"FSG direkt", 11/2016

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15. Jahrgang // Nummer 11 // Wien, November 2016

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Foto: Mauritius Images / Chromorange / Martin Schröder (Montage)

TOPINFOS FÜR SOZIALDEMOKRATISCHE GEWERKSCHAFTERiNNEN

KO M M E N TA R : DRUCKER MACHEN DRUCK FÜR KOLLEK TIVVERTRAG SEITE 7

S E D N U B N E T N E D I PRÄS WAHL G E W IN N E N D IR W R E RU N D E , W N Ä C H S T E U N D S E I DA B E I A M S T IM M M IT

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Gewerkschaf t schlägt Alarm: Gewalt in Zügen steigt Stills t and is t Rüc ksc hritt : Steuern endlich neu denken Rechtsextremismus: „Nichts für die kleinen Leute“


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KERNTHEMA

Cover: Bundespräsidentenwahl geht am 4. Dezember in die dritte Runde. Seite 13 3

Editorial Bundesgeschäftsführer

Aktuelles

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Gewalt in Zügen steigt Übergriffe sind für das Personal eine große Belastung. Steuern neu denken

Kommentar

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Vorsitzender Wolfgang Katzian

Hintergrund

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Rechtspopulismus in Europa Nur ein soziales Europa kann Strache, Le Pen und Co. stoppen.

Service

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Recht, Antworten auf Fragen

Grundsatz

12 Gleichstellungspolitik

Frauenvorsitzende Ilse Fetik über freiheitliche Frauenpolitik.

Europa/International

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Tunesien: Hilfe zur Selbsthilfe Mikrokredite sollen Frauen ermutigen, unabhängig zu leben. 16 Poduktivität wächst schneller

Bundeskanzler Christian Kern lud im September zu Gesprächen in die Grazer Straßenbahn ein.

„ICH BIN GROSSER ANHÄNGER DES LEISTUNGSPRINZIPS“ Auf Österreich kommen erhebliche Veränderungen zu: „In dieser Zeit muss es unser Ziel sein, Globalisierung zu gestalten“, sagte Bundeskanzler Christian Kern bei einem Auftritt vor dem zweithöchsten Gremium des ÖGB Anfang November. Durch die technologische Entwicklung würden zwar „bestimmte Jobs zunehmend verschwinden“. Für betroffene Menschen müssten daher Angebote gefunden werden, die ihnen eine neue Perspektive bieten. Das betreffe auch das Pensionsthema, weil durch die zunehmende Arbeitslosigkeit und Teilzeitbeschäftigung die Alterssicherung gefährdet sei. „Wie können wir garantieren, dass alle im Alter eine Pension bekommen, von der sie auch leben können? Das ist eine ungelöste Frage, die dringend einer Antwort bedarf“, so Kern. Insgesamt sei das Pensionssystem aber

auf dem richtigen Weg: „Es besteht aber durch die ständige Diskussion große Verunsicherung.“ GRUND FÜR ZUVERSICHT „Ich bin ein großer Anhänger des Leistungsprinzips. Leistung wird nicht nur von jenen erbracht, die Kapital zur Verfügung stellen, sondern vor allem von denen, die in der Früh aufstehen und mit ihrer Arbeit, mit ihrer Kraft und ihrem Intellekt zum Erfolg beitragen“, sagte Kern. Und weiter: „Es gebe Grund für Zuversicht, was die weitere Entwicklung Österreichs betrifft. Viele Rankings zeigen Verbesserungen. Es geht in die richtige Richtung.“ Aber: Man dürfe sich nicht mit Durchschnittlichkeit begnügen, sondern müsse wieder einen Spitzenplatz anstreben. www.spoe.at

:: IMPRESSUM :: Herausgeber: Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im ÖGB, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/534 44-39080, www.fsg.at. Medieninhaber (Verleger): Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96–39744, Fax: 01/662 32 96–39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, www.oegbverlag.at, UID ATU 55591005, FN 226769i. Hersteller: Verlag des ÖGB GmbH. Verlagsort: Wien, Herstellungsort: Wien. Redaktion: Christoph Höllriegl (Leitung), Litsa Kalaitzis, Thomas Kallab, Amela Muratovic, Michael Dünser, Bernt Neumann, Lisa Siutz. Grafikdesign: Verlag des ÖGB GmbH. Fotos/Grafiken: FSG Kärnten, FSG Vorarlberg, Franz Fischill, ÖGB-Archiv, Mauritius Images, picturedesk.com. Anzeigenrepräsentanz: Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96-39 744, Telefax 01/662 32 96-39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, DVR-Nr. 0562041, ZVR-Nr. 158750011. Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: www.fsg.at/offenlegung Für unverlangt eingesendete Manuskripte und Fotos keine Gewähr. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit Z ­ ustimmung der Redaktion und mit Quellenangabe. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht der Meinung der FSG entsprechen.

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AKTUELLES

Foto: Erwin Scheriau / APA / picturedesk.com

Inhalt


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WACHSENDE ARMUT Leben mit dem Arbeitslosengeld Hartz IV in Deutschland ist alles andere als ein Zuckerschlecken. Mit 1. Jänner 2017 soll sich laut „Welt.de“ der Regelsatz für Alleinstehende von 404 auf 409 Euro pro Monat erhöhen. Viele Medien berichten zugleich, dass seit Hartz IV die Armut extrem ansteige, vor allem bei PensionistInnen. Genauso viele Medien wischen das salopp vom Tisch. Denn wie beispielsweise „Spiegel online“ schreibt, „gelte in einem Land voller Porsche-Fahrer sogar ein BMW-Besitzer als arm“. Oder wie „Welt. de“ schreibt: „Wer sich kein Handy leisten kann, gilt als materiell arm.“ Jede/r 13. bezieht in Deutschland mittlerweile Hartz IV.

