"FSG direkt", 12/2016

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15. Jahrgang // Nummer 12 // Wien, Dezember 2016

d i rek t FACEBOOK.COM/FSG.OEGB TOPINFOS FÜR SOZIALDEMOKRATISCHE GEWERKSCHAFTERiNNEN

KO M M E N TA R : MILLIONÄRE MÜSSEN BEITRAG LEISTEN SEITE 7

, L A R O M G I ZE L A I Z O S K N DE SEITE 4

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Innovation und Wachstum: „Mehr vom modernen Staat“ Arbeitszeit neu vermessen: Auf dem Weg zur 35-Stunden-Woche Soziale Gerec htigkeit : Antwor t auf die Ängste der Bevölkerung


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KERNSACHE

Cover: Themen, die den Menschen 2017 weiter unter den Nägeln brennen. Seite 4 3

Editorial Bundesgeschäftsführer

Aktuelles

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Themen, die brennen Von Armutsbekämpfung bis Millionärssteuer.

Kommentar

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Vorsitzender Wolfgang Katzian

Hintergrund

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Kampagne für modernen Staat FSG-Jugend im Öffentllichen Dienst erfindet „modernen Staat“.

Service

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Recht, Antworten auf Fragen

Grundsatz

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Arbeitszeit neu vermessen Der Weg zur 35-Stunden-Woche wurde 1987 eingeschlagen.

Europa/International

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Mehr soziale Gerechtigkeit EU-Abgeordnete Evelyn Regner zeigt Antworten auf die Ängste der Bevölkerung auf.

Die Bundesregierung hat noch vor Jahresende den „Pensions-Hunderter“ beschlossen. Bekommen werden ihn alle PensionistInnen (ASVG-, GSVGund BSVG-Versicherte) mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich – so der Stand bei Redaktionsschluss. Mit einem Gesamtvolumen von 179 Millionen Euro ist er gemeinsam mit der allgemeinen Pensionserhöhung von 0,8 Prozent „ein wichtiger Beitrag zur Kaufkraftstärkung der PensionistInnen“, erklärt Bundeskanzler Christian Kern. Man sei damit über den Vorschlag der Pensionskommission weit hinausgegangen. „Der Pensions-Hunderter ist das richtige Zeichen“, sagt

FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian. Sozialminister Alois Stöger: „Diese 100 Euro netto sind vor allem für die BezieherInnen von Kleinpensionen dringend notwendig.“ SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch: „Das ist ein Erfolg der SPÖ!“ Der nächste erfolgreiche Schritt zu mehr Pensionsgerechtigkeit wurde bereits zuvor mit der Erhöhung der Mindestpension auf 1.000 Euro monatlich bei 30 Erwerbsjahren beschlossen. Dieser Schritt wird vielen Frauen zugute kommen, vor allem jenen, die heute Teilzeit arbeiten (müssen) und im Alter oft von Armut bedroht sind. www.spoe.at

P L AT T F O R M 4 . 0

Das Infrastrukturministerium hat gemeinsam mit der Arbeiterkammer, Gewerkschaften und anderen eine Aktion ins Leben gerufen, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsbedingungen zu erforschen. „Uns ist wichtig, dass die soziale Absicherung auf hohem Niveau erhalten bleibt“, erklärt AK-Präsident Rudi Kaske. www.plattformindustrie40.at

:: IMPRESSUM :: Herausgeber: Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im ÖGB, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/534 44-39080, www.fsg.at. Medieninhaber (Verleger): Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96–39744, Fax: 01/662 32 96–39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, www.oegbverlag.at, UID ATU 55591005, FN 226769i. Hersteller: Verlag des ÖGB GmbH. Verlagsort: Wien, Herstellungsort: Wien. Redaktion: Christoph Höllriegl (Leitung), Litsa Kalaitzis, Thomas Kallab, Franz Fischill. Grafikdesign: Verlag des ÖGB GmbH. Fotos/Grafiken: FSG-GÖD-Jugend, Franz Fischill, ÖGB-Archiv, Mauritius Images, picturedesk.com. Anzeigenrepräsentanz: Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96-39744, Telefax 01/662 32 96-39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, DVR-Nr. 0562041, ZVR-Nr. 158750011. Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: www.fsg.at/offenlegung Für unverlangt eingesendete Manuskripte und Fotos keine Gewähr. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit Z ­ ustimmung der Redaktion und mit Quellenangabe. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht der Meinung der FSG entsprechen.

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AKTUELLES

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Inhalt

Foto: Mauritius Images / Martin Ley

NÄCHSTER SCHRITT ZU MEHR PENSIONSGERECHTIGKEIT


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Foto: Alexander Sauer

EDITORIAL

Zeig Moral, denk sozial: Die textliche Gestaltung des Titelblatts geht auf einen Videobeitrag von Roman Lang (Mitte) zurück, den er beim 33. Lehrgang der FSG Abendschule Wien präsentierte. Im Bild mit FSG-Wien-Landesgeschäftsführer Gottfried W. Sommer, den OrganisatorInnen Elke Prugger, Michele Calabrese und Harald Rotter (von links). Vielen Dank! www.fsgwien.at

WILLI MERNYI FSG-BUNDESGESCHÄFTSFÜHRER

STOPPEN WIR DIE GRÖSSTE STEUERVERSCHWENDUNG

REICHTUM

In fünf Jahren soll es mit einem Plus von 34 Prozent mehr Millionäre in unserem Land geben, als es im vergangenen Jahr BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung gab. Genau so viele fallen hierzulande auch unter den Begriff „Working poor“, also Menschen, die trotz ihrer Arbeit arm oder armutsgefährdet sind. Seit 2000 hat sich das durchschnittliche Vermögen pro Erwachsenem auf 206.000 Dollar mehr als verdoppelt. Die Hälfte verfügt dennoch nur über weniger als rund 52.000, fast 30 Prozent haben nicht einmal 10.000 Dollar (entspricht rund 9.500 Euro). Die Zahl der DollarMillionäre hat sich seit 2000 hingegen mehr als verdreifacht, jene der Menschen mit über 50 Millionen sogar vervierfacht. Das österreichische Gesamtvermögen beläuft sich laut Global Wealth Report 2016 des Credit Suisse Research Institute auf einen Wert von 1.410 Milliarden Dollar. Das entspricht 0,6 Prozent des Weltvermögens.

