Erfolg als Fotograf

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Martina Mettner

Erfolg als Fotograf Wie man sein KÜnnen optimal präsentiert

fotofeinkost


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© Fotofeinkost Verlag Dr. Martina Mettner www.fotofeinkost-verlag.de

3. aktualisierte und überarbeitete Auflage 2015 Printed in Germany

ISBN 978-3-9813869-3-6


Inhalt 8 Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage 9 Einleitung

PLANUNG – Gut vorbereitet starten 17 19 23 25 27 28 30 32 33 38

Wege in die Berufsfotografie Die Bedeutung der formellen Ausbildung Wodurch sich der autodidaktische Zugang unterscheidet Ein Licht aufgehen lassen Wann selbstständig werden? Wie bekommt man die ersten Kunden? Was muss man beim Berufsstart berücksichtigen? Wann braucht man einen Businessplan? Wie auf die Honorarfrage antworten? Wie das Geschäft angehen?

PERSPEKTIVEN – Fotos machen, Kompetenz anbieten 42 47 48 50 55 58 63 64 69 73 76 78 79

Welche fotografischen Bereiche (k)eine Zukunft haben Wer die Bildeinkäufer sind Was ein Kostenvoranschlag enthält Was wissen Sie über Ihre Kunden? Die 2-Mappen-Strategie Warum freie Projekte für Fotografen so wichtig sind Das eigene Spektrum erweitern: Multichannel Publishing Die eigene Fotografie einordnen können Wo das Selbstmarketing anfängt Exkurs: Neugier und Genauigkeit im Hier und Jetzt Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos Wie stehen die Chancen für Seiteneinsteiger? Hören Sie auf, Fotos anzubieten!

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PROFIL – So fokussieren Sie sich 84 85 88 90 91 93 97 99 104 110

Ihre Persönlichkeit ist Ihr Kapital Wie Marken wirken Wozu braucht man ein Profil? Was bieten Sie Besonderes oder: Wie lautet Ihr USP? Wie gut ist Ihr Einfühlungsvermögen? Ihr Auftritt macht Eindruck Wie stark ist Ihr Selbstwertgefühl? Wie Sie Ihr Profil erarbeiten Die fotografischen Bereiche Stellen Sie sich vor oder: Was ist ein „Elevator Pitch“?

PRÄSENZ – So werden Sie sichtbar 116 117 120 121 123 124 131 135 137 139

Eine klug angelegte Website ist die Basis Ihres Erfolges Die Wahl des Domainnamens Exkurs: Über Pseudonyme und Tarnnamen Wozu dient die Website? Welche E-Mail-Adresse wählen? Was muss außer Fotos auf die Website? SEO oder: Wie Ihre Kunden Sie finden Web 3-Stufen-Plan Warum man sein Können vermitteln muss Wichtige Social-Media-Kanäle für Fotografen

PRÄGNANZ – So hinterlassen Sie Eindruck 146 149 151 152 156 159 6

Briefpapier und Visitenkarte Schriftverkehr on- und offline optimieren Rechnungen korrekt ausstellen Werbekarte und Folder Das Telefonat Die Kundenpflege


PRÄFERENZ – Kunden finden und binden 162 163 164 168 171 173

Konsumenten auf sich aufmerksam machen 3 Tipps zur Reaktion auf Kundenanfragen Was ist „Permission Marketing“? Die Auftragsakquise: Es geht auch schlauer Wie man sich hochtelefoniert Folgeaufträge und Empfehlungen aktiv akquirieren

PROMOTION – So werden Sie bekannter 176 180 184

PR oder: Wie komme ich in die Medien? Portfolioreviews in Agenturen und auf Festivals Super-Promo: Ausstellung und Buchveröffentlichung

POSTSKRIPT – Ganbatte kudasai! 190 191 192 198 200 201

Mit Absagen umgehen Einen Job ablehnen Wäre nicht alles einfacher, hätte man eine Repräsentanz? Das Prinzip der kleinen Schritte Die 10 häufigsten Fehler Ihrer Mitbewerber, die Sie nun nicht mehr begehen Die 5 hartnäckigen Mythen, die Sie nun durchschauen

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Über die Autorin

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Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage Als 2010 die erste Auflage von „Erfolg als Fotograf“ erschien, zeichneten sich die Konsequenzen des digitalen Wandels für den Beruf des Fotografen bereits deutlich ab. War es seinerzeit noch die Frage, ob Social-Media-Kanäle für Fotografinnen und Fotografen von Belang sind, werden sie heute nicht nur selbstverständlich genutzt, es werden sogar Fotojobs über diese Plattformen neu geschaffen. Der allgemeine wie der berufsspezifische Wandel ist so rasant geworden, dass Ausbildungsstätten damit kaum Schritt halten können. Seit 2010 wurden Hunderte hungrige Absolventen einer Fotolehre oder einer Hochschulausbildung in einen ohnehin schon gut besetzten Markt entlassen, in dem sie auf hoch motivierte Seiteneinsteiger treffen. Ihnen und allen bereits etablierten kreativen Selbstständigen möchte ich helfen, sich auf die veränderten Anforderungen einzustellen. Seit 2002 berate ich Fotografinnen und Fotografen und kenne daher nicht nur die täglichen Probleme, sondern auch die große Hürde, die den meisten im Weg steht: Sie betrachten das, womit sie Geld verdienen möchten, nur aus der eigenen Perspektive. Mit ihrer Selbstpräsentation setzen sie Verständnis und Geduld voraus, wo beides nicht mehr vorhanden ist; sie verwenden keinen Text auf der eigenen Website, obwohl sie selbst mehrfach täglich Begriffe googeln und daher wissen müssten, wie wichtig das ist, um gefunden zu werden. Mit der Überarbeitung dieses bereits in zwei vorhergehenden Auflagen bewährten Ratgebers möchte ich Ihnen noch deutlicher machen, wie überlebenswichtig es heute ist, die Perspektive zu wechseln und, sobald man eine Dienstleistung offeriert, die Sicht des Kunden zu berücksichtigen. Weggefallen sind in diesem Band die juristischen Ergänzungen aus den ersten beiden Auflagen, weil das Thema insgesamt zu komplex geworden ist und die juristischen Ratschläge für Bildschaffende inzwischen eigene Bände füllen. Da sei bitte jeder klug genug, das Blog eines oder mehrerer Juristen zu abonnieren. Ebenfalls aus Gründen der Aktualität gebe ich vielfach nicht mehr Links an, sondern nenne die Begriffe, unter denen man entsprechende Hinweise oder Tools mittels Suchmaschine findet.

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Seit dem ersten Erscheinen von „Erfolg als Fotograf“ habe ich zwei weitere praxisbezogene Bücher verfasst, die mit diesem eine Trilogie bilden und Sie mit allem versorgen, was sich jenseits von Fototechnik und der gängigen Bildgestaltung als heutzutage wichtig erweist. „Fotografie mit Leidenschaft – Vom Abbilden zum künstlerischen Ausdruck“ behandelt die spannenden Fragen, wie man vom Knipsen zur Kunst kommt, welches die noch gültigen Vorbilder in der Fotografie sind, und warum es für die eigene Entwicklung so wichtig ist, sie zu kennen. Es gibt ausführliche Bildbesprechungen und Beispiele weltbekannter Künstler wie Andreas Gursky und Taryn


Simon. Der Kunstbetrieb wird erklärt, und es folgen praktische Tipps zur Realisierung freier Serien. Ab und zu frei zu arbeiten, ist für jeden Fotografen extrem wichtig. Darum geht es speziell im dritten Buch „Fotopraxis mit Perspektive – 16 erfolgreiche Projekte und ihre Macher“. Darin hinterfrage ich ganz konkret Motivationen und Probleme bei der Umsetzung. Es wird nachvollziehbar, wie und wann freie Projekte als Karrierebooster funktionieren. Wer nicht die Chance hatte, Fotografie zu studieren, bekommt mit diesen drei Büchern die Gelegenheit zum Selbststudium – und alle Studierten können ihr Wissen updaten – oder einfach die Lektüre einer praxisnahen Sichtweise auf ein geliebtes Thema genießen.

Einleitung Um Ihnen eine Sorge gleich zu nehmen: Sie müssen sich nicht gut verkaufen können, es reicht völlig, wenn Sie klar signalisieren, was genau Sie anzubieten haben! Dabei, das herauszufinden und umzusetzen, hilft dieses bereits vielfach bewährte Buch. Es ist auf die praktischen Belange von Fotografinnen und Fotografen zugeschnitten, gilt aber gleichermaßen für jeden in einem kreativen freien Beruf. Bei den Menschen, die mittels eines Fotoapparates Geld verdienen möchten, sind viele der zu besprechenden Aspekte besonders deutlich ausgeprägt: Es gibt große Illusionen und tradierte, aber nicht mehr gültige Vorstellungen vom goldenen Handwerk. Neue Möglichkeiten werden vielfach ebenso ignoriert wie die wichtigsten Grundregeln einer beruflichen Positionierung. Wenn Sie dieses Buch nicht nur lesen, sondern die Punkte am Ende der Kapitel tatsächlich nachvollziehen, können Sie einen großen beruflichen und persönlichen Fortschritt erzielen. Sie werden Ihre Aufträge nicht mehr dem Zufall überlassen, sondern überwiegend mit Ihren Wunschkunden arbeiten. Fürs perfekte Selbstmarketing sind im Grunde „nur“ zwei Punkte wichtig: 1. Sie wissen, was genau Sie anbieten wollen. 2. Sie sprechen gezielt die Kunden an, die Ihr Angebot zu würdigen wissen. Denken Sie, Marketing sei eine Abteilung in Unternehmen und nichts, das mit Ihnen zu tun hätte? Sie mögen schon den Ausdruck nicht? Möchten Sie denn, dass Ihr jetziger oder zukünftiger Kunde einen positiven Eindruck von Ihnen bekommt? In dem Moment, wo Sie Ihr wichtigstes berufliches Verhältnis, nämlich das zu Ihren Kunden, nicht mehr dem Zufall überlassen, betreiben Sie Marketing. Definieren wir es einmal so: Aktives Selbstmarketing steuert den Eindruck, den ein Kunde von Ihnen gewinnt.