Geht's noch Grasser? Einst trat FPÖ-Mann Karl-Heinz Grasser im Jahr 2000 auf die bundesweite Politbühne. Von den Medien gern als „Schwiegersohn der Nation“ sowie als „Mister Nulldefizit“ umgarnt, vesprach er den WählerInnen viel. Gehalten wurde eher wenig. Die Rückführung des Bundesdefizits sollte zum Beispiel im sozialen Bereich allein durch strukturelle Anpassungen bei den Pensionen und der Anhebung des Zugangsalters erreicht werden. Gleichzeitig versprach er, dass 75 Prozent der Bevölkerung keinen Beitrag zur Sanierung des Haushalts leisten würden. Ein glatter Irrtum? Denn schließlich waren allein durch die Kürzung bei den Pensionen mehr als 25 Prozent der österreichischen Bevölkerung betroffen. Zahlreiche Demos gegen Schwarz-Blau waren nur eine Folge (Bild, Wien 2003). Heute sind Gerichte noch immer beschäftigt, den Fall Grasser aufzuarbeiten. Es gilt die Unschuldsvermutung. Währenddessen verspricht ein neuer FPÖ-Mann, Norbert Hofer, den WählerInnen sehr viel …

FSG DIREKT IM ABO „FSG direkt“ ist kostenlos und kann per Post oder per E-Mail bezogen werden (www.fsg.at/abo). Anregungen oder Beiträge einsenden an: fsg@oegb.at

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EDITORIAL

WILLI MERNYI FSG-BUNDESGESCHÄFTSFÜHRER

ZWEI STUNDEN FÜR MEHR LEBEN Die Propaganda der WirtschaftsvertreterInnen für einen 12-Stunden-Arbeitstag läuft wieder auf Hochtouren. Österreich fällt damit bei der Arbeitszeitverkürzung weit hinter andere Länder zurück. Frankreich verkürzte in den 1990erJahren die Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden. KritikerInnen werden aber nicht müde sich darüber zu freuen, dass die gleichzeitige Schaffung neuer Arbeitsplätze hinter den Erwartungen blieb. Aber immerhin, es wurden welche geschaffen. Dazu braucht es Mut beim Gestalten. Auch in Schweden wurde die Arbeitszeit verkürzt: Zwei Stunden weniger arbeiten pro Tag für mehr leben – bei voller Bezahlung, zwei Jahre auf Probe. Die KritikerInnen: Geht nicht, zu teuer. Geht aber doch: Die Effizienz stieg, erste Probeläufe wurden seit 2015 verlängert. Apropos Schweden, Land der Textilien: Manche fordern einen 12-Stunden-Arbeitstag unter dem Vorwand der Wettbewerbsfähigkeit oder Roboterisierung. Die (schwedische) Textilindustrie lässt aber nicht deswegen in Asien produzieren, weil es dort die neuesten, schnellsten und umweltfreundlichsten Näh-Roboter gibt, sondern weil NäherInnen unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen nur Niedrigstlöhne erhalten. Scheibchenweise nachgeben würde daher zu schlechteren Arbeitsbedingungen führen. Nur die Reichen hätten noch sattere Gewinne davon. Fakt ist: Lange Arbeitszeiten und steigendes Arbeitstempo machen krank. Schon mehr als 30 Arbeitsstunden pro Woche wirken sich negativ aus. Arbeitsbedingte Krankheitskosten steigen. Der technologische Fortschritt macht es leistbar, weniger zu arbeiten. Die Arbeitszeit muss heute auch gerechter verteilt werden, denn das Arbeitsvolumen bleibt bestenfalls konstant, die Zahl der Arbeitsuchenden steigt aber. Daher jetzt die Arbeitszeit intelligent verkürzen!

AKTUELLES

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Von links: Jochen Siutz (FSG GPA-djp), Fredy Trey (SWV), Jutta Brandhuber (GPA-djp), Landeshauptmann Peter Kaiser, Finanzreferentin Gaby Schaunig, Organisator Horst Kandutsch (work@flex)

1. KÄRNTNER WIRTSCHAFTSKONGRESS SOZIALPARTNERSCHAFT LEBEN Gemeinsam mit der FSG in der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (FSG GPA-djp) und dem Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) fand im Oktober der 1. Kärntner Wirtschaftskongress statt. Im Festsaal der Gemeinde Krumpendorf präsentierten rund 50 AusstellerInnen ihre Produkte und Dienstleistungen. Neben dieser Vielfalt wurde den BesucherInnen auch eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion geboten: VertreterInnen von Gewerkschaft, Wirtschaft und Politik debattierten über Probleme und Vorteile von Ein-Perso-

Nichts versäumen, immer auf dem neuesten Stand sein. Entweder mit dem richtigen Eintrag für unser FSG-Infomail (unter www.fsg.at/infomail) oder mit einem „Like“ für unsere Facebook-Page: FAC E B O O K . C O M / F S G . O E G B

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AKTUELLES

nen-Unternehmen (EPU). „Viele Beschäftigte werden zur Selbstständigkeit gezwungen, da ihnen sonst die Kündigung droht. Hier ist es wichtig, über seine Rechte Bescheid zu wissen“, erklärte Jutta Brandhuber, Regionalgeschäftsführerin der GPA-djp Kärnten, und verwies auf die Interessengemeinschaft work@flex der GPA-djp. Diese unterstützt alle atypisch und prekär Arbeitenden, also alle, die gewollt oder ungewollt in „wenig regulierten“ Vertragsverhältnissen arbeiten. Als Gewerkschaft könne man laut Brandhuber auch bereits Positives berichten: So sei es beispielswei-

se gelungen, freie DienstnehmerInnen in die Sozialversicherung einzubinden. „Bei weiteren Schritten werden wir uns nun auf Karenz, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie die Entgeltfortzahlung konzentrieren“, sagte Brandhuber. Auch Organisator Horst Kandutsch kennt als Firmenchef von „softwaregutachten.at“ und stellvertretender Vorsitzender des Bundesausschusses work@flex die Probleme von Ein-Personen-Unternehmen nur zu gut. „Mit dem Kongress ist uns ein großartiges Beispiel für gelebte Sozialpartnerschaft gelungen. Gemeinsam können wir viel erreichen und eine Anlaufstelle für atypische Beschäftigungsgruppen bieten“, so Kandutsch. www.gpa-djp.at (work@flex)


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VOR ORT

GEWALT IN ZÜGEN STEIGT Übergriffe, Gewalt, Beleidigungen und mangelnder Respekt sind für das Personal eine große Belastung. nerInnen“ sei ein Fehler gewesen und von der Gewerkschaft immer wieder kritisiert worden, so Stemmer. Denn ZugbegleiterInnen würden nicht nur das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste steigern, sondern auch als qualifizierte AnsprechpartnerInnen in den Zügen zur Verfügung stehen. Und was ebenfalls wichtig sei: Das einzig verbliebene Personal, die TriebwagenführerInnen, entlasten! Erfreulich ist für Stemmer in dem Zusammenhang, dass sich zuletzt auch der für den Personennahverkehr zuständige