B E S S E R I N F O R M I E R T 2 0 17 Das neue Jahr steht auch bei der FSG ganz im Zeichen der voranschreitenden Digitalisierung. Mittels FSG-Infomail und über Facebook gibt’s 2017 alle Infos nicht nur besser, sondern auch noch viel schneller geliefert (Anmeldung siehe Seite 4). Anregungen wie bisher bitte einsenden an: fsg@oegb.at

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Foto: Mauritius Images / imageBROKER / Jochen Tack

MEHR MILLIONÄRE ALS MINDESTSICHERUNGSBEZIEHERiNNEN

Nein, es geht hier keineswegs um den Bundeszuschuss zu den Pensionen, auch nicht um die bedarfsorientierte Mindestsicherung, unseren Sozialstaat oder die soziale Treffsicherheit. Denn das alles zusammen sind Peanuts – sprich Kleinigkeiten – gegenüber der größten Steuerverschwendung aller Zeiten: Sagenhafte 1.000 Milliarden Euro entgehen der EU nach wie vor jährlich durch Steuerflucht und Steuerhinterziehung. Das entspricht in etwa 70 Prozent des heimischen Gesamtvermögens (siehe Kasten links). Der entscheidende Unterschied: Das Gesamtvermögen steigt von Jahr zu Jahr mal mehr oder weniger stark an, der gesamte Steuerentgang hingegen schlägt jedes Jahr von Neuem voll zu Buche. Das heißt, Jahr für Jahr fehlen 1.000 Milliarden Euro in den Staatskassen. Nebenbei zum Vergleich: Die heimischen Staatsausgaben insgesamt machten 2015 „nur“ 175 Milliarden Euro aus. Die konservativen und liberalen Staats- und Regierungschefs in Europa – sie sind gegenwärtig in der Mehrheit – tun absolut nichts gegen diesen unhaltbaren Zustand – sieht man von Lippenbekenntnissen einmal ab. Die größte Verschwendung bleibt daher: Steuern, die abzuführen sind, nicht einmal einheben zu wollen. Ganz im Gegenteil: Die Konservativen und Liberalen senken weiter munter Unternehmens- und Vermögenssteuern und schauen noch zu, wie die Profite unversteuert nach Übersee verschwinden. Für die arbeitenden Menschen, die dadurch durch die Finger schauen, haben sie nicht einmal mehr ein Kopfschütteln übrig. Kein Wunder also, dass überall konservative und neoliberale „Rattenfänger“ abgewählt werden, wenn sie nicht vorher die Flucht nach vorne antreten. Einziger Wermutstropfen dabei: Die politischen Einfallstore überall auf dem europäischen Festland stehen weit offen – leider auch den Rechtspopulisten!

AKTUELLES

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VON ARMUTSBEKÄMPFUNG BIS MILLIONÄRSSTEUER

THEMEN, DIE BRENNEN Soziale Errungenschaften müssen von Gewerkschaften tagein tagaus aufs Neue erkämpft werden. Und der Kampf wird härter.

LEISTUNG IST VIEL WERT RAUF MIT DEN MINDESTLÖHNEN „Fairer Lohn für harte Arbeit“: Nach diesem Prinzip sprechen sich ÖGB und Gewerkschaften für einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1.700 Euro brutto pro Monat in allen Branchen aus. In den Kollektivvertragsverhandlungen streben sie diesen Wert als Ziel an. Der jüngste Abschluss im Metallbereich zum Beispiel beinhaltet einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1.785,03 Euro. „Uns ist bewusst, dass wir in verschiedenen Bereichen noch deutlich von diesem Wert entfernt sind. Umso intensiver werden unsere Bemühungen sein“, sagt ÖGB-Präsident Erich Foglar.

Nichts versäumen, immer auf dem neuesten Stand sein. Entweder mit dem richtigen Eintrag für unser FSG-Infomail (unter www.fsg.at/infomail) oder mit einem „Like“ für unsere Facebook-Page: FAC E B O O K . C O M / F S G . O E G B

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AKTUELLES

Foto: Mauritius Images / imageBroker

Immer mehr arbeitende Menschen meinen irrtümlich, mit den großen Lebensrisiken wie zum Beispiel Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und so weiter allein zurechtkommen zu können. Falsches Motto: Eine Portion Egoismus statt Solidarität. Gemeinsam (mit der Gesellschaft) finanzierte Einrichtungen und Leistungen wie Sozial-, Unfall-, Arbeitslosen- oder Pensionsversicherung würden sie nicht mehr brauchen. Sie gehen damit Rechtspopulisten auf den Leim – zumindest so lange, bis das Schicksal bei ihnen selbst einmal an die Tür klopft. Darauf haben sich die Gewerkschaften bereits eingestellt. Die Überzeugungsarbeit wird dadurch schwieriger. Über den Jahreswechsel hinaus brennen daher viele wichtige Themen weiter unter den Nägeln. Ein Überblick.