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Die typischen Selbstmarketingmittel für Fotografinnen und Fotografen kennen Sie vermutlich alle und haben sie auch schon eingesetzt: Webpräsenz | Portfoliomappe | Geschäftsausstattung | Werbepostkarten, Flyer | E-Mails oder Newsletter | Facebook und andere Social-Media-Kanäle Wenn es um das Selbstmarketing geht, fällt vielen Fotografinnen und Fotografen zuerst die aktive Kundenwerbung ein. Bislang ein zeitaufwendiges, teures und ineffizientes Verfahren. Die klassische Werbung ist ebenfalls teuer und mit großen Streuverlusten behaftet. Beide Methoden sind weder angeraten noch zeitgemäß. Erst die Social-Media-Kanäle (Facebook, Twitter) ermöglichen neuerdings eine gezielte Direktwerbung mit genauer Erfolgskontrolle schon für kleine Beträge. Wer Erfolg als Fotograf sucht, sollte auf jeden Fall anfangen, ganzheitlich zu denken, statt die Eigenwerbung vom „richtigen“ Job zu trennen und sie damit auf die lange Bank zu schieben. Man schiebt es immer weiter auf, weil es so unangenehm ist, etwas Positives über sich und seine Arbeit zu sagen. Problemlos könnte jeder zehn Defizite an sich aufzählen, aber wird man nach seinen Vorzügen gefragt, wird das Antworten schwierig. Das liegt an einer kulturell geprägten Hemmschwelle. Aus dem Diktum „Man soll sich nicht selbst loben“, entsteht eine grundsätzliche Abneigung gegen jede Form von Selbstmarketing. Selbstlob mag eitel erscheinen, vor allem ist das Verbreiten der „schönsten Erfolge“ sehr langweilig für andere. Seine Ausbildung, Erfahrung und Talente zu benennen, hat aber nichts mit Selbstlob zu tun und ist nicht langweilig, sondern eine relevante Information. Sich für das, was man kann, zu genieren, ist eine sehr seltsame Angewohnheit, die gerade dem Freiberufler zum Verhängnis werden kann und die dieser dringend ablegen sollte. Versteht jemand, der auf Ihre Website guckt, was speziell Sie anzubieten haben oder eventuell besser können als die Mitbewerber? Hat Ihr Websitebesucher überhaupt einen persönlichen Eindruck von Ihnen? Oder verstecken Sie sich hinter Ihrem Portfolio? Und falls das so sein sollte: Wie empfinden Sie selbst es, jemanden wegen einer Zusammenarbeit anzurufen, von dem Sie noch nicht einmal wissen, wie er/sie aussieht? Das macht man nur im Notfall und dann liegt der Fokus immer auf dem Geld. Mit anderen Worten: Wenn Sie sich nicht umstandslos in der Preisspirale nach unten ziehen lassen wollen, werden Sie bestimmt sehr motiviert sein, vieles von dem, was ich in diesem Buch aus der Beratungspraxis für die praktische Selbstanwendung erläutere, umzusetzen.

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Erfolg als kommerzieller Fotograf im 21. Jahrhundert Die Art und Weise, in der wir kommunizieren, lernen und publizieren, hat sich radikal verändert und sie ändert sich in raschem Tempo weiterhin. Doch die Fotografie betrachten wir vielfach noch wie im 20. Jahrhundert. Zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Ende der Neunzigerjahre erlebte sie in gedruckten Magazinen ihre Blütezeit. Insgesamt mehr als 150 Jahre waren Fotografien konstitutiv an einen Träger aus Papier oder Film gebunden. Das hat sich geändert und weit reichende Konsequenzen für das Berufsbild und die ganze Branche. Digital zu fotografieren ist dabei gar nicht der springende Punkt. Nun fällt das Licht durch die Linse eben auf einen Sensor statt auf Film. Was die Fotografie tatsächlich grundlegend verändert, sind nicht die Pixel oder das Laufbild, sondern ist das Internet. Der Bildermarkt ist transparent, für viele Zwecke sind Motive extrem preisgünstig in professioneller Qualität verfügbar. Für Fotojournalisten schwinden die honorierten Veröffentlichungsmöglichkeiten, zudem fotografiert oder filmt jeder Augenzeuge die Ereignisse. Perfekte Ergebnisse sind heute nicht mehr das Resultat von Erfahrung, sondern von Bildbearbeitung. Das alles kann man beklagen. Man kann die Entwicklung aber auch positiv betrachten: Nie zuvor war die Chance so groß, schon in jungen Jahren als Fotograf international wahrgenommen zu werden; nie zuvor hatte man alle Möglichkeiten selbst in der Hand. Nie war es durch die Fülle freier Informationen so einfach wie heute, seine Talente zu entfalten. Fragt man danach, wann ein Fotograf erfolgreich ist, kann die Antwort nicht mehr die gleiche sein wie 1990. Natürlich haben viele noch das Bild von damals im Sinn: die stattlichen Honorare, der Glamour, die großen Namen der Branche. Inzwischen gibt es jedoch sehr viel mehr Fotografinnen und Fotografen. Seit 2004 die Handwerksordnung geändert wurde, existieren keine formellen Zugangsbeschränkungen. Diese Lockerung ist schön für alle, die den Beruf ergreifen wollen, aber weniger für jene, die ihn bereits ausüben. Der Photoindustrie-Verband schätzt, dass es etwa 20.000 Fotografen in Deutschland gibt. Der Centralverband deutscher Berufsfotografen vertritt etwa 13.000 fotografische Betriebe. Allein der Verband Freelens hat 2.400 Mitglieder, die überwiegend im Bereich Reportageund Editorialfotografie tätig sind, und 500 Fotografinnen und Fotografen mit Schwerpunkt Werbung sind im BFF. Man kann aber vermuten, dass es zusätzlich zu den 16 bis 17.000 handwerklich oder in Verbänden organisierten, weit mehr als nur 3.000 freie Fotografinnen und Fotografen gibt. Einfach gesagt: Die Konkurrenz ist groß. Trotzdem ist Fotografie ein Traumberuf. „Ich arbeite, was mir Freude macht, und habe deutlich mehr freie Zeit als meine Freunde“, sagte mir in Madrid ein jüngerer Fotograf, der Lebensqualität höher schätzt als Nullen auf dem Konto. Wem es nur ums Geldverdienen geht, studiert besser BWL als

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visuelle Kommunikation oder wird Investmentbanker! Für die visuellen Medien entscheidet man sich aus ganz anderen Gründen: Weil man technisch und künstlerisch begabt ist; weil man es toll findet, so schnell das Ergebnis eines kreativen Prozesses zu sehen; weil man überhaupt ein visueller Typ ist; weil man gerne im Team arbeitet; weil man neugierig ist; weil man gerne Regie führt ... In Zukunft werden nicht weniger Fotos, Illustrationen oder Filme benötigt, sondern eher mehr. Gleichwohl wird eine große Marktbereinigung stattfinden. Wer sich nur für die Technik begeistert, wird Digital Operator, fotografiert aber nicht selbst; wer sich ausschließlich als solider, aber kommunikationsschwacher Handwerker präsentiert, wird seinen bisherigen Lebensstandard sicher nicht halten können. Jeder Fotograf/Designer/Filmer muss sich heute über die perfekte Beherrschung des Handwerklichen hinaus ernsthaft und kontinuierlich darum bemühen, wahrgenommen, gebucht und adäquat honoriert zu werden. Es bedeutet mehr Arbeit, erfolgreich zu sein. Aber es war auch noch nie so schnell möglich, sich überregional einen Namen zu machen. Sie haben Ihren Erfolg in der Hand. Wer behauptet, „alles“ habe sich zum Schlechten verändert und mit der Fotografie sei kein Blumentopf mehr zu gewinnen, verkennt, dass immer zwei Faktoren über Erfolg oder Misserfolg entscheiden: 1. Die äußeren Bedingungen. Diese geben vor, was jetzt zu tun und zu beachten ist. 2. Die eigene Haltung. Diese kann man in Frage stellen und verändern.

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Die eigene Erfahrung besserer Zeiten kann recht hinderlich sein bei der Anpassung an die gestiegenen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Viele stecken geistig immer noch in den fetten Achtzigerund Neunzigerjahren. Das gilt übrigens auch für Newcomer, die in ihrer Fantasie als Berufsbild „Fotograf von früher“ kultivieren, oft ohne es zu merken. Allein aufgrund der schlichten Tatsache, dass sich die meisten Menschen schwer mit jeder Umstellung tun, sollten alle, die jetzt in den Beruf einsteigen, sehr sorgfältig darauf achten, sich beispielsweise durch Ausbildung oder Assistenz in einem „alteingesessenen“ Betrieb nicht mit überholten Erwartungshaltungen und Einstellungen imprägnieren zu lassen. Das Handwerk zu beherrschen ist eine wichtige Voraussetzung für die Ausübung des Berufs. Früher reichte das sogar völlig aus, um erfolgreich zu sein. Heute aber erweisen sich eine Spezialisierung und das Annehmen des digitalen Wandels als deutlich wichtiger. Daher sind oftmals enthusiastische Neueinsteiger im Vorteil gegenüber frustrierten Fotografenmeistern. Wem es schwer fällt, einen Rat anzunehmen, wer bei jedem Vorschlag gleich denkt: „Ach, das ist nichts (mehr) für mich!“, sollte sich klarmachen, dass man immer einen Handlungsspielraum hat. Man kann sich jederzeit entscheiden, Dinge anders anzugehen. In kleinen Schritten. Gegen die Wechselfälle des Lebens wie Hausbau, Scheidung oder Krankheit in der Familie sollte das bisschen


