Und letztlich sind die Migrationen dorthin Invasionen, Leute die nichts zu verlieren haben, aber Land brauchen und dies macht sie gefährlich. Auch wenn man mit den besten Absichten der Welt kommt, und den Konflikt lösen will, ist dies in keinster Weise einfach, da es dort zu viele Akteure gibt. Es ist eine Schlüsselregion für ökonomische Interessen und dort eine Lösung zu suchen, impliziert in jedem Fall große strukturelle Veränderungen. Welche Rolle können denn da die NGO´s einnehmen? Bei der Frage nach der Transformierung des Konfliktes stellt sich die Frage, wie man eine Lösung finden kann, wo alle gewinnen. Das ist natürlich nicht einfach. Und aus der Sicht der NGO´s stellt sich die Frage, welche Rolle man spielen will. Will man sich in der sehr polarisierten Situation der Montes Azules mit vielen Akteuren zusammen an einen Tisch setzen, als NGO im Mittelpunkt? Darüber schwebt letztlich der Konflitk EZLN Regierung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die NGO´s nicht die Legitimation fühlen, dies zu tun. Das hieße, die EZLN zu etwas zu zwingen, zu dem sie als einer der wichtigen Akteure dort nicht bereit ist. Jeder spielt letztlich mehr oder weniger die Rolle des Feuerwehrmannes, mit Brigaden und zivilen Friedenscamps in den harten Momenten. Die Frage ist auch, wie die EZLN mit ihren Fehlern umgeht, denn man kann nicht verneinen, dass es welche gibt. Auf der Ebene der Menschenrechte, 75
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genauso aber auch strategische Fehler. Man sieht nicht, was letztlich die Strategie der EZLN für die Montes Azules ist. Nach der Analyse von CAPISE bekommt man den Eindruck dass die Montes Azules dass Szenario des Konflikte sind und es da zu schweren Konfrontationen kommen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Präsenz der Milizionäre dort so groß ist, dass die EZLN sich der Bundesarmee stellen könnte und es würde der EZLN natürlich auch in keinster Weise entgegen kommen, die Waffenruhe zu brechen. Es scheint, als wäre es mehr die Strategie des kalten Krieges: Beide spielen alle Karten aus, aber vermeiden direkte Konfrontationen, denn das wäre fatal für alle. Mir gefällt dieses Bild des Kalten Krieges sehr gut, denn damit stellt sich ja die Frage wie dort eine Entspannungspolitik aussehen könnte? Mir erscheint es wie zwei parallele Welten die sich aufbauen, auf der einen Seite die Zapatisten mit ihren autonomen Strukturen, und auf der anderen Seite Salazar und mit den NGO´s die einen kleinen sozialen Wandel vorspielen. Das ist sehr interessant, denn mir ist das mit dem kalten Krieg auch noch nie vorher aufgefallen. Denn im Kalten Krieg gab es ja auch das Konzept des Dritten Weges der Entwicklungsländer. Die Zivilgesellschaft spielt so eine Rolle des Kissens, zwischen den beiden Parteien, mit ihrer physischen Präsenz. Heute herrscht bei der Zivilgesellschaft große Unklarheit. Wir haben in Mexiko die zapatistische Referenz als solche verloren. Vorher war es die EZLN,von der ausgehend alle sich organisierten, mit einer sehr weiten Reichweite, aber jetzt, mit dem ausgedehnten Konzept der Autonomie scheint jeder in seine Richtung zu gehen. Die Zivilgesellschaft steht da etwas auf verlorenem Posten. Sie gruppiert sich weiterhin um die strukturellen Ursachen des Konfliktes. Man wird sehen ob sie es schafft, wieder mehr an das zapatistische Konzept anzudocken. Einige interessante Beispiele wie in Tlanepantla oder vor einiger Zeit in Salvador Atenco, in eher urbanisierten Räumen, zeigen jedoch auch, dass die Frage der Autonomie gerade keine rein indigene ist, sondern in einem oder anderen Moment eine Form Politik zu machen.
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In Guatemala sind noch zu viele an einem schwachen Rechtsstaat interessiert. Die Oligarchie sagte immer, wir machen das selber, wir können das selber. Wir brauchen weder einen Sozialstaat noch einen starken Rechtsstaat, wir verteidigen uns selbst, der Starke ist am mächtigsten allein. Es fehlt das Bewusstsein der Verpflichtung zu Steuerzahlungen. Der neoliberale Diskurs wird mit Begeisterung geführt. „Der Staat ist zu stark, wir müssen ihn abspecken, privatisieren.“ Und das bei einer Staatsquote von neun Prozent. Zum Vergleich: Schweden besitzt eine Staatsquote von 56 Prozent, Deutschland von 46 und die USA von 35. Das Bewusstsein ist hier überhaupt nicht da, Dienste wie Erziehung, Gesundheit und Infrastruktur durch den Staat für alle zur Verfügung zu stellen. Die Leute fordern internationale Hilfe, aber gleichzeitig wird diese Hilfe im nationalen Rahmen nicht gewährt. Der letzten Regierung gelang es nicht, die Steuern zu heben. Sie stießen auf einen massiven und erfolgreichen Widerstand der Bourgeoisie und Oligarchie. Diese wehren sich gegen jede Erhöhung der Staatsquote mit für Guatemala völlig absurden neoliberalen Argumenten. Ein Staat mit einer Staatsquote von neun Prozent ist nicht aufrechtzuerhalten. Ergebnis ist eine halb so starke Polizei wie in Bayern, und das in einer Nachkonfliktsituation mit einer sehr hohen Verbrechensrate. Gleichzeitig besitzt die Staatsanwaltschaft nur in 30 der 330 Gemeinden eine Vertretung und der Rechtsapparat ist schlecht ausgebildet. Sowohl in der Justiz als auch in der unterfinanzierten Polizei und Staatsanwaltschaft herrscht teilweise Korruption. Für die Bevölkerung besteht das Hauptproblem in der Sicherheit, dem Schutz von Leib und Leben. Selbst in Gebieten extremer Armut sieht die Hälfte der Bevölkerung die Sicherheit als das vorrangige Problem an und nicht etwa die Armut. Der Analphabetismus ist extrem hoch. Das charakterisiert das Entwicklungsland in Amerika, das am wenigsten Fortschritte gemacht hat. Guatemala ist ein Entwicklungsland in einem sehr frühen Stadium. Könnte in Anbetracht der Situation stärkerer internationaler Druck helfen, sei es von den USA oder von Deutschland?
In jedem Fall wird man die Paramilitärs wie die Aufstandsbekämpfung neu definieren müssen. Und das Thema der Paramilitärs ist auch das, wohin CAPISE geht. Das heißt zu differenzieren zwischen Bewaffneten, die nicht meinen Standpunkt teilen, und einem Paramilitär mit einer klar definierten
Der Druck Europas und der USA ist ein völlig unterschiedlicher. Für die USA spielt der Drogenhandel eine große Rolle. Guatemala ist Zwischenstation des Drogenhandels. Dadurch kommt eine ganze Welle organisierter Kriminalität ins Land, die bis in die Kreise der Kleinkriminalität hineinreicht. Dieses Riesenproblem benötigt eine starke und gut ausgebildete Polizei. Hier engagieren sich die US-Amerikaner sehr. Die Beziehungen zwischen Guatemala und den USA sind sehr komplex. Zwei Millionen in den USA lebende
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Wie geht man den zur Zeit mit dem Problem der Paramilitärs in Chiapas um?
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Ziel ist nicht eine Versöhnung, die den Geschädigten sagt: „Ihr müsst verzeihen, dann ist doch alles klar“, sondern die der Regierung sagt: „Das war Staatsterror, der Staat muss dafür die Verantwortung übernehmen“.
