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M)ein Selbst - Gedanken über ein kleines Wort

Der grammatikalischen Definition nach steht „selbst“ nach dem Bezugswort oder betont, dass nur die im Bezugswort genannte Person oder Sache gemeint ist. Im Sprachgebrauch steht „selbst“ oft statt „sogar“. Einige Beispiele von vielen aus der Bibel könnten erhellen.  Lk 24,36 (Jesus vor den Aposteln): „Während sie noch darüber redeten, stand er selbst in ihrer Mitte und sprach zu ihnen…“  Joh 1,22: „Was sagst du von dir selbst?“  Joh 5,31: „Wenn ich Zeugnis gebe über mich selbst, so ist mein Zeugnis nicht wahr.“  Joh 7,17: „Wenn jemand bestrebt ist, seinen Willen zu tun, wird er erkennen, ob die Lehre von Gott ist oder ob ich aus mir selbst rede.“  Joh 7,28: „Ich bin nicht von mir selbst gekommen.“  Joh 8,28: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts aus mir selbst tue, sondern so rede, wie mich der Vater gelehrt hat.“  Apg 20,28: „Habt nun acht auf euch selbst.“ Eindeutig scheint mir, dass Jesus sein Selbst im Vater sieht: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 1,30). David Steindl-Rast OSB hat in seinem Buch „Credo“ Ausführungen gemacht, die mir hilfreich scheinen. Er meint, wir stießen schon bei den ersten Schritten der Selbsterkundung auf den Unterschied zwischen dem Bewusstsein, das beobachtet wird, und dem höheren Bewusstsein, das beobachtet. „Es ist uns aber auch möglich zu lernen, mehr und mehr daheim zu sein im Beobachter selbst, in unserem wahren Selbst.“1 Steindl-Rast schreibt, unser Selbstverständnis werde auf eine höhere Ebene des Bewusstseins gehoben; unsere Selbstidentifizierung mit dem Ego, unserer äußeren Maske (Persona), werde für ungültig erklärt, aber das, worum es geht, unsere Selbst-Wertschätzung, werde unverlierbar bewahrt. Christen werden mit Paulus sagen: „Ich lebe, doch jetzt nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Paulus meint hier „das eine uns allen eigene Selbst, das uns zu Menschen macht.“2 Dieses Selbst ist eins mit allen und allem. Im ewigen Jetzt kennt es keine Getrenntheit, keine Zweifel, nur unbedingtes Vertrauen auf und Hingabe an das große Ganze. Selbstliebe, Nächstenliebe, Gottesliebe sind auf dieser Ebene eins. Man kann sich verlassen, seine Bedürfnisse, um sich zu verlassen auf die Einheit des Seins, bildlich gesprochen: auf das Geborgensein eines Tropfens im Ozean. Dieses Ja zur Zugehörigkeit, auf die das Ich immer hören kann, schenkt Freude, Mut, Zuversicht, Würde, Freiheit, Dankbarkeit, Zufriedenheit. Der Franziskaner Richard Rohr schreibt in seinem Buch „Alles trägt den einen Namen. Die Wiederentdeckung des universalen Christus“ über den Sinn unseres Seins: „Die Erkenntnis unseres Einsseins in Christus ist die einzige Heilung menschlicher Einsamkeit.“3 Das Wissen um den auferstandenen Christus möge die Zuversicht stärken und die Bereitschaft, dessen Botschaft im Leben zu integrieren. Dies haben die Patronin und die Gründerin der Ursulinen, Ursula und Angela Merici, beispielhaft gelebt.

(M)ein Selbst

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Gedanken über ein kleines Wort

Selbstbeobachtung, Selbsterkenntnis, Selbstfindung, Selbstverwirklichung, Selbstverständnis, Selbstwertgefühl, inneres Selbst, höheres Selbst, selbstständig, selbstbewusst… Selbst, ein häufig gebrauchter Begriff: umgangssprachlich, philosophisch, psychologisch, theologisch… Er klingt selbstverständlich, ist aber vielschichtig und wird umso schwieriger fassbar, je mehr man ihn reflektiert. „Selbst-bewusst“ wird häufig gebraucht in Bezug auf die Persönlichkeit.

Rita Juliane Kunze

Bild: Mathias Grünewald, Isenheimer Altar, Auferstehung - https://commons.wikimedia.org Quellen 1 Steindl-Rast, David: Credo: ein Glaube, der alle verbindet, Freiburg: Herder 2010, S. 19 2 a.a.O. S. 20 3 Rohr, Richard: Alles trägt den einen Namen. Die Wieder- entdeckung des universalen Christus; Gütersloh: Güters- loher Verlagshaus 2019, S. 10

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