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Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Inhaltsverzeichnis Überblick Einleitung Symptome Ursachen und Risikofaktoren Häufigkeit Verlauf Folgen Diagnose Behandlung Leben und Alltag Weitere Informationen Quellen Mehr Wissen ADHS bei Erwachsenen Wie äußert sich eine ADHS im Erwachsenenalter? Wie wird ADHS bei Erwachsenen festgestellt? Wie gehen andere mit der Erkrankung um? An wen können sich Erwachsene mit ADHS wenden? Wem soll ich von meiner Diagnose erzählen? ADHS: Wie wird die Diagnose gestellt? Was ist mit Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gemeint? Welche Kriterien sind für eine Diagnose entscheidend? Die zwei Seiten der Diagnose Wie lassen sich Fehldiagnosen vermeiden? Zunahme der ADHS-Diagnosen Was kann Kindern und Jugendlichen mit ADHS helfen? Diagnose und Beratungsgespräch Medikamente Welche Mittel werden eingesetzt? Wie wirksam sind ADHS-Medikamente? Welche Nebenwirkungen können die Mittel haben? Was kann man gegen Nebenwirkungen tun? Elternschulung Psychotherapie Schulische Maßnahmen Welche Rolle spielt Bewegung? Weitere Behandlungen Behandlung von ADHS bei Erwachsenen Wie wirken ADHS-Medikamente? Können Medikamente Erwachsenen mit ADHS helfen? Wann kann eine Psychotherapie sinnvoll sein? Den Alltag mit ADHS bewältigen: Infos für Eltern Routinen, klare Anweisungen und Regeln Realistische Ziele setzen Auf Reizsignale achten Sport und Hobbys Lob ist wichtig Auf eigene Bedürfnisse achten, Hilfen in Anspruch nehmen
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Erfahrungsberichte Ich hätte nie ADHS vermutet Ich hatte das Gefühl, anders zu sein
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Kurz erklärt Wie finde ich Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen? Wege zur Psychotherapie: Wo gibt es Hilfe? Kognitive Verhaltenstherapie Wie funktioniert das Gehirn?
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Glossar
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Überblick Einleitung
(PantherMedia / goodluz) Die ADHS ist eine psychische Erkrankung, von der man spricht, wenn ein Kind besonders unaufmerksam, impulsiv oder „hyperaktiv“ ist. Mit unaufmerksam ist gemeint, dass es sich nur schlecht konzentrieren kann und leicht ablenken lässt. Verhält sich ein Kind für sein Alter sehr unbedacht, leichtfertig oder auch ungeduldig und unachtsam, wird es als übermäßig impulsiv bezeichnet. Hyperaktiv wird es genannt, wenn es rastlos oder sehr unruhig ist – zum Beispiel, wenn es während des Unterrichts nicht sitzenbleiben kann, sondern oft aufsteht und im Klassenzimmer umherläuft. Eine ausgeprägte ADHS kann das Leben und den Alltag des Kindes, aber auch seiner Eltern und Geschwister enorm beeinträchtigen: Da sich Kinder mit ADHS anders verhalten, als von ihnen erwartet wird, ecken sie oft an. Sie benötigen viel Aufmerksamkeit. Durch die Konzentrationsschwäche fällt ihnen das Lernen schwer. Manche Kinder haben auch ein auffälliges Sozialverhalten, Ängste oder Depressionen. Die Zahl der ADHS-Diagnosen ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Kritiker dieser Entwicklung bezweifeln, dass ADHS wirklich so häufig ist. Sie befürchten, dass zu viele Kinder die Diagnose erhalten, die vielleicht etwas unruhig, aber eigentlich gesund sind. Eine Fehldiagnose kann unnötige Behandlungen nach sich ziehen. Auch das Selbstwertgefühl kann beeinträchtigt werden, wenn Kinder fälschlich als psychisch krank eingestuft werden. Auf der anderen Seite gibt es Kinder und Jugendliche mit ADHS, die keine Diagnose erhalten. Auch dies kann negative Auswirkungen haben, weil sie dann unter Umständen keine Behandlung erhalten, obwohl sie ihnen helfen könnte. Eine sorgfältige Diagnosestellung ist daher sehr wichtig.
Symptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und übermäßige Aktivität sind bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Bei einer ADHS nehmen sie allerdings ein Ausmaß an, das sich deutlich vom Verhalten Gleichaltriger unterscheidet. Unaufmerksamkeit kann sich darin äußern, dass ein Kind in der Schule oft nicht zuhört, sich leicht ablenken lässt und viele Flüchtigkeitsfehler macht. Auch in der Freizeit kann es ihm schwerfallen, bei der Sache zu bleiben, und es vergisst oder verliert häufig Dinge. Ein impulsives Kind kann zum Beispiel kaum abwarten, bis es beim Spielen oder im Unterricht an der Reihe ist; es drängelt sich oft vor, stört und unterbricht andere. Hyperaktive Kinder sind oft unruhig, rutschen ständig auf dem Stuhl herum oder tun sich schwer, leise zu sein. Oft zeigt sich die körperliche Unruhe auch darin, dass die Kinder viel hin und her laufen oder auf Möbelstücke klettern. In Situationen, in denen besonders viele Eindrücke auf ein Kind einströmen, zum Beispiel bei einer Familienfeier oder Urlaubsreise, kann sich das unaufmerksame und impulsive Verhalten verstärken.
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Wie stark eine ADHS ausgeprägt ist und welche Verhaltensweisen besonders auffallen, kann sehr unterschiedlich sein. So steht bei manchen Kindern die Unaufmerksamkeit im Vordergrund. Sie werden eher als Tagträumer wahrgenommen. Andere Kinder sind besonders impulsiv und hyperaktiv. Je nach Problem unterscheidet man zwischen vorwiegend unaufmerksamen und vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Kindern. Bei Kindern, die sehr unaufmerksam, aber nicht hyperaktiv sind, spricht man auch vom Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, kurz ADS.
Ursachen und Risikofaktoren Die Ursachen der ADHS sind nicht abschließend geklärt, vermutlich ist die Störung aber nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen. Eine wichtige Rolle spielt die genetische Veranlagung. Untersuchungen zeigen auch, dass der Transport des Botenstoffs Dopamin an den Nervenzellen im Gehirn verändert ist – und zwar in den Bereichen, die unter anderem für die Gedächtnis- und Lernfunktion wichtig sind. Es gibt aber noch andere biologische Ursachen, die zur Entstehung einer ADHS beitragen. Manche Fachleute äußern Kritik daran, dass ADHS oft nur auf körperliche oder genetische Ursachen zurückgeführt wird. Sie sehen gesellschaftliche Veränderungen als genauso wichtig an. So sollen ADHS-Symptome auch Folge der Reizüberflutung mit gleichzeitigem Bewegungsmangel, der starken Leistungsorientierung in modernen Gesellschaften sowie von veränderten Familienverhältnissen sein. Ob diese Theorien stimmen, ist bislang aber kaum durch verlässliche Studien untersucht. Unklar ist auch, welche Risikofaktoren zur Entstehung einer ADHS beitragen können. In einzelnen Studien zeigte sich, dass Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft geraucht, Alkohol getrunken oder Drogen konsumiert haben, öfter von ADHS betroffen waren. Auch ein sehr niedriges Geburtsgewicht oder Probleme bei der Geburt wie Sauerstoffmangel könnten mit ADHS in Zusammenhang stehen. Vermutlich wirken die Veranlagung und äußere Einflüsse zusammen. Manchmal werden bestimmte Lebensmittel mit ADHS in Verbindung gebracht. Tatsächlich deuten manche Forschungsergebnisse darauf hin, dass Kinder, die oft künstliche Farbstoffe und Konservierungsmittel zu sich nehmen, eher ein auffälliges Verhalten zeigen. Die Ernährung spielt aber, wenn überhaupt, nur eine geringe Rolle. Wenn der Verdacht besteht, kann man ausprobieren, ob eine Ernährungsumstellung etwas bringt.
Häufigkeit Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen sind weit verbreitet. In Deutschland erhalten etwa 5 % der Kinder die Diagnose ADHS. Eine repräsentative Studie zur Häufigkeit von ADHS in Deutschland zeigt allerdings, dass nur 1 bis 2 % der Kinder tatsächlich die Diagnosekriterien für eine ADHS erfüllen; Jungen etwa doppelt so oft wie Mädchen. Dies deutet darauf hin, dass manche Kinder irrtümlich die Diagnose ADHS erhalten. Es gibt aber auch Kinder, die ADHS haben, aber nie eine Diagnose erhalten. Wie häufig dies ist, weiß man nicht genau.
Verlauf ADHS tritt normalerweise im Kindesalter auf. Bei Erwachsenen sind die Symptome meist deutlich schwächer ausgeprägt oder verschwinden sogar ganz. Über 50 % der Betroffenen haben zumindest teilweise noch mit ADHS-Symptomen zu tun, wenn sie erwachsen sind. Ungefähr 15 % erfüllen auch noch als Erwachsene die vollständigen ADHS-Diagnosekriterien.
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Mit dem Älterwerden verändern sich die Symptome allerdings oft: So sind Jugendliche und Erwachsene mit ADHS meist weniger hyperaktiv als in ihren Kinderjahren, verspüren aber häufig eine innere Unruhe oder Rastlosigkeit.
Mehr Wissen - ADHS bei Erwachsenen
Folgen Eine ADHS wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus. So haben Kinder und Jugendliche mit ADHS häufiger Unfälle, verletzen sich öfter und haben mehr Probleme in der Schule. Sie geraten eher mit Gleichaltrigen in Konflikte, verhalten sich regelwidrig, trotzig oder auch aggressiv. Jugendliche konsumieren auch häufiger Suchtmittel wie Nikotin, Alkohol und Drogen. Dies kann andere Probleme verstärken. Außerdem sind sie öfter in Straftaten verwickelt als Gleichaltrige ohne ADHS. Entwicklungsprobleme können eine ADHS begleiten. Damit sind zum Beispiel Schwierigkeiten in der Sprachentwicklung oder in der Lese- und Rechtschreibfähigkeit gemeint. Es können andere psychische Probleme oder Erkrankungen hinzukommen, etwa Depressionen oder Angsterkrankungen. Manche Kinder mit ADHS haben zusätzlich eine Tic-Störung. Bei Erwachsenen kann ADHS vor allem zu Problemen in Beziehungen oder bei der Arbeit führen. Gerade Erwachsene, die als Kinder sehr hyperaktiv und impulsiv waren, zeigen manchmal rücksichtslose Verhaltensweisen: Manchen fällt es schwer, ihren Pflichten nachzukommen, die Wahrheit zu sagen oder ihre Mitmenschen zu respektieren.
Diagnose Eine ADHS wird am besten durch Expertinnen und Experten diagnostiziert, die sich mit dieser Störung gut auskennen. Dazu gehören Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin oder Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche. Ein ausführliches Gespräch und eine körperliche Untersuchung sind wichtig, um andere mögliche Ursachen für das auffällige Verhalten des Kindes auszuschließen. So können auch Schlafstörungen, Sehfehler, Schwerhörigkeit oder eine Schilddrüsenüberfunktion für Konzentrationsschwierigkeiten, Schulprobleme oder Hyperaktivität verantwortlich sein. Im Diagnosegespräch können andere psychische Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen und mögliche Begleiterkrankungen festgestellt werden. Fragen, die eine Ärztin oder ein Therapeut dabei den Eltern stellt, sind zum Beispiel:
Ist Ihr Kind vergesslich, lässt es sich leicht ablenken oder kann es sich nur schlecht konzentrieren? Klettert Ihr Kind häufig auf Gegenstände, unterbricht und stört andere oft oder hat viele Wutausbrüche? Verhält es sich in der Schule und zu Hause so? Wie lange beobachten Sie dieses Verhalten schon bei Ihrem Kind? Leidet die schulische Leistung Ihres Kindes darunter oder findet es wegen seines Verhaltens keine Freunde und ist deshalb unglücklich?
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Die Diagnose sollte nach festgelegten Vorgaben erfasst werden. Dazu werden psychologische Tests und Fragebögen eingesetzt. Zusätzlich zum Gespräch mit Eltern und Kind werden möglichst auch Lehrerinnen, Lehrer oder Erzieherinnen einbezogen, da sie am besten über das Verhalten des Kindes im Kindergarten oder in der Schule Auskunft geben können.
Mehr Wissen ADHS: Wie wird die Diagnose gestellt?
Behandlung Vor jeder Behandlung finden ein Gespräch und eine Beratung darüber statt, was ADHS überhaupt ist und wie sich damit umgehen lässt. Neben den Eltern und dem Kind können auch Erziehungs- oder Lehrkräfte einbezogen werden. Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass gar kein großer Behandlungsbedarf besteht. Entscheidend ist, wie belastend das auffällige Verhalten für Kind und Eltern ist und ob zum Beispiel die schulische Entwicklung darunter leidet. Auf gute Schlafgewohnheiten zu achten, kann ebenfalls hilfreich sein. Wenn ein Kind eine leichte ADHS hat, die sein Verhalten nicht besonders einschränkt, reicht möglicherweise bereits eine Elternschulung zum Umgang mit ADHS. Solche Programme können angeleitet sein oder als schriftliches Material zur Selbsthilfe durchgearbeitet werden. Bei einer mittelschweren oder schweren ADHS, die mit sozialen oder schulischen Problemen einhergeht, können weitere Schritte wie bestimmte Maßnahmen in der Schule oder eine Familien- oder Verhaltenstherapie sinnvoll sein. Welche Hilfen geeignet sind, hängt auch davon ab, wie alt das Kind ist, ob es eher unaufmerksam oder hyperaktiv ist und welche Lebensbereiche besonders beeinträchtigt sind. Medikamente können ADHS-Symptome lindern. Bei der Entscheidung über eine Behandlung mit Medikamenten spielen verschiedene Aspekte eine Rolle: Neben dem Alter des Kindes, wie stark die ADHS ausgeprägt ist, ob bereits eine Psychotherapie oder pädagogische Mittel ausprobiert wurden und wie Eltern und Kind die Vor- und Nachteile von ADHS-Medikamenten abwägen. Am häufigsten werden Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat eingesetzt. Wenn Methylphenidat nicht wirkt oder aus anderen Gründen nicht eingesetzt werden kann, kommen die Wirkstoffe Atomoxetin, Dexamphetamin, Guanfacin und Lisdexamfetamin infrage. Eine stationäre oder teilstationäre Behandlung in einer psychosomatischen oder psychiatrischen Klinik für Kinder und Jugendliche kann sinnvoll sein, wenn ein Kind sehr hyperaktiv und impulsiv ist und den Alltag nur noch schwer oder gar nicht mehr bewältigen kann. Schwere psychische Begleiterkrankungen können ebenfalls ein Grund für eine Klinikbehandlung sein.
Mehr Wissen Was kann Kindern und Jugendlichen mit ADHS helfen? Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
Leben und Alltag
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Ein Kind mit ADHS großzuziehen, kann sehr anstrengend sein. Eine ausgeprägte ADHS ist für die ganze Familie eine Herausforderung: Eltern müssen viele Konflikte aushalten, denn es gibt oft Probleme in der Schule, Streit mit anderen Kindern, Eltern oder Angehörigen. Auch die Geschwister sind häufig belastet oder fühlen sich vernachlässigt, weil für sie weniger Zeit bleibt. Nicht zuletzt leiden betroffene Kinder und Jugendliche selbst unter ihrem Verhalten: Sie finden nur schwer Freunde und ecken oft an. Viele Eltern entwickeln mit der Zeit Strategien, um besser mit der ADHS umzugehen. Hilfreich sind meist klare Regeln und das Entwickeln von Routinen. Der Austausch mit anderen Eltern in Selbsthilfegruppen wird oft als hilfreich empfunden. Wichtig ist, sich immer wieder klar zu machen, dass das Verhalten des Kindes keine Absicht ist. Bei großer Belastung im Alltag kann auch eine Mutter-/Vater-Kind-Kur sinnvoll sein. Ziel dieser Maßnahme für Eltern und Kind ist es, Abstand von den täglichen Problemen zu gewinnen und gemeinsam mit Therapeutinnen und Therapeuten Wege zu finden, sich vor Überforderung zu schützen.
Mehr Wissen Den Alltag mit ADHS bewältigen: Infos für Eltern
Weitere Informationen Die Hausarztpraxis ist meist die erste Anlaufstelle, wenn man krank ist oder bei einem Gesundheitsproblem ärztlichen Rat braucht. Wir informieren darüber, wie man die richtige Praxis findet, wie man sich am besten auf den Arztbesuch vorbereitet und was dabei wichtig ist. Aktualisiert am 5. September 2018 Erstellt am 9. September 2015 Nächste geplante Aktualisierung: 2021
Quellen Catala-Lopez F, Hutton B, Nunez-Beltran A, Page MJ, Ridao M, Macias Saint-Gerons D et al. The pharmacological and non-pharmacological treatment of attention deficit hyperactivity disorder in children and adolescents: A systematic review with network meta-analyses of randomised trials. PLoS One 2017; 12(7): e0180355. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". AWMF-Registernr.: 028-045. 05.2017. Döpfner M, Breuer D, Wille N, Erhart M, Ravens-Sieberer U. How often do children meet ICD-10/DSM-IV criteria of attention deficit-/hyperactivity disorder and hyperkinetic disorder? Parent-based prevalence rates in a national sample - results of the BELLA study. Eur Child Adolesc Psychiatry 2008; 17 Suppl 1: 59-70. Kemper AR, Maslow GR, Hill S, Namdari B, Allen LaPointe NM, Goode AP et al. Attention Deficit Hyperactivity Disorder: Diagnosis and Treatment in Children and Adolescents. 01.2018. (AHRQ Comparative Effectiveness Reviews; Band 203). Richardson M, Moore DA, Gwernan-Jones R, Thompson-Coon J, Ukoumunne O, Rogers M et al. Non-pharmacological interventions for attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD) delivered in school settings: systematic reviews of quantitative and qualitative research. Health Technol Assess 2015; 19(45): 1-470.