Diejenigen, die jetzt Geld fordern, sind vor allem arm. Die Friedensverträge sehen derartige Geldzahlungen nicht vor, wohl aber Infrastrukturmaßnahmen in den armen Gebieten und explizit Entschädigungen und Versöhnungsanstrengungen für die Opfer. Dafür notwendig war eine Organisation der Anspruchsberechtigten und ihrer Forderungen. Mittlerweile erfolgte der Zusammenschluss einer Vielzahl von Opfervereinigungen für einen nationalen Entschädigungsplan, den die letzte Regierung zumindest organisatorisch umsetzte. Den Opferverbänden geht es allerdings vielmehr um die Würdigung des Opfers, das die Bevölkerung erbracht hat. Ziel ist eine Würdigung durch den Staat, vertreten durch den Präsidenten, und ein Bewusstmachen der erfolgten Verluste in der Gesellschaft. Ein Ergebnis war die Einrichtung der Wahrheitskommission. Zusätzlich geht es um die Versorgung der Hinterbliebenen. Ziel ist nicht eine Versöhnung, die den Geschädigten sagt: „Ihr müsst verzeihen, dann ist doch alles klar“, sondern die der Regierung sagt: „Das war Staatsterror, der Staat muss dafür die Verantwortung übernehmen“. Es bedarf aber auch intellektueller Anstrengungen, des Staates oder derer, die im und für den Staat arbeiten. 12
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Beziehung zum Militär, oder eher parapolizeilich mit Beziehung zur „Seguridad Publica“. Was ein Paramilitär ist, ist vielleicht der Punkt, wo die Diskussion auf der Ebene der NGOs am meisten fortgeschritten ist, da die Leute sich darüber klar geworden sind, dass es keine Sinn hat, den Begriff nach links wie nach rechts zu verwenden, ohne weiter zu spezifizieren, was man meint. Insbesondere in Europa denken die Leute, wenn man von Paramilitärs spricht, an Kolumbien und verstehen nicht, dass es in Chiapas einen ganz anderen Kontext gibt. Ich denke, da gibt es große Fortschritte und die Arbeit von CAPISE auf der Ebene des Militärs wie der Paramilitärs kann dazu beitragen, diese Fragen zu klären. Ändert sich denn auch die Definition der Aufstandsbekämpfung? Ja, und auch da ist eine wesentlich breiter gefasste Definition notwendig. Zu einem bestimmten Zeitpunkt beschränkte sich, von Aufstandsbekämpfung zu sprechen, auf Regierungsstrategien gegen die EZLN, als Gruppe bewaffneter Aufständischer, die der Regierung den Krieg erklärt haben. Mit dem Krieg niederer Intensität ging die Strategie dahin, nicht auf die EZLN, sondern die zivilen Unterstützungsbasen zu zielen. Heute, und da komme ich auf die Situation nach dem 11. September zurück, steht die Frage im Vordergrund, wer denn alles die Aufständischen sind? Und da hat sich der Begriff von der nordamerikanischen Logik kommend, auf alle antineoliberalen Bewegungen ausgeweitet. Aufständisch gegen ein militärisch und ökonomisch dominantes Modell. Und da wird die Sache natürlich auch für uns NGOs wesentlich schwerer. Denn vorher hatten wir es mit klar definierten Feindbildern zu tun, gegen die sich die Aufstandsbekämpfung richtete. Es ist auch diffus geworden, wer denn letztlich Aufstandsbekämpfung betreibt. Damit stellt sich auch die Frage, wo das Projekt der EU in Chiapas einzuordnen ist. Dazu kommt dann die Frage, was heißt es heute Zapatist zu sein? Jemand, der Verbindungen zum Aguascalientes von Madrid hat, ist der Zapatist oder nicht? Und da kommt zum Vorschein, was einer der großen Erfolge der EZLN ist, nämlich von einem lokalen oder im Maximum nationalen Widerstand ein Projekt des Widerstandes nach außen zu tragen, das als solches von anderen Bewegungen übernommen wird. Dazu gehört, all das, was mittlerweile schon weltweite Referenzpunkte sind, wie das „Gehorchend befehlen“, „Eine Welt, in die viele Welten passen. Damit ist ein Aufständischer auf dieser Ebene jeder, der sich gegen den Status Quo richtet. Und dann folgt natürlich die Gretchenfrage, wer dann alles Ziel der Aufstandsbekämpfung wird?
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Ausblick
Chiapas y Guatemala – Menschenrechte und Widerstand Bilanz einer politischen Reise
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Gruppe von Indígenas z.B. aus dem von den meisten Massakern betroffenen Ort Rabinal sagt: „Als der General kam, war endlich Schluss mit der Gewalt von der einen oder anderen Seite. Da haben wir Ruhe gehabt, wir brauchen eine starke Hand.“ Auf der anderen Seite äußern Opferverbände: „Die starke Hand hat uns genau die Massaker gebracht.“ Die Massaker waren oft auch mit Konflikten zwischen Landbesitzern und Oligarchen auf der einen und Indígenas und Landlosen auf der anderen Seite verbunden. In Rabinal kam noch ein massiver ökologischer Konflikt hinzu. An der Stelle des scheußlichsten Massakers in Rio Negro, das nur zwei Kinder überlebten, befindet sich heute ein Stausee. Diese Facetten müssen bei einer Bewertung des Wahlverhaltens alle mitgesehen werden. Könnte man da denn nicht auch an Wahlbetrug denken?
