FSG direkt, 7-8/2014

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13. Jahrgang // Nummer 7–8 // Wien, August 2014

d i rek t TOPINFOS FÜR ENGAGIERTE GEWERKSCHAFTERiNNEN

ACH MIT!

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ÖSTERREICH MACHT DRUCK LOHNSTEUER RUNTER SEITE SEITE SEITE

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Spürbar und nachhaltig: ÖGB/AK-Entlastungsmodell steht im September Watchlist Praktikum: Ausbeutung von PraktikantInnen stoppen T T I P, C E T A , G A T S & C o : F r e i h a n d e l k a n n u n s e r e S t a n d a r d s g e f ä h r d e n


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KAUFKRAFT JETZT STÄRKEN

Inhalt

„Entscheidend ist, wer wie viel zahlt.“ FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian fordert mehr Gerechtigkeit im Steuersystem.

Cover: ÖGB-Präsident Erich Foglar und AK-Präsident Rudi Kaske fordern „Lohnsteuer runter!“. 2 3

Entscheidung über unsere Zukunft Editorial FSG-Bundesgeschäftsführer

Aktuelles

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Spürbar netto mehr Geld ÖGB und Gewerkschaften machen Druck für rasche Lohnsteuersenkung. Mehr netto bringt mehr ...

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Kommentar

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FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian

Hintergrund

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„Watchlist Praktikum“ Neue Online-Plattform sagt schwarzen Schafen unter Arbeitgebern Kampf an.

Service

10 Buchtipps 11

Dein Recht, Antworten auf Fragen

Grundsatz

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Freihandel gefährdet Standards Mit Freihandelsabkommen droht neue Dimension der Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen.

Europa/International

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„Ich-AG“ – zu viele Fragen offen

LOHNSTEUERENTLASTUNG

FÜR DIE ZUKUNFT UNS Die Arbeitslosigkeit steigt weiter an und die Massenkaufkraft bleibt zurück. Daher brauchen wir rasch das Bonus-Malus-System und eine spürbare Lohnsteuersenkung. Die Arbeitslosigkeit ist im Juli mit 9,7 Prozent deutlich gegenüber dem Vergleichsmonat im Vorjahr angestiegen. Besonders betroffen sind wieder ältere ArbeitnehmerInnen. „Es muss hier endlich gehandelt werden“, fordert AK-Präsident Rudi Kaske die rasche Schaffung des von der Regierung versprochenen Bonus-Malus-Systems ein. Unternehmen müssen nach dem ÖGB/AK-Modell nach bestimmten Kriterien einen Malus von 350 Euro pro Monat für jede/n fehlende/n ältere/n

Beschäftigte/n zahlen, wenn sie zu wenig Ältere beschäftigen. Die Einnahmen aus dem Malus bleiben als Bonus in der Wirtschaft. „Die Modelle sind ausgearbeitet, die Wirtschaft muss endlich ihren Widerstand aufgeben“, fordert Kaske. DIE CHANCEN JETZT NUTZEN Ebenso muss sich die Wirtschaft ihrer Verantwortung in Sachen Lohnsteuersenkung stellen. Alle Fakten deuten darauf hin, dass ein nachhaltiges Wachstum nur mit einer spürbaren

:: IMPRESSUM :: Herausgeber: Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im ÖGB, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/534 44-39080, www.fsg.at. Medieninhaber (Verleger): Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1, Tel. 01/662 32 96–39744, Fax: 01/662 32 96–39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, www.oegbverlag.at, UID ATU 55591005, FN 226769i. Hersteller: Verlag des ÖGB GmbH. Verlagsort: Wien, Herstellungsort: Wien. Redaktion: Christoph Höllriegl (Leitung), Litsa Kalaitzis, Thomas Kallab, Thomas Kattnig. Grafikdesign: Verlag des ÖGB GmbH. Fotos: Mauritius Images, picturedesk.com, ÖGB-Archiv. Anzeigenrepräsentanz: Verlag des ÖGB GmbH, 1020 Wien, Johann-BöhmPlatz 1, Telefon 01/662 32 96-39744, Telefax 01/662 32 96-39793, E-Mail: zeitschriften@oegbverlag.at, DVR-Nr. 0562041, ZVR-Nr. 158750011. Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: www.fsg.at/offenlegung Für unverlangt eingesendete Manuskripte und Fotos keine Gewähr. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit Z ­ ustimmung der Redaktion und mit Quellenangabe. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht der Meinung der FSG entsprechen.

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AKTUELLES


13. Jahrgang // Nummer 7–8 // Wien, August 2014

TOPINFOS FÜR GEWERKSCHAFTERiNNEN

NACHHALTIGE LÖSUNGEN STATT EINTAGSFLIEGEN

ERES LANDES Stärkung der Kaufkraft der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen machbar ist (siehe Seite 6). „In Österreich liefern die ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen immer mehr Lohnsteuer ab, sodass ihr Aufkommen jenes der Mehrwertsteuer überholt, was auf ein massives Kaufkraftproblem hinweist. Die Vermögenden hingegen bleiben weitgehend verschont. Wenn in einer Gesellschaft eine Minderheit Nutznießer ist, während die Mehrheit zahlt, bricht sie auseinander. Entscheidend ist, wer wie viel zahlt“, warnt FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian. Eine Lohnsteuersenkung hat hohe Eigenfinanzierungskraft: Ein Großteil der Entlastung geht unmittelbar in den Konsum und bringt dem Staat Einnahmen aus diversen Steuern und Abgaben. Werden gleichzeitig Steuerbetrug verschärft bekämpft und vermögensbezogene Steuern auf internationales Niveau angepasst, hat Österreich beste Chancen auf eine positive Entwicklung. Nur: Man muss sich dafür entscheiden!