Foto: Franz Fischill

Nach mehreren schweren Vorfällen in Vorarlberg und in den Nachbarländern schlägt Reinhard Stemmer, Vorarlbergs Landesvorsitzender der Gewerkschaft vida und FSG-AK-Kammerrat, Alarm: Zur Sicherheit der Fahrgäste und des Personals müssten dringend wieder mehr ZugbegleiterInnen eingestellt werden. Übergriffe, Gewalt, Beleidigungen und vor allem auch mangelnder Respekt – all das mache dem Zugpersonal auch im „Ländle“ vermehrt zu schaffen. Die seinerzeitige Abschaffung der „Schaff-

„Zur Sicherheit der Fahrgäste und des Personals braucht es mehr ZugbegleiterInnen.“ Reinhard Stemmer, vida-Vorarlberg-Landesvorsitzender und FSG-AK-Kammerrat

Foto: FSG Vorarlberg/A. Kromus

GEWERKSCHAFT SCHLÄGT ALARM

Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch für zusätzliche SchaffnerInnen ausgesprochen hat. „Wir haben das auch bei einem gemeinsamen Treffen ausführlich besprochen und diskutiert“, so Stemmer. Landesrat Rauch habe dabei zugesichert, für mehr Sicherheit in den Zügen zu sorgen und die dafür notwendigen Schritte einzuleiten. www.fsg.at/vorarlberg

JUGEND Personalvertreter Walter Strahlhofer, Michael Bürger, Manuel Schneider, Staatssekretärin Muna Duzda, Markus Riedl und FSG-GÖD-Jugendvorsitzender Michael Schuh (von links)

KÄRNTEN FSG-GÖD BAUT JUGENDORGANISATION AUF Junge GewerkschafterInnen wollen Sprachrohr für die Vorstellungen der Jugend sein: Im Oktober fand in Klagenfurt das erste Treffen der FSGGÖD-Jugend Kärnten statt. Das Ziel war der Aufbau einer Jugendorganisation, welche vor allem „junge“ Themen und Problemfelder erkennt und behandelt. Schon im Jänner 2015

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wurde zu diesem Zweck die FSG-GÖDJugend auf Bundesebene gegründet. Kärnten ist nach Salzburg und Oberösterreich die dritte FSG-GÖD-Landesjugendorganisation. Am 17. Bundeskongress der GÖD wurde die Aufnahme einer Jugendstruktur in das Statut der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) beschlossen. Und die Anliegen der Jun-

gen finden bereits Gehör. Eine Delegation der FSG-GÖD-Jugend besuchte Staatssekretärin Muna Duzdar und diskutierte mit ihr über aktuelle Themen. Michael Bürger vertrat dabei die Landesjugendorganisation Kärnten: „Es war ein sehr konstruktives und gutes Gespräch. Bei dieser Gelegenheit konnten wir die Kampagne der FSG-GÖD-Jugend, die demnächst startet, präsentieren und unsere Vorstellungen ganz klar vermitteln.“ www.goedfsg-jugend.at

AKTUELLES

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STILLSTAND IST RÜCKSCHRITT

STEUERN NEU DENKEN Zwei Visionäre ließen schon vor Jahrzehnten mit ihren Ideen aufhorchen. Im November jährte sich zum 90. Mal der Geburtstag von Alfred Dallinger, ehemaliger Vorsitzender der damaligen Gewerkschaft der Privatangestellten und späterer Sozialminister (1980 bis 1989). Er war laut Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie früh ein Verfechter der 35-Stunden-Woche und der Wertschöpfungsabgabe („Maschinensteuer“). Im November geboren jährte sich heuer auch zum 70. Mal der Todestag von Hugo Breitner, Wiener Stadtrat und vormaliger Bankangestellter mit gewerkschaftlichem Engagement. Er gestaltete Anfang der 1920er-Jahre das

Wiener Steuersystem neu: statt Massensteuern kamen Reichen- und Luxussteuern. Breitner schlug einen Weg ein, der bis dahin nie versucht wurde. Die Staatskassen waren nach dem Ersten Weltkrieg leer, die Arbeitslosigkeit hoch und die Wohnungsnot wurde größer. Die Schere zwischen Arm und Reich klaffte weit auseinander. GERECHT VERTEILEN Zunächst wurden die Verzehrungssteuer auf Grundnahrungsmittel und Mietzinsabgaben abgeschafft. Zur Kassa gebeten wurde nur noch, wer es sich leisten konnte, in Saus und Braus zu leben. Wer mehr als eine Haushaltsge1920er-Jahre: Mit Luxussteuern konnten in Wien 64.000 Wohnungen errichtet werden.

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AKTUELLES

hilfin hatte, musste zahlen. Wer auf Pferderennen wettete, finanzierte Säuglingswäsche mit, Nachtlokale zahlten das Mittagessen für 13.000 Schulkinder. Weiters fielen die Breitner-Steuern, wie sie landläufig genannt wurden, auch auf Autos und Wohnen an. Mit einer stark progressiven Wohnbausteuer (teurere Wohnungen zahlten mehr als günstigere) konnten zwischen 1923 und 1933 rund 64.000 Wohnungen errichtet werden. 89 der teuersten Wohnungen und Geschäftslokale zahlten so viel an Wohnbausteuer als 350.000 Kleinwohnungen zusammen. Im Jahr 1927 machten die BreitnerSteuern 36 Prozent aller Wiener Steuereinnahmen aus. Damit wurden beispielsweise die Stadtbahn elektrifiziert, gesundheitliche Einrichtungen verbessert, Kindergärten, Horte, Bäder, Lehrlingsheime, Schulzahnkliniken, Mütterberatungsstellen, neue Parkanlagen und vieles mehr geschaffen. Das „neue Wien“ entstand. Das eingesessene Bürgertum und die Reichen aber hassten die neuen Besitzsteuern und ihren Erfinder dazu. Breitner: „Unbeirrt von all dem Geschrei der steuerscheuen besitzenden Klassen holen wir uns das zur Erfüllung der vielfachen Gemeindeausgaben notwendige Geld dort, wo es sich wirklich befindet.“ Später fanden Breitners Steuerideen noch Ausdruck in einem erhöhten Mehrwertsteuersatz von 30 Prozent auf zum Beispiel Pelze, Goldschmuck, Teppiche oder Yachten.