Vor meiner Abreise erschien es mir logisch unter dem oben genannten Thema meine Vorstellungen zu verknüpfen und mit dem besseren Kennenlernen der beiden Regionen auch zu versuchen, die politischen Entwicklungen beider Regionen zu vergleichen. Jetzt nach meiner Rückkehr erscheint mir dies immer noch nachvollziehbar, aber in seiner ganzen Bandbreite keinesfalls in einem halben Jahr bearbeitbar. Ein gute Herangehensweise ist es sicherlich, Menschen aus den sozialen Bewegungen der beiden Regionen zu Wort kommen zu lassen. So war eine Standardfrage in Guatemala, wie man denn die Tragweite des zapatistischen Aufstandes in Chiapas einschätze und was man von dort zu übernehmen gedenke, und in Mexiko, was man aus der Geschichte des Bürgerkrieges und des Kampfes der sozialen Bewegungen in Guatemala gelernt habe. Generell ist festzuhalten, dass die Kontakte zwischen Organisationen aus beiden Regionen sehr gering sind. Zum einen sind dabei Hindernisse wie die Migrationspolitik der mexikanischen Regierung zu überwinden, die es Guatemalteken nicht gerade einfach macht nach Mexiko zu reisen und zum anderen ist man einfach sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Eine Ausnahme stellen, wie man mir mehrfach versicherte, Kongresse wie das Treffen gegen Militarisierung in San Cristobal im letzten Frühjahr dar. In Chiapas wird immer wieder betont, wie sehr man dem Kampf der guatemaltekischen Guerillas gegen die wechselnden Militärregime und die Oligarchie Tribut zolle. Der bewaffnete Kampf wird als ein Schritt innerhalb der Emanzipierung der Bauern und Indigenas Guatemalas auf dem Weg zur Verwirklichung ihrer Rechte gesehen. Ohne diesen Kampf wäre eine Organisierung, wie es sie heute in Guatemala gibt, wahrscheinlich nicht mög78
Ich glaube nicht an einen allzu großen Wahlbetrug. Es war die für Guatemala bestbeobachtete Wahl. Die Regierung beschloss ein Jahr vor den Wahlen, die Zivilpatrouillen durch Schuldenaufnahme zu bezahlen. So erhielten etwa 520000 ehemalige paramilitärische Mitglieder der Zivilpatrouillen Zahlungen. Die FRG spekulierte auf die Stimmen von den Angehörigen der Zivilpatrouillen und ihren Familien, insgesamt 1,5 bis 1,9 Millionen Stimmen, um die Wahlen zu gewinnen. Die Leute nahmen natürlich das Geld und protestierten bei Nichtzahlungen. Aber sie vertrauten auf eine geheime Wahl und wählten, was sie wollten. Sie küssen nicht die Hand, die ihnen dieses Staatsgeld aushändigt. Die Indígenaverbände warnten die FRG-Regierung immer wieder, sie solle nicht glauben, das „voto indio“ so kaufen zu können. Daher bin ich bezüglich des politischen Bewusstseins, der politischen Entwicklung der Indígenas sehr hoffnungsvoll, hoffnungsvoller als mit den Ladinos. Guatemala wird wahrscheinlich wieder eine oligarchische Regierung bekommen, die diese ganzen Elemente der Zivilbevölkerung, der Bewegung gegen Rios Montt, nicht wird aufnehmen können oder wollen. Die GANA ist keine Partei der Landreform. Wie könnte eine Form der Entschädigung aussehen, die in den Friedensverträgen vorgesehen und noch nicht erfolgt ist? Bisher wurden ausschließlich die Täter entschädigt. Gibt es eine Form der Entschädigung, die allen zu Gute kommen könnte? Die Mitglieder der Zivilpatrouillen sind meistens gezwungen worden mitzumachen, aber es gibt auch viele Täter unter ihnen. Es war eine antidemokratische rechtsterroristische Bewegung. Trotzdem ist bei den insgesamt 800 000 Angehörigen der Patrouillen genau zu differenzieren. 11
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andere Klasse. Das ist die interpersonelle Diskriminierung. Eine gesetzliche Diskriminierung besteht in der Nichtberücksichtigung der Multikulturalität im Rechtssystem. Die Existenz der 23 Sprachen kommt weder in der Rechtsordnung noch im Institutionensystem vor. In den existierenden Institutionen hingegen nimmt die Zahl der beschäftigten Indígenas umso mehr ab, je höher es in die Hierarchien hinaufgeht, sowohl in der Wirtschaft als auch in Politik und Wissenschaft. Die Indígenas bilden ein nicht erschöpftes Reservoir an Intelligenz und Friedensfähigkeit. Die stärkste Form der Diskriminierung ist die infrastrukturelle. Legt man die Karten mit dem Gebiet der höchsten Analphabetenrate, der schlechtesten Versorgung mit Polizei und Justiz und der größten Armut übereinander, so ergeben sich die indigenen Gebiete. Dies wird international überhaupt nicht wahrgenommen. Deshalb fehlen entsprechende Aufrufe und Sanktionen.
lich gewesen. Genaueres weiß man jedoch nicht über die aktuellen Prozesse in Guatemala.
Alle Gründe, die damals den bewaffneten Kampf ausgelöst haben, existieren auch heute noch. Allerdings ist im Bewusstsein der Menschen der bewaffnete Kampf kein Weg mehr. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass er noch mehr Armut brachte. Alle Nicht-Diskriminierten schieben den ganzen Komplex der Diskriminierung auf die Indígenas. „Ihr müsst euch einigen!“ Einige dich mal mit 23 verschiedenen Sprachen, die so weit oder nah sind wie Ungarisch und Deutsch. Die Partei, die politische Gruppierung, die Bewegung gegen die Diskriminierung, gibt es hier nicht. Das ist eine Charakteristik Guatemalas. Dieses Problem müssen wir uns in den entwickelten reichen Ländern genau vor Augen führen. Es ist hier nicht wie in Chile oder Argentinien mit seinen Entwicklungsmöglichkeiten, sondern eher wie in einem afrikanischen Land.
Der größte und wichtigste und damit prägendste Unterschied zwischen beiden Regionen ist sicherlich die trotz aller Gemeinsamkeiten die sehr unterschiedliche geschichtliche Entwicklung. In Guatemala explodierten die sozialen Kämpfe unter zunehmend repressiven Regimes in den siebziger Jahren und mündeten in den Aufbau starker Guerillastrukturen, die über Jahre in einem Bürgerkrieg mit dem Staat verwickelt waren. Ein unglaublich repressiver und diktatorischer Staat versuchte mit einem Genozid an den Indigenas den Aufständischen das Wasser abzugraben und den sozialen Widerstand zu vernichten, was fast gelang. Der Friedensvertrag, der 1996 von Regierung und Guerilla unterzeichnet wurde ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Man muss miteinbeziehen, dass der „demokratische“ Staat der heute existiert das Produkt der Militärs der 80er Jahre ist, die einsahen dass ein diktatorisches Regime nicht geeignet ist ohne große internationale Proteste die eigenen Ideen umzusetzen. So ist es nicht verwunderlich, dass von dem auf dem Papier eigentlich fortschrittlichen Friedensvertrag nur die wenigsten Passagen umgesetzt wurden. Das kritische Potential der guatemaltekischen Bevölkerung wurde von den Militärs systematische dezimiert, was sich heute im Fehlen durchsetzungsfähiger Köpfe zum Aufbau neuer sozialer Bewegungen zeigt.
Wie erklären Sie sich, dass genau in den marginalisierten, vom Bürgerkrieg am stärksten betroffenen Gebieten die FRG die meisten Stimmen bekommen hat, womit sie auch nach der Niederlage von Rios Montt die die FRG zweitstärkste Partei bleibt?
Ähnlich sieht es in Guatemala aus. So weiß man dort kaum Genaueres über den Aufstand der Zapatisten und die wenigsten indigenen Organisationen Guatemalas haben sich mit dem Konzept indigener Autonomie und Basisdemokratie auseinandergesetzt. Durch die indigene Mehrheit im Hochland gibt es dort ein ganz anderes Selbstbewusstsein der indigenen Gemeinschaften. Die sozialen Bewegungen und die neuen Organisationen, die in Mexiko schon 1994 angestoßen von den Botschaften der Zapatisten entstanden, sind in Guatemala erst im Aufbaustadium. Nur wenige Gruppen wie die HIJOS versuchen sich direkt mit den Bewegungen in Chiapas zu vernetzen und positiv auf den Aufstand zu beziehen.
Guatemala hat viele Probleme, und die FRG hat einige dieser Probleme aufgegriffen, z. B. auch einen Teil des Rassismusproblems. Die FRG hatte im Vergleich mit anderen Parteien die meisten Indígenas in ihren Reihen. Durch die Struktur der Partei sind Nominierungen für das Parlament persönliche Entscheidungen von Rios Montt. Außerdem brachte der bewaffnete Kampf Tote auf beiden Seiten. Indígenas befanden sich sowohl auf Seiten der Soldaten, Zivilpatrouillen und Milizen als auch auf Seiten der Guerilla. Hingegen waren die Führer auf beiden Seiten Nicht-Indígenas. Eine breite 10
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Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahlen für die Zukunft Guatemalas?
Die indigenen Organisationen aus Guatemala beschäftigen sich viel stärker mit Möglichkeiten von Reformen innerhalb des Staates und den von der Regierung unterzeichneten Friedensverträgen, als mit Möglichkeiten, Lebensformen parallel zum Staatssystem umzusetzen, wie es in Chiapas der Fall ist.