:::: FSG DIREKT IM ABO :::: FSG direkt ist kostenlos und kann bestellt werden unter: www.fsg.at. Anregungen und eigene Beiträge können eingesandt werden an: fsg@oegb.at

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Laut jüngsten Umfragen ist die Mehrheit der Meinung, dass wir dringend eine spürbare Lohnsteuersenkung brauchen. Selbst Industrie und Wirtschaft sind schon dafür. Warum? Beide wissen sehr gut, dass sie nur über die Stärkung der Kaufkraft der ArbeitnehmerInnen und der PensionistInnen in den kommenden Jahren ihre Gewinne noch weiter steigern können. Denn seit Be„Die Bevölkerung wird ginn der Finanzkrise gewinnt die von der Wirtschaft Wirtschaft (weltweit) nicht voll an gerne mit MittelstandsFahrt. Trotz diverser Entlastungen debatten verunsichert. und Förderprogramme. Damit Die Fakten sprechen zeigt sich auch, dass sämtliche eine andere Sprache.“ Entlastungen für die Wirtschaft Willi Mernyi, FSGnur kurzfristig die Profite an die Bundesgeschäftsführer Eigner und die Dividenden an die Aktionäre erhöhen. Sämtliche Vorschläge von Industrie und Wirtschaft zur Belebung des Wachstums zielen ferner darauf ab, kurzfristig mal schnell Kosten zu sparen: bei der Personalverrechnung oder Ähnlichem. Aber auch Kürzungen bei den Pensionen, im öffentlichen Verkehr oder Leistungskürzungen im Rahmen der Sozialversicherung werden gerne angeführt. Zusammengefasst: Alles nur Eintagsfliegen, aber keine nachhaltigen Lösungsvorschläge für zukünftig höheres Wirtschaftswachstum, mehr Wohlstand und niedrigere Arbeitslosigkeit. Sorgen machen sich Industrie und Wirtschaft vielmehr darüber, ob es denn mit einer Lohnsteuersenkung eventuell höhere vermögensbezogene Steuern für Millionäre geben könnte. Die ArbeitnehmerInnen werden daher mit Mittelstandsdebatten verunsichert. In Wahrheit aber wollen sie nur davon ablenken, dass die wahren Krisenverursacher bisher weitgehend verschont wurden. Die Milliarden an Krisenkosten sollen allein den ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen aufgebürdet werden. Das funktioniert aber weder in Österreich noch in sonst einem Land (siehe Seite 16). Dessen muss man sich bewusst sein!

AKTUELLES

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Symbolfoto

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Jede Unterstützung bringt bares Geld: „Unsere Kampagne endet dann, wenn ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen spürbar mehr Geld im Börsel haben“, sagt ÖGB-Präsident Erich Foglar.

Online unterstützen unter: www.lohnsteuer-runter.at

SPÜRBAR NETTO MEHR GELD

SO EINFACH GEHT’S ÖGB und Gewerkschaften fordern eine Lohnsteuer-Entlastung für ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen (siehe Seite 6). Einfach Unterschriftenliste rechts rauslösen, ausfüllen, am besten viele FreundInnen und Bekannte ebenfalls unterschreiben lassen und an den ÖGB übermitteln.

::: Überparteilichkeit: Die Forderung nach einer Lohnsteuersenkung richtet sich an die gesamte Bundesregierung und an den Nationalrat. ::: Alle können unterschreiben: Von einer Lohnsteuersenkung profitieren alle ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen. Aber auch einkommensteuerpfichtige freie DienstnehmerInnen oder WerkvertragnehmerInnen können Vorteile haben. Unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Mitgliedschaft bei Kammern/Vereinen etc. können ALLE die Forderung unterstützen.

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AKTUELLES

::: Ziel der Initiative: Die Gewerkschaften kämpfen für eine spürbare Lohnsteuersenkung. Ziel ist eine rasche, spürbare und nachhaltige Entlastung vor allem für ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen. Das ÖGB/AK-Modell wird im September 2014 vorgestellt. Ein Beschluss soll 2015 im Nationalrat fallen. Viele Unterschriften machen bis dahin Druck auf die Regierung. ::: Ende der Kampagne: Die Kampagne endet dann, wenn ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen endlich mehr netto vom Brutto im Geldbörsel haben.


Unterschriftenliste

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AKTUELLES

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WWW.LOHNSTEUER-RUNTER.AT

MEHR NETTO BRINGT MEHR ... Die Lohn- und Gehaltsabschlüsse reichen nicht mehr aus, um die Inflation (Preissteigerung) und die kalte Progression auszugleichen. Der Konsum schwächelt, die Wirtschaft kommt dadurch nicht voll in Fahrt. Daher brauchen wir rasch mehr netto vom Brutto!

... MEHR ZUM AUSKOMMEN Laut Arbeitsklimaindex kamen 2013 bereits 51 Prozent „gerade noch“ mit ihrem Einkommen über die Runden. 2008 waren es noch „nur“ 40 Prozent – ein Jahr vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Ein Vollzeitarbeitsplatz ist auch keine Garantie mehr für das Auskommen mit dem Einkommen. Denn selbst die Preise für günstige Lebensmittel und Reinigungsmittel vom Diskonter stiegen laut Arbeiterkammer um rund fünf Prozent stark an, ebenfalls die Mieten.

... MEHR FÜR ARBEITNEHMERiNNEN ArbeitnehmerInnen bleibt real immer weniger von ihren Bruttolöhnen/-gehältern. Die Gründe: Preissteigerungen und die kalte Progression. Der steuerfreie Betrag von derzeit 11.000 Euro pro Jahr wird zum Beispiel nicht an die Inflation angepasst. Auch nicht angepasst wurden seit 1988 diverse andere steuerbegünstigte Zulagen. Das spült jährlich etwa 650 Millionen Euro zusätzlich in die Staatskasse – ganz ohne Steuererhöhung, so Steuerberater Peter Bartos im ORF-Magazin €co.

