Editorial Sex und Politik – zwei sehr unterschiedliche Begriffe, die nicht viel miteinander zu tun haben, könnte man meinen. Während Ersterer sich im Privaten, hinter der Schlafzimmertüre abspielt, ist Letzterer auf der Bühne der Öffentlichkeit angesiedelt. Immer öfter blickt jedoch die Öffentlichkeit durch das Schlüsselloch des Schlafzimmers und das Privatleben wird plötzlich politisch relevant. Versteht man Sex als Geschlecht, so sind Geschlechterdifferenz und die Gleichstellung von Mann und Frau politisch ebenso heisse Eisen, auf die wir in unserer neuen Ausgabe nicht verzichten möchten. Im aktuellen Zoon Politikon indet sich eine Vielzahl von Artikeln, die sich den Überschneidungen von Sex und Politik auf verschiedenste Weise annähern. Der amerikanische Professor Ludger Viefhues-Bailey etwa analysiert in seinem Essay die fortwährende Verschmelzung von Staat und Privatleben anhand der bürgerlichen Ehe (S. 13). Petra Vogel fragt nach der Wirksamkeit von Frauenquoten in der Politik und zeigt auf, dass diese auch zu neuen Problemen führen können oder einfach erfolglos bleiben, wenn sie ohne vorhandene Lobby eingeführt werden. Der katholischen Kirche und ihrer zwiespältigen Sexualmoral wendet sich der Beitrag von Fréderic Papp zu, der für eine radikale Umsetzung des Laizismus plädiert (S. 16). Ein weiteres brisantes Thema, das sich beim Titel «Sex & Politics» sofort aufdrängt, ist der Skandal. Dass Skandale nicht einfach nur belangloser Klatsch und Tratsch sind, sondern in der Gesellschaft eine wichtige Funktion erfüllen, macht ein Artikel des Soziologen Prof. Kurt Imhof deutlich. Er beschreibt, wie Skandale über den öffentlichen Diskurs die Beziehung von Moral und Politik seit der Aufklärung immer wieder transformiert haben (S. 24). Natürlich haben wir passend dazu eine Auswahl der meistdiskutierten Sexskandale von Politikern rund um die Welt zusammengestellt (S. 28). Zudem haben wir das Heft mit einer Selektion der absurdesten Sexgesetze garniert – in Budapest etwa ist es verboten, beim Geschlechtsverkehr das Licht anzuschalten und in Georgia (USA) müssen beim Entkleiden der Schaufensterpuppen unbedingt die Vorhänge zugezogen sein! Wie ist es zu bewerten, wenn nicht nur das Ehebett der Politiker in die öffentliche Sphäre gezogen wird, sondern auch Privatpersonen intime Details ihres Zusammenlebens preisgeben müssen? Dieser Frage geht Urs Güney in seinem Artikel über die Scheinehe nach, indem er den schmalen Grat zwischen Verbrechensbekämpfung und Menschenrechtsverletzung auslotet
(S.31). Wir waren an der Uni unterwegs und haben sowohl die schwule Studentengruppe Zart & Heftig besucht, als auch eine Umfrage zum Thema Pornokonsum durchgeführt. Natürlich wurden auch der Literaturmarkt, die Musikbranche und die Filmwelt durchforstet. So lesen Sie in diesem Heft von einer hippen Berlinerin, die umgeben von Sexiness und «selfpimping» nach der wahren Liebe sucht (S. 46) und einem italienischen Polizeichef, der aufgrund seiner Machtbesessenheit zum Mörder wird. Bereits die «Virgin Queen» Elisabeth I. wusste ihre Sexualität als politische Strategie einzusetzen (S. 20). Heute nutzt die türkische Sprachwissenschaftlerin Lady Bitch Ray – in unserer übersexualisierten Zeit natürlich mit viel expliziteren Mitteln – ihre Weiblichkeit , um mit ihrem «Vagina Style Deluxe» dem Feminismus ein neues Gesicht zu verpassen (S. 61). Die als Frauenzeitschrift gegründete ROSA verfolgt hier klassischere Strategien, wie wir im Interview erfuhren. Zuguterletzt wird Ihnen noch verraten, wo Sie das nächste Mal ins Theater gehen sollten und welche Veranstaltungen es im kommenden Semester nicht zu verpassen gilt.
Bild Sarah Schlüter
Redaktorinnen Stefanie Heine und Sarah Schlüter
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Frauenquoten – überlüssig oder ein notwendiges Übel? Seite 10
Skandale – täglich werden wir mit ihnen konfrontiert. Haben sie auch eine politische Funktion? Seite 24
Wie westliche Männer und ukrainische Frauen ihr Glück suchen. Partneragenturen helfen. Seite 34
Sex & Politics
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Die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen Marion Strunk Das Gesetz soll‘s richten Petra Vogel Der romantische Staat Ludger H. Viefhues-Bailey Die katholische Kirche auf der Anklagebank Frédéric Papp Das Spiel der Körper Stefanie Heine Offenes Geheimnis, politischer Skandal Kurt Imhof Berlusconis Bikini-Kabinett Marcel Hegetschweiler Eine Landkarte der Politiker-Sexskandale Stefan Klauser Flotter Dreier mit dem Staat Urs Güney Liebe im Sonderangebot Yvonne Meier
Kultur
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Das Ungeschlecht Stefanie Heine «Ein Virus, das gesund hält» Urs Güney «Oversexed and underfucked» Sarah Schlüter Sex als Grenze der Macht Stefan Klauser Familiäres Ambiente mitten in Zürich Michèle With Männer, ihr habt Sendepause Stefan Kovac
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inhalt Auf den Spuren von Prostitution und Menschenhandel. Der Vorsteher der Fremdenpolizei Bern berichtet. Seite 54
Das Musikbuisness ist schon lange keine Männersache mehr. Wie Künstlerinnen laut werden. Seite 61
Zart & Heftig laden zum Abendessen und gewähren einen Einblick in den schwulen Unialltag. Seite 64
Meinung
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Menschenhandel im Halbschatten der Gesellschaft Alexander Ott «Ich will nicht mehr schweigen» Sarah Schlüter «Frauen, lernt zu eurer Fotze zu stehen» Rahel Perrot
Polyrik
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Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll Stefan Kovac
Institut
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Schwul - was sonst? Sarah Schlüter Get up, stand up! FV Polito Heiss oder Scheiss? Stefanie Heine und Christian Seidel
Veranstaltungen
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Rot anstreichen
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Die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen Von Marion Strunk Sagt jemand «das Spiel mit den Geschlechtern» sei schon alles? Spielen heisst doch: probehandeln. Versuchen, scheitern, verlieren, gewinnen und vieles mehr. Ein Spiel, das ernst gemeint ist, bringt immer etwas hervor, sei es eine Erkenntnis, eine Einsicht, Freude oder Verzweilung. Bekanntes und Unbekanntes. Verschiedenes. Und alle wissen es: Ein Spiel kann auch verdorben werden. Der Proberaum des Spiels ist nur solange Schutz- oder Schonraum wie klar ist, dass die Spielenden Anfang und Ende kennen und somit noch einmal beginnen können, ein Spiel also ein Prozess ist und keine Regel, ein Verfahren, eine Übung. So wie Denken eine Übung ist, wie Handlung eine Übung ist. Spiele sind an Regeln gebunden, gewiss, an Gesetze, und wenn die Grenze erreicht ist, weiss auch jede und jeder: Das Spiel ist aus.
Literatur
Dekonstruktion und Konstruktion
BHABHA, H. (1994).
Dem «Spiel mit den Geschlechtern» geht die Debatte der Konstruktion/Dekonstruktion voraus (1980er Jahre), die in den Kontext der Debatte um die Geschlechterdifferenz gestellt auch Geschlechtlichkeit als sozial, kulturell konstruiert versteht. Sie widerspricht damit der Vorstellung einer natürlich festgelegten Geschlechtlichkeit. Darin besteht inzwischen ebenso Konsens wie darüber, von der Tatsache auszugehen, dass Geschlechtlichkeit als Zweigeschlechtlichkeit behauptet, universell wirksam ist, individuell und gesellschaftlich, bewusst und unbewusst. «Das Spiel mit den Geschlechtern» folgt der Einsicht in die vielen Möglichkeiten von Individualität und Subjektivität, die immer auch über Geschlechtlichkeit vermittelt sind. Allerdings ist in diesem «Spiel» klar, dass es nicht ausserhalb von Gesellschaft stattinden kann, dass es keine machtfreie Zone geben kann und keine Form von Kommunikation, die nicht zugleich eine Machtbeziehung wäre. Machtbeziehungen, Machtverhältnisse sind in einer Gesellschaft nichts Äusserliches wie ein Fremdkörper, der isoliert oder entfernt werden könnte: sie bilden die Bedingungen der Möglichkeit von Gesellschaft. Die Dekonstruktion geschlechtlicher, sozialer Identitäten (Gender) steht im Kontext eines Diskurses der Autonomie, der Einzigartigkeit, der Wahrheit, der allgemeinen Gültigkeit von Werten, ihrer sozialen
The Location of Culture. London: Routledge. BUTLER, J. (2003). Kritik der ethischen Gewalt. Frankfurt/M: Suhrkamp. BUTLER, J. (1993). Kontingente Grundlagen. In: Benhabib, S. et al. (Hrsg.). Der Streit um die Differenz. Frankfurt/M: Fischer. LOREY, I. (1996). Immer Ärger mit dem Subjekt. Tübingen: edition diskord. PÜHL, K., SCHULZ, S. (2001). Gouvernematalität und Geschlecht. In: Hess, S., Lenz, R. (Hrsg.). Geschlecht und Globalisierung. Königstein: Helmer. DIE PHILOSOPHIN (23/2001). Gender Studies und Interdisziplinarität. Tübingen: edition diskord.
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und kulturellen Gewordenheit und Relevanz. Diskurse produzieren Handlungen. In welche Richtung sie gehen, kann der Diskurs nicht vorschreiben. Der Diskurs vermittelt eine kritische Haltung, er vermittelt die Geste der Frage, nicht die der Antwort. Der Begriff der sozialen Konstruktion ist mit der Intention entstanden, Festlegungen zu vermeiden und den Blick für Vielfältiges zu öffnen. Weiblichkeiten und Männlichkeiten als konstruierte, sich gegenseitig bedingende Dualismen zu verstehen, zeigt, dass die Deinitionsmacht der Vorstellungen von Frau oder Mann politisch festgelegt ist. Wer von «Frau» spricht, bedient also immer auch diese Deinitionsmacht. Und das bedeutet gleichzeitig: Einschluss und Ausschluss entlang der Linie der Deinition. Die Dualismen Natur/Kultur, Frau/Mann, Körper/Geist, Chaos/Ordnung, Gut/Böse und so weiter haben bekanntlich jene (Macht-)Verhältnisse produziert, die auf Ewigkeit und Dauer, auf das Ganze und Totale angelegt waren und sind – ihre Ursache sind sie jedoch nicht. Damit ist nicht gemeint, dass eine Subjektposition als Frau nicht mehr eingenommen werden soll oder könnte. Nur, im Namen der Frau zu sprechen, verlangt eine ständig erneute Differenzierung und Kontextualisierung. Die Kritik an der Repräsentation, dem Sprechen für andere, ist mit der Kritik an dem totalisierenden Begriff von Universalität verbunden. Als «Frau» zu sprechen würde gleichzeitig bedeuten, speziische Subjektivierungsweisen und speziische gesellschaftliche Kompetenzen sichtbar oder hörbar zu machen. Dies öffnet den Begriff für eine Mehrstimmigkeit, wodurch jeder Name immer schon als kollektiv, immer schon als konstruiert und immer wieder als konstruierbar erscheint. Die Setzungen von Frau/Mann zu dekonstruieren meint dann, die soziale Gewordenheit und das unausweichliche Eingebundensein von Begriffen in gesellschaftliche und kulturelle Setzungen auf allen Ebenen der Erfahrung und Wahrnehmung zu erkennen und für diese Erkenntnis einen Ausdruck, eine Darstellung oder Kommunikation zu inden.
Fakten lassen sich verändern Dies kann, worauf Judith Butler aufmerksam macht, aber nicht bedeuten, die «Materialität der Körper» unbeachtet zu lassen. Körper an sich haben keine Bedeutung, sie werden zu Körpern: medial vermittelt und in geschlechtstypische, ethnische, medizi-
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Gender Studies dekonstruieren Geschlechteridentitäten. Aber reicht dies aus, um die faktische Ungleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft zu beheben? Über Ansprüche und Möglichkeiten einer jungen Wissenschaftsdisziplin.
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nische oder alterstypische Bedeutungen integriert. Allein die Debatte wird auf die Ebene des Diskurses gebracht. Möglicherweise als Spiel mit diesen Dualismen, was schon eine Veränderung ist, einen Unterschied macht und wieder einen Diskurs eröffnet (Queerstudies, Postkolonialstudies). Dem Paradox von Gleichheit und Diskriminierung kann er anscheinend nicht entkommen. Aber unabhängig von einander kann weder die soziale Ordnung noch das einzelne Individuum die Ursache dafür sein, vielmehr ist es die Verstrickung und wechselseitige Durchdringung gegenseitiger Abhängigkeit. Allerdings wäre es ein «altes Allmachtsideal» anzunehmen, das Spiel oder der Diskurs könne unmittelbar auf «Lohndifferenz, Verteilung der Arbeit oder Zugang zu Ressourcen» einwirken oder Einluss nehmen. Dafür braucht es spezielle Plätze und Schauplätze und ein sehr speziisches Engagement. Denn Theorie ist noch keine Gesellschaft, Gesellschaft formuliert sich aber immer auch als Theorie. Wenngleich Butlers Diskurstheorie weniger eine Gesellschaftsbeschreibung entwickelt als vielmehr den Versuch, Subjektivität zu thematisieren und zu diskutieren, kann ihr deswegen eine politische Konsequenz nicht entzogen werden. Und damit ebenso wenig den Gender Studies, die sich (auch) auf Butler beziehen. Einerseits würde dies die alte Trennung von Individuum und Gesellschaft wiederholen, andererseits das Politikverständnis nicht differenzieren: Butler schlägt – vermittelt über Parodie und Ironie – die Haltung der Subversion vor. Die Gender Studies sind keine politische oder soziale Bewegung, wie es beispielsweise der Feminismus war, sondern ein Studium, in dem vermittelt über den kritischen Diskurs und den Diskurs der Kritik (bestenfalls «Kultur der Kritik») politisches Handeln insofern vermittelt wird, als es sich als kritisches Denken formuliert. Für politisches Handeln im Sinn einer direkten gesellschaftlichen Einlussnahme reicht dies nicht aus. Konstruktion/Dekonstruktion kann als Verfahren gelten, die Geste der Kritik aufzunehmen. Die BauMetapher verweist auf das Entwerfen, Gestalten, den Aufbau. Dekonstruktion zerlegt das Gebaute, baut ab und um, was gleichermassen ein Prozess der Gestaltung, der Konstruktion ist. Es gibt Fakten und es gibt die Möglichkeit der Korrektur. Was gemacht worden ist, kann verändert werden. Das Thema der Konstruktion ist die Veränderung; Veränderbarkeit die Frage. «Weder bringt die Norm das Subjekt als notwendige Wirkung hervor, noch steht es dem Subjekt völlig frei, die Norm zu missachten, die seine Relexion in Gang setzt; jede Handlungsfähigkeit, auch die der Freiheit, steht in Bezug zu einem ermöglichenden und begrenzenden Feld von Zwängen», sagt Judith Butler. Und es kann ergänzt werden: von individuellen und gesellschaftlichen, von bewussten und unbewussten. Es geht um Handlungsmöglichkeiten,
also darum, Möglichkeiten zu entwickeln, die einen Unterschied zu den Vorgaben, den Konstrukten machen können; und das ist immer auch eine Frage der Identität, der Macht und des Kontextes, in dem die Vorgaben erscheinen. Die Frage zu stellen, wie ein Subjekt (Subjektformierung, Subjektwerdung) die Grenzen der Selbsterkenntnis anerkennt – und damit auch einen nicht zugänglichen, undurchsichtigen Teil seiner selbst (Unbewusstes) – und gleichzeitig Verantwortung und sinnvolles Handeln (ethische Handlungsweisen) für eine Gesellschaft entwickeln kann, bleibt eine Frage der Kreation, also der Verwandlung. Die Betonung liegt auf den Unterschieden und dem Unterscheiden, das wiederum Unterschiede hervorbringt und für sie eine Umgebung schafft. Darstellung und Sichtbarkeit. Die Handlungen können nicht auf ein Ganzes ausgerichtet sein wie ein utopischer Entwurf: das hiesse sie als Anweisung zu missbrauchen. Handlungen geschehen situativ und kontextgebunden, besonders wenn sie inno-
Frisch gebacken und zuckersüss - doch was sind die Zutaten?