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Rimestad ML, Lambek R, Zacher Christiansen H, Hougaard E. Short- and Long-Term Effects of Parent Training for Preschool Children With or at Risk of ADHD: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Atten Disord 2016. Storebo OJ, Krogh HB, Ramstad E, Moreira-Maia CR, Holmskov M, Skoog M et al. Methylphenidate for attention-deficit/hyperactivity disorder in children and adolescents: Cochrane systematic review with meta-analyses and trial sequential analyses of randomised clinical trials. BMJ 2015; 351: h5203. Storebo OJ, Ramstad E, Krogh HB, Nilausen TD, Skoog M, Holmskov M et al. Methylphenidate for children and adolescents with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Cochrane Database Syst Rev 2015; (11): CD009885. Thomas R, Mitchell GK, Batstra L. Attention-deficit/hyperactivity disorder: are we helping or harming? BMJ 2013; 347: f6172. IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der Gesundheitsversorgung zu verstehen. Ob eine der von uns beschriebenen Möglichkeiten im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist, kann im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt geklärt werden. Wir bieten keine individuelle Beratung. Unsere Informationen beruhen auf den Ergebnissen hochwertiger Studien. Sie sind von einem Team aus Medizin, Wissenschaft und Redaktion erstellt und von Expertinnen und Experten außerhalb des IQWiG begutachtet. Wie wir unsere Texte erarbeiten und aktuell halten, beschreiben wir ausführlich in unseren Methoden.
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Mehr Wissen ADHS bei Erwachsenen
(PantherMedia / Sasa Mihajlovic) Eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beginnt im Kindes- und Jugendalter. Bei vielen gehen die Symptome mit zunehmendem Alter zurück, bei manchen bleiben sie allerdings bis ins Erwachsenenalter bestehen. Bei einigen Menschen wird eine ADHS auch erst im Erwachsenenalter festgestellt. Fachleute haben sich auf bestimmte Kriterien geeinigt, die für eine ADHS-Diagnose erfüllt sein müssen. Sie beschreiben verschiedene Ausprägungen von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Schätzungsweise 15 % der Kinder und Jugendlichen mit ADHS erfüllen diese Kriterien auch noch, wenn sie erwachsen sind. Allerdings äußert sich eine ADHS bei Erwachsenen häufig anders. Die Hyperaktivität geht oft zurück und die Unaufmerksamkeit steht im Vordergrund. Es kommt vor, dass eine ADHS-Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt wird. Für Erwachsene mit ADHS kann es schwierig sein, Unterstützung zu finden. Da ADHS bisher meist als Problem des Kindesalters betrachtet wurde, sind die Angebote zur Beratung und Behandlung von betroffenen Erwachsenen noch nicht so verbreitet wie für Kinder und Jugendliche.
Wie äußert sich eine ADHS im Erwachsenenalter? Bei Erwachsenen ist eine ADHS weniger offensichtlich als bei hyperaktiven, „zappeligen“ Kindern und Jugendlichen. Erwachsene mit ADHS haben vor allem Probleme, ihren Alltag oder ihre Arbeit zu organisieren, sich über längere Zeit auf Aufgaben zu konzentrieren, Termine einzuhalten oder Rechnungen zu bezahlen. Sie sind aber auch sehr impulsiv. Zum Beispiel reden Erwachsene mit ADHS viel und unterbrechen andere oft. Manche bekommen schnell Ärger, beenden voreilig Beziehungen, wechseln von jetzt auf gleich den Job oder kündigen, bevor sie eine neue Stelle haben. Auch im Straßenverkehr kann es zu Schwierigkeiten kommen, etwa durch rücksichtsloses Fahren. Viele Erwachsene mit ADHS tun sich schwer damit, ihre Gefühle im Gleichgewicht zu halten. Sie sind leicht reizbar, neigen zu Wutausbrüchen und haben eine niedrige Frustrationstoleranz. Wenn sie gestresst sind, fällt es ihnen schwer, ihre Pflichten zu erfüllen. Erwachsene mit ADHS können auch Schwierigkeiten haben, sich Ziele zu setzen und diese zu erreichen. In der Öffentlichkeit und von manchen Fachleuten wird noch immer darüber diskutiert, ob ADHS im Erwachsenenalter tatsächlich existiert. Viele Fachgesellschaften in Deutschland erkennen ADHS bei Erwachsenen heute aber als Diagnose an. Auch eine medikamentöse Behandlung ist inzwischen zugelassen. Entscheidend ist: Wenn jemand psychische Probleme hat, die die Lebensqualität deutlich und über längere
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Zeit beeinträchtigen, ist es sinnvoll, professionellen Rat einzuholen. Wichtig ist zudem, dass eine ADHS-Diagnose sorgfältig gestellt wird, damit es nicht zu unnötigen oder falschen Behandlungen kommt.
Wie wird ADHS bei Erwachsenen festgestellt? Die Diagnosekriterien sind bei Erwachsenen im Prinzip dieselben wie die bei Kindern mit ADHS. Eine Diagnose wird gestellt, wenn
die Auffälligkeiten in der Kindheit begonnen haben, mindestens sechs Anzeichen von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität vorhanden sind, in mehr als einem Lebensbereich Probleme bestehen und das Sozial- oder Berufsleben stark beeinträchtigt ist.
Manche Menschen mit ADHS haben in der Kindheit nie eine Diagnose erhalten. Für sie gibt es einen speziellen Fragebogen, der Ärztinnen und Ärzten helfen soll, die Diagnose rückblickend zu stellen. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass sie Medikamente verordnen dürfen. Wichtig ist, andere psychische Erkrankungen auszuschließen, die die Symptome erklären könnten. Manchmal wird eine ADHS für eine Persönlichkeitsstörung wie das Borderline-Syndrom gehalten. Auch Erkrankungen wie die bipolare Störung können mit ADHS verwechselt werden. Viele Menschen mit ADHS haben zusätzlich Begleiterkrankungen oder weitere Probleme wie soziale Verhaltensstörungen, Depressionen, eine Tic-Störung oder Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Solche Begleiterkrankungen können unter Umständen eine Folge der ADHS sein. Viele Erwachsene mit ADHS berichten, dass sie nur wenig Selbstbewusstsein haben, manche entwickeln deshalb eine Depression. Alkohol oder Drogen können für Betroffene ein Versuch sein, die Probleme einer ADHS zu bewältigen oder Symptome zu lindern.
Wie gehen andere mit der Erkrankung um? Viele Erwachsene mit ADHS haben vor allem wegen ihrer Unaufmerksamkeit und Impulsivität Probleme. Manche entwickeln aber gute Strategien, um damit umzugehen, zum Beispiel: Den Tag genau planen und Erinnerungslisten erstellen, damit man nichts vergisst. Dabei ist es wichtig, sich nicht zu viel vorzunehmen. Aufgaben in kleinere Schritte aufteilen, damit es leichter fällt, sie nach und nach zu erledigen. An wichtigen Stellen Erinnerungshilfen platzieren, etwa an der Haustür, am Kühlschrank oder im Auto. Wichtige Termine und Aufgaben in einem Notizbuch oder einer Handy-App vermerken. Routinen einführen und zum Beispiel wichtige Gegenstände wie den Hausschlüssel oder die Brieftasche immer am gleichen Ort hinterlegen.
Da die Probleme bei ADHS sehr individuell sind, ist es schwierig, allgemeingültige Ratschläge zu geben. Viele Menschen finden aber mit der Zeit heraus, was ihnen helfen kann, im Alltag besser zurechtzukommen. Die Unterstützung von Freunden und Familie ist dabei hilfreich.
An wen können sich Erwachsene mit ADHS wenden? Für Erwachsene mit ADHS sind in der Regel Fachärztinnen und -ärzte für Psychiatrie, psychosomatische Medizin, Neurologie sowie ärztliche oder psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten
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zuständig. Wenn junge Menschen mit ADHS volljährig werden, ist es sinnvoll, frühzeitig nach einer neuen Praxis zu suchen, da es eine Weile dauern kann, bis man einen Arzttermin bekommt. Manchmal können aber auch Volljährige bis zum Alter von 21 Jahren weiter bei ihrem Kinder- und Jugendpsychiater oder -therapeuten behandelt werden.
Wem soll ich von meiner Diagnose erzählen? Menschen mit psychischen Erkrankungen fragen sich oft, ob sie anderen von ihrer Diagnose erzählen sollen. Enge Freunde oder Familienangehörige wissen vielleicht Bescheid. Anders ist es am Arbeitsplatz: Ob man Kollegen oder Vorgesetzten von seiner Diagnose erzählt, ist eine sehr schwierige und persönliche Abwägung. Viele Menschen behalten ihre Diagnose für sich, weil sie
Angst davor haben, den Job zu verlieren oder einen Job nicht zu bekommen; befürchten, am Arbeitsplatz diskriminiert zu werden; über ihre Rechte als Arbeitnehmer unsicher sind oder ihre Erkrankung als etwas Privates sehen, das niemanden etwas angeht.
Es gibt aber auch Gründe, die für einen offenen Umgang mit der Diagnose sprechen:
Auf Dauer kann es psychisch anstrengend sein, die Erkrankung vor anderen zu verstecken. Die Angst, dass vielleicht doch jemand dahinterkommen könnte, belastet häufig. Offen und ehrlich mit seinen Problemen umzugehen, kann erleichternd sein. Wenn die Erkrankung nicht bekannt ist, ist es nicht möglich, Ansprüche auf Hilfeleistungen zu stellen. Von Kollegen und Vorgesetzen, die von der Erkrankung wissen, ist eher Unterstützung und Verständnis zu erwarten.
Weil es je nach der persönlichen Situation verschiedene Vor- und Nachteile haben kann, offen mit einer psychischen Erkrankung umzugehen, gibt es keine allgemeine Antwort auf die Frage, wem man von der Diagnose erzählen soll. Es kann helfen, sich dazu von der Ärztin, dem Arzt oder Psychotherapeuten beraten zu lassen. In größeren Firmen besteht oft die Möglichkeit, sich zunächst vertraulich an den Betriebsrat oder den betriebsärztlichen Dienst zu wenden. Aktualisiert am 5. September 2018 Erstellt am 9. September 2015 Nächste geplante Aktualisierung: 2021
Quellen Asherson P, Adamou M, Bolea B, Muller U, Morua SD, Pitts M et al. Is ADHD a valid diagnosis in adults? Yes. BMJ 2010; 340: c549. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". AWMF-Registernr.: 028-045. 05.2017. Faraone SV, Biederman J, Mick E. The age-dependent decline of attention deficit hyperactivity disorder: a meta-analysis of follow-up studies. Psychol Med 2006; 36(2): 159-165. Moncrieff J, Timimi S. Is ADHD a valid diagnosis in adults? No. BMJ 2010; 340: c547. IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der
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Gesundheitsversorgung zu verstehen. Ob eine der von uns beschriebenen Möglichkeiten im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist, kann im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt geklärt werden. Wir bieten keine individuelle Beratung. Unsere Informationen beruhen auf den Ergebnissen hochwertiger Studien. Sie sind von einem Team aus Medizin, Wissenschaft und Redaktion erstellt und von Expertinnen und Experten außerhalb des IQWiG begutachtet. Wie wir unsere Texte erarbeiten und aktuell halten, beschreiben wir ausführlich in unseren Methoden.
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ADHS: Wie wird die Diagnose gestellt?
(PantherMedia / nyul) Die Zahl der ADHS-Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Fachleute sind uneinig, ob dies zu begrüßen oder kritisch zu sehen ist: Auf der einen Seite ist es wichtig, ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite sollte eine Diagnose wie ADHS nicht unnötig gestellt werden. Kinder und Jugendliche mit ADHS sind verglichen mit Gleichaltrigen besonders unaufmerksam, impulsiv oder unruhig (hyperaktiv). Bis zu einem bestimmten Grad sind solche Verhaltensweisen nichts Ungewöhnliches. Für die Diagnose ADHS ist die Frage entscheidend, ab wann man von einer Störung oder Erkrankung sprechen kann. Um Kinder nicht irrtümlich als krank einzustufen, haben sich Fachleute auf Kriterien geeinigt, die für eine ADHS-Diagnose erfüllt sein müssen. Zum einen gibt es die Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation, die in der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ festgelegt sind (ICD). Zum anderen gibt es die Kriterien aus dem „diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen“ (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM). Der DSM wird durch die US-amerikanische psychiatrische Gesellschaft herausgegeben, die weltweit größte psychiatrische Fachgesellschaft. Die Diagnosekriterien des DSM sind weniger streng als die des ICD. Dies führt dazu, dass nach DSM mehr Kinder eine ADHS-Diagnose erhalten als nach ICD.
Was ist mit Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität gemeint? Beide Diagnose-Standards sind sich weitgehend einig, was genau unter Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität zu verstehen ist. Demnach gilt als Unaufmerksamkeit, wenn ein Kind oder Jugendlicher bei Aufgaben in der Schule, Ausbildung oder zu Hause viele Flüchtigkeitsfehler macht oder oft unachtsam ist, wenn es um Details geht. sich nur schlecht über längere Zeit auf eine Sache konzentrieren kann, ob beim Spielen oder anderen Beschäftigungen. in Gesprächen oder im Unterricht oft nicht zuhört. Aufgaben oder Tätigkeiten oft nicht zu Ende ausführt, zum Beispiel die Hausaufgaben nicht fertig macht
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oder Spiele mit anderen abbricht. sich damit schwer tut, seine Aufgaben und seinen Alltag zu organisieren. eine starke Abneigung gegen Aufgaben hat, die längerfristige Konzentration erfordern und diese meidet. oft Gegenstände verliert, die in der Schule oder Ausbildung benötigt werden, wie Stifte, Schulbücher oder Werkzeug. häufig von Reizen aus der Umgebung abgelenkt wird. im Alltag vieles vergisst.
Als Hyperaktivität wird bezeichnet, wenn ein Kind oder Jugendlicher
oft unruhig ist, mit den Händen oder Füßen zappelt oder auf dem Sitz herumrutscht. oft aufsteht, auch wenn es gerade nicht passt, zum Beispiel in einer Unterrichtsstunde. häufig wild herumläuft oder auf Gegenstände klettert, obwohl dies unangemessen ist (bei Kindern). sich oft rastlos fühlt (bei Jugendlichen). sich schwer damit tut, während des Unterrichts oder in der Freizeit leise zu sein. immer in Bewegung ist oder wie angetrieben wirkt.
Von Impulsivität spricht man, wenn ein Kind oder Jugendlicher häufig andere unterbricht, in Unterhaltungen oder Spiele „hineinplatzt“. oft schon auf Fragen antwortet, bevor sein Gegenüber diese zu Ende gestellt hat. sich damit schwer tut zu warten, bis sie oder er an der Reihe ist.
Welche Kriterien sind für eine Diagnose entscheidend? Nach den ICD-Kriterien wird eine ADHS-Diagnose gestellt, wenn mindestens sechs Anzeichen von Unaufmerksamkeit und drei Anzeichen von Hyperaktivität und ein Anzeichen von Impulsivität bestehen und diese Anzeichen schon vor dem siebten Geburtstag aufgefallen sind.
Nach dem DSM wird eine ADHS-Diagnose bereits gestellt, wenn mindestens sechs Anzeichen von Unaufmerksamkeit oder mindestens sechs Anzeichen von Hyperaktivität und Impulsivität bestehen und diese Anzeichen schon vor dem zwölften Geburtstag aufgefallen sind.
Sowohl die ICD- als auch die DSM-Kriterien setzen für eine Diagnose zudem voraus, dass die Verhaltensauffälligkeit über mindestens sechs Monate beobachtet wurde, das Verhalten in mehr als einer Umgebung beobachtet wurde, etwa in der Schule und zu Hause, das Verhalten den Alltag sehr beeinträchtigt, zum Beispiel die schulische Leistung, das Familienleben oder Freundschaften darunter leiden, und andere psychische Erkrankungen als Ursachen für das auffällige Verhalten ausgeschlossen wurden.
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Der ICD setzt das Alter, in dem die Störung erstmals aufgefallen sein muss, niedriger an als der DSM. Zudem erfordern die ICD-Kriterien, dass in allen drei Bereichen (Hyperaktivität, Impulsivität, Unaufmerksamkeit) Auffälligkeiten bestehen. Wenn der ICD angewendet wird, erhalten daher nur Kinder und Jugendliche mit einer ausgeprägten Verhaltensauffälligkeit die Diagnose ADHS. Werden die DSM-Kriterien angewendet, erhalten auch Kinder und Jugendliche mit leichten oder mittelschweren Auffälligkeiten eine Diagnose. Eine Übereinkunft, wann genau man von leichter, mittelschwerer und schwerer ADHS spricht, gibt es nicht.
Die zwei Seiten der Diagnose Kinder und Jugendliche mit ADHS haben Probleme, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und bleiben in der Schule oder Ausbildung oft hinter ihrer Leistungsfähigkeit zurück. Um Möglichkeiten zur Hilfe und weiteren Behandlung zu schaffen, ist es wichtig, dass sie zunächst die richtige Diagnose erhalten. Auf der anderen Seite ist es wichtig, ADHS-Diagnosen sehr sorgfältig und keinesfalls voreilig zu stellen. Denn wenn Kinder oder Jugendliche irrtümlich mit ADHS diagnostiziert werden, können Selbstzweifel oder Minderwertigkeitsgefühle entstehen. Wird Kindern aufgrund einer Fehldiagnose zum Beispiel bewusst oder unbewusst vermittelt, sie seien weniger intelligent und leistungsfähig als andere, kann genau dies eintreten: Sie bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück. Familien empfinden eine ADHS-Diagnose unterschiedlich. Manche sind erleichtert, wenn es endlich eine Diagnose gibt, die das auffällige Verhalten erklärt. Andere tun sich schwer damit, die Diagnose zu akzeptieren, fühlen sich gebrandmarkt oder haben Zweifel daran, ob ihr Kind tatsächlich betroffen ist.
Wie lassen sich Fehldiagnosen vermeiden? Manche Kinder und Jugendliche mit ADHS haben eine leichtere Form, bei der die Grenze zwischen noch normalem und behandlungsbedürftigem Verhalten fließend ist. Bei ihnen kann die Diagnose schwierig sein. Deshalb sind meist mehrere Untersuchungstermine erforderlich, die ausführliche Gespräche mit dem Kind oder Jugendlichen und den Eltern beinhalten. Dabei sollten möglichst auch Informationen aus der Schule oder dem Kindergarten berücksichtigt werden. Die Untersuchungen können zudem eine Beobachtung des Verhaltens umfassen. Wichtig ist, die offiziellen Diagnosekriterien ernst zu nehmen. Eine Studie aus Deutschland deutet darauf hin, dass in der Praxis viele Diagnosen nicht genau genug gestellt werden: Einerseits erfüllten nur 29 % der Kinder und Jugendlichen mit einer ADHS-Diagnose tatsächlich die DSM-Kriterien für eine ADHS. Andererseits erhielten nur 43 % der Kinder und Jugendlichen, die die DSM-Kriterien erfüllten, auch wirklich eine ADHS-Diagnose.
