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WOHNEN IM WANDEL
Der Wiener Wohnungsmarkt entwickelte sich im ersten Halbjahr 2021 durchaus positiv. Mitverantwortlich dafür waren die sich verbessernde Corona-Situation mit mehr Impfangeboten, die damit einhergehenden Lockerungen und die sich zusehends verbessernden Wirtschaftsaussichten. Diese Entwicklung hat einen deutlich steigenden Optimismus und auch ein größeres Interesse an Veränderungen beziehungsweise Verbesserungen der persönlichen Wohnsituation bewirkt.
Der während der langen Lockdowns gestiegene Stellenwert der eigenen Wohnsituation in Kombination mit dem zurückgekehrten Vertrauen in die individuelle wirtschaftliche Zukunft führt nun dazu, dass besonders viele Menschen eine neue Wohnung suchen. Insbesondere hat sich das auf den Mietenmarkt ausgewirkt, da die Zielgruppe für Eigentumswohnungen von der Corona-Krise im Schnitt deutlich weniger stark betroffen war. Besonders ausgeprägt ist der Wunsch nach einem abgrenzbaren Arbeitsbereich, Freiflächen sind nunmehr eine Selbstverständlichkeit und außer bei Altbauwohnungen in zentraler Lage gehören sie zu den wichtigsten Verkaufs- beziehungsweise Vermietungskriterien.
Die letzten Endes doch überraschend schnelle Verbesserung der Pandemiesituation schlägt sich auch in einer etwas beschleunigten Fertigstellung neuer Projekte nieder. Der Höchstwert dürfte 2022 mit einem neuerlichen Plus von 900 Wohneinheiten erreicht werden, danach sind wieder fallende Fertigstellungszahlen zu erwarten.
Der Markt wird aktuell klar von Großprojekten dominiert. Während Lückenverbauungen in etablierten Wohnlagen auf recht niedrigem Niveau verharren, boomt der Bau großer Wohnanlagen in den Stadtentwicklungsgebieten, insbesondere nördlich der Donau, im Umfeld des Hauptbahnhofs und westlich im 14. Bezirk.
„Absolute Nähe von Wohn und Arbeitsort ist nicht mehr so wichtig wie noch vor der Pandemie.“
Bernhard Reikersdorfer, RE/MAX-Austria
Trotz nachlassender Unsicherheit ist die Nachfrage nach Wohnimmobilien auch in der ersten Jahreshälfte 2021 groß. Die Inflation entwickelt sich zum zentralen Thema des Post-CoronaJahres 2021, und das in dreierlei Hinsicht: Erstens dürften Inflationssorgen das noch im vergangenen Jahr dominierende Sicherheitsmotiv als maßgeblichen Preistreiber verdrängen. „Inflationsschutz statt Sicherheitsmotiv ist das Motto des Jahres 2021“, so Matthias Reith, Senior Ökonom für die österreichische Volkswirtschaft und den Immobilienmarkt bei Raiffeisen Research. Zweitens lassen die globalen Lieferengpässe die Preise von Baumaterialien in die Höhe schnellen, was nicht ohne Folgen für die Angebotspreise im Neubau bleibt.
Corona drückt auf die Renditen am Wohnungsmarkt
Sicherheit ist nach wie vor das wichtigste Entscheidungskriterium für einen Immobilienerwerb, der Ertrag rückt immer weiter in den Hintergrund der Motivation. „Man könnte fast sagen, die Immobilien nähern sich schön langsam dem Aktienmarkt, wo auch nur in den wenigsten Fällen auf die Dividende geachtet wird und mehr auf die Wertentwicklung des Unternehmens“, kommentiert Ernst Kovacs, KE Wohnimmobilien. „Waren vor einem Jahr in so mancher Region noch fast vier Prozent Ertrag im Idealfall realisierbar, so ist das nun nur mehr in Ausnahmefällen möglich.“
Die Corona-Krise hat sich anders als vielleicht angenommen nicht bei der Wohnungsgröße niedergeschlagen. Es seien keine Unterschiede zu Zeiten vor der Krise sichtbar, so die Österreichische Nationalbank (OeNB) in einer Analyse: „Der mögliche Wunsch nach einer größeren Wohnfläche aufgrund der Lockdowns und Home-Office-Regelungen schlug sich nicht in den getätigten Wohnungskäufen nieder.“
„Aufgrund vieler Home-Office-Lösungen ist zahlreichen Kunden die absolute Nähe von
„Immobilien nähern sich schön langsam dem Aktienmarkt, wo weniger auf Dividende sondern auf Wertsteigerung des Unternehmens geachtet wird.“
Ernst Kovacs, KE Wohnimmobilien
„In der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation spricht vieles für den Kauf einer Wohnung, sei es zur Eigennutzung oder zur Veranlagung.“
Karina Schunker, EHL Wohnen
Wohn- und Arbeitsort nicht mehr so wichtig wie noch vor der Pandemie, denn für zwei, drei Fahrten ins Büro pro Woche kann die Anfahrt schon wieder etwas länger sein. Zusätzlich sind Immobilen als Anlageform beziehungsweise zur Pensionsvorsorge weiterhin sehr begehrt. All das sind Faktoren, die den Immobilienmarkt gehörig in Bewegung gebracht haben“, analysiert Bernhard Reikersdorfer, Geschäftsführer von RE/MAX-Austria.
