KLASSE 3/2017

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KLASSE DA S M AG A Z I N F ร R S C H U L E I N S AC H S E N

Hรถher, schneller, weiter!

Berufliche und akademische Bildung wachsen zusammen

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MELDUNGEN

Frank Haubitz ist neuer Kultusminister Das Sächsische Kultusministerium wird seit dem 23. Oktober 2017 von Frank Haubitz geführt. Der neue Staatsminister bringt eine Menge Praxiserfahrung für sein Amt mit. Über 34 Jahre arbeitete Frank Haubitz als Lehrer – 27 Jahre davon war er Schulleiter. Seit 1993 bis zuletzt leitete der Diplomlehrer für Mathematik und Geografie das Gymnasium Dresden-Klotzsche. Nach dem Studium an der Pädagogischen Hochschule Dresden unterrichtete Frank Haubitz von 1983 bis 1990 an der 105. Polytechnischen Oberschule Dresden. Von 1990 bis 1993 leitete er diese. Über die Grenzen des Freistaates war Frank Haubitz vor allem in seiner Tätigkeit als langjähriger Landes-

vorsitzender des Philologenverbandes Sachsen e.V. bekannt geworden. Seit 1998 leitete er den Berufsverband für Gymnasiallehrer und führte in dieser Funktion bundesweit bildungspolitische Debatten. Seine Zielrichtung als Staatsminister ist klar: »Ich will einfach etwas bewegen!«, sagte Frank Haubitz bei der Pressekonferenz vor seiner Ernennung. Zentrales Anliegen ist ihm die Eigenverantwortung von Schule und größere Anerkennung des Lehrerberufes. Er appellierte an seine Lehrer, gemeinsam die Kraftanstrengung des Lehrermangels zu bewältigen. Der 59-jährige Haubitz folgt auf die bisherige Staatsministerin Brunhild Kurth, die Ende September aus persönlichen Gründen zurücktrat.

IMPRESSUM Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium für Kultus (SMK), Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Carolaplatz 1, 01097 Dresden |

Redaktion: Bianca Schulz (V. i. S. d. P.), Telefon: (0351) 564 25 16, E-Mail: klasse@smk.sachsen.de, Twitter: www.twitter.com/bildung_sachsen; STAWOWY, www.stawowy-online.de | Mitarbeit in dieser Ausgabe: Carolin Wilms, Alexander Laboda, Ben Kutz, Rosalie Stephan, Annett Groh | Fotos: Benjamin Jenak, Anja Jungnickel, Daniel Scholz, Wolfgang Schmidt, Fanny Schertzer, PR (S. 4) | Logo: Robin Kaiser | Gestaltung: STAWOWY: Basti Tóth | Auflage: 40.000 Exemplare | Druck: Druckerei Vetters GmbH & Co.KG | Verteilerhinweis: Die Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. 2

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E D I TO R I A L /I N H A LT

Liebe Leserinnen und Leser, die Berufsschulzentren sind ein starkes Glied der sächsischen Bildungskette und auf einer entscheidenden Wegstrecke engagierte Partner für junge Sachsen, die nach dem Besuch der Oberschule oder dem Gymnasien in ein selbstbestimmtes Leben starten wollen. In der dualen Berufsausbildung leisten sie seit 25 Jahren einen herausragenden Beitrag für den Wirtschaftsstandort Sachsen und die Fachkräfteausbildung.

Dafür danke ich allen Lehrerinnen und Lehrern und gratuliere zu ihrem erfolgreichen Wirken!

Die KLASSE stellt Schüler, Lehrkräfte und Akteure der beruflichen Bildung vor, die neue Wege gehen: Schulleiter Gerd Siebald, der seine Schule wie ein Unternehmen führt (S. 5), und Seiteneinsteiger Dr. Stefan Hoffmann (S. 10). Viel Freude bei der Lektüre wünscht

Stanislaw Tillich Ministerpräsident des Freistaates Sachsen

Dieses Jubiläum nimmt die KLASSE zum Anlass, mit Schulleitern der ersten Stunde einen Blick zurückzuwerfen (S. 12). Mit großem Einsatz und Gestaltungswillen haben Lehrkräfte und Schulleiter zu Beginn der 1990er-Jahre den Grundstein für unsere heutige breite Berufsschullandschaft geschaffen. Die Herausforderungen sind nicht geringer geworden und haben sich doch verändert. Das Titelthema greift neue Impulse der beruflichen Bildung auf, die die Digitalisierung, der Fachkräftemangel und der Trend, einen möglichst hohen Bildungsabschluss zu erreichen, verlangen (S. 6). Die Duale Berufsausbildung mit Abitur (DuBAS) etwa ermöglicht jungen Menschen einen hohen Bildungsabschluss und bildet Fachkräfte aus, die gerade in der digitalisierten Arbeitswelt gebraucht werden.

Inhalt Wir gratulieren – Seite 4 Aus Lehrersicht – Seite 5 Ein Besuch bei Gerd Siebald von der Karl-Heine-Schule in Leipzig. Titelgeschichte – Seite 6

Welche Herausforderungen und Chancen liegen in der Digitalisierung und dem Wandel der Berufswelt?

Aus Schülersicht – Seite 11

Ein Tag in Bildern – Seite 10

Dr. Stefan Hofmann unterrichtet als Seiteneinsteiger am BSZ für Technik »August Horch« in Zwickau.

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Francesca, Felix und Lisa vom BSZTW Riesa berichten über ihre Teilnahme am Schüleraustauschprogramm Erasmus+.

Interview: BSZ-Schulleiter der ersten Stunde – Seite 12 Vier BSZ-Schulleiter erinnern sich an die turbulenten Anfangsjahre.

Infografik Berufliche Schulzentren – Seite 14

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Der KLASSE-Fragebogen – Seite 15

Robin Kaiser entwickelte das Logo zu 25 Jahre BSZ

Impressum – Seite 2

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GLÜCKWÜNSCHE

Wir gratulieren!

Dr. Jörg Dittrich I Präsident der Handwerkskammer Dresden

Christian Dahms, Generalsekretär des Landessportbundes Sachsen e. V.

Lars Seiffert, Vorstand Betrieb und Personal der Dresdner Verkehrsbetriebe AG

Dirk Baumbach, 1. Vorsitzender des Lehrerverbandes Berufliche Schulen Sachsen e.V.

Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit

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#einfachmachen – So lautet das Jahresmotto der Imagekampagne des Handwerks. Es ist auch ein Sinnbild für die langjährige konstruktive Zusammenarbeit der Beruflichen Schulzentren mit den Unternehmen des Handwerks. Gern wollen wir unsere Partnerschaft im dualen System künftig noch weiter intensivieren.

Von dualer Berufsausbildung bis zur Berufsausbildung mit Abitur (DuBAS) – Die BSZ sind seit 25 Jahren die starken Partner an der Seite unserer Ausbildungsunternehmen und sorgen in hoher Qualität für eine bedarfsgerechte Fachkräfteentwicklung in Sachsen. Vielen Dank dafür und herzlichen Glückwünsch zum Jubiläum.

Die Vereinbarkeit von Schule und Leistungssport ist Voraussetzung für sächsische Erfolge. In Zusammenarbeit mit SMK, IHK sowie anderen Partnern ist es gelungen, Athleten durch leistungssportkompatible Bildungsgänge zu fördern. Als Landessportbund bedanken wir uns ausdrücklich für diese Unterstützung und gratulieren zum Jubiläum!

Gratulation zum 25-jährigen Jubiläum! Diese Ausgabe ist den Beruflichen Schulzentren gewidmet, die Hervorragendes leisten, indem sie junge Menschen auf dem Weg zu einem Berufs- oder weiterführenden Abschluss zielführend und innovativ begleiten. Ein starkes System, das sich einer spannenden Zukunft der beruflichen Bildung stellt.

Seit Jahren ist die Berufsausbildung wichtiger Bestandteil unseres Wirkens. Gemeinsam mit den Berufsschulen hat sich die DVB auf den Weg gemacht, die Chancen junger Flüchtlinge zu verbessern und auf eine Ausbildung vorzubereiten. Denn bereits Friedrich Nietzsche wusste: »Ein Beruf ist das Rückgrat des Lebens.«

Für den Automobilbau brauchen wir junge Menschen mit starker Persönlichkeit und breiter schulischer Bildung. Sie übernehmen in diesem Prozess eine sehr große Verantwortung. Wir freuen uns auf engagierte Auszubildende und duale Studierende, die auf den hervorragenden Grundlagen aufbauen, die Sie gesetzt haben.

Das BSZ, eine Herausforderung aus drei Buchstaben, agiert am Puls der Zeit. Es ist ein einzigartiger Lernort, der von Lehrkräften getragen Vielfalt, Heterogenität und Visionäres vereint. Allen Beteiligten, die das Beste im Blick haben, dafür streiten und ihre Kraft für die junge Generation einsetzen, gebührt der Dank.

Die berufsbildenden Schulen sind die Brücke ins Arbeitsleben und zu zahlreichen Anschlussmöglichkeiten – dafür stehen die Beruflichen Schulzentren Sachsens. Wir danken den Lehrern und Ausbildern, die uns seit 25 Jahren auch die Chancen geben, mit- und voneinander zu lernen und zu wachsen.

Herzlichen Dank für die vertrauensvolle Zusammenarbeit in den vergangenen 25 Jahren. Schule und Berufsberatung verfolgen ein gemeinsames Ziel: Die Schüler bestens auf das Leben vorbereiten. Lassen Sie uns auch weiterhin die präventive Arbeit mit unseren Jugendlichen ausbauen – zum Wohle der Zukunft Sachsens.

Gratulation zu 25 erfolgreichen Jahren. Viele akademische Bildungskarrieren beginnen am BSZ. 50 % unserer Studienanfänger kommen über die Fachoberschule, ein weiterer Teil über das Berufliche Gymnasium. Insbesondere schätzen wir die praxis- und anwendungsnahe Vorbereitung der jungen Leute.

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Torsten Köhler I Geschäftsführer Bildung der Industrieund Handelskammer Dresden

Prof. Dr. phil. Roswitha ErtlSchmuck,Studiendekanin für das Höhere Lehramt an berufsbildenden Schulen der TU Dresden

Dirk Coers, Geschäftsführer Personal und Organisation der Volkswagen Sachsen GmbH

Erik Bußmann, 1. Stellvertretender Vorsitzender des LandesSchülerRates Sachsen

Prof. Dr. Friedrich Albrecht, Rektor der Hochschule Zittau/Görlitz


AUS LEHRERSICHT

Das persönliche Engagement zählt Wie leitet man ein Berufliches Schulzentrum mit über 2.000 Schülern? Gerd Siebald ist ein Urgestein in der Leipziger Schullandschaft und sagt: Man muss eine Schule führen wie ein Unternehmen. TEXT: CAROLIN WILMS KLASSE - REDAKTION; FOTO: ANJA JUNGNICKEL

Das frühere Arbeiterviertel Lindenau ist heute das Epizentrum des alternativen, künstlerischen Lebens in Leipzig. Graffiti-Schmierereien so weit das Auge reicht. Ein Gebäude nimmt sich aus. Wie ein Solitär sticht die Karl-Heine-Schule Leipzig heraus. Wäre die Schule ein Unternehmen, würde man sofort vermuten, dass es

»ICH DENKE WENIGER AN MICH, SONDERN MEHR AN DIE SCHULE.« inhabergeführt ist. Jemand hat das Heft in der Hand! Oberstudiendirektor Gerd Siebald ist der Schulleiter dieses Beruflichen Schulzentrums in Leipzig, und das seit 25 Jahren. Sein Büro zieren zwei großformatige Bilder. »Ich male«, schmunzelt der Schulleiter mit grauem Bart und dunklem Anzug. »Das macht den Kopf frei.« Eigentlich wäre er jetzt pensioniert worden. Mitte September wurde er 65 Jahre alt. Er hat verlängert. »Ich denke weniger an mich, sondern mehr an die Schule«, erklärt Siebald seinen Schritt. Fast wäre alles anders gekommen. Siebald wollte Kunst studieren. Die Eltern intervenierten. Automatisierungstechnik sollte es werden, von der Pieke auf: Berufsausbildung, NVA, Bergakademie Freiberg, Abschluss als Diplom-Ingenieur für Gießereitechnik, Pädagogikstudium an der TU Dresden und Lehrer an seiner Ingeni-