Bei der Diagnose ist es sehr wichtig, das Alter eines Kindes zu berücksichtigen. Denn je jünger ein Kind ist, desto eher sind „unreife“ und impulsive Verhaltensweisen altersgerecht und damit normal. Mehrere Studien zeigten, dass Kinder, die bei der Einschulung zu den jüngsten eines Jahrgangs gehören, öfter eine ADHS-Diagnose erhalten als Kinder, die zu den ältesten gehören. Dies liegt vermutlich nicht daran, dass die jüngeren Kinder tatsächlich häufiger ADHS haben, sie sind nur im Vergleich zu den älteren Mitschülern unreifer und erscheinen daher impulsiver.
Zunahme der ADHS-Diagnosen
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In Deutschland wurde im Jahr 2006 bei 2,3 % der Kinder und Jugendlichen, die in der AOK versichert waren, die Diagnose ADHS gestellt. Im Jahr 2012 waren es mit 4,6 % doppelt so viele. Manche Fachleute sehen es als positiv an, dass heute mehr ADHS-Diagnosen gestellt werden. Sie gehen davon aus, dass die Erkrankung mehr in das Bewusstsein von Lehrern, Ärzten und Therapeuten gerückt ist und früher oft nicht genug Beachtung fand. Andere befürchten, dass Verhaltensweisen, die für Kinder und Jugendliche eigentlich normal sind, als krankhaft angesehen werden und dass die Diagnose zu rasch gestellt wird. Über die Gründe für die Zunahme der ADHS-Diagnosen lassen sich nur Vermutungen anstellen. So sind das Wissen über ADHS und die Aufmerksamkeit für diese Erkrankung sicher größer als vor einigen Jahren. Auch suchen Eltern heute vielleicht früher und häufiger ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe. Nicht selten geht der Anstoß dazu von Lehrerinnen und Lehrern aus. Zusätzlich vermuten manche Fachleute, dass ADHS häufiger diagnostiziert wird, weil sich im Jahr 2013 die DSM-Diagnosekriterien geändert haben: In der aktuellen Version der Kriterien reicht es, wenn erste Verhaltensauffälligkeiten vor dem zwölften Geburtstag auftreten. In der vorherigen Version war es erforderlich, dass sie schon vor dem siebten Geburtstag auftreten. Nicht zuletzt ist die ADHS-Behandlung ein lohnender Markt für die Pharmaindustrie. Einige Expertinnen und Experten sehen in den gestiegenen Diagnosezahlen einen Hinweis darauf, dass Hersteller von Medikamenten zur Behandlung von ADHS das Thema verstärkt in die Öffentlichkeit bringen, um den Absatz zu steigern. Die Frage, wie oft Medikamente tatsächlich unnötig verschrieben werden, ist aber schwierig zu beantworten. Bei der öffentlichen Debatte über ADHS geht es nicht um die Frage, ob es ADHS tatsächlich gibt. Fast alle Fachleute sind sich hierüber einig. Diskutiert wird vielmehr, welche Ausprägung des Verhaltens als behandlungsbedürftig angesehen wird – und welche gesellschaftlichen Entwicklungen und Interessen dies beeinflussen. Wichtig ist: Wenn ein Kind ADHS hat und die Lebensqualität und der Alltag aller darunter leiden, sollte man dies auch ernst nehmen. Aktualisiert am 5. September 2018 Erstellt am 9. September 2015 Nächste geplante Aktualisierung: 2021
Quellen Bruchmüller K, Margraf J, Schneider S. Is ADHD diagnosed in accord with diagnostic criteria? Overdiagnosis and influence of client gender on diagnosis. J Consult Clin Psychol 2012; 80(1): 128-138. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". AWMF-Registernr.: 028-045. 05.2017. Roick C, Waltersbacher A. Hyperkinetische Störungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Administrative Prävalenz und regionale Unterschiede in der Diagnosehäufigkeit. Psychiatr Prax 2015; 42(1): 21-29. Thomas R, Mitchell GK, Batstra L. Attention-deficit/hyperactivity disorder: are we helping or harming? BMJ 2013; 347: f6172. IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der Gesundheitsversorgung zu verstehen. Ob eine der von uns beschriebenen Möglichkeiten im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist, kann im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt geklärt werden. Wir bieten keine individuelle Beratung.
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Was kann Kindern und Jugendlichen mit ADHS helfen?
(PantherMedia / Cathy Yeulet) Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten zur Behandlung von ADHS. Dazu gehören eine Beratung der Eltern, Unterstützung in der Schule, eine Verhaltenstherapie und Medikamente. Welche Hilfen sinnvoll sind, hängt vor allem von der Ausprägung der ADHS ab. Kinder und Jugendliche mit ADHS sind sehr viel unaufmerksamer, hyperaktiver oder impulsiver als man für ihr Alter erwarten würde. Ihr Verhalten kann zu Konflikten in der Familie und Problemen in der Schule führen. Zwischen leichten Verhaltensauffälligkeiten und den verschiedenen Ausprägungen eines ADHS besteht allerdings ein fließender Übergang. Bei manchen Kindern zeigt sich eine ADHS vor allem durch Unaufmerksamkeit. Andere Kinder fallen eher durch hyperaktives oder impulsives Verhalten auf. Welche Behandlungen infrage kommen, hängt davon ab, ob ein Kind mehr unaufmerksam oder mehr hyperaktiv ist, wie alt es ist und ob es eher in der Familie oder Schule verhaltensauffällig ist. Entscheidend ist nicht zuletzt, wie stark die Belastung für alle Beteiligten ist.
Diagnose und Beratungsgespräch Die Voraussetzung für eine Behandlung ist eine sichere Diagnose. Wichtig ist, dass sie anhand der festgelegten ADHS-Diagnosekriterien gestellt wird. Steht die Diagnose fest, folgt zunächst ein Beratungsgespräch bei einem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin oder -psychiatrie oder Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche. Eltern und Kinder berichten, wie sie die Auswirkungen der ADHS in der Familie und Schule erleben und welche Probleme im Alltag bestehen. Es kann hilfreich sein, einen Erzieher oder eine Lehrerin in das Gespräch mit einzubeziehen. Je nachdem welche Probleme im Vordergrund stehen, schlägt die Therapeutin oder der Therapeut geeignete Behandlungen vor. Häufig empfiehlt sie oder er zunächst eine Elternschulung oder -beratung; bei Problemen in der Schule auch Maßnahmen, die den Unterricht und die Klasse betreffen. Medikamente oder eine Psychotherapie können sinnvoll sein, wenn ein Kind oder Jugendlicher stark hyperaktiv oder impulsiv ist, sich kaum konzentrieren kann, ein sehr gestörtes Sozialverhalten zeigt oder andere psychische Probleme wie eine Depression oder Angsterkrankung hat.
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Medikamente Medikamente kommen vor allem für Kinder mit einer ausgeprägten ADHS infrage. Sie dürfen in der Regel nur von Fachärztinnen und -ärzten für Kinder- und Jugendmedizin oder -psychiatrie verordnet werden. Die Medikamente sind für Kinder ab sechs Jahre zugelassen. Im Vorschulalter werden sie nur in Ausnahmefällen angewandt. ADHS-Medikamente sollten immer im Rahmen einer umfassenden Behandlung eingesetzt werden, die auch pädagogische, soziale und psychotherapeutische Maßnahmen beinhaltet. Denn die Medikamente können zwar die Symptome von ADHS lindern, aber nicht unbedingt andere Probleme lösen, die mit ADHS in Verbindung stehen. Die Medikamente wirken außerdem nur so lange, wie sie eingenommen werden und helfen auch nicht allen Kindern. Wie dringend und zu welcher Tageszeit ein Medikament benötigt wird, hängt von der Ausprägung der Erkrankung ab: Bei Kindern, die vor allem mit ihrer Unaufmerksamkeit Probleme haben, kann es ausreichen, nur während der Schulzeit Medikamente zu nehmen.
Welche Mittel werden eingesetzt? Zur Behandlung von ADHS sind in Deutschland fünf Wirkstoffe zugelassen:
Methylphenidat (Handelsnamen beispielsweise Medikinet, Concerta, Ritalin und entsprechende Generika) Atomoxetin (Handelsname Strattera) Dexamphetamin (Handelsname Attentin) Lisdexamfetamin (Handelsname Elvanse) Guanfacin (Intuniv)
Fast immer wird zuerst Methylphenidat eingesetzt, da dieses Mittel am längsten erprobt ist. Man unterscheidet dabei zwischen kurz- und langwirksamen Präparaten. Bei den kurzwirksamen Tabletten setzt die Wirkung nach etwa 30 Minuten ein und hält 3 bis 4 Stunden an. Bei langwirksamen Präparaten hält die Wirkung 8 bis 12 Stunden an. Langwirksame Mittel werden auch als Retard-Präparate bezeichnet. Zu Beginn der Behandlung wird zunächst eine niedrige Dosierung gewählt, die nach Bedarf schrittweise erhöht werden kann. Dabei sollte die tägliche Höchstdosis für Kinder und Jugendliche von 60 mg nicht überschritten werden. Bei Kindern und Jugendlichen mit Herzerkrankungen kommt Methylphenidat unter Umständen nicht infrage, da es den Blutdruck oder Herzschlag leicht erhöhen kann. Die anderen Wirkstoffe sind sogenannte Mittel der zweiten Wahl. Das heißt, sie kommen infrage, wenn eine Behandlung mit Methylphenidat keine Verbesserung bringt oder der Wirkstoff nicht eingesetzt werden kann. Anders als Atomoxetin sind Dexamphetamin und Lisdexamfetamin nur für Kinder und Jugendliche zugelassen, wenn vorher eine Behandlung mit Methylphenidat ausprobiert wurde. Guanfacin darf nur ausprobiert werden, wenn andere Mittel unverträglich oder wirkungslos waren.
Wie wirksam sind ADHS-Medikamente? Ob Methylphenidat bei ADHS hilft, wurde in mehreren Studien untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Mittel die Hyperaktivität bei Kindern abschwächen kann und die Aufmerksamkeit verbessert. In Zahlen ausgedrückt ergaben die Studien:
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Mit Placebo: Bei 23 von 100 Kindern, die ein Placebo erhielten, besserten sich die Symptome. Mit Methylphenidat: Bei 60 von 100 Kindern, die Methylphenidat erhielten, besserten sich die Symptome.
Das Medikament konnte also ungefähr 37 von 100 Kindern mit ADHS helfen. Wirkung von Methylphenidat Es gibt aber kaum Studien, die wesentlich länger als ein Jahr liefen. Daher ist über die langfristige Wirkung des Mittels noch wenig bekannt. Einige Kinder und Eltern machen die Erfahrung, dass die Wirksamkeit mit der Zeit nachlässt oder die Dosierung erhöht werden muss. Methylphenidat, Dexamphetamin und Lisdexamfetamin sind wirksamer als andere Medikamente.
Welche Nebenwirkungen können die Mittel haben? ADHS-Medikamente können zu Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust führen. Solche Nebenwirkungen löste Methylphenidat in Studien bei ungefähr 12 von 100 Kindern aus. Sie traten aber auch bei vielen Kindern auf, die nur ein Placebo genommen hatten. Es kann bloßer Zufall sein, wenn es zum Beispiel nach der Einnahme eines Medikaments zu Schlafproblemen kommt. Nur weil zwei Ereignisse ungefähr gleichzeitig eintreten, heißt das nicht, dass sie zusammenhängen. Daher ist es sinnvoll, beim ersten Anzeichen für eine mögliche Nebenwirkung erst einmal abzuwarten und nicht voreilig den Schluss zu ziehen, dass das Medikament nicht vertragen wird. Nebenwirkungen von Methylphenidat ADHS-Medikamente können das Wachstum zumindest vorübergehend geringfügig beeinträchtigen. Es gibt schwache Hinweise aus der Forschung, dass Atomoxetin in seltenen Fällen Selbsttötungsgedanken auslösen könnte. Falls Eltern von Kindern und Jugendlichen, die dieses Mittel nehmen, entsprechende Anzeichen bemerken, sollten sie sie daher ernst nehmen. Ob Methylphenidat manchmal eine sogenannte Tic-Störung auslöst, ist umstritten, da diese bei ADHS ohnehin eine häufige Begleiterkrankung ist. Nach dem Absetzen von ADHS-Medikamenten oder bei nachlassender Wirkung erscheinen die Symptome manchmal ausgeprägter als zuvor. Entgegen häufiger Befürchtungen gibt es aber keine Hinweise auf eine abhängig machende Wirkung von ADHS-Medikamenten.
Was kann man gegen Nebenwirkungen tun? Wenn es zu Nebenwirkungen kommt, muss das Medikament nicht zwangsläufig abgesetzt werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit Nebenwirkungen umzugehen: Appetitlosigkeit: Wenn die Medikamente den Appetit verringern, hilft es möglicherweise, sie erst mit oder nach einer Mahlzeit einzunehmen. Schlafstörungen: Bei Schlafproblemen kann es hilfreich sein, die abendliche Dosis zu reduzieren oder abends ganz auf das Medikament zu verzichten. Langwirksame Präparate können so früh genommen werden, dass ihre Wirkung rechtzeitig vor dem Schlafengehen nachlässt. Wachstumsprobleme: Bei Verdacht auf ein etwas verzögertes Wachstum sind Medikamentenpausen eine Möglichkeit, etwa am Wochenende oder während der Schulferien. Tic-Störung: Eine Anpassung der Dosis oder eine Medikamentenpause können zeigen, ob die
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Medikamente tatsächlich die Ursache für eine Tic-Störung sind. Wenn die Tics dann verschwinden, spricht vieles dafür.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen von Blutdruck, Körpergröße und anderen Werten helfen, ernsthafte Nebenwirkungen zu vermeiden. Wichtig ist, dass Eltern mit der Ärztin oder dem Arzt sprechen, wenn Nebenwirkungen auftreten und das Medikament nicht einfach weglassen. Möglicherweise reicht schon eine Anpassung der Dosis oder eine Änderung des Einnahme-Zeitpunkts.
Elternschulung In einer Elternschulung, manchmal auch als „Elterntraining“ angeboten, lernen Mütter und Väter zunächst mehr über ADHS. So geht es etwa darum, welche Verhaltensweisen beeinflussbar sind, welche das Kind selbst ändern kann und welche nicht. Dieses Wissen hilft bei der Erziehung des Kindes und beim Umgang mit den Problemen. Die Eltern erfahren außerdem etwas über die Auswirkungen von ADHS auf den Körper – etwa dass manche Kinder mit ADHS empfindlicher auf Schlafmangel reagieren als andere. Ein wichtiger Punkt ist auch, wie man den Alltag so strukturieren kann, dass es dem Kind leichter fällt, feste Abläufe einzuhalten. Es werden Tipps gegeben, wie man mit Grenzüberschreitungen umgehen kann und wie sich das Kind durch Lob und andere Belohnungen zu einem altersgerechten Verhalten motivieren lässt. Ein Beispiel hierfür sind Punktesysteme, bei denen sich das Kind durch das Einhalten von Regeln bestimmte Rechte erarbeiten kann, wie zum Beispiel Zeit für Computerspiele. Die Schulungen finden unterschiedlich oft und in verschiedenen Abständen statt. Oft bestehen sie aus mehreren Terminen, die ein bis zwei Stunden dauern. Sie finden in der Regel wöchentlich und meist in einer Kleingruppe statt. Dadurch können sich Eltern auch untereinander austauschen. Bislang haben nur wenige Studien untersucht, wie hilfreich solche Elternschulungen sind. Einzelne Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie sich günstig auf das Verhalten der Kinder auswirken. Manche Eltern empfinden eine Schulung zudem als entlastend und berichten, dass sie ihr Vertrauen in die eigenen Erziehungsfähigkeiten gestärkt hat. Elternschulungen werden zum Beispiel durch Sozialpädiatrische Zentren (SPZs), Fachkliniken für Psychosomatik und Psychotherapie sowie heilpädagogische oder psychotherapeutische Praxen angeboten. Sie sind aber nicht überall verfügbar.
Psychotherapie Bei Kindern mit ADHS wird vor allem die kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Als „kognitiv“ bezeichnet man Methoden, die mit dem Gedächtnis, den Gedanken und den geistigen Fähigkeiten zu tun haben. Manche Techniken aus der Verhaltenstherapie können Eltern in einer Elternschulung auch selbst lernen. Sie setzen sie zunächst unter Aufsicht der Therapeutin oder des Therapeuten ein. Eine Verhaltenstherapie kombiniert in der Regel mehrere Maßnahmen, die auf unterschiedliche Verhaltensänderungen abzielen. Bei einer Technik geht es darum, Kinder durch Belohnungen oder negative Konsequenzen zu motivieren. Dabei ist es wichtig, erwünschte Verhaltensweisen klar zu benennen, die sich auch überprüfen lassen. Damit der „Verhaltensplan“ Wirkung zeigen kann, muss er für mehrere Wochen konsequent umgesetzt werden. Deshalb sollte man Überforderung vermeiden und nicht zu viele Verhaltensweisen gleichzeitig angehen. Eine andere Maßnahme besteht darin, Kindern eine „Auszeit“ zu geben, wenn sie sich problematisch verhalten. Damit ist gemeint, dass sich ein Kind für kurze Zeit in einem anderen Raum aufhält.
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Kognitive Methoden helfen Kindern und Jugendlichen, planvoller an Aufgaben heranzugehen und sie umzusetzen. Ein Beispiel dafür sind „Wenn-Dann-Sätze“: Anweisungen, die ein Kind für sich selbst formuliert, um bestimmte Aufgaben zu üben, zum Beispiel „Wenn ich meine Hausaufgaben erledigt habe, lese ich den Stundenplan und packe meinen Rucksack für den nächsten Tag“. Wenn-Dann-Sätze sind ein Beispiel für sogenannte Selbstinstruktions-Techniken. Eine andere Methode: Beim Selbstmanagement-Training lernen Kinder, sich besser zu organisieren. So sollen sie beispielsweise Aufgaben in kleine Schritte aufteilen und ihren Erfolg selbst überprüfen, indem sie sich Fragen stellen: „Was muss ich tun?“, „Was brauche ich dafür?“, „Wie setze ich es um?“ und „Ist mir die Aufgabe gelungen?“ In Studien haben sich Verhaltenstherapien als hilfreich erwiesen. Sie reichen aber nicht immer aus. Manchmal ist eine Kombination mit Medikamenten erforderlich, um die ADHS in den Griff zu bekommen. Für Kinder und Jugendliche mit ADHS, die noch mit anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen zu tun haben, können zusätzlich noch andere psychotherapeutische Behandlungen infrage kommen. Familien, die eine Psychotherapie machen möchten, müssen sich oft etwas gedulden. Es kann einige Wochen bis Monate dauern, bis man einen Therapieplatz in einer psychotherapeutischen Praxis bekommt.
