"FSG direkt", 6/2016

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15. Jahrgang // Nummer 6 // Wien, Juni 2016

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d i rek t FACEBOOK.COM/FSG.OEGB TOPINFOS FÜR SOZIALDEMOKRATISCHE GEWERKSCHAFTERiNNEN

KO M M E N TA R : NEW DEAL UND VIELE A LT E S P R Ü C H E SEITE 7

Foto: mauritius images / eddie linssen / Alamyiegl

R H E M

T I E K G I T GERECH OMM RBEIT, EINK A , G N U D IL BEI B

N EN, WOHNE

R E S S E B T H E I SS

N E B LE

SEITE SEITE SEITE

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Lebensqualität in Österreich steigt Krebserregende Substanzen eindämmen Weiterbildung wird zum Muss

SP EN D EN -A KT IO N ZU R W M IN KATA R SEITE 6


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Foto: mauritius images (Bildmontage)

Inhalt

Cover Spenden-Aktion für Waisenkinder in Nepal anlässlich der WM 2022. (Bild-Montage) Seite 6 3

Editorial Bundesgeschäftsführer

Aktuelles

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Es geht bergauf Zufriedenheit und Lebensqualität steigen in Österreich. Schule für Nepal

Kommentar

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Vorsitzender Wolfgang Katzian

Hintergrund

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Verbrannte Erde Arbeitskräfte in der Landwirtschaft vor giftigen Substanzen schützen.

Service

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Recht, Antworten auf Fragen

Grundsatz

12 Gender-Perspektiven

Österreich fällt bei Beschäftigungsquote von Frauen zurück.

Europa/International

Brexit – die Insel muss bleiben Großbritannien entscheidet über EU-Austritt, Schaden ist erheblich. 16 Urlaub(sgeld) macht stark

Die haben glatt auf das Tor vergessen …

… oder sie haben seit ihrem EU-Austritt einen Fünf-Jahres-Plan …

Zeitreise

EU IST FÜR ÖSTERREICH WICHTIGER HANDELSPARTNER Der österreichische Außenhandel ist ein überaus wichtiger Faktor der heimischen Wirtschaft und Motor der Konjunktur. Als kleine offene Marktwirtschaft entwickelte Österreich einen weit verzweigten und hoch differenzierten Außenhandel. So ist etwa die Exportquote (Waren- und Dienstleistungsexporte gemessen am Bruttoinlandsprodukt) von 33,6 Prozent (1995) auf 54 Prozent (2015) angestie-

gen und liegt beträchtlich über dem EUDurchschnitt (43 Prozent, 2014). Für Österreich ist die EU ein unerlässlicher Handelspartner. Der TopAußenhandelspartner ist nach wie vor Deutschland. Weitere bedeutende Handelspartner sind Italien, Frankreich und die Tschechische Republik. Wichtigster Überseemarkt sind die Vereinigten Staaten von Amerika.

ANSTIEG DER EXPORTQUOTE (seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995)

54 %

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33,6 % 1995

2005

2015

:: IMPRESSUM :: Herausgeber: Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im ÖGB, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/534 44-39080, www.fsg.at. Medieninhaber (Verleger): Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96–39744, Fax: 01/662 32 96–39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, www.oegbverlag.at, UID ATU 55591005, FN 226769i. Hersteller: Verlag des ÖGB GmbH. Verlagsort: Wien, Herstellungsort: Wien. Redaktion: Christoph Höllriegl (Leitung), Litsa Kalaitzis, Thomas Kallab, Mathias Beer. Grafikdesign: Verlag des ÖGB GmbH. Fotos/Grafiken: Höllriegl, Mauritius Images, ÖGB-Archiv, ÖGB-Verlag, picturedesk.com. Anzeigenrepräsentanz: Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96-39 744, Telefax 01/662 32 96-39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, DVR-Nr. 0562041, ZVR-Nr. 158750011. Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: www.fsg.at/offenlegung Für unverlangt eingesendete Manuskripte und Fotos keine Gewähr. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit Z ­ ustimmung der Redaktion und mit Quellenangabe. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht der Meinung der FSG entsprechen.

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AKTUELLES


15. Jahrgang // Nummer 6 // Wien, Juni 2016

Foto: mauritius images / foodcollection

EDITORIAL W E LT F L Ü C H T L I N G S T A G Die Vereinten Nationen haben den 20. Juni zum internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Wo nur noch Krieg ist, wo es keine funktionierenden Schulen oder Krankenhäuser mehr gibt, dort wächst die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Dieser Tag soll daher auf die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam machen. „Überall auf der Welt fliehen Familien vor Gewalt. Die Zahlen sind enorm, aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Menschen Mütter und Väter, Töchter und Söhne sind, Menschen wie du und ich. Am Weltflüchtlingstag sollten sich alle daran erinnern, was uns verbindet: unsere gemeinsame Menschlichkeit“, appelliert Flüchtlingshochkommissar António Guterres. www.unhcr.de

Rund 69 Prozent aller heimischen Ausfuhren gingen 2015 in die EU. Und 70 Prozent aller Einfuhren kamen aus ihr. Österreich hat eine Exportquote von 54 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das heißt fast sechs von zehn Euro werden durch den Export erwirtschaftet. Ein Drittel aller heimischen Arbeitsplätze hängen direkt von den Ausfuhren ab.

70 % AU S EU

69 % IN EU

IMPORTE, EXPORTE (Anteil in Prozent der gesamten Importe und Exporte)

FSG DIREKT IM ABO „FSG direkt“ ist kostenlos und kann per Post oder per E-Mail bezogen werden (www.fsg.at/abo). Anregungen oder Beiträge einsenden an: fsg@oegb.at

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WILLI MERNYI FSG-BUNDESGESCHÄFTSFÜHRER