eurschule. Dort wurde er kurz nach der Wende auch Schulleiter und die Zukunftsfrage stellte sich. »Es war historisch einmalig«, erinnert sich Siebald. »Ich wurde Schulleiter des Beruflichen Schulzentrums 3 und acht weiterer Schulteile im Umkreis von 76 Kilometern.« Das alles gehörte auf einmal zu seinem Beritt. »Ich dachte, da kannste mal Ordnung reinbringen«, sagt er schmunzelnd. Man kann sich heute kaum vorstellen, wie eine solche Reorganisation ablief ohne Handy, E-Mail und mit kaum vorhandenen Strukturen. »Ich habe die Schule nicht wie eine Schule geführt, sondern wie ein Unternehmen«, umreißt Siebald seinen Ansatz, denn seine war nur auf Metalltechnik ausgerichtet. »Monostrukturen sind immer anfällig«, begründet er die Eingliederung weiterer berufsbildender Schularten in sein Schulzentrum, als sich die Möglichkeit bot. »Wir hatten damals die gestalterischen Freiheiten, Bildungsgänge zu konzipieren.« Die Erweiterung um weitere Berufsbereiche war beachtlich: Auf einmal gehörten Wirtschaft, Verwaltung, Gesundheit und Ernährung dazu. 2006 war er Schulleiter von 3.500 Schülern und 110 Lehrern. »Die Jahre haben Kraft gekostet und sicherlich auch Gesundheit«, erinnert sich Siebald, »aber es hat immer Spaß gemacht.« Sein Erfolg gibt ihm recht: Seine Schule sei ein Leuchtturm innerhalb der Beruflichen Schulzentren in Sachsen, wird ihm oft gesagt. Mit aktuell 2.000 Schülern und 92 Lehrern ist die Karl-Heine-Schule eine der großen im Freistaat und sein ganzer Stolz.

Gerd Siebald, Schulleiter der Karl-Heine-Schule in Leipzig.

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Höher, schneller, weiter Das Mega-Thema Digitalisierung beherrscht die Diskussion um die Zukunft der berufsbildenden Schulen. Die Gegenwart ist derweil oft geprägt durch den Mangel an Azubis, Lehrern und moderner Ausstattung. Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Alles hängt miteinander zusammen. TEXT: ALEXANDER LABODA, KLASSE - REDAKTION; FOTOS: BENJAMIN JENAK

Nach der ersten Frage lächelt Andreas Duesmann. Erspart ihm der Reporter durch seinen Besuch eine Unterrichtsstunde? »Ja, eigentlich hätte ich Russisch«, sagt Duesmann. Der 19-Jährige ist Schüler der Karl-Heine-Schule Leipzig. Nach dem Gespräch mit dem angehenden Industriemechaniker ist klar: Die Verschnaufpause war dem jungen Mann nur allzu sehr zu gönnen. Zeit zum Ausruhen hat Andreas Duesmann sonst wenig. Er absolviert eine Art Turbo-Ausbildung. Kommendes Jahr wird der Azubi des Leipziger BMW-Werks voraussichtlich nicht nur die Prüfung zum Industriemechaniker erfolgreich ablegen, sondern zugleich das Abiturzeugnis in der Tasche haben – und das nach nur vier Jahren. Normalerweise dauert das sechseinhalb Jahre. Möglich macht das die »Duale Berufsausbildung mit Abitur in Sachsen« (DuBAS). »Wir haben im Wechsel wochenweise Berufsschule, Ausbildung im Betrieb und Unterricht in den Abiturfächern«, erklärt Duesmann den Ablauf von DuBAS. Dabei ist geistige Flexibilität gefragt. Für das Abitur befasst sich Duesmann derzeit etwa mit der »Deutschstunde« von Siegfried Lenz und mit Vektorenrechnung. In der Berufsschule stehen Statik, Getriebe und Automatisierungstechnik auf dem Plan. Und im Betrieb geht es unter anderem um Werkzeugbau. »Das ist schon alles sportlich, man muss sich hinsetzen«, sagt Duesmann. Schulferien gibt es für die Schüler nicht, lediglich Urlaubstage. Die Zeitersparnis kommt außerdem zustande, indem Doppelungen bei der praktischen und theoretischen Ausbildung sowie in Berufsschule und Beruflichem Gymnasium vermieden werden. DuBAS-Schüler sind bisher eine seltene Spezies. Im vergangenen Schuljahr begannen nur knapp 178 junge Menschen eine solche Ausbildung – bei einer Gesamtzahl von 101.022 Schülern an berufsbildenden Schulen in Sachsen. Dennoch ist die Bedeutung von DuBAS kaum zu unterschätzen. Der neue Bildungsgang, der 2011 als Schulversuch in Leipzig, Dresden und Bautzen startete, ist eine Antwort auf gleich zwei Herausforderungen: die Digitalisierung und den Mangel an Azubis. FACHKRÄFTE FÜR DIE DIGITALISIERTE WIRTSCHAFT »Wir halten große Stücke auf DuBAS«, sagt Dr. Gert Ziener, Abteilungsleiter für Wirtschafts- und Bildungspolitik bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig. Im Blick hat er dabei zunächst die Lage auf dem Ausbildungsmarkt: »Viele junge Menschen wollen die Hochschulreife. Wir müssen die berufliche deshalb stärker an die akademische Bildung koppeln.« DuBAS bringe aber auch Fachkräfte hervor, die für die digitalisierte Wirtschaft, die Industrie 4.0, benötigt werden. »Nicht umsonst haben wir bei DuBAS ja auch mit den Informatikund Metallberufen begonnen«, erklärt Ziener. Ein Teil der Fachkräfte von morgen müsse eine höhere Qualifizierung mitbringen als heute. »Da ist es gut, wenn man Abitur und Berufsausbildung hat und danach noch draufsatteln kann.«

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Bisher können in Sachsen nur IHK-Azubis die duale Berufsausbildung mit Abitur machen. Ab 2018 sollen Lehrlinge aus dem Handwerk hinzukommen, zunächst aus dem Elektrobereich. Dr. Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, will so ebenfalls die Attraktivität der Lehre erhöhen: »Wir müssen feststellen, dass wir bislang nicht genügend adäquate Angebote für ambitionierte Bewerber haben. Wir müssen uns aber möglichst breit aufstellen. Deshalb brauchen wir mehr Durchlässigkeit zu höheren Abschlüssen«, sagt er. Zugleich müssten generell Lehrpläne aktualisiert werden, weil ständig neue Anforderungen entstehen. Auch im Handwerk wachsen die Ansprüche an Bewerber mit der Digitalisierung. Als Beispiel nennt Brzezinski die Gebäudetechnik: »Hier gibt es einen fließenden Übergang zum Thema Smart Home, also zur Vernetzung von Technik und Geräten in Haushalten. Das ist ein Bereich, in dem wir in Zukunft auch Ansprechpartner mit akademischer Bildung brauchen.«

