Ausgabe Winter 2020
DENKRAUM
Thema:
Nachhaltigkeit Leben und wirtschaften in Zeiten sich wandelnder Werte
The Globe 375 Quadratmeter misst der Eistunnel im Klimapark des Jotunheimen Nationalparks in Norwegen. 2019 grub der norwegische Bildhauer Peder Istad mit seinem Team drei neue Räume 70 Meter tief im Eis und schuf neue Skulpturen wie diese mächtige Kugel „The Globe“.
Editorial
DENKRAUM Winter 2020
Liebe Leser, das vergangene Jahr war geprägt von hitzigen Debatten zum Thema Umweltschutz. Manchmal hatte ich dabei das Gefühl, es entbrenne ein regelrechter Glaubenskrieg; es gab häufig nur ein striktes „Schwarz“ oder „Weiß“. Viele wussten sehr genau, was gut für die Umwelt ist. Auch die Umweltsünder waren schnell ausgemacht: die konventionelle Landwirtschaft, der Flugverkehr und – natürlich – die Fahrer großer Autos. Die Liste ließe sich noch beliebig verlängern. Die Antworten waren immer schnell zur Stelle. Ich persönlich finde es sehr positiv, dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit nun einen breiteren Raum in der öffentlichen Diskussion haben. Nur so können wir wirklich Verbesserungen erreichen. Sicher kann jeder Einzelne noch viel mehr dazu tun. Wir von HANS BECKER werden in Zukunft zum Beispiel noch häufiger als bisher auf Webmeetings setzen, statt für ein 2-Stunden-Gespräch innerdeutsch zu fliegen oder mit dem Auto weite Strecken zu fahren. Dafür investieren wir im neuen Jahr noch einmal in eine sinnvolle technische Ausstattung, werden damit effizienter und schonen zugleich die Umwelt. Allerdings darf das persönliche Gespräch beim Kunden natürlich nicht gänzlich verloren gehen, schließlich ist der Erfolg eines Projekts auch und vor allem von
„Wie wollen – und können – wir künftig leben?“ vielen Soft Facts abhängig. Einige Reisen werden also auch künftig bleiben und dafür umso wichtiger sein. Ich wünsche Ihnen wieder eine anregende Lektüre mit der neuen Ausgabe unseres DENKRAUM. Wie immer freue ich mich über Ihr Feedback und eine gute Diskussion unter a.roessel@hansbeckergmbh.de.
Ihre Anja Rössel
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Inhalt
DENKRAUM Winter 2020
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DENKRAUM Winter 2020
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Editorial 3 „Wie wollen – und können – wir künftig leben?“ Ansichtssache 6 Fokus 8
Letzte Rettung im Eis? „Braucht’s des?“ Nachhaltigkeit in kleinen Schritten – ein Selbstversuch
12 Step by Step. Der ökologische Fußabdruck 14 VAUDE: Der Umwelt-Produzent Inspiration 18 Verbrauchst du noch oder recycelst du schon? 20 Nachhaltiger leben – ist weniger wirklich mehr? Ein Kommentar zu Marie Kondos Aufräum-Philosophie 22 Lebensmittel online! Natürlich verpackt 24 The Last Mile Die große Herausforderung am Ende der Lieferkette Porträt 26 Analysen, Wind und Wetter. Mitarbeiterporträt: Andrea Marchel 28 Über das Ziel hinaus? Mehr Realismus für die gute Sache auch das noch! 31 Fundstücke, Neuheiten und Neuigkeiten Genuss 32 Kaffeekauf – Sünde oder gute Tat? 34 Vorschau, Impressum
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Ansichtssache
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Globalt sikkerhetshvelv for frø på Svalbard
(„Weltweiter Saatgut-Tresor auf Svalbard“) Der Saatgutspeicher auf Spitzbergen, Norwegen, ist der größte weltweit und seine Aufgabe ist die Lagerung von bis zu 2,5 Milliarden Pflanzensamen aus der ganzen Welt bei Minusgraden, damit sie in einem Katastrophenfall ausgeliefert und nachgezüchtet werden können. 2008 eingeweiht, ist das Saatgut-Depot in der Arktis bereits zehn Jahre später selbst vom Klimawandel bedroht und muss besser geschützt werden.
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Fokus: Nachhaltigkeit
DENKRAUM Winter 2020
Ein Selbstversuch
„Braucht’s des?“ Der Bayer ist bekannt dafür, Situationen und Sachverhalte des täglichen Lebens kurz und prägnant zu beschreiben und erklären zu können. Will er etwa klären, ob dieses oder jenes denn überhaupt notwendig sei und wozu das alles gut sein solle, genügt die einfache Frage „Braucht’s des?“.
von Hans Becker
Je nach Tonfall ist in der Frage die Antwort bereits enthalten, die entweder lautet: „Des braucht’s ned“ oder aber „Freilich braucht’s des“. Eine wunderbare Methode, wie jeder Einzelne von uns feststellen kann, wie und in welcher Form er seinen ganz persönlichen Beitrag zum Thema Klima- und Umweltschutz leisten kann. Es geht ja nicht bloß um CO2 , sondern auch darum, Rohstoffe effizienter zu nutzen, weniger Gifte in die Umwelt zu versprühen und mit Wasser zu haushalten. Nur durch die Gesamtheit der Maßnahmen können wir unsere Lebensgrundlagen bewahren. Auch wenn noch immer zu viele Menschen der Meinung sind, dass der Einzelne ohnehin nichts machen könne, ist dies doch lediglich die Weigerung, am eigenen Verhalten und an altvertrauten Gewohnheiten etwas zu ändern. Die Totschlagargumente „Verzicht kostet viel Geld“, „kostet viel Aufwand und Zeit“ und „bringt ja gar nichts“ sind meist nur vorgeschoben. Im Gegenteil ist Klima- und Umweltschutz meist mit Kostenreduzierung und Erhöhung der Lebensqualität verbunden. Man muss nicht gleich das ganz große Rad drehen, sondern Veränderung Schritt für Schritt herbeiführen. Allgemein herrscht die Meinung vor, dass Politik und Wirtschaft für eine nachhaltige Gesellschaft sorgen sollen. Die Politik kann zwar steuern und aufklären, viele wichtige Maßnahmen kann sie ihren Bürgern in einer liberalen Demokratie aber gar nicht vorschreiben, und die Wirtschaft hat ohnehin eigene Interessen. Deshalb liegt es an uns Verbrauchern, für die Rettung der Welt zu sorgen. Allerdings werden die Diskussionen über Nachhaltigkeit immer dogmatischer geführt. Dogmatismus war aber schon immer von Übel. Wenn Hardcore-Klimaschützer populistisch und bevormundend das Autofahren oder das Fliegen und das Fleischessen verbieten wollen, wird uns das sicher nicht weiterbringen und sogar Widerstände produzieren. Schließlich wollen wir ja die Errungenschaften der Neuzeit weiter sinnvoll nutzen. Allerdings ist sich die seriöse Wissenschaft trotz einiger übrig gebliebener Klimaleugner inzwischen einig: Weiterleben wie bisher und so ganz nebenbei
das Klima retten, das wird wohl nicht funktionieren. Es gibt klare Beweise, dass zumindest der größte Teil der Klimaerwärmung menschengemacht ist. Der deutschen und auch der internationalen Politik ist es leider bisher nicht gelungen, durch entsprechende Steuerungsinstrumente eine klare, verbindliche und wegweisende Haltung zur Klimapolitik aufzuzeigen, und sie scheitert regelmäßig grandios an der Erreichung der vereinbarten Klimaziele. Allerdings dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren. Dass so etwas gelingen kann, zeigen die internationalen Erfolge gegen den Abbau der Ozonschicht. Auch meint so mancher Kritiker der Klima- und Umweltschutzaktivitäten, Deutschland als kleines Land könne ohnehin nichts bewegen. Der Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen beträgt nur rund 2 Prozent, nicht viel im Vergleich zu China mit circa 30 Prozent. Doch Deutschland hat circa 81 Millionen Einwohner, China rund 1,4 Milliarden. Deutschlands Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 von circa 9 Tonnen pro Jahr ist damit höher als der Chinas (7 Tonnen pro Jahr und pro Einwohner). Dabei könnte gerade Deutschland mit neuen kreativen Ideen und mit Erfindergeist der ganzen Welt zeigen, wie man Wohlstand mit einem freiheitlichen Lebensstil verbinden kann. Denn neben der Reduktion von CO2 ist es auch notwendig, Möglichkeiten zu schaffen, um CO2 zu absorbieren. Statt, wie auf der IAA 2019 präsentiert, 900-PS-SUVs zu entwickeln, könnte deutsche Ingenieurskunst neue Ideen für Klima und Umwelt entwickeln. CO2 wird unter anderem von Pflanzen, Kräutern, Bäumen und Mooren absorbiert. Wenn schon im Amazonasgebiet mit Zustimmung der Regierungen weiter gerodet wird und so die Lunge der Erde zerstört wird, könnten wir uns in Deutschland zumindest kleinen Ersatz schaffen. Warum nicht zum Beispiel die Niederlausitz nach Beendigung des Braunkohleabbaus zu einer grünen Lunge Deutschlands umwidmen mit Pflanzen, Sträuchern, Bäumen, Mooren und Seen – und daraus vielleicht sogar ein Erholungsgebiet schaffen? New York gibt seit Neuestem in Sachen Klima in Amerika den Ton an.
Was Mr Trump sagt, ist dem demokratischen Stadtrat von New York egal. Dort werden die Dächer mit Gras oder Nutzpflanzen begrünt. Seit dem 1. November 2019 müssen alle neuen Gebäude entweder Solaranlagen oder Pflanzen auf ihren Dächern haben. Neben dem Vorteil der Gemüseernte erzielt das bepflanzte Dach einen Kühlungseffekt der obersten Etage, was wiederum Energie spart. Innovativer Klima- und Umweltschutz ist also durchaus möglich. Allerdings werden wir uns unter anderem verabschieden müssen von materialistischem Turbokapitalismus (dass hier aber jetzt kein Missverständnis aufkommt: Ich persönlich bin für Kapitalismus, allerdings nicht den gerade erwähnten Turbokapitalismus), ewigem Wachstum, suchtartigem Hyperkonsum sowie dem Definieren von Gewinnern und Verlierern rein nach Bilanzkennziffern oder dem Kontostand oder der Größe des Autos oder der weitesten Urlaubsreise. Nachhaltig leben kann jeder. Nachfolgend einige ganz persönliche Beispiele aus meinem beruflichen und familiären Umfeld. Ich habe dabei nicht das Gefühl, verzichten zu müssen, und spare in den meisten Fällen sogar Geld. Das alles geht natürlich nicht ohne eine gehörige Portion Bewusstseinsbildung. Wenn sich jeder von uns regelmäßig die bereits erwähnte Frage „Braucht’s des?“ stellt, dann offenbaren sich viele Möglichkeiten, mehr Nachhaltigkeit zu praktizieren.