Umdenken im Business doch kein Problem sein. Oder wie Albert Einstein sagte: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ Ich spreche gelegentlich auf Branchenveranstaltungen und erlebte es auch noch 2015, wie eine Fotografenmeisterin in Gegenwart ihrer sehr motivierten Auszubildenden diese als Nichtskönner runtermachte und meinte, Facebook und Konsorten brauche sie nicht. Das wirft kein gutes Licht auf die vermittelte fachliche Ausbildung und ist strategisch unklug, denn gerade beim Nutzen der digitalen Optionen wäre ein Austausch über Generationen hinweg produktiv. In der Ausbildung sind heute mehrheitlich junge Frauen, die es womöglich schwer haben, sich gegen solche geballte Negativität zu behaupten. Sie brauchen moralische Unterstützung, um den Mut nicht zu verlieren. Daher mein Hinweis: Berufliche Erfahrung ist super. Aber nur, so lange sie nicht zum Brett vorm Kopf wird. Ein gutes Beispiel für die eigene Erfahrung, die einem die Sicht versperrt, ist Nokia. Die waren auch einmal Weltmarktführer. Und sich sicher, die Kunden wollten Mobilgeräte mit Tasten statt Displays. Oder der Erfinder Gottlieb Daimler, der mutmaßte: „Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.“ Hierzulande denken immer noch die meisten Fotografen, es komme darauf an, wie die Fotos aussehen, die sie machen. Aber niemand interessiert sich mehr für ihre Fotos (jedenfalls nicht so, wie sie es gerne hätten). Wichtig ist heute die Person und ob das, was sie anbietet, einen Mehrwert verspricht. Dass kreative Arbeit allgemein und Fotos im Besonderen nur noch wenig wertgeschätzt werden, ist eine Folge des Überangebots und der entzauberten Technik. Aber nicht nur. Fotografinnen und Fotografen begreifen sich meist selbst nicht als Experten fürs Visuelle. Das Gegenüber ist heute eben vielfach nicht mehr ein erfahrener Bildredakteur, Artdirector oder Werbeleiter, sondern jemand, der Fotografie primär als netten Zusatznutzen des Smartphones (und das Schreiben als Simsen) kennt – und vielleicht ganz froh ist, auf fachliche Kompetenz zugreifen zu können. Aber dazu muss man diese auch anbieten. In den letzten Jahren ist es ganz selbstverständlich geworden, Wissen und Informationen kostenfrei (aber möglichst nicht umsonst) zu verbreiten. Grafiker stellen jeden Tag einen Cartoon ins Netz. Junge amerikanische Fotografinnen und Fotografen nutzen selbstverständlich Instagram, um sich bekannt zu machen. Warum? Weil Aufmerksamkeit höher bewertet wird als (technische) Qualität. Vor allem die etablierten Fotografen setzen aber genau darauf: Der Betrachter möge doch bitte beeindruckt sein von der Güte ihrer Produktion. Aber diese Zeiten sind vorbei und werden nicht wiederkommen. Daher reicht fotografisches Können allein nicht aus, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Jeder Freiberufler muss sich mit den geschäftlichen Aspekten seines Jobs befassen. Sehen Sie es positiv: Zu wissen, wie das eigene Können ohne viel Aufwand optimal sichtbar wird und man Kunden findet und bindet, ist sehr beruhigend. Oder?

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In einer Branche und in einer Welt, in der alles immer leichter vergleichbar und verfügbar wird, in der vielen Kunden die Kriterien fehlen, gute von sehr guter Arbeit zu unterscheiden und in der das Con­ trolling das letzte Wort über Fotografenbudgets hat, ist die eigene Individualität von entscheidender Bedeutung. Und damit ist nicht nur die „künstlerische Qualität“ gemeint, sondern die persönliche Haltung, das Auftreten, das Profil Ihres Unternehmens – die klare, persönliche Linie, mit der Sie potenziellen Kunden signalisieren, dass Sie Experte für genau das sind, was Sie anzubieten haben. Fotografieren kann jeder (lernen). Fotografin oder Fotograf zu werden, ist ganz leicht. Man muss sich nur entschließen, es zu sein. Erfolgreich werden in der kommerziellen Fotografie jedoch nur jene sein, die es schaffen, konstant gute Leistungen abzuliefern, den Enthusiasmus nicht zu verlieren, unternehmerisch zu denken und durch individuelle Qualitäten auf sich aufmerksam zu machen. Wer für sein berufliches Wohlbefinden Lektürezeit in die hier erarbeiteten strategischen Überlegungen investiert und tatsächlich daraus Konsequenzen für das eigene Handeln und die eigene Haltung zieht, erwirbt damit eine solide zukunftsfähige Basis. Auf der kann man sich zwar nicht ausruhen, aber sie macht weniger Arbeit als die alte Akquise-Strategie der anfallartigen Cold Calls und der Eigenwerbung mit den schönsten Erfolgen. Vor allem ist sie sehr viel effizienter und gibt zusätzlich das gute Gefühl, kein Spammer zu sein. Die Lektüre fordert dem Leser und der Leserin jedoch einiges ab: Mitdenken, Mitarbeit, den Sinn für Humor nicht zu verlieren. Es wird nicht jedem gefallen, was er erfährt, aber es ist wichtig, die Marktmechanismen zu verstehen und die eigene Position realistisch einzuschätzen. Nur so weiß man, worin man sich verbessern sollte und erhöht seine Chance, in der Fotografie kommerziell erfolgreich zu sein. Der Untertitel auch dieser Neuauflage lautet mit Bedacht: „Wie man sein Können optimal präsentiert“ – dass Sie etwas können, davon gehe ich aus. Der Fokus liegt darauf, Ihre Leistung ins rechte Licht zu rücken.

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PLANUNG Gut vorbereitet starten


Wer sich als freier Fotograf direkt an Verbraucher richtet, unterliegt strengeren Regeln als derjenige, der für Unternehmen tätig ist. Mehr dazu u.a. im Kapitel „Promotion“.

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Fotografen auf einen Nenner zu bringen, ist ein schwieriges Unterfangen. Zugangswege, Ausbildungsstand, Betätigungsfeld sind sehr unterschiedlich. Um klar zu machen, wie Sie sich selbst in diesem Markt einschätzen sollten, müssen diese Unterschiede jedoch thematisiert werden. Systematisch unterscheide ich zwischen Fotografen, die direkt den Verbraucher ansprechen und solchen, die mit Firmenkunden arbeiten. Sich als Fotograf zu entscheiden, wen man adressieren will, ist wichtig, weil es die eigene Ausrichtung prägt, es aber auch rechtliche und marketingstrategische Unterschiede zu berücksichtigen gilt. Zur einfachen Kennzeichnung verwende ich die in der Geschäftswelt außerhalb der Fotografie gängigen Abkürzungen „B2C“ und „B2B“ für „Business to Consumer“ und „Business to Business“. Schwerpunktmäßig geht es im Verlauf des Buches um Fotografen, die für Werbeagenturen, Unternehmen der freien Wirtschaft oder Magazine arbeiten, also im Bereich B2B. Das ist die Mehrheit und hier sind die Aussichten die besten. Der stationäre Fotohandel, das Fotostudio in der Fußgängerzone, das direkt mit Endkunden arbeitet, wird in der Regel von seinen Fachverbänden und der IHK (Industrie- und Handelskammer) informiert. Da jedoch einige Fotografinnen und Fotografen, vor allem in der Startphase, sich beispielsweise als Hochzeitsfotografen direkt an Verbraucher wenden, ist dieser Aspekt gesondert berücksichtigt, wenn es einen Unterschied zwischen B2B und B2C gibt. Welche Wege führen überhaupt in die Berufsfotografie? Nun werden Sie sich fragen: „Warum muss mich das interessieren, der ich schon Fotograf oder mitten in der Ausbildung bin?“ Sich darüber klar zu werden, warum ein Studium beispielsweise eine andere Herangehensweise nach sich zieht als eine Lehre, hilft nicht nur jenen, die sich noch entscheiden müssen. Es ist auch wichtig, die Gründe für die eigenen Grenzen kennzulernen, diese vielleicht überwinden zu wollen oder zu akzeptieren (anstatt unzufrieden zu sein). Sich selbst und seine Mitbewerber realistisch einzuschätzen, ist eine entscheidende Voraussetzung, um in diesem heiß umkämpften Markt seinen Platz und sein Glück zu finden. Michael Ray, ein in Pittsburgh arbeitender Fotograf, schrieb auf seinem Blog Professionalphotography101.com einen Artikel über das, was man nicht in der Fotoschule lernt. Das Erste sei, nicht zu wissen, dass man etwas nicht weiß oder versteht. Er nennt es „die Leiter der Einsicht“ und sagt: „Seit ich Profi wurde, bin ich einige wenige Stufen auf dieser Leiter emporgestiegen, aber es gibt Stufen, die ich aufgrund meiner intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten nie erklimmen werde. Es gibt aber ebenso Fotografen auf den Stufen unter mir, die nie verstehen werden, warum ich auf einer höheren Stufe stehe.“ Aus meiner Sicht ist es sinnbildlich ein Gebirge, in dem sich Fotografinnen und Fotografen bewegen. Auf dem ersten kleinen Gipfel sehen sie nur sich und vielleicht noch in weiter Ferne den unerreichbaren Achttausender. Über die Fotografen im Tal vor sich und die in den Tälern und auf


den Gipfeln bis ins Hochgebirge schauen sie nicht nur einfach hinweg – sie nehmen sie überhaupt nicht wahr. Der Kunde mit den schönen Aufträgen im Rucksack ist nur recht selten ebenfalls zu Fuß unterwegs, sondern fliegt meist mit dem Hubschrauber über die kraxelnden und campierenden Fotografinnen und Fotografen. Wen wird er an Bord holen? Entweder er entscheidet sich für den Gipfelstürmer, also jenen, der schon oben angekommen ist, oder er nimmt jemanden, der seine Aufmerksamkeit anzieht und einigermaßen vertrauenerweckend aussieht. Ein Hauptanliegen dieses Buches ist, durch das Erkennen Ihrer Optionen, aber auch der eigenen Grenzen, zu ermöglichen, diese zu erweitern. Ob man als Fotograf erfolgreich wird oder ist, hängt nicht primär davon ab, wie gut man im Moment ist. Es hängt davon ab, wie geschickt man seine Fähigkeiten einsetzt, wie klug man sich präsentiert und wie man sein Talent ausbaut. Je offener man für die Einsicht ist, dass es immer andere geben wird, die weiter sind als man selbst, die mehr Überblick haben und sich wortgewandter präsentieren können, desto leichter wird es fallen, das Beste aus den persönlichen Anlagen zu machen. Nicht alle Kunden wollen lange und umständlich suchen, bis sie jemanden finden. Sie wollen rasch den Richtigen für den geplanten Auftrag. Sie müssen dafür sorgen, dass Sie problemlos gefunden werden – und dann einen guten Job machen!