LICHT UND SCHATTEN BEI DER AUSSTATTUNG Der Schulleiter der Karl-Heine-Schule, Gerd Siebald (siehe Porträt S. 5), widerspricht diesen Ergebnissen nicht: »Generell sind wir aber auf digitale Bildung ausgerichtet.« Bei der technischen Ausstattung könne er nicht für alle Schulen sprechen, aber auch da sei Sachsen auf einem guten Weg. Die Qualität müsse vor allem langfristig sichergestellt werden. Was Siebald damit meint, ist einen Flur weiter im PC-Pool von Lehrer Dr. Frank Müller zu besichtigen. Er unterrichtet unter anderem Computer-Aided Design, also die Erstellung von Entwürfen mithilfe von Software, etwa für Bauteile. Müller sagt: »Vor fünf Jahren hatte ich hier den modernsten PC-Pool weit und breit. Aber das ist fünf Jahre her.« Die Technik veralte rasant. Und dann gibt es die Alltagssorgen: die Wartung und Pflege der Technik. Aktuell ärgert sich Müller über eine kaputte Festplatte. »Da habe ich gegoogelt, was das für eine ist, und gesehen, dass die gar nicht für einen Dauerbetrieb wie hier an der beruflichen Schule geeignet ist«, erzählt Müller. Da werde am falschen Ende gespart. Immerhin kann Müller im Unterricht auf einen 3D-Drucker zurückgreifen. WLAN gibt es ebenfalls an der Karl-Heine-Schule.

»DER NEUE BILDUNGSGANG IST

EINE ANTWORT AUF GLEICH ZWEI PROBLEME: DIE DIGITALISIERUNG

UND DEN MANGEL AN AZUBIS.«

Doch was nützen aktuelle Lehrpläne und attraktive Abschlüsse, wenn die Ausstattung veraltet ist und digitales Lernen keine Rolle spielt? Der »Monitor Digitale Bildung«, eine kürzlich erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung, attestiert den deutschen berufsbildenden Schulen hier großen Nachholbedarf. Die Potenziale des digitalen Lernens kämen bislang kaum zur Geltung. »Innovation scheitert an mangelnden Kompetenzen und Ressourcen«, schrieben die Autoren. Alarmierend sei, dass überwiegend kein oder nur unzureichendes WLAN zur Verfügung stehe.

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Licht und Schatten – so beurteilen auch die Wirtschaftsvertreter die Lage bei der Ausstattung von Werkstätten, Laboren und PC-Kabinetten. Die Technik sei meist auf aktuellem Stand. Dennoch müsse mehr Geld ausgegeben werden: »Niemanden interessiert morgen die Ausstattung von gestern. Deshalb sehe ich


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Erstklassige technische Ausstattung am BSZ für Technik »Gustav Anton Zeuner« in Dresden: hier lernen die Schüler den Umgang mit Standard-Industrietechnik wie elektropneumatischen Steuerungen oder CNC-Fräsen und -Drehmaschinen (siehe S. 6).

einen Investitionsbedarf in Millionenhöhe«, sagt Handwerkskammer-Chef Brzezinski. IHK-Experte Ziener nennt Beispiele: »Bei WLAN und Breitbandanschlüssen ist der Status quo unbefriedigend. Und auch bei technischen Geräten zur Ausbildung müssen wir mit der Entwicklung Schritt halten. Die Vernetzung von Industrieanlagen, fortschreitende Automation, das Internet of Things – all das bildet sich in der Breite noch nicht ausreichend ab.« Handwerk und Industrie würden die Schulen bereits durch eigene Projekte, Sponsoring und Beratung unterstützen »Aber der Staat muss hier schon in Vorleistung gehen«, fordert Ziener. DRAMATISCHE LAGE BEI LEHRERNACHWUCHS Es ist eine Herausforderung, attraktive Lerninhalte und eine moderne Umgebung anzubieten. Scheitern könnten die Schulen aber an einem anderen Punkt: dem Lehrermangel. Prof. Dr. Rolf Koerber, der an der TU Dresden Lehrer an berufsbildenden Schulen ausbildet, befasst sich seit Jahren mit dem Problem. Er zeichnet ein dramatisches Lagebild: »Bis 2030 müssten wir in Sachsen jährlich zwischen 200 und 250 Lehrer an berufsbildenden Schulen einstellen. Dem stehen derzeit etwa 70 Absolventen gegenüber.« Die Ursachen dafür sind schnell benannt: Die Lehrerschaft ist überaltert, es wurden zu wenige neu ausgebildet und der Nachwuchs entscheidet sich allzu oft für Schulformen, die er aus eigenem Erleben kennt. »Die weit überwiegende Zahl unserer Abiturienten hat eben nie eine Berufliches Schulzentrum von innen gesehen«, erklärt Koerber. Rolf Koerber koordiniert an der TU Dresden ein Projekt, das auch hier einen Weg aus der Krise zeigt. Es heißt »Kooperative Ausbildung im technischen Lehramt« (KAtLA) und funktioniert ähnlich wie DuBAS. Bei KAtLA erwerben zukünftige Lehrer an berufsbildenden Schulen ebenfalls zwei Abschlüsse zugleich

in kürzerer Zeit: das 1. Staatsexamen und einen Hochschulabschluss in einer technischen Fachrichtung. Und auch hier will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: einerseits mehr Lehrer akquirieren, andererseits durch die stärkere Anbindung an die Wirtschaft besser qualifiziertes Personal hervorbringen. »Das ist auch eine Qualitätsfrage, wenn die Lehrer wissen, wovon sie reden«, sagt Koerber. Bislang beschränke sich die Berufspraxis mancher künftiger Lehrer an berufsbildenden Schulen auf Praktika. Höher, schneller, weiter – dies könnte unterm Strich das Motto für die Zukunft sein: höhere Abschlüsse, schnellere Ausbildung und weitere Investitionen ins System. Alle Experten sind sich einig, dass Ansätze wie DuBAS oder KAtLA die Richtung weisen. »Akademische und berufliche Bildung müssen wir enger zusammen denken«, sagt Rolf Koerber. DuBAS-Schüler Andreas Duesmann weiß indes noch nicht, ob er sein Abi überhaupt für ein Studium nutzen will. Falls doch, könnte er sich sogar gut vorstellen, Lehrer an berufsbildenden Schulen zu werden. »Ich habe hier an meiner Schule sehr engagierte Lehrer gehabt und einen tollen Zusammenhalt erlebt«, erklärt er seine Motivation. Eine Aussage, die für die Gegenwart und die Zukunft der Beruflichen Schulzentren in Sachsen spricht.