Schulische Maßnahmen ADHS macht sich normalerweise auch in der Schule bemerkbar. Damit die Behandlung insgesamt erfolgreich ist, sollten Eltern und Therapeuten deshalb auch mit der Schule oder dem Kindergarten zusammenarbeiten. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler zum Beispiel ein Training zum besseren Selbstmanagement gemacht hat, ist es hilfreich, wenn auch die Lehrkraft davon weiß. Auch für Lehrerinnen und Lehrer ist der Umgang mit ADHS nicht einfach: Sie sollen auf ein Kind mit ADHS eingehen, aber gleichzeitig das Wohl und die Interessen der anderen Kinder berücksichtigen. Wenn die ADHS ausgeprägt ist oder mehrere Kinder in einer Klasse betroffen sind, kann dies leicht zum Spagat werden. Es ist daher wichtig, dass Lehrer und Eltern verständnisvoll miteinander umgehen und versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden. Darüber hinaus gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Lernbedingungen so anzupassen, dass Kinder mit ADHS besser folgen können. Dazu gehört unter anderem eine Umgestaltung des Klassenraums. Man kann ein Kind zum Beispiel so hinsetzen, dass der Lehrer es gut im Blick hat und reagieren kann, wenn es unaufmerksam wird. Außerdem sollte sein Platz möglichst wenig zur Ablenkung verleiten. Deshalb kann es besser sein, die Tische in Reihen statt in Gruppen anzuordnen. Alle Materialien, die nicht genutzt werden, können in Schränken verstaut werden. Wenn Klassenarbeiten geschrieben werden, besteht vielleicht auch die Möglichkeit, das Kind vorübergehend in einen separaten Raum ohne viel Ablenkung zu setzen. Es gibt noch eine Reihe weiterer schulischer Maßnahmen, etwa kurze körperliche Übungen im Unterricht oder Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, in denen sie mehr über ADHS und den Umgang mit betroffenen Kindern erfahren und pädagogische Techniken erlernen, die Kinder zu einem angemessenen Verhalten motivieren sollen.
Welche Maßnahmen in einer bestimmten Klasse oder mit einem bestimmten Kind hilfreich und umsetzbar sind, hängt von vielen Faktoren ab, wie etwa den schulischen Rahmenbedingungen, dem Verhältnis der
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Schüler untereinander und der Art der Probleme. Allgemeine Empfehlungen lassen sich daher nicht geben.
Welche Rolle spielt Bewegung? Wenn in der Öffentlichkeit über ADHS gesprochen wird, wird schnell behauptet, dass sich Kinder heute nicht mehr genug bewegen und deshalb „zappelig“ sind. So einfach ist es aber nicht. Ob Sport bei ADHS helfen kann, wurde bislang auch nur in wenigen aussagekräftigen Studien untersucht. Sie geben Hinweise, dass regelmäßiger Ausdauersport eine ADHS lindern könnte – es ist aber mehr Forschung nötig, um dies sicher beurteilen zu können. Viele Eltern und Kinder empfinden Sport jedoch als hilfreich. Zudem ist regelmäßiges Training für die körperliche Entwicklung und Gesundheit sehr wichtig und deshalb aus vielen Gründen sinnvoll – für Kinder wie für Erwachsene.
Weitere Behandlungen Eine weitere Behandlungsmöglichkeit bei ADHS ist das Neurofeedback, eine spezielle Form des Biofeedbacks. Dabei werden über Elektroden auf der Kopfhaut die Hirnströme gemessen und auf einem Bildschirm dargestellt. Durch die Beobachtung der eigenen Hirnströme können die Kinder lernen, ihre Gedanken bewusst zu steuern und sich dadurch besser zu konzentrieren. Inzwischen gibt es auch Geräte, bei denen über die Hirnströme bestimmte Aufgaben wie das Bewegen eines Objekts am Bildschirm gelöst werden können. Neurofeedback ist zur Behandlung von ADHS nicht gut erforscht. Deshalb ist unklar, was Eltern und Kinder davon erwarten können. Dies gilt auch für viele andere Behandlungsmöglichkeiten, die bei ADHS beworben oder angepriesen werden. Dazu gehören bestimmte Diäten oder Ernährungsumstellungen, pflanzliche Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel mit Aminosäuren, speziellen Fettsäuren oder Mineralien. Aktualisiert am 5. September 2018 Erstellt am 9. September 2015 Nächste geplante Aktualisierung: 2021
Quellen Catala-Lopez F, Hutton B, Nunez-Beltran A, Page MJ, Ridao M, Macias Saint-Gerons D et al. The pharmacological and non-pharmacological treatment of attention deficit hyperactivity disorder in children and adolescents: A systematic review with network meta-analyses of randomised trials. PLoS One 2017; 12(7): e0180355. Cerrillo-Urbina AJ, Garcia-Hermoso A, Sanchez-Lopez M, Pardo-Guijarro MJ, Santos Gomez JL, Martinez-Vizcaino V. The effects of physical exercise in children with attention deficit hyperactivity disorder: a systematic review and meta-analysis of randomized control trials. Child Care Health Dev 2015; 41(6): 779-788. Richardson M, Moore DA, Gwernan-Jones R, Thompson-Coon J, Ukoumunne O, Rogers M et al. Non-pharmacological interventions for attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD) delivered in school settings: systematic reviews of quantitative and qualitative research. Health Technol Assess 2015; 19(45): 1-470. Zwi M, Jones H, Thorgaard C, York A, Dennis JA. Parent training interventions for Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) in children aged 5 to 18 years. Cochrane Database Syst Rev 2011; (12): CD003018. IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der Gesundheitsversorgung zu verstehen. Ob eine der von uns beschriebenen Möglichkeiten im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist, kann im Gespräch mit einer Ärztin oder einem
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Arzt geklärt werden. Wir bieten keine individuelle Beratung. Unsere Informationen beruhen auf den Ergebnissen hochwertiger Studien. Sie sind von einem Team aus Medizin, Wissenschaft und Redaktion erstellt und von Expertinnen und Experten außerhalb des IQWiG begutachtet. Wie wir unsere Texte erarbeiten und aktuell halten, beschreiben wir ausführlich in unseren Methoden.
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Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
(PantherMedia / Arne Trautmann) Welche Behandlung für Erwachsene mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sinnvoll ist, hängt von ihrer persönlichen Situation und den vorhandenen Problemen ab. Viele Erwachsene mit ADHS suchen sich eigene Strategien, um mit ihrer Erkrankung umzugehen. Manche Menschen probieren zum Beispiel Entspannungstechniken aus oder suchen in Selbsthilfegruppen Unterstützung. Andere empfinden Sport als hilfreichen Ausgleich. Manche Erwachsene mit ADHS benötigen mehr Unterstützung, um die Erkrankung in den Griff zu bekommen. Für sie kann eine Behandlung mit Medikamenten und / oder Psychotherapie sinnvoll sein. Medikamente können wirksam gegen die ADHS-Hauptsymptome wie Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit helfen. In einer Verhaltenstherapie erlernt man verschiedene Möglichkeiten, mit den Verhaltensauffälligkeiten und ihren Folgen im Alltag besser umzugehen.
Wie wirken ADHS-Medikamente? Zur Behandlung von ADHS werden vor allem Präparate mit dem Wirkstoff Methylphenidat (zum Beispiel in Medikinet adult oder Ritalin adult) eingesetzt. Diese Medikamente wirken, indem sie unter anderem die Konzentration der Nervenbotenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn erhöhen. Diese Botenstoffe übertragen Informationen zwischen Nervenzellen und spielen eine wichtige Rolle für die Gedächtnisfunktion und das Lernen. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass das Gehirn Reize von außen besser filtern kann. Dadurch verbessern sich die Aufmerksamkeit und Konzentration. Auch eine Behandlung mit Lisdexamfetamin (Handelsname Elvanse) ist möglich – vorausgesetzt, dieses Mittel wurde bereits vor dem 18. Geburtstag eingenommen. Wenn diese Medikamente nicht helfen, kommt eine Behandlung mit Atomoxetin (Handelsname Strattera) infrage. Atomoxetin hat einen anderen Wirkungsmechanismus, erhöht aber ebenfalls die Noradrenalin-Konzentration im Gehirn.
Können Medikamente Erwachsenen mit ADHS helfen? Bisherige Studien deuten darauf hin, dass Methylphenidat auch bei Erwachsenen die Aufmerksamkeit verbessern und die Hyperaktivität und Impulsivität mildern kann. Allerdings ist das Mittel für Erwachsene weniger gut untersucht als für Kinder und Jugendliche. Unter anderem hatten die Studien nur
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geringe Teilnehmerzahlen, und die Teilnehmenden wurden nur über wenige Wochen beobachtet. Zu den Nebenwirkungen von Methylphenidat gehören Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Schlafstörungen. Wenn eine Behandlung mit Methylphenidat nicht hilft, kommt das Mittel Atomoxetin infrage. Auch dieser Wirkstoff wurde bisher kaum in aussagekräftigen Studien untersucht. Atomoxetin kann zu Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, trockenem Mund und Schlaflosigkeit führen. Zudem kann es Erektionsstörungen oder sexuelle Lustlosigkeit auslösen. ADHS-Medikamente können manchmal auch den Blutdruck erhöhen und den Puls beschleunigen. Vor einer Verordnung überprüfen Ärztinnen und Ärzte daher die Herzgesundheit. Ein Rezept für ADHS-Medikamente wird in der Regel von Ärztinnen und Ärzten mit geeigneter Fachrichtung ausgestellt. Dazu gehören zum Beispiel Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Neurologie. Medikamente sollten außerdem nur im Rahmen einer umfassenden Behandlung verschrieben werden, die zum Beispiel eine Psychotherapie beinhalten kann.
Wann kann eine Psychotherapie sinnvoll sein? Eine ergänzende Psychotherapie wie die Verhaltenstherapie kann bei psychischen oder emotionalen Problemen helfen, gegen die Medikamente nichts ausrichten können. Eine Psychotherapie ist eine Alternative, wenn die Medikamente nicht wirken oder man keine Medikamente nehmen möchte. Sie kann auch sinnvoll sein, wenn jemand erst im Erwachsenenalter von der Diagnose erfährt und Unterstützung benötigt, um die Erkrankung zu verstehen und besser zu verarbeiten. Eine Psychotherapie kann zudem helfen, wenn die ADHS von anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen begleitet wird. Es gibt weniger Studien zum Nutzen einer Psychotherapie als zum Nutzen von Medikamenten bei Erwachsenen mit ADHS. Die vorhandenen Studien deuten aber darauf hin, dass eine Psychotherapie wirksam sein kann. Allerdings gibt es bislang nicht so viele Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die sich auf ADHS im Erwachsenenalter spezialisiert haben. Außerdem kann es mehrere Wochen oder Monate dauern, bis ein Behandlungsplatz frei wird. Andere Behandlungen als Medikamente und Psychotherapie sind für Erwachsene bislang nicht in aussagekräftigen Studien untersucht worden. Aktualisiert am 5. September 2018 Erstellt am 9. September 2015 Nächste geplante Aktualisierung: 2021
Quellen Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health (CADTH). Pharmacological and non-pharmacological therapies for adults with attention-deficit/hyperactivity disorder: systematic review and meta-analysis of clinical evidence. 09.2011. Castells X, Blanco-Silvente L, Cunill R. Amphetamines for Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) in adults. Cochrane Database Syst Rev 2018; (8): CD007813. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". AWMF-Registernr.: 028-045. 05.2017. IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der
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Den Alltag mit ADHS bewältigen: Infos für Eltern
(PantherMedia / Wavebreak Media Ltd) Es ist nicht leicht, ein Kind mit ADHS großzuziehen. Oft ist der Familienalltag von Konflikten geprägt und manchmal übt die Umgebung zusätzlichen Druck aus. Mitunter halten Lehrer, Bekannte, Angehörige oder andere Eltern das Verhalten des Kindes für einen Erziehungsfehler. Viele Eltern entwickeln mit der Zeit aber Strategien, mit denen sie den Alltag besser bewältigen. Ein Kind mit ADHS zu erziehen, kann sehr anstrengend sein. Eltern wird viel Aufmerksamkeit abverlangt, das Verhalten des Kindes führt oft zu familiären Auseinandersetzungen und zu Problemen in der Schule. Gemessen an der Norm verhalten sich Kinder mit ADHS auffällig unkontrolliert und unruhig. Sie befolgen Anweisungen und Regeln nicht und sind manchmal aggressiv. Es ist daher völlig normal, dass Eltern neben der Sorge um ihr Kind bisweilen überfordert sind und gereizt bis wütend reagieren. Wichtig ist aber, sich immer wieder klar zu machen, dass sich das Kind nicht absichtlich so verhält. Viele Familien entwickeln mit der Zeit Strategien, die im Alltag helfen. Es gibt verschiedene Methoden, die dabei unterstützen, den Tag gut zu strukturieren, Überraschungen zu vermeiden oder zumindest gut darauf vorbereitet zu sein. Manche Eltern haben Bedenken, wenn es darum geht, klare Regeln aufzustellen, weil sie nicht zu autoritär oder streng sein wollen. Es geht bei den Erziehungshilfen aber eher darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen das Kind besser zurechtkommt als ohne.
Routinen, klare Anweisungen und Regeln Viele Eltern empfinden es als hilfreich, den Tag gut zu planen und zu strukturieren. Mithilfe klarer Routinen wissen die Kinder, was sie zu erwarten haben und können sich besser darauf einstellen. Viele Eltern berichten auch, dass es hilft, Unerwartetes frühzeitig anzukündigen. Sinnvoll ist, den Kindern ganz konkrete Anweisungen zu geben. Zum einen weiß das Kind dann genau, was es tun soll – zum anderen bietet sich die Möglichkeit, es zu loben oder zu belohnen, wenn es die gestellte Aufgabe gut gemacht hat. Beispiel: Statt „Bitte räum dein Zimmer auf.“ ist es besser zu sagen: „Bitte räum dein Spielzeug in die Kiste und mach dein Bett.“ Wenn Kinder sich daran halten, ist es wichtig, sie dafür auch gezielt zu loben, zum Beispiel: „Danke, dass du das Geschirr so gut abgewaschen hast.“ Eltern berichten oft, dass es hilft, klare Verhaltensregeln aufzustellen und das Kind zu belohnen, wenn die Regeln eingehalten werden. Eine Belohnung kann zum Beispiel das Recht auf eine bestimmte Zeit sein, in
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der es fernsehen darf. Bricht das Kind die Regel, wird ihm dieses Recht wieder entzogen. Damit das System funktioniert, sollte klar sein, welches Verhalten vom Kind erwartet und auf welche Weise es dafür belohnt wird. Außerdem ist es wichtig, bei der Umsetzung der Vereinbarungen möglichst konsequent zu sein.
Realistische Ziele setzen Kinder und Jugendliche mit ADHS können in vielen Lebensbereichen Probleme haben. Daher möchten Eltern vielleicht am liebsten alles auf einmal erreichen: die Beziehungen zu Geschwistern, Mitschülern und Lehrern verbessern und auch Fortschritte beim Lernen erreichen. Um ein Kind aber nicht zu überfordern und keinen Frust hervorzurufen, ist es sehr wichtig, machbare Ziele zu vereinbaren. Sie sollten in kleinen Schritten angegangen werden und für das Kind umsetzbar sein. Ein konkretes Ziel wäre zum Beispiel, in der Schulpause mit anderen Kindern zu spielen, ohne in einen Konflikt zu geraten. Mit Checklisten oder anderen Hilfsmitteln lassen sich Ziele und Erfolge festhalten und überprüfen.
Auf Reizsignale achten Wer früh genug bemerkt, dass das Kind in einer Situation überfordert ist, von Reizen überflutet oder unruhig wird und droht, die Beherrschung zu verlieren, kann schnell handeln und eine Pause einlegen, indem man zum Beispiel mit dem Kind in einen anderen Raum geht. Im Alltag auf solche Hinweise zu achten, hilft auch zu erkennen, welche Reize oder Situationen das problematische Verhalten auslösen können. Wichtig ist, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben – zum Beispiel in ruhigen Momenten zu fragen, wie es sich fühlt und was die Ursache für einen „Ausraster“ war. Ein reizarmer Arbeits- und Schlafplatz könnte dem Kind auch helfen, sich besser zu konzentrieren oder besser einzuschlafen. Das kann zum Beispiel heißen, dass dort, wo das Kind schläft und seine Hausaufgaben macht, kein Fernseher oder Computer steht. Oder dass der Schreibtisch an einer Wand steht und nicht am Fenster, damit das Kind möglichst wenig abgelenkt werden kann.
Sport und Hobbys Viele Eltern und Kinder empfinden Sport und Bewegung als ein hilfreiches Ventil, um sich „auszutoben“ und überschüssige Energie abzubauen. Dabei ist es allerdings wichtig, darauf zu achten, körperliche Aktivitäten gut anzuleiten, denn manche Kinder können bei zu viel Bewegung auch „überdrehen“. Kinder und Jugendliche mit ADHS haben außerdem häufiger mit Verletzungen durch Unachtsamkeit zu tun als andere in ihrem Alter. Daher eignen sich möglicherweise nicht alle Sportarten gleich gut. Sport und Bewegung werden am besten für den Nachmittag eingeplant: Gegen Abend sollte Ruhe einkehren, damit es nicht zu Problemen mit dem Einschlafen kommt. Auch andere Hobbys können hilfreich sein. Wichtig ist, dass ein Kind eine Beschäftigung findet, die seine Aufmerksamkeit fesselt, ihm Freude macht und bei der es Erfolgserlebnisse hat. Anerkennung zu bekommen und Erfolge zu erleben, hilft vielen Kindern, sich auch bei anderen, weniger beliebten Tätigkeiten besser zu konzentrieren.