Wege in die Berufsfotografie Der Zugang ist so individuell wie die Menschen es sind, die gerne die Kamera in die Hand nehmen und dafür Geld bekommen möchten. Deshalb wird jede Typisierung holzschnittartig ausfallen. Versuchen wir es trotzdem und unterscheiden drei erste Zugangswege: A. den klassischen, stark handwerklich geprägten, B. den akademischen und C. den autodidaktischen oder 2. Bildungsweg. Man könnte denken: „Ist doch egal wie, Hauptsache man wird Fotograf oder Fotografin.“ Es ist in den meisten Fällen jedoch deutlich zu sehen, ob und welche Vorbildung es gibt. Der erste Unterschied liegt in der Dauer der schulischen Ausbildung. Natürlich kann man versuchen, ohne (Fach-)Hochschulreife eine Lehre als Fotograf zu beginnen. Das wird allerdings zunehmend schwierig. Es mangelt an Ausbildungsplätzen. Durch das Abitur hätte

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man grundsätzlich viel gewonnen, nämlich mehr Optionen bei der Auswahl der Lehrstelle oder des Ausbildungsweges und darüber hinaus mehr Zeit für sich. Solange man zur Schule geht, mag diese als qualvoll erscheinen. Erst später weiß man den Freiraum zu schätzen, den die Schulzeit gewährt: Man muss nicht für seinen Unterhalt sorgen, man kann Interessen ausbilden, sich ausprobieren. Jeder kann sich überlegen, wie viele Stunden am Tag er oder sie während der Schulzeit mit Freunden oder alleine unproduktiv verbringt. Wer die Schule bis zum Abitur besucht, kann schlichtweg länger seine Gehirnzellen aktivieren und in Muße Interessen ausbilden. Nicht zufällig heißt es, mit der Lehre fange der Ernst des Lebens an. Und ob der Ernst mit siebzehn anfängt, mit neunzehn oder mit vierundzwanzig Jahren bedeutet einen großen Unterschied. Es ist für unsere Gesellschaft charakteristisch, auch Schulzeit und Studium immer nur unter dem Leistungsaspekt zu betrachten. Statt dessen sollte es eine Zeit sein, in der man nicht zum Leistungsträger getrimmt wird, sondern den Freiraum hat, seine Persönlichkeit zu entwickeln. Wann, wenn nicht dann? Und je mehr man über sich selbst weiß, desto leichter fällt es später, Ideen zu entwickeln, Situationen einzuschätzen und mit anderen Menschen freundlich umzugehen; alles das sind wichtige Eigenschaften für Fotografen. Zwei Jahre mehr Zeit, um Fremdsprachen sowie die deutsche Rechtschreibung zu lernen, können ebenfalls nur nützen. Nur mit der Hochschulreife hat man alle beruflichen Möglichkeiten von handwerklicher Ausbildung über das Autodidaktische und Assistenzen bis zum Hochschulstudium – gleich oder später. Bei allen Vorbehalten gegen die Hochschulausbildung in Deutschland, speziell den Wechsel vom Di­plomstudiengang zum Bachelor- und Masterabschluss: Es kommt am Ende darauf an, diese zusätzliche Zeit für sich und seine Entwicklung zu gewinnen. Man muss sie aber auch für sich nutzen. Wer im Studium nicht begreift, dass alles von der Eigeninitiative abhängt, hat den entscheidenden Lerninhalt verpasst. Yolanda vom Hagen machte 2009 ihr Diplom in Fotodesign und begann anschließend ein Sinologie-Studium. Sie sagt, sie habe „erst im sechsten Semester wirklich herausgefunden, in welche Richtung es für mich gehen kann. Worüber ich mir vor Studienbeginn so im Klaren gewesen zu sein glaubte, wurde mit Beginn des Studiums verwischt und total durcheinander gebracht. Dies ist meiner Meinung nach ein normaler Prozess, den jeder irgendwann durchmachen muss, der jedoch eine gewisse Zeit beansprucht. Jeder muss seine Stellung und Richtung finden und das am besten, bevor er sich mit dem freien Markt konfrontiert sieht. … was am Ende auf dem Abschlusszeugnis steht, interessiert nur sehr wenig. Was zählt ist, was man aus der Studienzeit mitnehmen konnte, wie motiviert, zielstrebig und vor allem hartnäckig man sich durchschlagen kann.“1 18

1 ProfiFoto 3/2010, S. 38. Yolanda vom Hagen war offizielle deutsche Pressefotografin auf der Expo 2010 in Shanghai.


Zur Ausbildung gehören vor allem außeruniversitäre Erfahrungen. Es ist sicher schwierig, einen bezahlten Job in einem Verlag oder in einer PR-Agentur zu bekommen, aber sinnvoll. Überhaupt ist jede Bürotätigkeit eine Fortbildungsmaßnahme in eigener Sache. Wer als Studentin erlebt hat, wie Unternehmen funktionieren, welche Bedeutung Hierarchien nach wie vor haben, wird sich später im Kundengespräch automatisch daran erinnern und sich souveräner verhalten. Zudem baut man sein Netzwerk auf, kennt Ansprechpartner und kann schon lange vor der eigenen Portfoliopräsentation ein Gefühl dafür entwickeln, welche Themen, Herangehensweisen und Umgangsformen im jeweiligen Unternehmen gefragt sind. Finden Sie einen Grund, die Presse- und die Werbeabteilung aufzusuchen, auch wenn Sie in der Buchhaltung jobben. Finden Sie raus, wann die Sie interessierende Abteilung wohin zum Essen geht und gehen Sie mit. Seien Sie kreativ! Sie wollen einen Beruf ergreifen, in dem die Fertigkeiten zu Planen und zu Improvisieren Grundvoraussetzung sind. Also fangen Sie an, diese zu trainieren. Überlassen Sie „virtual internships“, virtuelle Praktika, bei denen Sie Zuhause arbeiten, den BWL-Studenten.

Die Bedeutung der formellen Ausbildung Bundesweit bewarben sich bisher jährlich bis zu 2000 Jugendliche um eine Lehre als Fotograf im Handwerk. Der Vorteil einer solchen Ausbildung liegt in der staatlichen Zertifizierung, die es beispielsweise ermöglicht, an die Gesellen- und Meisterprüfung eine Fachhochschulausbildung anzuschließen. Die Papierfassung erscheint, vor allem nach der Reform der Ausbildungsordnung 2009, recht attraktiv. Die Realität sieht nicht ganz so optimal aus. Die starke Spezialisierung, die hier von Anfang an durch den ausbildenden Betrieb erfolgt, kann verhindern, das eigene Talent überhaupt erst zu entdecken und zu entwickeln. Wer weiß mit 18 Jahren schon, ob er Porträtfotograf werden will? Oder Architekturfotograf? Die Ausbildung ist einseitig, oft das Verhältnis zum Lehrherren problematisch. Zwanzig Prozent brechen die Ausbildung ab. Man darf nicht verkennen, dass diese Erfahrungen prägend sind. Und geprägt wird man womöglich auf einen Bereich der Fotografie, in dem seit Jahren kaum mehr kostendeckend gearbeitet wird. Dann kennt man hinterher nur die Standardposen für Pass- und Bewerbungsfotos – und sonst nichts. Das ist für eine prospektive Zukunft zu wenig. Wegen der vermeintlichen Sicherheit wird eine Ausbildung im Handwerksbetrieb gerne von jungen Frauen in Erwägung gezogen. Sie stellen zwei Drittel der Auszubildenden. Wollen sie sich hinterher selbstständig machen, trauen sie sich wiederum nur diesen engen Sektor der Fotografie zu und machen dann Erotikfotos von Frauen in den Wechseljahren. Auch

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Es ist von großem Vorteil, außerfotografische berufliche Erfahrungen gesammelt zu haben.

damit kann man Geld verdienen und es ist bestimmt kein leicht verdientes, aber man konkurriert mit jeder Menge Amateuren, Semi-Profis und anderen nicht umfassend Ausgebildeten. In diesem Bereich, in dem sich fast alles über den Preis regelt, bestehen kaum Chancen, in interessantere Sphären aufzusteigen. Wer aus familiären oder anderen Gründen die Schule vor dem Abitur verlässt, sollte sich Gedanken machen, ob eine andere Lehre in Betracht kommen könnte. Ein Großteil der Arbeit später ist eben Büroarbeit, deshalb könnte man auch eine Ausbildung zum Bürokaufmann oder Bürokauffrau absolvieren (dann sind auch die Eltern beruhigt). Die Fotografie läuft nicht weg. Auch eine Lehre als Frisör kann sinnvoll sein, wenn man in den Beauty- und Fashionbereich möchte. Wer hingegen eher technisch begabt ist, sucht sich etwas in dieser Richtung. Die Faustregel lautet: Außerfotografische Erfahrungen kann man gar nicht genug sammeln. Mit Mittlerer Reife und Volljährigkeit besteht die Möglichkeit, sich beim Photo- und Medienforum in Kiel um die Teilnahme an einem EVA-Lehrgang zu bewerben, der zur externen Gesellenprüfung für Fotografen führt. Man erwirbt also einen staatlich anerkannten Abschluss. Jetzt kommt das Aber: Die Ausbildung kostet Geld.1 Sollte das aus finanziellen Gründen nicht in Frage kommen, ist es gleichwohl gut, sich die Lehrpläne als Vergleichsmaßstab anzusehen. Für eine handwerklich-technisch geprägte Ausbildung bietet das Photo- und Medienforum in Kiel das Optimum an. Vor allem, weil alle Lernenden die Möglichkeit haben, Praktika in unterschiedlichen Fotostudios zu bekommen und verschiedene fotografische Bereiche kennen zu lernen, bevor sie entscheiden müssen, was sie selbst wollen. Ich war am Photound Medienforum Gastdozentin und habe gesehen, wie umfassend dort die Ausstattung ist. Sehr erstaunt hat mich, dass die Lehrgangsteilnehmer kaum von der Möglichkeit Gebrauch machten, Equipment auszuleihen, um nach Unterrichtsschluss zu fotografieren. Die Eigeninitiative macht auch bei der Ausbildung im EVA-Lehrgang wieder den Unterschied zwischen solchen, die Fotografie als Job begreifen und jenen, die für die Fotografie brennen. Wie auch immer man sich entscheidet, solange man jung ist, sollte die Vielfalt im Vordergrund stehen. Schnell ist eine endgültige Berufswahl getroffen oder eine berufliche Richtung eingeschlagen. Dann kommen das erste Kind, das eigene Haus und das große Unglück mit dem, was man vielleicht aus der Not heraus entschieden hat. Besser wäre es, zunächst einmal die weite Welt oder doch zumindest das Spektrum an beruflichen Möglichkeiten kennen zu lernen. Später ist es stets schwieriger, die Flügel auszubreiten und sich zu verwirklichen. Wenn irgend machbar, sollte man erst alles ausprobieren und sich dann spezialisieren.