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Digitalisierung, Robotik, Steuerflucht, Staatsschulden, Migration und so weiter: Alle gegenwärtigen Herausforderungen deuten in eine Richtung: Sozialstaaten brauchen neue Ideen zur Finanzierung – will man keine Leistungen kürzen oder sogar ganz streichen.


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KOMMENTAR

WOLFGANG KATZIAN FSG-VORSITZENDER Ansichtssache: Mit 330.000 Euro kann man eines der teuersten Cabrios der Welt kaufen. Oder rein rechnerisch auch einer alleinstehenden Person fast 33 Jahre lang (!) die bedarfsorientierte Mindestsicherung finanzieren.

Seither hat sich viel verändert, einiges auch nicht: Die Staatskassen sind leer, die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Arbeitsvolumen bleibt im besten Fall auf Jahre hinaus konstant, prekäre Beschäftigung boomt, allen voran Teilzeit. Und Luxussteuern sind weitgehend Geschichte. Schmuck und andere zur Ausfuhr geeignete Waren kaufen Reiche längst steuerschonend im jeweiligen Ausland. Österreich ist weltweit fast zum Schlusslicht bei Vermögenssteuern geworden. Was zur Folge hat, dass Löhne und Gehälter sowie der Faktor Arbeit hoch besteuert werden müssen. Im Gegensatz dazu werden laut Vermögensstudien Reiche weiterhin immer reicher und zahlen keine gerechten Steuern – wenn sie überhaupt welche abführen. Die Kluft zwischen Arm und Reich steigt. Heute haben 40 Prozent laut Marcel Fratzscher, Ökonom und Berater der deutschen Bundesregierung, nicht einmal einen Cent Erspartes am Konto. Mehr noch: Jede/r 7. ist in Österreich armutsgefährdet. Ohne Sozialstaat, ohne Sozialleistungen wäre das fast jede/r 2.! Breitner und Dallinger waren vor Jahrzehnten auf der richtigen Fährte. Aber wenn es heute darum geht, Neues auszuprobieren verlässt die ÖVP der Mut. Und das, obwohl sie gerade eine Mut-Kampagne am Laufen hat. Selbst bei der Wertschöpfungsabgabe, die ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Unternehmen selbst wäre, gibt es heftigen Widerstand der reichsten gegenüber den kleineren, weniger vermögenden Unternehmen. Begründung: Man wisse nicht, wie sich eine derartige Modernisierung auf Investitionen auswirken könnte. Da ist einfach mehr Mut gefordert. Denn wie Dallinger schon sagte: „Stillstand ist Rückschritt.“ www.dasrotewien.at Autor: Christoph Höllriegl

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KLEINE MELDUNG, RIESENGROSSE WIRKUNG Kleine Meldung, riesengroße Wirkung: Der Verband Druck & Medientechnik hat im September seine Verantwortung für den Kollektivvertrag (KV) für das grafische Gewerbe mittels Presseaussendung gekündigt. Lapidar teilte der Verbandspräsident (auch der zuständigen Gewerkschaft, mit der Arbeitsgruppentermine zur Modernisierung des KV terminisiert waren) mit, dass man die Statuten ändern will, um nicht mehr kollektivvertragsfähig zu sein. Begründet wird dieser Ausstieg mit unabwägbaren unternehmerischen Risiken, ausgelöst durch das Lohn- und Sozialdumpinggesetz, das in keiner weiteren Branche eine so unüberwindbare Hürde darstellt, dass deswegen die KV-Flucht angetreten wird. Für die rund 10.500 Beschäftigten ändert sich vorerst nichts. Der Kollektivvertrag erlischt erst dann, wenn das Bundeseinigungsamt die Statutenänderung formal bestätigt. Für die Zeit danach gibt es nur eine richtige Lösung, wie es Michael Ritzinger und Christian Schuster, die Verantwortlichen der Gewerkschaft, unlängst bei einer BetriebsrätInnen-Konferenz klargestellt haben: Es muss Rechtssicherheit geschaffen werden, in Form eines weiterhin qualitativ hochwertigen, bundesweiten Kollektivvertrags. Seit Anfang Oktober werden Betriebsversammlungen abgehalten, die Drucker machen Druck in eigener Sache. Die Betroffenen signalisieren nach diesem sozialpolitischen Foul der Arbeitgeber Kampfbereitschaft und fordern von der WKO Verhandlungen für einen flächendeckenden KV – was auch im Sinne der WKO sein muss: regional unterschiedlich niedrige Kollektivverträge schaffen Spielraum für ausländische Anbieter mit Dumpingpreisen. Sicherheit für Beschäftigte und Betriebe gibt es nur mit möglichst breitem sozialpartnerschaftlichem Zusammenhalt.

KOMMENTAR

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NICHTS FÜR „DIE KLEINEN LEUTE“

RECHTSPOPULISMUS UND RECHTSEXTREMISMUS IN EUROPA In vielen Ländern der Europäischen Union sind rechte Parteien im Vormarsch. Nur ein soziales Europa kann Strache, Le Pen und Co. stoppen. Frauen oder Jugendliche direkt profitieren. Dahinter steckt aber eine bewusste Strategie, nämlich Populismus. Mit Halbwahrheiten bis hin zu dreisten Lügen, vermeintlich einfachen Lösungen für komplexe Probleme und einer bestimmten Gruppe – meist MigrantInnen oder Flüchtlinge – als Sündenböcke versuchen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien jene Menschen zu erreichen, die sich nach Jahren der Krise und neoliberaler Dogmen in der europäischen Wirtschaftspolitik deklassiert, ausgeschlossen und nicht ernst genom-

Der Verkehr stockte: Neue Grenzziehungen und eine Vielzahl an Balken behinderten nach dem 2. Weltkrieg den freien Personen- und Warenverkehr.