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Strategie der Gleichzeitigkeit
Autorin Prof. Dr. Marion Strunk ist Kulturwissenschaftsdozentin für Kulturtheorie und Genderstudies an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). www.marionstrunk.ch
Bild Betty Fleck
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Das aufklärerische Postulat der Selbstbestimmung, der Subjektentwurf der Moderne, hatte suggerieren können, es gebe ein Ausserhalb, von wo aus Widerspruch und Widerstand entwickelt werden könnte. Die heutige Herausforderung ist die, anzunehmen, dass es dieses Ausserhalb nicht wirklich geben kann, es wäre selbst einer Konstruktion unterworfen. Gleichzeitig ist zu fragen, welche Möglichkeiten von Veränderung sich dennoch herstellen lassen beziehungsweise was Veränderung unter den gegenwärtigen Verhältnissen überhaupt meinen kann. In diesem Kontext mag der Begriff der Ambivalenz brauchbar sein und Lesarten eröffnen, die für eine Strategie der Gleichzeitigkeit relevant sein können. Ambivalenz wird mit Unentscheidbarkeit übersetzt, was nicht bedeutet vage zu sein oder sich zu enthalten. Ambivalenz formuliert ein Dazwischen, das sich vom Entweder-Oder, Weder-Noch entfernt und ein Sowohl-als-auch einbringt, was gleichbedeutend ist mit Gleichzeitigkeit. Sie provoziert damit Verschiedenheit, Unterscheidbarkeit und vor allem Mehrdeutigkeit. Von der Macht beherrscht sein und die Macht beherrschen, Unterwerfung und Entwurf schliesst sich nicht gegenseitig aus. Der Kontext entscheidet über die Ausrichtung und öffnet möglicherweise für die Bewegung der Widersprüchlichkeit, allerdings ohne nach dialektischem Muster in etwas Höherem aufgehoben zu sein. Genauso wenig wie es «die Theorie» oder «die Gender-Theorie» gibt, auf die sich alle einigen sollen, kann behauptet werden, dass Flexibilität ausschliesslich dazu dient, dem so genannten neoliberalen, selbstregulierenden Markt das Futter zu liefern. Der Markt ist immer gefrässig und unersättlich: vor den so genannten pluralen, lexiblen Subjekten hat er das so genannte moderne, einheitliche Subjekt schon bestens ausgekostet. In seiner Sprache wird aus Foucaults Vorschlag der «Selbsttechnologien» das «Selbstmanagement», aus der Selbstregierung, dem aktiven Sich-selbstregieren, die Ich-AG und ein «Regiere Dich selbst!»Leitsatz für selbständige unternehmerische Initiativen. Hierarchien in der Arbeit aufheben, heisst dezentralisierte Netzwerke bilden. Eigensinn wird zu «Corporate Identity», luide Subjekte für luide Märkte, auch: «managing diversity». Ein Fiat heisst «Multibla». Kann das aber ein Argument dafür sein, das Flexible nicht als Veränderung zu nutzen? Soll Flexibilität wieder zurückgenommen werden? Was käme stattdessen? Die «Gouvernementalitätsstudien» Foucaults sind
gleichermassen in die neoliberale Variante des Marktes eingegangen. Eigenverantwortlichkeit und Selbstsorge werden dabei als geschlechtsneutrale Konzepte angeboten, um zu einer Neuaulage von Individualisierungspraktiken zu werden. Diese reproduzieren allerdings, wie Pühl und Schulz feststellen, letztlich wieder das autonome, unabhängige Subjekt der Moderne, eben das männlich konstruierte und codierte. Ich möchte behaupten, dass die neue Generation – insofern erscheint mir die Skepsis gegenüber Flexibilität eine Generationenfrage zu sein – mit Flexibilität anders umzugehen weiss und in ihr bei allen Schwierigkeiten und Ungewissheiten gleichzeitig besondere, neue Möglichkeiten von Entfaltung erkannt hat; dass sie sich überhaupt mehr für die Gleichzeitigkeit des Verschieden interessiert und engagieren kann, individuell/gesellschaftlich. Ganz abgesehen davon, dass das «Konzept der multiplen Identitäten» die Brüchigkeit der klassischen Identitäten von Nation, Klasse, Rasse verdeutlicht hat, bezeichnet es positiv, dass sich Individuen aus verschiedenen Bezügen und Verortungen herstellen, von denen situativ unterschiedlich Gebrauch gemacht werden kann. Nicht zuletzt die Konfrontation mit anderen Kulturen, lokal/global, hat darauf aufmerksam gemacht.
Subversion als Teil der Ordnung? Die Frage bleibt, wie mit Unsicherheiten umzugehen ist, individuell/gesellschaftlich, angesichts einer Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, die Sicherheit anzubieten vorgab und teilweise auch einzuhalten in der Lage war (Sozialstaat). Wie die Unterschiede, Verschiedenheiten und Flexibilitäten jenseits von Vereinnahmung, Missbrauch, Hierarchisierung in der heutigen Gesellschaft (Postfordismus) – die vorgibt grenzenlos Raum zu bieten (global) – (lokal) Raum gewinnen können, als ein «in-betweenspace», wie sich Homi Bhabha ausdrückt. Und wie die Dimension der Gleichzeitigkeit und Vielstimmigkeit ein Handeln motivieren kann, das politisch sein soll in dem Sinne der Einlussnahme und Einmischung, individuell/gesellschaftlich, bei gleichzeitiger Unklarheit darüber, wo die Fronten verlaufen, und Klarheit darüber, dass die Subversion der Ordnung auch Teil ihrer Optimierung geworden ist. Die Genderforschung ist also zweifellos mit der Aufforderung konfrontiert, den Widerspruch der paradoxen Zusammenhänge von Flexibilität und Stabilität der Geschlechterordnung zu thematisieren und in ihre Diskurse aufzunehmen, also auch die Gleichzeitigkeit von «doing gender» und «undoing gender» wahrzunehmen. Die Verunsicherung, keine Gewissheit mehr haben zu können, weder für die individuelle, noch für die gesellschaftliche Entwicklung, muss nicht bedeuten, ziellos dahin zu debattieren oder im Spiel den Anschluss an die Realität zu verlieren. Es gilt viel-
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vativ sein wollen. Ihre visionäre Kraft vermitteln sie über ihre Intensität und Vielfältigkeit. Entscheidend für die Stärkung des Verfahrens der Konstruktion/ Dekonstruktion ist deshalb der Versuch, Fundamentalismen entgegenzuwirken.
Perspektiven der Gender Studies Die Gender Studies, eine vergleichsweise junge Wissenschaft, haben sich zur Aufgabe gemacht, die nach wie vor grundlegende, universell wirksame soziale und kulturelle Geschlechterordnung und -hierarchie in Theorie und Praxis kritisch aufzunehmen und dafür einen Ort zu etablieren, der sie gleichberechtigt in den Kontext von Lehre und Forschung stellt. Innerhalb von Bildungsinstitutionen wird eine Ausbildung ermöglicht, werden Kompetenzen vermittelt beziehungsweise verfügbar gemacht. Dies soll auch eine beruliche Praxis eröffnen. In der (wissenschaftlichen) Haltung schliessen sich die Gender Studies damit einer kritischen Forschung und Lehre an, wie sie zunächst in den Geistes- und Kulturwissenschaften entwickelt worden ist. In deren Tradition stehen sie – ebenso wie die feministischen Studien, von denen sie sich in speziischen Fragestellungen unterscheiden. Ihre gegenseitige Polarisierung haben sie jedoch nicht selbst zu verantworten, im Gegenteil, Gender Studies schliessen feministische Wissenschaften und Theorien mit ein, genauso wie Queertheorien oder Postkoloniale Theorien, Medientheorien, Bildtheorien und so weiter. Dies macht bekanntlich ihre Interdisziplinarität aus. Kulturwissenschaftlich orientierte Gender Studies legen den Fokus auf die Analyse der «Visuellen Kultur», auf ihre Medien und Kommunikation. Der Anspruch, Forschung und Theorien/Praktiken vorzustellen, die sich von den binären Konstruktionen unterscheiden – sich also nicht über Trennung, sondern über Verbindungen konstituieren – kann den gesellschaftlichen Kontexten, welche sie bedingen, nicht entkommen. Das Verfahren der Konstruktion/ Dekonstruktion/Konstruktion ist für sie deshalb unverzichtbar, weil sie mit einem Begriff von Veränderung arbeiten, der sich auf Bildsprachen und Medienpraxis bezieht (das ist immer auch eine bewusste/
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mehr, die Ebenen auseinanderzuhalten und in ihren Besonderheiten zu differenzieren: die Ebene der Politik (Bildungspolitik, Marktpolitik, Gesellschaftspolitik und Politik für eine andere Gesellschaft), die Ebene von Lehre und Forschung, von Theorie und Praxis. Also deutlich zu machen, dass beispielsweise Entwürfe von Identität, die dem dualistischen Prinzip andere Möglichkeiten von Subjektivität entgegenhalten können, keine Frage von (theoretischer) Spielerei sind, sondern die Aufmerksamkeit auf eine der grundlegendsten Vergesellschaftungsformen und wirkungsmächtigsten Ein- und Ausschlussmechanismen richtet. Sprache und Bilder sind Vermittler (Medien) dieses Vorgangs, nicht die Ursache. Sie reproduzieren Bedeutung, sie repräsentieren Inhalte und Werte und gleichzeitig produzieren sie Verhalten und Bedeutung im Umgang mit ihnen, bewusst/unbewusst, individuell/gesellschaftlich.
unbewusste Handlung) und ihren Blick primär auf Alltagspraxen, Subjektpositionen, Identitätskonstruktionen richtet. Die Themenfelder sind – bei all ihrer Heterogenität – weiterhin von genderspeziischen Zuschreibungen durchzogen, wenn auch zunehmend gebrochen und überlagert, verschoben oder vermischt. In den Analyseprozessen werden sie jeweils wieder und wieder hergestellt, sichtbar gemacht und fortgeschrieben. «Geschlecht» als soziale (als sozio-ökonomische) Strukturkategorie fungiert dabei weiterhin höchst wirksam als soziale Platzanweiserin, medial vermittelt in Bildern: statischen, bewegten und virtuellen. Von einer Ausbildung kann also lediglich verlangt werden, dass sie Methoden und Verfahren bereitstellt, die eine Kritik und damit eine Veränderung von Wissen ermöglicht. Eine soziale Bewegung kann sie nicht sein oder gar ersetzen. Bestenfalls kann sie dazu beitragen, Erfahrungen und damit Verhalten zu ändern und für kulturelle Praktiken zu öffnen. Dass diese Veränderungspraxen erheblich langsamer (aus-)gebildet werden können als die gesellschaftlichen, im Besonderen die marktwirtschaftlichen, muss nicht betont werden. Ausbildung ist Vermittlung nicht Vorschrift oder Anleitung, insofern schliesst sie sich dem «Leben in der Schwebe» an, wie es sich durch die Vermischungen und Verschiebungen mehrerer Kontexte herstellt. Sie kann die Lebensweisen, die sich aus Erkenntnissen ergeben können, nicht vorschreiben. Genauso wenig wie die Konsequenzen, die für gesellschaftliche Handlungen relevant werden könnten. Aber gleichermassen wie sie die Kritik an ihre Analysefelder richtet, wird die Ausblidung diese auch für sich selbst beanspruchen.
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Das Gesetz soll’s richten
Von Petra Vogel Unzählige Länder kennen heute irgendeine Form von Geschlechterquoten in der Politik. Nebst Vorschriften über die Mindestanzahl weiblicher Kandidatinnen anlässlich einer Wahl oder gesetzlich für Frauen reservierten Parlamentssitzen existieren auch zahlreiche informelle Regeln oder indirekte Mechanismen, die den Frauen eine bestimmte Vertretung in der Politik garantieren sollen.
Frauen sind weltweit politisch untervertreten
Literatur DAHLERUP, D. (Hrsg.) (2006). Women, Quotas and Politics.
Laut der Rangliste der Interparlamentarischen Union ist Ruanda zurzeit weltweit das einzige Land mit einem Frauenanteil von über 50 Prozent im nationalen Parlament. In allen anderen Ländern sind die Frauen in der Politik nach wie vor untervertreten – teilweise sogar massiv. Auffallend ist, dass sowohl Ruanda als auch fast alle übrigen Länder an der Spitze dieser Rangliste gesetzlich vorgeschriebene oder freiwillige Frauenquoten kennen. Gemäss der ruandischen Verfassung sind beispielsweise 30 Prozent der Parlamentssitze für Frauen reserviert. In der Schweiz werden zurzeit 67 der 246 Parlamentssitze von Frauen besetzt. Dies entspricht einem Anteil von 27 Prozent und ist gewiss kein Ruhmesblatt für ein modernes, westeuropäisches Land. Dass Kandidierende nicht nach ihrem Geschlecht, sondern nach ihrer Kompetenz oder ideologischen Position beurteilt werden, ist noch lange nicht selbstverständlich. Heute noch zu behaupten, Männer würden sich generell besser dafür eignen, die politischen Geschicke eines Landes zu lenken, ist verpönt – es zu denken, ist allerdings eine andere Sache. In unseren Breitengraden schlägt die Forderung nach politischer Beteiligung von Frauen glücklicherweise keine hohen Wellen mehr; dass die Frauen paritätisch an der politischen Macht eines Landes beteiligt werden, scheint indes noch immer nicht selbstverständlich zu sein. Ein mögliches Instrument zur Erreichung dieses Ziels ist die gesetzliche Frauenquote.
London: Routledge.