MEHR INFOS zur »Dualen Berufsausbildung mit Abitur« (DuBAS) auf bildungsmarkt-sachsen.de

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E I N TAG I N B I L D E R N

Klassenzimmer statt Hörsaal Dr. Stefan Hofmann, 35 Jahre, ist studierter KFZ-Techniker. Nach seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Chemnitz hat er sich entschieden, die Perspektive zu wechseln. Er unterrichtet nun keine Studenten mehr, sondern Schüler – als Seiteneinsteiger am Beruflichen Schulzentrum für Technik »August Horch« in Zwickau. KLASSE hat ihn einen Tag begleitet. TEXT: BEN KUTZ KLASSE - REDAKTION, FOTOS: DANIEL SCHOLZ

Seit dem Schuljahr 2016/2017 geht Stefan Hofmann nicht mehr allmorgendlich zur Uni, sondern in die Schule. Die Lehre hatte ihm auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Chemnitz Spaß gemacht. Als Referendar des 12-monatigen Vorbereitungsdienstes stieg er direkt mit vier Tagen pro Woche ein. Mittwochs ging es außerdem immer zur Lehrerausbildungsstätte der Sächsischen Bildungsagentur Dresden in die Landeshauptstadt.

Auf die Schüler und ihre individuellen Fähigkeiten einzeln eingehen – das gab es an der Uni nicht. Da wurde ein bestimmter Wissensstand einfach vorausgesetzt. »Die Anfangszeit war eine ziemliche Herausforderung, die didaktischen Methoden kamen dann erst mit der Zeit.« Auch die ständige Wiederholung der Inhalte war neu. »Üben, üben, üben! Daran musste ich mich erstmal gewöhnen. An der Uni sind die Studenten dafür schließlich selbst verantwortlich.«

»Nennen Sie wichtige Arbeitsschritte im Umgang mit einer Strommesszange!«, sagt Hofmann in die Runde. Gemeinsam mit der Klasse diskutiert er die verschiedenen Antworten. Das Verhältnis zu seinen Schülern sei gut. Für sie sei es mittlerweile normal, dass Hofmann von der Uni kommt. Auch die Eltern und Ausbildungsbetriebe heißen den Seiteneinsteiger willkommen. »In den Beruflichen Schulzentren sind Lehrer aus Industrie oder Hochschule keine Seltenheit«, erklärt Hofmann. »An Grundschulen sieht das bestimmt anders aus.«

Nach der Stunde holt Stefan Hofmann gemeinsam mit seiner Klasse Schulbücher – als Klassenlehrer der neuen Berufsschulklasse seine Aufgabe. Er ist auch dafür verantwortlich, Klassenund Notenbuch auf aktuellem Stand zu halten. Stört das den Neu-Lehrer? »Der Verwaltungsaufwand gehört nun mal dazu. Als Klassenlehrer habe ich ein engeres Verhältnis zu den Schülern, was den Unterricht ungemein vereinfacht.«

Elektrische Schaltungen aufbauen und im praktischen Unterricht Sachverhalte erklären macht Hofmann Spaß. Er bereut es nicht, den Umstieg gewagt zu haben. Auch für andere empfiehlt er den Einstieg in den Lehrerberuf. Viele benötigte Fähigkeiten würden sich im Laufe der Zeit entwickeln. »Geduld und Engagement sind besonders wichtig.« Lediglich eines vermisst er: »Die Zeit konnte ich mir in meinem alten Job viel freier einteilen. Das geht nun natürlich nicht mehr.«

MEHR INFOS zur Qualifizierung für den Seiteneinstieg in den Lehrerberuf auf www.lehrerbildung.sachsen.de/15764.htm 10

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AUS SCHÜLERSICHT

Lisa, Felix und Francesca (v. l. n. r.) vom BSZTW Riesa haben am Schüleraustauschprogramm Erasmus+ teilgenommen.

Am Anfang war der Austausch Eine eigene Ausstellung designen, ein Stahlwerk in Italien besuchen und Zeitzeugen interviewen und ganz nebenbei Englisch lernen: Was zunächst nicht nach klassischem Unterricht klingt, war dieses Jahr am Beruflichen Schulzentrum für Technik und Wirtschaft Riesa (BSZTW Riesa) dennoch möglich - dank des EU-Programms Erasmus+. TEXT: BEN KUTZ KLASSE - REDAKTION, FOTO: DANIEL SCHOLZ

Gusseiserne Ambosse, Aufsteller mit vielen Bildern und Texten über die Stahlherstellung sowie Gemälde mit flüssigem Eisen: All dies zeigt die Ausstellung »Am Anfang war das Eisen« im Riesaer Stadtmuseum. Gestaltet wurde sie von den Schülern des BSZTW Riesa. Francesca, Felix und Lisa besuchen die 13. Jahrgangsstufe. In den vergangenen zwei Jahren waren sie Teil eines Erasmus+-Projektes. Das EU-Programm fördert den Austausch von europäischen

EIGENE AUSSTELLUNG, EIGENER FILM, EIGENE BROSCHÜRE Jugendlichen. Das BSZTW Riesa kooperiert mit einer Schule in der italienischen Stadt Lonato am Gardasee. Beide Städte sind durch die Stahlindustrie geprägt, die in dem Schulprojekt aufgearbeitet wurde.