Die Niederlage des früheren Militärdiktators Rios Montt bei den Präsidentschaftswahlen gründet sich insbesondere in der Rückkehr Guatemalas zur Zivilgesellschaft. Ein breiter Teil der Bevölkerung ist gegen die alten Diktatoren und die sehr autoritäre, stark um Rios Montt strukturierte Regierungspartei FRG, die zerfallen wird. Auf der anderen Seite sind die beiden stärksten Parteien der letzten Präsidentschaftswahlen GANA und PAN keine Parteien mit einer breiten sozialen Verankerung. Eine gegen die Oligarchie gerichtete Vertretung der Linken existiert nicht. In Guatemala gehören drei Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Bodens. Gleichzeitig lebt die Hälfte der Bevölkerung von der Landwirtschaft, darunter ein erheblicher Teil von der Subsistenzwirtschaft. Diese Menschen drängen sich auf dem wenigen verbleibenden Boden. Wie erklären Sie sich, dass es die linken Parteien, sei es URNG oder ANN, nicht schafften, genau da anzusetzen?
Chiapas hat als Teil Mexikos zumindest von einem Teil der sozialen Reformen der Mexikanischen Revolution von 1911 profitiert. Wobei in Chiapas durch eine ungebrochene Macht regionaler oligarchischer Eliten die Reformen der Revolution und späterer fortschrittlicher Regierungen nur zum Teil – insbesondere im agrarischen nicht - umgesetzt wurden. Trotz allem gab es einen relativen sozialen Frieden, der auch durch die Versuche, nach 1968 Guerillabewegungen aufzubauen, nicht gestoppt wurde. Während in Guatemala der Bürgerkrieg tobte, fanden Intellektuelle und NGO´s in Mexiko Zuflucht und gab es große Flüchtlingslager entlang der gemeinsamen Grenze. Im Zentrum nationaler und internationaler Aufmerksamkeit steht Chiapas erst seit dem Aufstand der Zapatisten 1994. Die Bewegung trat zu einer Zeit ans Licht, als in Guatemala die Guerilla und die sozialen Bewegungen gerade viel Macht verloren und im Friedensprozess steckten. Anstatt nach kurzer Zeit wieder zu verschwinden, haben die Zapatisten in den letzten zehn Jahren beeindruckende autonome indigene Strukturen entwickelt, wie sie zu keinem Zeitpunkt in Guatemala existierten, noch zur Debatte standen.
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Durch die systematischen Massaker während des Bürgerkriegs an der Linken gibt es weder eine sozialdemokratische Partei noch ein breites Spektrum von Intellektuellen, Lehrern, Wissenschaftlern, Gewerkschaftern, von sozial oder christlich engagierten Leuten. Unter Linke verstehe ich nicht nur, was bei uns SPD oder PDS ist, sondern jeden, der sich irgendwie politisch betätigt. Diese ganze Generation der Blairs und Schröders, aber auch der Aznars sind in Guatemala systematisch umgebracht worden. Es fehlt eine ganze Generation. Einerseits führte dies zu einer allgemeinen Entpolitisierung. Auf der anderen Seite ging ein Teil der politischen Aktivisten ins Exil und einige andere wie Nineth Montenegro sind gegen die Militärs auf die Straße gegangen. Nineth Montenegro entwickelte als Kongressabgeordnete eine unglaubliche Stärke und ist für uns eine große Unterstützung, denn wir können nur verstärken, was sowieso gesagt wird. Ein weiterer markanter Faktor in Guatemala ist die Rassendiskriminierung. Sie funktioniert hier folgendermaßen: Alle sagen, sie seien keine Rassisten. Rassismus aus Ignoranz ist aber auch Rassismus. Mit der Hälfte der Bevölkerung, nämlich den Indígenas, will das hauptstädtische kleinbürgerliche Milieu nichts zu tun haben, es sei denn als Hausangestellte. Aber die darf bitte schön ihre Wäsche nicht in der selben Waschmaschine waschen wie sie. In den kleinbürgerlichen Haushalten sind die von den Indígenas in Chichicastenango gewebten bunten Tücher nicht zu finden, denn das ist eine 9
Chiapas y Guatemala
Tom Koenigs
„Die Friedensverträge sind ein Programm, vergleichbar dem einer sozialen, modern eingestellten Partei.“
Chiapas y Guatemala
Ausblick
Im Unterschied zu den Guerillas in Guatemala, die von mestizischen Städtern gegründet wurden und nur zum Teil die Belange der Indigenas aufgriffen – wobei die Führungsebene die gesamte Zeit von Mestizen besetzt war – ist die EZLN eine rein indigene Bewegung. Dies gilt auch für die meisten der Basisorganisationen in Chiapas. Einen Austausch mit der nichtindigenen Bevölkerung findet hauptsächlich über Solidaritätsprojekte statt. Diese Solidarität, die in den 70er und 80er Jahren auch international sehr stark Guatemala galt, ist dort heute fast weggebrochen. Die indigenen Organisationen aus Guatemala beschäftigen sich viel stärker mit Möglichkeiten von Reformen innerhalb des Staates und den von der Regierung unterzeichneten Friedensverträgen, als mit Möglichkeiten, Lebensformen parallel zum Staatssystem umzusetzen, wie es in Chiapas der Fall ist. International gilt die Aufmerksamkeit eher Chiapas als Guatemala. Guatemala ist durch die Friedensverträge offiziell befriedet. Aus Chiapas tönen hin und wieder die Zapatisten mit ihren Botschaften in die weite Welt. Während in Chiapas noch etwas wie die gemeinsame Idee eines Kampfes zu spüren ist, arbeiten die NGO´s in Guatemala jeder für sich an kleinen, marginalen Projekten.
Tom Königs stand von August 2002 bis Ende 2004 an der Spitze von MINUGUA. Die Mission der Vereinenten Nationen zur Überwachung der Friedensverträge (MINUGUA) kam 1997 ins Land und war in allen Landesteilen präsent. Die Organisation stand bei allen Konfliktparteien im Ruf, gute und unparteiische Arbeit zu leisten. Der in der Frankfurter Studentenbewegung politisch sozialisierte Königs war in den neunziger Jahren grüner Umweltdezernent und später Stadtkämmerer in Frankfurt/M. Von 1999 bis 2002 war er stellvertretender Sonderbeauftragter für die Zivilverwaltung in der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo. Seit Anfang 2005 ist er Menschenrechtsbeauftragter der Deutschen Bundesregierung. Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Malte Schnitger am 21. November 2003 im Büro von MINUGUA in Guatemala Stadt.
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Chiapas y Guatemala
Ausblick
Chiapas y Guatemala – Wie weiter?