30 Prozent betrugen. Dies deutet darauf hin, dass der Erlass solcher Regelungen nicht unbedingt den Beginn des Weges hin zu einer angemessenen Repräsentation beider Geschlechter in der Politik markiert. Vielmehr war das allmähliche Eindringen der Frauen in die Parlamente und Parteigremien in Skandinavien eine Voraussetzung dafür, dass die Etablierung von Frauenquoten politisch durchsetzbar wurde. Obwohl Frauen in der Bevölkerung zahlenmässig keine Minderheit darstellen, entspricht dieser Prozess der Logik der Minderheitenbeteiligung. Nur wer Zutritt hat zu den politischen Institutionen, kann auch im Rahmen gesellschaftlich akzeptierter Handlungsformen die Situation seiner «Gruppe» weiter verbessern. Andernfalls bleiben den Ausgeschlossenen nur noch unkonventionelle Mittel – zum Beispiel Demonstrationen – um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Das Geltendmachen von Ansprüchen im Rahmen solcher Aktionsformen und der damit verbundene öffentliche Tabubruch werden oft von weiten Teilen der Gesellschaft nicht akzeptiert. Die Erfahrung zeigt also, dass sich Frauenquoten ohne eine solide parlamentarische Frauenvertretung kaum durchsetzen lassen. Das Ziel von Frauenquoten fungiert somit teilweise gleichzeitig als Voraussetzung für deren Einführung, was einem Teufelskreis gleichkommt. In dieser Tatsache liegt eines der Dilemmata von Frauenquoten. Dies trifft vor allem auf die Länder zu, die in Sachen Frauenbeteiligung eine Vorreiterrolle innehatten. Während der Prozess in Skandinavien noch Jahrzehnte in Anspruch nahm, gelangte man später andernorts schneller zum Ziel. Auch in Ländern mit unbedeutender Frauenvertretung im Parlament konnten Frauenquoten durchgesetzt werden. Zu diesen Ländern gehören beispielsweise Ruanda, Argentinien, Costa Rica und Südafrika. Im Gegensatz zum inkrementellen Weg der skandinavischen Länder kamen die Nachfolger dank der Einführung von Frauenquoten praktisch im Schnellzugstempo auf ansehnliche Frauenanteile in ihren Parlamenten.
Wenn das Ziel zur Voraussetzung wird Links www.ipu.org www.quotaproject.org
Bild Kanton Aargau
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In den skandinavischen Ländern konnten Frauen die Anzahl der parlamentarischen Sitze bereits in den 1970er Jahren markant ausweiten. Erstaunlicherweise wurden in diesen Ländern Frauenquoten – wenn überhaupt – erst in den 1980er Jahren eingeführt, als die Sitzanteile von Frauen bereits 20 bis
Handicap Familie Es ist kaum bestritten, dass sich Frauenquoten eignen, eine bestimmte Frauenvertretung in der Legislative herbeizuführen. Um aber die Verhältnismässigkeit dieses Instruments zu beurteilen, müssen die Vor- und Nachteile von Frauenquoten berück-
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Sie haben den Zweck die Gleichberechtigung zu garantieren, verfestigen jedoch die Geschlechterkategorien und unterhöhlen damit ihre eigenen Forderungen. Frauenquoten und ihre Wirksamkeit sind noch lange nicht ausdiskutiert.
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sichtigt werden. Gegner sehen in Geschlechterquoten einen Verstoss gegen das Prinzip der freien Wahl und der Chancengleichheit. Dem entgegnen Befürworterinnen, dass Frauenquoten eben gerade ein Mittel sind, um eine echte Chancengleichheit herzustellen, indem sie den Frauen ermöglichen, in einer männerdominierten Welt allmählich Fuss zu fassen. Die Frauenquoten sollten demnach eine in der Vergangenheit entstandene Ungerechtigkeit korrigieren. Ihre Funktion liegt gemäss dieser Argumentation vor allem darin, Vorbilder zu schaffen, die andere Frauen ermutigen, sich ebenfalls politisch zu engagieren. In diesem Sinne wären sie nur temporärer Natur und könnten aufgehoben werden, sobald sich die Frauen in der Politik etabliert haben. Die Vereinbarkeit von Frauenquoten mit dem liberalen Postulat der Chancengleichheit hängt auch von der Form der Frauenquote ab. Regelungen, die eine bestimmte Anzahl der Plätze auf den Parteilisten für Frauen vorschreiben, verletzen Sinn und Zweck der Chancengleichheit nicht. Vorschriften, die eine bestimmte Anzahl Parlamentssitze ausschliesslich den Frauen vorbehalten, sind hingegen differenzierter zu betrachten. Eine solche Massnahme geht in den Augen vieler über die eigentliche Gewährleistung gleicher Chancen hinaus, da sie bereits eine Ergebnisgleichheit garantiert. Die Diskussion um Chancengleichheit darf jedoch nicht erst beim Zeitpunkt der Wahl einsetzen. Frauen
kämpfen oft bereits vorher mit einer ungleichen Chancenverteilung. So ist es – teils biologisch, teils gesellschaftlich bedingt – nach wie vor die Frau, die einen grossen Teil der doppelten Bürde von Familie und Karriere zu tragen hat. Entscheidet sie sich für eine Familie, hat dies gewisse Implikationen für ihre politische Karriere. Während ein Mann seine politische Laufbahn meistens ungeachtet seiner familiären Situation vorantreiben kann, verläuft dieselbe bei einer Frau nicht unbedingt so geradlinig. Ihr Lebenslauf wird unweigerlich Brüche aufweisen, falls sie eine Familie gründet.
Ein Widerspruch wird zementiert Ein weiteres Dilemma, das Frauenquoten mit sich bringen, ist die Tatsache, dass sie den Geschlechterunterschied, dessen Betonung sie bekämpfen wollen, überhaupt erst institutionalisieren. Denn vor der Forderung eines bestimmten Frauenanteils in der Politik wird der Unterschied noch nicht explizit gemacht und die quasi homogene Gruppe «Frau» wird nachträglich gebildet. Mit anderen Worten wird genau die Kategorisierung vorgenommen, deren Aulösung eigentlich das Ziel ist. Laut Drude Dahlerup, einer Wissenschaftlerin, die viel zum Thema Frauenquoten publiziert hat, ist die Konstruktion der Kategorie «Frau» zugleich Achillesferse und Existenzberechtigung der feministischen Bewegung. Unweigerlich kommt bei dieser Diskussion die Frage
Ein erfolgreiches Parlament baut auf die Zusammenarbeit beider Geschlechter.
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Geschlechtermix bringt Mehrwert
Autorin Redaktorin Petra Vogel (30) studiert im 9. Semster Politikwissenschaft und Öffentliches Recht an der Universität Zürich.
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Gibt es denn nebst dem Geschlecht noch andere Gemeinsamkeiten von Frauen, die den Anspruch auf soziale Repräsentation zusätzlich legitimieren? Frauen machen in ihrer Biograie ähnliche Erfahrungen, die sich von denjenigen der Männer unterscheiden. In ihrer Rolle als Frau begegnen sie zum Beispiel gewissen Missständen und Problemen unserer Gesellschaft häuiger, was dazu führt, dass sie in bestimmten Bereichen eine höhere Sensibilität besitzen als Männer. Bedingt durch gemeinsame Ressourcen, die vor allem durch die ähnliche Sozialisation gebildet wurden, weisen Frauen ausserdem oft eine andere Herangehensweise an Probleme auf. Ihre Lösungsstrategien unterscheiden sich nicht unbedingt inhaltlich aber zumindest formal von denjenigen ihrer männlichen Mitstreiter. In einer Zeit wie der heutigen, geprägt von zahlreichen komplexen Herausforderungen, ist es unabdingbar, dass vielfältige Lösungsansätze exi-
stieren. Diese sollen es den Entscheidungsträgern ermöglichen, adäquat und lexibel zu reagieren. Der Mehrwert, den Frauen in der Politik generieren, liegt in der Vielfalt und Ausgewogenheit der Ideen und Ansätze, die sie gemeinsam mit den Männern herstellen. In der Privatwirtschaft gibt es heute eine beträchtliche Zahl an modernen Unternehmen, die diesen Mehrwert erkannt haben und davon proitieren. Im Grunde genommen ist es sinnvoller, von Geschlechterquoten anstatt von Frauenquoten zu sprechen. Eine gesetzliche Regelung, die beispielsweise beiden Geschlechtern je mindestens 40 Prozent der Parlamentssitze garantiert, gewährt den Männern und den Frauen einerseits Chancen und begrenzt andererseits gleichzeitig den Einluss beider Geschlechter. Eine solche Geschlechterquote erstickt denn auch den allfälligen Vorwurf der Diskriminierung der Männer bereits im Keim. Während die Wirkung auf die politische Vertretung der Frauen dieselbe ist wie bei reinen Frauenquoten, sendet eine gesetzliche Regelung, die beide Geschlechter miteinbezieht, ein viel positiveres Signal an die gesamte Gesellschaft.
Wie lange wollen wir noch warten? Ob die Einführung von Frauen- oder Geschlechterquoten das beste Mittel ist, alle Hindernisse, die eine Frau in der Politik zu überwinden hat, aus dem Weg zu räumen, sei dahingestellt. Dass Frauen und Männer an der Erarbeitung von Lösungen für die Probleme unserer Gesellschaft angemessen beteiligt werden sollten, darf jedoch nicht ein ewiges Ziel bleiben, sondern muss endlich Realität werden. Darauf zu warten, dass sich eine angemessene Repräsentation der Frauen innert absehbarer Frist von selbst einstellt, hat sich zumindest teilweise als Irrtum erwiesen. Trotz der Nachteile, die die Geschlechterquote für die Frauen selber mit sich bringt, etwa die Verfestigung der Kategorie «Frau», ist sie als Instrument zum rascheren Erreichen eines längst unbestrittenen Ziels durchaus angebracht.
URUGUAY Ein Ehemann, der seine Frau in lagranti mit einem Liebhaber erwischt, darf sich zwischen zwei Möglichkeiten der Bestrafung entscheiden – beide sind vor dem Gesetz erlaubt: Entweder tötet er seine untreue Frau und ihren Liebhaber, oder er kastriert ihn und schneidet ihr die Nase ab.
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auf, welche politisch relevanten Gemeinsamkeiten Frauen aufweisen, damit sie als Gruppe einen Repräsentationsanspruch erheben können. Klar ist, dass das Frausein als soziodemograisches Merkmal kein politisches Programm sein kann, denn das Geschlecht ist an kein speziisches politisches Gedankengut geknüpft. Somit besteht kein Anspruch auf eine ideologische Repräsentation. Dies ist dann wahrscheinlich auch mit ein Grund, weshalb Frauen nicht vorbehaltslos Frauen wählen. Als wesentliche Gesellschaftsgruppe haben die Frauen jedoch ein Recht auf eine soziale Repräsentation in der Politik. Es bestreitet schliesslich auch niemand den Anspruch der Romands als kulturelle Minderheit auf eine angemessene Vertretung im Bundesparlament und im Bundesrat. Die Romands vertreten genausowenig wie die Frauen eine einzige Ideologie, sondern verteilen sich auf dem ganzen politischen Spektrum. Dass keine Notwendigkeit besteht, für die Repräsentation der Westschweizer eine gesetzliche Quote einzuführen, verdanken wir einer historischen Koinzidenz; nämlich der Tatsache, dass die Französischsprachigen geograisch konzentriert sind und gleichzeitig die Kantone die Wahlkreise für National- und Ständeratswahlen bilden. Daraus resultiert automatisch ein zum Bevölkerungsanteil proportionaler Sitzanteil im Bundesparlament. Und dieses Parlament setzte sich bis anhin traditionellerweise auch immer für eine ausgewogene Vertretung der Romands im Bundesrat ein. Bei den Frauen tat sich die Bundesversammlung da schon schwerer. Doch eines der Grundprinzipien einer Demokratie ist die angemessene Vertretung der Bevölkerung in der Legislative. Über den Umfang der angestrebten Vertretung besteht zwar keine allgemein anerkannte Deinition. Dennoch kann nebst der ideologischen und der kulturellen Repräsentation auch die soziale nicht ausgeschlossen werden.
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Der romantische Staat Die «Homo-Ehe» ist in den USA und andernorts ein ewiges Reizthema. Warum gewinnen private Liebesbeziehungen diese politische Bedeutung? Über die bürgerliche Ehe als Instrument der Staatserhaltung. Von Ludger H. Viefhues-Bailey Die Vorstellung der Ehe als freier vertraglicher Zusammenschluss gehört historisch zu den fundamentalen Topoi der US-amerikanischen politischen Theorie. Als Nachfolger Montesquieus verbinden die Gründerväter das Ideal der christlich-monogamen Ehe mit dem der freien Republik. Der freie Vertragsschluss der Ehe als ideologische Basis der Republik kontrastierte mit der britisch-kolonialen Rhetorik. Diese stellte das Verhältnis zwischen Untertanen und Souverän als Spiegelbild der absoluten Herrschaft des Vaters in seinem privaten Haushalt dar. Die Idealisierung der Ehe hält sich erstaunlich robust im amerikanischen Selbstverständnis. Die Soziologen Robert und Helen Lynd stiessen in ihrer epochenprägenden Untersuchung «Middletown» auf einen nachhaltigen Glauben an dieses romantische Ideal. Sie fassten ihre Befragungen der Generationen von 1890 bis 1925 zum Thema Ehe wie folgt zusammen: «Die Bürger sahen die romantische Liebe in der Ehe, ähnlich wie ihre Religion, als etwas
an, das man glauben muss, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.» Romantik und Religion schaffen eine perfekte Einheit in der Ehe sowie auch in der Republik.
«Constant Bickering» Auch der amerikanische Philosoph Stanley Cavell Literatur benutzt die Liebesheirat als Modell einer politischen COTT, N. F. (2000). PuTheorie, die er basierend auf Interpretationen von blic Vows: A History of Filmen aus den 1930er und 1940er Jahren entwi- Marriage and the Nation. ckelt. Diese Hollywoodilme, die er unter dem Gen- Cambridge, Mass.: Harre der «Wiederverheiratungskomödie» zusammen- vard University Press. fasst, entstanden in einer Zeit, in der es aufgrund LYND, R. S., LYND, der Wirtschaftskrise und des Krieges nötig wurde, H. (1929). Middledie sozialen und politischen Grundlagen des Landes town. New York: neu zu erinden. «Der Plot der Filme besteht nicht Harcourt Brace. darin, die Hauptdarsteller zusammenzubringen, MOSSE, G. L. (1985). sondern darin, sie wieder zusammenzubringen.» Nationalism and SeDie Frage, die diese Filme stellen, ist nicht, wie eine xuality: Respectability ideale Ehe aussieht, sondern vielmehr, wie sie sich and Abnormal Sexuality anhört, meint Cavell. Seine Antwort dazu lässt sich in Modern Europe. auf einen einzigen, englischen Begriff reduzieren: New York: H. Fertig. VIEFHUES-BAILEY, L. (im Druck). Kulturkampf im Bett? Sexualität, Religion und die Legitimation politischer Herrschaft im modernen Nationalstaat. In: Garhammer & Heiniger (Hrsg.). Die Ehe als Ernstfall der Geschlechterdifferenz: Frau und Mann in kulturellen Symbolsystemen. VIEFHUES-BAILEY, L. (2009). Between a Man and a Woman? Making Sense of Conservative Christian Opposition to SameSex Love. New York: Columbia University. VIEFHUES-BAILEY, L. (2007). Beyond the Philosopher’s Fear. A Cavellian Reading of Gender and Religious Origins in Modern Skepticisim. Aldershot: Ashgate.
Die «Homo-Ehe» wird zur politischen Debatte.