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HINTERGRUND

„Wenn wir es schaffen, soziale Gerechtigkeit in Europa Realität werden zu lassen, nehmen wir den Rechten die Grundlage ihrer populistischen Politik.“ Evelyn Regner, Europaabgeordnete, Delegationsleiterin der SPÖ-Europaabgeordneten und Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.

men fühlen. Leider scheint diese Strategie aktuell recht erfolgreich zu sein. In vielen europäischen Ländern werden Parteien wie die FPÖ, die „Alternative für Deutschland“, die „Front National“ in Frankreich, die „Lega Nord“ in Italien oder die Partei „UKIP“ für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs in Großbritannien immer einflussreicher. RASSISTISCH BIS VERHETZEND Dabei zeigt nicht nur ein Blick auf ihr Abstimmungsverhalten, wenn es um soziale Maßnahmen geht, dass diese Parteien alles andere im Sinn haben, als Politik für die „kleinen Leute“ zu machen. Wer an den Sozialabbau von Schwarz-Blau in Österreich, oder an die Lügen und das fluchtartige „sich aus der Affäre ziehen“ von UKIPs Nigel Farage nach dem Brexit-Votum denkt, erkennt,

Foto: ullstein bild / Ullstein Bild / picturedesk.com (Berlin 1956)

Finanztransaktionssteuer, Gleichstellungsstrategien und Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping sind nur einige Beispiele einer langen Liste von Maßnahmen für mehr soziale Gerechtigkeit in Europa. Maßnahmen, gegen die FPÖAbgeordnete und ihre rechtspopulistischen und rechtsextremen FraktionskollegInnen im Europäischen Parlament immer wieder stimmten. Es erscheint zunächst absurd, dass gerade jene, welche zu Hause kritisieren, die EU würde den Menschen nichts bringen, in Brüssel gegen alle Initiativen stimmen, von denen ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose,


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KURZ NOTIERT BUCHTIPP dass RechtspopulistInnen neben ihren eigenen (Macht-)Interessen höchstens noch jene der Wirtschaft und großer Konzerne vertreten. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verbreiten Strache, Le Pen und Co. ihr rassistisches und verhetzendes Gedankengut und löschen gleichzeitig sämtliche Kommentare von Andersdenkenden von ihren Facebook-Seiten. Sie geben sich als VerfechterInnen von Frauenrechten und schweigen gleichzeitig zu massiven Angriffen auf selbige, wie etwa beim Abtreibungsverbot in Polen. Sie schaffen ein Klima des Hasses und der Angst und wollen – wie der Brexit zeigt – der Europäischen Einigung ein Ende setzen. Vergessen wir nicht: Es war die FPÖ, die schon im Jänner dieses Jahres – noch vor dem Brexit – den Öxit ins Spiel gebracht und im Nationalrat eine Volksbefragung zum EU-Austritt gefordert hat. Zurück zu einem Europa der Vaterländer – wohin das führt, lehrt uns die Geschichte. Wir müssen dem Erstarken von rechten Parteien in Europa mit einer Politik des Zusammenhalts und der Hoffnung entgegentreten. Die Menschen in Europa müssen wieder spüren, dass sie direkt von der Europäischen Union profitieren. Das Zauberwort dafür heißt „Soziales“. Wir SozialdemokratInnen im Europäischen Parlament arbeiten täglich an einem sozialeren Europa, das die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wenn wir es schaffen, soziale Gerechtigkeit in Europa Realität werden zu lassen, nehmen wir den Rechten die Grundlage ihrer populistischen Politik. Autorin: Evelyn Regner

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IST ES ZUM FÜRCHTEN UM EUROPA? BESTEHT NOCH HOFFNUNG? Die „New York Times“ illustrierte einmal den Aufstieg rechter Kräfte in den Mitgliedsländern der EU: Den kräftigsten roten Balken erhielt dabei ausgerechnet Österreich. Jetzt muss aufgrund bürokratischer Schlamperei die Wahl des künftigen Bundespräsidenten wiederholt werden. Im Mai erhielt der Kandidat einer Partei, die fundamentale europäische Werte in Frage stellt, fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Ist es Orbánisierung? Jörg Haiders Erbe? Oder nur ein besonderer Fall von Verkommenheit? Es ist, als spürte die krisengeschüttelte EU, dass Österreich wieder einmal die kleine Welt ist, in der die

große ihre Probe hält. In seinem fulminanten Essay zeigt Armin Thurnher, was es mit der Europaverdrossenheit auf sich hat, und was man den Rechten in der Politik entgegensetzen sollte. Ach, Österreich, Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik, Armin Thurnher, 176 Seiten, Zsolnay Verlag, 2016, 16,50 Euro. Bestellbar bei: ÖGB-Verlag-Fachbuchhandlung, Rathausstraße 21, 1010 Wien, Telefonnummer 01/405 49 98–132, E-Mail: fachbuchhandlung@oegbverlag.at www.diefachbuchhandlung.at

VORARLBERGER FSG ERSTMALS IM GÖD-BUNDESVORSTAND

Patricia Zangerl, Betriebsrätin des Landeskrankenhauses Bregenz

Mit Patricia Zangerl wurde beim Bundeskongress der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) erstmals eine Vorarlberger Vertreterin der FSG in den Bundesvorstand gewählt. „Ich freue mich sehr darüber, auch auf Bundesebene die Gewerkschaftspolitik mitgestalten zu können“, so die engagierte Betriebsrätin des Landeskrankenhauses Bregenz. Stark machen will sich Zangerl für die Umsetzung einer Wertschätzungskultur: „Mir ist es wichtig, dass die KollegInnen für ihren Einsatz den gebührenden Respekt erfahren“, betont Zangerl. Man leiste im öffentlichen Dienst gute Arbeit, „die jedoch viel zu selten die entsprechende Anerkennung findet“.

HINTERGRUND

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FESTSTELLUNGSVERFAHREN

URTEIL ÜBER STRITTIGE RECHTE Paragraph 54 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG) sieht ein besonderes Klagerecht für Betriebsrat (BR) und Arbeitgeber (AG) vor. Beide können auf Feststellung des Bestehens oder Nicht-Bestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen klagen oder geklagt werden, die mindestens drei ArbeitnehmerInnen (AN) betreffen. Betriebsräte (BR) können Verfahren führen, die im Interesse einzelner AN liegen. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn die betroffenen AN nicht selbst klagen wollen, weil sie etwa Nachteile am Arbeitsplatz fürchten. Ändert sich während des Verfahrens die Anzahl der Betroffenen, kann das Verfahren trotzdem weitergeführt werden. Die in einem solchen Verfahren ergangenen Feststellungsurteile haben bloß deklaratorische Wirkung; das heißt, sie stellen nur fest, wie die Rechtslage ist. Sie sind nicht vollstreckbar. Somit kann allein auf ihrer Grundlage eine zwangsweise Durchsetzung von Ansprüchen nicht erfolgen.

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SERVICE

Feststellungs-Urteile schaffen Klarheit über die Rechtslage. Auf ihrer Grundlage allein kann aber eine (zwangsweise) Durchsetzung von Ansprüchen nicht erfolgen.