Lob ist wichtig Bei allen Problemen ist es wichtig, die Kinder ehrlich zu loben, wenn ihnen etwas gelungen ist, und ein gesundes Selbstbewusstsein zu fördern. Kinder mit ADHS bekommen oft zu wenig positive Reaktionen, weil
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sie zu Hause und in der Schule anecken und sich schwer damit tun, Freundschaften aufzubauen. Es ist nicht immer einfach, Zuneigung und Verständnis zu zeigen, wenn das tägliche Miteinander schwierig bis nervenaufreibend ist. Sich dennoch liebevoll dem Kind zu widmen, etwas zusammen zu unternehmen, für Spaß und schöne gemeinsame Erlebnisse zu sorgen, kann helfen, chaotische Momente gelassener zu nehmen.
Auf eigene Bedürfnisse achten, Hilfen in Anspruch nehmen Damit es besser gelingt, ruhig mit dem Kind umzugehen und dem fordernden Alltag etwas entgegenzusetzen, ist es wichtig, dass Eltern auch auf ihre eigenen Bedürfnisse achten. Dazu gehört, sich Hilfe zu holen – ob tatkräftige Entlastung durch Angehörige und Freunde oder professionelle Unterstützung bei der Erziehung des Kindes. Es ist einen Versuch wert, andere vertraute Personen in die Betreuung einzubinden, die sich – unbelastet vom Alltag – gut mit dem Kind verstehen und ab und zu einen Nachmittag oder auch Abend mit ihm verbringen. Vielleicht ist es mit ihrer Hilfe möglich, regelmäßig erholsame Auszeiten für beide Eltern zu organisieren. Elternschulungen wahrzunehmen, sich beraten zu lassen und einen guten Kontakt zu den Fachkräften aufzubauen, die die ADHS des Kindes behandeln, ist für viele Eltern eine wertvolle Hilfe. Sie können dabei unterstützen, die im Alltag nötigen Fähigkeiten wie Geduld, Gelassenheit und Toleranz zu entwickeln. Für manche Mütter und Väter ist der Austausch mit anderen Eltern von Kindern mit ADHS in einer Selbsthilfegruppe hilfreich. In welcher Form auch immer: Sich helfen zu lassen und die Probleme aktiv anzugehen, kann den Familienalltag deutlich erleichtern. So gelingt es eher, den nötigen Abstand und Freiraum zu schaffen, um das Kind so gut wie möglich unterstützen zu können. Aktualisiert am 5. September 2018 Erstellt am 9. September 2015 Nächste geplante Aktualisierung: 2021
Quellen Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". AWMF-Registernr.: 028-045. 05.2017. Zwi M, Jones H, Thorgaard C, York A, Dennis JA. Parent training interventions for Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) in children aged 5 to 18 years. Cochrane Database Syst Rev 2011; (12): CD003018. IQWiG-Gesundheitsinformationen sollen helfen, Vor- und Nachteile wichtiger Behandlungsmöglichkeiten und Angebote der Gesundheitsversorgung zu verstehen. Ob eine der von uns beschriebenen Möglichkeiten im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist, kann im Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt geklärt werden. Wir bieten keine individuelle Beratung. Unsere Informationen beruhen auf den Ergebnissen hochwertiger Studien. Sie sind von einem Team aus Medizin, Wissenschaft und Redaktion erstellt und von Expertinnen und Experten außerhalb des IQWiG begutachtet. Wie wir unsere Texte erarbeiten und aktuell halten, beschreiben wir ausführlich in unseren Methoden.
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Erfahrungsberichte Ich hätte nie ADHS vermutet
(PantherMedia / Stephan Köhler) Anne, 38 Jahre, Mutter eines Jungen mit ADHS (10 Jahre) „Wir hatten schon im Kindergartenalter alle Erziehungsmethoden durch: mal streng, mal autoritär, mal anti-autoritär. Aber egal was wir versucht haben, es hat nichts geändert.“ Schon als mein Sohn ein Kleinkind war, ist meinem Mann und mir klar geworden, dass er sich anders als andere Kinder verhält. Er hat es zum Beispiel als kleines Kind nur schwer länger ausgehalten, wenn wir Besuch hatten oder andere besucht haben. So lange alles noch neu und interessant war, ging es und er hat gespielt, meistens war das etwa eine halbe Stunde. Aber danach hat er angefangen zu stören, zu ärgern und hat irgendwann laut gesagt: „Tschö, bis später. Wir gehen jetzt.“ Oder: „Ihr könnt jetzt gehen.“ Das war mir als Mutter ganz oft unangenehm und ziemlich peinlich. Ähnlich war es auch, wenn bei uns einfach nur viel los war.
Er war impulsiv, ärgerte andere und konnte sich nur schwer konzentrieren Im Kindergarten ist er auch aufgefallen. Er hat oft andere Kinder geärgert und mit seiner Impulsivität gestört. Aber das war nicht böswillig, eher, wenn es sich so ergeben hat, nach dem Motto „Gelegenheit macht Diebe“. Wenn ein anderes Kind im Weg stand, hat er ein Bein gestellt, es kurz geknufft oder an den Haaren gezogen. Er konnte sich auch nicht lange auf eine Sache konzentrieren und hat immer wieder schnell etwas anderes angefangen. Auf der anderen Seite fiel es ihm schwer, völlig neue Dinge auszuprobieren. Sich immer wieder mit den gleichen Sachen zu beschäftigen, hat ihn beruhigt. Unser Sohn hat sehr lange gebraucht, bis er sich die Schuhe selber anziehen oder den Reißverschluss schließen konnte. Damals wusste ich noch nicht, dass ADHS mit einer sich langsamer entwickelnden Feinmotorik einhergehen kann. Ich habe ständig mit ihm geübt und mich gefragt, was ich nur falsch mache. Er war und ist auch noch sehr unruhig am Tisch. Das mussten wir irgendwann akzeptieren. Da er unser erstes Kind war, hatten wir keinen Vergleich mit Geschwistern. Den Vergleich hatten wir aber mit den Kindern von Freunden. Da wurde uns ganz schnell klar: Unser Sohn verhält sich anders als Gleichaltrige, er tickt einfach anders.
Wir fühlten uns schuldig Mein Mann und ich haben anfangs die Schuld bei uns gesucht. Wir haben gedacht, durch unsere Erziehung und unseren Umgang mit ihm ist er so geworden. Das hat uns beide sehr belastet. Unsere Eltern und
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Schwiegereltern haben uns immer wieder gesagt, dass wir strenger, härter und konsequenter sein müssen. Wir hatten schon im Kindergartenalter alle Erziehungsmethoden durch: mal streng, mal autoritär, mal anti-autoritär. Aber egal was wir versucht haben, es hat nichts geändert. Es war sehr schwer für uns, mit seinem Verhalten umzugehen.
Mit der Zeit haben wir uns auf ihn eingestellt Irgendwann habe ich dann beschlossen, keinen „Privatkrieg“ mehr gegen meinen Sohn zu führen. Ich liebe ihn ja und will mir außerdem nicht mein Leben verderben, indem ich schon morgens anfange zu schimpfen und zu schreien. Ich habe mich darauf eingestellt. Aber das hieß für mich auch, eher isoliert zu sein. Ich konnte mich nur noch mit Leuten treffen, die sein Verhalten akzeptierten. Deswegen war ich oft allein mit ihm. Wir waren stundenlang spazieren. Er war und ist ein Kind, das ganz viel raus muss – auch heute noch. Wir konnten fast nie etwas mit anderen Familien machen oder Freunde einladen. Das endete immer in Geschrei, Ärger und Missmut. Befreundete Eltern machen es meist nicht lange mit, wenn ihre Kinder ohne Grund geärgert werden. Außerdem reagiert unser Sohn sehr sensibel auf Stress: Ihm wird schlecht oder er bekommt Migräne. Das passiert auch bei positivem Stress, wie einem schönen Ausflug. Wir haben uns als Eltern angepasst und vorgebeugt. Zum Beispiel machen wir möglichst keine langen oder kurvigen Autofahrten mehr, auf die er immer empfindlich reagiert.
Ich dachte, bei ADHS sind die Kinder immer hyperaktiv Ich hätte nie vermutet, dass unser Sohn ADHS hat. Ich dachte immer, dass ein Kind dabei hyperaktiv sein muss. Aber unser Sohn war es nicht. Er musste nicht ständig herumlaufen und hatte keine Probleme damit, still zu sitzen. Bei ihm stehen die Unaufmerksamkeit und Impulsivität im Vordergrund. Keiner hatte uns vorher auf ADHS angesprochen. Im Kindergarten haben sie festgestellt, dass er feinmotorisch in der Entwicklung etwas zurück war und uns Ergotherapie empfohlen. Das haben wir dann auch gemacht, aber auch von dort haben wir keinen Hinweis auf ADHS bekommen.
Die Lehrerin hat sein Verhalten persönlich genommen Dann kam er in die Schule und nach etwa drei Wochen bekamen wir schon die ersten Briefe: Er ist unaufmerksam, hört nicht zu und vergisst ständig Sachen und Aufgaben. Die Lehrerin konnte damit nur schlecht umgehen und hat sein Verhalten persönlich genommen. Er ist mit der Zeit aggressiv gegen andere Schüler geworden und konnte seine Aggressionen teilweise gar nicht mehr dosieren. Er war extrem unglücklich in der Schule, morgens weinte er oft und hatte Bauchschmerzen. Die Lehrerin kam dann irgendwann zu uns und hat uns nahegelegt, mit ihm zum Kinder- und Jugendpsychiater zu gehen. Das hat mich sehr getroffen. Aber so ging es nicht weiter, deshalb haben wir einen Termin bei einem Kinder- und Jugendpsychiater gemacht. Nach umfangreichen Untersuchungen bekamen wir das Ergebnis: „Ihr Sohn hat ADHS.“ Das hat mich umgehauen.
Medikamente kamen für uns nicht infrage Für mich war sofort klar: Medikamente kommen nicht infrage. Ich habe mir Sorgen wegen der
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Nebenwirkungen gemacht. Dann habe ich mir erstmal Literatur besorgt und mich eingelesen. Wir haben angefangen, unseren Alltag ganz klar zu strukturieren. Das bedeutete, dass wir versucht haben, immer gleiche Abläufe zu schaffen. Zum Beispiel: tägliches Mittagessen zur gleichen Zeit, kurze Pause, dann Hausaufgaben, Spielen, Abendbrot und zu Bett gehen. Immer zu den gleichen Zeiten. Der Tag musste für ihn klar und überschaubar sein. Auch am Wochenende haben wir diese Struktur eingehalten. Instinktiv haben wir das auch schon vorher gemacht, aber dann war völlig klar, es muss für uns so sein. Mittlerweile fordert er die Tagestruktur selber ein und fragt jeden Morgen: „Was machen wir heute?“ Mit Spontaneität kann er nicht gut umgehen. Aktivitäten und Ereignisse müssen oft Stunden vorher angekündigt sein, damit er sich darauf einstellen kann. In der Schule bekam er nach einiger Zeit eine neue Lehrerin. Das war quasi unsere Rettung. Sie kannte sich mit ADHS aus und hat sich mit unserem Sohn auseinandergesetzt. Sie hat ihn zum Beispiel zu sich nach vorn gesetzt, ohne einen Banknachbarn. So hat er sich nicht gestört gefühlt und hat auch andere nicht gestört. Mindestens alle drei Wochen habe ich mich mit der Lehrerin getroffen, um über die Probleme zu sprechen und darüber, was geübt werden muss. Für die Schule haben wir viel mit unserem Sohn geübt. Wir mussten Dinge ganz oft wiederholen, bis es einigermaßen saß. Wir haben das aber sehr dosiert gemacht, damit es nicht zu viel wurde. Jeden Tag 15 Minuten, auch in den Ferien. Ich habe mir ein kleines Belohnungssystem ausgedacht und er bekam nach einer gewissen Zeit immer etwas. Jetzt ist er in der 4. Klasse und kommt in diesem Jahr auf eine Realschule.
Dann haben wir doch Medikamente ausprobiert Sein Umgang mit uns und mit seinen Freunden war aber immer noch sehr anstrengend. Seine schulischen Leistungen wurden zwar besser, aber Probleme gab es weiterhin. Irgendwann haben wir beschlossen, doch Medikamente auszuprobieren. Er nimmt sie nun seit eineinhalb Jahren ein. Dabei hat es fast vier Monate gedauert, bis wir die richtige Dosierung gefunden haben. Danach war er ganz anders: Plötzlich war er ein ruhiges, ansprechbares Kind und konnte sich auf Freunde einlassen. Ich habe gemerkt, wie es ihm selbst gut tat, runterzukommen. Und er hat seine Aufgaben gemacht, ohne zu diskutieren. Vorher gab es in der Regel immer großes Theater. Einige denken, dass ADHS-Kinder mit den Medikamenten ruhiggestellt werden. Das ist bei unserem Sohn nicht so. Er kann sich mit den Medikamenten konzentrieren, sich zum Beispiel ein Glas Wasser einschenken, ohne dass die Hälfte daneben geht. Es gibt aber auch Nebenwirkungen der Tabletten. Vor allem isst er viel weniger. Zu Beginn der Tabletteneinnahme hat er deshalb abgenommen. Und er schläft auch schlechter. Im Urlaub haben mein Mann und ich ab und zu versucht, die Medikamente wegzulassen oder ihm eine geringere Dosis zu geben. Das war aber jedes Mal die Hölle. Wir haben ganz schnell gemerkt, dass es derzeit ohne Medikamente nicht geht.
Unser Alltag heute Unser Sohn hat sich im Laufe der letzten Jahre sehr positiv entwickelt. Ihm geht es mit den Medikamenten gut. Nach wie vor gibt es ein paar Einschränkungen, mit denen wir aber mittlerweile leben können. Im Laufe der Zeit ist allen klar geworden, dass er immer wiederkehrende Rituale und viel Routine braucht.
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So läuft jeder Tag bei uns nach dem gewohnten Rhythmus ab und mein Mann oder ich sind wenn möglich mit dabei. Er braucht Struktur. Das macht uns allerdings auch unflexibel. Spontane Verabredungen mit Freunden sind nicht so einfach möglich. Da muss die Uhrzeit passen, wir müssen das Essen planen und auch schauen, wer noch eingeladen ist, damit sich die Kinder verstehen. Wir müssen immer prüfen, ob das Freizeitprogramm auch für ihn passt und wenn nötig Kompromisse finden. Etwa gegen fünf oder sechs Uhr nachmittags, wenn die Wirkung der Medikamente nachlässt, wird sein Verhalten wieder sehr auffällig. Deswegen achten wir darauf, dass er dann nicht mehr mit Freunden unterwegs ist, wir nicht mehr auf Familienfeiern oder bei anderen Aktivitäten sind. Sonst wird es anstrengend und er fängt wieder an, an mir zu zerren, lauter zu werden und mich oder andere zu ärgern. Unser Leben ist anstrengend und es gibt keinen Tag, an dem man sagen kann, es war nichts los. Unser Sohn hat einen großen Bewegungsdrang und muss immer raus. Die Medikamente helfen ihm, ruhiger und konzentrierter zu sein. Aber er kann sich nach wie vor nur schwer selbst beschäftigen. Er fordert immer einen Plan ein und will wissen, was wir als nächstes machen. Er hat als Kind eigentlich nicht richtig gespielt, sondern eher aufgeräumt und gearbeitet. Das macht er heute noch: Er fegt das Haus und die Straße, schippt Schnee, zupft Unkraut. Mit seinem Freund ist er in letzter Zeit aber oft am Bach in der Nähe unseres Hauses. Da klettern sie, bauen Staudämme und so weiter. Aber solche Rollen- und Fantasiespiele, wie sie unser jüngerer Sohn spielt, das kann er nicht. Er ist sehr sparsam und sammelt Pfandflaschen. Das ist eines seiner Hobbys. Damit hat er auch schon viel angespart. Und er züchtet Schmetterlinge: In Zuchtkästen haben wir im letzten Jahr mehr als 100 Schmetterlinge gezüchtet! Er sucht sich schon Beschäftigungen, aber die sind irgendwie anders als bei anderen Kindern. Demnächst wird er auf eine Realschule gehen. Wir haben uns gegen eine Ganztagsschule entschieden. Er schafft es nicht, den ganzen Tag in der Schule zu sein, weil er zwischendurch Pausen braucht. Er kommt mittags nach Hause, danach verläuft der Rest des Tages immer nach dem gleichen Schema.
Viele denken, ADHS ist eine Modeerscheinung oder die Folge schlechter Erziehung Sehr schwierig für uns ist es nach wie vor, mit Kommentaren anderer umzugehen. Oft bekommen wir Bemerkungen, dass wir härter und konsequenter sein müssten und werden vorwurfsvoll gefragt, warum er bestimmte Sachen noch nicht kann. Ich habe nur ganz ausgewählten Leuten von seiner Erkrankung erzählt und dass er Medikamente einnimmt. Die Lehrer in der Schule wissen es, da bin ich offen. Aber sonst erzähle ich es nicht. Oft hat man das Gefühl, dass andere ADHS nicht als Krankheit, sondern als Modeerscheinung oder schlechte Erziehung einstufen. Das belastet mich sehr. Wenn ich mit einer anderen Mutter unterwegs bin, deren Kinder ähnliche Probleme haben, dann ist das für mich sehr erleichternd. Man versteht sich einfach.
Ich muss für mich sorgen Das alles belastet mich sehr, psychisch und körperlich. Ich war in den letzten Jahren öfters krank und immer wieder erkältet.
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Wir schicken beide Kinder gegen 20 Uhr ins Bett. Er schläft zwar meistens erst gegen halb zehn ein. Aber für mich war irgendwann klar: ab 20 Uhr ist Ruhe. Ich kann dann einfach nicht mehr und brauche die Zeit für mich. Meistens lese ich, das ist meine Erholung. Ich treffe mich auch ab und zu mit Freundinnen, aber ich kann am Abend nicht mehr so viel reden und telefoniere auch nur ungern. Ich brauche eher Zeit für mich allein, in der keiner etwas von mir will. Ich gehe etwa zweimal pro Woche in den Wald laufen, walken oder fahre mit dem Rad. Das ist für mich sehr wichtig, da kann ich abschalten. Ich bin auch in einer Selbsthilfegruppe für Eltern, die mir sehr gut tut. Wir tauschen uns über unsere Erfahrungen mit den Medikamenten, den Nebenwirkungen und mit der Freizeitgestaltung aus. Man hört auch mal, dass es bei anderen genauso schlechte Tage gibt und andere auch so belastet sind. Das ist sehr erleichternd und eine große Hilfe.