KUCHEN MUSS GRÖSSER WERDEN Seit acht Jahren lässt das Wirtschaftswachstum zu wünschen übrig. Genau genommen seit dem Ausbruch der Finanz- und Bankenkrise. Heuer soll die Wirtschaft in der Eurozone laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nur um magere 1,6 Prozent wachsen. Zu wenig für alle. 39 Millionen Menschen werden 2017 noch arbeitslos sein, um 6,5 Millionen mehr als vor der Krise. Fehlende Nachfrage, anhaltende Unsicherheit und geringes Tempo bei Reformen führen laut OECD dazu, dass Unternehmen wenig investieren. Der Welthandel wird langsamer wachsen als bisher. Und dabei könnte es auch bleiben. Denn mittlerweile hat sich das Wachstumspotenzial auf nicht einmal mehr ein Prozent halbiert. Die erforderliche Zeit für eine Verdoppelung des Lebensstandards verlängert sich dadurch von 35 auf 70 Jahre, rechnet die OECD vor. Stellte sich bisher „nur“ die Frage, wie wir den gemeinsam erwirtschafteten Kuchen möglichst gerecht verteilen können, so müssen wir jetzt darüber nachdenken, wie wir den Kuchen einerseits vor einem drohenden Zusammenfall überhaupt bewahren, andererseits wie wir ihn wieder größer backen können. Für Letzteres stehen laut OECD die Chancen ganz gut. Der Spielraum für eine Neuausrichtung öffentlicher Ausgaben hin zu stärker wachstumsfördernden Posten ist da. Und die niedrigen Zinsen spielen der Politik dazu noch in die Hände. Investiert werden soll in „harte“ Infrastruktur wie zum Beispiel Digitalisierung, Energie und Verkehr sowie in „weiche“ Bereiche, wie z. B. in frühkindliche Bildung und Innovation. Laut OECD haben fast alle Länder diesen Spielraum zur Umorientierung. Womit wir den Schub aber sicher nicht schaffen werden, das sind Sparpakete und längere Arbeitszeiten ohne irgendeinen Lohnausgleich.

AKTUELLES

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REICHEN FLIEGT DAS GELD NOCH ZU Eine neue Studie belegt, dass sich Vermögensvorteile über mehrere Generationen erhalten. Mitarbeiter der italienischen Nationalbank erforschten laut ORF.at die Verhältnisse in Florenz aus dem Jahr 1427 und 2011. Sie verglichen für die beiden Jahre die vorhandenen Steuerlisten, auf denen Namen, Beruf, Einkommen und Vermögen festgehalten sind. Das Ergebnis: Die heutigen Spitzenverdiener schienen bereits vor fast sechs Jahrhunderten an der Spitze der Einkommenspyramide namentlich auf; Juristen, Seidenhändler oder Mitglieder der Schuhmachergilde. Den reichen Familien fliegt nach diesen Ergebnissen das Geld über Jahrhunderte hinweg sprichwörtlich noch zu beziehungsweise bleibt es dort, wo es vorher auch schon war. Kleiner Trost: Früher gab es Erbschafts-, Schenkungsoder Anfallsteuern (auf Luxus). Damit wurden überschuldete Staatskassen nach Kriegen wieder aufgefüllt. Erst im 19. Jahrhundert verfestigten sich steuer finanzierte Sozialstrukturen mit zum Beispiel Schulen, Fürsorge und Wohnbauprogrammen für die Allgemeinheit.

EIN LETZTES DANKESCHÖN, ERNST WEBER Am 13. Mai in den frühen Morgenstunden verstarb der ehemalige FSG-Redakteur Ernst Weber nach langer und schwerer Krankheit im 67. Lebensjahr. Weber studierte an der Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität Wien) Werbung und Verkauf. Er kam 1997 als Redakteur in den ÖGB und war bis zu seiner Pensionierung 2007 als stellvertretender Leiter der Kommunikation tätig. Weber betreute auch viele Presseagenden der FSG und war Redakteur der Zeitschrift „FSG direkt“. Ernst Weber war auch 27 Jahre lang Gemeindepolitiker, davon zehn Jahre Vizebürgermeister von St. Egyden am Stein-

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AKTUELLES

feld in Niederösterreich. Seine sportlich engagierte Seite entdeckte der 1949 geborene als aktiver Kegler ab 1966, unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Niederösterreich (ASKÖ NÖ). Zuletzt war er Generalsekretär des Österreichischen Sportkegel und Bowling Verbandes (ÖSKB). Für seine Verdienste erhielt Ernst Weber auch zahlreiche Auszeichnungen. Bundespräsident Heinz Fischer verlieh ihm 2013 das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich. Unser letztes Dankeschön gilt unserem ehemaligen Redakteur Ernst Weber, unsere tiefe Trauer und ganze Anteilnahme

Ernst Weber (1949–2016), ehemaliger FSG-Redakteur. in dieser schweren Zeit gebührt den Familienangehörigen, allen voran seiner Lebensgefährtin und seinen beiden Kindern.


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KURZ NOTIERT LEBENSQUALITÄT IN ÖSTERREICH

ES GEHT BERGAUF Hohe Zufriedenheit und steigende Einkommen ließen im vergangenen Jahr die Lebensqualität in unserem Land ansteigen. Österreich machte zwei Plätze gut und liegt nur noch einen Platz hinter der bisherigen Bestplatzierung.

BESSERES VERSTÄNDNIS NÖTIG Mit dem Better Life Index lässt sich das gesellschaftliche Wohlergehen in den verschiedenen Ländern anhand von elf Themenfeldern vergleichen, die von der OECD sowohl in Bezug auf die materiellen Lebensbedingungen als auch für die Lebensqualität insgesamt als äu-

Foto: mauritius images / Cultura / Stephen Lux (Symbolbild)

Beim aktuellen „Better Life Index“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) machte Österreich zwei Plätze gut und landete jetzt mit dem 15. Platz im vorderen Mittelfeld von 38 untersuchten Ländern. Die beste Platzierung, die wir jemals erreichten, liegt nur noch einen Platz weiter vorne. Österreich punktete vor allem in den Bereichen Sicherheit und Beschäftigung. Im Spitzenfeld liegen gleich drei skandinavische Länder. Die Reihenfolge: Norwegen, Australien und Dänemark, gefolgt von der Schweiz, Kanada und Schweden. Was im Leben zählt, bestimmt jede und jeder für sich selbst. ßerst wichtig identifiziert wurden. Denn im Leben geht es um mehr als nackte Zahlen wie das Bruttoinlandsprodukt und andere Wirtschaftsdaten. Die Entwicklung besserer Maßnahmen für bessere Lebensverhältnisse erfordert aber

auch ein besseres Verständnis von Lebensqualität. Jeder Mensch hat seine eigenen Vorstellungen und Prioritäten. Seinen persönlichen „Better Life Index“ zusammenstellen kann man jetzt unter: www.oecdbetterlifeindex.org/de

Nichts versäumen, immer auf dem neuesten Stand sein. Entweder mit dem richtigen Eintrag für unser FSG Infomail (unter www.fsg.at/infomail) oder mit einem „Like“ für unsere Facebook-Page, damit ist man auf dem neuesten Stand und kann nichts versäumen. Jetzt gleich liken unter:

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AKTUELLES

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FUSSBALL-WM 2022

SCHULE FÜR NEPAL Bis zum Anpfiff der WM in Katar werden 7.000 Arbeiter aus Nepal ihr Leben verloren haben. Für ihre Kinder gibt es schon jetzt eine Spenden-Aktion. ArbeitnehmerInnenschutz wird im reichen Wüstenstaat Katar kleingeschrieben. Sehr klein. Seit 2010 sind 1.993 indische und nepalesische Wanderarbeitskräfte ums Leben gekommen. Das bestätigen offiziell die Regierungen Indiens und Nepals. Aufgebaut wird gerade die Infrastruktur für die FußballWeltmeisterschaft im Jahr 2022. Schätzungen des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) zufolge werden

mehr als 7.000 Arbeiter bis zum ersten Anpfiff der WM sterben. Paul Scharner, ehemaliger Profifußballer, zeigt sich angesichts der Fakten erschüttert: „Sport darf nicht über Leichen gehen.“ Die Gewerkschaften kämpfen daher für eine Stärkung der Rechte der Wanderarbeiter in Katar. Wenn der Weltfußballverband FIFA nichts unternimmt, dann drohe die WM in Katar zu einer „WM der Schande“ zu

GEDEMÜTIGT & AUSGEBEUTET WEHR DICH „Der Kampf gegen die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse ist einer unserer Schwerpunkte. Daher freuen wir uns über die Unterstützung der Bundesregierung“, begrüßt Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), die Ankündigung von Bundeskanzler Christian Kern, Maßnahmen gegen unfreiwillige Selbstständigkeit setzen zu wollen. „Die Rückmeldungen Betroffener sind alarmierend und unterstreichen den Handlungsbedarf“, erklärt Veronika Kronberger von der Interessengemeinschaft work@flex in der GPA-djp. „Viele fühlen sich gedemütigt und ausgebeu-

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AKTUELLES

tet, weil sie die gleiche Arbeit leisten wie ihre angestellten KollegInnen, nur für viel weniger Geld und ohne sozial abgesichert zu sein.“ Die GPA-djp hat vor einem Jahr die „watchlist-prekaer.at“ als Hilfestellung für Menschen ins Leben gerufen, die in Scheinselbstständigkeit gezwungen werden. Auf der OnlinePlattform können Rahmenbedingungen und vertragliche Vereinbarungen zu freien Dienstverhältnissen und Werkverträgen anonym eingegeben werden. Diese werden an die Gebietskrankenkassen weitergeleitet, um die genannten Unternehmen prüfen zu können.

werden, sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. Trotz vieler Versprechungen habe sich an den Arbeitsbedingungen für die Bauarbeiter nichts verbessert. „Sie werden wie Sklaven gehalten und arbeiten unter lebensgefährlichen Bedingungen.“ Achitz fordert die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten: „Fair Play muss nicht nur auf dem Spielfeld gelten, sondern auch auf den Baustellen.“ Josef Muchitsch, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), setzt noch eins drauf und fragt: „Wenn es im Fußball internationale Spielregeln gibt, welche von allen Ländern anerkannt wer-

„Wenn es im Fußball internationale Spielregeln gibt, welche von allen Ländern anerkannt werden, warum gibt es dann nicht auch anerkannte internationale Spielregeln beim ArbeitnehmerInnenschutz?“ Josef Muchitsch, Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz


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Foto: mauritius images / robertharding / Frank Fell

In Katar arbeiten rund 1,5 Millionen Menschen, 94 Prozent davon sind ausländischer Herkunft; 37 Prozent sind in der Baubranche. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt in dem über zwei Millionen EinwohnerInnen zählenden Staat mit knapp 94.000 Dollar fast das Doppelte von Österreich. den, warum gibt es dann nicht auch anerkannte internationale Spielregeln beim ArbeitnehmerInnenschutz.“ Muchitsch weiß auch zu erzählen, wie Todesfälle zu vermeiden sind, sogar in Katar. Auf den Baustellen von heimischen Firmen finden nämlich österreichische ArbeitnehmerInnenschutz-Standards Anwendung. Und die Arbeiter werden menschenwürdig behandelt. 8,5 Millionen Arbeitsstunden wurden im vergangenen Jahr allein auf den Baustellen der Porr-Gruppe vor Ort in Katar geleistet; es gab lediglich vier leichte Arbeitsunfälle.

SPENDEN- AKTION FÜR WAISEN Gemeinsam mit den Naturfreunden Niederösterreich initiierten der ÖGB und die Gewerkschaft Bau-Holz (GBH) eine Spenden-Aktion zur Fußball-WM 2022. Damit soll den Hinterbliebenen der tödlich verunglückten Wanderarbeiter aus Nepal geholfen werden. Denn deren Waisenkinder erhalten kaum Unterstützung. „Wir wollen, dass in Nepal die wichtigste Infrastruktur geschaffen und aufgebaut wird, dass die Kinder bestmögliche Bildung bekommen und es keinen Grund mehr gibt, als Wanderarbeiter aus dem eigenen Heimatland wegzugehen“, sagt GBH-Vorsitzender Josef Muchitsch. Mit den Spenden wird eine Schule in Nepal errichtet, in der auch vom Erdbeben stark betroffenen Region Tandrang. 20 EURO FÜR SOLIDARITÄTSBAUSTEINE Spenden für „Solidaritätsbausteine“ zu je 20 Euro, Spendenkonto ÖGB Bau-Holz „verunfallte Bauarbeiter“, AT181400000110443749, BAWAG PSK (Bankleitzahl 14000).