Highlight für die Schüler war eine Fahrt nach Italien. »Wir konnten neue Freundschaften knüpfen. Mit einigen bin ich immer noch regelmäßig im Kontakt«, berichtet Lisa. Der Erasmus+-Aufenthalt in Lonato war für die Schüler ein Highlight. Francesca schwärmt von den tollen Abendessen in den Gastfamilien, aber auch vom Kennenlernen der italienischen Partnerschule und dem interessanten Besuch des Stahlwerks. Ergebnis der Kooperation waren neben der Ausstellung auch eine zweisprachige Broschüre sowie ein 45-minütiger Film mit Zeitzeugen-Interviews. Über die Interviews sagt Felix: »Früher war das Werk für mich hier in Riesa einfach nur groß und dreckig. Endlich verstehe ich, warum das Stahlwerk für viele Menschen so wichtig ist.« Lisa erinnert sich, dass die Leute gar nicht aufhören wollten, von früher zu erzählen. »Diese Stimmung kann kein Lehrer vermitteln, da muss man an die Zeitzeugen ran!« Auch die italienischen Schüler führten Interviews mit ehemaligen Arbeitern in Lonato. Die Zusammenarbeit an

dem gemeinsamen Film war für Lisa, Francesca und Felix besonders spannend, weil die Kommunikation weitestgehend auf Englisch ablief. »Durch Sprechen lernt man die Sprache einfach besser als durch das Textübersetzen im Unterricht«, findet Felix. Man müsse auch keine Angst vor Fehlern haben, ergänzt Lisa. Im November wandert die Ausstellung vom Stadtmuseum ins Kultusministerium in Dresden. Ab Mai 2018 sind die zweisprachigen Tafeln und andere Exponate dann in Lonato zu sehen. Die Schüler sind dankbar, diese Möglichkeit in ihrer Schulzeit gehabt zu haben. Nicht zuletzt Schulleiter Michael Hampsch und andere engagierte Lehrer hätten daran Anteil gehabt. »Da können sich andere Schulen noch eine Scheibe davon abschneiden«, sind sich die Schüler einig. MEHR INFOS zum EU-Programm Erasmus+ unter: www.erasmusplus.de

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INTERVIEW

»Wir waren den Schülern nur ein kleines Stück voraus« 25 Jahre Berufliche Schulzentren in Sachsen – da ist es Zeit für einen kleinen Rückblick. Vier Schulleiter der ersten Stunde erinnern sich an die turbulenten Anfangsjahre. KLASSE - REDAKTION, FOTOS: BENJAMIN JENAK, WOLFGANG SCHMIDT

E Was ist das erste, das Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie an die 90er-Jahre zurückdenken? Elke Schneider: Dass wir den Schülern eigentlich nur ein kleines Stück voraus waren. Ich war damals an einer kaufmännischen Schule, und wir mussten alles komplett umstellen. Aber man konnte relativ frei gestalten, weil viele Regeln und Verwaltungsvorschriften noch nicht existierten.

Michael Hampsch: Das Mitleid wich aber sehr schnell einer großen Anerkennung, wie wir mit weniger Möglichkeiten als im Westen eine sehr gute Bildungsarbeit geleistet haben.

Wolfgang Gössel: In Hoyerswerda haben wir den ersten Neubau eines Beruflichen Schulzentrums nach der Wende in Sachsen errichtet. Vorher fand der Unterricht teilweise in Baracken statt. Als wir bauten, gab es noch keine Schulbaurichtlinie, sondern nur Orientierungen. Wir hatten also für den Neubau viel Gestaltungsfreiheit. Die Eingangshalle in unserer Schule zum Beispiel wäre heute aus finanzieller Sicht sehr diskussionswürdig.

Elke Schneider: Die Lehrgänge waren eine sehr schöne Erfahrung, weil die Kollegen aus den Altbundesländern uns frei und offen erklärt haben, was auf uns zukommt. Ich habe 1992 als Schulleiterin angefangen, vorher war ich in keiner Führungsposition, sondern Lehrerin. Aus dieser Zeit resultierte ein starker Zusammenhalt unter den Schulleitern, von dem ich auch heute noch profitiere: dass man sich untereinander anruft und Erfahrungen austauscht.

Andreas Bidmon: Mir ist aus den 90ern ganz viel Bewegung in Erinnerung geblieben. Ich war seit 1989 Schulleiter einer kleinen Betriebsberufsschule in Torgau. 1992 ist sie mit vier weiteren Betriebsberufsschulen zu einem Beruflichen Schulzentrum zusammengeführt worden. Wir entschieden damals, das Profil möglichst breit auszurichten. Bis 1995 sind wir jährlich bestimmt drei oder viermal zu Partnerschulen in die alten Bundesländer gefahren. Sie haben uns nicht nur mit Lehrplänen und Materialien geholfen, sondern auch mit Ausstattung. Ich weiß nicht, wie viele zehntausend Kilometer im Jahr wir auf der Autobahn zugebracht haben. Die Partnerschulen waren auch bei uns zu Gast und haben sich alles angeschaut. Und ich weiß noch, wie sie immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch unsere Schulen gegangen sind.

Michael Hampsch: Es war für uns aber auch eine Herausforderung, denn wir wussten, dass sich dort unser weiterer beruflicher Werdegang entscheidet.

Wolfgang Gössel: Ich erinnere mich noch an die vielen Schulungen. Als Neuschulleiter wurden wir alle intensiv auf unsere neuen Aufgaben vorbereitet.

»WIR HABEN MIT DER DUALEN BERUFSAUSBILDUNG DAS BESTE SYSTEM FÜR BERUFLICHE BILDUNG WELTWEIT.«

E Was bedeutete das Lächeln? Andreas Bidmon: Das Lächeln hieß so viel wie: Donnerwetter, was die in solchen einfachen Verhältnissen hinkriegen – Hut ab! Ich glaube, sie haben uns ein bisschen bemitleidet. 12

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Andreas Bidmon: Ich denke noch heute oft daran zurück. Ein alter Schulleiter aus Baden-Württemberg sagte damals zu uns: »Führen heißt für mich: begeistern und Visionen haben, mehr nicht.« Wenn wir heute reflektieren, was von einem Schulleiter erwartet wird, dann reicht ein A4-Blatt nicht aus, um alles aufzuschreiben. Michael Hampsch: Es gibt Schulleiter – früher, heute, und wohl auch in Zukunft – die die Schule »verwalten«, indem sie das tägliche Geschäft am Laufen halten. Es gibt aber auch andere, die nicht nur verwalten, sondern gestalten wollen. Das sind die Kreativen mit Visionen. Wolfgang Gössel: Gestalten heißt, Bestehendes zu verändern. Man muss versuchen, auch die mit ins Boot zu holen, die das


INTERVIEW

Wolfgang Gössel (*1953) ist seit 1992 Schulleiter am BSZ »Konrad Zuse« Hoyerswerda.