Dass die Menschen jetzt vermehrt nach einem Zimmer mehr oder Freiflächen suchen, kann auch Karina Schunker, EHL Wohnen, so nicht bestätigen. „Wer ein Zimmer mehr wollte und es sich leisten konnte, hat dieses bereits. Und die Nachfrage nach Freiflächen war auch schon vor Corona stark“, meint sie. „Der Trend geht schon länger in Richtung effizientere Grundrisslösungen, da muss es nicht das zusätzliche Zimmer sein. Am Ende des Tages zählt die finanzielle Gesamtbelastung für den Mieter beziehungsweise Eigentümer.“ Dass die Banken bei der Kreditvergabe an Private auf der Bremse stehen würden, will Schunker nicht bestätigen: „Kreditanfragen dauern wegen der vorsichtigen Haltung der Banken zwar weiterhin länger als vor Corona, Finanzierungen werden aber mittlerweile wieder genauso selten abgelehnt wie vor der Pandemie. Das zeigt die im Durchschnitt sehr hohe Bonität der Wohnungskäufer.“
Ein Trend allerdings hat sich verstärkt: „Investoren kaufen vermehrt große Projekte“, so die EHL-Wohnen Geschäftsführerin. „Der Eigentumsmarkt und die Nachfrage nach Vorsorgewohnungen ist ungehemmt stark, getrieben von einem günstigen Zinsniveau und der Sorge vor der Inflation.“
Gemessen an der Anzahl der Transaktionen sind institutionelle Wohnprojekte weiterhin Investors Darling und entsprechend hoch im Kurs. Das zeigen auch die Wohnprojekte „Rankencity“, „Laaer Wald“, „Kofferfabrik“, „Das Herzog“, „Karl27“ und „Danube Flats Bauteil 2“, die zum Teil im Rahmen von Forward Deals an institutionelle Investoren veräußert wurden.
Wohnimmobilien – Stabilisator im Portfolio
Manfred Wiltschnigg, Managing Partner von GalCap Europe, einem auf Österreich und die mitteleuropäischen Nachbarländer spezialisierten Immobilien-Asset- und Investmentmanager: „Institutionelle Investoren schätzen Wohnimmobilien seit jeher als Stabilisator im Portfolio. Im Zuge der Pandemie hat der Faktor Sicherheit nochmals an Bedeutung gewonnen. Gemischt genutzte Immobilien – mit langlaufenden Mietverträgen im Retailanteil – in modernen Objekten in guten Lagen sind extrem gefragt.“ GalCap Europe investiert nicht nur in der Bundeshauptstadt Wien – schon längst blickt Wiltschnigg auch in die Landeshauptstädte, zum Beispiel nach Graz. Im Juni sicherte sich GalCap das Wohnbauprojekt „Karl27“ für einen offenen ImmobilienSpezialfonds, der von Institutional Investment Partners (2IP) aufgelegt wurde und sich an institutionelle Investoren richtet. Bereits im Juni hatte sich GalCap das gemeinsam von UBM Development und NHD Immobilien entwickelte Wohnbauprojekt „Rankencity“ im aufstrebenden Grazer Stadtteil Gries im Zuge eines Forward Deals gesichert.
Im Frühjahr ging der „Wohncampus Reininghaus“ an den Investment-, Asset- und FondsManager Hamburg Trust, der die Wohnprojektentwicklung in Graz für seinen Spezial-AIF „domiciliumINVEST 15 Austria“ erwarb. Die Fertigstellung ist für das zweite Quartal 2023 geplant. Verkäufer der Immobilie ist die Wohnquartier Reininghaus, ein Joint Venture aus der BE-WO Grundstücksverwertungsgesellschaft und Mischek. Über den Kaufpreis im Grazer Stadtbezirk Eggenberg wurde Stillschweigen vereinbart.
„Graz weist den stärksten Einwohnerzuwachs aller österreichischen Landeshauptstädte auf. Allein in den letzten fünf Jahren ist die Stadt um fast zehn Prozent gewachsen“, sagt Florian Howe, Executive Director und Head of Investment Management bei Hamburg Trust. „Das Wohnraumangebot in den Ballungsgebieten österreichischer Metropolen verhält sich unterproportional zur Nachfrage, das gilt insbe-
Florian Howe, Hamburg Trust
sondere für Graz. Stabile Miet- und Kaufpreise werden die Folgen sein. In unserer Anlagestrategie berücksichtigen wir ausschließlich Core-Immobilien in den Top-3-Städten Österreichs.“ Hamburg Trust ist mit einer eigenen Tochtergesellschaft in Wien vertreten, um seine Aktivitäten auf dem österreichischen Immobilienmarkt gezielt auszuweiten. Für den Fonds stehen Neubau-Wohnimmobilien in den Standorten Wien, Graz und Linz im Fokus. Innerhalb kürzester Zeit hat der Fonds rund 75 Millionen Euro investiert. „Die steirische Landeshauptstadt Graz ist mit 290.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Österreichs und verzeichnet seit Jahren das prozentuell stärkste Bevölkerungswachstum des Landes“, so Wiltschnigg. „Die Perspektiven sind weiterhin sehr gut. Nachfrageseitig wird der Grazer Wohnungsmarkt mittel- und langfristig von der steigenden Anzahl an Single- und JungfamilienHaushalten geprägt.“
Manfred Wiltschnigg, GalCap Europe