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WAS ZÄHLT 2017 „LOHNSTEUER RUNTER“ GEHT WEITER

Foto: ÖGB-Verlag

Seit 1. Jänner 2016 zahlen ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen dank der ÖGB-Kampagne „Lohnsteuer runter!“ weniger Lohnsteuern. Mehr als 882.000 Menschen unterstützten die Kampagne mit ihrer Unterschrift (Bild). Was noch offen ist aus der damaligen Forderung, ist die Eindämmung der „kalten Progression“. Die kalte Progression schlägt zu, wenn ArbeitnehmerInnen nach den jährlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen in eine höhere Steuerklasse vorrücken, dadurch mehr Lohnsteuer zahlen, auch wenn ihr Einkommen gar nicht an Kaufkraft gewinnt (wegen der Teuerung). So kommt es zu einer versteckten, jährlichen Steuererhöhung. Wird die kalte Progression über Jahre hinweg nicht eingedämmt, verpufft letztendlich jede Steuersenkung irgendwann einmal.

SCHLUSS MIT LOHNDUMPING ZEIG MORAL, DENK SOZIAL

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Foto: apa-picturedesk.com

Zum Schutz der Arbeitsbedingungen und Entlohnung gehört auch ein letztes Sicherheitsnetz für den Fall, dass alle Stricke einmal reißen. Ohne bedarfsforientierte Mindestsicherung würde der Arbeitsmarkt unter Druck geraten. Lohndumping wäre nur eine Folge, denn Betroffene würden jede noch so unterbezahlte Arbeit annehmen, nur um ihr Überleben finanzieren zu können. Einige würden auch ein Ansteigen der Kriminalität befürchten. Die Folgekosten wären kaum abzuschätzen. „Die Mindestsicherung ist eine Maßnahme zur Bekämpfung der Armut, aber gleichzeitig auch zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“, sagt FSGVorsitzender Wolfgang Katzian. Die durchschnittliche Bezugsdauer liegt bei rund acht Monaten. Zwei Drittel aller BezieherInnen bekommen sie aber als Unterstützung zu ihren Arbeitseinkommen, die so gering sind, dass niemand davon leben kann. Hier gelte es anzusetzen. Die größte Härte in der Sozialpolitik ist und bleibt daher, „wenn man bei den Ärmsten der Armen, allen voran bei Kindern, noch kürzt und zusammenstreicht“, sagt ÖGB-Präsident Erich Foglar: „Damit treibt man sie noch tiefer in ihre Armut und verbaut ihnen jegliche Chance, aus dieser rasch wieder herauszukommen.“

AKTUELLES

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MIT HAUSVERSTAND ARBEITSZEIT VERKÜRZEN

Foto: Mauritius Images /Blend Images

Seit Jahrzehnten sinkt die Arbeitszeit mit dem technologischen Fortschritt (siehe Seite 16). Von der Steigerung der Produktivität durch Automation und Digitalisierung müssen auch die arbeitenden Menschen, muss die Gesellschaft profitieren. Nur eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sichert gleiche Chancen und verhindert das Auseinanderdriften der Gesellschaft in „Arbeit habende“ und Arbeitslose. Weniger arbeiten heißt auch gesünder arbeiten, heißt mehr Lebensqualität, mehr Lebensfreude. Wer heute noch gegen eine intelligente Arbeitszeitverkürzung ist, lebt in vergangenen herrschaftssüchtigen Zeiten mit Sklaverei, Unterdrückung und Ausbeutung.

WER UNSERE ARBEIT MACHT, MUSS UNSERE ABGABEN BEZAHLEN

Foto: Mauritius Images / Eisele

Die Frage, ob der technische Fortschritt mehr Arbeitsplätze vernichtet als er schafft, beschäftigt Menschen schon seit Jahrhunderten. Bisher war immer klar, dass zumindest vorübergehend Arbeitsplätze verloren gingen. Die heutige Entwicklung ist weit fortgeschritten. Soziale Sicherungssysteme hängen aber immer noch am Faktor Arbeit, an der Finanzierung auf Basis der Lohnsumme. Wenn nun immer mehr Maschinen und Roboter unsere Arbeit übernehmen, dann ist klar, dass sie auch unsere Steuern und Abgaben zahlen müssen. Denn sonst würden alle unsere Sicherungssysteme über kurz oder lang zusammenbrechen. Die Kosten des Sozialstaates wurden über die Preise von den BezieherInnen von Arbeitseinkommen oder von KonsumentInnen selbst bezahlt – und nicht von Kapitalgebern oder -anlegern. Wird dieses System nun infrage gestellt, heißt das im Klartext das Aus für solidarisch finanzierte Leistungen. Jede/r Einzelne hat sich selbst um sein Schicksal zu kümmern. Will man das nicht, dann steht außer Frage, dass Roboter und Maschinen für unsere Abgaben aufkommen müssen – ob das dann Wertschöpfungsabgabe oder Maschinensteuer heißt, ist nur Nebensache. Autor: Christoph Höllriegl 6