... MEHR FÜR DEN KONSUM Gewerkschaften verhandeln jedes Jahr gute Lohn- und Gehaltserhöhungen, unter anderem auf Basis der Inflation und der Produktivität. Weil die Löhne und Gehälter durch die kalte Progression aber immer stärker besteuert werden, wird netto oft nicht einmal die Inflation abgedeckt. Wenn den Menschen dadurch real Jahr für Jahr weniger Geld für ihren Konsum bleibt, dann bleibt auch das Wirtschaftswachstum zurück und die Arbeitslosigkeit steigt an.

STAATSEINNAHMEN NACH STEUERARTEN IN MILLIONEN EURO Die Lohnsteuereinnahmen überholen 2014 erstmals jene aus der Mehrwertsteuer!

31.900 (+56 %)

Lohnsteuer

30.000

28.600 (+27 %)

25.000

Mehrwertsteuer

20.000

Verbrauchssteuern

15.000

Körperschaftsteuer 10.000

Kapitalverkehrssteuer inkl. FTT

Verkehrssteuern

Kapitalertragsteuer

Einkommensteuer

Stabilitätsabgabe

Grunderwerbsteuer

5.000

Quelle: Bundesfinanzrahmen 2015 bis 2018 (Prognose); APA-Auftragsgrafik; FTT = Financial Transaction Tax (Finanztransaktionssteuer)

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AKTUELLES

7.200 6.903 6.640 4.000 2.890

2010

in Millionen Euro

2011

2012

2013*

2014*

2015*

2016*

2017*

2018* * Prognose

800 500 440


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KOMMENTAR

WOLFGANG KATZIAN

Auch die Preise für günstige Lebensmittel vom Diskonter stiegen um rund fünf Prozent an.

... MEHR STEUERGERECHTIGKEIT Die EU-Kommission und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisieren die enorm hohe steuerliche Belastung des Faktors Arbeit und die viel zu geringe Besteuerung von Vermögen in Österreich. ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen bezahlen den größten Teil der Staatseinnahmen. Zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs werden die Lohnsteuereinnahmen dem Staat 2014 mehr Geld einbringen als die Mehrwertsteuer. Es ist daher auch an der Zeit, endlich für mehr Gerechtigkeit im Steuersystem zu sorgen. Der Staat wird sich nicht allein auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen sanieren können.

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Foto: mauritius images / imageBROKER / Oleksiy Maksymenko

... MEHR FÜR DIE WIRTSCHAFT Der Privatkonsum trägt laut Institut für Höhere Studien mehr als die Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Privatkonsum schwächelt derzeit. Zudem ist die Investitionsbereitschaft der Unternehmen laut Österreichischer Nationalbank sehr gering. Die Exportwirtschaft rechnet mit Unsicherheiten aufgrund anhaltender Konflikte auf der Welt. Eine höhere Massenkaufkraft bringt mehr Konsum, mehr für Investitionen und ein höheres Wirtschaftswachstum.

FSG-VORSITZENDER

OFFEN AUSSPRECHEN: GEGENFINANZIERUNG ODER NIEDRIGERES LEISTUNGSNIVEAU 200.000 Menschen haben innerhalb von nur vier Wochen die ÖGB-Kampagne für eine Lohnsteuersenkung unterstützt. Kein Wunder, die Lohnsteuer-Einnahmen sprudeln wie nie zuvor. Im ersten Halbjahr 2014 stiegen sie um 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das hat nun auch der WKÖ-Präsident Christoph Leitl zum Anlass genommen, eine rasche Steuerreform zu fordern und den Eingangssteuersatz senken zu wollen – unsere Überzeugungsarbeit hat sich also bezahlt gemacht. Noch nicht überzeugen konnten wir Präsident Leitl allerdings davon, dass eine Millionärssteuer tatsächlich Millionäre und nicht den Mittelstand trifft. Außerdem wünscht sich Leitl wenig überraschend als weitere Entlastung eine Steuerbegünstigung für Erfolgsprämien. Diese sollen nur mit 25 Prozent statt wie jetzt abhängig von der Einkommensteuer besteuert werden. Das ist schön für die kleine Gruppe der ArbeitnehmerInnen, die das Glück hat, eine Erfolgsprämie zu bekommen. Die große Mehrheit der Menschen muss jedoch darauf verzichten. Eine Entlastung, die zu mehr Fairness im Steuersystem führt, schaut anders aus! Als dritten Punkt fordert Leitl schließlich eine Senkung der Lohnnebenkosten. Auch das ist nicht neu und klingt auf den ersten Blick nicht schlecht. Weniger Abgaben für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen. Was Leitl allerdings nicht dazu sagt: Niedrigere Sozialversicherungsbeiträge müssten genauso wie eine Steuersenkung gegenfinanziert oder durch ein niedrigeres Leistungsniveau eingespart werden. Nicht nachvollziehbar ist, dass Leitl auf eine Gegenfinanzierung der Entlastung überhaupt verzichten will. Er schlägt stattdessen vor, Bund, Länder und Gemeinden sollen je ein Prozent einsparen. Solche Vorschläge sind leicht formuliert, erspart man sich doch damit zu sagen, wem genau man was genau wegsparen will. Ich möchte nicht sagen, dass es nirgends Einsparpotenzial gibt. Die Diskussion um den stellvertretenden Stadtschulratspräsidenten in Wien hat gezeigt, dass man eine ganze Menge Pöstchen und Posten einsparen könnte. Man muss allerdings auch den Mut besitzen, das offen auszusprechen.