Einen Ausblick in die Zukunft zu wagen ist schwer, unterliegen die politischen Prozesse insbesondere in den lateinamerikanischen Ländern doch wenig verlässlichen Konstanten. Dennoch sind immer wieder aktuelle Entwicklungen zu beobachten und zu kommentieren, die so traurig es ist, sich immer wieder den negativen Nachrichten der letzten Jahrzehnte gleichen. Positive Akzente gibt es zumindest von der offiziellen Seite der Politik her kaum zu beobachten. Fast ein Jahr nach dem Amtsantritt Oscar Bergers ist es an der Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Über 30 Jahre Bürgerkrieg haben das Land in jeder Hinsicht tief getroffen und zerrüttet. Die sozialen Konflikte, die in den 60er und 70er Jahren zum Aufbau der Guerillas führten, bestehen bis heute ungelöst fort. Auch Oscar Berger hat es bisher nicht geschafft, sich an sie heran zu wagen. Er hat im Gegenteil durch zahlreiche gewalttätige Räumungen von besetzten Fincas noch düsterere Wolken aufziehen lassen. Eine von vielen als Schlüssel empfundene Landreform, die breiten Teilen der indigenen Landbevölkerung zu Gute kommen müsste, scheint unter ihm undenkbar. Dazu müsste die Agro-Industrielle Oligarchie von der Verteidigung ihrer alteingesessenen Privilegien abrücken. Und davon ist man immer noch weit entfernt. Auch das Rassismusproblem, dass manche zu Vergleichen mit der Apartheid veranlasst, ist nicht im mindesten andiskutiert, geschweige denn auf den Weg der Lösung gebracht. Die Ausmaße der Korruption, die unter dem letzten Präsidenten Portillo erblühte, sind beängstigend. Es besteht unangetastet ein Geflecht von staatlichen Funktionären, Militärs, organisiertem Verbrechen und paramilitärischen Kräften, das die Macht in ihren Händen hält. So verwundert es auch nicht, dass die Einrichtung der CICIACS nicht so recht gelingen will. 82
Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
Wirkliche strukturelle Veränderungen hat trotz der Verpflichtung der Friedensverträge keine demokratische Regierung bis jetzt vorgenommen. Besonders deutlich wird dies im Agrarsektor, wo die extrem ungerechte Landverteilung fortbesteht. Auf eine harte Zerreißprobe wurde Guatemala mit den Präsidentschaftswahlen im November 2003 gestellt. Als aussichtsreichster Kandidat galt Rios Montt, gegen den Menschenrechtsorganisationen Klagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einreichen wollen. Letztlich wurde vom Verfassungsgericht seine Kandidatur bestätigt. Im Land war eine starke Polarisierung zu beobachten, verstärkt durch die Initiative des letzten Amtsinhabers Portillo, die ehemaligen paramilitärischen Gruppen zu entschädigen. In punkto Wahlen erwies sich die guatemaltekische Demokratie jedoch als krisenfest und verwies Rios Montt auf einen Dritten Platz. Unterstützt von Hunderten nationalen und internationalen Wahlbeobachtern wurde in einem zweiten Wahlgang im Dezember 2003 der Unternehmer Oscar Berger zum neuen Präsidenten gewählt. Im Gegensatz zu den Hoffnungen die es nach der Unterzeichnung der Friedensverträge 1996 für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation gab, hat es nur eine kurze Phase der Erholung gegeben. Insbesondere in den letzten Jahren haben Verbrechen gegen Menschenrechtsaktivisten wieder massiv zugenommen. Es gibt große Defizite bei der Polizei und der Justiz, die ein allgemeines Klima der Straffreiheit fördern. Die Alltagskriminalität hat einen rasanten Anstieg erfahren und paralysiert insbesondere das städtische Leben. Aber auch angesichts der Bedrohungen gehören die Menschenrechtsorganisationen zu den stärksten und kritischsten Stimmen im Land. Von ihnen ging auch die Initiative zur Schaffung der CICIACS, einer Kommission zur Untersuchung illegaler Corps und clandestiner Sicherheitsapparate aus. Während der Zeit des Bürgerkrieges gab es in Guatemala keine linke Vertretung innerhalb des Kongresses, da linke Politik immer mit den revolutionären Bewegungen in Verbindung gebracht und verfolgt wurde. Nach Unterzeichung der Friedensverträge formierten sich unterschiedliche Gruppierungen mit meist sehr kurzer Lebensdauer. Die Nationale Guerillakoordination Guatemalas URNG wandelte sich ebenfalls in eine politische Partei um. Bei den drei Wahlen die es seit den Friedensverträgen gab, kamen die linken Parteien nie über 10% der Stimmen hinaus und die linken Präsidentschaftskandidaten hatten nie reale Chancen. Linke Politiker haben auch heute noch oft unter Bedrohungen und Verfolgungen zu leiden.
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Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
zusammenschlossen. Anders als beispielsweise in El Salvador oder Nicaragua schafften sie es jedoch nie, den Staat militärisch ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Trotzdem bekämpfte der Staat die Guerilla mit unglaublicher Brutalität. Vor allem unter den Generälen Rios Montt und Lucas Garcia wurde die Aufstandsbekämpfung mit der Politik der verbrannten Erde perfektioniert, der Tausende unschuldig Campesinos zum Opfer fielen. 1998 legte der Bericht der Wahrheitskommission offen, dass über 90% der Verbrechen im Bürgerkrieg vom Militär verübt wurden.
Mit der Unterzeichung eines ersten Abkommens über die Einhaltung der Menschenrechte kam nach mehrjährigen vorsichtigen Annäherungen der Friedensprozess 1994 in Gang. Dieses Abkommen schaffte die Grundlage für den Beginn der UN-Mission MINUGUA. Bis zur Unterzeichung des endgültigen Friedensabkommens in Guatemala-Stadt im Dezember 1996 wurden zahlreiche Einzelpunkte verhandelt, wie die Rolle des Militärs in einer zivilen Gesellschaft, die Aufklärung der zahlreichen MR-Verletzungen, sowie die Rechte der indigenen Bevölkerung. Damit war der Bürgerkrieg formal beigelegt, aber wie es die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu ausdrückte: “Denn Frieden ist nicht einfach die Abwesenheit von Krieg, wenn es keine Scharmützel und keine Schlacht mehr gibt. Frieden ist auch, Essen zu haben, in einem menschenwürdigen Haus zu leben, Respekt voreinander zu haben.“ 6
Chiapas y Guatemala
Ausblick
Die Zivilgesellschaft ist leider immer noch schwach und gespalten, Frucht eines erfolgreichen Konterguerillakrieges. Auch Berger hat es wie so viele Präsidenten vor ihm meisterhaft geschafft, wichtige Köpfe der Zivilgesellschaft in seine Regierung einzubinden, wie die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, die Botschafterin Ad Honorem des Friedens geworden ist. Trotzdem gibt es immer mehr Organisationen, die angesichts der Misere nicht mehr schweigen, die versuchen, der Machtelite immer neue Kompromisse abzuringen und auf lokaler Ebene den Aufbau einer neuen Gesellschaft in Angriff nehmen. Die Bauernbewegungen haben dabei mit Abstand das größte Mobilisierungspotential. Bis sich jedoch signifikante Ergebnisse zeigen, wird es noch ein weiter Weg sein. Auch wenn der Jahreswechsel 2004-2005 ohne großen öffentlichen Auftritt der Zapatisten zu Ende gegangen ist, halten diese allen Unkenrufen zum Trotz weiter ihre Stellung in den verschiedenen Regionen von Chiapas. Auch wenn es immer wieder Nachrichten über den Abbruch von Unterstützergemeinden gibt, so beeinträchtigt dies insgesamt doch kaum die zapatistische Bewegung. Ob ein Fehlen von großen medien-wirksamen Aktionen wie des Marsches nach Mexiko Stadt im Frühjahr 2001 als eine Schwäche der Bewegung zu begreifen ist, oder sich die Zapatisten mehr auf die Selbstorganisation konzentrieren, ist Interpretationssache. Festzuhalten ist, dass die Zapatisten weiterhin starke Präsenz zeigen, daneben aber unzählige andere Organisationen in Chiapas sich des sozialen Kampfes angenommen haben. Immer noch sind zwei Lager auszumachen, diejenigen, die mit der Regierung zusammenarbeiten und über Geld und Projekte verfügen und diejenigen, die dies ablehnen, solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern. Und die Rahmenbedingungen sind weiterhin hart. Da können der Bundespräsident Fox und der Gouverneur Salazar noch so viel Werbung für Frieden in Chiapas machen, ein negativer Beigeschmack bleibt, wenn man nach dem Sinn der Militarisierung fragt. Und die neuen Projekte mit der GTZ und der EU in der Selva Lacandona geben klar die Richtung der Politik vor: Neoliberale Großprojekte, Ausbeutung der Ressourcen verbunden mit selektiver Entwicklung regierungsnaher Gemeinden. Naturschutz wird vorgegeben, solange er den eigenen Projekten nicht im Wege steht. Dies ist immer noch konträr zum Konzept eines selbstbestimmten und würdigen Lebens indigener Gemeinschaften in Chiapas und anderer Regionen Mexikos.