Elke Schneider (*1960) war ab 1992 Schulleiterin am BSZ für Technik und Wirtschaft »Julius Weisbach« Freiberg. Seit 2005 leitet sie das BSZ für Ernährung, Gastgewerbe, Gesundheit Chemnitz.

Bestehende für ausreichend halten. Es ist illusorisch, alle erreichen zu wollen. Aber eine Mehrheit, die dann mitzieht, sollte man doch erreichen. Ich habe gute Erfahrungen mit dem Ansatz »von Betroffenen zu Beteiligten« gemacht. E Welche Unterschiede bestehen zwischen den Schülergenerationen von damals und heute? Michael Hampsch: Dass früher alles besser war – also auch die Schüler –, das würde ich so nicht unterschreiben. Jede Zeit hat andere Herausforderungen. Elke Schneider: Die Schüler damals haben alles mitgemacht, was man ihnen gesagt hat. Zum Beispiel, wenn sie länger arbeiten sollten oder andere Aufgaben übernehmen mussten. Heute sind die Schüler da kritischer und hinterfragen: Muss ich das tun? Sie sind viel selbstbewusster und kennen auch ihre Rechte wesentlich besser. Allerdings vergessen sie ab und zu auch mal ihre Pflichten. Andreas Bidmon: In meiner Wahrnehmung haben die jungen Leute von heute ein Problem, mit der unendlichen Freiheit umzugehen, die ihnen zur Verfügung steht. In den Wendejahren gab es sehr klare Zielvorstellungen – auch für junge Erwachsene. Heute gibt es nicht wenige Leute – auch an meiner Schule – die den zweiten oder dritten Beruf erlernen. Das kann gut sein, ist es aber sicher nicht in jedem Fall. E Wie können denn die Schulen die Jugendlichen dabei unterstützen, mit Freiheit umzugehen? Andreas Bidmon: Das ist schwierig. Wir wollen den jungen Leuten natürlich ihre Freiheit lassen. Wolfgang Gössel: Das Beste ist immer, den Schülern das, was man verlangt, auch selbst vorzuleben. Aber wir haben ja nicht nur Jugendliche, sondern auch Umschüler, die bereits 30 oder 40 Jahre alt sind.

Michael Hampsch (*1955), Schulleiter seit 1989, leitete ab 1992 das BSZ Großenhain. Seit 2006 ist er Schulleiter am BSZ für Technik und Wirtschaft Riesa.

Andreas Bidmon (*1957) leitete ab 1992 das BSZ Torgau und ist seit 2010 Schulleiter der Ruth-Pfau-Schule BSZ der Stadt Leipzig für Gesundheit und Sozialwesen.

mit Italien und Polen an. Durch Erleben, Einsicht und das Sammeln eigener Erfahrungen werden die Kompetenzen der Schüler gestärkt. Andreas Bidmon: Erasmus+ und Schüleraustausch sind in meinen Augen gute Dinge, um den Jugendlichen – und auch den Erwachsenen! – die Augen zu öffnen. Elke Schneider: Das funktioniert auch in die andere Richtung. Wir hatten Konditorenschüler aus Frankreich zum Austausch hier. Was ihnen bei uns sehr gut gefiel, war das Kennenlernen der betrieblichen Abläufe. In Frankreich besuchen die Berufsschüler drei Jahre lang eine Schule und gehen anschließend erst in den Betrieb – ähnlich zur Berufsfachschule bei uns. Aber ich finde es für die Auszubildenden wichtig, auch eine betriebliche Hierarchie kennenzulernen, um diesen »Glashauseffekt« zu vermeiden. Denn die wirklichen betrieblichen Abläufe sind ja doch immer etwas anders als die in der Theorie. In Deutschland ist die Verbindung von Theorie und Praxis sehr gut gestaltet. Michael Hampsch: Wenn wir über den Tellerrand hinausschauen, so haben wir mit der dualen Berufsausbildung das beste System für berufliche Bildung weltweit. Das ist nicht einfach nur eine These, sondern wird auch durch Werte belegt. Internationale Untersuchungen werfen Deutschland immer vor, dass der Anteil der Abiturienten und Studierenden im Vergleich zu anderen Ländern zu gering sei. Dabei sind die Abschlüsse nicht 1:1 vergleichbar: Ein Diplom ist in Portugal etwas anderes als in Deutschland. In Italien gelte ich automatisch als Professor – was ich aber nicht bin. Wenn man dazu die Jugendarbeitslosigkeit betrachtet, dann hat Deutschland zusammen mit der Schweiz und Österreich die niedrigste Quote in Europa. Das haben wir der dualen Berufsausbildung zu verdanken.

Michael Hampsch: Wir können sie vielleicht lehren, mit den Freiheiten anders umzugehen. Unser BSZ in Riesa bietet seit 2008 regelmäßig internationale Projekte wie Schüleraustausch KLASSE

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RECHT UND ORDNUNG

WAS SIND BERUFLICHE SCHULZENTREN? Berufliche Bildung kennt zahlreiche Möglichkeiten, wie ein Ziel erreicht werden kann. Hier ein Überblick zu den BSZ in Sachsen. SCHÜLERVERTEILUNG AN BSZ IN SACHSEN 2016/17 NACH BERUFSBILDENDEN SCHULARTEN: BERUFSSCHULE BERUFSFACHSCHULE FACHSCHULE BERUFLICHES GYMNASIUM FACHOBERSCHULE

56,7 19,8 9,8 7,9 5,8

101.022 SCHÜLER % % % % %

5.337 KLASSEN

253 BERUFSBILDENDE SCHULEN IN ÖFFENTLICHER UND FREIER TRÄGERSCHAFT

DURCHSCHNITTSALTER 21 JAHRE SCHÜLERINNEN 48,5 % SCHÜLER 51,5 %

5.861 LEHRPERSONEN

QUELLE: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Kamenz, März 2017

Um ein bedarfsgerechtes und flächendeckendes Bildungsangebot zu sichern, sind die verschiedenen berufsbildenden Schularten in Berufliche Schulzentren (BSZ) zusammengefasst. Die Berufsschule als Kernstück der beruflichen Bildung ist an jedem BSZ eingerichtet. Aber was sind die Bildungsziele an einem BSZ? Und welche Ausbildungsberufe haben die meisten Abgänger?