KOMMENTAR

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WWW.WATCHLIST-PRAKTIKUM.AT

oder stark unterbezahlten „Praktika“ in der Regel nicht um Ausbildungsverhältnisse oder Volontariate handelt, das beweist eine FORBA-Untersuchung aus dem Jahr 2011, die 39 von 41 untersuchten Praktika zweifelsfrei als Arbeitsverhältnis klassifiziert. Gleichzeitig bestätigt die „Studierenden Sozialerhebung“ des IHS (Institut für Höhere Studien) aus demselben Jahr, dass rund zwei Drittel der Pflichtpraktika beziehungsweise ein Drittel „sonstiger Praktika“ (gemeint sind Volontariate oder befristete Dienstverhältnisse) unbezahlt absolviert werden. Ein Teufelskreis, dem viele Jugendliche ausgeliefert sind, weil Lehr- und Studienpläne ihnen Praktika vorschreiben.

Neue Online-Plattform sagt schwarzen Schafen unter den Arbeitgebern den Kampf an: Gegen die Ausbeutung von PraktikantInnen können Betroffene jetzt online sämtliche Missstände melden – ganz anonym.

Die anonym gemeldeten Daten werden von der Gebietskrankenkasse (GKK) geprüft und Arbeitgeber gegebenenfalls auch gleich gestraft. Initiiert wurde www.watchlist-praktikum.at von der „Plattform Generation Praktikum“, Unterstützung kommt vom Sozialministerium und von der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp). „Uns geht es darum, die Rechte von jungen Menschen in der Arbeitswelt durch-

zusetzen. Damit sie alle Leistungen bekommen, die ihnen für ihre Arbeit auch zustehen“, erklärt die Vorsitzende der Plattform Generation Praktikum, Veronika Kronberger (GPA-djp-Interessengemeinschaft work@flex). VIEL ZU OFT UNBEZAHLT Dass „Praktika“ viel zu oft unbezahlt und ohne soziale Absicherung, also ohne Meldung bei der Sozialversicherung, absolviert werden, ist kein Geheimnis. Dass es sich bei diesen unbezahlten

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HINTERGRUND

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Foto: mauritius images / Helga Bühler

SCHWARZE SCHAFE AUSHEBEN


13. Jahrgang // Nummer 7–8 // Wien, August 2014

Foto: mauritius images / die kleinert

HANDLUNGSBEDARF IST DA „Wir sind zuversichtlich, dass viele Betroffene uns ihre Erfahrungen und Daten anonym zur Verfügung stellen, damit wir diese an die zuständigen Gebietskrankenkasse weiterleiten können, um den jeweiligen Fall genau zu prüfen“, so Kronberger beim Start der Plattform – tatsächlich bestätigten Tausende Aufrufe und eine Vielzahl von Einträgen mit teilweise sehr konkreten Schilderungen über Missstände bereits wenige Tage nach dem Start der Online-Plattform den Handlungsbedarf und die Notwendigkeit der Watchlist Praktikum. „Wir setzen auch auf die präventive Wirkung und gehen davon aus, dass Arbeitgeber es sich jetzt doppelt überlegen, ob sie angesichts der drohenden Prüfung unter dem Deckmantel eines Praktikums ein Dienstverhältnis ohne angemessene Entlohnung oder gleich zum Nulltarif anbieten“, so Kronberger. BERUFSEINSTIEG MUSS FAIR SEIN Eine Reihe internationaler Studien beweist, dass SchülerInnen und Studierende in ganz Europa ihre Praktika unterbezahlt oder zum Nulltarif absolvieren. Unterstützung im Kampf um faire Rahmenbedingungen kommt deswegen auch aus Brüssel: EU-Abgeordnete Evelyn Regner brachte anlässlich des im Juli stattfindenden „European Interns Day“, an dem heuer 20 Organisationen aus mehreren Ländern gemeinsam mit PraktikantInnen auf die oftmals prekäre Situation am Arbeitsmarkt aufmerksam machten, eine Anfrage an die EU-Kommission ein, in der sie auch konkrete Maßnahmen im Kampf um die soziale Absicherung junger Beschäftigter fordert. „Ein guter und fairer Berufseinstieg ist die Grundlage für die Lebensplanung junger Menschen. Wir unterstützen die Generation Praktikum und alle anderen

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Initiativen im Kampf um faire Bedingungen für PraktikantInnen“, signalisiert auch FSG-Vorsitzender Wolfgang Katzian Unterstützung. Kronberger freut sich über den Rückenwind und hofft auf weiterhin viele Meldungen: „Je mehr Betroffene ihre Erfahrungen bei der Watchlist Praktikum melden und je mehr Verbündete sich dem Kampf gegen unbezahlte Praktika anschließen, desto eher werden faire Spielregeln in der Beschäftigung junger Menschen Realität.“

„Je mehr Betroffene ihre Erfahrungen bei der Watchlist Praktikum melden, desto eher werden faire Spielregeln in der Beschäftigung junger Menschen Realität.“ Veronika Kronberger, Vorsitzende „Plattform Generation Praktikum“

Autorin: Litsa Kalaitzis

:::: WE B T IP P ::::

E-Mail: litsa.kalaitzis@gpa-djp.at

www.watchlist-praktikum.at

HINTERGRUND

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BUCHTIPP ÄNDERUNGSKÜNDIGUNG PROBLEME IM ARBEITSRECHT

ENTGELTFORTZAHLUNG

Arbeitgeber versuchen immer wieder, Personalkosten mittels Änderungskündigungen zu reduzieren: ArbeitnehmerInnen werden durch Androhung der sonstigen Kündigung zu einer Verschlechterung des Arbeitsvertrages gezwungen. Das Buch liefert eine detaillierte Aufarbeitung der Rechtslage zur Änderungskündigung sowohl in Deutschland als auch in Österreich.