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KOMMENTAR

WOLFGANG KATZIAN FSG-VORSITZENDER

Gewerkschaften haben sich durchgesetzt, die Eindämmung des Steuerdumpings für Unternehmen ist endlich Thema in der EU. Während viele konstruktive Kräfte das begrüßen, wollen heimische VertreterInnen der Wirtschaft den Unterbietungswettbewerb offensichtlich weitertreiben. Anders ist die ständige Forderung des Präsidenten der Industriellenvereinigung (IV), die Körperschaftssteuer (KöSt) weiter abzusenken, nicht zu interpretieren. Bevor der Staat mit derartigen Vorschlägen um weitere Einnahmen gebracht wird, sollte die IV ihre Berechnungen noch einmal genau anschauen. Dass eine KöSt-Senkung um eine Milliarde Euro die Wirtschaftsleistung um 1,5 Milliarden Euro anhebt, fällt eher in die Kategorie Wunschdenken, eine abgesicherte Prognose ist es keinesfalls. KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH WIRD GRÖSSER Verglichen mit der Lohn- und Einkommensteuer ist sowohl der Steuersatz als auch die effektiv bezahlte Körperschaftssteuer sehr niedrig. Statt einen ruinösen Dumpingwettbewerb bei den Unternehmenssteuern voranzutreiben, sollte sich die IV lieber für eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung und Mindeststeuersätze in Europa einsetzen. In Anbetracht der angespannten Budgetsituation in allen europäischen Ländern wäre eine Politik des Steuerwettbewerbs bei Unternehmenssteuern nämlich das völlig falsche Signal. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Staat großteils von Massensteuern, geleistet von Unselbstständigen, finanziert wird. Dass die Unternehmen mehr investieren könnten, liegt nicht daran, dass ihnen die Gewinne wegbesteuert werden, sondern daran, dass Europa wegen der Sparpolitik keinen steigenden

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Absatzmarkt bietet. Auch in Österreich sind die ver fügbaren Haushaltseinkommen lange nicht vom Fleck gekommen. Und weil es nach dem aktuellen Vermögensreport aktueller denn je ist – das Vermögen der ÖsterreicherInnen macht nämlich unvorstellbare 1,41 Billionen Dollar aus und ist damit innerhalb eines Jahres um 2,6 Prozent gestiegen. Mit diesem Zuwachs liegt Österreich über dem weltweiten Durchschnitt, was die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. Zum Vergleich: In Sachen Vermögensbesteuerung zählt Österreich aber zu den Schlusslichtern in Europa. Wenn also Änderungen im Steuersystem, dann bitte her mit einer Vermögenssteuer – Millionäre müssen endlich ihren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten.

KOMMENTAR

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Foto: Mauritius Images / Alamy

DUMPING BEI UNTERNEHMENSSTEUERN ABDREHEN, MILLIONÄRE MÜSSEN BEITRAG LEISTEN


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FSG-GÖD-JUGEND

„MEHR VOM MODERNEN STAAT“ „Weniger Staat und mehr Privat“ hat den Menschen nichts gebracht. Das versprochene Heil blieb aus. Die FSG-Jugend in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst fordert neues Denken und erfindet den „modernen Staat“. Außer Spesen nichts gewesen: Während wenige Privatunternehmen satte Profite abgezockt haben, ging der Rest leer aus. „Mehr Privat“ hat vielen Menschen nur geschadet. „Wir wollen daher wieder mehr vom modernen Staat und weniger Privat und teuer“, bringt der Vorsitzende Michael Schuh die Forderungen der FSG-GÖD-Jugend auf den Punkt. In den vergangenen Wochen haben bereits junge Menschen aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes ihre Vorstellungen und Forderungen dazu präsentiert.

Foto: Parlamentsdirektion / WILKE

DIE CHANCEN ERGREIFEN Die Grundlage für einen modernen Staat ist bestens ausgebildetes Personal, eine ausreichende Finanzierung sowie eine klare Aufgabenstellung. In den kommenden zehn Jahren werden in manchen Bereichen bis zur Hälfte der dort Beschäftigten in Pension gehen. Schuh: „Wir sehen das nicht als Problem, sondern als Chance, die ergriffen werden

muss.“ Notwendig sind dafür eine zumindest mittelfristige Personalplanung, die verstärkte Aufnahme junger Menschen in den öffentlichen Dienst und eine fundierte Ausbildung. Gleichzeitig, so Schuh, „muss es die Möglichkeit geben, dass ‚die Jungen‘ von den vor der Pension stehenden KollegInnen lernen“. Die Jugendvertreterin im Innenministerium, Claudia Wottawa, schlägt zudem vor, dass bei Planstellenwechsel die vorgeschriebene Grundausbildung unmittelbar und nicht erst nach einer oft langen Wartezeit zu erfolgen hat. Die Jugendvertreterin im Verkehrsministerium, Pamela Fazlic, findet es toll, dass immer mehr junge Beschäftigte im öffentlichen Dienst neben ihrer Vollzeitarbeit ein Studium beginnen. Das sollte vor allem bei Studienrichtungen, die einen direkten Bezug zur Arbeit haben, mit einem Sonderurlaub von acht bis neun Tagen pro Semester gefördert werden. Grundvoraussetzung für einen moder-

nen Staat sind eindeutige gesetzliche Vorgaben und klare Dienstanweisungen, die eine praktikable Umsetzung ermöglichen. Das erfordert ein neues Denken. Andreas Mayer und Stefan Zahlbrecht, Jugendvertreter beim AMS, haben sich dazu Gedanken gemacht und fassten folgenden Schluss: „Es ist an der Zeit, dass die Politik und der Dienstgeber dementsprechende Novellierungen vornehmen und deren Umsetzung vorantreiben.“ Michael Klima, Jugendvertreter im Bereich der Finanzpolizei sieht in seinem Bereich bereits einen Umbruch: „Es wird darauf geachtet, dass die Ausbildung von Neuaufnahmen so kurz wie nötig, aber qualitativ so hoch wie möglich erfolgt, damit vor allem in der Betriebsveranlagung das Personal rasch eingesetzt werden kann. Zudem können Lehrlinge im Finanzbereich nach ihrer Lehrzeit sehr schnell in vielen Bereichen der Finanzverwaltung eingesetzt werden.“