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«constant bickering» – die fortwährende verbale Auseinandersetzung zwischen den Protagonisten. Die Ehe ist kein statisches Ding, sondern ein verbales und damit dauerhaftes, zeitliches Kunstwerk. Im Fluss der sprachlichen Auseinander- und Zusammensetzung bildet sich die anhaltende Beziehung und Loyalität der Ehe und der Republik. Diese perfekte Einheit muss jedoch immer wieder diskursiv erzeugt werden. Der Gedanke der Ehe als anhaltendes Sprachkunstwerk ist bei Cavell als Kritik der gesellschaftsvertraglichen Politiktheorien zu verstehen. Denn vor der vertraglichen Zusammenschliessung liegt die Frage, wieweit wir bereit sind, aufeinander zu hören und einander als menschliche Subjekte wahrzunehmen. Gesellschafts- und Ehevertrag setzen für Cavell also voraus, dass wir bereit sind, miteinander um Sprache (das heisst um ein Verständnis gemeinsamer Menschlichkeit) zu ringen. Indem Cavell dieses Ringen nicht in die Habermas’schen Kaffeehäuser und Redaktionsstuben, also in die öffentliche Sphäre, verlegt, sondern in die Sphäre sexueller Intimität, macht er uns aufmerksam auf die Rolle des scheinbar Privaten in der politischen Subjektbildung.
gespiegelt sehen. Der Historiker George Mosse zeigt in «Nationalism and Sexuality: Middle-Class Morality and Sexual Norms in Modern Europe» einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Staatsund Gesellschaftsbildung und Subjektformierung. Mosse beschreibt «constitutional Government [Verfassungsstaat]» und «respectability [Anstand]» als die zwei Säulen des modernen Nationalstaates. Mit Anstand bezeichnet Mosse ein Regiment sexueller und moralischer Disziplinierung der Bourgeoisie, die den Nationalstaat beherrscht. Männlichkeit, Selbstkontrolle, Gehorsam, Plichtgefühl und Arbeit dienen als Vehikel der Selbstformung. Mosse zeigt, wie diese Werte aus dem pietistischen Protestantismus in die Flutwelle des Anstands, die sich im beginnenden 19. Jahrhundert ausbreitet, hineinwachsen. Über die bourgeoise Subjektkonstitution formen religiöse Ideale die Identitätsbildung moderner Nationalstaaten mit. Der Anstand erlaubt der sich neu bildenden Mittelklasse, einen legitimen Träger von politischer Macht darzustellen. In Abgrenzung zum liederlichen Leben des Adels und zum unzivilisierten Proletarier positioniert sich das Bürgertum als Repräsentant der wahren zivilisierten und nationalen Werte.
Sexualität und Subjekt
Stefanie Heine
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Bürgerlicher Anstand stützt den Staat Wie verhält sich aber die Politik des Anstandes mit dem Verfassungsideal des modernen Staates? Eine kurze Antwort auf diese Frage kann anhand des systematischen Unterbaus von Mosses historischer Untersuchung gezeigt werden. Die Gebundenheit staatlicher Macht an eine juristische Verfassung geht Hand in Hand mit der Kant’schen Vision des staatsbürgerlichen Subjektes als universellem Gesetzgeber. Der ideale Staatsbürger ist sowohl Souverän als auch Subjekt. Im Volk als Souverän können wir somit eine Art nationalstaatliche Zweikörper-Theorie inden. Der leischliche Körper, oder «body corporeal» des individuellen Staatsbürgers ist zugleich der Träger des imaginären Staatskörpers, des «body politic». Der Anspruch, dass jeder Bürger zugleich den Souverän verkörpert und die Staatsgewalt in sich trägt, impliziert, dass das souveräne Subjekt nach den Normen des vollkommenen Ganzen geformt werden muss. Wie der politische Körper des Königs die Gesamtheit des Staates widerspiegelt, so muss der demokratisierte Körper des modernen Staatsbürgers Träger einer nationalen Identität sein. Es reicht nicht aus, äussere Loyalität zum Souverän zu zeigen, der Bürger muss vielmehr selbst ein «true English gentleman», eine wahre Deutsche, ein wirklicher Sri-Lankese oder eine echte Bengali sein. Der moderne Staat demokratisiert nicht nur staatliche Machtmechanismen durch Internalisierung und bildet so Subjekte, er konstituiert auch die nationale und kulturelle Identität. Kulturelle Authentizität wird erstens durch den neu-
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Cavell sieht die freudianische Einsicht, dass Subjektivität aus einer Geschichte der Disziplinierung unserer sexuellen Körperlichkeit entsteht, als philosophisches Erbe der psychoanalytischen Bewegung. In der Formierung des Sexuellen verwebt sich die Entwicklung des Innenlebens mit dem Erwerb einer sozialen Persönlichkeit. Sexualität ist also der Ort, an dem sich das Innen nach Aussen wendet und wo das gesellschaftliche Aussenleben in das Innere des Subjektes übergeht. Sexuelles Begehren kann somit nicht als Ausdruck einer mysteriösen, subjektphilosophischen (oder biologisch gegebenen) Innerlichkeit, die nach Partnerschaft und Gesellschaft strebt, verstanden werden. Vielmehr ist das sexuelle Begehren ein anhaltender Prozess, der unseren Status als Subjekt kontinuierlich formt. Der Mensch als Beziehungswesen bildet sich laut Cavells Verbindung von psychoanalytischen Einsichten und politischer Theorie in der Arena des Gespräches. Diese Arena ist ihrerseits geprägt von der prozesshaften Entwicklung eines Triebes nach der Verweigerung von Gemeinschaft einerseits und dem Wunsch nach Gemeinschaft andererseits. Der Schauplatz des Gesprächs beindet sich somit im Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Ablehnung unserer Sprachfähigkeit. Sprachfähigkeit bedeutet hier, dass ich in den Worten der anderen einen Ausdruck meiner eigenen Worte und meiner Welt sehe. Meine Gesprächspartner stellen mir, indem sie ihre Welt- und Selbstsicht ausdrücken, eine andere Weise des Menschseins vor. Indem ich ihr Worte anerkenne, erkenne ich ihre Menschlichkeit an, das heisst, ich kann mich in ihr selbst wider-
Männer machen das Gesetz, Frauen kontrollieren den Anstand Diese Sorge um «Anstand» oder «Tugend», die Ehebund und Staat verbinden, können wir in der Tat bereits in den Anfängen der revolutionären amerikanischen Rhetorik inden. Cott berichtet von einem Redner am amerikanischen Unabhängigkeitstag, der 1790 deklariert: «Verwässerung und Verfall der rechten Manieren im Staatskörper ist eine ebensogrosse Gefahr für die Freiheit unserer Nation, wie die Herrschsucht der Mächtigen. In einer Republik sind Manieren ebenso wichtig wie das Gesetz, und während Männer Gesetze machen, haben in jedem freien Land die Frauen absolute Kontrolle über die Manieren.» Noch deutlicher drückt sich John Adams 1778, nach einem Besuch am französischen Hof, aus: «Die Juden, Griechen, Römer, Schweizer, Holländer – alle haben sie ihren politischen Geist, ihre republikanischen Prinzipien und Sitten und ihre republikanische Regierungsform verloren, als sie die Sittlichkeit und die häuslichen Tugenden ihrer Frauen verloren.» Einem solchen Denken zufolge braucht ein anständiger Staat anständige Ehen und konsequenterweise anständige Frauen. Unanstän-
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en Trend des Anstandes produziert und zweitens ist Anstand stark mit einer Disziplinierung des sexuellen Körpers und der Geschlechterbeziehungen verbunden. Der ideale Staatskörper repräsentiert sich also in geschlechtsspeziischer Weise im einzelnen Bürger oder in der einzelnen Bürgerin. Die Anforderungen an den weiblichen Körper den Staat zu repräsentieren, sind von denen des männlichen Körpers zu unterscheiden. Die Disziplinierungen beider Körper zielen jedoch auf eine Regulierung der sexuellen Beziehungen zum Anstand im politischen Körper ab. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass das Ideal kollektiver Souveränität im modernen Nationalstaat einhergeht mit der modernen sexuellen Differenzierung und Beziehungen, die dem neuen Anstandsreglement entsprechen. Die moderne Liebesheirat wird somit zum Ort, an dem sich die Anforderungen an den neuen bürgerlichen Staatskörper klar zeigen. Erstens verkörpert der Diskurs der romantischen Liebe die Freiheit des Bürgers zur Staatsbildung und zur Vereinigung jenseits von Standesgrenzen. Die als natürlich imaginierte sexuelle Kraft der romantischen Liebe erlaubt es, den neuen Staatskörper zu bilden. Die romantische Ehe setzt aber voraus, dass das romantische Paar «sprachfähig» ist, das heisst, die Liebenden müssen einander als Träger geteilter Menschlichkeit erkennen. Zweitens werden durch den Diskurs des neuen Anstandes sexuelle Beziehung und die Formierung des sexuellen Subjektes zum Ort sozialer Differenzierung. Die romantische Ehe kann nur dann wirklich staatstragend sein, wenn sie bürgerlich und somit «anständig» ist!
dige Frauen unterwerfen sich in der Ehe nicht der Führungsrolle des Mannes. Frauen sind daher dazu angehalten, «sich freudig der Herrschaft ihrer Wahl zu unterwerfen, da Frauen durch den Eintritt in den Ehestand einige ihrer natürlichen Rechte aufgeben müssen, um die Gesamtheit zu erhalten, ebenso wie es Männer tun, wenn sie in die zivilisierte Gesellschaft eintreten.» Die patriarchalen Vorrechte des Mannes in der Ehe wurden bis weit in das 20. Jahrhundert durch USamerikanische Gerichte unterstützt. Die Überordnung des Mannes über die Frau und die geforderte weibliche Unterwerfung ist ein bedeutender Teil der konservativ-christlichen Rhetorik der Ehe. Eine echte christliche (und daher auch eine echt amerikanische) Ehe ist frei gewählt durch und bestimmt von romantischer Liebe. Charakteristisch dafür ist die hingebungsvolle Unterwerfung der Frau unter die Führungsmacht des Ehemannes. Anstand und Liebesheirat bilden also eine instabile Verbindung im modernen Ehebegriff. Die Durchlässigkeit der prämodernen Standesgrenzen ermöglicht die moderne Subjektbildung und destabilisiert das bürgerliche Selbst zugleich. Diese konstitutionelle Destabilisierung bringt die Notwendigkeit mit sich, die Grenzen dessen, was als «anständiges» oder «erwünschtes» Subjekt gelten kann, permanent neu zu ziehen. Da das bürgerliche Selbst aber ein romantisches ist, das heisst nach sozialen Bindungen strebt, zielen die Kontrollmechanismen auf die Angemessenheit eben dieser Bindungen.
Autor Ludger Viefhues-Bailey ist Associate Professor für Methoden und Theorien in der Religionswissenschaft und für Women, Gender, and Sexuality Studies an der Yale Universität in New Haven. Sein «Beyond the Philosopher’s Fear» untersucht Verbindungen zwischen Epistemologie und Sexualität. In «Between a Man and a Woman?» analysiert er das Zusammenspiel von religiösen, sexuellen, und politischen Idealen im modernen säkularen Nationalstaat. Er wird im Frühjahrssemester 2010 an der Universität Luzern ein Seminar mit dem Titel «The emergence of religion and sexual citizenship in the secular state» anbieten.
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Die katholische Kirche auf der Anklagebank Die katholische Kirche verursacht wegen ihrem Kondom-Verbot zahlreiche Aidstote, ändert ihre Politik aber nicht. In Irland zeigt sich auf tragische Weise, wie eine verbogene Vorstellung von Sexualität auch sexuellen Missbrauch generieren kann.
http://www.nzz.ch/ nachrichten/international/haeuiger_kindsmissbrauch_in_irischen_ heimen_1.2604431. html?printview=true. http://www.nzz.ch/ nachrichten/interna-
Mörderischer Vatikan
tional/irland_ersch-
Auch wenn solche Argumentationen wenig überzeugend sind, dürfen deren Wirkungen auf die Bevölkerung nicht verharmlost werden, vor allem, weil die Anzahl gläubiger Katholiken nach wie vor ungemein hoch ist. Anfang 2004 haben die Katholiken in der Neuen Welt zahlenmäßig erstmals den Rest der Welt überrundet. Über die Hälfte der Mitglieder der katholischen Kirche – knapp 1,1 Milliarden – lebt in Nord-, Mittel- und Südamerika. Die europäischen Katholiken stellen noch 26 Prozent, Afrika derzeit 13 und Asien 10 Prozent. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent verzeichnet die katholische Kirche ein starkes Wachstum. Die Zahl der Katholiken hat sich dort verdreifacht. Aus circa 55 Millionen im Jahre 1978 sind 2004 schon knappe 149 Millionen geworden. Diese Entwicklung, die nur zum Teil auf rein demographische Faktoren zurückgeführt werden kann, spiegelt ein effektives Wachstum der getauften Gläubigen wider: Der Anteil der Katholiken, der 1978 in Afrika noch 12,4 Prozent der Bevölkerung ausmachte, belief sich 26 Jahre später auf fast 17 Prozent. Die Glaubenslehre der katholischen Kirche scheint in Afrika somit fruchtbaren
rickt_ueber_sich_ selbst_1.2618064. html?printview=true. http://www.30giorni. it/te/articolo. asp?id=10893). http://www.welt.de/ politik/article2922598/ Papst-forderteine-Oekologie-desMenschen.html. http://www.guaridan. co.uk/wolrd/2003/ oct/09/aids/print . http://www.irishtimes. com/newspaper/ weekend/2009/0620/ 1224249169562.html.
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Boden gefunden zu haben. Pabst Benedikt begab sich im März dieses Jahres nach Kamerun und Angola, um seine heilsbringende Botschaft «Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem» zu verkünden. Man geniesse diese Aussage in Anbetracht folgender Fakten: Heutzutage sind in Afrika rund 25 Millionen Menschen mit dem HI-Virus iniziert. Nach einer Schätzung der UNO werden mehr als 80 Millionen Afrikaner innerhalb der nächsten 20 Jahre von der Immunschwäche Aids dahingerafft und 90 Millionen Menschen, das entspricht 10 Prozent der gesamten afrikanischen Bevölkerung, könnten sich neu inizieren – eine humanitäre Katastrophe mit gravierenden ökonomischen Konsequenzen. Doch der Vatikan geht noch weiter als einfach ein Kondomverbot zu formulieren. Sein geheiligtes Aids-Präventions-Programm lautet wie folgt: Erstens, kein Sex vor der Ehe. Zweitens, Treue in der (heterosexuellen) Ehe. Der dritte und wirksamste Schutz gegen Aids ist aber Keuschheit und Enthaltsamkeit. Zugegeben, die ersten beiden Gebote stellen ein effektives Mittel gegen die Übertragung von Geschlechtskrankheiten jeglicher Art dar, aber sind sie denn auch praktikabel? Vielleicht in einem katholischen Weltbild, in dem der sexuelle Akt explizit zwischen Mann und Frau stattinden darf zum alleinigen Zweck der Fortplanzung. Da die katholische Kirche sich auch gegen die Verhütung stemmt, muss der sexuelle Akt in der Ehe auf ein Minimum reduziert werden, ansonsten quillt die Welt an Menschen über. Doch die Realität sieht anders aus: Umfragen und Geburtenstatistiken zeigen ziemlich zweifelsfrei, dass sich so gut wie niemand an die vatikanische Vorgabe hält. Vielleicht lässt sich dem dritten Gebot etwas abringen, jenem der Keuschheit und Enthaltsamkeit.