Änderungskündigung im Vergleich, Deutschland – Österreich, Friedrich Steiner, ÖGB-Verlag, 2014, 124 Seiten, inklusive e-Book inside, 29,90 Euro.

„Mit Barbara Prammer verlieren wir eine aufrechte Sozialdemokratin, die ihre Grundsätze nicht nur formuliert, sondern gelebt hat, und eine Kämpferin, die in allen parlamentarischen Fragen großen Wert auf die Einbindung der Sozialpartner gelegt hat. Unsere Anteilnahme gilt ihrer Familie.“

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SERVICE

Foto: Petra Spiola / picturedesk.com

Bestellmöglichkeit gibt es in der ÖGB-Fachbuchhandlung, Rathausstraße 21, 1010 Wien, Telefon 01/405 49 98–132 oder per E-Mail an: fachbuchhandlung@oegbverlag.at www.oegbverlag.at

Die Einbindung der Sozialpartner war Barbara Prammer in allen parlamentarischen Fragen immer wichtig. „Die Nachricht vom Ableben Barbara Prammers macht uns bestürzt und betroffen. Es ist unfassbar traurig, dass eine so engagierte Kämpferin für die Anliegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Gleichberechtigung und für den Antifaschismus den Kampf gegen ihre Krankheit verloren hat“, sagte FSGVorsitzender Wolfgang Katzian.

Wer heute krank ist, hat nur mit den gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Die Fortzahlung des Entgelts ist seit 1974 geregelt.

Mit dem Bundesgesetzblatt Nummer 399/1974 wurde das Bundesgesetz vom 26. Juni 1974 über die Fortzahlung des Entgelts bei Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall), Arbeitsunfall oder Berufskrankheit (Entgeltfortzahlungsgesetz, EFZG) am 23. Juli 1974 veröffentlicht. Die meisten Bestimmungen traten am 1. September 1974 in Kraft.

:::: BUCHTIPP ::::

FSG TRAUERT UM BARBARA PRAMMER

ANSPRUCH SEIT

Damit gelang nach jahrelangem Ringen ein großer Schritt in Richtung Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten. Dass ArbeiterInnen nach wie vor in einigen Bereichen schlechter gestellt sind als Angestellte zeigt, wie groß der damalige Erfolg aus gewerkschaftlicher Sicht einzustufen ist. Seit jeher hat jeder ÖGB-Bundeskongress die Gleichstellung der Rechte von ArbeiterInnen und Angestellten gefordert. Nachdem das Vorhaben einer Kodifikation des Arbeitsrechts am heftigen Widerstand der Unternehmerschaft scheiterte, beschlossen ÖGB und AK nach dem 5. Bundeskongress im Jahr 1963, die Kodifikation auf Teilgebieten voranzutreiben. Alle gestellten parlamentarischen Initiativanträge in diese Richtung wurden jedoch von der damaligen ÖVP-Mehrheit verworfen und nicht einmal in den Ausschüssen zur Diskussion gestellt. ZÄHE UND SCHWIERIGE VERHANDLUNGEN Aufgrund des Drucks des 7. ÖGB-Bundeskongresses (1971) fasste der Nationalrat zunächst am 30. Mai 1972 eine Entschließung, und ein Gesetzesentwurf für ein EFZG im Herbst 1973 gelangte in das Begutachtungsverfahren. ÖGB und AK forderten, dass nur eine arbeitsrechtliche Lösung – ArbeitnehmerInnen (AN) erwerben einen Anspruch gegen den Arbeitgeber (AG) – eine wirkliche Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten erreicht. Von Unternehmerseite wurde dagegen behauptet, eine solche arbeitsrechtliche Lösung


40 JAHREN

UM ERHALT KÄMPFEN Trotz Einführung des EFZG blieben nicht unwesentliche Unterschiede zum Angestellten-Recht: 14-tägige Wartefrist, kein Anspruch auf 4-wöchiges Teilentgelt nach Ausschöpfung des Vollanspruches. Insgesamt unterscheidet sich das System der Entgeltfortzahlung in der Berechnung doch deutlich von dem des Angestelltengesetzes (AngG). Eine wesentliche Änderung brachte die Novelle des EFZG aus dem Jahr 2000. Dabei wurde nicht nur die Wartefrist abgeschafft, sondern auch die Entgeltfortzahlungsfrist um das 4-wöchige Teil‑ entgelt verlängert. Gleichzeitig wurde

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aber auch der Rückersatz durch den Erstattungsfonds abgeschafft. Dadurch traf die Last der Entgeltfortzahlung die AG wieder direkt, und es wurde der Druck auf die einzelnen ArbeiterInnen, die sich wegen eines Krankenstandes in einer Notsituation befinden, deutlich erhöht. Gleichzeitig wurde allerdings die Möglichkeit geschaffen, dass sich AG über die Mittel der Unfallversicherung Zuschüsse zur Deckung des Aufwandes der Entgeltfortzahlung holen (§ 53 b Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, ASVG). Dass ÖGB und AK diese Vermögensverschiebung zugunsten der AG-Seite heftig kritisierten, half nichts, denn damals bildeten FPÖ und ÖVP die Regierung und waren nicht einmal zu Gesprächen bereit.