Die Gewerkschaft kann – anders als der BR (Ausnahmen!) – auch direkt vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) klagen. Auch hier kann nur auf Feststellung des Bestehens oder Nicht-Bestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen geklagt werden. Dabei entscheidet der OGH aber nur über einen im Antrag bereits genau beschriebenen Sachverhalt. Es können somit nur Rechtsfragen ge-

klärt werden. Ist der Sachverhalt – also das, was geschehen ist – zwischen den Parteien strittig, kann eine Klärung vor dem OGH nicht erfolgen, sondern ist vielmehr eine Klage des BR beim Arbeits- und Sozialgericht als 1. Instanz einzubringen. Derartige Verfahren können nur zur Feststellung des (Nicht-) Bestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen dienen. Damit können

Foto: Martin Guhl / Picture Alliance / picturedesk.com

VERMEIDUNG WEITERER PROZESSE Zwischen den Prozessparteien (BR und AG) sind derartige Urteile aber bindend. Sie dienen damit mehr der Prävention und der Vermeidung weiterer Prozesse durch die Feststellung strittiger Ansprüche. Zwar erstreckt sich die Bindungswirkung nicht auch auf die individuellen Ansprüche einzelner AN, der AG wird jedoch gut beraten sein, die Entscheidungen zu beachten. In der Praxis werden die Gerichte erster Instanz vor allem bei Vorliegen von Feststellungs-Urteilen der zweiten oder dritten Instanz in ihren Urteilen kaum von diesen abweichen. Insofern kommt ihnen faktische Bindungswirkung zu. Beachtet der AG ein derartiges Feststellungsurteil nicht, müssten betroffene AN selbst Klage einbringen.


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RECHT

rein abstrakte Rechtsfragen, denen nur theoretische Bedeutung zukommt, nicht gelöst werden. Insofern muss ein realer Zugang zu in der Praxis bestehenden Problemen gegeben sein. Der BR ist nach einer Entscheidung des OGH (9 ObA 112/09z) nicht berechtigt, im eigenen Namen Rechte einzelner AN gegen den AG durch Unterlassungsklage gerichtlich geltend zu machen. Ein Klagebegehren des BR auf Unterlassung eines rechtswidrigen Handelns des AG ist daher von den Gerichten abzuweisen, wenn damit keine eigenständigen Rechte des BR geltend gemacht werden. Vielmehr ist in diesem Fall ein Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG (siehe oben) zu führen. „GLAUBHAFT GEMACHTES“ INTERESSE Bezieht sich das Feststellungsbegehren auf nicht mehr relevante Rechtsgrundlagen und lässt sich der geltend gemachte Anspruch aus der anzuwendenden neuen Rechtsgrundlage nicht ableiten, fehlt ein Feststellungsinteresse. Die Klage ist daher zum Beispiel abzuweisen, wenn durch eine Änderung der Rechtslage der Anspruch nunmehr zweifelsfrei zusteht (OGH 8 ObA 70/15z). Dabei ist auch zu beachten, dass im Antrag ein Feststellungsinteresse vorgebracht werden muss. Denn ohne „glaubhaft gemachtes“ Interesse an der Feststellung eines strittigen Rechts oder Rechtsverhältnisses weist der OGH derartige Anträge regelmäßig ab (unter anderem im Fall OGH 9 ObA 63/15b), weil er allein für die Klärung abstrakter Rechtsfragen nicht zuständig ist. Der OGH hat seiner rechtlichen Beurteilung den vom Antragsteller behaupteten Sachverhalt ohne weitere Prüfung zugrunde zu legen. Der Antragsgegner ist auf rechtliche Argumente beschränkt. Beispielsweise kann nach dem § 3 Abs. 6 AVRAG die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht mittels Klage des BR beim Arbeits- und Sozialgericht (ASG) geklärt werden (OGH 8 ObA 41/10b). Grundsätzlich ist es zwar möglich, Klagen wegen arbeitsrechtlicher Ansprüche am Wohnort des AN einzubringen. Im Fall einer Feststellungs-Klage des BR gem § 54 ASGG sollte die Klage aber am Sitz des Unternehmens eingebracht werden.

THOMAS KALLAB Jurist, Arbeiterkammer Wien E-MAIL: thomas.kallab@akwien.at

Mein Arbeitgeber schlitterte in die Insolvenz. Wer bezahlt mir jetzt die offenen Entgelte? Das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz sieht vor, dass ArbeitnehmerInnen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld haben. Dazu ist es aber nötig, einen formellen Antrag bei der IEF-Service GmbH zu stellen, der eine Reihe von Angaben – auch zur Berechnung der Forderung – beinhalten muss (IEF=Insolvenz-Entgelt-Fonds). Für Ansprüche, die schon lange zurückliegen steht allerdings Insolvenz-Ausfallgeld nicht zu. Sie sollten sich so schnell wie möglich bei der AK oder Gewerkschaft beraten lassen! Die Betreuung übernimmt üblicherweise der Insolvenzschutzverband für ArbeitnehmerInnen, der als bevorrechteter Gläubigerschutzverband von der Gewerkschaft und AK getragen wird. Ich bin Ersatzmitglied im Betriebsrat. Wie lange nach einem Einsatz bin ich kündigungsgeschützt? Gemäß § 120 Absatz 4 ArbVG (Arbeitsverfassungsgesetz) sind Ersatzmitglieder, die an der Mandatsausübung verhinderte Betriebsratsmitglieder durch mindestens zwei Wochen ununterbrochen vertreten haben, bis zum Ablauf von drei Monaten nach Beendigung dieser Tätigkeit, sofern der Betriebsinhaber von Beginn und Ende der Vertretung ohne unnötigen Aufschub in Kenntnis gesetzt wurde, kündigungsgeschützt. Wenn Unsicherheit besteht, in welchem Fall und wie dem Betriebsinhaber Nachricht von der Tätigkeit gegeben werden soll, sollten Sie unbedingt eine persönliche Beratung bei Gewerkschaft oder AK in Anspruch nehmen.

