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Jesus Christus wird ohne Zweifel in eurer Mitte sein” Verantwortung und Leitung bei Angela Merici

„Jesus Christus wird ohne Zweifel in eurer Mitte sein“ 1

Verantwortung und Leitung bei Angela Merici

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Wer Verantwortung übernimmt, braucht ein inneres und äußeres Rüstzeug dafür, sozusagen einen Werkzeug- oder Instrumentenkasten. Bei Angela Merici finden wir sowohl in ihren Schriften als auch in den Aussagen von Zeitzeugen solche Werkzeuge, die sie zu einer verantwortungsvollen Erzieherin und Leiterin der sich ihr anvertrauenden Menschen machten. Beim Lesen der Zeugnisse hatte ich mehr als einmal den Eindruck, das könne auch für unsere heutige Zeit geschrieben sein. Dabei muss uns klar sein, dass vieles, was uns heute für einen Pädagogen oder für eine Person in Leitungsfunktion selbstverständlich ist, es damals bei weitem nicht war, ja für eine Frau sogar weitgehend unvorstellbar. Im Folgenden möchte ich strukturelle, inhaltliche und spirituelle Aspekte aufzeigen, die für Angela nicht nur eine Vision waren, sondern die sie selbst in die Wirklichkeit übersetzt, genauer: zusammen mit den Jungfrauen und deren Leiterinnen und Leitern entwickelt und realisiert hat.2

Es ist sicher von Bedeutung, dass Angela lange gezögert hat, bis sie ihre Gemeinschaft – die „Compagnia di Sant‘Orsola“ – gründete. Erst mit der Zeit wurde ihr klar, worin die Aufgabe bestand, die ihr in jungen Jahren in einer Vision aufgetragen worden war.3 Wichtige Strukturelemente für diese Führungsaufgabe sind zwei Herausforderungen: erstens den jungen Frauen zu ermöglichen, ihrem Wunsch gemäß ehelos in der Welt zu leben und zu arbeiten, ohne in ein Kloster einzutreten, und zweitens eine Lebensform unter eigenständiger Leitung zu schaffen, statt einer von Männern geführten Institution. Grundlage für das Leben in der Compagnia ist die von Angela gemeinsam mit den jungen Frauen verfasste Regel, die sie ihrem Sekretär Gabriele Cozzano diktierte. Bemerkenswert: „Angelas ‚Regola‘ ist keine juristische Festschreibung von Pflichten, sondern sie ist vom ersten bis zum letzten Satz eine Ermutigung zum Leben nach den Evangelischen Räten.“4 Die Gemeinschaft hat eine ganz eigene Struktur der Leitung: Vier der jungen Frauen leiten sie in jeweils einem Bezirk der Stadt. Ihnen zur Seite stehen vier ältere Frauen, die „Mütter“, zumeist Witwen, sowie vier „im Leben erfahrene Männer“ („viri probati“!), die die Gemeinschaft in Rechtsfragen vertreten, für die die Frauen gesellschaftlich keine Rechte haben. Die jungen Leiterinnen, Colonelle genannt - so viel wie „Oberst“ - entwickeln die Gemeinschaft unter Angelas Anleitung. Vorbildlich für die übrigen Mitglieder ist ein starker Zusammenhalt unter den Leiterinnen. Dafür sind regelmäßige Treffen in der Leitungsebene nach Art einer Supervision ein wesentliches Element. Angela schärft ihnen immer wieder ein: Sie mögen in ihrem Umgang mit den jungen Frauen der Gemeinschaft gut, sanft und demütig sein, auf keinen Fall sollen sie herrschen.5 Den älteren Frauen sagt sie: „Seid gute und wirkliche Mütter und verwaltet die Einkünfte, die ihr erhaltet, zum Wohle und zur Förderung dieser Gemeinschaft, so wie es euch Klugheit und mütterliche Liebe sagen. In dieser Hinsicht möchte ich nicht, dass ihr bei Außenstehenden Rat sucht.“6 Angela akzeptiert die Mitwirkung von Männern also nur, wenn es um juristische Fragen von Lohn, Erbschaft o.ä. geht, in denen Frauen allein rechtlos sind.7 Auf die Frage, wie Angela selbst führte, hat Gabriele Cozzano, der Sekretär und Vertraute der „Madre“, seine Beobachtungen zu Protokoll gegeben: - sie führte als Antwort auf den Ruf Gottes - unter der Inspiration des Heiligen Geistes - ihre Leitung verstand sie als Dienst - sie war selbst ein Vorbild für andere - zentrale Elemente ihrer Leitung waren Dialog und Beratung