DEIN RECHT

THOMAS KALLAB Jurist, Arbeiterkammer Wien E-MAIL: thomas.kallab@akwien.at

Gerade die politische Stimmung und nicht zuletzt auch die Entwicklung in der Rechtsprechung zeigen, wie wichtig gewerkschaftlicher Kampf und politisches Bemühen um den Erhalt dieses für einen großen Teil der ArbeitnehmerInnen wichtigen Gesetzes ist. Foto: mauritius images / Alamy

käme zu teuer, und vorgeschlagen, eine Annäherung mit einer versicherungsrechtlichen Lösung – AN erwerben nicht einen Anspruch gegen den AG, sondern gegen die Krankenversicherungsträger – zu erreichen. Nach zähen und schwierigen Verhandlungen kam es dann zu einer Einigung, die zwar der ÖGB-Forderung nach einer arbeitsrechtlichen Lösung entsprach, aber zu dieser noch einen versicherungsrechtlichen Ausgleich hinzufügte. ArbeiterInnen haben einen unmittelbaren Anspruch gegen den AG. Diesem werden die erbrachten Leistungen von den Krankenkassen (Erstattungsfonds) refundiert. Zur Finanzierung müssen die AG einen zusätzlichen Beitrag an die Krankenversicherungsträger leisten. In den Anfangsjahren leisteten der Bund, die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) und die Krankenversicherung einen Beitrag als Starthilfe.

Foto: mauritius images / imageBROKER / Simon Belcher

13. Jahrgang // Nummer 7–8 // Wien, August 2014

Sind Kündigungen wegen einer vom Arbeitgeber befürchteten Schwangerschaft von Arbeitnehmerinnen bekämpfbar? Ja, der Oberste Gerichtshof (OGH) hat erst kürzlich wieder in einem Urteil (OGH 27.2.2014, 8 ObA 81/13i) entschieden, dass eine unmittelbare Diskriminierung dann vorliegt, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (§ 5 Abs. 1 Gleichbehandlungsgesetz, GlBG). Für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung ist entscheidend, dass die betroffene Person wegen des Geschlechts eine nachteilige Behandlung erfährt. Es wurde in diesem Zusammenhang aber auch bereits klargestellt, dass es ebenfalls eine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wenn Kriterien herangezogen werden, die nur von einem Geschlecht erfüllt werden können, wie etwa eine Schwangerschaft (Europäischer Gerichtshof, EuGH 8.11.1990, C-177/88). Das bedeutet aber auch, dass es vom Verbot der unmittelbaren Diskriminierung erfasst ist, wenn der maßgebliche Grund für eine Kündigung in der konkreten Annahme des Arbeitgebers liegt, dass eine Arbeitnehmerin bald schwanger werde. Die Arbeitnehmerin muss dieses Motiv aber glaubhaft machen.

SERVICE

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Aktion der GdG-KMSfB beim Hochstrahlbrunnen am Wiener Schwarzenbergplatz.

Fotos: Renée Del Missier

TTIP, CETA, GATS & CO

FREIHANDEL GEFÄHRDET UNSERE Mit den aktuell auf der Tagesordnung stehenden Freihandelsabkommen droht eine neue Dimension der Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen. In streng geheimen Verhandlungen soll das und noch mehr auf den Weg gebracht werden.

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GRUNDSATZ

„Täglich grüßt das Murmeltier: Kaum konnten wir das Wasser retten, steht es schon wieder zur Disposition. Die Freihandelsabkommen bergen allesamt die Gefahr, dass öffentliche Dienstleistungen zur Verhandlungsmasse gemacht sowie soziale Rechte und Qualitätsstandards ausgehebelt werden. Außerdem bleibt bei den Freihandelsabkommen die Öffentlichkeit außen vor.“

US-amerikanische Wasserversorgung: Einst und auch heute noch.

VERHANDELN IM GEHEIMEN Für die demokratische Öffentlichkeit – selbst für die Parlamente – sind die Verhandlungen geheim, Konzern-Lobbyisten hingegen sitzen oft mit am Tisch und können ihre Vorschläge einbringen. Dabei stehen für die meisten Menschen existenzielle Angelegenheiten auf der Foto: Höllriegl

Das vorrangige Ziel ist es, sogenannte nichttarifäre Handels- und Investitionshemmnisse zu beseitigen. Dazu zählen hart erkämpfte ArbeitnehmerInnenrechte und andere soziale Schutzstandards sowie KonsumentInnen- und Umweltschutzrechte. Aber auch die weitere Liberalisierung und damit einhergehend die Privatisierung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen droht. Selbst die Liberalisierung des Wassers – erst mühsam von den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes mit einer Europäischen Bürgerinitiative abgewehrt – könnte durch die Freihandelsabkommen erfolgen. Thomas Kattnig, Sekretär der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten – Kunst, Medien, Sport, freie Berufe (GdG-KMSfB), stellt dazu fest:


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Tagesordnung. Es ist daher schwierig, sich ein vollständiges Bild zu machen. Die EU-Kommission ist Verhandlungsführerin, das Verhandlungsmandat ist jedoch nicht veröffentlicht und der exakte Stand der Verhandlungen ist auch nicht bekannt.

sen. Kattnig: „Dieser Ansatz bedeutet, dass alle nicht explizit ausgenommenen öffentlichen Dienstleistungen in den Geltungsbereich fallen. So auch zukünftig entwickelte Dienstleistungen, die sich aus neuen gesellschaftlichen Bedürfnissen entwickeln. Das geht gar nicht.“

So sollen die Verhandlungen zu CETA (Handelsabkommen zwischen Kanada und EU) bereits vor acht Monaten abgeschlossen worden sein, aber ein offizieller Text liegt nicht vor. CETA, so wird angenommen, soll Grundlage für das TTIP (Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen) bilden. In der öffentlichen Diskussion zu TTIP stehen besonders Fragen des VerbraucherInnen- oder Umweltschutzes im Vordergrund, seien es die Gefährdungen durch den Import und Verzehr von chlorbehandelten Hüh-

Ein TTIP mit Negativlisten und Investitionsschutzregelungen, wie zurzeit angedacht, würde den Regierungen auf nationaler und regionaler Ebene auch die Möglichkeit der Re-Kommunalisierung vormals privatisierter oder ausgelagerter Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, ob im Bereich Gesundheit und soziale Dienste, Wasser oder Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) erschweren – wenn nicht unmöglich machen, weil dann immer ein privater Investor gegen Ungleichbehandlung oder Diskriminierung oder Verschlechterung von Investitionsbedingungen klagen könnte. „Öffentliche Dienstleistungen dürfen nicht zum Spielball von Profitinteressen großer multinationaler Konzerne werden. Bestimmungen, wonach gescheiterte Privatisierungen de facto nie wieder rückgängig gemacht werden können, entsprechen einer außer Rand und Band geratenen freien Marktideologie“, sagt Kattnig.