Du sollst nicht bumsen Der so genannte Zölibat ist kein göttliches Gebot, sondern wurde im Jahre 1022 von Papst Benedikt VIII. erlassen. Die Gründe für das Sex-Tabu waren damals hauptsächlich ökonomischer Natur. Der im Mittelalter gesellschaftlich akzeptierte Nepotismus regelte die Vererbung der Ämter des Vaters auf den Sohn. Die kirchlichen Pfründe, also Ländereien, Immobilien und so weiter standen somit nicht in der
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Von Frédéric Papp «Kondome verschlimmern das Aids-Problem.» Diese Aussage wurde mehrmals von der katholischen Kirche, ja sogar von ihrem höchsten Brückenbauer, Pabst Benedikt XVI., der Welt offenbart. Solche Aussagen torpedieren Anti-Aids-Kampagnen der WHO, aber auch viele nationale Programme – ein krasser Eingriff in die internationale und nationale Gesundheitspolitik. Als Begründung für den Vorbehalt gegen Kondome wurden diverse Argumente angeführt. Der inzwischen verstorbene Mediensprecher des Vatikans, Kardinal Alfonso Lopez Trujillo sagte: «The Aids virus ist roughly 450 times smaller than the spermatozoon. The spermatozoon can easily pass through the net that is formed by the condom.» Dieser Erklärung zufolge nützen Kondome überhaupt nichts. Im Gegenteil, der sexuell aktive Mensch wähnt sich in falscher Sicherheit. Solche Aussagen haben in etwa dieselbe wissenschaftliche Validität wie jene des amtierenden südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma, der behauptete, dass eine gründliche Dusche nach dem Geschlechtsakt eine Ansteckung mit Aids verhindere.
sex & politics totalen Verfügungsgewalt der Kirche. Zudem wurde mit dem Zölibat ein Raum der Gleichheit unter Männern geschaffen. Prinzipiell konnte jeder männliche Laie, also unabhängig von Reichtum und gesellschaftlichem Status, das Amt des Priesters anstreben. Nebenbei bemerkt: Es ist erstaunlich, dass ein Festhalten der katholischen Kirche an ausschliesslich männlichen Priestern grösstenteils von Gesellschaft und Politik akzeptiert wird. Es gibt – eigenen Recherchen zu Folge – keinen weiteren Berufsverband (inklusive jener der Hebammen), der ein Geschlecht derart systematisch ausschliesst, wie die katholische Priesterschaft. Eine solche Haltung verstösst gegen arbeits- und menschenrechtliche Grundgesetzte und müsste somit jedem Rechtsstaat zu denken geben. Heutzutage wird als Rechtfertigung des Zölibats häuig das Argument der vollumfänglichen Einsatzfähigkeit bedient. Ehelos lebende Priester können sich voll und ganz auf die Arbeit in der Gemeinde konzentrieren und müssen sich ihre wertvolle Zeit nicht von aufmüpigen Kindern oder der zickigen Ehefrau stehlen lassen. Die dennoch vorhandenen sexuellen Lüste der scheinbar keusch lebenden Priester müssen auf freudianische Manier sublimiert werden, will heissen, sexuelle Begierde muss in seelsorgerische Tätigkeit umgewandelt werden. Dieser Umwandlungsprozess scheint nicht immer
zu funktionieren. Die zahlreichen Fälle von Pädophilie in der katholischen Kirche deuten stark darauf hin.
Die sadistischen Früchte des Zölibats Unter dem Schutz der irisch-katholischen Kirche und des Staates fand sich während 1936 bis 1970 die grösste Anzahl an pädophilen Priestern weltweit. Weshalb ist dem so? Genauso wenig wie die Österreicher haben die Iren eine perverse Veranlagung. Eine Erklärung für die Entwicklungen einer Gesellschaft liefern eher ökonomische Hintergründe. Das Hauptnahrungsmittel der Iren war die Kartoffel. Bereits eine kleine Parzelle genügte, um eine Familie zu ernähren. Mit dem starken Bevölkerungswachstum wurde das Agrarland knapp und Beschäftigungsmöglichkeiten ausserhalb der Landwirtschaft existierten kaum. Erschwerend kamen zahlreiche Missernten hinzu, die Irland in eine grosse Hungersnot schlittern liessen. Die ökonomische Krise zwang die Iren zur sexuellen Enthaltsamkeit, denn nur ein Nachfahre konnte das Erbe antreten, die anderen mussten entweder emigrieren (die meisten gingen in die USA) oder in den kirchlichen Dienst eintreten. Die katholische Kirche übernahm das sexuelle Tabu und brandmarkte den Geschlechtsakt als einen niederen animalischen Trieb, der das Göttliche im Menschen konstant bedrohe. Als Folge davon
Illustrator Vincenzo Iorio (24), Künstler aus Volketswil.
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Autor Redaktor Frédéric Papp (32) studiert Philosophie, BWL und Internationale Beziehungen an der Universität Zürich.
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terrichtet. In den intimen Räumlichkeiten der Klöster und Schulen wurden tausende Minderjährige systematisch erniedrigt und sexuell missbraucht. Sie waren den sexuellen Phantasien der Ordensbrüder wehrlos ausgesetzt. Vergewaltigung und Schläge waren normal – gehörten quasi zum Tagesablauf. Diese systematischen Vergewaltigungsstätten – wie sie ein Marquis de Sade hätte ersinnen können – wurden von staatlicher Seite geduldet. Der in diesem Jahr erschienene Untersuchungsbericht der historischen Kommission belegt, dass die Beamten des Erziehungsdepartements gegenüber den geistlichen Orden eine geradezu unkritische, servile Haltung einnahmen und nicht daran dachten, dem Missbrauch Einhalt zu gebieten. Und auch die heutige Regierung scheint sich der irisch-katholischen Kirche verplichtet zu fühlen. Dies zeigt
die Aufteilung der Entschädigungszahlungen an die Vergewaltigungsopfer. Der irische Klerus muss satte 10 Prozent übernehmen, für den Rest kommt der Staat auf. Das Aufrechterhalten sexueller Tabus kann somit sadistische Früchte hervorbringen und ein Festhalten an diesen unmenschlichen Aulagen wirkt bizarr in Anbetracht der zahlreichen Missbräuche durch katholische Geistliche.
Ein Plädoyer für den Laizismus Was ist zu tun? Ein Versuch wäre, den Einluss von religiösen Organisationen auf diverse Politikfelder zu verhindern. Gefordert ist nichts anderes als ein konsequenter Laizismus. Dieser ist weder mit Atheismus noch mit areligiösen Bestrebungen gleichzustellen, sondern birgt einen universalistischen Kern in sich. Der Laizismus eint, ohne zu binden – transzendiert jeglichen Partikularismus, ohne die jeweiligen Besonderheiten zu negieren. Nur so kann das Menschenrecht der Religionsfreiheit wirklich eingelöst werden und nur unter den Bedingungen des Laizismus können sich Gläubige diverser Konfessionen, Freidenker, Atheisten und ähnliche gegenüber der öffentlichen Gewalt als Gleiche anerkennen. Aus dieser Forderung erschliesst sich auch die Bedeutung des Wortes «Laizismus», das übersetzt «zum Volk gehörig» heisst. Die konsequente Trennung zwischen der religiösen und der staatlichen Sphäre verbürgt jedem Menschen dieselben Rechte sowie Plichten und garantiert damit ein optimales Mass an Freiheit. Solch eine konsequente Trennung kann in Kombination mit demokratischen Strukturen aber auch in einem Spannungsfeld mit der Religionsfreiheit stehen. Religionsfreiheit sollte jedoch nicht bedeuten, dass kirchliche Institutionen und obskure religiöse Sekten sich in den politischen Meinungsprozess einschalten können, zum Beispiel in Form von Parteivertretern oder mittels Lobbying. So würde die konsequente Trennung zwischen religiösen und staatlichen Institutionen untergraben werden. Ein gewisser Einluss von Religionen auf den Staat wäre zudem unproblematischer, wenn alle Religionen dieselbe Möglichkeit hätten, diesen überhaupt gewinnen zu können. Dem ist aber nicht so – manche Religionen haben es leichter, sich politisch einzubringen. In der Regel erhält ein Neugeborenes neben Name, Versicherungsnummer und Geburts- und Heimatort auch gleich eine Konfession zugeschrieben. Sobald sie deiniert ist, wenden sich nur wenige von ihrer Konfession ab. Das Recht auf Religionsfreiheit wird somit zu einem bedeutenden Grade eingeschränkt. Zudem werden in einigen europäischen Ländern die Staatsreligionen vom entsprechenden Steueriskus unterstützt. In der Schweiz beispielsweise unterstützen private und teilweise auch juristische Personen, die einer Landeskirche angehören – der reformierten, katholischen oder christkatholischen Kirche – die-
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blieben viele Iren unverheiratet. Tausende begaben sich unter die Fittiche der Kirche – nicht zuletzt um eine Ausbildung abzuschliessen. All diese Faktoren zusammengenommen liessen die irische Bevölkerung von gut acht Millionen Einwohner im Jahre 1841 auf die Hälfte im Jahre 1961 schrumpfen. Die Anzahl Geistlicher hingegen erreichte himmlische Höhen – zur Freude des Vatikans. Mitte des 20. Jahrhunderts zählte Irland 5 500 Priester sowie 18 300 Nonnen und Mönche, die «Christian Brothers». Diese unterrichteten hauptsächlich männliche Kinder und Jugendliche in so genannten «Industrial Schools». Ungewollte, physisch und geistig missgebildete oder kleinkriminelle Kinder wurden zu Tausenden in diese Lehranstalten abgeschoben. Doch den Schülern wurde nicht nur Schulstoff un-
se mit bis zu acht Prozent ihres Nettoeinkommens (Basel-Stadt). Die anderen Religionen, vornehmlich der Islam und das Judentum, gehen leer aus, beziehungsweise müssen ihre Einnahmenquellen privat organisieren. Solche Benachteiligungen verletzen das Gleichheitsprinzip. Auch der gängige Schulstoff wird immer wieder von kirchlichen und religiös fundamentalistischen Kreisen kritisiert. Jüngstes Beispiel ist der knapp gescheiterte Versuch von religiös-konservativen Kreisen, mit kräftiger Unterstützung der Republikaner, Gott statt Darwin in texanischen Klassenzimmern zu lehren. Kreationismus wird bereits seit 2006 in hessischen Privatschulen gelehrt. Auch die Sterbehilfe wird von religiösen Eiferern angegriffen. Unser scheidender Nationalrat Christian Waber von der EidgenössischDemokratischen Union (EDU) – einer Partei die sich die «Ehrfurcht vor Gott» auf die Fahne geschrieben hat – will aktive Sterbehilfe per Gesetz schweizweit verbieten. Sein Engagement gegen die aktive Sterbehilfe ist durchaus legitim. Stossend ist vielmehr seine Begründung für ein solches Verbot. Er verbie-
tet den Menschen die Verfügung über ihr eigenes Leben und legt sie in die Hände des christlichen Gottes. Dies widerspricht auf fundamentale Weise dem Menschenrecht auf Selbstbestimmung und ist auch nicht vereinbar mit anderen Religionen. Eine ähnlich religiös aufgeladene Argumentation wird gegen die Homosexuellen ins Feld geführt. Papst Benedikt XVI. lehrt: «Die Menschheit muss auf die ‚Sprache der Schöpfung‘ hören, um die von Gott vorgesehenen Rollen von Mann und Frau zu verstehen.» Er bezeichnete Verhältnisse jenseits von traditionellen heterosexuellen Beziehungen als «Zerstörung von Gottes Werk». Der Laizismus deckt solche Missstände auf und bietet auch eine praktikable Alternative. Das Wichtigste ist, dass der Laizismus die Menschen ins Zentrum stellt und nicht religiöse Autoritäten. Dies ist ganz im Sinne von Immanuel Kant. Nur wenn der Mensch freiheitlich eine Handlung vollzieht, kann er dafür auch zur Verantwortung gezogen werden. Insofern ist der laizistische Weg steiniger als der religiöse, dafür aber konsequenter und freiheitlich.
1. Eindringen immer mit Gummi. 2. Sperma und Blut nicht in den Mund.
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Manchmal geht’s zu schnell, um an Gummis zu denken. Wenn Alkohol im Spiel, die Ferienbekanntschaft heiss oder die Lust auf den neuen Partner gross ist, passiert ungeschützter Sex häufiger. Kommt dir das bekannt vor? Der Online-Check schafft Klarheit über dein Risiko.
Das Spiel der Körper Als «Virgin Queen» ging Elizabeth I. in die Geschichte ein, dennoch brodeln bis heute Gerüchte über ihre anscheinend zahlreichen Liebhaber. Englands monumentale Königin war nicht zuletzt wegen ihrer Sexualität eine widersprüchliche Figur.
Literatur KANTOROWICZ, E. H. (1957). The King‘s Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology. Princeton: Princeton University Press. REX, R. (2003). Elizabeth I. Fortune’s Bastard. A Short Account of the Long Life of Elizabeth I. Gloucestershire:
Von Stefanie Heine Bis zum heutigen Tage ist die Geschichte der sowohl geliebten als auch umstrittenen Monarchin alles andere als verstaubt. Zuletzt nahm Elizabeth in Shekhar Kapurs beiden opulenten Kostümdramen «Elizabeth» (1998) und «Elizabeth – Das goldene Königreich» (2007) einen Platz in der Populärkultur ein. Beide Filme bemühen sich darum, Elizabeth nicht nur als Königin, sondern auch als Menschen darzustellen. Dabei stellt Cate Blanchett die Sprünge ihrer Rolle zwischen leidenschaftlicher, verletzlicher Frau und eiskalt- berechnender Königin meisterhaft dar. Vom unbefangenen, schönen Mädchen mit wallendem roten Haar wandelt sie sich zum statuenhaften Symbol eines Königreiches. Die Repräsentation von Elizabeths Privatleben lebt in beiden Streifen vor allem von der Beziehung der Königin zu verschiedenen Männern. In «Elizabeth» liegt der Fokus dabei stark auf der Romanze zwischen der jungen, noch unerfahrenen Regentin und ihrem Jugendfreund Robert Dudley (Joseph Fiennes), den sie später zum Earl of Leicester ernannte und der einer ihrer wichtigsten Staatsmänner wurde. In «Das goldene Königreich» sprühen die Funken zwischen Elizabeth und dem Abenteurer und Schriftsteller Sir Walter Raleigh, dargestellt von Clive Owen. In beiden Fällen stellt Elizabeth ihre Gefühle schliesslich hinter rationalen Entschlüssen bezüglich ihrer Position als Oberhaupt des Landes zurück. Ist ein solcher Fokus auf das Liebesleben einer Königin, die sich als «Virgin Queen» bezeichnete und niemals heiratete, als verzerrender Trick Hollywoods aufzufassen, um Aufmerksamkeit und Interesse des Kinopublikums zu erhaschen? Oder thematisieren die Filme gerade dadurch eine Zwiespältigkeit, die Elizabeths Herrschaft zutiefst bestimmte?