Wir hätten viel früher zum Arzt gehen sollen Wenn ich ehrlich bin, graut mir ein wenig vor der Pubertät. Aber ich verdränge das noch und wir leben von Tag zu Tag. Ich hoffe, dass er in den nächsten Jahren immer selbstständiger wird. Mittlerweile geht er gern auf die Skaterbahn. Ich lade oft Freunde von ihm ein und wir gehen in den Zoo oder unternehmen etwas. Er hat sich auch eine gute Position in der Klasse erkämpft und ist kein Außenseiter mehr. Er hat zwar keinen sehr großen Freundeskreis, aber doch ein paar gute Freunde. Ich finde es wichtig, so schnell wie möglich zu einem Kinder- und Jugendpsychiater zu gehen, wenn man spürt, dass das Kind anders ist als andere und alle möglichen Erziehungsmethoden nicht greifen. Im Nachhinein denke ich, wir hätten viel früher zum Arzt gehen sollen. Wir wollten es einfach nicht wahrhaben. Unser Leben hat sich durch die Medikamente komplett gewandelt. Es ist eine wahnsinnige Erleichterung. Natürlich können die Medikamente auch Nebenwirkungen haben. Aber wir nehmen eine Appetitlosigkeit und ein erschwertes Einschlafen für ein besseres Familienleben gerne in Kauf. Ich könnte mir heute ein Leben ohne Medikamente nicht mehr vorstellen. Unser Sohn hat in der Schule Erfolgserlebnisse und Noten im Zweier- bis Dreierbereich. Er hat Freunde und kann ein normales Leben führen.
Danksagung Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar. Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen. Erstellt am 9. September 2015
Ich hatte das Gefühl, anders zu sein
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(PantherMedia / Andriy Popov) Sven, 36 Jahre „Das Wichtigste für mich war die Erkenntnis, dass mein Verhalten nichts mit meinem Charakter zu tun hat. ADHS ist eine Erkrankung, eine Besonderheit, mit der man leben und mit der man zurechtkommen kann.“ Als ich 17 Jahre alt war, wurde bei mir ADHS diagnostiziert, das ist jetzt 19 Jahre her. Ich bin damals nicht auf Drängen meiner Eltern zum Arzt gegangen, sondern habe selber gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich hatte ab und an depressive Phasen. Der Kinderarzt hat dann eine depressive Verstimmung als Folge von ADHS diagnostiziert. Mit der Diagnose ADHS hatte ich allerdings nicht gerechnet und konnte erstmal nicht so viel damit anfangen. Im Laufe der Zeit konnte ich mir aber einiges in der Vergangenheit erklären. Das Wichtigste für mich war die Erkenntnis, dass mein Verhalten nichts mit meinem Charakter zu tun hat. ADHS ist eine Erkrankung, eine Besonderheit, mit der man leben und mit der man zurechtkommen kann, das war das Wichtigste für mich.
Ich hatte das Gefühl, anders zu sein Ich habe eine sehr schöne Kindheit gehabt, in einem sehr guten und strukturierten Elternhaus. In der Schule war es jedoch nicht leicht: Oft war ich völlig überdreht, impulsiv und mir fiel es sehr schwer, mich zu konzentrieren. Ich war der Klassenclown. Außerdem hatte ich sehr viele Fehlzeiten in der Schule und musste zwei Klassen wiederholen. Auffällig war auch, dass mir etwa fünf Stunden Schlaf reichten, dann war ich wieder fit.
Ich konnte keine Niederlagen ertragen Ich habe mich schon früh unter hohen Erfolgsdruck gesetzt und einen Ehrgeiz entwickelt, an dem ich oft gescheitert bin. Der Sport war in meiner Kindheit und Jugendzeit sehr wichtig und schön für mich, aber gleichzeitig habe ich auch sehr darunter gelitten. Zu gewinnen war toll, aber zu verlieren weniger. Das konnte ich nur schwer verkraften und habe dann zum Beispiel den Tennisschläger zertrümmert oder Ähnliches. Das war nicht so schön. Aber ich habe es geschafft, die Schule und meine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Dabei hat mir sehr geholfen, dass ich ein Ziel und einen Traumberuf hatte: Ich wollte unbedingt in die Fußstapfen meines Vaters treten. In der Ausbildung war ich sehr ehrgeizig, das Lernen hat mir Spaß gemacht und ich habe kaum gefehlt. Nach Abschluss der Ausbildung habe ich mich direkt selbstständig gemacht. Heute habe ich eine Firma, eine Familie und ein Kind. Meine Frau hat einen sehr ruhigen Charakter, wir ergänzen uns sehr gut.
Medikamente helfen mir, mein Leben zu meistern Der Arzt hat mir damals Medikamente verschrieben. Als Jugendlicher hatte ich in der ersten Zeit mit den Medikamenten häufiger Kopfschmerzen und mir war übel. Das hat sich aber mit der Zeit gelegt. Ich nehme bis heute Tabletten ein, mittlerweile aber in Absprache mit meinem Arzt nur noch bei Bedarf. Es sind
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Retard-Tabletten (Anm. d. Red.: Tabletten mit verlängerter Wirkung) und ich komme gut damit zurecht. Die positive Wirkung der Medikamente spüre ich nach wie vor: Wenn ich früh zur Arbeit komme, handle ich viel ruhiger, strukturierter und arbeite alles nacheinander ab. Wenn ich keine Medikamente eingenommen habe, versuche ich dagegen, alles gleichzeitig zu erledigen und fange vieles an, schaffe es aber nicht, die Dinge ordentlich abzuschließen. Das ist ziemlich anstrengend. Mit Medikamenten geht es viel besser, ich bin auch viel besonnener.
Ohne Medikamente bin ich unruhig, chaotisch und unstrukturiert ADHS zeigt sich bei mir noch heute darin, dass ich nicht zur Ruhe komme: Ich möchte immer 1000 Dinge gleichzeitig machen, egal ob beruflich oder privat. Die Arbeit ist mir sehr wichtig, ich treibe exzessiv Sport und kümmere mich intensiv um meine Familie. Der Tag müsste für mich mehr als 24 Stunden haben. Außerdem bin ich auch körperlich unruhig, ich muss immer wieder mal aufstehen und herumlaufen und habe das Gefühl, innerlich getrieben zu sein. Im Urlaub schaffe ich es nicht, länger als drei Stunden am Strand zu liegen, dann muss ich aktiv werden. Was mich heute am meisten belastet, ist das Fingernägelkauen. Das ist mir sehr peinlich. Ich mache das immer wieder unbewusst und schaffe es nicht, es zu lassen. Was mir auch schwer fällt, ist, Ordnung zu halten und strukturiert meinen Tagesablauf zu planen. Ich bin selbstständig und brauche im Beruf – aber auch im Alltag – immer wieder Hilfe. Meine Frau gibt mir jeden Tag einen Zettel mit Aufgaben, den ich schön abarbeite. Ohne Unterstützung wüsste ich auch nicht, wo ich die Schlüssel hingelegt oder etwas abgeheftet habe, und meine Postablage wäre zwei Meter hoch. Ich weiß zum Beispiel auch nicht, wie ich mein Konto einsehen oder etwas überweisen kann.
Ich schätze meine Stärken: den Ehrgeiz und meine sozialen Fähigkeiten Andererseits habe ich einen außerordentlichen Ehrgeiz. Alles was ich schaffen möchte, erreiche ich in der Regel auch. Dann mache ich es aber sehr exzessiv, oft arbeite ich bis spät in die Nacht hinein. Ich versuche alles perfekt und dabei möglichst gleichzeitig zu machen. Zusätzlich zu meinem Beruf, meiner Familie und meinem Sport mache ich zum Beispiel gerade auch eine Ausbildung zum Hundetrainer. Außerdem bin ich sehr kommunikativ und kann gut mit Menschen umgehen. Das ist eine weitere Stärke von mir. Mit der Zeit habe ich Strategien gefunden, mit mir selbst klarzukommen. Meine Impulsivität habe ich heute viel besser im Griff. Die körperliche Unruhe ist allerdings geblieben, auch dass ich viel rede. Aber das sind Dinge, mit denen ich mittlerweile gut umgehen kann. Ich habe beruflich viel mit Menschen zu tun, die ADHS haben, und arbeite ehrenamtlich in der Selbsthilfe. Ich gebe sehr gern meine Erfahrungen aus den letzten 20 Jahren an andere weiter. Das macht mir wirklich Spaß.
Sich auf das Leben konzentrieren und nicht auf die Erkrankung Bei meiner Mutter wurde erst im Erwachsenenalter ebenfalls ADHS festgestellt, das war vor zehn Jahren. Sie nimmt jetzt Medikamente und kommt gut mit ihnen zurecht. Mein Sohn ist jetzt etwa zweieinhalb Jahre und mir wird immer wieder die Frage gestellt, ob er auch an ADHS erkrankt ist. Darum mache ich mir aber jetzt noch keine Gedanken. Selbst wenn es so sein sollte, dann ist es so. Es kommt immer darauf an, was man daraus macht. Er hat viel Blödsinn im Kopf, wie sein Vater. Und das ist völlig in Ordnung.
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Ich finde es wichtig, sich auf das Leben zu konzentrieren und nicht auf die Erkrankung. Man sollte auf die Stärken schauen, auf das, was man kann und nicht auf das, was man nicht kann. ADHS ist ja keine lebensbedrohliche Erkrankung. Sich das Positive anzuschauen, wenn man Kinder mit ADHS hat, ist glaube ich das Wichtigste. Ich hatte da großes Glück. Meine Eltern haben bei mir gefördert, was ich gut kann und mir nicht immer gezeigt, was ich schlecht oder gar nicht kann. Ich komme gut durchs Leben damit: ADHS sehe ich nicht als Erkrankung, sondern als meine persönliche Besonderheit an. Ich kann einiges nicht – aber dafür vieles, was andere nicht können.
Danksagung Erfahrungsberichte fassen Interviews mit Betroffenen zusammen. Alle Gesprächspartnerinnen und -partner haben der Veröffentlichung zugestimmt. Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Die Berichte geben einen Einblick in den persönlichen Umgang und das Leben mit einer Erkrankung. Die Aussagen stellen keine Empfehlung des IQWiG dar. Hinweis: Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, ändern wir ihre Vornamen. Die Fotos zeigen unbeteiligte Personen. Erstellt am 9. September 2015
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Kurz erklärt Wie finde ich Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen? In Deutschland gibt es auch über Praxen und Kliniken hinaus ein breites Angebot zur persönlichen Beratung und Unterstützung im Krankheitsfall. Viele dieser Angebote sind aber vor Ort unterschiedlich organisiert und nicht immer direkt zu finden. Wir haben deshalb eine Liste von Anlaufstellen zusammengestellt, die helfen, Angebote vor Ort zu finden und zu nutzen.
Patientenrechte Vor jeder Behandlung haben Patientinnen und Patienten das Recht, sich ausführlich und verständlich über Vor- und Nachteile und über Alternativen aufklären zu lassen. Diese Rechte sind im deutschen Patientenrechtegesetz verankert.
Selbsthilfegruppen In Selbsthilfegruppen lassen sich Kontakte zu anderen Menschen knüpfen, die die mit einer Erkrankung verbundenen Beschwerden, Gefühle und praktische Probleme kennen. Dort ist es möglich, sich über Themen auszutauschen, die vielleicht mit nicht erkrankten Menschen schwierig zu besprechen sind. Das kann eine große Entlastung sein. Tipps und Erfahrungen mit ebenfalls Betroffenen auszutauschen, ist die Kernidee der Selbsthilfe. Daneben gibt es zahlreiche weitere Angebote von Selbsthilfe-Organisationen. Dies können zum Beispiel Sportangebote, Veranstaltungen und Broschüren zu unterschiedlichen Themen, Hilfe bei sozialrechtlichen Fragen und nicht zuletzt auch die sozial- und gesundheitspolitische Interessenvertretung sein. Eine Selbsthilfegruppe ist idealerweise unabhängig und vertritt nur die Interessen ihrer Mitglieder. Folgende Patienten- und Selbsthilfeorganisationen sind in Deutschland gesetzlich als Vertretung von Patientinnen- und Patienteninteressen anerkannt. Wer Beratungs- oder Kontaktadressen sucht, findet auf den Webseiten dieser Organisationen weiterführende Hilfe:
Deutscher Behindertenrat (DBR) BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen (BAGP) Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.
Bei der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) kann online bundesweit nach einer passenden Selbsthilfeadresse gesucht werden. NAKOS bietet zudem neben anderen Angeboten eine Telefonhotline für Fragen zu Selbsthilfegruppen unter der Telefonnummer 030 / 31 01 89 60 an.
Die Unabhängige Patientenberatung Als zentrale Anlaufstelle steht ebenfalls die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) zur Verfügung. Die UPD berät kostenlos auch in sozialrechtlichen Fragen. Zur UPD lässt sich per E-Mail oder telefonisch Kontakt aufnehmen. Auf der Webseite der UPD findet sich auch ein Verzeichnis lokaler Beratungsstellen.
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Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet zu verschiedenen Themen neben Internet-Informationen auch eine anonyme telefonische Beratung an. Eine Datenbank enthält Adressen von Beratungsstellen.
Was hab´ ich? „Was hab’ ich?“ bietet Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, Befunde und Arztbriefe einzusenden. Fachbegriffe werden dann ehrenamtlich von Medizinstudierenden und Ärzten in eine verständliche Erklärung "übersetzt". Dieser Service ist kostenlos.
Die Verbraucherzentralen der Bundesländer Auch in den einzelnen Bundesländern gibt es Verbraucherzentralen, die persönliche Beratung anbieten. Die Landes-Verbraucherzentralen haben unter Umständen eigene Schwerpunkte, zum Beispiel zu Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) oder Zahnmedizin.
Weitere Beratungsangebote Darüber hinaus bieten folgende Stellen entweder selbst Beratung an oder kennen die lokalen Beratungsangebote:
Krankenkassen und -versicherungen Rentenversicherung Gesundheitsämter (psycho-)soziale Beratungsstellen (Ansprechpartner nennen Sozial- und Gesundheitsämter) Patientenberatungsstellen der Zahnärzteschaft
Die Patientenbeauftragten Die Bundesregierung hat 2004 das Amt eines Patientenbeauftragten eingeführt. Die beauftragte Person soll in unabhängiger und beratender Funktion darauf hinwirken, dass die Belange der Patienten in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen beachtet werden. Die Geschäftsstelle ist in Berlin, auch Kontakt per Email und Telefon ist möglich. Auch die folgenden Landesregierungen haben Patientenbeauftragte eingesetzt: Bayern Berlin Nordrhein-Westfalen
Der ThemenCheck Medizin Auf der IQWiG-Plattform „ThemenCheck Medizin“ können Bürgerinnen und Bürger Forschungsfragen stellen. Fachleute werten dann das Wissen zu ausgewählten Themen aus. Die Ergebnisse sollen in künftige
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Entscheidungen über die Gesundheitsversorgung einfließen. Aktualisiert am 4. April 2017 Erstellt am 27. Oktober 2013 Nächste geplante Aktualisierung: 2020
Wege zur Psychotherapie: Wo gibt es Hilfe? Bei körperlichen Krankheiten ist es für die meisten Menschen einfach, die richtige Ärztin oder den richtigen Arzt zu finden. Bei seelischen Problemen oder Erkrankungen wissen viele jedoch nicht, an wen sie sich wenden sollen. Hinzu kommen häufig Vorbehalte, über psychische Erkrankungen zu sprechen. Unsere Information hilft, sich im Begriffsdschungel des Gesundheitssystems zurechtzufinden. Sie zeigt unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten, erklärt, wer wann der richtige Ansprechpartner ist und beantwortet praktische Fragen, die sich vielleicht stellen, wenn eine Psychotherapie sinnvoll erscheint.
An wen kann ich mich bei psychischen Problemen zuerst wenden? Für viele Menschen sind Freunde und Angehörige erste Ansprechpartner, wenn es ihnen nicht gut geht. Wer wegen psychischer Probleme professionelle Hilfe benötigt, kann sich zunächst an die Hausärztin oder den Hausarzt wenden, an eine psychosoziale Beratungsstelle oder direkt an eine psychotherapeutische oder psychiatrische Praxis. In Notfällen stehen auch psychiatrische Praxen mit Notfalldienst oder psychiatrische Kliniken zur Verfügung. Psychosoziale Beratungsstellen sind zum Beispiel Familien-, Frauen-, Erziehungs-, Lebens- oder Suchtberatungsstellen. Dort arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Berufsgruppen wie Ärzte, (Sozial-)Pädagogen, Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter oder auch speziell geschulte Pflegekräfte zusammen, um Ratsuchenden bei ihren Problemen zu helfen. Die Beratungsstellen werden in der Regel durch ihren Träger, durch Fördermittel und über Spenden finanziert. Sie bieten selbst keine Therapien an, können aber beraten, über Unterstützungsmöglichkeiten informieren und sie vermitteln. Eine weitere Anlaufstelle sind die Sozialpsychiatrischen Dienste. Sie sind bei den Gesundheitsämtern angesiedelt und können kostenlos in Anspruch genommen werden. Sie betreuen und begleiten vor allem Menschen mit behandlungsbedürftigen akuten oder chronischen psychischen Erkrankungen. Auch in den Sozialpsychiatrischen Diensten beraten und unterstützen Teams aus Medizin und Pflege, Psychotherapie und Sozialpädagogik. Die Fachkräfte bieten in der Regel selbst keine Therapien an, können jedoch feststellen, ob jemand eine behandlungsbedürftige Erkrankung hat. Sie begleiten auch Menschen, die gerade eine Therapie machen oder einen Klinikaufenthalt hinter sich haben, um ihnen zusätzliche Unterstützung zu geben. Angehörige, Freunde und Kollegen können sich ebenfalls an den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden, wenn sie das Gefühl haben, dass jemand in ihrer Umgebung Hilfe benötigt. Die Sozialpsychiatrischen Dienste bieten bei Bedarf auch Hausbesuche an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sozialpsychiatrischen Diensten und psychosozialen Beratungsstellen unterliegen wie Therapeutinnen und Therapeuten der Schweigepflicht.