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1  Derzeit (2015) sind es 15.000 Euro für den Lehrgang oder 500 Euro pro Monat. eva-macht-fotografen.de


Die größten Entfaltungsmöglichkeiten bietet ohne Zweifel ein Studium der Fotografie. Das mag anders wirken, wenn man mitten drin steckt. Sind die Bedingungen auch noch so chaotisch und stressig, verschafft man sich doch eine ungleich bessere Ausgangsposition. Zum einen, weil man länger Zeit hat, zu reifen, eine Person zu werden, zu wissen, was man erwartet vom Leben. Zum anderen, weil zum eigentlichen Fotografieren, dem reinen Handwerk eine Fülle an Aspekten kommt, die das künstlerische Potenzial sowie die Historie und Entwicklung des Mediums aufschließen. Nehmen wir noch einmal den Auszubildenden im Porträtstudio; dessen täglicher Radius reicht so ungefähr vom Bilderrahmenangebot im Wandregal bis zum biometrischen Foto für den Reisepass. Porträt heißt hier, etwas Standardisiertes abzuliefern, das dem Kunden gefällt. Standardisiert deswegen, weil es nicht lange dauern darf, dieses Foto herzustellen, denn mehr als den Betrag X gibt der Kunde dafür nicht aus. Für den Studenten fächert sich das Porträt im Idealfall auf zu einer Ausdrucks- und Repräsentationsmöglichkeit, die lange vor der Fotografie in der Malerei begann. So wird ein Porträt nicht nur die Abbildung eines Gesichts, bei dem sich die Frage stellt, wie stark die Unebenheiten beseitigt und die Haut gesoftet wird, sondern die Fragen sind vielmehr jene nach den Vorbildern, mit denen sich der Fotografierende auseinandersetzt. Orientiert man sich in der Lichtführung an malerischen Vorbildern? Ist man beeinflusst von den klassischen Standesporträts in der freien Natur, wie sie August Sander erstmals realisierte? Wie steht man zu Richard Avedon? Zu Diane Arbus? Darf man Freaks fotografieren? Plötzlich wird das Ganze nicht bloß zu einer technischen, sondern zusätzlich zu einer ethischen und ästhetischen Entscheidung. Wer noch weiter forscht, stellt fest, dass es beim künstlerischen Porträt überhaupt nicht mehr um das Aussehen des Abgebildeten geht. Das, was zwischen dem Fotografen und dem Modell passiert, wird zum eigentlich Bildinhalt. Ob der Abgebildete sich ähnlich, gut getroffen oder gar hübsch findet, ist vollkommen belanglos. Das fotografische Tun erhält eine Tiefe, die ohne diesen Hintergrund, ohne dieses Wissen um das eigene Metier und ohne das Einbringen der eigenen Individualität gar nicht möglich ist. Es ist normal, mit der Situation an der Hochschule zu hadern, es gehört zum Studium, sich kritisch mit dessen Bedingungen zu befassen. Darüber sollte jedoch nicht vergessen werden, welches Privileg man genießt, seine Fähigkeiten zu trainieren, seine Ansprüche auszudifferenzieren, mit Gleichaltrigen zu arbeiten und sich argumentativ auseinanderzusetzen. Kurz gesagt, diese vergleichsweise unbeschwerte Zeit in seinem Leben zu haben, das zu tun, was man liebt und sich dabei zu verlieben. Sehr schön drückt den Sinn seiner akademischen Ausbildung Florian Rainer aus, Fotograf mit Diplom aus Wien: „Ich wollte erreichen, dass ich nicht aus Verlegenheit um eine eigene Meinung immer mit dem Strom denken muss. Kritisches Abwägen und fundierte Argumentation sind mir auch in Bezug auf meine fotografische Arbeit zunehmend wichtig. Mein Diplomstudium hat mich befähigt,

Die Unterschiede zwischen Handwerk und Studium am Beispiel Porträt.

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Je länger die Ausbildungszeit, desto mehr Chancen hat man, seine Persönlichkeit und seine Kreativität zu entwickeln.

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zu recherchieren, komplexe Texte zu lesen und zu verstehen, abzuwägen, querzudenken. Das sind grundlegende Fähigkeiten, die mir in vielen Bereichen zupass kommen, nicht zuletzt, wenn es darum geht, eigene fotografische Standpunkte zu entwickeln.“1 Wer nicht das Privileg hatte, zu studieren, kann die akademische Herangehensweise mit Ignoranz strafen. Damit hält man sich jeden Zweifel am eigenen Tun und jede Überlegung, warum jemand etwas auf diese Weise dargestellt hat, vom Leib. So kann man ganz sicher sein, nie etwas dazuzulernen. Was an den Hochschulen an fotografischen Arbeiten realisiert wird, ist nicht per se besser oder schlechter als anderswo. Es ist jedoch keinesfalls kommerzieller Mainstream. Dieses Andersartige sollte man erst einmal erkunden, statt es gleich brüsk abzulehnen. Jeder, der eine rein handwerkliche Ausbildung absolvierte, hat jederzeit die Chance, sich durch das Besuchen von Ausstellungen und das Ansehen von Bildbänden mit der Entwicklung der Fotografie sowie zeitgenössischen Tendenzen vertraut zu machen. Das schult das ästhetische Empfinden und fördert die Kreativität. Eindrücke zu sammeln, mit neugierigen, offenen Augen durch die Welt zu gehen, kostet nichts extra. „Für den Fotografenberuf ist das Handwerkliche die Voraussetzung, aber die Kreativität ist wichtiger als nur abzufragendes Wissen. Wer für eine Assistenz oder ein Praktikum schon einmal den Schritt nach New York oder Paris wagt, der wird auch später sich leichter durchbeißen“, sagt Klaus Lorenz vom AWI.2 Welche Ausbildungsmöglichkeit sollte man also ergreifen? Hat man die Wahl, nimmt man immer die, welche am längsten dauert. Je länger man Zeit hat, praktische Erfahrungen zu sammeln und seinen Stil ohne kommerziellen Druck zu entwickeln, desto wohler wird man sich langfristig damit fühlen und desto erfolgreicher wird man sein. Der verkannte Aspekt der Ausbildung ist der Austausch mit Gleichgesinnten und die gegenseitige Kritik. Diese dient als Ansporn, man lernt, sich im Vergleich einzuschätzen und die eigene Sichtweise zu präzisieren, man wird insgesamt souveräner. Aus- und Fortbildungswege, die diese Chance der Diskussion und des Austauschs nicht beinhalten, sollte man stets skeptisch betrachten. Wer nur für eine Sitzung beim Meister in einer Privatschule anreist und dafür aber ebenso viel zahlt wie jene, die permanent am Unterricht teilnehmen, wird nicht groß von dieser Fortbildung profitieren. Der gleiche Grund spricht gegen die Lehre oder Assistenz3 bei einem einzelnen Fotografen. Auch die Berufsschule bietet keinen hinreichenden Ausgleich zur einseitigen Sichtweise und Resonanz. Roger Richter, Werbefotograf, der selbst ausbildet, findet, dass ein Zugangsweg allein nicht ausreicht: „Das Entscheidende ist eine kluge Kombination, zum Beispiel eine Fotolehre oder Assistenzzeit und dann ein Studium oder nach dem Studium die Assistenz. Um in die 1  Profi Foto 3/2010, S. 36 2  Klaus Lorenz, Vorstand AWI Arbeitskreis Werbe-, Mode, Industriefotografie, zitiert nach PhotoPresse 39-2006, S. 25 3  Als ausschließliche Ausbildung gemeint. Gegen die Assistenzzeit nach der Ausbildung und vor der Selbstständigkeit ist hingegen nichts einzuwenden.


engere Wahl einer Lehre oder Assistenz zu kommen, sind Abitur, Englischkenntnisse und Führerschein Voraussetzung.“ Und auch Fotografen-Repräsentantin Gunda Patzke findet die Assistenz bei „einem renommierten Fotografen fast ein Muss, am besten in Berlin oder in Hamburg, München, Düsseldorf, Stuttgart.“ Noch ein Wort zu den Ansichten der Eltern. Wer minderjährig ist, wird allemal nicht frei entscheiden können, sollte aber versuchen, seine Interessen, beispielsweise mit Hilfe von Lehrern oder Verwandten, durchzubringen, falls die Eltern gegen eine akademische Ausbildung eingestellt sind. Sollten sie gar nicht mit sich reden lassen, ist die Lehre in einem passenden anderen Beruf, quasi als Vorbildung, eine zu überlegende Überbrückung bis zur Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen. Beruht die Ablehnung auf der finanziellen Situation der Familie, kann man sich um ein Stipendium bemühen.1 Oft wird es andersherum sein: Die Eltern wollen, dass das Kind Abitur oder zumindest Fachabitur macht, der Jugendliche aber nicht. Ist man fürs Abi ernsthaft ungeeignet, muss man das akzeptieren. Andernfalls sollte man sich an dieser Stelle nicht in eine Protesthaltung gegen die Eltern hineinsteigern, weil man sich nur selbst damit schadet und zwar nachhaltig und für immer. „Sollen sie doch für mich zahlen, wenn sie unbedingt wollen“, ist auch keine freundliche Haltung, ermöglicht aber beiden Parteien, mit der Lösung zu leben. Schöner wäre es, ein bisschen dankbar dafür zu sein, dass die Eltern bereit sind, das meist mühsam erarbeitete Geld in den vagen Zukunftsaussichten eines womöglich widerspenstigen Kindes zu versenken.

Die Assistenz im Anschluss an die Ausbildung gilt als Karrieresprungbrett.

Wodurch sich der autodidaktische Zugang unterscheidet Wissen ist heute frei verfügbar. Man möchte wissen, wie eine bestimmte Kamera funktioniert, wie man mit fünf Blitzen ein Stadion erleuchtet oder mittels Bildbearbeitung unterschiedlich belichtete Landschaftsausschnitte zu einem beeindruckenden Panorama zusammenklöppelt, kein Problem! Für alles gibt es Video-Tutorials, Experten-Blogs sowie Bücher und Software. Sich technisch auszukennen, bedeutet heute für Fotografen keinen dauerhaften Vorteil mehr, von einigen speziellen Anwendungen abgesehen. Viele Amateure, und Semiprofis sowieso, haben heute eine Kamera, die fast so schnell und fast so stoßfest ist wie das Profi-Modell. Bei dem herrschenden Preiskampf fragen sich gestandene Studiofotografen, ob die Anschaffung der neuesten Mittelformatdigitalkamera wirtschaftlich zu vertreten ist oder eine Vollformatsensorkamera nicht völlig ausreicht. Hinsichtlich der Ausstattung nähern sich 1  Bitte in der Schule nach regionalen Fördermöglichkeiten erkundigen. Siehe auch: stipendiumplus.de

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Fachliche Kritik ist in der Ausbildung das A und O. Nur so lernt man, die eigene Leistung zu beurteilen und zu verbessern.