> Mobilität Der Verkehr verursacht über 17 Prozent der gesamten CO2Emissionen in Deutschland und bietet somit großes Potenzial, Treibhausgase einzusparen, ohne Verzicht üben zu müssen. Die Frage ist immer, ob eine Reise denn überhaupt sein muss, und wenn ja, wie ich nachhaltig am sinnvollsten reise. Hier nun einige Beispiele aus meinem persönlichen Umfeld: • Bisher waren wir bei der Hans Becker GmbH der Ansicht, dass für Neuakquise ein persönlicher Besuch vor Ort notwendig ist. Dies verursachte bis zu 100 Flug-, Bahn- oder Pkw-Reisen pro Jahr. Wir haben entschieden, diese Termine künftig überwiegend durch Webmeetings zu ersetzen. Dies spart eine Menge CO2 , viel Geld und Zeit und bietet zusätzliche Möglichkeiten, unser Unternehmen und die Leistungen der Hans Becker GmbH noch besser als bisher zu präsentieren. Durch diese neue nachhaltige Vorgehensweise werden somit ausschließlich Vorteile erzielt, und unser Neukontakt lernt unsere Firma viel umfassender kennen als bisher. Können doch so mehr Experten am Termin teilnehmen als in der Vergangenheit. • Auch ich bin früher einen SUV gefahren. Bereits vor einiger Zeit hatte ich mir die Frage gestellt: „Braucht’s des?“ Unsere Kinder gehen eigene Wege, wozu brauchen wir als Ehepaar ein solches Fahrzeug? Das neue Auto ist erheblich kleiner, braucht nur die Hälfte an Treibstoff und spart auch durch
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Fokus: Nachhaltigkeit
günstigere Versicherung und Steuer noch eine Menge Geld. Mit dem kleineren Auto zu fahren, macht sogar noch mehr Spaß und auch Parkplätze sind leichter zu finden. • Natürlich wollen wir nicht komplett aufs Reisen verzichten. Zwischenzeitlich überlegen wir vorher, ob’s denn jedes Mal eine Fernreise braucht, und immer öfter kommen wir zum Ergebnis, dass es ein Ausflug in die nähere Umgebung auch tut. Deutschland bietet erstaunlich viele schöne Naherholungsgebiete. • Meine Frau und ich fuhren fast täglich circa 45 Minuten zur Arbeit. Ich selbst mache immer häufiger Homeoffice, was bei meinem Beruf dank elektronischer Vernetzungen mit jedem und überallhin ohne große Probleme machbar ist. Und wenn ich dann ins Büro fahre, stimme ich mich mit meiner Frau ab und wir bilden eine Fahrgemeinschaft.
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• Unseren Mähroboter haben wir wieder abgeschafft und haben eine Blumenwiese gepflanzt. • Die Vorlaufheizung für das Warmwasser haben wir reduziert. • Stand-by-Betrieb bei elektrischen Geräten wird so gut es geht vermieden. • Laubbläser gibt es bei uns nicht. Die machen nur Krach, verbrauchen Strom und sind völlig sinnlos. • Das Licht ist nur an, wo es tatsächlich benötigt wird, und nicht, wenn sich dort ohnehin niemand aufhält. • Meine Haare trocknen an der Luft statt mit dem Föhn. • Frische Luft kommt in unsere Wohnräume im Winter durch Stoßlüftung und nicht durch Dauerbelüftung.
> Ernährung
• Der Strom unserer Wärmepumpe stammt ausschließlich aus Wasserkraft.
Die gesamten CO2-Emissionen allein aus der Landwirtschaft betragen in Deutschland knapp 8 Prozent. Einen wesentlichen Anteil daran hat die Massentierhaltung (Methan, Lachgas) und die Überdüngung der Böden. Wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt jeder Deutsche 60 Kilogramm Fleisch und Wurst sowie 121 Kilo Milch, Milchprodukte, Käse und Butter isst, darf die Frage gestellt werden: „Braucht’s des?“ Es muss nicht gleich jeder zum Veganer mutieren. Aber sich bewusst zu machen, was da überhaupt vor sich geht, kann keinesfalls schaden. Die Massentierhaltung ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Schweinerei, und dies trifft auf die „Tierquältransporte“ quer durch Europa ebenso zu. Eine Reduzierung hat weitere spürbare Vorteile: Menschen, die weniger Fleisch und Milchprodukte essen, leben auf Dauer gesünder.
• Waschmaschine und Geschirrspüler werden nur gut gefüllt betrieben.
Unser persönlicher Beitrag zur Reduzierung im Bereich Ernährung:
• Kurze Strecken fahren wir schon lange nicht mehr mit dem Pkw, sondern mit dem Fahrrad oder wir gehen gleich zu Fuß.
> Energie Die Energiewirtschaft ist in Deutschland mit über 37 Prozent der größte Emittent von Treibhausgasen. Das liegt daran, dass nach wie vor der Großteil des Stroms mit Stein- und Braunkohle hergestellt wird. Energie wird überall benötigt und bietet deshalb endlos viele Möglichkeiten, CO2 einzusparen. Hier eine unvollständige Aufzählung aus meinem ganz persönlichen Einflussbereich:
• Energiesparlampen sind im Einsatz.
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• Seit Jahrzehnten leben meine Frau und ich fleischlos und erfreuen uns bester Gesundheit. Natürlich ist das nicht jedermanns Sache, für viele Menschen sind Wurst und Fleisch ein Stück Lebensqualität. Das ist völlig in Ordnung – aber müssen es im Durchschnitt 60 Kilo pro Person im Jahr sein? • Wir kaufen überwiegend Bioprodukte ein, um mitzuhelfen, die übermäßige Düngung der Böden zu verhindern. Ein weiterer Effekt sind der bessere Geschmack und der häufig höhere Nährstoffgehalt als bei hochgezüchteten konventionell auf bereits ausgelaugten Böden angebauten Produkten. Damit relativiert sich auch der höhere Preis, weil ich weniger brauche, um meinem Körper die gleiche Menge an Nährstoffen zuzuführen. • Wir brauchen im Winter keine Erdbeeren oder Trauben aus Südafrika, wir kaufen bewusst saisonal. • Es gibt mit wenigen Ausnahmen in unserer Küche nur frische Produkte, die auch frisch verarbeitet werden. Der Nährstoffgehalt ist dabei erheblich höher als bei Fertigprodukten. In Summe produzieren Fertigprodukte erheblich mehr Treibhausgase durch Produktion, Verpackung und Transport. • Lebensmittelabfälle gibt es in unserem Haushalt so gut wie keine, weil wir bedarfsgerecht einkaufen und verarbeiten. • Wir kaufen verpackungsarm ein, also weder in Folie eingeschweißte Gurken noch sonst irgendwie verpacktes Obst und Gemüse. Unser Brot kaufen wir in Papier eingewickelt beim Bäcker, ohne Folienverpackung. • Für meine Brotzeit unterwegs benutzte ich früher Plastiktüten, die nach einmaligem Gebrauch entsorgt wurden. Heute benutze ich eine Plastikdose, die, nach Gebrauch gereinigt, x-mal wieder neu zum Einsatz kommt. • Getränke gibt es mit wenigen Ausnahmen nur in MehrwegGlasflaschen.
Am 20. August 2018 begann die damals 15-jährige Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg ihren Schulstreik, um auf die mangelnde Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 aufmerksam zu machen. Mittlerweile haben sich weltweit viele AktivistInnen dieser basisdemokratischen Graswurzelbewegung angeschlossen, sodass dem Aufruf zum Global Climate Strike am 20. September 2019 nach Angaben von „Fridays For Future“ (FFF) in Deutschland etwa 1,4 Millionen Menschen, weltweit je nach Schätzung zwischen vier und sieben Millionen Menschen folgten.
> Konsum allgemein • Bei unserem Kopierer im Büro ist die Schwarz-Weiß-Kopie voreingestellt und gedruckt wird beidseitig. Das spart Farbe, Papier, Energie und Geld. • Oft kann ein Gerät noch repariert werden. Bestes Beispiel sind die in letzter Zeit entstandenen Reparaturläden für Smartphones. Ein repariertes Gerät muss nicht neu produziert werden und schont Rohstoff und Umwelt. • Statt zum Beispiel einzeln verpackte Schokoladenriegel besser größere Gebinde kaufen. Statt Kaffeekapseln zu verwenden, größere Gebinde kaufen und den Kaffee selbst mahlen (schmeckt auch besser!). • Bücher nicht bei Amazon bestellen und das einzelne Buch nach Hause liefern lassen. Der Buchhändler um die Ecke kann jedes Buch bis zum nächsten Tag bestellen, das spart Verpackung. Zudem bestellt der Buchhändler eine größere Menge Bücher an seine Adresse, das bedeutet auch effizienteren Transport. • Online-Bestellorgien sind übel. Denn eine Vielzahl der georderten Waren geht wieder zurück und wird dann häufig vernichtet, weil dies günstiger ist, als sie zu überarbeiten. Das ist nutzloser Verbrauch von Ressourcen und produziert in hohem Maße Treibhausgase. Nach meiner Einschätzung ist dank der umfangreichen jüngeren Diskussionen, verbunden mit den Jugendprotesten (Stichwort: Fridays für Future), einiges in Bewegung geraten. Allerdings scheint das Wichtigste bei vielen Menschen noch zu fehlen: fundiertes Interesse daran, was gerade mit dem Planeten Erde passiert, um dadurch das Bewusstsein zu entwickeln, dass jeder Einzelne viele Möglichkeiten hat, die Erde auch für nachfolgende Generationen lebenswert zu erhalten. //
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Ökologischer Fußabdruck
in Globalen Hektar (gha) pro Person < 1,63 1,63 – 3,26 3,26 – 6,52 < 6,52 keine Angaben Quelle: worldmapper
Step by Step Der in dieser Karte veranschaulichte ökologische Fußabdruck wurde 1994 von Mathis Wackernagel und William Rees entwickelt, um die Auswirkungen der Menschheit auf die natürliche Umwelt zu quantifizieren. Darunter wird die Fläche verstanden, die notwendig ist, um den Lebensstil des einzelnen Menschen dauerhaft zu gewährleisten. Fläche, die zur Produktion (Nahrung, Kleidung, Baustoffe …), zur Erzeugung von Energie, aber auch zur Entsorgung von Müll benötigt wird. Um verschiedene Regionen miteinander vergleichen zu können, wird in Globalen Hektar (gha) gemessen; diese entsprechen einem Hektar mit weltweit durchschnittlicher biologischer Produktivität.
Der ökologische Fußabdruck ermöglicht es dann, die tatsächlich verbrauchten (und verschwendeten) globalen Hektarflächen in den Kontext der vorhandenen Biokapazität zu stellen. Eine nachhaltige Welt würde einen durchschnittlichen ökologischen Fußabdruck von derzeit 1,63 gha oder weniger benötigen. Diese Karte zeigt das Ausmaß, in dem Länder die natürlichen Ressourcen der Welt beanspruchen, farblich gekennzeichnet als Vielfache der Tragfähigkeit des Planeten. Dies wiederum wird in Bezug gesetzt zu den absoluten Bevölkerungszahlen.