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KOMMENTAR

WOLFGANG KATZIAN FSG-VORSITZENDER

NEW DEAL UND VIELE ALTE SPRÜCHE Die Sozialpartnerschaft habe sich überlebt, die Sozialpartner würden glauben, ihre Aufgabe wäre erfüllt, wenn sie einen Rucksack von Forderungen an die Regierung auflisten – der Vorschlag des „New Deals“ in der Zusammenarbeit von Bundeskanzler Christian Kern war nur wenige Tage jung, schon kramten Vertreter der Wirtschaft wieder einmal alte Sprüche aus. Das lässt erahnen, wie dieser neue Stil der Zusammenarbeit für sie aussehen könnte. Ganz offensichtlich haben einige bereits Dollarzeichen in den Augen, weil sie glauben, jetzt wäre die Zeit gekommen, in der die Vorschläge der Industriellenvereinigung eins zu eins umgesetzt werden können. Neoliberale Auszählreime als Gebot der Stunde oder als Wirtschaftskompetenz zu verkaufen – nicht mit uns. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht zu neuen Lösungen bereit wären. Wir verhandeln gerne über einen New Deal, auch im Bereich der Arbeitszeit. Damit meinen wir aber nicht nur Gespräche über Flexibilisierung der Arbeitszeit oder darüber, dass Überstunden nicht mehr bezahlt werden sollten. Wir reden gerne über eine intelligente Verkürzung der Arbeitszeit, über die Einschränkung von All-in-Verträgen auf echte Führungskräfte oder über die Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit, in die immer mehr Beschäftigte gezwungen werden. Und über die unsägliche Arbeitsteilung, dass Männer sich mit weit mehr als 40 Stunden kaputtarbeiten, während Frauen nur Teilzeitjobs bekommen und gleichzeitig die unbezahlte Arbeit in der Gesellschaft leisten, was viele in die Armutsfalle drängt. Manche werfen uns außerdem sogenannte „Klientelpolitik“ vor. Alles andere als ein adäquater Begriff für die Vertretung der Interessen der großen Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. Natürlich konzentrieren wir uns darauf, die Interessen und Rechte der ArbeitnehmerInnen zu wahren. Das hat weder etwas mit einem New Deal noch mit einem Old Deal zu tun, das ist einfach unsere Aufgabe!

KOMMENTAR

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KREBSERREGENDE SUBSTANZEN

VERBRANNTE ERDE

Gewerkschaften fordern einen besseren Schutz für ArbeitnehmerInnen in der Landwirtschaft und für VerbraucherInnen. Bei den EU-Grenzwerten für krebserregende Substanzen und Stoffe konnte ein Etappensieg erkämpft werden. Bei dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat steht dieser noch aus.

Jährlich sterben 100.000 Menschen in der EU an arbeitsbedingten Krebserkrankungen. Mit einem Anteil von 53 Prozent sind sie die häufigste arbeitsbedingte Todesursache in der EU überhaupt. Hierzulande sterben zehnmal mehr Menschen an arbeitsbedingten Krebserkrankungen als durch Arbeitsunfälle. Gewerkschaften kämpfen daher seit Jahren für einen besseren Schutz der ArbeitnehmerInnen vor krebserzeugenden Chemikalien und Substanzen etc. Nach zwölf Jahren Stillstand mit Verweis auf die „Wettbewerbsfähigkeit“ gab es jetzt im Mai Bewegung. Die EU-Kommission verständigte sich auf verbindliche Grenzwerte für 13 krebserregende Substanzen. Damit gelten für statt bisher nur drei in Zukunft für insgesamt sechzehn krebserregende Stoffe Grenzwerte. Die zehn wichtigsten sind für 85 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. „Auch wenn die Grenzwerte für einige Substanzen nicht ausreichend sind, und Grenzwerte für andere Stoffe überhaupt noch fehlen, handelt es sich um einen wesentlichen Fortschritt“, sagt die politische Sekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Esther Lynch. „Schwer erkämpft, aber ein wichtiger Schritt für die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen in der ganzen EU. Ich erwarte, dass die EU-Kommission bis Jahresende Grenzwerte für mindestens weitere 15 Substanzen festlegt“, fordert Lynch.

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HINTERGRUND


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GESUNDHEIT Grenzwerte würden aber generell nichts an der Verpflichtung der Arbeitgeber ändern, giftige Substanzen von den Arbeitsplätzen zu entfernen. In vielen EU-Ländern gebe es auf nationaler Ebene jetzt schon deutlich strengere Grenzwerte, in Österreich übrigens für 50 Substanzen. Beim Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat geht aber nur wenig weiter. STILLSTAND BEI GLYPHOSAT Die EU-Kommission hat sich Anfang Juni für eine Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat ausgesprochen. Konkret sollte es vorerst „nur“ um zwölf bis 18 Monate gehen. So lange dauert nämlich die Entscheidung der Europäischen Chemikalienagentur, die in der Causa schlussendlich das letzte Wort haben könnte. Den Vorschlag der EU-Kommission sieht Gerhard Riess, Branchensekretär der Gewerkschaft PRO-GE, mit Skepsis. Er warnt: „Erst wenn eindeutig geklärt ist, dass Glyphosat nicht krebserregend ist, soll über die weitere Vorgehensweise entschieden werden. Die bisherigen Studienergebnisse rechtfertigen derzeit keinesfalls den weiteren Einsatz.

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CHEMIE IN DER LANDWIRTSCHAFT Fotos: mauritius images / Westend61, APA / picturedesk.com, Höllriegl

Der Einsatz von „chemischen Keulen“ ist und bleibt umstritten. ArbeitnehmerInnen in der Landwirtschaft und VerbraucherInnen müssen jedoch vor Giften geschützt werden.

Jenen, die die Gesundheitsgefährdung verneinen, stehen andere gegenüber, die von einer möglichen Schädigung ausgehen. Glyphosat kann nicht nur die Gesundheit der KonsumentInnen beeinträchtigen, sondern vor allem sind die Beschäftigten in der Landwirtschaft dem Gift ausgesetzt. Im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzes muss daher alles getan werden, um den Einsatz von chemischen Substanzen auf Feldern zu minimieren“, fordert Riess. Auch der Europäische Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (die EFFAT) spricht sich gegen die generelle Verlängerung der Glyphosat-Zulassung aus und fordert Alternativen beziehungsweise den Umstieg auf giftfreie Produktionsmethoden. Riess denkt in Richtung einer nachhaltigeren und gerechteren Landwirtschaft: „Jene Fehler, die jetzt in der Agrarpolitik gemacht werden, können später schwer wieder korrigiert werden.“ Daher müsse der Einsatz von Giften (Pestizide, Herbizide etc.) minimiert werden, um die Gesundheit der Beschäftigten und VerbraucherInnen sowie die Vielfalt in der Natur aufrechterhalten zu können, betont der Gewerkschafter. www.proge.at

Unter Herbizide werden Unkrautbekämpfungsmittel zusammengefasst. Die Mittel greifen zumeist in den Stoffwechsel der Pflanzen ein. Sichtbar wird die Anwendung oft durch „Streifen von verbrannter Erde“ (großes Bild). Von allen chemischen Pflanzenschutzmitteln entfallen laut Bayer Austria 75 Prozent auf die Unkrautbekämpfung. Herbizide erfordern oft auch den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen; sie sterben

dann beim Besprühen mit Herbiziden nicht mit dem Unkraut ab. Derzeit gibt es auf dem internationalen Markt beispielsweise Soja, Mais, Raps oder die Zuckerrübe als gentechnisch veränderte Pflanzen. Der Teufelskreis: Je mehr Unkrautvernichtungsmittel eingesetzt wird, desto mehr gentechnisch veränderte Pflanzen braucht es. Unter Pestizide werden chemische Schädlingsbekämpfungsmittel zusammengefasst, Fungizide wirken wiederum gegen Pilze, Akarizide gegen Milben und Zecken.