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Vollprofi und Autodidakt folglich sehr stark an. Auch beim technischen Know-how und der Ausführung liegen sie gleich auf – oder? Jein! Bis zu einem gewissen Grad ja, aber dann trennt sich doch der „Gelernte“ vom Autodidakten (was beruhigend ist, für alle, die eine Ausbildung absolvierten). Das hat Gründe: Der Seiteneinsteiger kommt zur Fotografie über eine Freizeitbeschäftigung, in einer Art enthusiastischer Urlaubsstimmung. Im Urlaub macht man das, woran man Spaß hat. Man bekommt keine Aufgaben und kein ernsthaftes Feedback. Man denkt, man ist ganz toll, realisiert aber kaum, dass es der Anfang eines Gebirges ist, auf dem schon sehr viele sehr viel höher unterwegs sind, somit mehr Überblick und Erfahrung haben. Im Unterschied dazu muss man während einer Ausbildung neben den schönen Aufgaben auch solche lösen, die man nicht interessant oder attraktiv findet. Sie erscheinen als lästige Zeitvergeudung, wenn man den tieferen Sinn nicht versteht. Der besteht darin, Problemlösungstrategien zu üben, die Dienstleistungshaltung sowie fotografische Techniken, die einem nicht liegen. Folglich ist man für die unkalkulierbaren Anforderungen im Job besser gerüstet. Zudem wurde der „Gelernte“ mit ernst zu nehmender Kritik konfrontiert. Das ist wichtig, da man als Fotograf selbstkritisch sein muss. Wie soll man entscheiden, welches Foto besser ist als ein anderes, wo man doch alle gemacht hat und im Zweifel alle super und viel besser als die von Bert Blende findet? Indem man lernt, die eigene Produktion nicht nur kritisch zu betrachten, sondern auch mit den Augen jener, für die man arbeitet. Fehlende fachliche Kritik und die daraus resultierende Unsicherheit sind das wahre Manko der Autodidakten. Da hilft auch keine Fotocommunity, die immer wieder geschlossen bestätigt, wie schön bunt die Fotos sind. Wenn man nicht in der Lage ist, seine Leistung kritisch einzuschätzen, sondern immer nur begeistert ist von dem Ei, das man gerade wieder gelegt hat, wird man Legehenne, aber keine goldene Gans. Wer nicht schon in der Ausbildungszeit gelernt hat, sachlich zu kritisieren und selbst von sachlicher Kritik zu profitieren, kann später nur schwer mit Kritik umgehen. Autodidakten fühlen sich leicht in ihrer ganzen Person oder Ehre gekränkt, wenn ihre Arbeit nicht so ankommt, wie sie es sich vorgestellt haben. Berechtigte Kritik annehmen und produktiv umsetzen zu können, ist ein Zeichen von Souveränität. Das gilt nicht nur für Fotografen. „Denken Sie daran, wie ein Kind laufen lernt. Wenn Hinfallen als Versagen interpretiert würde, könnte keiner von uns je laufen. Mit Versagen, Zurückweisung und Frustration umzugehen, ist ein entscheidender Teil des kreativen Prozesses. Wenn wir diese Einstellung akzeptieren lernen und weitermachen, werden wir stärker und gewinnen Zuversicht.“1 1  Joyce Wycoff: Gedanken – Striche, zit. n. Prof. Gerhard Fleischmann, in: Mythos Mappe, Bd.1, Klartext Vlg., S. 9


Einen beachtlichen Vorteil gegenüber gelernten Fotografinnen und Fotografen haben allerdings inzwischen jene, die über Berufserfahrung in Unternehmen verfügen. Ihnen gelingt es oft besser, den richtigen Ton im Umgang zu finden und sich auf die Bedürfnisse der Auftraggeber einzustellen. Ihnen rate ich vor allem, sich nie als Anfänger zu sehen, sondern als jemand mit Berufs- und Lebenserfahrung, der lediglich den Schwerpunkt seiner Tätigkeit verlagert hat. Ziel ist es, dem Kunden diese gebündelte, individuelle Kompetenz anbieten zu können – statt sich als in die Jahre gekommener Fotograf mit Ambitionen, aber ohne Referenzen zu präsentieren.

Ein Licht aufgehen lassen

Obacht: Der Seiteneinsteiger neigt zu statusträchtigen Anschaffungen: „Ich hätte damals auf Sie hören sollen: 40.000 Euro Kredit für ein Hasselblad-System etc. – purer Wahnsinn, und absolut unnötig! Provinzdeppenfehler, den ich seit drei Jahren bezahle“, berichtet ein Klient per E-Mail.

Die Bedeutung einer breit angelegten, möglichst guten Ausbildung in jungen Jahren kann nicht hoch genug angesetzt werden. Nur so kann man in Ruhe ein Gefühl dafür entwickeln, welche Begabungen man hat und an welchen Fähigkeiten noch zu arbeiten wäre. Dabei muss die Ausbildung nicht zwangsläufig rein fotografisch sein, etliche Studiengänge sind das ohnehin nicht. Sich nur auf ein Teilgebiet oder das zu konzentrieren, was man gerne macht, bietet keine ideale Voraussetzung. So wie man in der Schule den Mathematikunterricht besuchen muss, obwohl man sprachlich begabt ist, so sollte man in der Ausbildung möglichst unterschiedliche Aspekte der gewählten Fachrichtung kennen lernen. Auch wer sich schon sicher ist, der Experte für Snowboard-Fotos zu sein, sollte es nicht scheuen, Schrauben vor blauem Hintergrund im Studio auszuleuchten. Während der autodidaktisch gebildete Snowboarder-Fotograf die Krise bekommt, wenn der Werbekunde sagt: „Gell Burscherl, fotografierst uns auch unsere feschen Bindungen fürs neue Prospekterl“, ist das für ausgebildete Fotografen kein Problem. Wer nicht einen allgemeinen Medien-Studiengang wählen möchte und sich ganz unsicher ist, welche Richtung bei der Ausbildung zum Fotografen einzuschlagen sei, ist mit Editorial und Reportage oder einem künstlerischen Studium am besten bedient – nicht wegen der schlechten Verdienstaussichten, sondern wegen der Vielfältigkeit und der Chance, seinen Interessen und seiner Neugier zu folgen. Eine Ausbildung in einer der Realität zugewandten Fotografie fordert und erfordert viel mehr von der individuellen Person des Fotografierenden. Beispielsweise muss man recherchieren, sich mit Personen und dem Team verabreden, Genehmigungen einholen, aufs Wetter und die Tageszeit achten, sich Gedanken zur Umsetzung oder Darstellung machen, die Blitzanlage transportieren und aufbauen. „On location“-Produktionen sind komplexer als reine Studio-Shoots.

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Bevor man an die Selbstständigkeit denkt, sollte einem ein Licht, wenn nicht eine Blitzanlage, aufgegangen sein.

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Ob man nun eher Reportagefotografie oder künstlerische Fotografie studiert, ist gar nicht so entscheidend für das, womit man später tatsächlich Geld verdienen wird. Entscheidend ist, dass man sich mit all seinen Ideen, Macken und Wünschen einbringen und zu einer kommunikativen Person entwickeln kann. Was macht einen Berufsfotografen aus, ist die Frage, die man sich an dieser Stelle sicherlich bereits stellt. Aus der täglichen Praxis eines erfolgreichen Werbefotografen wie Roger Richter sind es: „Erst einmal nicht die individuellen Qualitäten, sondern er muss in einem streng vorgegebenen Zeitraum (in der Werbung häufig nur ein einziger oder gar nur ein halber Tag) eine klar definierte Aufgabe mit einem festen Budget erfüllen. Wenn das 2.000 Euro teure Model im Studio oder am Set ist, bleibt keine Zeit mehr für technische Grundlagenforschung. Set, Licht, der digitale Workflow und alles andere müssen stimmen. Und natürlich muss das Produkt auf dem Bild gut aussehen.“ Vor dem Kunden gibt es keine Ausrede. Schon gar nicht die, man sei Künstler. „‚Ich wollte das Eis so matschig, dunkel und unscharf fotografieren, weil ich mich von den alten italienischen Meistern habe inspirieren lassen’, geht gar nicht“, sagt Roger Richter, der selbst ein künstlerisch orientiertes Studium absolvierte, bevor er in der Assistenz das Geschäft der Werbefotografie lernte. Artbuyerin Claudia Bussjaeger wünscht sich, „dass der Fotograf immer auch das Ziel im Auge behält, nämlich für den Kunden Werbung zu fotografieren und sich nicht selbst realisieren zu wollen. Vorschläge liebend gerne, aber keine Ich-Mach-Mein-Ding-Nummer.“ Auch eher dokumentarisch arbeitende und Editorial-Fotografen brauchen Strategien, wie sie zum benötigten Bildmaterial „mit entsprechender Dramaturgie und Lichtqualität“ (Richter) kommen. Zudem sollte man nicht verkennen, dass auch Licht laufend neuen Trends unterliegt. Ob ein Fotograf reif für die Selbstständigkeit ist, zeigt sich speziell bei Seiteneinsteigern weniger in den Motiven oder im Umfang der Ausrüstung als vielmehr in der Frage, ob der Fotograf bei jedem Foto das Licht kontrolliert oder nicht. Fotografen, die meinen, das Abbilden unverstellter Realität reiche heute noch aus, um damit den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, erleben schon bei der geringsten kommerziellen Anforderung ihr Waterloo. Die Zeiten des berufsmäßigen Flaneurs mit der Kamera sind lange vorbei. Als wirklich entscheidend sollte man sich die Frage stellen: „Habe ich bei jedem Foto das Licht bewusst kontrolliert und eingesetzt?“ Auch später sollten keine Fotos auf die Website oder in die Portfoliomappe, bei denen das Licht „zufällig“ gut war – es sei denn Sie sind Naturfotograf! Sie kennen vielleicht schon die Spruchweisheit der Fotobranche: „Der Amateur kümmert sich um die Kamera, der Profi ums Licht!“


