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INTERVIEW
MURDER OF MAGPIES
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Das sind Tamara, Sofie und Hanna.
In der Werbung und in Produktbeschreibungen ist bei der Angabe „3 in 1“ immer Vorsicht vor vollmundigen Versprechungen geboten. Nicht so bei Murder of Magpies, die sich in den vergangenen Monaten von Konzert zu Konzert ein immer größeres Publikum erspielt haben. 2022 könnte „ihr Jahr“ werden. Am Ende ihrer Sommer-Konzerte, die sie bei stets gutem Wetter durch die schönsten Kasseler Open Air Locations inklusive einem Auftritt beim Freiluft-Projekt auf der Unteren Königsstraße führten, war auch dem letzten Zweifler klar, dass Murder of Magpies „das nächste große Ding“ aus Kassel werden kann. Genau so wurden sie dann auch vom Dock 4-Chef Marco Krummenacher beim Abschlusskonzert im Innenhof des Kulturhauses angekündigt. Der gebürtige Schweizer, ehemaliger Absolvent der F+F Schule für experimentelle Gestaltung in Zürich, muss es wissen, denn Marco dürfte in den vergan-
genen 20 Jahren über 1000 Bands unterschiedlicher Veranstalter im Dock 4 ein Forum gegeben haben.
Murder of Magpies, das sind Tamara (Keyboards, Gitarre, Ukulele), die Lebhafteste der Gruppe, Sofie, die Zurückhaltendste (Percussion, Querflöte, Gitarre) und vom Temperament dazwischen Hanna (Ukulele, Gitarre). Drei Musikerinnen aus verschiedenen Regionen Deutschlands zwischen Westerwald und Stölzinger Gebirge, acht Instrumente, unterschiedliche musikalische Einflüsse zwischen Soul, Jazz und Grunge ebenso unterschiedliche Herangehensweisen beim Songwriting, verschiedene Fakultäten an der Uni und doch konnten wir uns selbst beim dritten Treffen mit der Gruppe nicht vorstellen, dass sich dieses Trio jemals streiten könnte.
Denn den Gegensätzen, die bei anderen Formationen früher oder später zum Bruch führen, stehen hier Gemeinsamkeiten gegenüber, die für die künstlerische und persönliche Weiterentwicklung viel entscheidender sind: Tamara, Sofie und Hanna kommen aus Familien, in denen Kultur einen großen Stellenwert hat. Entweder sind Eltern und Geschwister selbst im künstlerischen Bereich tätig oder leidenschaftliche ‚Kulturgänger‘. Alle drei haben eine musikalische Ausbildung, nicht nur an Instrumenten, sondern auch in Musiktheorie und natürlich in Sachen Gesang. Engelsgleiche dreistimmige Harmonien ziehen sich folglich durch all ihre Songs, wobei die Rolle der Leadsängerin von Song zu Song wechselt ebenso wie die Instrumente.
In Konzerten ergibt das ein Zusammenspiel zwischen Licht und Schatten, eine Synthese aus manchmal tragenden, manchmal energetischen Rhythmen und verspielten Melodien. Das Wichtigste ist, dass Gefühle vermittelt werden und die kommen durch die Musik – da muss man nicht unbedingt den Text verstehen. Live erklären sie dann schon, um was es in den jeweiligen Songs geht.
Uni und Musik laufen bei Murder of Magpies parallel. Fokussiert wird sich, da nehmen Tamara, Sofie und Hanna fürsorglich aufeinander Rücksicht, immer auf das, was als Nächstes anliegt. Bei Tamara ist es zurzeit die fürs Frühjahr 22 angestrebte Promotion (Sprachwissenschaften), Hanna studiert soziale Arbeit, Sofie Anglistik. Mindestens einmal in der Woche, donnerstags, wird geprobt, auch da sind die Musikerinnen konsequent.
Die Texte schreibt jede für sich, Tamara häufig in Metaphern, Hanna eher cheesy und konkret. Die meisten Songs entstehen mit Gitarre und Klavier, gemeinsam werden sie dann dreistimmig entwickelt. Der Aufbau ist durch die Dreistimmigkeit anders als bei anderen Gruppen. Wobei Dreistimmigkeit nicht heißt, dass sich nicht auch Solopassagen herausschälen. Die Musik pendelt dann zwischen eingängiger Singer/Songwriter- und gelegentlich entschiedener IndiePop-Musik und über allem liegt ein Hauch von Folk. Alles passiert in einer Harmonie, die beim Zuhören selbst an einem kalten Herbsttag wärmt.
Hier offenbart sich der größte Unterschied zwischen MoM und sehr vielen anderen Bands. Es gibt viele Musiker, die ebenso gut und manchmal auch noch besser ihre Instrumente beherrschen, die aus dem Stand dreistimmig loslegen und vermutlich jeden Song sofort vom Blatt abspielen – ganz einfach weil sie es können. Doch dieses Können wirkt kalt, da ausschließlich auf sich selbst konzentriert.
Bei MoM ist es ihre Empathie, die wichtiger als jede Virtuosität ist und von der sie vermutlich gar nicht wissen, wie eindringlich sie diese vermitteln. Kennengelernt haben sich Tamara und Hanna bei einer von Suse Bock-Springer moderierten Kunst gegen Bares-Veranstaltung, bei der Tamara solo aufgetreten war und zum Schluss ihres Sets sagte, dass sie eine zweite Stimme für ihre Songs suche. Daraufhin meldete sich Hanna und es hat sofort funktioniert. Sofie entdeckten die beiden erst später im Chor des
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Studio Lev. „Das hat sich einfach so gefügt.“ Mit dem Finden des Bandnamens, der ja auf den ersten Blick eher auf eine Melodie-Death-Metal-Band schließen lässt, war es nicht ganz so leicht. Hier wurde die Anglistin Hanna fündig. „Wir wollte auf jeden Fall einen Namen, der erst gar keine Gedanken an Drei-Mädchen-die-süße-Pop-Musik-singen aufkommen lässt. Murder of Magpies heißt übersetzt ‚Ein Schwarm von Elstern‘ – Singvögel also, das passt doch ganz gut, ebenso das Akronym ‚MoM‘.“ Singvögel, die über Beziehungen singen, ohne dass das Wort ‚Love‘ im Text vorkommt, über Trennungen, die man, weil man sich in der Beziehung eingenistet hat, immer hinausschiebt, über den gesellschaftlichen Druck, der heute auf jungen Menschen lastet, und immer wieder über Gefühle. Die Angst, zu viel Persönliches in den Songs zu offenbaren, verstecken sie hinter dem Trio. „Da wir die Songs gemeinsam performen, weiß ja kein Zuschauer, wessen Geschichte das ist, die er da gerade hört“, sagt Tamara. „Außerdem beschreibe ich in meinen Texten ohnehin keine direkten persönlichen Erlebnisse, sondern erzähle Geschichten mit Handlungsverläufen, die von persönlichen Erfahrungen inspiriert sind.“ Für Hanna, die beim Schreiben weitaus konkreter und persönlicher vorgeht, kostet das Songwriting bzw. das Abliefern eines Textes schon mehr Überwindung. „Ich frage mich schon ab und zu, ob ich wirklich will, dass andere dieses oder jenes von mir wissen sollten. Aber irgendwann muss man sich ja den Dingen stellen, vor denen man davonläuft.“