Was ist eine Psychotherapie und wann kommt sie infrage? Wer den Begriff „Psychotherapie“ hört, denkt vielleicht als erstes daran, wie jemand auf einer Couch liegt und von seiner Kindheit erzählt, während die Therapeutin oder der Therapeut im Sessel daneben sitzt und zuhört. Dieses Bild wird uns häufig in Filmen oder anderen Medien vermittelt, wenn es um Psychotherapie geht. Doch es gibt viele Arten von Psychotherapien, die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen arbeiten. Die
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am häufigsten eingesetzten Verfahren sind die Verhaltenstherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Alle Psychotherapien haben das Ziel, die mit der psychischen Erkrankung verbundenen Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Welches der verschiedenen Verfahren infrage kommt, hängt unter anderem von der Störung oder Erkrankung, aber auch von den Vorlieben und persönlichen Zielen des Menschen ab, der eine Therapie benötigt. Zu den psychischen Störungen und Erkrankungen, die häufig mit einer Psychotherapie behandelt werden, gehören zum Beispiel Angststörungen, Depressionen und Suchterkrankungen. Psychotherapien kommen übrigens nicht nur bei seelischen Erkrankungen infrage: Sie werden auch eingesetzt, um bei der Bewältigung von chronischen körperlichen Erkrankungen zu helfen. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können eine Behandlung auch ablehnen, wenn aus ihrer Sicht keine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt oder eine Psychotherapie nicht geeignet erscheint.
Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten – wer ist wer? Im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung gibt es in Deutschland verschiedene, zum Teil verwirrende Berufsbezeichnungen – sich hier zurechtzufinden, ist nicht ganz einfach. Viele Menschen setzen zum Beispiel Psychotherapeuten mit Psychologen gleich. Wer ein Psychologiestudium abgeschlossen hat, darf aber nicht automatisch therapeutisch tätig werden. Dazu müssen Psychologinnen und Psychologen zunächst eine mehrjährige, praktisch orientierte Psychotherapie-Ausbildung machen, die mit einer staatlichen Prüfung abschließt. Hier ein Überblick über die verschiedenen Berufsgruppen und -bezeichnungen: Psychologische Psychotherapeuten: Psychologinnen und Psychologen mit Psychotherapie-Ausbildung. Sie behandeln zum Beispiel in einer psychotherapeutischen Praxis Menschen mit Angststörungen, Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen. Im Gegensatz zu ärztlichen Psychotherapeuten dürfen sie keine Medikamente verschreiben. Ärztliche Psychotherapeuten (auch psychotherapeutisch tätige Ärztinnen und Ärzte genannt): Sie müssen ebenfalls eine Zusatzqualifikation in Psychotherapie oder eine entsprechende Facharztausbildung absolvieren, bevor sie als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut arbeiten dürfen. Je nach Bundesland gelten unterschiedliche Weiterbildungsordnungen. Die meisten ärztlichen Psychotherapeuten haben eine Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie abgeschlossen. Psychiater: Diese Fachärztinnen und -ärzte behandeln insbesondere solche psychischen Erkrankungen, bei denen die medikamentöse Therapie eine wichtige Rolle spielt, wie zum Beispiel Schizophrenien oder schwere Depressionen. Da Psychiaterinnen und Psychiater auch psychotherapeutische Verfahren anwenden können, ist es schwierig, die Fachgebiete Psychiatrie und ärztliche Psychotherapie genau zu trennen. Früher nannten sich Psychiater auch „Facharzt für Nervenheilkunde“. Diesen Abschluss, der keine spezielle psychotherapeutische Ausbildung beinhaltet hat, gibt es heute aber nicht mehr. Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie: Ärztinnen oder Ärzte mit dieser Weiterbildung behandeln vor allem körperliche Beschwerden, die vermutlich durch psychische Probleme ausgelöst werden oder mitbedingt sind. Fachgebundene ärztliche Psychotherapeuten: Diese psychotherapeutisch qualifizierten Ärztinnen und Ärzte behandeln ausschließlich psychische Erkrankungen oder Probleme, die mit ihrem eigenen Fachgebiet zu tun haben. Das können etwa Frauenärztinnen oder -ärzte sein, die zum Beispiel Frauen mit Brustkrebs eine unterstützende Psychotherapie anbieten.
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Worin unterscheiden sich ärztliche und psychologische Psychotherapeuten? Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Berufen besteht darin, dass ärztliche Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auch Medikamente zur Behandlung von psychischen Erkrankungen (Psychopharmaka) verschreiben können. Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten hingegen ausschließlich mit Gesprächen, psychologischen Verfahren, Entspannungstechniken und anderen nicht medikamentösen Methoden. Wer eine Therapie bei einer Psychologin oder einem Psychologen macht und ergänzend Medikamente benötigt, kann sie sich von einer Ärztin oder einem Arzt verschreiben lassen. Im Idealfall arbeiten ärztliche und psychologische Psychotherapeuten eng zusammen. Die meisten ärztlichen Psychotherapeutinnen und -therapeuten arbeiten mit tiefenpsychologischen oder analytischen Behandlungsverfahren. Vergleichsweise wenige sind Verhaltenstherapeuten, auch wenn ihr Anteil steigt. Etwa die Hälfte der psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ist in Verhaltenstherapie, die andere Hälfte in tiefenpsychologischen Verfahren ausgebildet.
Gibt es speziell für Kinder ausgebildete Psychotherapeuten und Psychiater? Psychische Erkrankungen, die im Kindes- und Jugendalter auftreten, unterscheiden sich teilweise von denen Erwachsener. Auch ihre Behandlung verläuft manchmal anders. Daher gibt es Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die sich auf die Probleme von Heranwachsenden spezialisiert haben. Neben Psychologen können sich auch (Sozial-)Pädagogen zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche weiterbilden lassen. Ärztinnen und Ärzte können sich auf Psychotherapie oder Psychiatrie für Heranwachsende spezialisieren, indem sie eine Facharztausbildung für Kinder- und Jugendlichen-Psychiatrie und -Psychotherapie absolvieren. Auch ärztliche Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendärzte können eine Zusatzqualifikation für die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen erwerben.
Wie finde ich einen Psychotherapeuten oder Psychiater? Unterschiedliche Einrichtungen helfen bei der Suche nach einer Psychotherapeutin oder Psychiater, zum Beispiel:
Krankenkassen, psychosoziale Beratungsstellen, die Psychotherapeuten- und Ärztekammern der einzelnen Bundesländer und Sozialpsychiatrische Dienste.
Möglichkeiten zur eigenen Suche bietet neben dem Telefonbuch natürlich das Internet: Hier bieten zum Beispiel die Kassenärztlichen Vereinigungen eine Ärzte- und Psychotherapeutensuche an. Auch die meisten Psychotherapeutenkammern bieten einen entsprechenden Service. Wer sich für ein bestimmtes Verfahren interessiert oder mehr über die Therapeutin oder den Therapeuten selbst wissen möchte, braucht sich nicht zu scheuen, in der Praxis nachzufragen: zum Beispiel wie lange sie oder er schon im Beruf arbeitet und mit welchen Schwerpunkten. Vor der Entscheidung für eine Therapie genau nachzufragen, ist völlig normal und wichtig – schließlich müssen Therapeut und Patient sehr eng und auf sehr persönlicher Ebene zusammenarbeiten. Weitere Fragen an die Behandelnden könnten sein:
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Haben Sie Erfahrung mit Menschen, die eine ähnliche Erkrankung haben wie ich? Welche Psychotherapie oder welche Medikamente können bei meiner Erkrankung helfen? Welche möglichen Nebenwirkungen haben die Therapien? Wie lange dauern die Psychotherapieverfahren, die infrage kommen, und wie oft sind dafür Praxisbesuche nötig? Was passiert, wenn ich mich nicht behandeln lasse? Reicht es aus, wenn ich mir anderweitig Hilfe hole, zum Beispiel bei einer psychosozialen Beratungsstelle?
Kann ich die Therapeutin oder den Therapeuten wechseln? Ein vertrauensvolles Verhältnis zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten ist eine notwendige Voraussetzung für eine Psychotherapie. Es ist wichtig und muss möglich sein, völlig offen über Probleme und Schwierigkeiten reden zu können. Nicht alle Menschen finden auf Anhieb jemanden, bei dem sie sich gut aufgehoben fühlen. Deshalb können auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse bis zu vier Probesitzungen in einer psychotherapeutischen Praxis in Anspruch genommen werden („probatorische Sitzungen“). Während der probatorischen Sitzungen zeigt sich in der Regel schon, ob man mit der Therapeutin oder dem Therapeuten zusammenarbeiten möchte. Andernfalls ist es möglich, in einer anderen Praxis weitere Probesitzungen in Anspruch zu nehmen. Erst wenn die Entscheidung gefallen ist, muss der Therapeut bei der Krankenkasse des Klienten einen Antrag auf eine Therapie stellen. Auch wenn sich im Laufe der Therapie herausstellt, dass es mit dem ausgewählten Therapeuten doch nicht so gut klappt, besteht die Möglichkeit, die Therapie in einer anderen Praxis fortzusetzen. Ob dann ein neuer Therapieantrag gestellt werden muss, ist mit der Krankenkasse zu klären.
Wie beantrage ich eine Psychotherapie bei meiner Krankenkasse? Nach den probatorischen Sitzungen muss der Therapie-Antrag gemeinsam vorbereitet werden. Der Therapeut muss darin begründen, warum eine Therapie erforderlich ist. Neben dem Therapieantrag verlangt die gesetzliche Krankenkasse einen ärztlichen Bericht. Dieser kann von einer praktischen Ärztin oder einem praktischen Arzt nach einer allgemeinen Untersuchung erstellt werden. Der Bericht soll sicherstellen, dass körperliche Ursachen der Beschwerden ausgeschlossen werden und keine Gründe gegen eine Psychotherapie sprechen. Der Therapieantrag muss zusammen mit dem ärztlichen Bericht vor Beginn der eigentlichen Therapie bei der gesetzlichen Krankenkasse eingereicht werden. Die gesetzliche Krankenkasse entscheidet auf der Grundlage eines Gutachtens, ob eine Therapie bewilligt wird. Eine Gutachterin oder ein Gutachter mit spezieller Ausbildung prüft auf Grundlage des Antrags und des ärztlichen Berichts, die ihm anonymisiert zur Verfügung gestellt werden, ob eine Psychotherapie sinnvoll erscheint. Ist dies der Fall, werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen. Eine Ausnahme ist die Kurzzeittherapie: Zur Bewilligung dieser Therapieform, die nur wenige Sitzungen erfordert, ist kein Gutachten nötig. Die Krankenkasse erhält vom Gutachter nur Informationen, die für die Abrechnung der Therapie relevant sind. Unter welchen Voraussetzungen private Kassen eine Psychotherapie übernehmen, ist unterschiedlich. Privat Versicherte fragen am besten direkt bei ihrer Versicherung nach dem dort üblichen Verfahren.
Welche Psychotherapien werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen?
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Grundsätzlich bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen eine Psychotherapie bei allen psychischen Erkrankungen und Störungen, die als behandlungsbedürftig gelten. Auch wenn eine körperliche Erkrankung zu einem erheblichen Leidensdruck führt, wie zum Beispiel ein Tinnitus oder Krebserkrankungen, die häufig von Depressionen begleitet werden, können die Kosten für eine Psychotherapie übernommen werden. Die gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlen jedoch nicht jede Form der Psychotherapie. Von den Kassen anerkannte Verfahren sind derzeit drei Psychotherapien: die analytische Psychotherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Verhaltenstherapie.
Innerhalb dieser drei Verfahren kann jedoch eine große Vielfalt an unterschiedlichen Methoden angewendet werden.
Wie lange muss ich auf einen Therapieplatz warten? Es kann einige Wochen bis Monate dauern, bis man einen Therapieplatz in einer psychotherapeutischen Praxis bekommt. Ein Termin für ein Erstgespräch, in dem festgestellt wird, ob eine psychische Erkrankung vorliegt, lässt sich jedoch häufig kurzfristiger vereinbaren. In dringenden Fällen stehen der Sozialpsychiatrische Dienst, eine psychosoziale Beratungsstelle, eine psychiatrische Praxis mit Notfalldienst oder ein psychiatrisches Krankenhaus zur Verfügung.
Wie lange dauert eine Psychotherapie? Wie lange eine Psychotherapie dauert, hängt von der Art und Schwere der Erkrankung und vom eingesetzten Therapieverfahren ab. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen im Rahmen einer Verhaltenstherapie bis zu 80 Therapiestunden, bei einer tiefenpsychologischen Psychotherapie bis zu 100 Therapiestunden und bei analytischen Psychotherapien bis zu 300 Therapiestunden. Im Einzelfall können die Kosten auch darüber hinaus übernommen werden. Im Rahmen von Gruppenbehandlungen sind auch Doppelstunden möglich. Dass eine Verhaltenstherapie in aller Regel weniger lange dauert als eine analytische Psychotherapie, liegt daran, dass die VT ein eher praktisch orientiertes Verfahren ist, bei dem es vor allem um die konkrete Lösung von Problemen geht. Dagegen hat die analytische Psychotherapie das Ziel, ein tieferes Verständnis für die eigenen Probleme und lebensgeschichtlichen Zusammenhänge zu entwickeln.
Müssen Therapeutinnen und Therapeuten Vertraulichkeit gewährleisten? Genauso wie Ärzte und Pflegekräfte unterliegen auch Psychotherapeutinnen und -therapeuten einer Schweigepflicht. Sie sind zur Verschwiegenheit über alles verpflichtet, was ihnen von ihren Klientinnen und Klienten im Rahmen einer Psychotherapie anvertraut wird. Einem Psychotherapeuten ist es nur dann erlaubt, Informationen weiterzugeben, wenn der Klient vorher schriftlich eingewilligt hat. Sie dürfen auch keine Sitzungen oder Telefongespräche aufzeichnen, wenn der Klient nicht zugestimmt hat. Psychotherapeutinnen und -therapeuten sind genauso wie Ärztinnen und Ärzte dazu verpflichtet, ihre Behandlungen schriftlich zu dokumentieren.
Was kann ich tun, wenn es mir schwerfällt, bei psychischen Problemen Hilfe
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zu suchen? Manchen Menschen fällt es schwer, wegen ihrer Probleme eine Psychotherapeutin oder einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Das kann unterschiedliche Gründe haben: Einige haben Angst davor, als psychisch krank bezeichnet zu werden oder sie sind verunsichert, weil sie nicht wissen, was bei einer Psychotherapie passiert. Andere haben Zweifel, ob ihnen auf diese Weise tatsächlich geholfen werden kann. Allerdings berichten Menschen nach dem Beginn oder Abschluss einer Therapie häufig, dass sie sich lieber schon früher Hilfe gesucht hätten. Es ist nicht einfach, die eigenen Gedanken und Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu ändern – es kann sogar sehr anstrengend und fordernd sein. Die Anstrengung lohnt sich aber sehr oft: Eine Depression, Zwangs- oder Angststörung erfolgreich zu bewältigen, verbessert die Lebensqualität erheblich. Wem es schwerfällt, zu einer Therapie zu gehen, könnte sich als erstes bei einem Spaziergang das Haus anschauen, in dem die Praxis untergebracht ist – oft ist ein erster Eindruck von der Umgebung hilfreich. anonym mit der Praxis telefonieren und sich über den möglichen Ablauf einer Behandlung informieren. sich in einem weiter entfernten Ort eine Praxis suchen. zum ersten Gespräch einen Familienangehörigen, einen Freund oder eine Freundin mitbringen. mit anderen sprechen, die schon mal eine Psychotherapie in Anspruch genommen haben, zum Beispiel über eine Selbsthilfegruppe.
Aktualisiert am 23. Dezember 2016 Erstellt am 23. April 2006 Nächste geplante Aktualisierung: 2019
Kognitive Verhaltenstherapie Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine der verbreitetsten und am besten untersuchten Formen von Psychotherapie. Sie kombiniert zwei Therapieansätze: die kognitive Therapie und die Verhaltenstherapie. Welche Behandlungsmethoden eingesetzt werden, hängt davon ab, um welches Problem, welche Erkrankung oder Störung es sich handelt. Die Grundannahme der Therapie ist aber immer dieselbe: Was wir denken, wie wir uns fühlen und uns verhalten, hängt eng miteinander zusammen – und alle diese Faktoren haben einen entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Was ist eine kognitive Therapie? Der Begriff „kognitiv" ist vom lateinischen „cognoscere“ abgeleitet und bedeutet „erkennen“. In einer
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kognitiven Therapie geht es darum, sich über seine Gedanken, Einstellungen und Erwartungen klar zu werden. Das Ziel ist, nicht zutreffende und belastende Überzeugungen aufzudecken und zu verändern. Denn es sind häufig nicht nur die Dinge und Situationen selbst, die Probleme bereiten, sondern auch die Bedeutung, die man ihnen beimisst. Ein belastendes Denkmuster ist es zum Beispiel, aus einem Vorfall sofort negative Schlüsse zu ziehen, sie zu verallgemeinern und auf ähnliche Situationen zu übertragen. Verallgemeinernde Denkmuster werden in der Psychologie als „Übergeneralisierung“ bezeichnet. Ein anderer belastender Denkfehler ist die „Katastrophisierung“: Es geschieht etwas Beunruhigendes, und prompt entstehen übertriebene Schlussfolgerungen über das Ausmaß des vermeintlich drohenden Unglücks. Solche Denkmuster entwickeln sich manchmal zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ und machen den Betroffenen das Leben schwer. Mithilfe einer kognitiven Therapie kann man jedoch lernen, sie durch realistischere und weniger schädliche Gedanken zu ersetzen. Die KVT hilft dabei, klarer zu denken und die eigenen Gedanken besser zu kontrollieren.
Wie funktioniert eine Verhaltenstherapie? Die Verhaltenstherapie hat ihren Ursprung im Behaviorismus. Diese Theorie geht davon aus, dass menschliches Verhalten (englisch: behavior) erlernt ist und daher auch wieder verlernt oder neu gelernt werden kann. In einer Verhaltenstherapie geht es darum herauszufinden, ob es bestimmte Verhaltensweisen gibt, die einem das Leben erschweren oder Probleme noch verstärken. Im zweiten Schritt wird daran gearbeitet, solche Verhaltensweisen zu ändern. Menschen mit depressiven Gedanken neigen zum Beispiel häufig dazu, sich zurückzuziehen und ihren Hobbys nicht mehr nachzugehen. Das führt dazu, dass sie sich noch unglücklicher und isolierter fühlen. In einer Verhaltenstherapie kann dieser Mechanismus erkannt und nach Wegen gesucht werden, um wieder aktiver zu werden. Bei Angststörungen besteht ein Teil der Verhaltenstherapie häufig darin, beruhigende Verhaltensweisen zu erlernen. Zum Beispiel kann man lernen, die eigene Angst durch bewusstes tiefes Ein- und Ausatmen zu verringern, sodass der Körper und die Atmung zur Ruhe kommen. Dabei konzentriert man sich auf die Atmung anstatt auf den Auslöser der Angst. Solche Techniken können dabei helfen, sich zu beruhigen und nicht in die Angst hineinzusteigern. Die meisten Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die in KVT ausgebildet sind, bezeichnen sich in Deutschland als Verhaltenstherapeuten.