STANDARDS nern, genmanipulierten Getreidesorten oder Regelungen zum Zugang und Kosten von Generika. Es gibt Diskussionen zum Fracking von Erdgas, das in den USA erlaubt ist, aber in Europa auf viel Widerstand stößt. Die Bedrohung öffentlicher Dienste ist jedoch kaum bekannt. AUSVERKAUF DROHT TTIP bedroht den politischen und demokratisch legitimierten Entscheidungsspielraum auf nationaler und lokaler Ebene noch mehr, als dies bereits durch den EU-Binnenmarkt im Wege der Wettbewerbspolitik der Fall ist. Denn mit TTIP wird ein Schwenk von der unter GATS (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) üblichen Positivliste – Liste von konkret benannten Bereichen für weitere Liberalisierung – hin zu einem System von Negativlisten vollzogen. Das bedeutet, alle Dienstleistungen sind grundsätzlich einbezogen sofern nicht ausdrücklich ausgeschlos-

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Das Damoklesschwert von angekündigten oder zu erwartenden Investitionsschutzklagen dürfte Regierungen einschüchtern, strengere Gesetze und Regulierungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sowie Umwelt- und Klimaschutz zu erlassen. WIDERSTAND FORMIERT SICH Seit Monaten formiert sich breiter Widerstand gegen die durchgesickerten Inhalte der Freihandelsabkommen. Die Diskussion zu TTIP & Co. erinnert sehr an die Diskussion zur EU-Dienstleistungsrichtlinie. Auch hier war es sehr schwierig, die Komplexität und damit

MARKTIDEOLOGIE ZURÜCK AN DEN START Aufgrund der Art und Weise wie verhandelt wird und der Inhalte ist eine Neuausrichtung/ein Neustart der Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen mit folgenden Vorgaben angebracht: ::: Verhandlungsmandat und -dokumente öffentlich machen. ::: Keine Investitionsschutzbestimmungen und keine Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren. ::: Keine Dienstleistungen der Daseinsvorsorge im Anwendungsbereich. ::: Garantie eines hohen Niveaus für ArbeitnehmerInnen-, KonsumentInnnen- und Umweltschutz. ::: Ausnahme von audiovisuellen Dienstleistungen. ::: Verbindliche Verankerung der Kernarbeitsnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation). ::: Keine automatische gegenseitige Anerkennung. ::: Kein Lohn- und Sozialdumping.

verbundene weitreichende Auswirkungen transparent zu machen. Die GdG-KMSfB vertritt jedenfalls eine kritische Position, weist auf die Gefahren insbesondere für die öf fentlichen Dienste hin und warnt vor voreiligen Kompromissen. Thomas Kattnig, Sekretär der GdG-KMSfB

www.gdg-kmsfb.at

GRUNDSATZ

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Foto: mauritius images / Alamy

www.f s g.at

ZU VIELE FRAGEN OFFEN

NEUER VORSTOSS IST NO-GO Der Vorschlag für eine Gesellschaftsform einer „Ich-AG“ ist geradezu als Einladung zur Scheinselbstständigkeit zu verstehen: Rechtsmissbrauch und die Umgehung von Mindeststandards sind vorprogrammiert.

Hinter dem jüngsten Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue EU-weite Gesellschaftsform für Unternehmen verbergen sich ernstzunehmende Gefahren: Umgehung nationaler Standards, Förderung von Scheinselbstständigkeit sowie mangelnde MitarbeiterInnenmitbestimmung. Der Entwurf für die europäische „Ich-AG“ birgt ordentlich Zündstoff – kein Wun-

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EUROPA/INTERNATIONAL

der, dass Kritik vor allem aus Gewerkschafts- und ArbeitnehmerInnenkreisen kommt. Erklärtes Ziel der „Ich-AG“ ist es, Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei Unternehmensgründungen im europäischen Ausland zu schaffen. Jede natürliche oder juristische Person kann eine Gesell-

schaft mit beschränkter Haftung gründen und unabhängig vom Ort der Registrierung uneingeschränkt in der EU tätig sein – ohne Mindestkapital, ohne Kontrolle des Gründers beziehungsweise der Gründerin sowie ohne Vorgaben zur inneren Ordnung. Durch diese Erleichterungen sollen laut EU-Kommission jährlich zwischen 21 und 58 Millionen Euro eingespart werden. UMGEHUNG VON STANDARDS Die zentralen Gefahren und Hauptproblempunkte der „Ich-AG“ sind die geplante Trennung von Satzungs- und Verwal-