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So ist Indien dicht bevölkert, also „dick“, aber grün, da der durchschnittliche Flächenbedarf der Inder unter dem Grenzwert 1,63 gha liegt. China, Mitteleuropa oder Nordamerika dagegen sind „dick“ und rot … Der „Earth Overshoot Day“ markiert das Datum, an dem der Bedarf der Menschheit an ökologischen Ressourcen in einem bestimmten Jahr über dem liegt, was die Erde in diesem Jahr regenerieren kann. Laut dem Global Footprint Network wurde dieser Tag im Jahr 2019 am 29. Juli erreicht. //
Wenn Sie jetzt wissen möchten, wie groß Ihr persönlicher ökologischer Fußabdruck ist, können wir folgende Online-Tests empfehlen: Der schnelle Rechner: www.wwf.de/themen-projekte/klima-energie/ wwf-klimarechner Von (Umweltbundes-) Amts wegen: www.uba.co2-rechner.de/de_DE Das Original Global Footprint Network: www.footprintcalculator.org
VAUDE: Der Umwelt-Produzent Kann man angesichts von Umweltbelastung, Klimawandel und vermüllten Meeren heute überhaupt noch guten Gewissens produzieren? Ein Vorzeigebeispiel, dass Nachhaltigkeit nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich ist: VAUDE.
von Herbert Lechner
Ein fundamentales Umdenken ist angesagt, und einige Firmen beweisen bereits, dass sich Ökonomie und Ökologie durchaus verbinden lassen. Dass mit VAUDE ausgerechnet einer der wichtigsten Outdoor-Ausstatter hier doppelt vorbildlich vorangeht, ist besonders beachtenswert. Denn zum einen ist gerade im Freizeitbereich der Druck umweltbewusster Konsumenten noch nicht so ausgeprägt wie etwa bei Verkehr, Energie oder Arbeitsplatz. Freizeit wird gerne mit Freiheit gleichgesetzt, auch im Urlaub möchte niemand gerne an den desolaten Zustand der Erde erinnert werden. Zum anderen beschränkt sich Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht auf ressourcenscho-
nende Herstellprozesse, sondern umfasst mittlerweile eine Fülle von begleitenden Maßnahmen, die von entsprechender Materialwahl über regionale Produktion bis zur gesamten Lieferkette reichen. Begonnen hat alles mit einer großen Leidenschaft, nämlich mit der Begeisterung von Albrecht von Dewitz für Alpinismus, Skitouren, Radfahren, Wandern, Klettern … kurz: für jede Form von Bergsport und das Outdoor-Erlebnis. Allerdings existierte in den 1970er-Jahren der Begriff „Outdoor“ noch gar nicht und echte Bergsportausrüstung wurde auch kaum angeboten. Und er erkannte schnell das große Marktpotenzial für diesen Bereich. 1974 wird das Unternehmen namens VAUDE gegründet, benannt nach von Dewitz’ Initialen v. D. (sprich [fau’de]). Als Aktiver wusste er zudem genau, was benötigt wurde und welche Qualität für Sicherheit und Wohlbefinden am Berg unerlässlich
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ten Lieferkette zu eliminieren und die gesamte Kollektion komplett PFC-frei (ohne Fluorcarbone) herzustellen.
„Unsere Produktphilosophie reflektiert die hohe Qualität, wie wir sie bei VAUDE definieren. Sie zeigt uns die Chancen auf, die in konsequent nachhaltigem Design liegen.“
ist. Offenbar ein Erfolgsrezept, denn aus dem Ein-Mann-Unternehmen wird eine der führenden Bergsportmarken Europas. Zugleich wächst das Bewusstsein, dass auch die geliebte Natur besonderen Schutz braucht. So engagiert sich VAUDE zunehmend und immer stärker in diesem Bereich.
„Die Bergwelt ist verletzlich. Schmelzende Gletscher, Plastikmüll, aussterbende Arten und immer mehr Extremwetter-Ereignisse lassen den Klimawandel und die Belastungsgrenzen unseres Planeten offensichtlich werden. Es wird Zeit, Verantwortung zu übernehmen.“ Den Worten folgen sehr konkrete Taten: Im Jahr 1994 wird das ECOLOG-Recycling-Netzwerk mit dem Ziel gestartet, funktionelle Outdoor-Bekleidung bis zu 100 Prozent zu recyceln. Und als erster Sportartikelhersteller beginnt VAUDE im Jahr 2001 nach dem strengen Umweltstandard bluesign® zu produzieren. Seither wächst der Anteil der bluesign®-Produkte stetig. 2010 erfolgt die Einführung eines eigenen Green Shape Labels, die Garantie von VAUDE für umweltfreundliche und ressourcenschonende Produkte. VAUDE unterzeichnet außerdem das Greenpeace Detox Commitment, womit es sich verpflichtet, bis spätestens 2020 alle schädlichen Substanzen in seiner gesam-
Gleichzeitig wächst das Unternehmen. 1992 wird ein neuer Produktbereich für Radsportartikel aufgebaut, 1998 kommen auch noch Taschen und Rucksäcke dazu. In das Tochterunternehmen Edelrid in Isny im Allgäu – der Spezialist für Kletterausrüstung wurde 2006 übernommen – werden später die Marken Lucky für Kletterbedarf sowie Markill für Campingkocher integriert. Seit 2002 ist VAUDE zudem offizieller Partner und Sponsor des Deutschen Alpenvereins (DAV). Und seit dem Jahr 2010 gibt es eine Kooperation für den Umweltschutz mit dem WWF Deutschland. 1 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf von Green Shape Produkten fließt in Umweltschutzprojekte des WWF Deutschland. Nach 25 Jahren übergibt Gründer und Namensgeber Albrecht von Dewitz 2009 die VAUDE-Geschäftsleitung an seine Tochter Antje, die sich seither ebenso konsequent für eine umweltgerechte Produktion von den Rohmaterialien bis zum Recycling einsetzt.
„Wir verwenden oder entwickeln die nachhaltigsten Materialien, die uns zur Verfügung stehen, optimieren die Verarbeitung auch an unscheinbaren Stellen, um am Ende ein Produkt in Händen zu halten, auf das wir stolz sein können.“ Umweltbewusstsein spielt schon beim Entwurf eine wichtige Rolle. VAUDE-Designer Mario Schlegel: „Als Designer ist man mit dem, was man täglich tut, für nicht weniger als etwa 80 Prozent der Kosten – Entstehungs- und Fol-
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gekosten – eines Produktes verantwortlich. Im Design werden die Weichen gestellt, wie nachhaltig ein Produkt werden kann. Hier entscheidet sich, ob es repariert, weiterverwendet, recycelt werden kann.“ Ebenso ist die Idee hinter dem Begriff „Multiuse“ interessant. Um unnötige Ressourcenverschwendung zu vermeiden, sollen lieber wenige Produkte universell genutzt werden, statt viele Spezialprodukte zu besitzen. Die Produkte sind so konzipiert, dass sie für viele verschiedene Aktivitäten geeignet und je nach Witterung vielseitig kombinierbar sind.
„Und was geschieht am Ende des Produktlebens? Auch darüber machen wir uns in der Designphase schon Gedanken: Wie können wir es einer weiteren Verwendung zuführen? Wie in einen Kreislauf zurückführen?“ Gleichzeitig geht man bei der Materialauswahl neue, bisweilen überraschende Wege. So sorgte die Ankündigung für Schlagzeilen, künftig Rizinusöl und Holz für die Allwetterkleidung zu verarbeiten, um Kunststoffe und chemische Imprägnierungsmittel zu reduzieren. Tatsächlich bestehen die 19 Multiuse-Produkte der im Herbst 2018 aufgelegten Green Shape Collection überwiegend aus natürlichen, leicht abbaubaren Stoffen. Rund 90 Prozent der vielfältigen textilen Materialien, die zur Herstellung verwendet werden, sind biobasiert, recycelt oder reine Naturmaterialien. Dabei werden auch unkonventionelle, nachwachsende Rohstoffe wie Reste von Kuhmilch, Holz oder Rizinusöl verwendet.
„Als modernes Familienunter nehmen und Europas umwelt freundlicher Outdoor-Ausrüster nimmt VAUDE seine Verantwortung für Mensch und Natur sehr ernst.“ Allerdings gehen die Maßnahmen noch deutlich weiter. So sind die Firmenzentrale und alle dort hergestellten Produkte seit 2012 klimaneutral. Auch setzt sich VAUDE schon lange für hohe ökologische und soziale Standards in der gesamten globalen Lieferkette ein. 2018 startete das Unternehmen dazu ein umfas-
sendes Lieferantenmanagement, im internationalen Raum auch bekannt als Vendor Management. Damit bietet VAUDE seinen Produzenten und Materiallieferanten weltweit umfassende Unterstützung, um hohe ökologische und soziale Standards zu gewährleisten und das Bewusstsein für gute Arbeitsbedingungen zu erhöhen. Außerdem ist VAUDE Mitglied der Initiative Fair Wear Foundation (FWF) und erstellt eine durch die Organisation Gemeinwohl-Ökonomie auditierte Gemeinwohl-Bilanz. Im August des gleichen Jahres veröffentlicht VAUDE zum zweiten Mal die Textilbündnis-Roadmap. Darin wird umfangreich über die Maßnahmen für faire Sozialstandards, Umweltmanagement sowie umweltfreundliche Materialbeschaffung berichtet. Erneut werden damit ambitionierte Ziele im Einklang mit der Unternehmensstrategie gesetzt. So viel konsequentes Engagement trägt Früchte: VAUDE hat bereits entsprechend viele hochrangige Umweltpreise entgegennehmen können (eine Auswahl hier gleich auf der rechten Seite). Sie bestätigen, dass ein mittelständisches Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitern und 100 Millionen Euro Umsatz durchaus etwas bewirken kann. Über das eigene Werk hinaus: Nicht zuletzt veranlasst der Erfolg zunehmend auch Wettbewerber zu einer Neubewertung der vermeintlichen Sachzwänge und einem Umdenken der Umweltmaßnahmen. Denn – auch das zeigt das Beispiel VAUDE – die Käufer sind bereit, solch aktives Umweltbewusstsein zu honorieren. //
Eine kleine Auswahl aktueller Umweltauszeichnungen für VAUDE › September 2019: VAUDE erhält als eines der ersten deutschen Unternehmen für einen Großteil seiner Produktpalette das neue staatliche Textilsiegel „Grüner Knopf“. Die strengen Kriterien des firmeneigenen Labels Green Shape wurden dafür anerkannt und waren eine wichtige Grundlage, um die Zertifizierung zu erhalten. › Die Sportfachmesse ISPO 2019 vergibt den ECO Achievement Brand Award an VAUDE als Anerkennung für das große Engagement im Bereich Nachhaltigkeit und für die komplett nachhaltige Green Shape Core Collection. › Beim bundesweiten Ranking der Nachhaltigkeitsberichte erreicht VAUDE 2019 den 1. Platz für beste Transparenz in der Kategorie „Kleine und mittlere Unternehmen“ (KMU).