„ÖFFENTLICHER DIENST GARANTIERT WOHLSTAND“

Staatssekretärin Muna Duzdar

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HINTERGRUND

„Eine moderne, effiziente und starke Verwaltung bildet das Grundgerüst eines gut funktionierenden Staates. Der öffentliche Dienst ist dabei die Visitenkarte des Staates. Gerade in Zeiten des Umbruchs und der Veränderung ist er ein Anker für Stabilität und garantiert Wohlstand. Um dies zu ermöglichen, sind eine fundierte Aus- und Weiter-

bildung und eine vorausblickende Personalpolitik unabdingbar. Ich halte nichts davon, wenn man den Staat schlechtredet und diskreditiert. Was passiert, wenn man den Staat und staatliche Betriebe verkauft oder aushungert, zeigen Dutzende Beispiele aus dem In- und Ausland.“


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ÖFFENTLICHER DIENST

DAS KAPITAL DES STAATES INNOVATION UND WACHSTUM

Foto: Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog

„Wir werden ab Jänner 2017 unsere Kampagne verbreitern und laden alle GewerkschafterInnen ein, sich daran zu beteiligen. Wer mitmachen will, schreibt mir einfach: michael.schuh@goedfsg-jugend.at“ Michael Schuh, Vorsitzender FSG-GÖD-Jugend

Markus Riedl, Personalvertreter bei der Wiener Polizei, und Michael Bürger, Personalvertreter der Villacher Polizei, wollen mehr Personal und eine bessere Infrastruktur, damit die enormen Aufgaben erfüllt werden können. Und Christoph Kubu, Junglehrer aus Wien, fordert, dass „mit der Testeritis wie Pisa“ Schluss sein muss. Er stellt fest: „Der Schlüssel zu einer besseren schulischen Leistung liegt mit Sicherheit nicht in Systemveränderungen des Bildungswesens, sondern zum überwiegenden Teil im Unterricht. Es ist höchst an der Zeit, den tatsächlichen BildungsexpertInnen, den LehrerInnen, zu vertrauen und auf ihre Expertise zu hören. Denn diese beinhaltet neben messbaren Daten auch nicht messbare Kompetenzen, wie Beziehungsarbeit, die für jeden Lernerfolg an sich grundlegende Voraussetzung sind.“

Die Theorie des Neoliberalismus verliert seinen Glanz. Ganz zu Recht. Hatte er sich doch ohne fundierte Grundlagen seinen Platz in den vordersten Reihen der politischen Eliten erschlichen. Nach und nach wird nun endlich vielen klar, dass nur freie Märkte, smarte junge Erfinder und Wagniskapital keineswegs die Wirtschaft allein vorantreiben können. Dennoch saßen viele diesem Irrtum lange auf. Einige werden auch noch folgen. Andere wiederum haben die Rolle des Staates längst erkannt, und wissen die Zusammenhänge richtig zu deuten und zu nutzen. So zum Beispiel die Ökonomin Mariana Mazzucato, die seit Jahren über den Zusammenhang zwischen Innovation und Wachstum forscht. Sie beweist: Wann und wo immer technologische Innovationen zu wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlstand geführt haben, hatte ein aktiver Staat die Hand im Spiel: von der Elektrifizierung bis zum Internet. Der antreibende Motor zur Entwicklung war stets der Staat. Als Beispiele nennt Mazzucato Apple oder auch neue Medikamente. Vie-

BUCHTIPP

le Entwicklungen stammen fast ausnahmslos aus staatlicher Forschung. Kreative Unternehmen setzten in Folge bereits bestehende Elemente lediglich zusammen, sie sparen hohe Entwicklungskosten. Innovationen und Wachstum seien daher dem aktiven Staat zu verdanken und weniger spekulativen Aktienbörsen. Mazzucato stellt damit die Debatte über die Zukunft der Wirtschaft und die Rolle des Staates vom Kopf auf die Füße. Das diskutierte sie auch Ende November mit Bundeskanzler Christian Kern vor 800 Studierenden an der Wirtschaftsuniversität Wien auf Einladung des Bruno Kreisky Forums und der Gesellschaft für Plurale Ökonomik. www.kreisky-forum.org Das Kapital des Staates, Mariana Mazzucato, Verlag Antje Kunstmann, deutsche Ausgabe 2014, 320 Seiten, 23,60 Euro. Bestellbar bei: ÖGBVerlag-Fachbuchhandlung, Rathausstraße 21, 1010 Wien, Telefonnummer 01/405 49 98–132, E-Mail: fachbuchhandlung@oegbverlag.at www.diefachbuchhandlung.at

Autor: Franz Fischill

Bundeskanzler Christian Kern mit Ökonomin Mariana Mazzucato (rechts) und Moderatorin in der Wirtschaftsuniverstät Wien.

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HINTERGRUND

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BETRIEBSVEREINBARUNGEN

GELTUNGSDAUER, KÜNDIGUNG, NACHWIRKUNGEN Betriebsvereinbarungen (BV) sind schriftliche Vereinbarungen zwischen Betriebsrat (BR) und Betriebsinhaber (BI). Ihre Geltungsdauer ist gesetzlich im § 32 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) geregelt. Grundsätzlich gilt, dass BR und BI Regelungen über die Geltungsdauer selbst vereinbaren können. BV können befristet, das heißt für eine bestimmte, von vornherein vereinbarte Dauer oder unbefristet abgeschlossen werden. Unbefristete BV können grundsätzlich gekündigt werden. BR und BI können dafür eigens Regelungen in die BV aufnehmen. Wenn die BV keine Regelungen enthält, ist eine Kündigung mit einer Frist von drei Monaten zum letzten Tag eines Kalendermonats zulässig. Kündigungen sind aber nicht zulässig, wenn es sich inhaltlich um eine sogenannte erzwingbare BV (§ 97 Absatz 1, Z. 1 bis 6a ArbVG) oder sogenannte notwendige erzwingbare BV nach § 96a ArbVG handelt. § 32 ArbVG sieht nämlich vor, dass in all jenen Angelegenheiten, in denen die Schlichtungsstelle angerufen werden kann, wenn eine Einigung über den Abschluss, die Abänderung und Aufhebung einer BV zwischen BR und BI nicht zustande kommt, die BV nicht gekündigt werden kann. Einige Beispiele für derartige Angelegenheiten: die Einführung von Systemen zur automationsunterstützten Ermittlung, Verarbeitung und Übermittlung