Autor: Thomas Kallab

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GLEICHSTELLUNGSPOLITIK

BESSER RICHTIG WÄHLEN Von „Brutpflege“ bis zur Fristenregelung: FSG-Frauenvorsitzende Ilse Fetik über das mehr als skurril anmutende freiheitliche Verständnis von moderner Frauenpolitik. „Der vom Thron des Familienoberhaupts gestoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, die, trotz hipper den-Mädels-gehört-dieWelt-Journale, in häuslichen Kategorien zu denken imstande ist, deren Brutpflegetrieb auferlegte Selbstverwirklichungsambitionen überragt.“ Klare Worte aus dem 2013 erschienenen Buch „Für ein freies Österreich“ – einer der beiden Herausgeber ist Norbert Hofer, der gerne nächster Bundespräsident werden möchte. Den Hinweis, dass Frauen ohne eigenes Einkommen oft von Armut betroffen sind, spätestens dann, wenn deswegen der Anspruch auf eine eigene Pension fehlt, sucht man in dem Buch vergebens. Dafür wird erklärt, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen zur „Auflösung der Familie“ führt, vor allem wenn die Rolle „des Vaters als Versorger und Beschützer der Familie“ in Frage gestellt wird und sich die Frau nicht ausschließlich der „Brutpflege“ widmet. Logisch also, dass es auch ein Problem ist, wenn Frauen nicht „das beglückende Wunder der Mutterschaft“ als einzige Aufgabe ihres Lebens sehen, sondern auch einer beruflichen Tätigkeit nachgehen wollen. Denn diese Frauen, die da in der Berufswelt „ihren Mann stehen“, würden dann ihre Männer zu Hause nicht mehr „ver-

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stehen“, wie in dem Buch weiter zu lesen ist. Außerdem würden mehr Frauen in Wirtschaft und Politik – besonders in Führungspositionen – großen Schaden

anrichten: „Wie immer sie geartet sein mag, verliert jede Organisation, in den Augen sowohl männlicher als auch weiblicher Betrachter, an Ansehen, je höher der Frauenanteil ist und je bedeutender die von Frauen bekleideten Funktionen sind“, heißt es da. Dass sich das Engagement des Präsidentschaftskandidaten für die Frauen in der Bundeshymne in Grenzen hält (er singt aus Prinzip die alte Version), mutet vergleichsweise zu seiner Meinung zur Fristenregelung wie ein Klacks an. Dazu befragt, sprach er sich im Rahmen einer TV-Diskussion im Mai für eine verpflichtende „Bedenkzeit“ für Frauen aus, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen. Weil Frauen sich im

Falle einer ungewollten Schwangerschaft ja offenbar nicht informieren und ihre Entscheidung leichtfertig treffen. Danke! Aber von dieser Art der Bevormundung haben sich die Frauen nach einem sehr langen Kampf schon vor Jahrzehnten emanzipiert. Bis zur echten Gleichstellung zwischen Männern und Frauen dauert es leider noch – mit freiheitlicher Politik allerdings gleich um Jahrhunderte länger. Das gilt es zu verhindern! Mehr als die Hälfte, nämlich 51,7 Prozent, der Wahlberechtigten in Österreich sind Frauen. Auch angesichts seiner frauenverachtenden Haltung sollte klar sein, dass Norbert Hofer am 4. Dezember keine Alternative ist – sowohl für Frauen als auch für Männer. Autorin: Ilse Fetik

„Bis zur echten Gleichstellung zwischen Männern und Frauen dauert es leider noch – mit freiheitlicher Politik allerdings gleich um Jahrhunderte länger. Das gilt es zu verhindern!“ Ilse Fetik, FSG-Frauenvorsitzende


BUNDESPRÄSIDENTENWAHL GEHT IN DRITTE RUNDE Am 4. Dezember findet die Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl statt. Österreich steht mit einem weltoffenen Demokraten, mit Alexander Van der Bellen an der Spitze als Bundespräsidentschafts-Kandidat vor einer neuen Zeit. Bei der Wahl geht es darum, wer unsere Demokratie, unsere sozialen Errungenschaften schützt und verbessert, wer uns nach außen hin vertritt und wie mit Menschenrechten umgegangen wird. „FSG direkt“ stellte zwei Fragen an die Gewerkschafterin und Europaabgeordnete Evelyn Regner. FSG dIrekt: Blickt Europa – oder die ganze Welt – am 4. Dezember wieder gespannt nach Österreich? Evelyn Regner: Ganz bestimmt, denn es geht ja um viel. Unsere europäischen Partner sorgen sich natürlich um unsere Verlässlichkeit, sollte der Kandidat einer rechtspopulistischen

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Überfraktionelle Initiative

Partei zum Staatsoberhaupt gewählt werden. Mit Alexander Van der Bellen hat aber schon einmal ein pro-europäischer Kandidat gewonnen, und wir alle sind mit unserer Teilnahme an der Wahl dafür verantwortlich, beziehungsweise können wir dazu beitragen, dass er es wieder schafft. FSG dIrekt: Also schon festgelegt auf einen der beiden Kandidaten? Evelyn Regner: Als Gewerkschafterin und überzeugte Europäerin kommt für mich natürlich wieder nur ein Kandidat in Frage. Vergessen wir nicht: Die FPÖ hat noch im Jänner im Nationalrat offiziell eine Volksbefragung zum Öxit gefordert. Erst als Norbert Hofers Strategen gemerkt haben, dass mit

dieser Forderung in Österreich keine Wahl zu gewinnen ist, hat ihr Kandidat jetzt einen Rückzieher gemacht. Die ÖsterreicherInnen profitieren ungemein von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union – und nur ein Kandidat ist ein Garant dafür, dass dies auch so bleibt, nämlich Alexander Van der Bellen.

www.gewerkschafterInnen-fuer-vanderbellen.at

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Foto: Johann Rousselot / laif / picturedesk.com

Technologie und Revolution: Bloggerin Lina Ben Mhenni wurde 2011 zum Gesicht der tunesischen Protestbewegung. Hier mit Bloggerin Hana in einem Cafe in Tunis im selben Jahr.

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EUROPA/INTERNATIONAL


15. Jahrgang // Nummer 11 // Wien, November 2016

REVOLUTION TUNESIEN

HILFE ZUR SELBSTHILFE Frauen in Tunesien sind selbstbewusst und laut. Auch über Blogs. Trotzdem werden sie in vielen Bereichen benachteiligt. Mikrokredite sollen sie ermutigen, sich selbst zu versorgen und unabhängig zu leben.

ARBEIT, FREIHEIT UND WÜRDE „Natürlich können damit keine großen Gewinne gemacht werden, aber auf jeden Fall kleine, um sich und die Familie ernähren zu können“, so die Gewerkschafterin. Ihrer Meinung nach haben Mikrokredite viele Vorteile: Einerseits werden Frauen ermutigt, finanziell unabhängig zu leben. Andererseits werden junge Menschen und Frauen dabei unterstützt, Unternehmen zu gründen.