Schutzwall des Landes soll der König das Reich zusammenhalten und vor Anarchie bewahren. Dazu darf er selbst keine menschlichen Schwächen zeigen. Im elisabethanischen Zeitalter war die Rolle des Königs als Staatsoberhaupt in dieser Weise von seinem Privatleben strikt getrennt. Was Shekhar Kapur in seinen Verilmungen des Lebens von Elizabeth zeigt, ist der Konlikt zwischen Politischem und Privatem, den die Trennung der beiden Körper notwendigerweise hervorruft. Die Zweiteilung des Königs mag zwar formal erfolgreich durchgeführt werden, allerdings ist es faktisch doch immer dasselbe Individuum, das beide Körper bewohnt. Die beiden Aspekte zu vereinen, verläuft, wie Elizabeths Beispiel zeigt, oft nicht reibungslos. Wie steht es nun aber bei der legendären Queen genauer um das Verhältnis zwischen politischem und natürlichem Körper?
Die Königin ist eine Frau Die Aufteilung des Körpers nimmt bei Elizabeth schon allein darum ein hohes Mass an Komplexität an, weil sie eine Frau war. Im 16. Jahrhundert waren Frauen bekanntlich den Männern hierarchisch noch klar untergeordnet. Das «schwache» Geschlecht wurde als Mangelwesen angesehen. Unbeherrscht
SCHULTE, R. (Hrsg.)
Die zwei Körper des Königs
(2002). Der Körper der
Wie Ernst H. Kantorowicz in seinem Buch «Die zwei Körper des Königs» beobachtet, wird seit dem Mittelalter bei Königen zwischen natürlichem und politischem Körper unterschieden. Der natürliche Körper umfasst den König als Privatperson, der als sterbliches Wesen allen menschlichen Schwächen ausgeliefert ist. Im Kontrast dazu stellt der politische Körper absolute Stabilität dar: Er bezeichnet eigentlich das Amt, bestimmt den König in seiner Funktion als Herrscher, der unsterblich ist und von den Wechselhaftigkeiten und der Unbeständigkeit des Lebens unberührt bleibt. Als unerschütterlicher
Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höischen Welt seit 1500. Frankfurt: Campus Verlag. HIBBERT, C. (1991). The Virgin Queen. Elizabeth I, Genius of the Golden Age. New York: Addison-Wesley Publishing Co.
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Portrait der Prinzessin Elizabeth.
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Tempus Publishing.
Bilder der Königin Die Etablierung eines politischen Körpers geschah auch durch die Art und Weise, wie Elizabeth sich in Portraits darstellen liess. Vergleicht man zum Beispiel das sehr frühe Portrait von Elizabeth als Prinzessin (ca. 1546) mit dem so genannten «Ditchley»Portrait aus dem Jahre 1592, ist ein starker Wandel bemerkbar. Während die junge Prinzessin klar weibliche Züge trägt und in ihrer Mädchenhaftigkeit fragil und zerbrechlich wirkt, erscheint die Elizabeth des «Ditchley»-Portraits weitgehend androgyn. Das
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und launenhaft ist die Frau Sklavin ihrer Emotionen und deshalb unfähiger zu politischen Entscheidungen als der rationale Mann, der sozusagen noch Herr im eigenen Hause ist. Demzufolge war es nahe liegend, den sterblichen, unkontrollierbaren, natürlichen Körper mit dem Weiblichen gleichzustellen. Elizabeth schwebte permanent in der Gefahr, auf ihren natürlichen Körper reduziert zu werden und somit als Königin nicht ernst genommen zu werden. Um sich in einer Männerwelt durchzusetzen, musste sich Elizabeth auf den politischen Körper berufen. Als Meisterin der Selbstdarstellungsstrategien arbeitete Englands Königin also daran, diesen perfekt zu inszenieren. Elizabeth berief sich immer wieder auf ihren Vater Heinrich VIII., würdigte ihn und sah ihn als ihr politisches Vorbild. Heinrich VIII., ein Patriarch wie es im Buche steht, wurde vor allem durch seine sechs Ehefrauen bekannt, von denen er zwei, darunter Elizabeths Mutter Anne Boleyn, aus fadenscheinigen Gründen enthaupten liess. Um sich von seiner ersten Frau Katharina von Aragon scheiden lassen zu können, schreckte er nicht einmal davor zurück, den Papst abzusetzen und sich selbst als Oberhaupt der Kirche zu ernennen. Mit persönlicher Zuneigung zu ihrem Vater lässt sich Elizabeths Huldigung von Heinrich VIII. kaum erklären. Nach der Hinrichtung ihrer Mutter, Elizabeth war noch nicht drei Jahre alt, annullierte Heinrich die Ehe und Elizabeth galt als uneheliches Kind oder Bastard. Ein intimes Verhältnis hatte die verstossene Tochter nie zu ihrem Vater. Deshalb ist es nahe liegender, Elizabeths Lobpreisungen ihres Vaters als Taktik, ihren eigenen politischen Körper zu etablieren, zu verstehen. Ihre Anerkennung ist wohl mehr auf Heinrichs eigenen politischen Körper, das heisst auf ihn als König, bezogen, als auf ihn als Person und Vater. Dieser sollte ihr als Modell für ihren eigenen dienen. Politisch gesehen übernahm Elizabeth also die Rolle eines Mannes. In ihrer berühmten Tilbury-Rede, welche die Königin 1588 vor der Abwehr der spanischen Armada an ihre Truppen richtete, verkündete sie folgenden Satz: «I know I have the body but of a weak and feeble woman; but I have the heart and stomach of a king.» In ihrer Position als Landesoberhaupt ist der schwache, weibliche Körper also dem männlichen Herz und Magen eines Königs unterstellt.
Ditchley-Portrait.
Gesicht könnte sowohl weiblich als auch männlich sein, Haar und Kleid, welche im frühen Portrait die Weiblichkeit unterstreichen werden zu reinem Ornament. Die Königin steht mit beiden Beinen fest auf der Karte Englands, vor dem Hintergrund von einem gleichzeitig sonnigen und bewölkten Himmel, der den Kosmos verkörpern soll. Das Sonnet im Hintergrund erklärt, dass der Himmel die himmlische Macht symbolisiert, deren irdisches Spiegelbild die Königin ist. Dies, so wie auch die Landkarte Englands verweist direkt auf den politischen Körper der Königin. Das Bild ist in keiner Weise realistisch: Der kosmische Hintergrund ist rein symbolisch zu verstehen und wäre in der Natur eine Unmöglichkeit. Ebenso ist die Landkarte sinnbildlich aufzufassen. Die Figur der Königin selbst ist vom aufwendigen Gewand und Schmuck dominiert, anatomisch nicht korrekt und weit von einer naturalistischen Darstellung entfernt. Elizabeth erscheint als göttliches Wesen, das über England bestimmt und kaum mehr menschliche Züge besitzt. Dagegen ist das Prinzessinnenportrait wirklichkeitsnah und der Schwerpunkt liegt trotz Schmuck und prunkvoller Kleidung stark auf dem Gesichtsausdruck der jungen Adeligen, der sie trotz des zarten Körperbaus als selbstbewusste und bestimmte Persönlichkeit zu charakterisieren scheint. Während das frühe Portrait Elizabeth als Mensch zu repräsentieren versucht, stellt das «Ditchley»-Portrait den politischen Körper einer Königin dar.
Bilder www.lickr.com
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Autorin Redaktorin Stefanie Heine (26) aus Zürich studierte Englisch, Philosophie und Komparatistik. Sie ist nun Doktorandin in englischer Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Zürich.
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unterstellen wollte. Die Autonomie ihrer Herrschaft wäre durch den Einluss eines Ehemanns klar eingeschränkt worden. Jenseits von diesen Erklärungsversuchen kann man Elizabeths Verzicht zu heiraten auch als Selbstinszenierungstaktik sehen. Persönliche Gründe für die Weigerung, einen Gatten zu wählen, mögen sehr wohl vorhanden gewesen sein, doch die Königin benutzte diese Entscheidung auch, um ihren politischen Körper zu untermauern. Die Aussage «I am already bound to a husband which is the kingdom of England» suggeriert, dass die Königin vollkommen in ihrem politischen Körper aufgeht und deshalb den Bund der Ehe nicht mit einem sterblichen Menschen, sondern mit ihrem Land schliesst.
Die jungfräuliche Königin Damit geht Elizabeths deklarierte Jungfräulichkeit einher, die sich bald zum Kult stilisierte. Anstatt sich irdischen Leiden- und Liebschaften hinzugeben, präsentiert sich die Regentin als sich selbst genügende Jungfrau. Somit entgeht sie dem Vorwurf, auf ihren natürlichen, weiblichen Körper angewiesen zu sein. Als «Virgin Queen» entwickelt sich Elizabeth in Gedichten und Gemälden zur ikonischen Figur, die als göttliches Wesen verehrt wird. Es mag auf den ersten Blick so klingen, als habe Elizabeth ihren natürlichen Körper dem politischen geopfert. Eine solche Annahme ist jedoch limitierend. Ihre Position als Englands Königin erlaubte ihr auch, private Vorlieben auszuleben und politisch einzusetzen. Elizabeth umgab sich fast ausschliesslich mit attraktiven Menschen, sowohl Frauen als auch Männern. Hohe politische Positionen besetzte sie vorzugsweise mit Männern, für die sie eine persönliche Sympathie hatte. Mit einigen von ihren wichtigsten Beratern, Robert Dudley, Sir Christopher Hatton, Robert Devereux, dem Earl of Essex und Sir Walter Raleigh, wurden Elizabeth auch Affären nachgesagt. Natürlich provozierte eine schöne, weibliche, unverheiratete Königin Klatsch und Tratsch über ihr Sexualleben. Eine Frau namens Anne Down wurde zum Tode verurteilt, weil sie eine Geschichte über eine Schwangerschaft der Königin publizierte. Darüber hinaus wurde Elizabeth eine unersättliche Sexualität nachgesagt, scheinbar zwang sie Hölinge zum Sex. Es wird auch gemunkelt, dass sich die Königin mehr für Frauen als für Männer interessiert habe. Nachgewiesen werden kann davon nichts, und ob die Königin wirklich bis zu ihrem Tod Jungfrau war, werden wir wohl nie erfahren.
Kalkül und Selbstgefallen Am meisten wurde wohl über Elizabeths Verhältnis zu Robert Dudley spekuliert. Die beiden hatten zeitlebens eine sehr enge Beziehung und waren offensichtlich verliebt. Sie lirteten ausgelassen und witzelten bei einer Bootsfahrt auf der Themse sogar über eine gemeinsame Hochzeit. Es wurde unter
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Verheiratet mit England Wie ist nun Elizabeths Entscheidung, nicht zu heiraten, im Kontext der Körpertrennung der Königin zu verstehen? Eine Ehe mit Nachwuchs hätte Stabilität für das Königreich garantiert, da die Thronfolge gesichert worden wäre. Mit einem leiblichen Erben hätte Elizabeth auch die eigene Sterblichkeit in gewisser Weise überlistet, da sie in ihrem Kind «weitergelebt» hätte. Besonders nachdem die Königin 1563 an Pocken erkrankt war und dem Tod schon ins Gesicht gesehen hatte, forderten ihre um die Zukunft des Reichs besorgten Berater eine baldige Heirat. Obwohl viele Freier um sie warben und sie es manchmal mehr, manchmal weniger ernsthaft in Erwägung zog, einen davon zu heiraten, äusserte sich Elizabeth immer kritisch gegenüber der Ehe. Das alles scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu ihrem Bemühen um den politischen Körper zu stehen. Erstens hätte eine gesicherte Thronfolge zur Beständigkeit des Königreichs beigetragen und zweitens hätte die Ehe mit einigen der Anwärter politische Vorteile für England gebracht. Trotzdem hielt dies die stark auf ihre Führungsposition und Verantwortung gegenüber ihrem Land bedachte Königin nicht davon ab, einem königlichen Gesandten 1563 folgendes mitzuteilen: «If I follow the inclination of my nature, it is this: beggar-woman and single, far rather than queen and married.» Elizabeths persönliche Abneigung gegenüber der Ehe ist unbestreitbar. Auf Heiratspläne von Menschen, die ihr nahe standen, reagierte sie oft launisch, und einige ihrer Berater versuchten deswegen gar, ihre Ehen vor ihr geheim zu halten. Nicht selten landete ein Höling oder eine Hofdame sogar im Kerker wegen einer unerwünschten Hochzeit. Einer davon soll sogar bei der Königin deswegen so lange in Ungnade geraten sein, bis er im Gefängnis starb. Manche wollten ihre Ablehnung der Ehe auf ein sexuell angehauchtes Verhältnis mit Edward Seymour, dem späteren Mann von Catherine Parr, Heinrich VIIIs letzter Frau, zurückführen. Der 26 Jahre ältere Mann besuchte die 14-jährige Elizabeth regelmässig in ihrem Zimmer, um mit ihr herumzualbern. Oft wurde Seymours Verhalten gegenüber dem jungen Mädchen als sexuelle Belästigung oder sogar Kindesmissbrauch interpretiert. Es kursierten auch Gerüchte, dass die Königin nicht heiraten wolle, weil sie unfruchtbar oder durch eine körperliche Deformierung zum Geschlechtsverkehr unfähig sei. Elizabeths persönlicher Arzt jedoch bestritt all diese Aussagen. Ein weiterer Grund für Elizabeths Misstrauen gegenüber einer Heirat könnte sein, dass die Ehen aus Elizabeths Bekannt- und Verwandtschaft alles andere als verlockende Vorbilder waren. Vom Schicksal der Gattinnen ihres Vaters gar nicht zu sprechen, waren die Ehen von Elizabeths Schwester Maria und ihrer gleichnamigen Cousine Katastrophen. Es wird auch spekuliert, dass Elizabeth nicht heiraten wollte, weil sie unabhängig bleiben und sich nicht einem Mann
anderem auch angenommen, dass sie wegen ihm nie heiratete. Eine Ehe mit Dudley war aber gerade wegen Gerüchten unmöglich. Als Elizabeth 1558 den Thron bestieg, war Dudley schon verheiratet. 1560 wurde seine Frau Amy in einem isolierten Landhaus in Oxfordshire mit gebrochenem Genick am Fusse einer Treppe aufgefunden. Sofort kam der Verdacht auf, Dudley selbst habe sie umgebracht oder den Mord zumindest in Auftrag gegeben, um Elizabeth heiraten zu können. Wahrscheinlich handelte es sich beim Tod von Amy Dudley aber um einen Unfall. Eine Hochzeit zwischen Elizabeth und Dudley wäre dennoch ein Skandal gewesen. Einen solchen hätte die Königin sich niemals geleistet, weil ihre Popularität stark darunter gelitten hätte. Das Risiko eines politischen Selbstmordes, wie ihn ihre Cousine Maria Stewart mit ihren aufsehenerregenden Ehen eingegangen war, war für Elizabeth undenkbar. Maria Stewart heiratete, nachdem sie unter Verdacht stand, in die Ermordung ihres früheren Ehemannes Henry Stewart verwickelt zu sein, dessen Mörder James Hephburn. Trotz Elizabeths emotionaler Zurückhaltung zugunsten ihres Ansehens liess sie ihre Weiblichkeit am Hof zelebrieren. Elizabeth war sich der ihr nachgesagten Schönheit bewusst und ergötzte sich daran, dafür gepriesen zu werden. Die Königin genoss die Aufmerksamkeit von Freiern und Verehrern, und die Sprache an ihrem Hofe war die der höischen Liebe. Von ihren Beratern verlangte sie im Stil des Sonnets oder des romantischen Romans wie eine Geliebte angesprochen zu werden. Elizabeth labte sich an Komplimenten und liess sich bei Veranstaltungen am Hof von schönen Männern umgarnen. Hatten ihre Lieblingsberater aus irgendeinem Grund die Gunst der Königin verloren, gab es nur einen Weg, diese wiederzuerlangen: schmeichelnde Liebesbriefe schreiben und der Königin huldigen. Die Konventionen der Minne dienten Elizabeth allerdings nicht nur als persönliche Annehmlichkeit. Ihre Autorität wurde damit unterstrichen und gestärkt. Die unerreichbare Geliebte wird im Minnesang von einer Distanz aus angebetet. Sie ist dem um sie werbenden Mann überlegen und hat alle Macht über ihn. Während er seiner Liebe ausgeliefert ist, hält die Angebetete die Fäden in der Hand und spielt mit seinen Bemühungen. Die klassische Männer- und Frauenrolle ist somit auf den Kopf gestellt. Folglich setzte Elizabeth auch ihren natürlichen Körper ein, um ihre Position als Königin zu festigen. Elizabeths politischer und natürlicher Körper befanden sich in einem steten Zusammenspiel und offenbar führte die gekonnte Strategin bei diesem gerne selbst Regie.
