FRIZZ - Das Magazin für Darmstadt - 5 / 2020 - Ausgabe 446

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Piazza della Loggia mit dem Palazzo Loggia, Brescia

Laura Castelletti mit Jochen Partsch

„Wir brauchen eine Phase Zwei“ Unterstützung für Brescia INTERVIEW: BENJAMIN METZ | FOTOS: COMUNE DI BRESCIA

W Die Corona-Pandemie hat Italien in

seine schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt. Vor allem die langjährige Darmstädter Partnerstadt Brescia in der Lombardei ist von Covid-19 schwer betroffen. FRIZZmag sprach mit der stellvertretenden Bürgermeisterin Laura Castelletti. FRIZZmag: Am 30. Januar dieses Jahres rief die WHO aufgrund der Ausbreitung von Covid-19 in der chinesischen Region Wubei die „internationale Gesundheitsnotlage“ aus. Ab wann war Ihnen und Ihren Kolleg*innen klar, dass diese Ansage auch auf Europa und Italien Auswirkungen haben wird? Laura Castelletti: Leider haben wir es sehr spät gemerkt. Zu viele Tage lang wurde die Bedeutung und Ansteckungsgefahr des Virus nicht verstanden und nicht kommuniziert. Erst Anfang März konnten die nationalen Gesundheitsbehörden, die Region Lombardei, die für die Gesundheit territorial zuständig ist, und die italienische Regierung die erforderlichen Maßnahmen und Vorschriften einleiten. Die Wahrheit ist, dass wir – wie viele andere Länder der Welt – unvorbereitet waren. Es ist jedoch kein mildernder Umstand, unter anderen Ländern zu sein, einen solchen Fehler zu machen, geschweige denn ein Trost.

Der Anstieg der Infektionszahlen verlief vor allem in Norditalien rasant. Worin lagen hierfür, rückblickend, Ihrer Meinung nach die Gründe? 4 MAG_PEOPLE_052020.indd 4

Das Virus breitete sich sehr schnell aus und die Ostlombardei war dabei das Epizentrum. Die Ansteckung begann in diesem Gebiet und nahm schnell zu, weil, wie erwähnt, zu Beginn kein klares Bewusstsein für die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, bestand. Die betroffene Region ist ein dicht besiedeltes Gebiet mit hoher Mobilität mit vielen Unternehmen, vielen Pendlern und einer sehr aktiven Landwirtschaft. Darüber hinaus haben wir in diesem Bereich ausgezeichnete Krankenhäuser und Gesundheitszentren, die zu Beginn selbst zu Orten der Ansteckung wurden. Tatsächlich ist eines der schmerzhaftesten Kapitel dieses dramatischen Ereignisses die hohe Anzahl kranker Beschäftigter im Gesundheitswesen. Viele Ärzte starben.

Ab dem 10. März verkündete Ministerpräsident Conte Ausgangsbeschränkungen. Wie haben die Bürger in Brescia auf diese Anordnungen reagiert? Die Bürger von Brescia hielten sich sofort loyal und streng an die Regeln, um ihre eigene Gesundheit und die anderer Menschen zu schützen. Leider waren diese Maßnahmen nicht ausreichend, da die Gesundheitsbehörden der Lombardei nicht genügend getestet hatten, sodass es keine ausreichende Information über die Anzahl der Infizierten und ihres familiären Umfelds gab.

Die Ausgangsbeschränkungen gelten nun schon seit dem 10. März und sollen ab dem 3. Mai langsam zurückgenommen

werden. Wie gehen die Menschen mit dieser langen Isolation um? Die Ausgangsbeschränkungen sind mit einem lobenswerten Verantwortungsbewusstsein einhergegangen, aber auch mit so viel und verständlichem Leid. Für diejenigen, die alleine in sozialer Isolation leben, schafft es einen Zustand der Einsamkeit. Und selbst für diejenigen, die diese Wochen mit ihren Familienmitgliedern verbringen können, ist die Abwesenheit von Freunden, Arbeit, Training, Spiel, also dem ganz normalen täglichen Leben, eine schmerzhafte Erfahrung. Neben dem Beziehungs- und Kontaktverbot haben die Menschen Angst um ihre Gesundheit, aber auch um die wirtschaftliche Situation ihrer Familien und ihres Landes. Dies ist ein wirklich hoher psychologischer Druck, das Überleben ist schlichtweg bedroht. Die italienische Regierung stellte Mittel für den Kauf von Grundbedürfnissen bereit. Dank der Solidarität vieler Bürger und Unternehmen hat die Gemeinde einen speziellen Solidaritätsfonds eingerichtet, um den Bedürfnissen dieser Menschen gerecht zu werden. Es ist wirklich sehr schwer.

In der Hochphase waren aus der Lombardei dramatische Bilder zu sehen, beispielsweise Militärfahrzeuge, die Verstorbene aus den Kliniken abtransportierten. Das müssen auch für Sie als stellvertretende Bürgermeisterin sehr schwere Tage gewesen sein. FRIZZ MAG | #446 | MAI 2020

28.04.20 08:24


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