HINTERGRUND

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ARBEIT ANDERER ART

Foto: mauritius images / Christian Bordes (Symbolbild)

BEREITSCHAFTSDIENSTE Flexible Arbeitszeiten sind gerade vermehrt Thema in der öffentlichen Diskussion. Ein ähnlich spannendes Thema ist, wenn ArbeitnehmerInnen (AN) außerhalb der „vereinbarten“ Arbeitszeit gleichsam ständig zur Arbeitsaufnahme zur Verfügung stehen müssen. Das Arbeitszeitgesetz (AZG) regelt unter dem Schlagwort „Rufbereitschaft“ die Grenzen der Zulässigkeit für Bereitschaftsdienste und die strafrechtlichen Folgen bei einer übermäßigen Rufbereitschaft. Rufbereitschaft im engeren Sinn liegt vor, wenn AN zwar den Aufenthaltsort und damit sein bzw. ihr Verhalten relativ frei wählen können, aber für die ArbeitgeberInnen (AG) stets schnell erreichbar und zum Arbeitsantritt bereit sein müssen. AN können im Fall der Arbeitsbereitschaft den Aufenthaltsort nicht frei wählen, dieser wird vom AG bestimmt. Arbeitsbereitschaft ist daher Arbeitszeit. Aber vielfach wird die Ansicht vertreten, dass Rufbereitschaft nicht zur Arbeitszeit „im en-

Ohne Vereinbarung besteht keine Verpflichtung zur Rufbereitschaft!

BUCHTIPP

BILDUNG, JOBS, PARTNERiNNEN WIE WIR MÄRKTE FÜR UNS NUTZEN KÖNNEN Wie finden Eltern die richtige Schule für ihr Kind? Oder Jobsuchende den richtigen Arbeitgeber – und umgekehrt? Wie finden Nierenkranke den richtigen Organspender? Und Singles die richtige Partnerin? Wirtschaftsnobelpreisträger Alvin Roth widmet sich in seinem Buch jenen Märkten, die sich kaum oder gar nicht über Preise regeln lassen, sondern nur über den Abgleich von Interessen zur Zufriedenheit aller führen. An Beispielen aus Beruf und Alltag zeigt er, wie die verschiedenen Märkte funktionieren,

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SERVICE

die unser Leben bestimmen – ob wir wollen oder nicht. Und wie wir lernen können, sie zu unseren Gunsten zu nutzen. Wer kriegt was und warum? Alvin E. Roth, Verlag Siedler, 2016, 304 Seiten, 25,70 Euro. Zu bestellen bei: ÖGB-Verlag-Fachbuchhandlung, Rathausstraße 21, 1010 Wien, Tel. 01/405 49 98–132, E-Mail: fachbuchhandlung@oegbverlag.at www.besserewelt.at


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RECHT geren Sinn“ zählt, sondern eine Arbeitsleistung eigener Art ist. AN können sich zwar – eingeschränkt – frei bewegen, sie müssen aber für den AG „ständig“ erreichbar sein. Außerdem müssen sie darauf achten, arbeits- und einsatzfähig zu bleiben (Alkoholkonsum zum Beispiel ist mit Rufbereitschaft nicht vereinbar). Wie AN zur Arbeitsleistung gerufen werden, ist dabei nicht vorgegeben. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat aber bereits klargestellt, dass die Erreichbarkeit übers Handy eine Form der Rufbereitschaft darstellt. ERLAUBTES AUSMASS Durch Rufbereitschaft werden AN in Ihrer „Freizeit“ massiv eingeschränkt und der Erholungswert dieser „Freizeit“ ist wesentlich herabgesetzt. Aus all diesen Gründen bestimmt das AZG im § 20a, dass Rufbereitschaft außerhalb der Arbeitszeit nur an zehn Tagen pro Monat vereinbart werden darf. Der Kollektivvertrag kann zulassen, dass Rufbereitschaft innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten an 30 Tagen vereinbart werden kann. Leisten AN während der Rufbereitschaft Arbeiten, kann 1. die Tagesarbeitszeit bis auf zwölf Stunden ausgedehnt werden, wenn innerhalb von zwei Wochen ein entsprechender Ausgleich erfolgt, und 2. die tägliche Ruhezeit unterbrochen werden, wenn innerhalb von zwei Wochen eine andere tägliche Ruhezeit um vier Stunden verlängert wird. Ein Teil der Ruhezeit muss mindestens acht Stunden betragen. Diese Grenzen gelten jedenfalls für Vollzeitbeschäftigte. Für Teilzeitbeschäftigte kann vertreten werden, dass diese Grenzen anteilig zu reduzieren sind.

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Es muss ein gewisses Mindestverhältnis zwischen Arbeitszeit und Rufbereitschaftszeit gewahrt bleiben. Gerichtsentscheidungen liegen aber zu dieser Frage noch nicht vor. Das AZG lässt somit Rufbereitschaft nur bis zu einem bestimmten Ausmaß zu. Wird mehr Rufbereitschaft geleistet, kann der AG von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1.815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1.815 Euro (§ 28 Absatz 2 AZG) bestraft werden. Nicht jeder AN ist zur Leistung von Rufbereitschaft verpflichtet. Insbesondere ergibt sich eine solche Verpflichtung nicht schon aus der allgemeinen Treuepflicht der AN. Vielmehr ist die Verpflichtung zur und auch das Ausmaß der Leistung von Rufbereitschaft Vereinbarungssache. Ohne Vereinbarung keine Verpflichtung zur Rufbereitschaft. ENTGELT STEHT ZU Welche Bezahlung ist für Rufbereitschaft zu leisten? Auch wenn es sich bei Rufbereitschaft nicht um Arbeitszeit handelt, kann daraus nicht generell abgeleitet werden, dass diese Bereitschaft nicht zu entlohnen ist. Nach der Rechtsprechung des OGH steht angemessenes ortsübliches Entgelt zu. Vielfach enthalten Kollektivverträge dazu konkrete Bestimmungen. Die Vereinbarung von Unentgeltlichkeit für die verpflichtende Ruferreichbarkeit ist zwar grundsätzlich möglich, aber nur dann zulässig, wenn besondere Umstände wie relativ hohe pauschale Vergütungen für Führungskräfte vorliegen, mit denen auch Rufbereitschaft abgegolten ist. Werden AN zur Arbeit gerufen, ist die dann geleistete Arbeit im vollen Umfang entgeltpflichtig. Autor: Thomas Kallab