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Offenes Geheimnis, politischer Skandal GLUCKMAN, M. (1989). Klatsch und Skandal. In: Ebbighausen, R., Neckel, S. (Hrsg.). Anatomie des politischen Skandals. Frankfurt/M: Suhrkamp. HABERMAS, J. (1990 [1962]). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M: Suhrkamp. IMHOF, K. (2003). Politik im «neuen» Strukturwandel der Öffentlichkeit. In: Nassehi, A., Schroer, M. (Hrsg.). Der Begriff des Politischen. Sonderband 14 der Zeitschrift «Soziale Welt», München. IMHOF, K. (2008). Vertrauen, Reputation und Skandal. In: Zeitschrift Religion, Staat,
Von Kurt Imhof Soziale Kontrolle im Bereich von Gemeinschaften obliegt in erster Linie dem Medium von Gemeinschaften: dem Klatsch – der enthüllenden Rede über nicht anwesende Dritte. Dieser anforderungsreichen Kommunikationsform obliegt nichts weniger als die Quadratur eines sozialen Zirkels: Klatsch beziehungsweise vor allem die Furcht vor Klatsch bildet erstens die Basis der sozialen Kontrolle und damit der Geltung von Normen und Werten. Zweitens sorgt Klatsch als Rede für die konfrontationsfreie Abwicklung von Feindseligkeiten und Rivalitäten. Die Person, die einem faktisch oder vermeintlich Böses will, wird durch skandalisierenden Klatsch über seine kognitiven Fähigkeiten, seine sozialmoralischen Tugenden und seine Glaubwürdigkeit in seiner Reputation geschädigt, ohne dass Unmittelbarkeit hergestellt werden muss. Drittens dient Klatsch dem «ine tuning» von Macht- und Statusdifferenzen durch die Bestrafung der allzu Ehrgeizigen und sorgt für die Validierung des Führungspersonals, ohne dass dieses mit dem Resultat dieser Bewertung direkt konfrontiert werden muss – und viertens sichert Klatsch die Gemeinschaftsidentität: Geklatscht wird über Zugehörige, und wer nicht klatscht, gehört nicht dazu.
Gesellschaft (RSG), Themenheft: Soziale Normen und Skandalisierung. Dresden. NECKEL, S. (1986). Das Stellhölzchen der Macht. Zur Soziologie des politischen Skandals. In: Leviathan, Nr. 4, 14. SENNETT, R. (1983). Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt/M: Suhrkamp. SIMMEL, G. (1993). Psychologie der Diskretion und das Geheimnis: Eine sozialpsychologische Skizze. In: Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908, Bd. 2, Gesamtausgabe Nr. 8., Frankfurt/M.
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Skandalisierung in der Klatschkommunikation Um klatschen zu können, ist detailliertes Wissen über die Verhandelten vonnöten. Klatsch erfüllt also äusserst vielfältige soziale Funktionen: Er ist ein Distinktionsmittel gegenüber Fremden und markiert damit die Grenze zwischen gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen, er ermöglicht die wechselseitige soziale Kontrolle, er sorgt für die konfrontationsfreie Abwicklung von Feindseligkeiten und er dient dem Ausgleich von Macht- und Statusdifferenzen. Diese Multifunktionalität und die Anforderungen des Klatsches an die kommunikative Kompetenz der Klatschenden machen ihn zu einer unterschätzten, aber nichtsdestotrotz feinen Kunst, die sich den Enthüllungen über Dritte widmet. Dabei steht das Geheimnis und der enthüllende Klatsch in einer delikaten symbiotischen Beziehung, die das soziale Wunder schafft, dass im Rahmen von Gemeinschaften das Geheimnis eines kognitiven Versagens, einer moralischen Verfehlung oder der
Verlust subjektiver Glaubwürdigkeit Geheimnis bleiben kann, obwohl alle davon wissen. Denn Klatsch als Rede über nicht anwesende Dritte enthüllt, ohne dass Unmittelbarkeit hergestellt werden muss. Es sind solche sozialen Wunder, die Georg Simmel dazu führten, das «Geheimnis als eine der grössten Errungenschaften der Menschheit» zu bestimmen. Das «Geheimnis» – so Simmel – «bietet sozusagen die Möglichkeit einer zweiten Welt neben der offenbaren, und diese wird von jener auf das stärkste beeinlusst.»
Skandalisierung in der öffentlichen Kommunikation Diese zweite Welt neben der offenbaren lässt sich als Intimsphäre, sprich als Kernbereich des Privaten, verstehen. Dieser Bereich des Privaten unterscheidet sich fundamental vom Bereich des Öffentlichen. Dabei sticht die Differenz zwischen der Legitimität des Geheimnisses in der privaten Sphäre und der Illegitimität des Geheimnisses in der Öffentlichkeit besonders hervor. Es ist dieser Unterschied, der den Skandal, sobald er aus der Sphäre des Privaten hinaus- und in das Licht der Öffentlichkeit tritt, grundsätzlich verändert. Von einem Mittel der sozialen Kontrolle, der sozialen Kohäsion, der Konliktbewältigung und von einer sozialen Waffe für die difizile Austarierung von Macht- und Statuspositionen in Gemeinschaften verwandelt sich der Skandalruf in der Öffentlichkeit zu einem Appell zum Sturz von Macht- und Statuspositionen und zur exemplarischen Bestrafung. Gleichzeitig verwandelt sich der Skandal von einem gruppeninternen, gemeinschaftlichen Konlikt zu einem zumeist politisch aufgeladenen, gesellschaftlichen Konlikt zwischen Interessengruppen und er mutiert von einem informellen zu einem formellen Konlikt mit einer medienwirksamen Sieg-Niederlage-Dynamik. Schließlich ändern sich die moralischen Massstäbe, gemäss denen Sündenfälle beurteilt werden. Dies lässt sich daran erkennen, dass Korruption, Bestechung und persönliche Vorteilnahme in der Privatwirtschaft nicht gerade als löbliche, aber doch zuweilen als unerlässliche Handlungen gelten. Dasselbe Verhalten kann jedoch im Kernbereich des Öffentlichen – in der Politik – einen Skandal auslösen, der durch intensive Publizität, unabsehbare Entwicklungen und exemplarische Folgen gekennzeichnet ist. Dass dies mit der Illegitimität des Ge-
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Literatur
Die publik gemachten sexuellen Affären Berlusconis amüsieren weltweit die Gemüter. Sind sie aber auch politisch relevant? Kurt Imhof schreibt dem Skandal eine wichtige politische Funktion zu.
sex & politics Klatsch und Tratsch – wen interessiert‘s?
heimnisses in der Öffentlichkeit zusammenhängt, zeigt sich am klarsten an der Lüge. Sie gilt auch in der privaten Sphäre nicht als tugendhaft, sie lässt sich jedoch in Situationen, in denen Takt und Diskretion es erfordern, als Notlüge rechtfertigen. Im politischen Bereich hingegen ist die Lüge das schlimmste Ärgernis. Die großen politischen Skandale, – zu denken ist etwa an den Profumo-Skandal 1961, die Spiegel-Affäre 1962, Watergate 1973/74, die Skandalisierung Lothar Späths 1991 und diejenige um Elisabeth Kopp 1989, die Clinton-Affäre et cetera –, erhielten ihre Dynamik weniger über die zugrundeliegenden Normverstösse, als vielmehr über die in ihrem Verlauf enthüllten Lügen, die der Verdeckung eben dieser ursprünglichen Normverstösse dienen sollten.
Die Aufklärung ist schuld Dieser bemerkenswerte Unterschied der Skandaldynamik in der öffentlichen beziehungsweise in der privaten Sphäre erklärt sich durch die geschichtsphilosophische Auladung des Öffentlichkeitsverständnisses in der Aufklärung. Indem die Aufklärungsbewegung der Herrschaftsgewalt des Ancien Régime ein räsonierendes Publikum gegenüberstellt, wird der Anspruch auf die Vernünftigkeit und die Tugendhaftigkeit alles Politischen gesetzt. Die epochenbegründende Wirkmächtigkeit und die historische Tiefenwirkung dieses Öffentlichkeitsverständnisses lassen sich nur verstehen, wenn man beachtet, dass der Begriff Öffentlichkeit – genauso wie derjenige des Skandals – in einer zutiefst sakralen Wertbasis wurzelt: Der Begriff «offenes
Bild Sarah Schlüter
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Prof. Dr. Kurt Imhof ist Leiter des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung und des Soziologischen Instituts der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Öffentlichkeits- und Mediensoziologie, Soziologie sozialen Wandels, Öffentlichkeitstheorie und -geschichte, und Minderheitensoziologie.
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Fragile personale Herrschaft in der Moderne Durch diese geschichtsphilosophische Prägung des Öffentlichkeitsverständnisses verändern sich die Herrschaftsbeziehungen fundamental. Unter dem Anspruch auf die Vernünftigkeit und Tugendhaftigkeit alles Politischen wird in der Skandalisierung der überkommenen Herrschaft das Mittel zu ihrer Überwindung entdeckt. Durch den Skandal kommt nun gleichsam das Finstere zum Licht; im öffentlichen Skandal manifestiert sich, dass die Mo-
derne im Bereich des Politischen kein Geheimnis mehr anerkennt. Die geheime Kabinettspolitik der Anciens Régimes soll einem öffentlichen Raisonnement weichen. Entsprechend beginnen die Revolutionen der Moderne mit Skandalisierungskampagnen, welche die Sittenlosigkeit der Herrschaft genauso wie ihre Unvernunft anklagen. An den daraus resultierenden Legitimitätskrisen zerbrechen die Anciens Régimes. Beispielhaft ist hierfür bereits die französische Revolution: Seit den 1770er Jahren wurden durch pikante «Enthüllungen» in einer Unzahl von Schmähschriften, den «cahiers scandaleuses», die Frivolität, Korruption und Lügenhaftigkeit des Adels und der Königsfamilie angeprangert. Mit der Einberufung der Generalstände im Frühling 1789 entglitt die auf diese Weise entstandene Öffentlichkeit jeglicher Kontrolle. Dies lässt sich für die Moderne generalisieren: Machtträger sehen sich vor Umbruchperioden einem massiven Skandalisierungsdruck ausgesetzt. Dieser Befund gilt auch für die Revolutionen in den 1940er Jahren des vorletzten Jahrhunderts, für diejenigen Ausgangs des Ersten Weltkrieges, für Ungarn 1956, für Prag 1968 und auch für die Revolutionen von 1989. Politische Skandale sind somit Bestandteil von Transformationsgesellschaften, in denen sich das Prinzip Öffentlichkeit erst konstituiert und von demokratischen Gesellschaften. In diesen Gesellschaften führt die moralische Auladung des Politischen – dem Kern der öffentlichen Sphäre – zu einem fundamentalen Wertewandel. Dieser eliminiert die in den Anciens Régimes selbstverständliche Verbindung von Herrschaftsgewalt mit Selbstbegünstigung – etwa in Form von Pfründen oder Ämterkauf – genauso wie die Zuerkennung grösserer sittlicher Freiheiten. Mehr noch: Die klassische Verbindung von politischer Macht mit moralischen Spielräumen und persönlichen Vorteilnahmen kehrt sich in ihr genaues Gegenteil. Der zum Staatsbürger emanzipierte Untertan erhält das Recht auf das Geheimnis in seiner privaten Sphäre, während sich seine politischen Repräsentanten in einer öffentlichen Sphäre bewähren müssen, die das Recht auf das Geheimnis auf die Privatperson beschränkt und die Selbstbegünstigung verbietet. Die Moralisierung der politischen Macht hat ihren Ursprung im Öffentlichkeitsbegriff der Aufklärung, der das private Recht auf das Geheimnis, die Lüge, sittliche Freiheiten und Vorteilnahmen für den Bereich des Politischen und damit für «öffentliche Personen» ausschliesst. Die Skandalisierung der Machtträger indet in diesem Prinzip seine Rechtfertigung, während das Prinzip Öffentlichkeit selbst in der Skandalisierung ihr radikalstes Durchsetzungsmittel indet. Diese «Dialektik der Aufklärung» hebt den «Sündenfall» in der «Öffentlichkeit» besonders hervor. Skandalisierungen verschaffen Einsicht in Moralisierungswellen, die Norm- und Wertkonlikte in der Gesellschaft widerspiegeln. Solche Skanda-
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Autor
Gericht» oder «öffentliches Gericht», der im 13. Jahrhundert nachweisbar ist, steht – wie Lucian Hölscher gezeigt hat – in der Kontinuität eines Verständnisses von Rechtsprechung, das sich darin manifestiert, dass das Gericht unter freiem Himmel und bei Tage stattinden muss. Das Böse musste bei Licht oder eben öffentlich gerichtet werden, damit der instere Verstoss gegen das Gute vor allen Augen abgegolten wird: «Bis zum 17. Jahrhundert» – so Michel Foucault – «kann das Böse in allen seinen gemeinsten und unmenschlichsten Ausmassen nur aufgehoben und bestraft werden, wenn es an die Öffentlichkeit gebracht wird. Allein das Licht der Öffentlichkeit, in dem das Geständnis gemacht und die Strafe ausgeführt wird, kann die Dunkelheit ausgleichen aus der das Böse kommt.» Unter freiem Himmel und am Tageslicht stand also die Wiege eines Begriffsverständnisses, das sich bis in die Gegenwart in Metaphern wie das «Licht der Öffentlichkeit» erhalten hat. In diesen religiös geprägten Dualismus von Licht und Finsternis beziehungsweise Gut und Böse ist auch die Vorstellung eingelassen, dass das, was «öffentlich» wird, gleichzeitig klar und eindeutig ist. Bereits im mittelalterlichen Begriffsverständnis ist das «Öffentliche» gleichzeitig offensichtlich und setzt sich damit ab vom Unklaren und bloss Geahnten. Der «offensichtliche» Charakter dessen, was «öffentlich» ist, mündet in den Vernunftsanspruch der Aufklärung im 18. Jahrhundert. In dieser doppelten Bedeutung der Öffentlichkeit als Bedingung der Tugend und der Vernunft liegt seine Sprengkraft und seine historische Tiefenwirkung. Denn indem die freie Öffentlichkeit das moralisch Richtige und das Vernünftige hervorbringt, gehört ihr die Zukunft. An der Schwelle zur Moderne verkörpert die bürgerliche Öffentlichkeit eine Fortschrittsperspektive, welche die Dunkelheit, die Unvernunft, die Unmündigkeit und die Sittenlosigkeit der Vergangenheit zuordnet, während dem Licht, der Mündigkeit, der Vernunft und der Tugend die Zukunft gehört. Die Lüge verdankt ihren Status als schlimmstes öffentliches Ärgernis dieser geschichtsphilosophischen Prägung der Aufklärungsöffentlichkeit. Sie verstößt gleich gegen beide ihrer Kerngehalte: Sie konterkarriert die Vernunft und die Tugend. Wer lügt verhindert Erkenntnis und verstößt gegen die Sittlichkeit.