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Chiapas y Guatemala
Glossar
Glossar Allgemein ALCA ASC CAFTA
Campesino GATS GTZ Indigenas
Ladinos NAFTA OEA Paramilitärs PPP School of the Americas WTO
Area Latinoamericana de Libre Comercio – Gesamtamerikanische Freihandelszone, geplant ab 2005 Allianza Social Continental – Zusammeschluss der sozialen Bewegungen Lateinamerikas Central American Free Trade Area – Mittelamerikanische Freihandelszone zwischen den USA, Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Panama; soll Anfang 2005 in Kraft treten Kleinbauer der von der Subsistenzwirtschaft lebt General Agreement on Trade in Services – Dienstleistungsabkommen innerhalb der WTO Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit Staatliche Deutsche Entwicklungsorganisation Bezeichnung für die indigene Bevölkerung oder Ursprungsbevölkerung die vor der Kolonialisierung Lateinamerika bevölkerte – ersetzt den als abwertend empfundenen Begriff des Indio Mischlingsbevölkerung zwischen Nachfahren der Spanier und Indigenas North American Free Trade Area – Nordamerikanische Freihandelszone zwischen Mexiko, den USA und Kanada, seit 1994 in Kraft Organisation Amerikanischer Staaten Bezeichnung für bewaffnete Gruppen die mit oder ohne Unterstützung des Staates meist gegen die linken Guerillas agieren Plan-Puebla-Panama; Plan der mexikanischen und zentralamerikanischen Regierungen zur wirtschaftlichen Entwicklung Offiziersschule in den USA die unter zweifelhaftem Ruhm steht, da dort viele lateinamerikanische Folterknechte und Diktatoren ausgebildet und in Techniken der Aufstandsbekämpfung geschult wurden World Trade Organization – Welthandelsorganisation
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Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
Mit 56% der Bevölkerung stellt die indigene Bevölkerung in Guatemala die Bevölkerungsmehrheit. Die über 20 verschiedenen Ethnien, die über das ganze Land verteilt leben, insbesondere jedoch im Hochland, stammen zum Großteil von der Hochkultur der Maya ab. Nur an der Karibikküste gibt es eine Enklave der Garifunas, Nachfahren schwarzer Sklaven aus der Karibik. Mit Beginn der Kolonialisierung setzte ein bis heute andauernder Prozess der Assimilierung und der Unterdrückung ihrer Kulturen ein. Heute sind sie der marginalisierteste Teil der guatemaltekischen Gesellschaft und leben meist von der Subsistenz-wirtschaft. Indigene Widerstände und Rebellionen gibt es seit Jahrhunderten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Indigenen Forderungen waren auch zentraler Bestandteil der revolutionären Bewegungen Guatemalas. In den letzten Jahren spricht man von einer Renaissance indigener Bewegungen und einem neuen Selbstbewusstsein. Mitte des 19. Jahrhunderts begann unter tatkräftiger Hilfe deutscher Pflanzer der forcierte Kaffeeanbau. Mit Hilfe von Zwangsarbeit und erpresserischen Gesetzen, welche den Indigenas ihr Land raubten, wurden weite Teile der fruchtbaren Hochtäler in Kaffeemonokulturen umgewandelt. Anfang des 20. Jahrhunderts begann unter dem Präsident General Ubico das USamerikanische Unternehmen „United Fruit Company“ in Guatemala Fuß zu fassen und einen flächendeckenden Bananenanbau - insbesondere an der Karibikküste - hochzuziehen. Mit der Zeit wurde die Macht der UFCO so groß, dass sie zum Staat im Staate und zum größten Landbesitzer wurde. Anders als in Mexiko gab es in Guatemala keine Revolution, die die Herrschaftsverhältnisse umgestoßen hätte. In der Zeit des demokratischen Frühlings in den 40er und Anfang der 50er Jahre, nach jahrzehntelanger autokratischer Herrschaft, wurden jedoch erste vorsichtige Reformen eingeleitet. Verbesserte Arbeitsgesetze, eine Ausweitung des Wahlrechts sowie eine vorsichtige Landreform standen im Mittelpunkt. Im Juni 1954 wurde diese Phase mit dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung durch eine von den CIA und der UFCO finanzierten Söldnerarmee beendet. Das Militär übernahm die Macht im Land und sollte diese bis heute nicht mehr ganz loslassen. In einer großen Repressionswelle mit Tausenden Opfern zerschlug das Militär alle demokratischen Kräfte im Land. Anfang der 60er Jahre entstand aus einer Reformbewegung innerhalb des Militärs eine erste Guerillagruppe, die jedoch relativ schnell zerschlagen wurde. Der Hass der Oligarchie und des Militärs richtete sich gegen jede zivile und demokratische Opposition im Land. Fast täglich verschwanden Oppositionelle. In diesem Klima entstanden Anfang der 70er Jahre neue Guerillagruppen, die sich 1982 zur URNG (Nationale Revolutionäre Einheit) 5
Chiapas y Guatemala
Einführung Guatemala
Chiapas y Guatemala
Glossar
Guatemala
Guatemala – Eine Einführung
Alfonso Portillo Alvaro Colom ANN CACIF CCDA CEH CIACS CICIACS CNOC CONAVIGUA
Guatemala hat vor allem eines zu bieten: eine unglaubliche naturräumliche Diversität auf kleinem geographischem Raum. Ähnlich wie Chiapas ist das Land dabei geprägt von Großgrundbesitz und exportorientierter Landwirtschaft im fruchtbaren Tiefland, sowie Subsistenzwirtschaft der mehrheitlich indigenen Bevölkerung im Hochland. In Zahlen ausgedrückt heißt dies: 96% der Produzenten bewirtschaften ausschließlich 20% der wirtschaftlichen Nutzfläche, während 0,2% 70% davon besitzen. Kaffee und Bananen sind die beiden Produkte, die seit über 100 Jahre bis heute den Export und die Diviseneinkünfte bestimmen. Die Versuche zur Industrialisierung und Diversifizierung der Landwirtschaft trugen kaum Früchte. Aus dem Boden geschossen sind dagegen in den letzten 20 Jahren die sogenannten Maquilas, Billiglohnfabriken, die für den Weltmarkt produzieren.