Wann selbstständig werden? Für viele Fotografen erfolgt der Schritt in die Selbstständigkeit nicht automatisch durch den Abschluss der Ausbildung. Einige suchen zunächst eine angestellte Tätigkeit, weil sie unsicher sind – hinsichtlich ihrer Fähigkeiten einerseits, hinsichtlich der finanziellen Aussichten andererseits. Auch Seiteneinsteiger stehen oft lange Zeit vor der Frage, ob sie den Absprung wagen sollen oder nicht. Welche Vorgehensweise sinnvoll ist, kann auch nur im individuellen Fall entschieden werden. Aber als Faustregel aus der Erfahrung gebildet: Wer sich schon frühzeitig im Leben für eine Ausbildung zur Fotografin oder zum Fotografen entschieden hat, sollte auch den nächsten logischen Schritt bald tun. Je länger die Angestelltentätigkeit in einem Studio dauert oder je länger man assistiert, desto schwerer wird es, den Absprung zu finden. Die Assistenz sollte stets nur eine Übergangsphase sein, also nicht länger als ein, höchstens zwei Jahre dauern, falls man zwischendrin gewechselt hat. Gedacht ist die Zeit übrigens nicht dazu, dass Sie lernen, Espresso wie ein Barista zuzubereiten, sondern fotografisch routinierter werden und sich Angucken, wie das Geschäft funktioniert! Wie verläuft der Kundenkontakt, was wollen die sehen, warum buchen sie den Fotografen? Gehen Sie doch mal in Gedanken den Fall durch, Sie wären bereits selbstständig. Was würden Sie am dringendsten von einem Mentor wissen wollen? Das schreiben Sie sich auf und dann gehen Sie in einem günstigen Moment zum Chef oder zur Chefin und fragen. Ein anderer sehr wichtiger Punkt ist der Auslandsaufenthalt. Falls Sie nicht schon während der Schulzeit im Ausland gelebt haben, ist das während oder am Ende der Ausbildung Pflicht. Besuchen Sie wenigstens ein Semester lang eine Fotoschule in den USA oder in einem europäischen Land. Ganz anders lautet die Empfehlung bei Seiteneinsteigern. Wer über ein solides regelmäßiges Einkommen, dreizehntes Monatsgehalt, Weihnachtsgeld und bezahlten Urlaub verfügt, wird ziemlich entsetzt feststellen, dass die Privilegien weg sind, aber wahrscheinlich nicht das erträumte Maß an entspannter Selbstverwirklichung an deren Stelle tritt. Vom finanziellen Gesichtspunkt einmal abgesehen, bedeutet der Berufswechsel auch, die eigene Identität neu zu justieren. Schließlich wird man hierzulande nahezu ausschließlich über den beruflichen Status und das erzielte Einkommen identifiziert. Und Selbstständige in Medienberufen verdienen von jeher im Schnitt weniger als Festangestellte. Um den Absprung in die Selbstständigkeit zumindest abzufedern, sollte man die ersten Kunden bereits haben.

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Wie bekommt man die ersten Kunden? Um es ein wenig übersichtlicher zu machen, soll zunächst einmal wieder zwischen jenen unterschieden werden, die eine Ausbildung absolviert haben und jenen, die autodidaktisch den Zugang zur Fotografie fanden und schon einen anderen Beruf ausgeübt oder Kinder erzogen haben. Sie verfügen über Lebenserfahrung, Kontakte, finanzielle Rücklagen. Die Ausgangssituation ist daher anders. In den meisten Fällen kommt der Autodidakt überhaupt auf die Idee, die Fotografie zum Beruf zu machen, weil er oder sie schon erste Kunden hat: „Mach mir doch mal Fotos für die Webseite!“ oder „Kannst du nicht die Hochzeit meiner Tochter fotografieren?“ sind gängige Fragen an Menschen, die leichtfertig vor Zeugen mit einer Kamera hantiert haben, die wie eine aussieht und nicht wie ein Telefon. Wer sich von der Unterstellung, er würde kostenlos arbeiten, nicht beeindrucken lässt, hat seine ersten Kunden gefunden. Je älter und/oder regional verwurzelter der Seiteneinsteiger, desto stabiler ist meist sein soziales Netzwerk und desto einfacher bekommt er die ersten Jobs. Gerade an diesem durchaus gängigen Berufseinstieg sieht man ganz klar die Prioritäten: Bis zu einem mittleren fotografischen Anspruchsniveau und im B2C-Bereich sind die sozialen Qualitäten zunächst wichtiger als die fotografischen. Brautleute, Gewerbetreibende, Selbstständige und Handwerker, Jubilare und Bauherren, sie alle sind keine Fotoexperten. Denken Sie daran, dass Kunden in der Regel Abbildungen selektiv wahrnehmen und beurteilen – also ganz anders als Sie! Finden Sie vorher heraus, worauf es dem Kunden ankommt. Dessen Augenmerk gilt der Frage, ob alle Gäste abgelichtet wurden. Es interessiert ihn keineswegs, ob im Hintergrund kopflose Personen rumstehen oder der halbe Parkplatz mit darauf ist. Private Kunden lieben Verlaufshintergründe, farbige Partien in Schwarzweißfotos (Colorkey), Einblendeffekte, Patchworkpräsentationen und Sepiatonungen. Man kann von ihnen nur schwerlich erwarten, den Preis für eine ästhetische Leistung oder einen technischen Aufwand zu zahlen, deren Wert sie nicht ermessen. Mithin bleibt die Frage, wie expansionsfähig der Kundenkreis ist. Werden sie auch noch Aufträge vergeben, wenn nicht mehr die aus anfänglicher Unsicherheit angebotenen Freundschaftspreise gelten?

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Bei Absolventen einer fotografischen Ausbildung an einer Hochschule oder Fachschule sieht die Situation meistens anders aus. In der Regel herrscht hier ein Bedürfnis vor, das für Menschen in den Zwanzigern normal ist oder sein sollte: Die Welt zu erobern, sich zu beweisen, endlich Geld zu verdienen. Oft sind sie zwar nicht auf den Berufsalltag vorbereitet, als Fotografinnen und Fotografen aber bestens gerüstet, egal wie kritikwürdig die Ausbildung gewesen sein mag. Sie sind komplexen Anforderungen gewachsen, auch wenn sie das vielleicht nicht einmal selbst glauben.


Der ganz große Unterschied liegt (wie immer) in der Haltung: Junge „studierte“ Mediendesigner betrachten Fotografie zukunftsoffener, nicht so stark von Illusionen getrieben und vor allem nicht mehr als Handwerk. Das Stehbild ist eine Möglichkeit des künstlerischen Ausdrucks oder der werblichen Darstellung, aber nicht die einzige, die sie kennen, sich vorstellen und anwenden können. Sie mögen freiwillig darauf verzichten, aber sie haben Optionen, von denen Seiteneinsteiger nicht einmal wissen. Für den Autodidakten ist Fotografie eine schöne Möglichkeit, schnell zu einem akzeptablen Resultat zu kommen. Für ihn ist der Umgang mit dem technischen Gerät, mithin der handwerkliche Aspekt, ein wichtiger Spaßfaktor. Für Fotostudenten ist Fotografie keine einfache Technik, ein „Bild“ zu realisieren, sondern eine anspruchsvolle. Fotografie war nie Hobby (im strengen Sinne von Freizeitbeschäftigung als Ausgleich zur Berufsarbeit), nie technische Obsession. Sich für ein fotografielastiges Studium zu entscheiden, ist immer ganz klar eine Berufsentscheidung und in Zeiten von Bachelor und Master keine, die viel Zeit zur Muße verspricht. Bei allen Unterschieden der Hochschulausbildung ist ihr doch die Kopflastigkeit gemein, allein schon, weil Konzepte und Arbeiten geschrieben werden. Das Fotografieren ist eine von mehreren Optionen, eine Idee visuell umzusetzen. Dazu wird im Idealfall ein gewisser Inszenierungsaufwand getrieben. Die ersten Kunden werden bei Studenten nur dann aus dem eigenen Bekanntenkreis kommen, wenn die Eltern die Kontakte entsprechend vermitteln. Anständigerweise sollte die Ausbildungsstätte für die ersten Erfahrungen „on the job“ sorgen, aber nicht überall ist das der Fall. Und falls die so genannte Bologna-Reform nicht reformiert wird, werden es zukünftige Fotografie- oder DesignStudenten schwer haben, während des Studiums erste Erfahrungen mit Kundenanforderungen zu sammeln. Die Vorstellung, nach dem Studium finanziell und hinsichtlich praktischer Erfahrung mehr oder minder bei Null anzufangen, ist alles andere als beruhigend. Wer also Vitamin „B“ nicht hat, muss selbst netzwerken. Welche Personengruppen treffen sich wann und wo? Kann ich mich dort unters Volk mischen? „Ich halte es für richtig, auf Netzwerkveranstaltungen zu fotografieren. Sogar ohne Honorar. Als Fotograf wird man wahrgenommen, man knüpft Kontakte, wird lokal bekannter. Darüber kann man Jobs generieren! Mein ‚Durchbruch‘ zum Berufsfotografen habe ich dem Empfehlungsnetzwerk BNI zu verdanken. Anfangs haben knapp 50 Prozent meiner Jobs eine Wurzel in einer BNI-Empfehlung gehabt“, berichtet der Kölner Business- und Industriefotograf Christian Ahrens. Um sich einen Namen zu machen, ist die Teilnahme an Stipendien, Förderprogrammen und Wettbewerben für junge künstlerisch orientierte Fotografen eine gute Möglichkeit. Wer wirklich etwas Außergewöhnliches zu zeigen hat, kann dadurch ein Renommee aufbauen, das zu interessanten Aufträgen führen kann. Aber auch das passiert nicht ohne weiteres. Man muss selbst aktiv werden,

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Im Buch „Fotopraxis mit Perspektive“ wird das durch die Berichte der interviewten Fotografen anschaulich illustriert.

die Auszeichnung zum Anlass nehmen, mit seiner Mappe bei Agenturen oder in Redaktionen vorstellig zu werden. Der beste Weg ist auf jeden Fall, es nicht dem Zufall zu überlassen, wer als Kunde kommt. Man kann das selbst steuern, indem man sich überlegt, wen man gerne als Kunden hätte. Also zuerst überlegt man, was man am besten kann oder am liebsten machen würde, und dann recherchiert man, wer das gebrauchen könnte. Und dann bietet man das dort ganz konkret an. Wer handwerklich-technisch versiert ist, nimmt ein paar Produktfotos und stellt sich damit bei einer „kleinen“ Agentur vor, das heißt nicht bei den großen Namen in Hamburg oder Berlin, sondern bei denen, die das tägliche Geschäft des regionalen Gewerbes durch die Gestaltung von Verkaufsförderungsmaterial oder Anzeigen unterstützen, Stichwort: Mittelstand. Das ist ein guter Einstieg in die Zusammenarbeit mit Agenturen oder Firmenkunden. Und man kann später bei den wichtigen Agenturen praktische Erfahrung vorweisen. Zu denken, man bekäme als Anfänger den Auftrag, an einem großen Werbeetat mitzuarbeiten, ist ziemlich blauäugig. Parallel zu den ersten eigenen Aufträgen kann man in einem Studio oder als freier Assistent arbeiten. In jedem Fall sind Fantasie und Mut gefragt. Ohne eigene Initiative wird wenig bis nichts passieren. Warum klassische Werbung in eigener Sache viel kostet, aber wenig bringt, und welche besseren Möglichkeiten es gibt, wird später erläutert. Vorher noch einige Grundlagen.