› Beim Marken-Award 2019, einem der renommiertesten Marketingpreise Deutschlands, erreicht VAUDE den 1. Platz in der Kategorie „Beste Nachhaltigkeitsstrategie“.
› Antje von Dewitz wird 2017 als jüngste Familienunternehmerin in die Hall of Fame des Handels blatts aufgenommen und damit als Pionierin der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet.
› Die „Unternehmer-Initiative Bleiberecht durch Arbeit“, die VAUDE mitgegründet hat, wird 2019 bei der Verleihung des Integrationspreises Baden-Württemberg mit dem Anerkennungspreis in der Kategorie „Unternehmen und Verbände“ geehrt.
› 2016 prämiert die Fair Wear Foundation (FWF) VAUDE, Jack Wolfskin und Salewa mit dem Best-Practice-AwardJurypreis für eine gemeinsame Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Myanmar.
› Antje von Dewitz erhält 2019 den internationalen TRIGOS Ehrenpreis, Österreichs renommiertesten Preis für verantwortungsvolles Wirtschaften. › Für die innovativ-nachhaltige Green Shape Core Collection erhält VAUDE den GreenTec Award 2018, einen der weltweit bedeutendsten Umweltpreise.
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Inspiration
Verbrauchst du noch oder recycelst du schon? Im rheinischen Kaarst entstand 2017 unter dem Projekttitel „More Sustainable Store“ ein weltweit einmaliges IKEA Pilothaus für Umwelt und Nachhaltigkeit. Dort werden in einem vierstöckigen, 30 Quadratmeter großen Container für Landtechnik 900 Pflanzen mit LED-Lichtern beleuchtet. IKEA testet den vollautomatischen Anbau der Pflanzen, ohne Erde, mit organischen Nährstoffen, die durch das Recycling von Bioabfällen aus dem nahen IKEA Restaurant hergestellt werden. Die Pflanzen benötigen fünf Wochen von der Aussaat bis zur Ernte.
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Nachhaltiger leben – ist weniger wirklich mehr? Ein Kommentar zu Marie Kondo: „Magie des Aufräumens“ von Christine Klein
„Weniger ist mehr“, das ist nicht nur ein Oxymoron – also ein gewollt gesetzter Widerspruch, der Spannung erzeugen soll –, nein, es ist eine Lebenseinstellung, die zurzeit angesagt ist.
Vorbei sind die fetten Jahre des Prassens, das süße Gift von Calvin lehrt uns Verzicht. Der moderne Lebensstil des Minimalismus propagiert die Trennung von überflüssigen Dingen. Durch Entmisten und Ordnung soll Platz geschaffen werden für ein bewussteres Leben, welches die konsumorientierte Überflussgesellschaft hinter sich lässt. Angelehnt an das japanische Sprichwort „Die Unordnung im Zimmer entspricht der Unord nung im Herzen“, entwickelte Marie Kondo ein Ordnungsprinzip, welches verspricht, jeden Messie zum Ordnungsfreak zu machen. Die Regeln sind simpel: 1. Alles auf einmal und in kurzer Zeit perfekt aufräumen. 2. Alle Dinge zum Aufräumen werden auf einem Haufen gesammelt. 3. Entscheiden, was behalten wird, auf grund der folgenden Frage: Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegen stand in die Hand nehme? 4. Jeder Gegenstand, den man behält, be kommt seinen festen Platz zugewiesen. 5. Alle Dinge müssen dort richtig verstaut werden. Das Aufräumen wird zur Meditation. Der Mensch erlangt dadurch spirituell höhere Sphären und ist gereinigt – er lässt Überfluss und Massenkonsum hinter sich. So weit ist das nichts Neues. Im japanischen Zen-Buddhis-
mus wird dieses Prinzip seit jeher vorgelebt. Auch der japanische Einrichtungsstil ist daran orientiert. Warum sind das Aufräumen und Minima lismus in der westlichen Gesellschaft so en vogue, dass es neben zahlreichen Büchern und Blogs sogar eine Netflix-Serie zu Marie Kondo gibt? Vor nicht allzu langer Zeit galt Aufräumen als extrem spießig: „Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos.“ Dieser Albert Einstein zugeschriebene Satz wurde vielfach zitiert. Modische Kleidung, Möbel, Autos und technische Gadgets durchlebten immer kürzere Zyklen. Wer nicht mithalten konnte, war so was von out. Daraus resultierten der Massenkonsum, der Überfluss und in der Folge gigantische Müllberge. Überfrachtete Wohnungen mit riesigen Schrankwänden und Einbaumöbel, die jeden Stauraum ausnutzen, waren eher ein Statussymbol als ein Makel. Viel Platz zu haben, war sehr wichtig. Wie kommt es unter diesen Vorzeichen dazu, dass Menschen sich vermehrt für das Ausmis ten und Ordnung interessieren? Breite Teile der westlichen Gesellschaft sind diesen Idealen inzwischen überdrüssig. Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein, der CO2-Fußabdruck rücken an die Stelle des unbedingten Habenwollens. Wohnraum wird knapper und teurer. Die hippe Bevölkerung lebt urban, auf begrenztem Raum. Das Gegenteil ist die neue Maxime: Konsum befriedigt nicht mehr, Verzicht ist angesagt. Wer es nicht versteht auszumisten, erstickt in den Massen. Und diese Einstellung will auch gezeigt werden. Hat das wirklich was mit Nachhaltigkeit zu tun, oder werden hier geschickt Dinge ver mischt und in Bezug gesetzt? Menschen, die ohne Fokus auf die Umweltfolgen leben, konsumieren ungeachtet jed-
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weder Nachhaltigkeitskriterien. Sie verzichten auf nichts und schöpfen aus dem Vollen. Es wird ihnen wenig Disziplin zugeschrieben. Aber ob sie „ordentlich“ sind oder nicht, wissen wir streng genommen nicht. Menschen, die sich bemühen, nachhaltig zu leben, konsumieren deutlich weniger, gezielter und verzichten auf Konsum von nicht nachhaltigen Produkten. Doch diese dezidierte Auswahl und der Verzicht erfordern Disziplin. Die Methode Marie Kondo gibt einen sehr klaren, restriktiven Leitfaden vor, um ein geordnetes Leben zu führen. Man diszipliniert sich damit.
Der Erfolg ihrer Methode basiert zum Teil darauf, dass den Anhängern suggeriert wird, dass die Disziplin, die erforderlich ist, um nachhaltiger zu leben, durch das einfache Strickmuster von Marie Kondo erreicht werden kann. Dabei wird nicht bewusst zwischen Disziplin bei der Beschaffung und Disziplin bei der Ordnung unterschieden. Allerdings kann auch ein total chaotischer Messie, der sich von nichts trennt und alles repariert, nachhaltig leben. Kann er doch aus einem riesigen Fundus von Ersatzteilen schöpfen – sofern das einfallsreiche Genie sie im selbst geschaffenen Chaos auch findet. //
Ursus Wehrli räumt alles auf, was ihm in die Quere kommt.
Ursus Wehrli, Jahrgang 1969, ist Linkshänder, Querdenker und gelernter Typograf. Er lebt als Komiker, Kabarettist und freischaffender Künstler in Zürich. Auf die Idee, Kunst aufzuräumen, kam er, als er eines Morgens beim Brötchenholen vom Winteranfang überrascht wurde und an den Ohren fror. Nach den beiden Bestsellern „Kunst aufräumen“ und „Noch mehr Kunst aufräumen“ weitet Ursus Wehrli seine geniale Idee aus und räumt nun mit allem auf: Vom Mittagessen übers U-Bahn-Netz bis zum Parkplatz, nichts ist vor seiner ordnenden Hand sicher. Ursus Wehrli – Die Kunst, aufzuräumen Illustriertes Buch, Hardcover, 21,5 x 27,4 cm, 48 Seiten, Verlag Kein & Aber, ISBN: 978-3-0369-5297-0, 16,90 Euro
Marie Kondo – Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert Rowohlt Taschenbuch, 224 Seiten, 10,– Euro
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Natürlich verpackt Lebensmittel online! Frisch und nachhaltig auf den Tisch?
Schuhe, Kleidung, Laptops und Bücher haben auch Sie wahrscheinlich schon online gekauft. Vor 10 bis 15 Jahren hätte die Mehrheit noch gesagt, dass man Schuhe oder die Abendgarderobe erst anprobieren muss und deshalb beim Fachhändler um die Ecke eingekauft wird. Mittlerweile gibt es kaum einen Consumer-Bereich, der nicht online gehandelt wird.
von Christian Aigner
Auch im sogenannten E-Food-Bereich setzt sich der Trend fort. In Deutschland wächst der Onlinehandel mit Lebensmitteln stetig. Immerhin lassen sich knapp 20 Prozent der Deutschen mindestens einmal monatlich ihre Gaumenfreuden ins Haus liefern. Doch insgesamt macht dies hierzulande nur circa 1 Prozent am Gesamthandel im Onlinebereich aus. In Großbritannien liegt das Niveau bei etwa 8 Prozent vom gesamten Onlinehandel. Es ist ja auch praktisch, wenn man zu jeder Tages- und Nachtzeit die Spezialitäten oder die süßen Verführungen fürs romantische Candle-Light-Dinner oder eine Spezialnahrung für Allergiker im Netz ordern kann. Aber wie sieht es mit Käse, Fleisch- und Wurstwaren oder frischem Fisch aus? Nur 2 Prozent aller online gekauften Lebensmittel sind Fisch, circa 6 Prozent betreffen Käse oder Fleischbestellungen. High Runner mit rund 70 Prozent sind Spezialitäten, Süßwaren und Wein. Alle verderblichen Handelswaren, die eine sichere Kühlkette erfordern, werden seltener im Netz bestellt. Liegt es am fehlenden Vertrauen zu den Onlinehändlern, die Waren frisch auf den Tisch zu liefern? Dabei haben wohl nicht nur die Großen der Branche wie Rewe, Gourmondo oder Amazon Fresh die Logistik durchaus im Griff. Viele Konsumenten wollen sich jedoch einen visuellen Eindruck über die Köstlichkeiten verschaffen, gleichzeitig schrecken die
Versandgebühren ab. Und 75 Prozent der Besteller möchten zudem umweltfreundliche Verpackungen, wie die Studie des EHI Retail Institute ermittelte. Doch gerade da liegt der Haken. Meist händigt der Bote die Leckerbissen in EPS-Boxen aus, besser bekannt unter dem Namen Styroporboxen. Diese Verpackung hat einige Vorteile: geringes Gewicht, hervorragende Isoliereigenschaften und hohe Effizienz beim Aufbau sind einige der Pro-Punkte. Aber die werden mit einer Reihe von Nachteilen erkauft. Störender Geruch, leicht zerbrechlich und eine mangelnde Recyclingmöglichkeit kommen beim Endverbraucher nicht gut an. Selbst als Mehrwegbehälter sind die Boxen nur bedingt geeignet, da ein weiterer Transport im gleichen Volumen anfällt, die Behälter gereinigt und desinfiziert werden müssten und zuletzt die Styroporschachtel nach wenigen Einsätzen nicht mehr „die gewünschte Frische und Qualität“ ausstrahlt. Es gibt mittlerweile jedoch sehr positive Alternativlösungen. Einige Kartonagenhersteller haben auf Kartonagen basierende Systeme auf den Markt gebracht. Die „Karton-Klima-Kiste“ hat den Vorteil, dass bis auf die Kühlelemente alles aus Wellpappe besteht und im Altpapier entsorgt werden kann. Jedoch liegt der Frischfaseranteil fürs Papier bei Lebensmittelver packungen bei 100 Prozent. Es kann also keine Recyclingkartonage eingesetzt werden.