BERUFLICHE AUSBILDUNG (AN DER BERUFSSCHULE UND BERUFSFACHSCHULE)

Friseur

Physiotherapeut

Industriekaufmann

Mechatroniker staatlich geprüfter Sozialassistent Kaufmann im Einzelhandel Ergotherapeut Fachkraft für Lagerlogistik

BERUFSAUSBILDUNGSVORBEREITUNG UND BERUFLICHE GRUNDBILDUNG (AN DER BERUFSSCHULE)

Verkäufer

Industriemechaniker

STUDIENQUALIFIKATION (AM BERUFLICHEN GYMNASIUM UND AN DER FACHOBERSCHULE)

Staatlich anerkannter Erzieher

Staatlich geprüfter Techniker

Zahnmedizinischer Fachangestellter

Zerspanungsmechaniker

DOPPELQUALIFIKATION: BERUFLICHE AUSBILDUNG UND STUDIENQUALIFIKATION (AM BERUFLICHEN GYMNASIUM UND AN DER FACHOBERSCHULE)

Kaufmann im Groß- und Außenhandel

Gesundheits- und Krankenpfleger

Bürokaufmann KFZ-Mechatroniker

Altenpfleger

Koch

BERUFLICHE WEITERBILDUNG (AN DER FACHSCHULE)

HISTORISCHE VORLÄUFER VON BERUFLICHEN SCHULZENTREN

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SONN- UND FEIERTAGS-

FORTBILDUNGSSCHU-

LEHRWERKSSTÄT-

GEWERBESCHU-

BETRIEBSBERUFSSCHULEN

SCHULEN SEIT 1780:

LEN SEIT 1870:

TEN SEIT 1878:

LEN SEIT 1888:

IN DER DDR SEIT 1946:

Nach dem Abgang von

Die Fortbildungsschulen

Im Zuge der Industrialisierung

Die Schulen zur beruflichen

Neben kommunalen Berufsschu-

der Volksschule wurden die

etablierten sich als zweiter

wurden in den Fabriken

Bildung differenzierten sich

len bildeten auch die Betriebe

Jugendlichen weitergebildet.

Lernort. Der Grundstein

Fertigkeiten gefragter,

weiter für die verschiede-

in der DDR Lehrlinge aus. Dazu

Der Unterricht wies aber nur

für das heutige duale

die jeder Betrieb seinen

nen Wirtschaftszweige.

gehörten oft eine Lehrwerk-

wenig berufliche Bezüge auf.

System war gelegt.

Mitarbeitern näherbrachte.

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statt und ein Wohnheim.


FR AGEBOGEN

»Freunde, Freizeit und Sorgenlosigkeit« Was macht einen guten Lehrer aus? Und einen guten Schüler? Mit dem KLASSE-Fragebogen bitten wir interessante Personen, uns einen Einblick in ihre persönlichen Lernerfahrungen zu geben. ANTWORTEN: ROBIN KAISER

Als ich klein war, wollte ich: viele Süßigkeiten und ganz viel draußen spielen. Meine Eltern wollten, dass ich: später im Leben glücklich bin. Als Schüler war ich gut in: Mathe, Bio und Informatik. Heute bin ich gut in: Kommunikation und Design. Mein liebstes Schulfach war: Mathe, weil man da nie etwas auswendig lernen musste. Das Schulfach, das ich überhaupt nicht mochte, war: Deutsch und Kunst, weil beide Lehrer keine Begeisterung für ihr Fach mitbrachten.

Das hat mich in der Schule am meisten genervt: wenn Lehrer die Freizeit mit Hausaufgaben überschwemmt haben.

Das hat mir an der Schule am besten gefallen: Freunde, Freizeit und die Sorgenlosigkeit in dieser Zeit.

Ein guter Lehrer: kann ein Thema auf verschiedenste Arten erklären und es jedem Schüler

verständlich machen, reduziert Hausaufgaben auf ein Minimum und konzentriert sich auf die Stärken seiner Schüler.

Ein guter Schüler: ist pünktlich und respektiert die Lehrer für ihre Arbeit. In meinem Leben will ich noch: viel lernen. Man hat nie ausgelernt und stellt täglich neue Fragen, auf die man Antworten findet.

Am besten kann ich mich konzentrieren, wenn: ich schnelle, laute Musik höre und ungestört bin.

Mein Lieblingsbildungsort ist: das Internet. Von Wikipedia über Foren bis zu Dokumentationen findet man hier auf jede Frage Antworten.

Wenn ich meinen Beruf noch einmal wechseln würde: trotzdem weiter »was mit Computern« machen, wie ich es auch jetzt schon meinen Großeltern erkläre.

Als Ausgleich zu meiner Arbeit: bin ich mit meiner Freundin viel in der Stadt und in der Natur zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs.

Ich verlasse nie das Haus ohne: Smartphone. Man weiß nie, wann man es in einem Notfall

ROBIN KAISER (21) hat 2017 am BSZ e.o.plauen seinen Abschluss als »staatlich geprüfter Kommunikationsgestalter« gemacht. Seit Juli 2017 arbeitet er im Bereich Konzeption und Design der Agentur eckpunkt in Reichenbach. Das Logo für den Wettbewerb entwickelte er als Schülerarbeit, angeregt durch seine Lehrerin Kerstin Querengässer. Zur Entstehung des Logos: »Die Idee dazu basiert auf Geometrie. Ich wollte einen möglichst dynamischen und frischen Schriftzug entwickeln und kombinierte dafür gerade Linien und Halb- bzw. Viertelkreise.« Die farbliche Gestaltung orientiert sich am sächsischen Wappen.

mal wirklich braucht.

Meine Kollegen/Freunde sagen von mir, dass ich: die menschliche Version von Wikipedia bin. Oft werde ich gefragt, bevor gegoogelt wird.

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h c i s n a m n n a k n e g Kolle ! b o d n U ? n e k c a b nicht

Es liegt auch in Ihrer Hand: Der Generationenwechsel in den sächsischen Lehrerzimmern wird dann gelingen, wenn sich geeignete Abiturienten für einen Lehramtsstudiengang in den besonders benötigten Schularten und Fächern entscheiden. Sie, als ihre heutigen Lehrer, können diese Talente am besten

erkennen. Für am Lehrerberuf interessierte Schüler Ihrer Schule besteht die Möglichkeit, das Seminar „Lehrer – ein Traumberuf für mich?“ der SBA an Ihre Schule zu bestellen. Bitte bauen Sie mit an den Lehrerkollegien von morgen! Weitere Informationen finden Sie unter Lehrer-werden-in-Sachsen.de


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