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SERVICE

von personenbezogenen Daten (§ 96a ArbVG); oder betreffend die Grundsätze der Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen im Rahmen einer Arbeitskräfteüberlassung (§ 97 Absatz 1, Z. 1a); oder die generelle Festsetzung des Beginns und Endes der täglichen Arbeitszeit, der Dauer und Lage der Arbeitspausen und der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage (§ 97 Absatz 1, Z. 2); oder zum Beispiel die Art und Weise der Abrechnung und insbesondere Zeit und Ort der Auszahlung der Bezüge (§ 97 Abs. 1, Z. 3) und so weiter. Die Kündigungsmöglichkeit ist daher insbesondere für sogenannte freiwillige (fakultative) BV gesetzlich vorgesehen. In vielen Angelegenheiten (§ 97 Absatz 1, Z. 7 bis 24 ArbVG) kann eine BV abgeschlossen werden, muss aber nicht. § 32 Absatz 3 ArbVG bestimmt weiter, dass die Rechtswirkungen der BV mit ihrem Erlöschen enden. In einem Sonderfall – nämlich wenn die BV durch Kündigung erloschen ist – sieht das ArbVG vor, dass ihre Rechtswirkungen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor ihrem Erlöschen durch sie erfasst waren, so lange aufrechtbleiben, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht eine

neue BV wirksam oder mit den betroffenen ArbeitnehmerInnen nicht eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird (Nachwirkung von BV). ENTSCHEIDUNG DES OGH In einer kürzlich ergangenen Entscheidung (GZ 9ObA18/16m) hat sich der Oberste Gerichtshof (OGH) mit dieser Nachwirkung von BV auseinandergesetzt. Der OGH hat deutlich gemacht, dass § 32 ArbVG den Vertragsparteien fakultativer BV jede Möglichkeit einräumt, eine solche Vereinbarung für eine bestimmte Zeit zu befristen oder jederzeit einvernehmlich zu beenden. Auch eine (schriftliche) Kündigung ist jederzeit (mangels besonderer Regelung durch die Vertragsparteien mit einer dreimonatigen Frist) möglich (§ 32 Absatz 1 ArbVG). Die Rechtswirkungen der fakultativen BV enden mit deren Er-


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RECHT

THOMAS KALLAB

Foto: Mauritius Images / Westend61 / Florian Küttler (Coop)

Jurist, Arbeiterkammer Wien E-MAIL: thomas.kallab@akwien.at

Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Dauer und Lage der Arbeitspausen können mittels Betriebsvereinbarungen geregelt werden.

löschen. Nur für die Fälle, in denen die Vertragsparteien einer fakultativen BV sich über ihre Geltungsdauer (und damit auch über eine spätere Nachwirkung nach einer Kündigung) nicht ausdrücklich geeinigt haben und sie durch eine einseitige Erklärung einer der beiden Parteien endet, sieht das Gesetz vor, dass die BV für die im Zeitpunkt ihres Erlöschens von ihr erfassten ArbeitnehmerInnen bis zum Abschluss einer neuen (kollektiven oder einzelvertraglichen) Vereinbarung weiter gelten soll. Der OGH geht aber noch darüber hinaus: Auch die Nachwirkung derartiger BV ist nach dieser Entscheidung abänderbar. Die Betriebspartner können beim Abschluss einer freiwilligen BV zulässig und wirksam vereinbaren, dass deren Rechtswirkungen (auch) im Fall einer Kündigung mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Vereinbarung enden.

Ich habe Anspruch auf Fixum und Provisionen. Wie sind meine Sonderzahlungen zu berechnen? Da kommt es darauf an, welcher Kollektivvertrag anzuwenden ist. Manche Kollektivverträge sehen zum Beispiel vor, dass lediglich das Fixum 14-mal zu bezahlen ist, die Provisionen aber bei den Sonderzahlungen nicht berücksichtigt werden. Auch Ihr Arbeitsvertrag kann diesbezüglich Regelungen beinhalten. Ich empfehle, Rat bei der zuständigen AK oder Gewerkschaft einzuholen. Beachten Sie, dass in Ihrem Fall abhängig von der Branche, in der Sie arbeiten, eine Verfallsfrist gelten kann. Diese kann vorsehen, dass Sie Ihre Forderungen außergerichtlich innerhalb einer bestimmten Frist nachweislich verlangen müssen, widrigenfalls sie verfallen. Ich bin Arbeiter. Mein Arbeitgeber verlangt von mir, dass ich während der Mittagspause ein Auge auf den Fuhrpark halte. Immer öfter kommt es vor, dass ich dann für Dringendes mein Essen unterbrechen muss. Wie viel an Pause steht mir zu? Grundsätzlich unterbricht die Ruhepause gemäß § 11 Arbeitszeitgesetz (AZG) die Arbeitszeit. Sie dürfen während dieser Zeit keine Arbeit leisten. Meiner Meinung nach ist auch das „im Auge halten“ des Fuhrparks als Arbeit zu qualifizieren. In dieser Konstellation halten Sie gar keine Pause – egal, ob Sie zusätzliche Arbeiten (Dringendes) erledigen müssen. Erste Ansprechperson wäre in Ihrem Fall der Vorsitzende des Betriebsrates. Die zuständige Gewerkschaft oder AK hilft bei rechtlichen Unklarheiten.