Was muss man beim Berufsstart berücksichtigen? Freier Beruf oder Gewerbe? Melden Sie nicht voreilig ein Gewerbe an, sondern informieren Sie sich gründlich.

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Hier steht als erstes die Frage im Raum, ob die eigene Arbeit als gewerblich einzustufen ist oder unter die freien Berufe fällt. Zur Vorabinformation sei auf folgende Paragraphen verwiesen: „Freiberufliche Tätigkeiten im steuerrechtlichen Sinne werden nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Katalogberufe, also beispielsweise den Arzt oder Rechtsanwalt und den Katalogberufen ähnliche Berufe differenziert. Der ähnliche Beruf muss dem Katalogberuf in allen Punkten entsprechen, das heißt, er muss alle Wesensmerkmale eines konkreten Katalogberufes zumindest nahezu vollständig enthalten. So müssen Ausbildungen als Voraussetzungen für die jeweilige Berufsausübung vergleichbar sein. Zu den Katalogberufen zählen auch: „Die sprach- und informationsvermittelnden Berufe wie Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer. Seit Juli 1998 enthält § 1 Abs. 2 S. 1 PartGG die folgende Definition der Freien Berufe: „Die Freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der


Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“1 Als Faustregel gilt: Fotojournalisten, Fotodesigner und künstlerische Fotografen zählen zu den Freien Berufen. Alle anderen Fotografen sollten sich genau informieren, ob sie ein Gewerbe anmelden müssen. Wer als Fotografin und Fotograf kein Gewerbe betreibt, muss sich folglich auch nicht ins Handelsregister eintragen lassen oder bei der IHK (Industrie- und Handelskammer). Wichtig ist, sich zur Umsatzsteuer anzumelden, vor allem auch eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu beantragen. Auf so manchem Fotografen-Briefbogen habe ich schon die persönliche Steuernummer gesehen, die man nicht unbedingt öffentlich verwenden sollte. Die USt.-ID hingegen muss auf Rechnungen und auch auf der Webseite angegeben werden. Außerdem braucht man sie für Rechnungen ins EU-Ausland, wenn bei innergemeinschaftlichem Erwerb oder innergemeinschaftlicher Lieferung die Umsatzsteuer entfallen kann. Wird die Leistung in Deutschland erbracht, ist aber auch bei Rechnungen ins Ausland die Umsatzsteuer aufzuschlagen. Bitte fragen Sie Ihren Steuerberater! Für alle Fotografen, die für Unternehmen (Agenturen, Firmen, Verlage) arbeiten, lohnt sich das Optieren zur Umsatzsteuer. Immerhin kann man dadurch derzeit 19 Prozent bei Anschaffungen erstattet bekommen beziehungsweise mit eingenommener Umsatzsteuer verrechnen. Diese Einsparung kann sich bei Kameras und Speichermedien, Druckern und Lichtequipment zu einer beträchtlichen Summe addieren. Vorsicht jedoch bei öffentlich-rechtlichen Anstalten, kirchlichen Trägern oder Vereinen. Die sind selten bereit, zusätzlich die Umsatzsteuer zu entrichten, so dass man sie vom eigenen Honorar abführen muss, was recht schmerzhaft werden kann. Für so genannte Kleinunternehmer gilt es, sehr genau zu prüfen, ob eine Umsatzsteuerbefreiung von Vorteil ist. Wer beispielsweise auf Reitturnieren fotografiert, verkauft ausschließlich Fotos an Privatleute. Dann profitiert man von der Umsatzsteuerbefreiung in jeder Hinsicht – die Preise sind attraktiver und das Abführen der vielen kleinen Beträge entfällt. Das Kamera-Equipment war meist ohnehin schon angeschafft, kann also auch nicht mehr dagegen gerechnet werden. Für alle anderen Fotografen gilt: Die Anwendung der Kleinunternehmerregelung sieht unprofessionell aus und führt zu ständigen Rückfragen, warum die Umsatzsteuer fehlt. Die ermäßigte Umsatzsteuer von derzeit 7 Prozent gilt nur für „die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz ergeben“ (UStG §12). Beim Verkauf von Prints, der ja ohne Einräumung von Rechten erfolgt, muss die volle Umsatzsteuer berechnet werden. Gleiches gilt für alle anderen Arten von Honoraren und Leistungen. Sie unterliegen auch bei Fotografen der vollen Besteuerung. Was der Staat auf erbrachte Leistungen und Waren kassiert, heißt „Umsatzsteuer“, in der Schweiz 1  Zitiert nach freie-berufe.de/Profil.212.0.html

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„Mehrwertsteuer“. Aufgrund der sich laufend ändernden Bestimmungen können hier nur unverbindliche Hinweise gegeben werden. Bitte fragen Sie immer Ihren steuerlichen Berater und/oder das zuständige Finanzamt sowie, gegebenenfalls, die Berater der örtlichen Industrie- und Handelskammer. Zudem sollte man sich bei folgenden Institutionen ausführlich informieren, inwieweit eine Anmeldung sinnvoll oder, bei den beiden ersten, gar Pflicht ist: •• Künstlersozialkasse (kuenstlersozialkasse.de) •• Berufsgenossenschaft ETEM (bgetem.de) •• Verwertungsgesellschaft Bild Kunst (bildkunst.de) •• Gewerkschaft ver.di (verdi.de) •• Presseversorgungswerk (presse-versorgung.de)

Wann braucht man einen Businessplan? Wer, wenn die Kinder aus dem abbezahlten Haus sind, Lust bekommt, es als Fotografin oder Fotograf noch mal richtig krachen zu lassen, kann auf pingelige Umsatzplanungen wahrscheinlich verzichten. Alle, die finanziell nicht abgesichert sind, sollten sich im eigenen Interesse mindestens einen Überblick über anstehende Investitionen und die eigenen Lebenshaltungskosten verschaffen. Woher wollen Sie sonst wissen, was Sie verdienen müssen? Und wie erfahren Sie sonst, ob Sie es geschafft haben, in die schwarzen Zahlen zu kommen? Dieses Erfolgserlebnis sollten Sie sich nicht versagen. Sobald Sie Fördergelder oder Gründungskredite beantragen möchten oder müssen, bleibt Ihnen ohnehin nichts anderes übrig, als den Zahlen ins Auge zu sehen. Allgemeine Informationen zur Existenzgründung sind nicht Gegenstand dieses Buches. Die örtliche Handelskammer bietet dazu sicherlich einen Kurs an. Einige nützliche Broschüren findet man unter existenzgruender.de; „Stundensatzrechner“ oder „Honorarrechner“ sind online verfügbar.

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Es lohnt sich, zumindest einmal die Kosten für die Gerätschaften aufzulisten. Aufgrund der Freude an neuen Kameras und Objektiven neigt der Fotografierende dazu, die Aufwendungen herunterzuspielen. Ich habe schon Amateure erlebt, die eine Studioausrüstung samt zwei digitalen Mittelformatkameras ihr Eigen nannten. Bei der digitalen Aufrüstung ist die Anschaffung einer Kamera nur ein Kostenfaktor, der weitere nach sich zieht. Je höher die Auflösung desto mehr Speicherplatz ist erforderlich – für die Shoots und die Backups und die Backups der Backups. Selbstverständlich hängen Art und Umfang der Ausrüstung stark davon ab, in welchem Bereich man tätig sein will. Mi-


nimal sind zwei Kameras, wobei mindestens eine einen Vollformatsensor oder größer haben sollte; entsprechende Objektive, am besten Festbrennweiten; Speicherkarten; zwei Kamerastative; eine Blitzanlage; mindestens ein mobiler Blitz, Aufheller, eventuell Hintergründe, spezielle Lichtformer, Transporttaschen für den ganzen Kram, nein, eigentlich muss man sagen: ein PKW mit Ladefläche ist für Fotografinnen und Fotografen unverzichtbar. Hinzu kommen Rechner, Festplatten oder eigene Server, wenigstens ein großer Bildschirm samt Kalibrierungstool, Notebook, Tablet, Smartphone, ein größeres Softwarebundle im Abonnement. Optional, aber „nice to have“: ein eigener Drucker mit Pigmenttinten, auf dem man seine Werke printen kann. Man kann an verschiedenen Stellen sparen, bis man im Geschäft ist. Nur eines geht gar nicht: Bildbearbeitung mit verbindlichen Farben am Notebook. Diese grobe Auflistung soll lediglich vor Augen führen, welche Beträge – auch für die zukünftige Planung – nicht unterschlagen werden sollten. „Es sind hohe Investitionen fällig“, stellt Christian Ahrens rückblickend fest. „Bei mir war es weit jenseits der 40.000 Euro in wenigen Jahren. Komischerweise hatte ich für alle meine Jobs gerade immer genug Material, um sie auch stemmen zu können.“

Wie auf die Honorarfrage antworten? Im Zusammenhang mit der Businessplanung für die kommenden drei Jahre werden Sie gezwungen sein, Ihre potenziellen Einnahmen zu schätzen – und dazu müssen Sie sich erst einmal mit der Frage befassen, zu welchem Honorar Sie Ihre Dienstleistung anbieten wollen. Honorare zu verlangen und durchzusetzen ist nicht einfach, das muss man üben. Auch gestandene Fotografinnen und Fotografen haben damit ihre Probleme. Über Geld redet man nicht, hat man Zuhause womöglich gelernt. Aber genau das ist sehr wichtig: Über Geld zu sprechen und zwar vorher und nicht erst, wenn die Leistung schon erbracht ist. Nicht alle haben diese Sorge. Arbeitet man als Fotograf hauptsächlich für Stock- oder Microstockagenturen, taucht das Problem der Honorarforderung kaum auf. Auch die meisten Verlage haben feste Sätze, nach denen sie entlohnen. Die Relation von Zeitaufwand und Verdienst erklärt womöglich, warum die Arbeit als Hochzeitsfotograf zwar wenig Prestige hat, aber sehr begehrt ist. Und warum es bei Abdruckhonoraren von 25 Euro und darunter längst nicht mehr attraktiv ist, für Zeitungen zu arbeiten: viel Aufwand für wenig Geld. Will man für Unternehmen direkt oder für Werbeagenturen arbeiten, muss man selbst entscheiden,

Das Honorar zu niedrig anzusetzen ist genauso fatal wie ein zu ambitionierter Preis.

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