THOMAS KALLAB Jurist, Arbeiterkammer Wien E-MAIL: thomas.kallab@akwien.at

Mein Arbeitgeber möchte mir die Überstunden nicht auszahlen, sondern in Form von Zeitausgleich stehen lassen. Ist das zulässig? Grundsätzlich besteht Anspruch auf Geld. Sie können aber Zeitausgleich vereinbaren. Ist ein solcher Zeitausgleich innerhalb einer bestimmten Zeit (Kollektivvertrag beachten!) nicht möglich, wandelt sich ein Anspruch auf Zeitausgleich wieder in einen Anspruch auf Bezahlung um. Ist am Ende des Arbeitsverhältnisses Zeitausgleich offen, ist dieser jedenfalls auszuzahlen. Da es durchaus auch Vorteile bringen kann, wenn Zeitausgleich vereinbart wird, sollten Sie unbedingt Beratung bei der zuständigen Gewerkschaft oder AK einholen! Unter welchen Bedingungen ist ein Umlaufbeschluss eines Betriebsrates zulässig? Gemäß § 68 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) sind Beschlüsse durch schriftliche Stimmabgabe nur zulässig, wenn kein Mitglied des Betriebsrats diesem Verfahren widerspricht. Dasselbe gilt für fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung. Der Vorsitzende hat für die Dokumentierung der Beschlussfassung zu sorgen.

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Foto: mauritius images / Blend Images / Jetta Productions

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Österreich fällt bei Beschäftigungsquote von Frauen zurück.

GENDER-PERSPEKTIVEN FÜR DEN ARBEITSMARKT Frauen trifft es besonders hart, dass die Wirtschaft in Österreich noch immer nicht auf vollen Touren läuft. Das spüren nicht nur die Arbeit Suchenden. Das zeigt sich auch in der AMS-Statistik und im „Women in Work Index“ des Unternehmensberaters PwC. Österreich fällt in dieser Untersuchung von 33 Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), was die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt betrifft, im Vergleich zum Jahr 2000 um sieben Plätze auf Rang 21 zurück. Bei uns sind 67 Prozent der Frauen beschäftigt, mit rund 47 Prozent schon fast jede zweite davon in Teilzeit, zum Vergleich: In Schweden arbeiten 82 Prozent der Frauen in einem Beruf. Neben Schweden haben auch Island und Norwegen das 2020-Beschäftigungsziel der EU – 75 Prozent bei Männern und Frauen – bereits jetzt erreicht.

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GRUNDSATZ

Was es also braucht, das sind wirksame arbeitsmarktpolitische Maßnahmen aus der Gender-Perspektive, um Frauen in Beschäftigung zu bringen und zu halten. Eine Beschäftigungsoffensive in den Bereichen Bildung, Soziales, Gesundheit, Pflege und Betreuung schafft gesellschaftlich notwendige, qualitätsvolle Arbeitsplätze und kann wirksam dazu beitragen, die Relation und Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern zu verändern. Dadurch geschaffene Arbeitsplätze sollen Frauen mindestens in gleichem Maß zugutekommen wie Männern. DELTA BEI ARBEITSZEIT SCHLIESSEN Eine intelligente Verkürzung der Arbeitszeit zur Umverteilung von bezahlter Arbeit muss auch für Frauen mit weniger Einkommen leistbar sein, anstatt sich nur am Zeitbudget und Einkommen der Vollzeit beschäftigten Männer zu ori-

entieren. Abgesehen davon sollten die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik für qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung aufgestockt und 50 Prozent der Mittel in Arbeitsmarktförderungen für Frauen investiert werden. In diesem Zusammenhang macht auch die Prüfung der Gender-Auswirkung von Arbeitsmarktmaßnahmen wie geförderter Kurzarbeit, Altersteilzeit, Elternteilzeit und Freizeitoption Sinn. Wichtig ist der notwendige Ausbau der flächendeckenden Kinderbildungsangebote als Voraussetzung für eine partnerschaftliche Teilung von Beruf und Familienarbeit. Die aktuelle Arbeitszeitrealität in Österreich sieht so aus, dass Männer Vollzeit arbeiten und noch zusätzlich eine Menge an Überstunden leisten. Frauen hingegen arbeiten in immer größerem Ausmaß Teilzeit, Mehrarbeit wird kaum bezahlt. Das ist alles andere als ein modernes Gesellschaftsmodell, sondern eines von vorgestern. Das Delta zwischen immer längeren Arbeitszeiten bei Männern und kurzer Arbeitszeit für Frauen muss daher geschlossen werden – unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Autorin: Ilse Fetik

„Wichtig ist der notwendige Ausbau der flächendeckenden Kinderbildungsangebote als Voraussetzung für eine partnerschaftliche Teilung von Beruf und Familienarbeit.“ Ilse Fetik, FSG-Frauenvorsitzende


15. Jahrgang // Nummer 6 // Wien, Juni 2016

QUALIFIKATION WISSEN UND KNOW-HOW

WEITERBILDUNG IN PHASEN Das Wissen vermehrt sich, die Halbwertszeit sinkt. Und das immer schneller. Mit veraltetem Wissen schauen die Chancen am Arbeitsmarkt oder für ein berufliches Weiterkommen alles andere als rosig aus. Bildung bringt’s! Das gilt auch heute noch. Eine solide Grundausbildung öffnet viele Türen und ist oft der erste entscheidende Schritt zu Wohlstand und Zufriedenheit. Wohlgemerkt der erste. Und dieser muss besonders für junge Menschen unabhängig vom Einkommen der Eltern möglich sein. Der zweite Schritt ist, dafür zu sorgen, dass Wissen und Know-how immer dem letzten Stand der laufenden (technologischen) Entwicklungen entsprechen. Und das ist keinesfalls so einfach. ANFORDERUNGEN STEIGEN Je nach Branche oder technologiebezogenen Bereichen ist die Hälfte der einmal erworbenen Wissensinhalte nach wenigen Jahren bereits wieder veraltet. Diese sogenannte Halbwertszeit wird weiter dramatisch sinken. Davon gehen die meisten ExpertInnen aus. Bei ITFachwissen beträgt die Halbwertszeit sogar nur ein Jahr, wenn überhaupt noch. Von Unternehmen nachgefragt wird Wissen und Kow-how auf dem letzten Stand