CONIC COPREDEH Defensoria Maya EMP Ex-PAC
Fontierra FRG Friedensverträge
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Ehemaliger Präsident Guatemalas von 2000 bis 2004 für die FRG Kandidat de UNE für das Amt des Präsidenten bei der Stichwahl im Dezember 2003 Allianz Neue Nation, Linkspartei Unternehmerverband Guatemalas Comitee Campesion del Altiplano; Kleinbauernorganisation Guatemalas Comission de Esclarecimiento Historico; Wahrheitskommission der VN nach dem Bürgerkrieg Cuerpos illegales y aparatos clandestinos de seguridad ; Illegale Corps und geheime Sicherheistapparate Comision para la investigacion de los CIACS ; Kommission zur Untersuchung der CIACS ; scheitert am Widerstand der Regierung Berger Coordinacion Nacional de Organisaciones Campesinas; Nationale Koordination der Kleinbauernorganisationen Guatemalas Coordinacion Nacional de Viudas de Guatemala – Nationale Koordination der Witwen Guatemalas Coordinacion National Indigena y Campesino Indigene Kleinbauernorganisatino Guatemalas Comision Presidencial de Derechos Humanos; Menschenrechtskommission des Präsidenten Maya Staatsanwaltschaft Estado Mayor Presidencial; Präsidentengarde, in viele Menschenrechtsverbrechen in Guatemala verwickelt Ex Patrouilleros de Autodefensa Civil – Ehemalige Zivilverteidigungspatrouillen; Im Bürgerkrieg vom Militär ins Leben gerufen um als Paramilitärs die Guerilla zu bekämpfen; durch eine Initiative auf Entschädigung 2003 reaktiviert Fondo de Tierras, Landfonds der Regierung Frente Republicano de Guatemala; Republikanische Front Guatemalas, Regierungspartei der letzten Regierungsperiode Bezeichnung für eine Reihe von Abkommen die mit einer feierlichen Unterzeichnung im Dezember 1996 85
Chiapas y Guatemala
GANA Lucas Garcia MINUGUA Oskar Berger PDH REMHI Rios Montt UNE URNG Voto Util
Glossar
den Bürgerkrieg in Guatemala beendeten Gran Allianza Nacional; Große Nationale Allianz, momentan Regierungspartei des Präsidenten Berger Ehemaliger Diktator Guatemalas Mission der Vereinten Nationen zur Verifizierung der Friedensverträge in Guatemala Seit Anfang 2004 Präsident Guatemalas Procuraduria de Derechos Humanos ; Menschenrechtsstaatsanwaltschaft, Staatliche Institution die aus den Friedensverträgen hervorging Recuperacion de la Memoria y Historia, kirchliche Wahrheitskommission die Bericht Nunca Mas herausbrachte Ehemaliger Diktator von 1982-83 ; Blutigste Zeit der Bürgerkrieges ; war 2003 Präsidentschaftskandidat für die FRG Union Nacional de Esperanza ; Nationale Einheit der Hoffnung, Partei von Alvaro Colom Unidad Revolucionaria Nacional de Guatemala; Nationale Guerillakoordination Guatemalas; nach den Friedensverträgen Transformation in politische Partei Bedeutet nützliche Stimmabgabe – “Das kleinste Übel”
Chiapas Abejas Aguascalientes Autonome Gemeinden CAPISE Caracoles Chenalho Compas -
Bienen – Religiöse Gemeinschaft die im Hochland angesiedelt ist Alte Versammlungszentren der EZLN und Treffpunkt für und mit der Zivilgesellschaft Zusammenschluss zapatistischer Gemeinden, die unabhängig von der Regierung organisiert sind NGO aus Chiapas die im Februar eine Studie über Militarisierung in Chiapas veröffentlicht hat Schnecken; lösten die Aguascalientes ab; Sitz der Guten Regierungen der Zapatisten; Versammlungszentren Bezirk im Hochland von Chiapas mit sehr hoher Präsenz von Paramilitärs Bruder, Kollege; Bezeichnung der Zapatisten für ihre 86
Chiapas y Guatemala
Einleitung
Beide Regionen standen über mehrere Jahrhunderte unter dem Einfluss der Hochkultur der Maya. Für den Kolonialismus, der Lateinamerika in die Abhängigkeit Europas trieb, gehörte die Region zu den mittelamerikanischen Provinzen. Erst die Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert und der später erfolgte Anschluss von Chiapas an Mexiko trennten das Schicksal der beiden Regionen. Als in Guatemala der über 30-jährige Bürgerkrieg Mitte der 90er zu Ende ging, begann zu dieser Zeit erst der Konflikt in Chiapas an die Ober-fläche zu treten. Die Friedensverhandlungen wurden durch den Beginn des Aufstandes der Zapatisten 1994 noch beschleunigt. So sind heute die Zapatisten in Chiapas weltweit ein Beispiel für eine neue Form des zivilen Widerstandes. Die Organisationen in Guatemala haben nach jahrzehnten erfolglosen Widerstandes und bewaffneten Kampfes mit einer großen Resignation zu kämpfen. Für beide Regionen gleichermaßen ist eine krasse soziale Ungerechtigkeit sowie eine Marginalisierung der indigenen Bevölkerung kennzeichnend. Das Interesse und der Reiz, beide Regionen auf einer Reise zu verbinden und thematisch zusammenzubringen, lag für mich zum einen in der geographischen Nähe und zum anderen in der gemeinsamen geschichtlichen Entwicklung begründet. Es war der Versuch, eine Brücke zwischen den Widerstandsbewegungen der beiden mittelamerikanischen Regionen zu schaffen. Während einer sechsmonatigen Reise durch Chiapas und Guatemala für CAREA e.V. im Winter 2003/2004 führte ich in beiden Regionen zahlreiche Interviews mit politischen Akteuren und Vertretern der sozialen Kämpfe. Ob die Vertreterin der Witwen Guatemalas, Rosalina Tuyuc, die linke Abgeordnete Nineth Montenegro oder das Mitglied der Generalkommandantur der EZLN, Comandante Moises, in meinen Augen leisten sie einen gemeinsamen Widerstand gegen ein System, das der Mehrheit der Bevölkerung ein Leben in Frieden und Würde verwehrt. Auch wenn ihre Widerstandsformen andere sind, die Bauernorganisationen Guatemalas den Fokus ihres täglichen Kampfes anders legen als die Gemeinschaft der Abejas in Chiapas oder städtische Maya-Intelektuelle, gemeinsam ist ihnen das Ziel strukturelle Veränderungen zugunsten der Indigenas und Campesinos zu schaffen. Analytischere Blicke auf die Prozesse vor Ort, wie von Tom Koenigs, als ehemaligem Leiter der UN-Mission Guatemalas MINUGUA, oder von Marina Pages von der internationalen Friedensorganisation SIPAZ, runden die Broschüre ab. Die Interviews sind redaktionell überarbeitet, aber bewusst nicht aktualisiert, da sie einmalige Stimmen aus Guatemala darstellen, die über die tagesaktuellen Themen hinausgehen.
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Chiapas y Guatemala
Einleitung
Chiapas y Guatemala
Glossar
Companeros Ejido
Chiapas y Guatemala
Mexiko und Guatemala stehen in Deutschland höchst selten im Fokus des öffentlichen Interesses. Den Medien sind die Geschehnisse in den beiden lateinamerikanischen Ländern meist nur Randnotizen wert. Wenn etwas näher beleuchtet wird, so ist es das touristisch Verwertbare: die landschaftlichen Schönheiten, die beeindruckenden Pyramiden der vorkolumbianischen Hochkultur der Maya, die kolonialen Städte und die bunten Märkte der Indigenas. Nur der weitgehend gewaltlose Aufstand der vermummten Zapatisten in Chiapas hat es seit 1994 geschafft, zumindest in der Alternativpresse und interessierten Kreisen eine stetige Neugier zu erzeugen. Dass beide Länder formal demokratische Staaten sind, ändert nichts an der Tatsache, dass dort die sozialen und politischen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Zahlreiche soziale Kämpfe prägen das Leben der Menschen im Süden Mexikos und in Guatemala. Während in Chiapas der Fokus des Widerstandes die Rebellion gegen die ungerechten Lebensverhältnisse ist, so ist in Guatemala der Kampf für die Aufarbeitung der Verbrechen des Bürgerkrieges eines der zentralen Anliegen.