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Das Münchner Unternehmen Landpack hat neuartige öko logische Isolierverpackungen aus Hanf, Jute oder Stroh, unter anderem für den wachsenden Onlinehandel mit Lebensmitteln, entwickelt.
Eine sehr ökologische und nachhaltige Isolierverpackung ist ein System, bei dem Stroh die Isolieraufgabe erfüllt. Die Strohbox ist wohl die bisher nachhaltigste Lösung auf dem Markt. Da nur das Stroh verwendet wird, steht die Verpackungskomponente nicht mal im Wettbewerb zur Nahrungsmittelproduktion, sondern ergänzt diese. Nach Verwendung kann der Isolierstoff einfach wiederverwendet oder kompostiert werden. Der Umkarton wird dem Altpapier zugeführt und selbst die Kühlelemente basieren auf gefrorenem Wasser. Beide Lösungen wurden umfangreich getestet und können es mit der EPS-Box bei den Isolationswerten aufnehmen oder übertreffen diese. Jetzt liegt es am Onlinebesteller, die nachhaltigen Lösungen zu fordern und damit einen Beitrag zu einer verbesserten Ökobilanz beizutragen. E-Food wird unsere Kaufgewohnheiten sicherlich verändern und zumindest in Einzelfällen neue, erfrischende Anregungen für den Tisch ins Haus befördern. Hoffen wir, dass es gelingt, den Transport und die entsprechende Verpackung nachhaltig zu gestalten. //
Die Landbox® Bio zum Beispiel eignet sich perfekt für den Versand von gekühlten und gefrorenen Lebensmitteln, besteht aus dem landwirtschaftlichen Nebenprodukt Stroh und kann im Biomüll oder Gartenkompost entsorgt werden. Sie wird klimaneutral produziert und benötigt zur Herstellung lediglich einen Bruchteil an Energie im Vergleich zu Styropor, bei entsprechender Isolationsleistung. Für eine Mehrfachverwendung ist die hier abgebildete Landbox® Duo besser geeignet, da die Paneele abgewischt werden können. Dafür ist die Folie nicht kompostierbar und muss getrennt vom Stroh entsorgt werden. „Die Landbox ist die erste wirk liche Alternative zu Styropor als Versandverpackung“, so Geschäftsführer Dr. Thomas Maier-Eschenlohr.
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The Last Mile „Klasse, die liefern das Paket ja schon heute Abend an und das andere morgen Vormittag. Aber komisch, obwohl es fast die gleichen Artikel sind, kommen sie nicht zusammen an …“
von Steffen Reiss
Eine Stunde später stecke ich in einer Einbahnstraße fest, weil ein Paketzusteller sein Fahrzeug so geparkt hat, dass kein Auto mehr vorbeikommt – und ärgere mich tierisch darüber. Aber halt, könnte da nicht auch mein Paket drin sein? Bin ich es nicht auch, der sein Paket am gleichen Tag noch haben will, sich aber keine Gedanken um die Zustellung, die Fahrer und die Situation zur Rushhour in München macht? Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich einen Laden, der im Schaufenster genau die Artikel anbietet, die ich vor einer Stunde online bestellt habe, und das zum fast gleichen Preis. Hätte ich die Bestellung also vermeiden können? Ist das in allen Fällen so? Bin ich an dem Verkehrschaos in den Innenstädten mit schuld? Viele Fragen und viele Erklärungen dazu. Denn so schön die schnelle Lieferung direkt nach Hause ist, die sogenannte Last Mile der Lieferkette erweist sich zunehmend als Problem – für die Städte, die Lieferanten und die Unternehmen. Betrachtet man nur die letzte Meile, erkennt man viele Aspekte, mit denen sich die Unternehmen beschäftigen. Im Jahr 2010 wurden circa 2,3 Milliarden Pakete in Deutschland verschickt und die Prognose für 2023 sagt ein Volumen von 4,4 Milliarden Paketen voraus. Dies basiert auch auf der Tatsache, dass die Onlinebestellungen seit 2010 um circa 30 Prozent gestiegen sind und ein Ende dieser Entwicklung ist aktuell nicht absehbar. Ganz zu schweigen von den Retouren, die in Deutschland 40 Prozent der Bestellungen betreffen. Die wichtigsten Faktoren für die Kunden bei der Auswahl des Transportweges beziehungsweise des Dienstleisters sind: • Kosten • Zeit • Flexibilität • Bekanntheitsgrad • Service Deshalb wird die Frage, wie künftig an die Kunden ausgeliefert wird, zu einer sehr spannenden und wichtigen Aufgabe – für die Handelsunternehmen, aber auch für ihre Logistikdienstleister. Zumal davon auszugehen ist, dass die Kosten für die letzte Meile sich auf circa 45 bis 50 Prozent der Gesamtkosten belaufen. Schon jetzt ist zu erkennen, dass sich die Art und Weise, wie Pakete dem Kunden zugestellt werden, wandelt. Das gilt vor allem für die Zustellung in den Großstädten und Ballungsgebieten.
In den Städten wird an innovativen Möglichkeiten gearbeitet, im Besonderen an CO2-neutralen und klimaverträglichen Varianten. Viele sprechen auch von der Achillesferse der Paketlogistik. Dies vor allem deswegen, um dem Kunden die bestellten Artikel so schnell wie möglich, am besten noch am selben Tag, zuzustellen. Der Konkurrenzkampf zwischen den Onlinehändlern verlagert sich auf das „Wie schnell habe ich meine Ware?“ und weg von „Was bekomme ich beim jeweiligen Händler?“. Dies hat zur Folge, dass Stichworte wie „same day“, Abend- und Samstagszustellung immer mehr in den Vordergrund rücken. Wobei aber die Kosten für den Dienstleister und Kunden so gering wie möglich ausfallen sollen. Auch die Tatsache, dass doppelt so viel Ware in die Stadt transportiert wird wie aus den Städten heraus, trägt nicht zur effizienten und energiesparenden Logistik bei. Als große Herausforderung stellt sich auch der immer größer werdende Bedarf an Wohnungen dar und die damit verbundene Verdrängung der Logistikflächen aus der Stadt in die Peripherie und Umgebung. Fachleute sprechen hier von der „logistischen Zersiedlung“, welche zur Folge hat, dass sich die Lieferwege zum Kunden verlängern. Dadurch entstehen, laut verschiedener Aussagen, ein großer Anteil an CO2-Belastung sowie auch ein hoher Anteil an Feinstaub und sonstigen Gefahrstoffen durch die – meist dieselbetriebenen – Zustellfahrzeuge. Welche Konzepte verfolgen die Dienstleister und wie wollen die Städteplaner dem immer weiter steigenden Verkehr, den limitierten Zufahrtsrechten für Dieselfahrzeuge und dem wachsenden Druck, CO2-neutral zu werden, entsprechen?
Umschlagzentren Diese können am Rand von Großstädten sein, von denen aus die Waren dann mit alternativ betriebenen Fahrzeugen in die Stadt und zu den Kunden gebracht werden. Ebenso könnte es aber auch speziell zum Umladen bestimmte Flächen auf Verkehrswegen, die nahe bei den Empfängern liegen, geben. In diesen meist sehr kleinen Einheiten werden dann für dieses Gebiet bestimmte Waren gebracht und dort auf kleine und meist elektrobetriebene Fahrzeuge verladen. Dies verkürzt zum einem die Lieferzeit und verringert zugleich den Verkehr in dicht besiedelten Stadtgebieten.
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Irgendwann war Peter Hornung-Sohner, Architekt und Schreiner, es leid, für jeden Weg und Auftrag in der Münchener Innenstadt den Lieferwagen zu benutzen, im Stau zu stehen und keinen Parkplatz zu finden. Also entwickelte er einen ersten Fahrradanhänger. Mittlerweile bietet Hinterher (www.hinterher.com) die breiteste Palette an Anhängermodellen am Markt und wird europaweit innerhalb der Branche als Marktführer bezeichnet. Sogar der Zustelldienst UPS nutzt die Hxxxl-Boxenanhänger im professionellen Pakettransport.
Neue Last-Mile-Konzepte Etliche Start-ups, aber auch Konzerne, entwickeln innovative Möglichkeiten, Käufer-Convenience mit kombinierten Lieferungen sowie geringerer Verkehrsund Umweltbelastung zu verbinden. Einige Beispiele: https://www.i-bring.de/ https://www.qoolcollect.com/ https://www.pakadoo.de
Logistikzentren in der Stadt Konsolidierung Es entstehen Firmen, die den Kurierdienstleistern anbieten, Sendungen für einen Bereich über Nacht zu konsolidieren, um diese am nächsten Tag mit Null-Emissions-Fahrzeugen zuzustellen. Die Fahrten in die Städte lassen sich dadurch merklich reduzieren. Daran arbeitet zum Beispiel die Österreichische Post. Größere Konsolidierungszentren, wie sie heute an Flughäfen oder an Verkehrsknoten bestehen und von einigen Städten als verbindlich vorgegeben werden, kämpfen um Teilnehmer, da die Firmen sich die Kosten für den zusätzlichen Aufwand sparen wollen und die Transporte bis zum Kunden oft in eigener Regie und mit eigenen Fahrzeugen durchführen möchten.
Nutzung vorhandener Verkehrsmittel Die Nutzung der Verkehrsmittel, die in den Städten schon bestehen, ist eine Chance, den Stadtverkehr zu reduzieren. Personenzüge, Straßenbahnen, S- und U-Bahnen könnten auch Güter mitführen. Das gab es früher vielfach und wurde für die „Gläserne Manufaktur“ von VW in Dresden wiederentdeckt.