100

HALBWERTSZEIT Aktualität des Wissens in Prozent nach Jahren

Schulwissen

Hochschulwissen

50

Berufliches Fachwissen

0

IT-Fachwissen

Technologiewissen

5

und mit immer breiterem Basiswissen in verwandten Bereichen. Denn viele Berufsfelder fließen laut Arbeitsmarktservice (AMS) mehr und mehr ineinander über oder überschneiden sich. Auch dank der Digitalisierung. Generell gilt laut AMS seit Jahren: Jedem Mechaniker sein Elektronikwissen, jeder Kunststofftechnikerin ihre Metallkenntnisse, jedem Bauarbeiter sein Energiesparwissen und allen Arbeitskräften zusammen Englisch und Kenntnisse in Projektmanagement.

MASSNAHMEN & FORDERUNGEN ::: Erwachsenenbildung finanziell und strukturell ausbauen. ::: Rechtsanspruch auf betriebliche Weiterbildung im Ausmaß von mindestens einer Woche Normalarbeitszeit pro Jahr unter Fortzahlung des Entgelts einführen. ::: Innovative Formen der Arbeitszeitverkürzung, wie beispielsweise

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Freizeitoptionen in Kollektivverträgen, sollen Ausbildungsphasen erleichtern. ::: „Qualifizierungsstipendium neu“ soll wichtige Fördermaßnahmen zur Aus- und Weiterbildung wie Fachkräftestipendium, Bildungskarenz und Bildungsteilzeit zusammenführen.

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, dieses Sprichwort hat weitgehend seine Bedeutung verloren. Heute lernen Hänschen, der junge Hans, der Hans und auch noch der ältere Hans. Letzterer lernt vielleicht aufgrund all seines bisher erworbenen Wissens leichter als noch der jüngere Hans. Auch 10 Jahre das ist heute möglich!

Kurz zusammengefasst: Der Qualifizierungsbedarf steigt enorm. RECHTZEITIG ENTSCHEIDEN Doch was tun, wenn es im Unternehmen keine Weiterbildungsmaßnahmen gibt oder man nicht zum Zug kommt? Dann müssen Weiterbildungsangebote selbst organisiert und in der Freizeit besucht werden. Dabei muss auch dasselbe gelten wie für die Grundausbildung: Der Zugang und das Recht darauf müssen allen offenstehen; die Weiterbildung muss unabhängig vom finanziellen Hintergrund leistbar sein (siehe Maßnahmen und Forderungen). Und wer sich mit der Entscheidung für eine Weiterbildung zu lange Zeit lässt, wird von den Schnelleren irgendwann überholt: Sei es am Arbeitsmarkt, beim beruflichen Auf- oder auch Umstieg. Bildungsangebote und Infos über Förderungen gibt es zum Beispiel beim Berufsförderungsinstitut. Das Motto: Bildung. Freude inklusive. www.bfi.at

GRUNDSATZ

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BREXIT

DIE INSEL MUSS BLEIBEN Tritt das Vereinigte Königreich aus der EU aus? Darüber stimmen die InselbewohnerInnen am 23. Juni ab. Ob Brexit oder nicht: Der Schaden für Europa ist in beiden Fällen erheblich. Dennoch muss Großbritannien bleiben! Wenn die BürgerInnen Großbritanniens über den Verbleib oder möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union abstimmen, wird ihre Entscheidung eine definitive sein. Ein Ja ist ein Ja und ein Nein ist ein Nein. Fest steht, dass die EU nach dem 23. Juni in beiden Fällen eine andere sein wird. Gewissermaßen ist sie das schon jetzt.

der Premier wiedergewählt und machte Ende 2015 Ernst, als er seine Bedingungen für einen Verbleib Großbritanniens in der EU an den Ratspräsidenten Donald Tusk adressierte. Obwohl europafeindliche Stimmungen in Großbritannien keine neue Entwicklung sind, ging Cameron mit seiner Ankündigung eines Referendums weiter als alle seine VorgängerInnen.

Der britische Premier David Cameron spielte an jenem Tag vor rund drei Jahren auf volles Risiko – alles oder nichts. Die britische Bevölkerung habe es satt, von der Europäischen Union bevormundet zu werden, so Cameron vor versammelter Presse. Sollte er 2015 wiedergewählt werden, gäbe es ein Referendum. Dies sei seine Pflicht als Premier. Sein Spiel ging auf, denn tatsächlich wurde

Im vergangenen Februar gingen die EU-Staats- und RegierungschefInnen schließlich auf David Camerons Bedingungen ein und einigten sich auf den „Briten-Deal“. Damit war ein erster großer Schaden angerichtet. Die Konsequenzen des Deals, die potenziellen Auswirkungen der Abstimmung und vor allem des Ergebnisses werden insgesamt beträchtlich sein. Darüber sind

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sich die pro-europäischen Kräfte in Großbritannien und darüber hinaus im Klaren. Umso wichtiger, dass sich alle BritInnen darüber klar werden sollen. Denn den Schaden eines Brexits tragen letztlich die Menschen selbst. Auf die Insel kämen große wirtschaftliche, soziale, demokratie- wie sicherheitspolitische Probleme zu. Die Bertelsmann-Stiftung errechnete bereits 2015, dass die möglichen Einbußen des britischen Bruttoinlandsprodukts bis zu 14 Prozent ausmachen könnten. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) attestiert: Jedem Briten und jeder Britin würde der Brexit mindestens ein Monatsgehalt kosten. Gleichzeitig würde der Chef der britischen Konservativen im Falle des Verbleibs Ernst machen mit seinen

Foto: Höllriegl (London, Tower Bridge)

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15. Jahrgang // Nummer 6 // Wien, Juni 2016