Welche Denk- und Verhaltensmuster sind schädlich, welche neutral? Schädliche Gedanken oder Verhaltensweisen können dazu führen, dass man sich schlecht fühlt. Ein Beispiel: Man begegnet auf der Straße einem Bekannten und grüßt ihn, aber der Bekannte grüßt nicht zurück. Die eigene Reaktion darauf hängt stark davon ab, wie man die Situation bewertet: Tabelle: Beispiel für schädliche und neutrale Denk- und Verhaltensmuster
Reaktion schädlich Gedanken „Er hat mich ignoriert – er kann mich nicht mehr leiden.“
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neutral „Er hat mich gar nicht bemerkt – vielleicht bedrückt ihn etwas. Ich sollte mal wieder bei ihm anrufen und hören, wie es ihm geht.“
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Gefühle Wer so denkt, fühlt sich niedergeschlagen, traurig und zurückgewiesen. Verhalten Dieser Gedanke hat zur Folge, dass man den Bekannten in Zukunft meidet, obwohl die eigene Vermutung völlig falsch sein könnte.
Bei diesem Gedanken kommen keine negativen Gefühle auf. Dieser Gedanke führt dazu, dass man mit dem Bekannten Kontakt aufnimmt und nachfragt, ob alles in Ordnung ist.
Was unterscheidet eine KVT von anderen Psychotherapien? Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine problemorientierte Strategie. Es geht darum, an aktuellen Problemen zu arbeiten und Lösungen für sie zu finden. Im Gegensatz zum Beispiel zur Psychoanalyse beschäftigt sie sich wenig mit der Vergangenheit. Ziel der KVT ist vielmehr, die Probleme im Hier und Jetzt anzugehen. Die „Hilfe zur Selbsthilfe“ steht im Vordergrund: Man soll sein Leben so rasch wie möglich wieder ohne therapeutische Hilfe bewältigen können. Dies bedeutet nicht, dass der Einfluss vergangener Geschehnisse in einer kognitiven Verhaltenstherapie völlig ausgeblendet wird. Es geht aber vor allem darum, aktuell belastende Denkmuster und Verhaltensweisen zu erkennen und zu verändern. In der analytischen Psychotherapie, die ihren Ursprung in der klassischen Psychoanalyse nach Freud hat, werden andere Methoden angewendet. Dabei hilft die Therapeutin oder der Therapeut, Probleme und deren tiefere Ursachen aufzudecken und zu verstehen.
Wann kommt eine KVT infrage? Eine kognitive Verhaltenstherapie wird unter anderem zur Behandlung von Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Suchterkrankungen eingesetzt. Sie kommt aber auch bei körperlichen Erkrankungen wie chronischen Schmerzen, Tinnitus und Rheuma infrage: Sie kann helfen, mit den Beschwerden besser zurechtzukommen. Eine KVT erfordert viel Engagement und Eigeninitiative. Eine Therapie kann nur erfolgreich sein, wenn man aktiv an der Behandlung mitarbeitet und auch zwischen den Sitzungen an den eigenen Problemen arbeitet. Gerade bei schweren Erkrankungen, etwa einer ausgeprägten Depression oder Angststörung, kann dies eine große Herausforderung bedeuten. Manchmal werden daher zunächst Medikamente eingesetzt, um die stärksten Symptome kurzfristig zu lindern und dadurch eine Psychotherapie erst zu ermöglichen. Die Entscheidung für eine bestimmte Art von Psychotherapie hängt auch davon ab, welche Ziele man damit verfolgt. Wenn jemand das Bedürfnis hat, tiefe Einblicke in die Ursachen seiner Probleme zu erhalten, ist eine KVT vermutlich nicht die richtige Wahl. Sie ist besonders dann sinnvoll, wenn jemand zuallererst konkrete Probleme bewältigen möchte und sich erst in zweiter Linie für deren Gründe interessiert.
Wie läuft eine KVT ab und wie lange dauert sie? Bei einer KVT ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeut und Klient wichtig. Manchmal dauert es eine Weile, bis die richtige Therapeutin oder der richtige Therapeut gefunden ist. Im ersten Gespräch stellt man seine aktuellen Probleme kurz vor und äußert Wünsche und Erwartungen an die Therapie. Auf dieser Basis werden die Behandlungsziele und der Therapieplan gemeinsam besprochen. Wenn sich die persönlichen Ziele im Verlauf der Therapie ändern, werden sie entsprechend angepasst. Ein Teil der Therapie besteht oft darin, die eigenen Gedanken über einige Zeit in einem Tagebuch festzuhalten. Dann wird zusammen mit der Therapeutin oder dem Therapeuten geprüft: Schätze ich die
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Dinge angemessen und realistisch ein? Was geschieht, wenn ich mich in einer bestimmten Situation anders verhalte als sonst? Erreichte Fortschritte und mögliche Probleme kommen regelmäßig zur Sprache. Im Rahmen einer KVT werden auch Entspannungsübungen, Trainings zur Stress- oder Schmerzbewältigung und bestimmte Problemlöse-Strategien angewendet. Im Vergleich zu analytischen Psychotherapien ist die KVT eine kurzzeitige Behandlung. Wie lange eine KVT dauert, lässt sich allerdings nicht pauschal sagen. Manchen Menschen geht es bereits nach wenigen Sitzungen deutlich besser, bei anderen ist eine Behandlung über mehrere Monate nötig. Dies hängt unter anderem von der Art und Schwere der Probleme ab. Ein Einzelgespräch dauert ungefähr eine Stunde. Die Sitzungen finden üblicherweise einmal pro Woche statt. Kognitive Verhaltenstherapien werden in therapeutischen Praxen, Kliniken und Reha-Einrichtungen angeboten, teilweise auch als Gruppentherapie.
Kann eine KVT auch unerwünschte Wirkungen haben? Es ist nicht auszuschließen, dass eine Psychotherapie unerwünschte Wirkungen hat: So kann eine direkte Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen oder Ängsten zunächst sehr belastend sein oder dazu führen, dass sich persönliche Beziehungen vielleicht verschlechtern. Wichtig ist, mit der Psychotherapeutin oder dem Psychotherapeuten offen darüber zu sprechen, wenn während der Therapie Schwierigkeiten auftreten. Wissenschaftlich sind unerwünschte Wirkungen von Psychotherapien bislang kaum untersucht.
Wer trägt die Kosten? Bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Zwangsstörungen und Suchterkrankungen wird eine kognitive Verhaltenstherapie von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Auch wenn Beschwerden infolge einer chronischen Erkrankung zu einem erheblichen Leidensdruck führen, kann eine KVT bezahlt werden. Es kann jedoch einige Wochen oder Monate dauern, bis man einen Therapieplatz bekommt oder bis die Krankenkasse die Behandlung genehmigt. Eine psychotherapeutische Praxis kann zunächst bis zu fünf probatorische Sitzungen (Probesitzungen) mit der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen. Das ermöglicht es Psychotherapeuten und Klienten, sich kennenzulernen und festzustellen, welche Probleme vorliegen und ob eine Therapie sinnvoll ist. Nach den probatorischen Sitzungen muss gemeinsam ein Antrag für die gesetzliche Krankenkasse vorbereitet werden, der begründet, warum eine Therapie erforderlich ist. Diesen Antrag muss der Klient vor Therapiebeginn bei seiner Krankenkasse einreichen. Neben dem Therapieantrag verlangt die Krankenkasse einen (haus-)ärztlichen Bericht, aus dem hervorgeht, dass die vorliegenden Beschwerden nicht körperlich bedingt sind und keine medizinischen Gründe gegen eine Psychotherapie sprechen. Die gesetzliche Krankenkasse entscheidet dann auf der Grundlage eines Gutachtens, ob eine Therapie bewilligt wird. Aktualisiert am 5. September 2016 Erstellt am 7. August 2013 Nächste geplante Aktualisierung: 2019
Wie funktioniert das Gehirn? Das Gehirn arbeitet wie ein großer Computer. Es verarbeitet Sinneseindrücke und Informationen des Körpers und schickt Botschaften in alle Bereiche des Körpers zurück. Doch das Gehirn kann weit mehr als eine Maschine: Mit dem Gehirn denkt und fühlt der Mensch, hier liegen die Wurzeln seiner Intelligenz.
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Unser Denkorgan ist ungefähr so groß wie zwei geballte Fäuste und wiegt etwa 1,5 Kilogramm. Von außen ähnelt das Gehirn durch Gehirnwindungen und enge Spalten einer überdimensionalen Walnuss. Das Gehirngewebe enthält etwa 100 Milliarden Nervenzellen und etwa eine Billion Stützzellen, die das Gewebe stabilisieren. Das Gehirn besteht aus verschiedenen Abschnitten, die unterschiedliche Aufgaben haben:
Großhirn Zwischenhirn mit Thalamus, Hypothalamus und Hypophyse Hirnstamm mit Mittelhirn, Brücke und verlängertem Mark Kleinhirn
Das Großhirn besteht aus einer rechten und einer linken Gehirnhälfte. Beide sind durch ein dickes Bündel aus Nervenfasern verbunden, dem Balken. Jede Gehirnhälfte besteht wiederum aus sechs Bereichen (Lappen) mit unterschiedlichen Funktionen. Das Großhirn kontrolliert Bewegungen und verarbeitet Sinneseindrücke von außen. Hier entstehen bewusste und unbewusste Handlungen und Gefühle. Es ist außerdem für Sprache und Hören, Intelligenz und Gedächtnis verantwortlich. Die beiden Gehirnhälften haben zum Teil unterschiedliche Funktionen: Während die linke Hälfte bei den meisten Menschen auf Sprache und abstraktes Denken spezialisiert ist, kommt die rechte in der Regel dann zum Einsatz, wenn es um räumliches Denken oder bildhafte Zusammenhänge geht. Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Körperseite, die linke Hälfte ist für die rechte Seite zuständig. Diese Überkreuzung führt dazu, dass zum Beispiel bei einem Schlaganfall eine Schädigung der linken Gehirnhälfte Lähmungen auf der rechten Körperseite verursachen kann.
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Im Großhirn ist die Hirnrinde der linken Gehirnhälfte für die Sprache verantwortlich. Die Hirnrinde der rechten Gehirnhälfte vermittelt dem Gehirn die räumliche Stellung des Körpers, beispielsweise wo sich der Fuß gerade befindet. Der Thalamus teilt dem Großhirn unter anderem Sinneseindrücke der Haut, der Augen und der Ohren mit. Der Hypothalamus reguliert Hunger, Durst und Schlaf und kontrolliert zusammen mit der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) den Hormonhaushalt. Der Hirnstamm schaltet Informationen vom Gehirn zum Kleinhirn und dem Rückenmark um und kontrolliert Bewegungen der Augen und die Mimik. Er reguliert außerdem lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Blutdruck und Herzschlag. Das Kleinhirn koordiniert die Bewegungen und ist für das Gleichgewicht verantwortlich. Aktualisiert am 29. Dezember 2016 Erstellt am 8. Oktober 2009 Nächste geplante Aktualisierung: 2019 Schlagwörter: ADHS, Aufmerksamkeitsstörung, F90, Hyperaktivitätsstörung, Kind und Familie, Psyche und Gemüt, R46
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Glossar bipolare Störung Eine bipolare Störung ist eine ernsthafte Erkrankung, bei der die Stimmung zwischen zwei entgegengesetzten Polen schwankt. Die Stimmungswechsel gehen weit über das normale Maß hinaus: In extremen Hochphasen sind Menschen mit einer bipolaren Störung überschwänglich und euphorisch, extrem aktiv, aber auch reizbar, sprunghaft und unruhig (Manie). Diese Hochphasen wechseln sich mit extremen Tiefphasen ab, in denen Betroffene sich niedergeschlagen und wertlos fühlen. Aktivitäten fallen dann schwer, die Menschen schlafen oft schlecht und neigen zum Grübeln (Depression). Schwere Depressionen sind häufig mit Gedanken an eine Selbsttötung verbunden. Die bipolare Störung wird aufgrund dieser Phasen auch manisch-depressive Erkrankung genannt. Es gibt aber auch Mischformen, bei denen depressive und manische Symptome nicht nacheinander, sondern gleichzeitig auftreten.
Depression Eine Depression ist eine häufig vorkommende Erkrankung der Psyche, die leicht, moderat oder sehr ernsthaft sein kann. Es gibt verschiedene Arten von Depressionen, die an unterschiedlichen Anzeichen erkannt werden können. Welche Symptome im Einzelnen auftreten und wie häufig und stark sie sind, ist von Person zu Person und innerhalb der einzelnen Altersgruppen unterschiedlich. An Depressionen können Menschen aus allen sozialen Schichten, aus sämtlichen Altersgruppen sowie beiderlei Geschlechts erkranken. Wenn mehrere typische Anzeichen wie tiefe Traurigkeit, Lustlosigkeit oder Interesselosigkeit länger als zwei Wochen anhalten, kann sich eine Depression entwickelt haben.
Diagnose Mit dem Begriff Diagnose (diagnosis, griech. = Erkenntnis, Urteil) ist das Feststellen und Benennen einer Erkrankung gemeint. Die Diagnose sollte unter anderem anhand der Vorgeschichte, der vorhandenen Beschwerden und der Untersuchungsergebnisse gestellt werden. Zu den Untersuchungen gehören sowohl eine eingehende körperliche Untersuchung als auch beispielsweise die Bestimmung von Blutwerten oder apparative Untersuchungen wie Ultraschall oder Röntgen.
Generika Generika (Singular: Generikum) sind Wirkstoffkopien von meist chemisch hergestellten Original-Arzneimitteln, deren Patentschutz abgelaufen ist. Ein bekanntes Beispiel sind Medikamente, die aus dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) bestehen. Das Original-Medikament ist „Aspirin“. Seit dessen Patentschutz abgelaufen ist, wird ASS unter anderen Handelsnamen von verschiedenen Arzneimittelherstellern vertrieben. Viele Generika sind unter dem Wirkstoffnamen in Kombination mit dem jeweiligen Herstellernamen im Handel. Generika enthalten dieselben Wirkstoffe in gleicher Menge wie ihre Originalpräparate. Die Zusammensetzung der Hilfsstoffe kann sich jedoch unterscheiden. Dazu gehören zum Beispiel Füllstoffe wie Milchzucker oder Bindemittel wie Stärke, die den Medikamenten ihre Form und Konsistenz geben. Um sicherzustellen, dass Generika genauso wirken wie das Original, müssen sie ein Zulassungsverfahren durchlaufen.
kognitive Verhaltenstherapie
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Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine Behandlungsform der Psychotherapie. Ein wesentliches Ziel dieser Therapieform besteht darin, den Patientinnen und Patienten eine andere Sichtweise zu vermitteln, sie beispielsweise darauf hinzuweisen, wo ihnen vielleicht Denkfehler unterlaufen oder wo falsche Vorstellungen zu Erkrankungen beitragen. Kognitive Verhaltenstherapie kann dazu beitragen, dass Patientinnen und Patienten lernen, ihre Situation anders einzuschätzen, und so ihre Symptome als weniger quälend erleben, ihr Verhalten ändern und insgesamt an Lebensqualität gewinnen.
Nahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel sind Konzentrate aus zum Beispiel Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Ballaststoffen und / oder anderen Substanzen, die die Nahrung ergänzen sollen. Ihre Befürworter behaupten, dass sie im Körper eine bestimmte, häufig vorbeugende oder stärkende, Wirkung entfalten. Sie werden zum Beispiel als Kapseln, Tabletten, Pulver oder Ampullen angeboten. Nahrungsergänzungsmittel zählen rechtlich zu den Lebensmitteln und benötigen daher – im Gegensatz zu Arzneimitteln – keine behördliche Zulassung. Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des Bundesinstituts für Risikobewertung.
Placebo Als Placebo bezeichnet man ein Präparat ohne Wirkstoff. Es wird auch Scheinmedikament genannt. Placebos werden meist in klinischen Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten eingesetzt. Dabei werden Gruppen von Teilnehmenden verglichen, die entweder das zu testende Medikament (Verum) oder ein Scheinmedikament (Placebo) erhalten. Aber auch andere Scheinbehandlungen zu Testzwecken werden im erweiterten Sinne als Placebo bezeichnet, zum Beispiel Scheinoperationen.
Retard Retard (retardare, lat. = verzögern, verlangsamt wirkend) bezeichnet eine Arzneimittelform, bei der Wirkstoffe erst verzögert und über einen längeren Zeitraum freigegeben werden. Dies sind beispielsweise Tabletten oder Wirkstoffkügelchen in Kapseln, die einen speziellen Überzug haben, der der Magensäure längere Zeit widersteht, sodass der enthaltene Wirkstoff nur langsam freigesetzt und auch erst später in den Blutkreislauf aufgenommen wird. Dadurch setzt die Wirkung des Arzneimittels verzögert ein und hält dafür oft länger an, sodass die Einnahmehäufigkeit verringert werden kann.
Verhaltenstherapie Die Verhaltenstherapie (VT) ist ein psychotherapeutisches Verfahren, bei dem es vor allem um die konkrete Lösung von Problemen geht. Sie geht davon aus, dass Verhaltensweisen erlernt und auch wieder verlernt werden können. Indem man an bestehenden Verhaltensmustern arbeitet und sie ändert, versucht man, seelische und soziale Probleme zu lindern und zu beheben. Die Verhaltenstherapie wird häufig bei Angststörungen, Depressionen und Suchterkrankungen eingesetzt.
Weltgesundheitsorganisation World Health Organization, WHO Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) ist eine Organisation der Vereinten
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Nationen mit Hauptsitz in Genf, die sich auf internationaler Ebene mit Fragen der öffentlichen Gesundheit befasst. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, für alle Menschen weltweit eine bestmögliche Gesundheit zu erreichen. Gesundheit wird dabei als „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ verstanden. Um dies zu erreichen, entwickelt die WHO unter anderem in gesundheitsbezogenen Bereichen Leitlinien und Standards, koordiniert Aktivitäten im Kampf gegen übertragbare Krankheiten, lanciert globale Impfprogramme und analysiert weltweite Gesundheits- und Krankheitsdaten. Die WHO im Internet: http://www.who.int/en/
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