Logistik-Hubs könnten, nicht – wie heute üblich – flächenfressend ebenerdig angelegt werden, sondern in mehrgeschossigen Bauten mit Einfahrtsrampen für Fahrzeuge. Solche entweder in die Höhe oder aber auch in die Tiefe erstellten Gebäude könnten neben den Logistikflächen auch Wohnungen oder andere Gewerbe beinhalten. Dorthin können die Waren angeliefert und dann emissionsneutral verteilt werden. Klimaneutrale Anlieferungen bieten Folgendes: • Bessere und effizientere Steuerung der Verkehrsströme • Einsatz von Treibstoff sparenden Fahrzeugen • E-Fahrzeuge zur Kundenbelieferung • Bestellung an eine Abholstation • Drohnen-/Roboteranlieferung • Lieferung mit bestehenden Personenbeförderungsmitteln (Bahn/Bus/U- oder S-Bahn) an Abholstationen am Bahnhof oder anderen Haltestellen Entscheidend ist am Ende jedoch, wie weit wir uns als Endverbraucher und Kunde auf die Anforderungen an eine zukunftsorientierte und klimaneutrale Belieferung einlassen und inwieweit wir bereit sind, dazu auch unseren Beitrag zu leisten. //
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Porträt
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Porträt: Andrea Marchel
Analysen, Wind und Wetter Nicht wenige haben Probleme mit exakten Zahlen und Berechnungen mit vielen Variablen sind ihnen bekanntlich ein Graus. Ganz anders Andrea Marchel, die bei Hans Becker als Analystin für den strategischen Einkauf zuständig ist.
Für diese herausfordernde Aufgabe ist sie prädestiniert. Denn der Umgang mit Zahlen, Daten und Fakten liegt ihr im Blut, wie Andrea Marchel selbst betont. Je schwieriger, desto lieber. Sie „fuchst sich gerne in Analysen rein“ und findet dann wie ein mathematischer Sherlock Holmes die relevanten Punkte. Schließlich geht es im Einkauf ganz entscheidend um Rechnungen und Zahlen, aber auch um ein Abwägen und Bewerten der vorhandenen Daten. Dafür bringt die gelernte Speditionskauffrau auch die passende Erfahrung mit: Ist sie doch gleich nach der Ausbildung erst einmal 13 Jahre lang für die Abrechnung und das Controlling in einer Spedition verantwortlich gewesen, das prägt und erzieht zu Exaktheit. Und wenn schon von Zahlen die Rede ist: Inzwischen arbeitet sie seit 14 Jahren bei der Hans Becker GmbH. Was wohl eindrucksvoll illustriert, wie zufriedenstellend die Zusammenarbeit funktioniert – nicht zuletzt für die Auftraggeber. Doch hebt sie selbst ebenso das sehr angenehme Arbeitsklima und den flexiblen Arbeitgeber hervor. Also sozusagen eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Die Komplexität und Verantwortung ihrer Aufgaben ist umgekehrt auch ein deutliches Zeichen der Wertschätzung.
Andrea Marchel ist nicht nur als strategische Einkäuferin tätig, sie liefert zudem Projektsupport für Ausschreibungsprozesse und Analysen, ganz ihrer Vorliebe für Detailarbeit entsprechend. Schließlich beschreibt sie sich selbst als „sehr akribisch und korrekt“. Denn „sicher ist sicher!“ – gerade im sehr sensiblen Bereich des strategischen Einkaufs hat sich das Vier-Augen-Prinzip bewährt. Dafür ist die versierte Zahlenfüchsin die optimale Partnerin. Zudem ist sie noch ausgebildeter Businesscoach. Aber natürlich sorgen nicht nur diese beruflichen Meriten für ihre Beliebtheit und die gute Arbeitsatmosphäre im Team. Es gibt jedoch nicht nur die leidenschaftliche Analystin und hilfsbereite Kollegin. Andrea Marchel ist zugleich ein begeisterter FreiluftFan. Bei jedem Wetter und Wind nutzt sie die Mittagspause für ein wenig Bewegung und um Luft zu schnappen. Auch privat genießt sie jede freie Minute mit der Familie, am liebsten draußen in der Natur – ein willkommener Ausgleich für die konzentrierte Arbeit. Gerne erkundet die Familie Berge und Seen und ist dazu mit dem Wohnmobil und Fahrrädern unterwegs. Versteht sich, dass da die entsprechenden Freizeitaktivitäten wie Schwimmen, Radfahren, Wandern sowie im Winter Skifahren und Rodeln nach Kräften ausgeübt werden. Zu so viel Fitness- und Gesundheitsbewusstsein passt natürlich, dass Andrea Marchel auch eine engagierte Köchin ist. Denn eine gesunde und ausgewogene Ernährung findet sie für sich und ihre Familie sehr wichtig. Zahlen sind eben doch nicht alles! //
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Über das Ziel hinaus? Würden alle Menschen auf einem solch hohen ökologischen Fußabdruck leben wie die Bewohner der Industrieländer, müsste die Erde – samt ihren Ressourcen – insgesamt dreimal zur Verfügung stehen. Es gilt also zu handeln. Doch der Weg zur Nachhaltigkeit ist lang.
von Sören Seewald
Für eine nachhaltige Entwicklung braucht es das Gleichgewicht der drei Dimensionen „ökologische Verträglichkeit“, „soziale Gerechtigkeit“ und „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“. Betrachtet man, welche Auswirkungen das Thema Nachhaltigkeit auf unser gesamtes Leben hat, auf unsere Arbeit, Ernährung, unser Konsumverhalten oder unsere Mobilität, auf Natur, Landschaft, Umwelt und Klima, dann liegt es nahe zu vermuten, dass es zu diesem Thema mehr als eine Meinung, mehr als eine Sichtweise gibt. Der Umweltpsychologe Prof. Dr. Marcel Hunecke sagt in seinem Buch Psychologie der Nachhaltigkeit: „Es gibt keine Alternative zum nachhaltigen Handeln, nur die Kluft zwischen Wissen und Umsetzung ist groß.“ Das Internet verrät mir, dass paradoxerweise die als Wissen deklarierten Sachverhaltsbeschreibungen wahr oder falsch, vollständig oder unvollständig sein können. Daten sind eben nicht gleich Informationen, Informationen sind eben nicht gleich Wissen und Wissen kann eben wahr oder falsch, vollständig oder unvollständig sein. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit zur Handlung und zu einem so komplexen Thema wie Nachhaltigkeit sind wir heute aufgefordert, die richtigen Themen und Ansätze zu definieren und die Weichen für die Zukunft richtig zu stellen. Leider werden in meiner Medienwahrnehmung Themen und Ansätze oft verkürzt, stark vereinfacht, populistisch oder
im falschen Kontext dargestellt, sodass man über deren Relevanz und Priorität hinsichtlich der Wirksamkeit für die Gesamtbilanz zumindest zurückhaltend urteilen sollte. Ich habe zwei typische Beispiele aus den aktuellen Schlagzeilen ausgewählt. BEISPIEL 1:
„Die 15 größten Schiffe machen mehr Dreck als alle Autos der Welt zusammen.“ „Seeschiffe sind Dreckschleudern, Kreuzfahrten eine Pest für die besuchten Städte.“ In diesem Zusammenhang wird gern ein Vergleich genannt: Die 15 größten Schiffe machen mehr Dreck als alle Autos der Welt zusammen. Die Formulierung dieses Vergleiches liegt ganz im Zeitgeist des Absolutismus und Populismus und klingt spektakulär. Aber stimmt sie auch? Die Behauptung geht auf ein Zitat des NABU (Naturschutzbund Deutschland) aus dem Jahr 2012 zurück. Zum Auftakt der Kampagne „Mir stinkt’s“ für eine saubere Kreuzschifffahrt lautete es wörtlich: „Die 15 größten Seeschiffe der Welt stoßen jährlich mehr schädliche Schwefeloxide aus als alle 760 Millionen Autos weltweit.“ In den sozialen Medien macht diese Behauptung – unter anderem angeheizt von der Debatte um schmutzige Dieselautos – die Runde. Die Einschränkung auf Schwefeloxide ging dabei verloren. Es ist oft allgemein von Schadstoffen die Rede, in manchem Debattenforum sogar nur von CO₂. Doch am weltweiten Ausstoß dieses wichtigsten Treibhausgases hat der Schiffsverkehr nur einen Anteil von 3 Prozent, der Straßenverkehr aber einen Anteil von 17 Prozent. Pro Passagier oder nach transportiertem Gewicht erzeugt kein Verkehrsmittel weniger CO₂ als ein Schiff. Dieses Missverständnis geklärt und die Tatsachen richtiggestellt, hat der NABU aber grundsätzlich recht: Schiffe sind tatsächlich für einen größeren Teil der Schwefeloxidemissionen verantwortlich. Aber: Der Vergleich macht wenig Sinn. Denn
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seit der Jahrhundertwende wird an Tankstellen zunehmend schwefelarmer, seit 2008 in der EU, den USA und Japan nur noch schwefelfreier Treibstoff angeboten. In China und Indien läuft die Umstellung. Schon in wenigen Jahren spielen Schwefeloxide im Straßenverkehr praktisch keine Rolle mehr. Insgesamt sind die Schwefeldioxidemissionen in Deutschland seit 1990 um über 90 Prozent gesunken. Das ist ein großer Erfolg schärferer Umweltgesetze. Neben schwefelarmen Kraftstoffen hat vor allem die Stilllegung oder Nachrüstung von Industrieanlagen und Kraftwerken mit Entschwefelungsanlagen dazu beigetragen. Den sauren Regen, der infolge hoher Schwefel emissionen entsteht und noch vor 30 Jahren große Waldschäden anrichtete, gibt es in Europa kaum noch. Noch immer fahren Seeschiffe auf dem offenen Ozean meist mit Schweröl, das bis zu 3,5 Prozent Schwefel enthalten darf. Das ist 3.500-mal mehr, als an Kraftstoffen (Benzin und Diesel) an Land erlaubt ist. In europäischen und nordamerikanischen Küstengewässern ist der Schwefelanteil im Schiffstreibstoff seit 2015 zwar auf 0,1 Prozent begrenzt, das ist allerdings noch immer 100-mal mehr als im Straßenverkehr. Deshalb eignen sich Schwefeloxide so gut für einen drastischen Vergleich. Relevanter für Umwelt und Gesundheit sind allerdings andere Schadstoffe. Neben dem Treibhausgas CO₂ sind das vor allem Stickoxide und Feinstaub. Auch dabei schneiden Seeschiffe schlecht ab, allerdings ist der Unterschied zum Auto weit weniger auffällig als beim Schwefel. Auch dazu hat der NABU Zahlen veröffentlicht und im Rahmen seiner Kampagne zu einer imposanten These zusammengefasst: „Ein einziger Ozeanriese stößt auf einer Kreuzfahrt so viele Schadstoffe aus wie 5 Millionen Pkws auf gleicher Strecke.“ Dieser Vergleich wird häufig zitiert und verkürzt. „Ein Kreuzfahrtschiff macht so viel Dreck wie 5 Millionen Autos.“ Das ist genauso falsch wie die These, die der NABU aus den eigenen Zahlen ableitet.