- Angelas Leitung war mütterlich - sie leitete und lehrte zugleich - und war offen für die Zukunft9 Von den Verantwortlichen verlangt sie dementsprechend, sie sollen Hüterinnen der Regel sein, voller Fürsorge handeln, als wachsame Hirtinnen des Glaubens Sorge tragen für die religiöse Bildung der jungen Frauen, Missverständnisse vermeiden und die Einheit bewahren, und besonders sollen sie auf diejenigen Schwestern achten, die in Schwierigkeiten sind.8

Sr. Ignatius Stone OSU stellt in ihrem Artikel „Teacher“ im „Angela-Alphabet“ zunächst fest, dass das Wort Lehrerin eigentlich nicht zu Angela passt. Dennoch habe sie sich im Laufe ihres Lebens zu einer Frau mit „bemerkenswerten pädagogischen Fähigkeiten“ entwickelt, und das „obwohl sie keine Schulbildung hatte und nicht flüssig schreiben konnte.“10 Stone untersucht, was Angelas Freunde und Zeitgenossen zu dem Thema geschrieben haben: Agostino Gallo, ein Freund Angelas und anerkannter Autor der Zeit, spricht von „der Authentizität, der Tiefe und der Unmittelbarkeit von Angelas gesprochenem Wort“. Und Gabriele Cozzano sagt: „Ihre Worte waren ernst, kraftvoll und sanft, und sie sprach sie mit einer so unwiderstehlichen Anmut aus, dass jeder zugeben musste: Hier ist Gott.“11 Darüber, wie Angela ihre Texte verfasste, schrieb Cozzano, dass es „üblich war, mit einer kleinen Gruppe von Anhängerinnen zu besprechen, was sie zu schreiben gedachte. „Sie pflegte die Dinge mit ihnen zu besprechen, ermutigte sie zum Handeln und sagte, dass nicht sie, sondern die jungen Frauen es getan hätten". Dabei war ihr wichtig, dass das Geschriebene verständlich war, sie „veranschaulicht, inspiriert, warnt und leitet“. Einmal, im Prolog der Regel, nimmt sie fast die Sprache einer Lehrerin an: „Ich bitte euch deshalb, seid wachsam mit weitem und sehnsüchtigem Herzen.“ Wichtig war ihr, modern gesprochen, die vielfältige Individualität eines jeden Menschen zu respektieren, „denn Gott hat einem jeden die freie Entscheidung gegeben.“ 12 Vergessen wir über all dem nicht Angelas geistlichen Anspruch: Ihr Schatz ist Jesus Christus. Und ihr Ziel war es, diesen Schatz, nämlich seine Liebe, allen, denen sie begegnete, bekannt zu machen, vor allem natürlich den Mitgliedern ihrer Compagnia!13 Wir haben gehört, dass Angela vieles vor der Festlegung mit den Betroffenen beriet, es sie selbst praktizieren ließ und es erst nach abschließender Beratung festlegte und niederschreiben ließ. Besser kann man die Menschen, für die man sich verantwortlich fühlt, nicht einbeziehen. Diese Dialogbereitschaft empfiehlt Angela auch den Leiterinnen, wenn sie zum Beispiel in die Familien der jungen Frauen gehen sollen, um diese kennen zu lernen und ihnen zu vermitteln, worauf es den Mitgliedern der Compagnia ankommt. Auch das Gespräch der jungen Frauen untereinander ist Angela sehr wichtig, da diese meist in der Familie und bei ihrer Arbeit keine Gleichgesinnten haben. Ebenso wichtig ist natürlich das Gespräch mit den Leiterinnen, die um das Wohl der jungen Frauen besorgt sind. Hierdurch erleben sie, dass auch die Leiterin- nen ihre Verantwortung miteinander teilen. Zur Zusammenarbeit der Leiterinnen untereinander gehört die ge-

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