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INTERVIEW
TOKIO, WIR KOMMEN!
Sport in Zeiten von Corona – auch über der Bundesliga-Saison der MT Melsungen liegt der Schatten der Pandemie: Spieler in Quarantäne und Spiele ohne Zuschauer. Wir haben – unter Einhaltung der Hygienevorschriften – eine Trainingseinheit besucht und mit den Spielern Timo Kastening, Julius Kühn und Finn Lemke über die Hoffnung auf die Rückkehr zur Normalität in Zeiten der Pandemie, die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio und ihre Wünsche für die Zukunft gesprochen.
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Wie erlebst du die aktuellen Spiele? Was fehlt dir am meisten?
Timo Kastening: Wir sind sehr glücklich, überhaupt spielen zu dürfen und unserer Leidenschaft, die zugleich unseren Beruf darstellt, nachgehen zu können. Trotzdem ist es ohne Fans, die Kontakte, die Atmosphäre und alles, was den Handballsport ausmacht, nicht dasselbe. Julius Kühn: Mittlerweile hat man sich sogar fast schon dran gewöhnt, dass es alles Geisterspiele sind. Wir schauen in der Kabine schon immer ganz verwundert, wenn wir für die Spielvorbereitung bei dem Videostudium Zuschauer in der Halle sehen. Daher ist es auch genau das, was uns am meisten fehlt. Die Zuschauer in der Halle. Finn Lemke: Die Spiele erlebe ich mittlerweile als ganz normal, dass sie ohne Zuschauer stattfinden. Aber natürlich fehlen die vollen Ränge und ich hoffe sehr, dass sie bald wieder gefüllt sein dürfen.
Eure Fan-Aktion „Und plötzlich steht ein Nationalspieler vor der Tür“ ist gut angekommen: Wie hast du den Besuch erlebt?
Julius Kühn: Es war sehr schön, sich seit langer Zeit mal wieder mit Fans persönlich unterhalten können und zu erfahren, wie sie gerade diese schwere Zeit erleben und auch unsere Spiele verfolgen. Dabei vertreten allerdings alle dieselbe Ansicht, dass es in der Halle aber doch mehr Spass macht, als nur vor dem Fernseher zu sitzen. Finn Lemke: Der Besuch bei Familie Sinning war sehr herzlich und es hat mich gefreut, mal wieder sozialen Kontakt mit den Fans zu haben. Auch die Familie hat sich so gefreut, also war die Aktion ein Volltreffer. Uns ist die Nähe zu unseren Fans sehr wichtig.
Wie groß ist deine Hoffnung, dass in dieser Saison noch Fans in die Rothenbach-Halle kommen dürfen?
Timo Kastening: Leider ist die Hoffnung nicht mehr sehr groß, wenn man sieht, wie sich die aktuelle Lage entwickelt ... die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, aber ich denke, diese Saison wird das wohl leider nichts mehr. Julius Kühn: Mittlerweile glaube ich schon nicht mehr daran. Die Zahlen der Pandemie sind weiterhin unvorhersehbar und bevor es kein geregeltes Leben im Alltag gibt, werden wohl leider auch keine Fans in den Hallen zugelassen. Finn Lemke: Die Hoffnung ist da und sehr groß, allerdings sieht die Realität anders aus und ich denke, es wird in dieser Saison keine Zuschauer mehr in den Hallen geben.
Die städtischen Sportanlagen haben seit Kurzem wieder geöffnet. Warum ist das für Sportler und Vereine so wichtig?
Timo Kastening: Ich glaube, sportartenübergreifend ist es sehr wichtig, dass man wieder zusammen trainieren sollte und auch darf. Gerade die Kinder und Amateur-Vereine bilden die Basis für alles, was den Sport ausmacht. Durch Corona besteht die Gefahr, dass uns die Basis wegbricht, Kinder nicht mehr in die Halle oder auf den Sportplatz kommen und Vereine nicht mehr genügend Sportler für ihre Mannschaften haben. Das wäre eine Katastrophe – also ist das für mich persönlich sehr wichtig. Julius Kühn: Es ist natürlich schön, wenn man wieder langsam seinen Hobbys nachgehen kann. Ich glaube, für jeden einzelnen Bürger ist es mittlerweile grauenhaft, den ganzen Tag nur noch Zuhause zu sein. Aber man darf auch weiter-
hin nichts überstürzen, da wir uns immer noch mitten in der Pandemie befinden. Wichtig ist es aber auch für die Vereine, dass man wieder Sport treiben darf, da sonst gerade diese von dem Aussterben bedroht sind. Finn Lemke: Es freut mich für alle, die wieder ihrem Sport nachgehen können, und dass der Sport wieder belebt wird!
Deutschland buchte mit dem 34:26-Sieg gegen Algerien das Olympia-Ticket und beendete das Qualifikationsturnier in Berlin mit 5:1 Punkten. Was bedeutet dir die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio?
Timo Kastening: Die Teilnahme in Tokio, sofern ich gesund bleibe, nominiert werde und Olympia auch wirklich stattfindet, wäre ein großer Traum von mir. Es ist das Größte als Sportler, einmal bei Olympia gewesen zu sein, und diesen Traum würde ich mir und der gesamten Mannschaft im Sommer gerne erfüllen! Julius Kühn: Die olympischen Spiele sind ein Kindheitstraum eines jeden Sportlers und für mich ist es das größte Sportereignis, das man erreichen kann. Dementsprechend war die Erleichterung bei uns sehr groß, nachdem wir es geschafft hatten. Da ich schon bei den olympischen Spielen in Rio 2016 dabei war, weiß ich, welche riesen Bedeutung so ein Turnier für eine Karriere haben kann.
Nach dem Auftauchen eines Drohbriefes an Bundestrainer Alfred Gislason ist die Handball-Welt fassungslos und zeigt deutlich Flagge gegen Rassismus und jegliche Form der Ausgrenzung. Was war deine erste Redaktion? Was macht dich wütend?
Timo Kastening: Im ersten Moment war ich sehr überrascht und im zweiten Moment hat man gleich gesehen, was das für eine große Solidaritätswelle hervorgebracht hat. Sowas ist nicht zu tolerieren oder zu akzeptieren und ich fand es schön, wie der Handball und auch die gesamte Sportwelt zusammengestanden ist und Alfred unterstützt hat. Julius Kühn: Im ersten Moment war ich auch schockiert und hätte nie damit gerechnet, dass es sowas mittlerweile auch im Handball gibt. Wir alle haben aber Alfred unsere volle Rückendeckung zugesprochen und stehen als Einheit hinter ihm. Für Rassismus ist bei mir kein Platz. Finn Lemke: Fassungslosigkeit über die Engstirnigkeit einer Person. Rassismus ist leider immer noch ein großes Thema in unserer Bundesrepublik und das sollte es nicht sein. Mich macht wütend, dass jetzt ein großer Aufschrei stattfindet, aber langfristig aus Empörung kein Engagement wird.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Timo Kastening: Für die Zukunft wünsche ich mir, wie wahrscheinlich so ziemlich jeder momentan, das normale Leben vor Corona, mit Gesundheit und Spaß am Leben. Volle Hallen, geöffnete Restaurants und große Familienfeiern. Damit wäre ich sehr zufrieden. Julius Kühn: Dass wir es irgendwann wieder zu einem normalen Leben zurückschaffen und dabei möglichst viele Menschen gesund bleiben. Finn Lemke: Ich wünsche mir für die Zukunft Gesundheit für alle Menschen und dass die Pandemie hoffentlich bald keine große Rolle mehr in unser aller Leben spielen wird.
›› www.mt-melsungen.de