Es gibt keine Alternative zum nachhaltigen Handeln, nur die Kluft zwischen Wissen und Umsetzung ist groß. Für das Vergleichsjahr 2012 geht es dort nämlich gar nicht um „Schadstoffe auf gleicher Strecke“, sondern um „Schadstoffe pro Tag“. Und pro Tag legt ein durchschnittliches Kreuzfahrtschiff mehrere Hundert Kilometer zurück, ein deutsches Auto aber nur 36. Dabei transportiert das Auto im Schnitt 1,5 Menschen, ein großes Kreuzfahrtschiff aber bis zu 9.000. Bezogen auf die Passagierkilometer schrumpft die Vergleichszahl von 5 Millionen auf weniger als 100. In Deutschland liegt der Verkehr in der Gesamtbilanz der CO2-Verursacher im Übrigen auf Platz 3, hinter der Energieerzeugung und der Industrie. Der Löwenanteil der 165 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr entfällt dabei auf den Individualverkehr auf der Straße. Der Flugverkehr der Inlandsflüge bringt es „nur“ auf 2 Millionen Tonnen. Unbestritten ist es sicherlich notwendig, sich über geeignete Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen bei Seeschiffen Gedanken zu machen. Doch so unbequem, wie es für uns Autofahrer in Deutschland auch klingen mag, eine erhebliche Reduzierung der Verkehrsleistungen im Individualverkehr auf der Straße würde zu einem weit größeren Effekt führen. Mit einer maßvollen Mobilität und einem durchdachten Mobilitätsmix könnten wir die Umweltbelastungen beachtlich reduzieren. Doch zwischen Einsicht und Verhalten herrscht eine große Diskrepanz. BEISPIEL 2:
Ist bio gut für das Klima? Dass die Landwirtschaft nicht unerheblich für die Klimaerwärmung verantwortlich ist, ist bekannt. In Deutschland liegt sie mit circa 9 Millionen Tonnen CO2 auf Platz 5 in der Gesamt bilanz der CO2-Verursacher. Dabei spielt in der Landwirtschaft das Treibhausgas Methan eine wesentlich wichtigere Rolle. Aber ist nun Bio-Essen für die Klimabilanz besser als konventionelles Essen? Auch hier ist eine differenzierte Betrachtung notwendig.
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Gemäß der Verbraucherorganisation Foodwatch produzieren Ökolandwirte unter dem Strich 15 bis 20 Prozent weniger Treibhausgase. Bei der konventionellen Landwirtschaft wirkt sich besonders der Einsatz von mineralischem Stickstoffdünger negativ aus. Bemerkenswert ist, dass Ökofleisch in Sachen Klimabilanz nicht selten schlechter abschneidet als Fleisch aus konventioneller Produktion. Das hat einfache Gründe: Die Tiere werden artgerecht gehalten, leben länger, fressen mehr und emittieren mehr. So produziert 1 Kilogramm Öko-Rindfleisch aus Ochsenmast beinahe doppelt so viel CO2 wie das Fleisch eines konventionellen Rindes. Beim Rindfleisch von Milchkühen und beim Schweinefleisch schneidet wiederum die Ökohaltung besser ab. Unabhängig von bio oder konventionell: Die Tierhaltung inklusive der für sie angebauten Futtermittel ist laut Foodwatch in der deutschen Landwirtschaft der größte Verursacher von Treibhausgasen – nämlich zu 71 Prozent. Besonders klimaschädlich ist die Rinderhaltung. Die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln ist – ohne Futtermittel – für 29 Prozent verantwortlich. Der konventionelle Allesesser verursacht pro Jahr durch den Verzehr landwirtschaftlicher Produkte so viel CO2 wie eine 4.758 Kilometer lange Autofahrt. Der Öko-Allesesser kommt mit 4.377 Kilometern nicht viel besser weg. Würde man auf Fleisch, nicht aber auf Milchprodukte verzichten, kämen 2.427 Kilometer (konventionell) oder 1.978 Kilometer (ökologisch) zustande. Eine Ernährung ohne Fleisch und Milchprodukte kommt auf 629 (konventionell) oder 281 Kilometer (ökologisch). Wir müssen also unseren Speiseplan umstellen, rät auch Greenpeace. Mehr heimisches Obst und Gemüse und weniger Fleisch und Milchprodukte. Das hilft nicht nur dem Klima, sondern schützt auch die Urwälder in Südamerika, die durch den massiven Anbau von Soja als Futtermittel in Gefahr sind. Darüber hinaus werden Bioprodukte (noch) häufiger von einer ökosensiblen, kaufkräftigen Konsumentenschicht erworben. Menschen, die einen gesteigerten Wert auf Gesundheit und Nachhaltigkeit legen und gern bereit sind, dafür etwas mehr auszugeben. In einer Studie wurde die Gesamtbilanz
Ein konventioneller Allesesser verursacht durch den Verzehr landwirtschaftlicher Produkte die 17-fache Menge CO2 wie ein ökologischer Veganer. hinsichtlich Nachhaltigkeit untersucht. Einige schnitten in ihrer Umweltbilanz dabei deutlich schlechter ab als Leute, die im Leben noch keinen Bioladen betreten hatten. Der oftmals begleitende aufwendige Lebensstil macht all ihre Einsparungen zunichte. Große Wohnungen, schöne Reisen und die Konsumgewohnheiten konnten durch Energiesparbirnen und ökologisch hergestellte Designerprodukte nicht ausgeglichen werden. Dagegen vorbildlich: die arme, alleinstehende Rentnerin. Sie ist die wahre Ökoheldin, wenngleich wohl nicht ganz freiwillig. Sie lebt bescheiden in anderthalb Zimmern, hat sich seit Jahren keine neuen Möbel angeschafft, besitzt natürlich kein eigenes Auto und nimmt höchstens mal an einer Kaffeefahrt teil. Für die Umwelt ist sie ein Segen. „Eine der neuen großen kulturellen Herausforderungen besteht nun nicht mehr darin, Mangelerfahrungen durch ein Mehr zu beseitigen. Wir sind an dem Punkt, dass wir das dauernde Zuviel begrenzen müssen – und nicht nur bei materiellen Dingen, sondern auch bei unserem zu großen Info- und EntertainmentStrom“, sagt Marcel Hunecke. „Es gilt, keine Zeit zu verschwenden, wir müssen unser Leben nachhaltig ausrichten. Die Dringlichkeit für mehr Nachhaltigkeit ist ganz klar gegeben.“ Wie hieß es doch früher so schön: Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an! //
auch das noch!
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„Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent nicht brauchst; du nimmst all den Ballast und schmeißt ihn weg, denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck.“
na ja ... Vom Guten des Schlechten
Aluminium erfordert bekanntlich einen der energieintensivsten Herstellprozesse, aber es hat auch eine der höchsten Recyclingquoten.
Silbermond 2015, „Leichtes Gepäck“
ewig
„Recycling ist ein Verbrechen!“
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Eine ganz besondere Form der Nachhaltigkeit Anja Rössel und Florian Steinkohl konnten im Oktober 2019 ihre 20-jährige Firmenzugehörigkeit bei der Hans Becker GmbH feiern. Dieses außergewöhnliche Jubiläum wurde natürlich mit einem tollen Team-Event gebührend begangen.
länger
Die umweltfreundlichste Automarke? Ausgerechnet Rolls-Royce gilt vielen als die nachhaltigste Automarke. Denn während ganze Generationen anderer Automobile längst der Verrottung, Verschrottung oder dem Recycling zum Opfer gefallen sind, existiert noch ein erheblicher Anteil aller seit Gründung produzierter Rolls-Royce-Fahrzeuge, zum großen Teil sogar noch fahr tüchtig. Der Leitsatz der englischen Edelschmiede ließe sich wohl auch von anderen Marken – und ihren Kunden – beherzigen: „The quality will remain long after the price is forgotten.“
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Diese provokante These vertritt der Brite Mark Adams, Inhaber und Geschäftsführer der Marke Vitsœ. Die ist bekannt für das legendäre Regalsystem 606, das Dieter Rams für die Ewigkeit gestaltet hat und dessen Teile selbstver ständlich alle noch heute lieferbar sind. Reparieren ist nun einmal besser als Recycling, davon ist Adams überzeugt, und er führt da gerne das Beispiel des Toasters an, den seine Eltern zur Hochzeit in den 1950erJahren bekamen und der nach mehrmaliger Instand setzung jahrzehntelang funktionierte, während jenes Modell, das Adams jüngst erwarb, bereits nach 15 Monaten weggeworfen wurde, da es sich nicht reparieren ließ.
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Nachhaltigkeit auf der allerletzten Meile Wer ganz umweltbewusst die letzte Reise antreten möchte, für den bietet die Kopenhagener Bestatterin Sille Kongstad einen besonderen Service: Statt mit einem Leichenwagen kutschiert sie ihre „Passagiere“ mit einem umgebauten Lastenfahrrad zum Friedhof. Rund 25 Mal im Jahr wird dieser spezielle Wunsch von ihr erfüllt. Nicht umsonst gilt die dänische Hauptstadt ja als „Paradies für Radfahrer“.
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Genuss
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Kaffeekauf – Sünde oder gute Tat?
Für die Mehrheit der Europäer gehört der morgendliche Kaffeeduft in der Wohnstube zum festen Bestandteil des Lebens. Und wie gerne nimmt man sich bei einem WienBesuch auch die Zeit, um die sagenumwobene Kaffeehaustradition bei einem „kleinen Braunen“ oder der berühmten „Wiener Melange“ auf der Zunge zergehen zu lassen … von Christian Aigner
Allein in Deutschland werden pro Person 164 Tassen jährlich genossen, es ist bei Weitem das beliebteste Heißgetränk hierzulande. Doch immer mehr Konsumenten fragen sich inzwischen, ob mit der Kaufentscheidung ein Beitrag für das Wohl der Kaffeebauern und der Kaffeepflücker möglich ist. Sichern Nachhaltigkeitssiegel wirklich die soziale, ökologische, qualitative und ökonomische Weiterentwicklung in den Anbauregionen? Bereits 2016 hat die Stiftung Warentest die Frage gestellt, ob man den Labels vertrauen kann. Neben Naturland Fair, Fairtrade und HAND IN HAND wurden auch Rainforest Alliance
Certified und UTZ Certified bewertet. Jedes Label hat andere Kriterien und eigenständige Ausrichtungen. Legen Naturland und Rapunzel (HAND IN HAND) den Fokus auf biologischen Landbau, unterscheiden sie sich trotzdem in Bezug auf soziale und ökonomische Kriterien. Beim Marktführer TransFair (Fairtrade) sind die Anforderung auf übergreifende Kriterien am höchsten. Befriedigende Ergebnisse erzielten die Labels Rainforest Allicance und UTZ. Das Warentest-Fazit lautet, dass die drei erstgenannten durchaus ein stimmiges und nachhaltiges Konzept haben. Es wird aber schnell klar, dass diese Siegel den Bauern in Form von Zertifizierungskosten einen zusätzlichen Kostenblock aufbürden. Kleineren Plantagenbesitzern, die biologisch und nachhaltig produzieren, ist der Erwerb eines oder mehrerer solcher Labels oftmals zu kostspielig. Die Gewinner sitzen zumeist im Handel. Kaffee wird an der Börse gehandelt und dabei werden höherwertige Kaffeebohnen nicht äquivalent zum Aufwand bezahlt, sondern es gibt einen „kleinen Obolus“ für sehr gute Qualität. Doch im Massengeschäft ist das Siegel sicherlich eine gute Möglichkeit, den Bauern zu etwas mehr Einkommen zu verhelfen. Aber genügt das?