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Mitglieder bzw. Anhänger Kollektives Gemeindeland; Begriff der seit der mexikanischen Revolution das Rückgrat der Landbevölkerung bildete, da es sich bis zur Verfassungsänderung 1992 um unveräußerliches Land handelte EZLN Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional – Zapatistisches Heer der Nationalen Befreiung; auch unter Zapatisten bekannt; genannt Emiliano Zapata Lacandonen Ethnie die in der Selva Lacandona lebt; wurde durch präsiden-tielles Dekret 1972 Landbesitzer über einen Großteil der Selva Ley Cocopa Gesetzesinitiative zur Umsetzung der Verträge von San Andres Ley Indigena 2001 verabschiedetes Gesetz über indigene Rechte und Kultur; höhlt die Ley Cocopa aus; Grund der Zapatisten Dialog mit der Regierung wieder abzubrechen Marcha Indigena Marsch der Zapatisten durch 31 Städte nach Mexiko Stadt zur Unterstützung der Ley Cocopa 2001 Menschenrechts- Konzept zum Schutz der indigenen Gemeinden durch beobachtung internationale Präsenz Montes Azules Region in der Selva Lacandona mit großer Biodiversität ; Biosphärenreservat Pablo Salazar Gouverneur von Chiapas für die PRD seit 2001 PRD Partido Revolucionario Democratico; Demokratische Revolutionäre Partei, Abspaltung der PRI PRI Partido Revolucionario Institucional; Partei der Institutionalisierten Revolution; Staatspartei bis 2000 Seguridad Öffentliche Sicherheit; Bezeichnet alle Polizeikräfte Publica In Chiapas gemeinsame Patrouillen mit Bundesarmee Selva Lacandona Region an der Grenze zu Guatemala; Zum Großteil der den Lacandonen zugesprochen; Hauptkonfliktgebiet Tzeltal Indigene Ethnie die hauptsächlich in der Selva von Chiapas vertreten ist Tzotzil Indigenas aus dem Hochland; Nachfahren der Maya Verträge von San Vertrag über indigene Rechte und Kultur von 1997; Andres sollte der Beginn einer Reihe von Abkommen zwischen Regierung und EZLN sein; nie umgesetzt Vincente Fox Präsident Mexikos seit 2001; gehört zur rechtskonservativen Partei PAN
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Chiapas y Guatemala
Zum Weiterlesen
Chiapas y Guatemala
Inhaltsverzeichnis
Zum Weiterlesen Galeano, Eduardo Die offenen Adern Lateinamerikas, Peter Hammer Verlag
Mexico Boris, Dieter Foxtrott in Mexiko – ISP Verlag Kerkeling, Luz La lucha sigue – Unrast Montemayor, Carlos Krieg im Paradies, Verlag Libertäre Assoziation Munoz Ramirez, Gloria EZLN: 20 und 10: Das Feuer und das Wort, Unrast Traven, B. Die Rebellion der Gehenkten - Diogenes
Inhaltsverzeichnis
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Chiapas y Guatemala
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Guatemala – Eine Einführung
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Interview mit Tom Koenigs, MINUGUA
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Leocadio Juracan, CNOC – CCDA Juan Tinay, CCDA Rosalina Tuyuc, CONAVIGUA Domingo Hernandez, Centro Maya SAQ´BE
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Estela Maldonado, URNG Nineth Montenegro, ANN
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Claudia Samayoa, CICIACS
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Chiapas – Eine Einführung
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Comandante Moises, EZLN Antonio, Las Abejas Marina Pages, SIPAZ
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Schlussbetrachtung Ausblick
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Glossar Zum Weiterlesen
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Guatemala Allebrand, Raimund Die Erben der Maya, Horlemann Verlag Mahony/Eguren Gewaltfrei stören, Die Peace Brigades International - Rotpunktverlag Menchú, Rigoberta CUC Klage der Erde, Lamuv Stumpf/Milborn (Hrsg.) Guatemala, Ein Land auf der Suche nach Frieden, Brandes & Aspel Rey Rosa, Rodrigo Die Henker des Friedens, Rotpunktverlag AutorInnenkollektiv/Infoladen Bankrott – Qué pasa? Entwicklungszusammenarbeit, Biopiraterie und Aufstandsbekämpfung
Impressum
Infostelle Nicaragua/Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit Freihandel und Widerstand in Zentralamerika
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Gewidmet meinen Gesprächspartnern in Chiapas und Guatemala und dem Widerstand für ein Leben in Würde.
Impressum: ISBN 3-931729-21-4 Verlag:
DFG-VK Bildungswerk NRW e.V. Braunschweiger Str. 22, 44145 Dortmund
1. überarbeitete Auflage 2005 - 250 Exemplare Erstveröffentlichung im Eigenverlag Fotos und Layout Felix Koltermann Druck ASTA FH Dortmund Alle Rechte liegen beim Autor Kontakt: Felix Koltermann, Haupstr. 3, 54424 Thalfang felix.koltermann@gmx.de
Olivero Castañeda de Leon
Chiapas und Guatemala, zwei Regionen mit einer gemeinsamen Vergangenheit unter spanischer Kolonialherrschaft und den Wurzeln der Hochkultur der Maya. Zwei Regionen, die geprägt sind von einer lebendigen indigenen Kultur und Tradition und starken Widerstandsbewegungen der marginalisierten Bevölkerung. Während in Guatemala Mitte der 90er der Bürgerkrieg mit Friedensverhandlungen zu einem unblutigen Ende gebracht wurde, begann in Chiapas gerade der Aufstand der Zapatisten international aufsehen zu erregen. Während in Chiapas die indigene zapatistische Bewegung ihre Autonomie immer weiter ausbaut, hat auch der Friedensprozess der indigenen Mehrheit Guatemalas kein Leben in Ruhe und Wohlstand gebracht.
Chiapas y Guatemala Widerstand und Menschenrechte 11 Interviews einer politischen Reise durch Mittelamerika
Während einer sechsmonatigen Reise durch Chiapas und Guatemala im Winter 2003/2004 führte Felix Koltermann in beiden Regionen zahlreiche Interviews mit politischen Akteuren und Vertretern der sozialen Kämpfe. Ob die Vertreterin der Witwen Guatemalas Rosalina Tuyuc, die linke Abgeordnete Nineth Montenegro oder das Mitglied der Generalkommandantur der EZLN, Comandante Moisés, in meinen Augen leisten sie einen gemeinsamen Widerstand gegen ein System, das der Mehrheit der Bevölkerung ein Leben in Frieden und Würde verwehrt. Analytischere Blicke auf die Prozesse vor Ort von Tom Koenigs als ehemaligen Leiter der UN-Mission MINUGUA oder von Marina Pages von der internationalen Friedensorganisation SIPAZ runden die Broschüre ab. In Zusammenarbeit mit CAREA e.V. und UMBRUCH-Bildungswerk ISBN 3-931729-21-4
CAREA e.V. Guatemala Chiapas
Begleitung und Menschenrechtsbeobachtung in Mittelamerika CAREA e.V. existiert seit 1992 und ist als bundesweites Projekt aus der Solidaritätsarbeit zu Guatemala entstanden. Als deutsche Menschenrechtsorganisation bereitet CAREA e.V. Menschenrechtsbeobachter für die Konfliktregion im südmexikanischen Chiapas und Zeugenbegleiter für die Prozesse gegen die ehemaligen Dikatoren Rios Montt und Lucas Garcia in Guatemal vor. Vorraussetzung für die Arbeit mit CAREA ist die Teilnahme an den Vorbereitungsseminaren.
Kontakt: CAREA e.V., Haus der Demokratie und Menschenrechte Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel./Fax.: 030-42805666 www.buko.info/carea, carea@gmx.net
Eine Broschüre von Felix Koltermann in Zusammenarbeit mit CAREA e.V. und UMBRUCH-Bildungswerk Preis 2,50