Autor: Thomas Kallab

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VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT

ARBEITSZEIT NEU VERMESSEN

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Der Weg zur 35-Stunden-Woche wurde am 11. ÖGB-Bundeskongress 1987 beschlossen. Die kommerzielle Nutzung des heutigen Internets begann erst drei Jahre später. Die Zeit ist reif, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.

Arbeitsstunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich brächten eine enorme physische und psychische Entlastung der Beschäftigten.

Vor der Einführung der 45-Stunden-Arbeitswoche 1959 erfanden die Kritiker jede Menge skurrile Argumente dagegen. Der Mindesturlaub betrug damals übrigens erst zwei Wochen. Abbildung aus der ÖGBMitgliederzeitschrift Solidarität, 1957. Der Bilduntertitel lautete: „Ich bin überzeugt, dass meine Arbeiter keine Ahnung haben, was sie mit ihrer Freizeit anfangen sollen.“

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GRUNDSATZ

Österreichs Frauen sind zwar top ausgebildet, müssen im Beruf aber nach wie vor oft zurückstecken. Da geht es nicht nur um die Entlohnung oder um fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, sondern vor allem auch um die Arbeitszeit, weil die Verantwortung für Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch meist Frauensache ist. Die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht. Umso wichtiger ist die Forderung der zuständigen Gewerkschaften bei den unlängst gestarteten Kollektivvertragsverhandlungen für die mehr als 100.000 Beschäftigten im privaten Gesundheitsund Sozialbereich: die Verankerung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im Kollektivvertrag. Neben positiven Entlastungseffekten im Hinblick auf die enormen physischen und psychischen Belastungen der Beschäftigten brächte diese Verkür-


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FRAUEN Der Meinungsforscher: „Und was machen Sie in Ihrer Freizeit, liebe Frau?“ (Abbildung aus der ÖGB-Mitglieder-Zeitschrift Solidarität, 1958). Damals wie heute leisten viele Frauen den Großteil der unentgeltlichen Familien-, Betreuungs- und Pflegearbeit.

zung der Arbeitszeit auch eine willkommene Möglichkeit zur Umverteilung: Derzeit arbeiten 74 Prozent der Männer, aber nur 33 Prozent der Frauen im Gesundheits- und Sozialbereich Vollzeit. Durch die Verkürzung auf zum Beispiel 35 Stunden würde die Arbeit umverteilt. Teilzeitbeschäftigte, die länger arbeiten wollen, könnten ihre Arbeitszeit aufstocken. Teilzeitbeschäftigte, die heute schon zu wenig verdienen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, aber die Arbeitszeit nicht aufstocken können oder dürfen, würden zumindest durch einen Lohnausgleich profitieren können. Neben der wöchentlichen Arbeitszeitverkürzung ist es auch höchste Zeit für die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche und für die Reduktion der (größtenteils noch dazu unentgeltlich geleisteten) Überstunden. Wenn es beispielsweise gelingt, ein Drittel der Überstunden – nämlich jene, die regelmäßig anfallen – in neue Arbeitsplätze umzuwandeln, wären das über

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50.000 Vollzeitarbeitsplätze. Eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden würde laut Expertenrechnung ein Beschäftigungswachstum von rund 100.000 neuen Jobs bringen. Neue und faire Arbeitszeitmodelle, die den ArbeitnehmerInnen mehr Zeit zum Leben lassen, sind also das Gebot der Stunde – nicht nur im privaten Gesundheits- und Sozialbereich. Zeit ist eine der wichtigsten Ressourcen für alle ArbeitnehmerInnen: Das gilt für Frauen, die immer noch den Großteil der unentgeltlichen Familien-, Betreuungsund Pflegearbeit leisten, umso mehr.

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Wochen Urlaub müssten heute leichter erreichbar sein. Das wäre zeitgemäß.

Autorin: Ilse Fetik

„Teilzeitbeschäftigte, die heute schon zu wenig verdienen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, aber die Arbeitszeit nicht aufstocken können oder dürfen, würden zumindest durch einen Lohnausgleich von einer Arbeitszeitverkürung profitieren. Teilzeitbeschäftigte, die länger arbeiten wollen, könnten ihre Arbeitszeit aufstocken. “ Ilse Fetik, FSG-Frauenvorsitzende

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MEHR SOZIALE GERECHTIGKEIT STATT NEOLIBERALEM IRRWEG Unsere Antwort auf die Ängste der Bevölkerung kann nur ein soziales Europa sein. Machen wir 2017 zu unserem Jahr!

„In Großbritannien oder den USA ist ja nicht unsere Politik abgewählt worden, sondern der blinde Neoliberalismus der konservativen und liberalen Kräfte.“ Evelyn Regner, Europaabgeordnete, Delegationsleiterin der SPÖ-Europaabgeordneten und Mitglied im Panama-Untersuchungsausschuss Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung.