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Der Markt wandelt sich hin zu Spezialkaffeesorten, und Kaffeekenner fragen gezielt danach. Premium-Kaffeeröster, deren Anspruch exzellenter Genuss ist, können bei den Importeuren nur zu teuren Konditionen auf die qualitativ hochwertigen Sorten zugreifen, die Qualität aber nicht beeinflussen. Daher wählen sie immer öfter den Weg des „Direct Trade“. Hierbei wollen die kleinen Röstspezialisten partnerschaftlich mit den Kaffeebauern und Kooperativen direkt den Handel vollziehen. Thomas Eckel, Gründer der Murnauer Kaffeerösterei und Q-Grader* sowie seit 2010 Juror beim Cup of Excellence® **, verriet im Gespräch, dass die Zusammenarbeit mit den Plantagen so weit geht, dass jährliche Abnahmemengen schon vor dem Anbau garantiert werden. Durch die langjährige Zusammenarbeit entwickeln sie gemeinsam die Sorten, steigern die Qualität und auch die Nachhaltigkeitskriterien, sodass auf ein Nachhaltigkeitssiegel verzichtet werden kann. Eckel unterstreicht, dass das gemeinsame Vertrauen für beide Seiten entscheidend und nicht verhandelbar ist. Eigentlich sollte die dauerhafte Kooperation als „Life-Time-Partnerschaft“ bezeichnet werden. Der „Röster des Jahres 2015“ kann auch eine höhere Bezahlung der Plantagenbesitzer bieten und auf einer sozial ausgewogenen Entlohnung der Pflücker bestehen. Die eingesparten Lizenzgebühren ermöglichen zudem, mehr Geld in Umweltschutzmaßnahmen und Ausbildung zu investieren. „So werden auf der Plantage Santa Elena in Costa Rica Mitarbeiterunterkünfte und medizinische Versorgung für diese und deren Familien zur Verfügung gestellt“, gewährt Herr Eckel einen Einblick in die Zusammenarbeit. Die Plantagenbesitzerin hat bereits mehrfach zur Entwicklung der Region beitragen können, zum Beispiel durch den Bau einer Schule, einer Bücherei und ein Wasserleitungssystem. Aber auch an kleine Dinge wie den Düngemittelersatz aus Fruchtfleisch und Kaffeeschalen wird gedacht. Es gibt also auch für uns Konsumenten Möglichkeiten, mehr für die Bauern und Pflücker zu tun und dabei dem Genuss zu frönen!
Zum Beispiel mit diesem Kaffee-Erlebnis der besonderen Art:
Mélange Orangina Zutaten: ca. 4 Tassen heißer Kaffee, z. B. PachaMama brauner Zucker Zesten (schmale Streifen der Schale) einer Bio-Orange Orangenlikör 8 cl, z. B. Cointreau geschlagene Sahne • Bereiten Sie im Vorfeld eine Kanne PachaMama-Kaffee zu mit dem Inhalt von etwa vier Tassen Kaffee. • Streuen Sie in einen kleinen Kochtopf so viel braunen Zucker, dass der Boden schön bedeckt ist, und geben Sie die Hälfte der Orangenzesten dazu. Erhitzen Sie alles vorsichtig, sodass der Zucker zu karamellisieren beginnt. • Gießen Sie nun den Cointreau in den Topf. Und jetzt kommt’s: Flambieren Sie die Flüssigkeit! Dazu verwenden Sie am besten ein Stabfeuerzeug. Aber Vorsicht, wenn Sie den Alkohol entzünden. Die Flamme, die dabei entsteht, kommt sehr plötzlich und ist hoch! • Löschen Sie alles ab mit etwa zwei Tassen Kaffee. Eventuelle Klümpchen des karamellisierten Zuckers lösen sich durch langsames Rühren auf. Schmecken Sie nun alles ab und geben nach Bedarf noch ein wenig Kaffee dazu. • Füllen Sie die Mélange in Gläser, geben Sie Sahne und die restlichen Orangenzesten obendrauf, einen (echten) Strohhalm dazu, und nun genießen Sie ein ausgefallenes und herrlich aromatisches Kaffeegetränk! //
* Das Q-Grader-Programm des Coffee Quality Institute (CQI) ist die weltweit renommierteste Kaffee-Sensorik-Ausbildung. Ein Q-Grader in Singapur bewertet Kaffees auf der gleichen Grundlage wir ein Grader in Korea oder Mexiko. ** Der Cup of Excellence® ist ein jährlicher Wettbewerb in mehreren Ländern, um die höchste Qualität der produzierten Kaffees zu ermitteln. Organisiert wird er von der Alliance for Coffee Excellence, die von George Howell und Susie Spindler gegründet wurde. Die Gewinnerkaffees werden in Internetauktionen verkauft.
Die Kaffeerösterei Murnau hat ihren Ursprung in der Kaffeeleidenschaft des Inhabers Thomas Eckel. Der entdeckte seine Kaffee-Begeisterung in den 1990erJahren auf einer Plantage auf Hawaii. Bereits 2004 begann er mit dem privaten Vertrieb von Plantagenkaffee an Bekannte und Freunde.
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Vorschau
Impressum
In der nächsten DENKRAUM-Ausgabe lesen Sie:
ES C R U O S E R N A M U H SCH DE IM MITTELPUNKT
R MEN
Mitarbeitergewinnung – ein Headhunter berichtet
Gestaltung: Freie Kreatur, Ebersberg Petra Winkelmeier, Andreas Mitterer www.freiekreatur.de
Bildnachweis:
New Work: Was steckt dahinter? Schöne neue (Büro-)Welt Für und Wider Homeoffice Ausgabe 9 des UM Magazins DENKRA er m m So im t erschein 2020
Hans Becker GmbH Intern Ausbau des Geschäftsfelds HORIZONdigital
Aufgrund der zunehmenden Nachfrage unserer Kunden nach Beratung rund um die Digitalisierung im indirekten Einkauf wurden diese Themen 2019 nun zentral in unserem Geschäftszweig HORIZONdigital zusammengeführt. So können wir künftig noch fokussier-
Lektorat: Susanne Schneider
Druck: Joh. Walch GmbH & Co KG, Augsburg
Motivation und Mitarbeiterförderung
Als inhabergeführtes Unternehmen hat sich Hans Becker seit über 25 Jahren auf die Optimierung des strategischen indirekten Einkaufs sowie alle damit verbundenen Prozesse spezialisiert.
Chefredaktion: Anja Rössel Tel. +49 (0)89 / 66 65 83-26 a.roessel@hansbeckergmbh.de Autoren dieser Ausgabe: Christian Aigner, Hans Becker, Christine Klein, Herbert Lechner, Steffen Reiss, Sören Seewald
Trotz der gewaltigen Veränderungen der Arbeitswelt durch Digitalisierung, Robotik, Internet of Things und künstliche Intelligenz bleibt der motivierte Mitarbeiter das wichtigste Kapital eines Unternehmens. Doch auch hier sind die vielfältigen Wandlungen spürbar und entsprechend zu berücksichtigen.
Der menschliche Roboter
Herausgeber: Hans Becker GmbH Keltenring 11 82041 Oberhaching Tel. +49 (0)89 / 66 65 83-0 info@hansbeckergmbh.de www.hansbeckergmbh.de
ter individuelle Lösungen für unsere Kunden entwickeln. Ein optimaler Mix aus fast schon klassischen Ansätzen wie zum Beispiel E-Procurement, aber auch neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) oder des Einsatzes warengruppenspezifischer Konzepte führt zu einem optimalen Ergebnis für unsere Kunden. Mehr unter: www.hansbeckergmbh.de
HANS BECKER Effizient Einkaufen
Titel / S. 2: ©Peder Istad; S. 4: Illustration ©Andreas Mitterer /Freie Kreatur, ©Hans Becker, ©VAUDE / Alwin Buchmaier, ©Thomas Eckel; S. 6: ©Nature Picture Library /Alamy Stock Photo; S. 9: ©Reuters / Agustin Marcarian /stock.adobe.com; S. 10: ©Reuters / Ints Kalnins /stock. adobe.com; S. 11: ©Reuters / Hannibal Hanschke /stock.adobe.com; S. 12/13: ©worldmapper; S. 14 – 17: ©VAUDE /Nicole Maskus-Trippel, Alwin Buchmaier (5) ; S. 18/19: ©IKEA, ©Reuters / Wolfgang Rattay /stock. adobe.com; S. 21: ©JCS /CC-BY-SA3.0 /GFDL; ©KEIN & ABER AG Zürich – Berlin (4); S. 22: ©Anatolii /stock. adobe.com; S. 23: ©Landpack GmbH; S. 25: ©Hinterher.com/munich bike trailers; S. 26: ©Hans Becker, ©SpicyTruffel /stock.adobe.com; S. 28 – 30: Illustration ©Andreas Mitterer /Freie Kreatur; S. 31 (unten): ©Sille Kongstad; S. 32: ©Karolina Grabowska /Pixabay; S. 33: ©Thomas Eckel; S. 35: ©mushakesa /stock. adobe.com Erscheinungsweise: halbjährlich Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen kann für die Richtigkeit nicht gehaftet werden. Nachdruck und Verwendung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.
Nächstes Mal im DENKRAUM:
HUM AN
RES OUR
CES
Wir verknüpfen beide Welten
Meistern Sie mit uns den digitalen Wandel im indirekten Einkauf! Wir finden für Sie den optimalen Weg, analoge und digitale Welten für mehr Effizienz zu verbinden.
HANS BECKER Effizient Einkaufen Hans Becker GmbH Keltenring 11 82041 Oberhaching Telefon +49 (0) 89 / 66 65 83-0 Telefax +49 (0) 89 / 66 65 83-12 info@hansbeckergmbh.de www.hansbeckergmbh.de Hans Becker GmbH I Büro Österreich Lindenweg 1 3353 Seitenstetten Telefon +43 (0) 7477 / 2 08 02 Telefax +43 (0) 7477 / 2 08 02-30 f.tramberger@hansbeckergmbh.at www.hansbeckergmbh.at