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Das führt in weiterer Folge dazu, dass Arbeitsplätze entstehen und die Wirtschaft angekurbelt wird. „Die Revolution sollte allen Arbeit, Freiheit und Würde bringen. Das ist uns leider noch nicht gelungen“, ärgert sich Sobhi.

und Mann garantieren, nicht geändert werden“, erzählt die 32-jährige Internetaktivistin. Bei dem Aufstand im Jahr 2011 machten die Frauen die Hälfte der DemonstrantInnen aus. „Es war unsere Revolution, daher steht uns auch ein Stück vom Kuchen zu. Frauen in Tunesien haben viele Rechte auf dem Papier. Es ist höchste Zeit, dass diese auch in der Realität umgesetzt werden“, fordert Ben Mhenni. „Die Geschichten der beiden Aktivistinnen zeigen, dass viele für ihre Freiheit kämpfen müssen. Auch wir sollten unsere demokratischen Rechte nicht zu selbstverständlich nehmen, denn wer in der Demokratie schläft, kann leicht in der Diktatur aufwachen“, sagt Franz Steizinger, stellvertretender ÖGB-Bezirksvorsitzender in Vöcklabruck (OÖ).

GESICHT DER PROTESTBEWEGUNG Doch sie ist nicht die einzige, die sich über die aktuelle Lage der Frauen ärgert. Im Jahr 2011 wurde die Internetaktivistin Lina Ben Mhenni zum Gesicht der tunesischen Protestbewegung. Sie hat diese medial mitgesteuert, fotografierte und filmte dort, wo es nicht erlaubt war, berichtete über die Gewalt, mit der die Polizei gegen die Menschen vorging. Für ihren Einsatz wurde Ben Mhenni sogar für den Friedensnobelpreis nominiert. „Nach unserem Kampf gegen die Unterdrückung im Land haben wir Frauen auch verhindert, dass bestehende Gesetze, die eine Gleichstellung von Frau

Autorin: Amela Muratovic Foto: Banu Celik

Foto: Frederik Schmidsberger/ÖGB

Der arabische Frühling ist in Tunesien noch immer spürbar. Die Wirtschaft erholt sich nur langsam, die Jugend- und Frauenarbeitslosigkeit ist besonders hoch. „Ich stamme vom Land. Ich konnte den Alltag vieler Frauen beobachten. Obwohl sie in fast allen Bereichen benachteiligt werden, sind tunesische Frauen stark und haben viele gute Ideen. Jedoch fehlt es ihnen an den finanziellen Mitteln“, erzählt Habiba Sobhi von der Gewerkschaft in Tunesien im Rahmen eines Österreich-Besuchs. Sie ist überzeugt, dass es wichtig ist, ihnen nicht nur mit Bildung, sondern auch mit Mikrokrediten zu helfen. Mit 20 Frauen gründete sie daher ein „Mikrokredit“Projekt mit dem Ziel, Frauen in ihrer prekären Situation zu unterstützen. Jede von ihnen spendete etwa 20 Euro, die Gesamtsumme bekam eine andere Frau, um ihr Vorhaben zu realisieren. In einem Jahr erhielten zehn Frauen eine Finanzierung bei einer NGO. Die Geschäftsideen reichten vom Kosmetikhandel bis hin zum Internetvertrieb.

Bild links: Lina Ben Mhenni (Mitte) ist Internetaktivistin und hat die Jasminrevolution 2010/2011 über soziale Medien mitgesteuert. Habiba Sobhi (links) ist Gewerkschafterin und hat geholfen, die ArbeiterInnen in Tunesien in die Proteste gegen die Diktatur miteinzubinden. Franz Steizinger ist stellvertretender ÖGB-Bezirksvorsitzender in Vöcklabruck (OÖ). Bild rechts: Vortrag im Rahmen ihres Österreich-Besuchs.

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FAIR. SOZIAL. GERECHT. WWW.FACEBOOK.COM/FSG.OEGB

PRODUKTIVITÄT W ÄC H S T S C H N E L L ER A LS LÖ H N E Die Produktivität der Arbeitskraft (= blaue Fläche) steigerte sich seit 2000 kontinuierlich – mit krisenbedingten Ausnahmen. Eine Arbeitsstunde war zum Beipiel 2014 im Schnitt um 18,2 Prozent produktiver. Der pro Stunde ausbezahlte Bruttolohn ist mit plus neun Prozent aber nur halb so stark gewachsen. Dass die ArbeitnehmerInnen aber an der Produktivität beteiligt sein müssen, ist ein ehernes Gesetz. Denn würden die ArbeitnehmerInnen durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung immer weniger verdienen, könnten den Unternehmen irgendwann die KonsumentInnen fehlen, sie würden dann auf ihren Waren und Dienstleistungen letztendlich sitzenbleiben. TEUERUNG FRISST ALLES WEG Von 2010 bis 2014 wies das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) zahlenmäßig pro Kopf ein Brutto-Plus bei Löhnen und Gehältern von 8,6 Prozent aus (= rote Fläche). Preisbereinigt (wegen der Teuerung)

18,5 %

+ 18,2 % 13,5 %

Arbeitsproduktivität je geleisteter Stunde

8,5 %

+ 8,6 % Realer Bruttolohn je geleisteter Stunde

3,5 %

0% -1,5 % 2000

2005

2010

2015

Quelle: Arbeiterkammer Oberösterreich, Statistik Austria; Produktivität = Bruttoinlandsprodukt je geleisteter Arbeitsstunde, Lohn pro von ArbeitnehmerInnen geleisteter Stunde, preisbereinigt mit Verbraucherpreisindex.

ergab sich daraus aber ein Minus von einem Prozent brutto und netto sogar von drei Prozent. Erst heuer kam es mit dem Wirksamwerden der von Gewerkschaften und Arbeiterkammern erkämpften

Ein Ersuchen des Verlages an den/die BriefträgerIn: Falls Sie diese Zeitschrift nicht zustellen können, teilen Sie uns bitte hier den Grund und gegebenenfalls die neue oder richtige Anschrift mit

Lohnsteuersenkung zu einem spürbaren Netto-Anstieg von mehr als zwei Prozent.

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/ / / Straße/Gasse Haus-Nr./Stiege/Stock/Tür / Postleitzahl Ort Besten Dank P.b.b. 02Z031786M ÖGB-Verlag, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1

Retouren an PF 100, 1350 Wien


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