EU-PARLAMENT Reformen im Briten-Deal: Sie gehen auf Kosten der sozial Schwächsten, schränken die Handlungsfähigkeit der EU zusätzlich ein und machen über Jahrzehnte erarbeitete und etablierte Gleichbehandlungsrechte zunichte. Beide Szenarien sind problematisch, ungewiss und gefährlich. Nichtsdestotrotz gilt es, einen Brexit vor allem im Sinne der europäischen Idee zu verhindern. EIN SCHLECHTER DEAL In den Augen vieler hat David Cameron den Briten-Deal im Februar gut verhandelt. Großbritannien könnte künftig den Zugang zu Sozialleistungen für EU-AusländerInnen einschränken. Im Falle einer Überlastung des britischen Sozialsystems soll eine Notbremse gezogen werden können, die dann für maximal sieben Jahre aktiviert bleibt und EU-BürgerInnen von bestimmten Sozialleistungen ausschließt. Einer Person kann dabei der Zugang zu Lohnergänzungsleistungen für maximal vier Jahre verwehrt bleiben. Theoretisch hat jedes EU-Land die Möglichkeit, die Aktivierung einer solchen Notbremse prüfen zu lassen. Doch da es sich um einzigartige Lohnergänzungsleistungen handelt, die so in keinem anderen EUMitgliedstaat existieren, kann de facto nur Großbritannien davon Gebrauch machen. Das ist eindeutig Sozialdumping bei ArbeitnehmerInnen – die Schwächsten werden gegeneinander ausgespielt: Britisches Rosinenpicken par excellence, das auf einem seit Jahren gespeisten „Sozialtourismus“-Diskurs basiert. Außerdem soll das Kindergeld für EUBürgerInnen, deren Nachwuchs nicht in Großbritannien lebt, künftig an die sozio-ökonomischen Verhältnisse im jeweiligen EU-Mitgliedstaat angepasst

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werden können. Es dauerte nur wenige Tage, bis Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und unser Europaminister Sebastian Kurz ankündigten, dies auch in Betracht zu ziehen. Es droht eine gefährliche Kettenreaktion. Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein. WAS DANACH KOMMT Quer über unseren Kontinent erstarken NationalistInnen und RechtspopulistInnen, die eine Politik der Hetze und des Neids betreiben. Sie bauen auf vermeintlich einfache Lösungen, wie etwa die Kürzung von Sozialleistungen für AusländerInnen oder Flüchtlinge. Dass Merkel und Kurz nur wenige Tage nach dem Briten-Deal Ankündigungen ins gleiche Horn stießen, zeigt mehr als deutlich, woher der Wind wehen wird. So sieht die „Ausgangslage“ aus. Dennoch sind die genannten Zugeständnisse noch immer der bessere Weg. Der andere wäre der Brexit. Und gesamteuropäisch betrachtet ist der EU-Austritt ein ganz verheerendes Signal für das vereinte Europa und seinen Fortbestand. Schwere Zerrüttungen innerhalb des Königreichs wären zu erwarten, wenn die Schotten Ernst machen und sich am Ende vom Vereinigten Königreich unabhängig machen, um dann womöglich wieder Teil der Europäischen Union zu werden. Überall sähen sich UnabhängigkeitsbefürworterInnen in ihren Austrittsbestrebungen bestätigt, wenn erst einmal ein Mitgliedstaat den Schritt gewagt hat. Es ist selbstverständlich nicht von der Hand zu weisen, dass große Teile der britischen Bevölkerung unzufrieden sind mit dem aktuellen Kurs der Europäischen Union. Doch die Annahme, ein nationaler Alleingang wäre der bessere Weg, ist falsch. 28 Sonderwege können

Gewerkschafterin, Europaabgeordnete und Delegationsleiterin der SPÖ-Europaabgeordneten

EVELYN REGNER www.evelyn-regner.at

niemals dazu führen, dass sich Europa insgesamt zum Positiven weiterentwickelt. „Es gibt starke sozialistische Gründe für ein Verbleiben in der Europäischen Union. Und es gibt starke sozialistische Gründe für eine Reform und progressive Veränderungen in Europa“, sagt auch Jeremy Corbyn, Vorsitzender der britischen Labour Partei, der für den Verbleib des Königreichs plädiert. Und er hat absolut recht damit. Fast alles spricht dafür, gemeinsam an dieser Europäischen Union zu arbeiten, sie weiterzuentwickeln hin zu jener Sozialunion, die Europas SozialdemokratInnen stets vorschwebte. Camerons Weg der Ungleichbehandlung und Ausgrenzung von bestimmten EU-BürgerInnen ist falsch. Stattdessen brauchen wir dringend einen Kurswechsel für Wachstum und Beschäftigung. Politisches Handeln und Gestalten müssen gemeinschaftlich und sozial gerecht sein. Bis dato ist die Europäische Union zuvorderst eine Wirtschaftsunion. Aber das muss nicht für immer und ewig so bleiben. Im Gegenteil: Hin zu einer politischen Sozialunion müssen wir uns entwickeln – gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich als integrativer Bestandteil dieser Union. Autorin: Evelyn Regner

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w w w. f s g . a t

FAIR. SOZIAL. GERECHT. WWW.FACEBOOK.COM/FSG.OEGB

100-EURO-URLAUBSGUT SCHEIN ABHOLEN Die Urlaubsmonate stehen vor der Tür und viele freuen sich schon auf das von den Gewerkschaften jährlich aufs Neue ausverhandelte Urlaubsgeld. Damit die Freude heuer länger anhält, gibt es in der ÖGB-Zeitschrift „Solidarität“ im Rahmen der ÖGBMitgliederwerbekampagne eine tolle Aktion. Wirbt jemand ein neues Mitglied oder wird man als neues Mitglied geworben, so erhält man einen Urlaubsgutschein* im Wert von 100 Euro als Draufgabe. Alle Infos dazu bzw. Mitmachen unter: www.soli.at

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Solange der Vorrat reicht!

d l e g s URLAUB MACHT STARK.

Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld, auch 13. und 14. Gehalt genannt, sind Errungenschaften der Gewerkschaften, die laufend verteidigt werden müssen. Es besteht kein gesetzlicher Anspruch darauf, wie manche irrtümlicherweise glauben.

Ein Ersuchen des Verlages an den/die BriefträgerIn: Falls Sie diese Zeitschrift nicht zustellen können, teilen Sie uns bitte hier den Grund und gegebenenfalls die neue oder richtige Anschrift mit

F–D5

/ / / Straße/Gasse Haus-Nr./Stiege/Stock/Tür / Postleitzahl Ort Besten Dank P.b.b. 02Z031786M ÖGB-Verlag, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1

Retouren an PF 100, 1350 Wien


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