13. Jahrgang // Nummer 7–8 // Wien, August 2014

MITBESTIMMUNG tungssitz des Unternehmens und die damit einhergehende Möglichkeit der Umgehung nationaler Standards und steuerrechtlicher Regelungen. Der Vorschlag ist geradezu als Einladung zur Scheinselbstständigkeit zu verstehen. Es handelt sich exakt um jene massiven Probleme, gegen die sich die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament (S&D) seit Jahren einsetzt. Einmal mehr ein Grund, die Arbeitsweise der EU-Kommission zu hinterfragen – ganz neu sind diese Ideen nämlich nicht. ALTER HUT, NEUER VERSUCH Bereits 2008 legte die EU-Kommission einen ähnlichen Gesetzesentwurf vor: Die sogenannte „Europäische Privatgesellschaft“ traf auf enormen gewerkschaftlichen Widerstand und wurde schließlich von der EU-Kommission zurückgezogen. Als vor zwei Jahren erneut Konsultationen begannen, waren es zunächst nur VertreterInnen der Wirtschaft, denen die Möglichkeit der Stellungnahme und des Austauschs gegeben wurde – Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen wurde diese Möglichkeit verwehrt. MITBESTIMMUNG GESTRICHEN Der aktuelle „Ich-AG“-Vorschlag gefährdet die Rechte von ArbeitnehmerInnen, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat von Unternehmen. Denn die „ArbeitnehmerInnenmitbestimmung“ taucht im Entwurf überhaupt nicht auf. Auch auf KonsumentInnen- und GläubigerInnenseite gibt es viele offene Fragen. Die Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz erschwert die Durchsetzung berechtigter Ansprüche von GläubigerInnen. Mangels einheitlichen Unternehmensregisters ist es für Kon-

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sumentInnen äußerst schwierig zu erkennen, mit welcher der 28 Formen der „Ich-AG“ sie es zu tun haben und nach welcher nationalen Rechtsordnung sich ihre Ansprüche richten müssen. Rechtsmissbrauch scheint somit vorprogrammiert, auch durch Großkonzerne, die mithilfe der neuen Gesellschaftsform Tochterunternehmen im Ausland gründen, um etwa nationale Mindeststandards oder steuerrechtliche Regelungen zu umgehen. WIE GEHT’S WEITER Auch wenn der Anwendungsbereich noch so gering sein mag, dieser Vorschlag droht einen Präzedenzfall zu

schaffen, der die Eckpfeiler des internationalen Gesellschaftsrechts umgeht. Der Vorschlag muss dem Rat und dem EU-Parlament zur Beratung und Verabschiedung vorgelegt werden. Im EU-Parlament wird sich voraussichtlich der Rechtsausschuss ab Herbst 2014 mit dem Dossier kritisch auseinandersetzen. Autorin: Evelyn Regner E-Mail: evelyn.regner@europarl.europa.eu

:::: WE B T IP P :::: www.evelyn-regner.at

SOZIALDEMOKRATISCHE FRAKTION STARK VERTRETEN, BESSER DURCHSETZEN Die Delegation der SPÖ-Europaabgeordneten ist nach der EU-Wahl nun breiter und stärker in der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament aufgestellt. Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner – im EU-Wahlkampf Spitzenkandidatin der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen – übernahm die Position der geschäftsführenden Delegationsleiterin, SPÖ-Europaabgeordneter Jörg Leichtfried bleibt Delegationsleiter. „Damit übernehme ich die Aufgaben der täglichen politischen Arbeit. Mit Jörg Leichtfried als Vizepräsident der sozialdemokratischen Fraktion und mir als geschäftsführender Delegationsleiterin sind wir gemeinsam in den Entscheidungsgremien der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament (S&D) vertreten und können unsere Interessen noch stärker als bisher vertreten und

Evelyn Regner ist neue geschäftsführende Delegationsleiterin der SPÖ im Europäischen Parlament.

durchsetzen“, erklärte die neue geschäftsführende Delegationsleiterin der SPÖ im Europäischen Parlament, Evelyn Regner.

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FAIR. SOZIAL. GERECHT.

STAATSVERSCHULDUNG AUSGEWÄHLTER LÄNDER IN PROZENT DES BRUTTOINLANDSPRODUKTS (AB 2013 SCHÄTZUNG) 180 %

Quelle: IWF

Fast alle anerkannten Länder der Welt sind laut Internationalem Währungsfonds (IWF) verschuldet. Laut Schätzungen des IWF wird Brunei (Asien) 2014 mit 2,3 % des Bruttoinlandsprodukts die geringste, Japan mit 243,5 % die höchste Verschuldung aufweisen. Im EUDurchschnitt stieg die Verschuldung von 59,3 % 2007 auf 88,7 % 2013 stark an, 2019 wird sie krisenbedingt noch immer bei 79,9 % liegen.

160 % 140 %

GRIECHENLAND

120 %

ITALIEN USA

100 %

EU ÖSTERREICH DEUTSCHLAND

80 % 60 %

SCHWEDEN CHINA RUSSLAND ESTLAND

40 % 20 % 0% 2003

2005

2007

2009

2011

SANKT-NIMMERLEINS-TAG

2013

2015

2017

2019

3,9 %

Wenn wir mit der Lohnsteuerentlastung für ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen darauf warten, bis sie sich Österreich angeblich „leisten kann“, dann warten wir sehr, sehr lange! Laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden die Staatsschulden in vielen Ländern auch im Jahr 2019 noch weit über dem Niveau der Jahre vor den Krisenjahren ab etwa 2007 liegen. Betrug zum Beispiel der öffentliche Schuldenstand

Österreichs 2007 noch rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, klettert dieser laut IWF auf rund 79 Prozent 2014 an und wird auch 2019 noch rund 73 Prozent betragen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat in den meisten Staaten der Welt die Verschuldung

Ein Ersuchen des Verlages an den/die BriefträgerIn: Falls Sie diese Zeitschrift nicht zustellen können, teilen Sie uns bitte hier den Grund und gegebenenfalls die neue oder richtige Anschrift mit

explodieren lassen. Die arbeitenden Menschen werden diese enorme Schuldenlast allein nicht tragen können. Die Staatengemeinschaften werden andere Lösungen finden müssen, denn sonst droht der soziale Frieden zu brechen – in vielen Ländern!

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/ / / Straße/Gasse Haus-Nr./Stiege/Stock/Tür / Postleitzahl Ort Besten Dank

P.b.b. 02Z031786M ÖGB-Verlag, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1

Retouren an PF 100, 1350 Wien


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