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EUROPA/INTERNATIONAL

Im zu Ende gehenden Jahr 2016 wurde deutlich, dass eine immer größere Zahl an Menschen unzufrieden mit ihrer Situation und wütend auf jene ist, welche ihrer Meinung nach dafür verantwortlich sind. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz war wenige Tage nach der Wahl Donald Trumps im Panama-Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments und meinte dazu: „Warum in den USA so viele wütend sind? Einfach weil sie Grund dazu haben: Seit dreißig Jahren stagnieren dort die Löhne.“ Eine ähnliche Situation finden wir auch hier in Europa. Nach Jahren der Krise und neoliberaler Dogmen in der europäischen Wirtschaftspolitik fühlen sich immer mehr Menschen deklassiert und ausgeschlossen. Und auch das nicht ohne Grund: Tatsächlich wird die Ungleichheit in Europa immer größer. Eine Studie der Österreichischen Nationalbank (OeNB) zeigt, dass in Österreich die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 56 Prozent des gesamten Vermögens besitzen. Auf der anderen Seite ist laut Statistik Austria jeder siebente Haushalt armutsgefährdet. Die Reallöh-

ne in Europa sinken und das Lohngefälle innerhalb der Mitgliedstaaten nimmt zu. ArbeitnehmerInnen fürchten wegen Digitalisierung und Globalisierung um ihre Arbeitsplätze und sind von Altersarmut bedroht. Was wir deshalb dringend brauchen, ist eine Abkehr vom neoliberalen Irrweg. Wir müssen die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen und die richtigen Antworten liefern. Dafür werden wir SozialdemokratInnen im EU-Parlament auch im Jahr 2017 vehement kämpfen. Im Vereinigten Königreich oder in den USA ist ja nicht unsere Politik abgewählt worden, sondern vielmehr der blinde Neoliberalismus der konservativen und liberalen Kräfte. Unsere Forderung nach einem Bruch mit dem strikten Sparkurs beschränkt sich nicht mehr nur auf uns linke, progressive Kräfte. Auch die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds (IWF) fordern mehr soziale Gerechtigkeit. BLOCKADEPOLITIK BEENDEN Die EU-Kommission muss im Jahr 2017 endlich Taten folgen lassen: Europa muss sozialer werden! Wir müssen in Europa Arbeitsplätze schaffen. Dazu braucht es wirksame öffentliche Investitionen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprach uns im EU-Parlament, die Dauer und Höhe der Investitionsoffensive EFSI zu verdoppeln (Europäischer Fonds für strategische Investitionen). Der Auftrag ist nun, die Mittel effektiver einzusetzen. Insbesondere müssen soziale und nachhaltige Projekte Priorität haben und vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) leichter Zugang zu Finanzierung finden. Investitionen in die Zukunft, etwa Ausgaben für Bildung, dürfen


15. Jahrgang // Nummer 12 // Wien, Dezember 2016

Foto: Manfred Krause / dpa / picturedesk.com

EU-PARLAMENT

nicht mehr von den strengen Fiskalregeln umfasst sein. Wir wollen 2017 auch weiterarbeiten, um Steuergerechtigkeit herzustellen, indem wir Steuerdumping und Steuertrickserei von multinationalen Konzernen bekämpfen. Es kann nicht länger hingenommen werden, dass unser Sozialstaat beinahe nur aus Steuern auf Arbeit finanziert wird. Neben den laufenden Arbeiten im EU-Parlament im Panama-Untersuchungsausschuss, muss die Kommission die legislativen Maßnahmen verfolgen und die schon erarbeiteten Vorschläge des EU-Parlaments aufgreifen. Hier müssen auch die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten und ihre Blockadepolitik beenden. Was wir also 2017 tun müssen, ist noch aktiver werden. Wir müssen wieder als echte soziale Alternative zu den PopulistInnen und Neoliberalen wahrgenommen werden. Klar ist, dass wir diese Ziele nicht erreichen können, wenn wir uns national abschotten, sondern nur, indem wir mit unseren europäischen Nachbarn zusammenarbeiten. Machen wir 2017 zu unserem Jahr! Autorin: Evelyn Regner

Foto: Mauritius Images / blickwinkel / Erwin Wodicka

WAS IST DER EFSI 2.0? Als Reaktion auf die Krise wurde vor zwei Jahren der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) eingeführt mit dem Ziel, Investitionen von mindestens 315 Milliarden Euro zu mobilisieren. Bisher hat das Paket zu Investitionen von 138,5 Milliarden Euro geführt. Im September 2016 kündigte die EU-Kommission an, die Dauer und die Kapazität zu verdoppeln. Für den EFSI 2.0 will die Kommission Prioritäten auf nachhaltige und soziale Investitionen, geografische Abdeckung und Transparenz setzen. Den SozialdemokratInnen im EU-Parlament ist es wichtig, dass mit dem EFSI 2.0 tatsächlich zusätzliche Projekte zur Abfederung der sozialen Auswirkungen der Krise ermöglicht werden.

d i rek t

Steuergerechtigkeit: „Es kann nicht länger hingenommen werden, dass unser Sozialstaat beinahe nur aus Steuern auf Arbeit finanziert wird.“

EUROPA/INTERNATIONAL

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ARBEITSZEITVERKÜRZUNG AUF RATEN Die wöchentliche Arbeitszeit verringerte sich in beinahe 100 Jahren von 48 auf 40 Stunden und darunter (zumeist 38,5 Stunden). Das entspricht einer Verringerung von etwa 17 Prozent. In den vergangenen Jahren tat sich in punkto Arbeitszeitverkürzung allerdings nur noch sehr wenig. Zum Vergleich ein Blick auf die

48

Stunden

Entwicklung der Gewinne nach Steuern der 30 wichtigsten Unternehmen an der Wiener Börse rund um die letzte Jahrtausendwende. Die Gewinne stiegen in fünf Jahren um sagenhafte 318 Prozent oder um fast 80 Prozent pro Jahr. Die Forderungen der Wirtschaft nach längeren Arbeitszeiten erscheinen in diesem Licht mehr als absurd!

45

Stunden

43*)

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Stunden

Stunden

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unter 40**)

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1918

*) **)

1959

1970 1972

Stunden

1975

1985

2017

1970 Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit in Etappen durch Generalkollektivvertrag 1969 Ab 1985 Kollektivverträge mit unter 40-Arbeitsstunden pro Woche

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