USA IDAHO In Coeur d´Alene steht Sex im Auto unter Strafe; Polizisten, die «Täter» auf frischer Tat ertappen, müssen vor der Festnahme jedoch hupen und dann drei Minuten warten.
ILLINOIS Ein Gesetz des Staates Illinois besagt, dass alle weiblichen
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lisierungen schaffen die notwendige Resonanz für neue oder aktualisierte Normen und Werte, durch sie diffundieren neue Weltinterpretationen und durch sie werden Verhaltensweisen, die zuvor ausschließlich über Klatschkommunikation im Rahmen von «Gemeinschaften» sanktioniert wurden, «gesellschaftlich» relevant. Durch solche Prozesse verschiebt sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit und das Repertoire öffentlich skandalisierungsfähigen Handelns wird erweitert.
KOLUMNE
Berlusconis Bikini-Kabinett oder Italiens Beitrag zur Postfeminismusdebatte Es trug sich an einem regnerischen Abend irgendwann im letzten Jahr zu, dass die Welt von der Liaison des kleinen Nicolas Sarkozy mit der grossen Carla-«Ich will einen Mann mit Atombombe»-Bruni erfuhr. Etwa zu dieser Zeit liess auch Bonvivant Silvio Berlusconi wieder einmal von sich hören. Er lästerte in guter alter Chauvi-Manier über den spanischen Ministerpräsidenten Zapatero und dessen «rosa Kabinett». Dieser habe «zu viele Frauen» in der Regierung und Berlusconi drückte in weiser Voraussicht seine Sorge aus: «Er wird Probleme haben, sie zu leiten», aber er wolle es ja wissen. Ich befand mich am besagten Abend mit einigen Freunden vor dem Fernseher und wir sahen uns die Tagesschau an. Der Moderator kam auf Italien zu sprechen und erwähnte, dass Silvio Berlusconi nun seine Ministerliste vorgelegt hätte. Plötzlich limmerten Bilder von knackigen Bikinigirls am Strand, die verheissungsvoll in die Kameras lächelten, über den Bildschirm. Dazu sagte der Tagesschauspre-
Singles männliche Junggesellen mit «Meister» anzureden haben.
KENTUCKY Frauen dürfen nicht im Badeanzug auf die Strasse – es sei denn, sie wiegen weniger als 42, beziehungsweise mehr als 92 Kilo, oder sie sind bewaffnet.
MARYLAND In Baltimore ist es verboten, sich länger als eine Sekunde zu küssen.
MICHIGAN In Detroit ist Geschlechtsverkehr im Auto illegal, ausser auf dem eigenen Grundstück. Des weiteren ist es Männern gesetzlich untersagt, ihre Frauen an Sonntagen böse anzuschauen. Ein Gesetz des Staates Michigan stellt das ungebührliche Benehmen von Männern in Gegenwart von Frauen und Kindern unter Strafe. Laut Gesetz ist es verboten, in der Nähe oder in Hörweite von Frauen und Kindern unanständige, unmoralische, obszöne, vulgäre oder beleidigende Wörter zu gebrauchen. Ein Gesetz des Staates Michigan legt fest, dass das Haar einer Frau ihrem Ehemann gehört.
MINNESOTA In Alexandria ist Sex zwischen Ehepartnern verboten, wenn der Mann Mundgeruch hat.
cher, ohne auch nur den kleinsten Anlug von Ironie, dass im neuen Kabinett von Silvio Berlusconi von nun an vier Frauen sitzen würden. Uns hielt nichts mehr auf unseren Stühlen. «Genial Silvio!» prustete mein Freund neben mir. «Da hast Du’s dem kleinen Franzosen und dem rosa Spanier aber gezeigt!». Für uns war es sonnenklar, dass dies die Antwort Berlusconis auf Sarkozy und Zapatero war. Was die können, kann ich schon lange, nur besser, wird er sich wohl gesagt haben, all die italienischen Schönheiten im Hinterkopf, denen er zum Schutz schon einmal Soldaten zur Seite stellen wollte. Mittlerweile ist die Leidenschaft Berlusconis für junge Mädchen weltweit bekannt. Der italienische Ministerpräsident betont jedoch, er treibe die Gleichstellung der Geschlechter auch duch die Vergabe von Praktika und Volontariaten an junge Mädchen voran. Ein Zugpferd der Gleichberechtigung also! – Wenn auch nicht gerade mit sehr progressiven Methoden.
Illustrator Vincenzo Iorio (24), Künstler aus Volketswil.
Kolumnist Marcel Hegetschweiler (28) aus Zürich studiert im 15. Semester Philosophie, Politikwissenschaft und Völkerrecht an der Universität Zürich.
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Eine Landkarte der PolitikerSexskandale (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
USA 1988 ist Gary Warren Hart, ehemaliger Senator von Colorado, in Begriff, als Präsident zu kandidieren, als seine aussereheliche Affäre mit dem 29-jährigen Model Donna Rice publik wird. Aus der Kandidatur wird nichts. 1998 wird bekannt, dass der 42. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Bill Clinton, eine aussereheliche Affäre mit der 27 Jahre jüngeren Praktikantin Monica Lewinsky unterhielt. Weil Clinton unter Eid die Affäre zuerst leugnet, wird später gegen ihn ein Amtsenthebungsverfahren angestrengt. Clinton bleibt im Amt. Besonders interessant: Newt Gingrich, ehemaliger Sprecher des USRepräsentantenhauses, spielt eine führende Rolle für das Scheitern des Amtsenthebungsverfahrens. Eine aussereheliche Affäre kostet Gingrich einige Jahre später jedoch selbst seine Karriere. 2004 bekennt sich der Ex-Gouverneur von New Jersey, James McGreevey, zu seiner Homosexualität, nachdem bekannt wurde, dass er einem Geliebten zu einer Beförderung verholfen haben soll. 2006 erklärt ein Abgeordneter der Republikaner, Mark Foley, seinen Rücktritt, nachdem bekannt wurde, dass er jahrelang an Praktikanten des Kongresses Sex-Mails geschrieben hat. 2007 wird David Vitter, dem Senator von Louisiana, ein Prostituiertenring zum Verhängnis: Sein Name beindet sich auf der Liste von «DC Madame», einem in Washington ansässigen Dienstleistungsunternehmen der besonderen Art. Vitter ist bis heute republikanischer Senator von Louisiana. 2007 gelangt Larry Edwin Craig, bis zur Wahl 2008 Senator von Idaho, wieder einmal in die Schlagzeilen, nachdem er bereits seit über 25 Jahren immer wieder für Skandale sorgt. Als streng konservativer Politiker stimmte Craig mehrmals gegen Gleichstellungsbestrebungen Homosexueller. 1982 wird ihm jedoch Sex mit jugendlichen Helfern im Kongress vorgeworfen, 2004 bestätigen weitere Zeugen Craigs sexuelle Beziehungen zu jungen Männern. 2007 kommt es zur Festnahme Craigs am Flughafen Minneapolis, als er sich anscheinend mit eindeutigen Motiven auf einer als Treffpunkt für Ho-
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mosexuelle bekannten Herrentoilette aufhält. Der Senator akzeptiert die Vorwürfe und bezahlt laut Gerichtsdokumenten eine Strafe von 775 Dollar. Craig beteuert später, er sei nicht homosexuell und habe die Strafe nur akzeptiert, um sich und seiner Familie Ärger zu ersparen. 2008 wird der vorerst jüngste Skandal in den USA bekannt: Wegen seiner Kontakte zu einem Prostituiertenring droht Eliot Spitzer ein Strafprozess. Der als Saubermann bekannte Gouverneur des USBundesstaates New York muss wegen der Affäre zurücktreten.
Dänemark 2008 tritt der 34-jährige Jeppe Kofold, aussenpolitischer Sprecher der dänischen Sozialisten und Harvard-Absolvent, per sofort von all seinen Ämtern zurück, nachdem er bei einer rauschenden Party mit einer 15-jährigen Schülerin aus dem Parteinachwuchs im Bett gelandet ist.
Österreich 2008 kommt Philipp Ita, der Ex-Kabinettschef im österreichischen Innenministerium, in die Schlagzeilen, als bekannt wird, dass er eine Kreditkarte des Ministeriums im Bordell vergessen hat.
Griechenland 2007 versucht Christos Zachopoulos vergeblich, sich das Leben zu nehmen. Der griechische Generalsekretär im Kulturministerium war zuvor Opfer von Erpressung geworden, nachdem ein Sex-Video aufgetaucht war, auf dem er sich mit seiner Sekretärin vergnügt.
Israel 2007 wird bekannt, dass der israelische Präsident Mosche Katzav während seiner Zeit als Tourismusminister zwischen 1998 und 1999 eine Mitarbeiterin vergewaltig haben soll. Dies kann ihm nicht nachgewiesen werden, jedoch gibt er zu, dass er Mitarbeiterinnen sexuell belästigt habe. Nach einem umstrittenen Justizdeal muss Katzav zurücktreten und seine Fehler eingestehen, dafür kommt er mit einer Bewährungsstrafe davon.
China 2007 entlässt die Kommunistische Partei 16 ranghohe Politiker, von denen die meisten in Aktivitäten nach dem Motto «Macht für Geld» und «Macht für
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Von Stefan Klauser
sex & politics Sex» verstrickt gewesen sein sollen. Die korrupten Regierungs- und Parteiangehörigen hatten anscheinend Geliebte, einige sogar «viele» davon – etwa der frühere Chef der Kommunistischen Partei von Schanghai, Chen Liangyu, und Pekings ExVizebürgermeister Liu Zhihua.
leben von Palma stürzt. Dabei verprasst er über 50 000 Euro für Drogen- und Sexorgien, die er als Spesen mit einer städtischen Kreditkarte bezahlt. Der fünffache Vater hat das Geld inzwischen zurückerstattet und sich entschuldigt.
England Malaysia 2008 muss der Gesundheitsminister von Malaysia wegen eines Sexskandals zurücktreten. Chua Soilek war heimlich geilmt worden, während er mit einer unbekannten Frau in einem Hotelzimmer Sex hatte, die Aufnahmen kamen in seinem Wahlkreis in Umlauf. Soi-lek entschuldigt sich daraufhin demütigst bei seiner Frau, den drei Kindern und seinen Anhängern.
Finnland 2008 kosten zahlreiche Kurznachrichten an das Handy einer Stripperin Finnlands Aussenminister Ilkka Kanerva den Posten. Der 60-jährige konservative Politiker hatte der 29 Jahre alten Stripperin Johanna Tuhiainen rund 200 anzügliche SMS geschickt. Diese verkaufte sie kurzerhand einer innischen Zeitschrift.
Spanien (Mallorca) 2008 bekommt auch die Ballearen-Insel Mallorca ihren Sex-Skandal: Der konservative Nachwuchspolitiker Javier Rodrigo de Santos gilt lange als Musterschüler seiner Partei: erfolgreich, gut aussehend, politisch stramm rechts, verheiratet und sehr gläubig. Doch dann stellt sich heraus, dass Rodrigo de Santos schwer kokainabhängig ist und sich mehrmals wöchentlich ins homosexuelle Nacht-
1986 will Jeffrey Archer (46), Erfolgsautor und stellvertretender Vorsitzender von Margaret Thatchers Regierungspartei, der 35-jährigen Prostituierten Monica («Debbie») Coghlan 2 000 Pfund übergeben, wie eine britische Tageszeitung herausindet. Sie soll dafür etwas verschweigen, was es nach Archers Beteuerungen gar nie gab – eine Affäre zwischen den beiden. Archer muss zurücktreten. 2009 bekommt England seinen kleinen, dafür umso peinlicheren Sexskandal. Der Ehemann der Abgeordneten Jacqui Smith lässt die Leihgebühr für Pornoilme von seiner Frau als Spesen abrechnen. Die britische Öffentlichkeit zeigt sich wenig erfreut über eine solche Verwendung ihrer Steuergelder.
Schweiz 2002 gerät Thomas Borer-Fielding, der Schweizer Botschafter in Deutschland, in die Schlagzeilen, als die Schweizer Boulevardzeitung «Sonntags-Blick» behauptet, das Nacktmodell Djamila Rowe habe Thomas Borer in Abwesenheit seiner Frau besucht. Zwar entschuldigt sich die Zeitung anschliessend für die Schlammschlacht, aber Borer-Fielding ist unterdessen bereits abberufen worden.
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Deutschland 1993 sieht sich der Bundesratspräsident Oskar Lafontaine mit einem Skandal konfrontiert. Ein Journalist will herausgefunden haben, dass in den 1970er Jahren Verbindungen Lafontaines zu mehreren Saarbrücker Nachtlokalen bestanden. Man spricht von der «Rotlichtaffäre». Für den «Spiegel» steht Lafontaine «im Verdacht, einige Figuren aus dem Milieu mit Gefälligkeiten bedient zu haben». Lafontaine bestreitet nicht, dass er sich öfter in den Lokalen aufgehalten hat, weist aber alle daraus abgeleiteten Verdächtigungen zurück und kritisiert sie als «Schweinejournalismus». Die «Gefälligkeiten» konnten ihm nie nachgewiesen werden.
Autor Redaktor Stefan Klauser (26) aus Schlieren studiert im 12. Semester Politikwissenschaft, Filmwissenschaften und Völkerrecht an der Universität Zürich.
Amarilla, an die Öffentlichkeit und behaupten, mit Lugo ein Kind zu haben. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen wird derzeit von der paraguayischen Justiz geprüft.
Niederlande 2005 muss der holländische Ex-Ministerpräsident Ruud Lubbers von seinem Posten als UN-Flüchtlingskommissar zurücktreten, nachdem Vorwürfe wegen sexueller Belästigung laut wurden. Vier Frauen gaben einem von der Zeitung «The Independent» zitierten UN-Untersuchungsbericht zufolge an, von Lubbers sexuell belästigt worden zu sein, legten formell jedoch keine Beschwerde ein.
Paraguay
Italien
2009 ist ein schweres Jahr für Fernando Lugo. Der paraguayische Präsident ist, wie er in einer Pressekonferenz am 13. April 2009 eingesteht, Vater eines knapp zweijährigen Sohnes, den er ausserehelich mit der 34 Jahre jüngeren Viviana Carrillo gezeugt hat. Die Liebesbeziehung zwischen Fernando Lugo und der jungen Frau begann laut Medienberichten bereits, als sie erst 16 Jahre alt war. In Paraguay löst der Fall Empörung aus. Bischof Ignacio Gogorza bezeichnet die Beziehung als «Ohrfeige für die Kirche». Nach Bekanntwerden der Vaterschaft treten kurz nacheinander zwei weitere Frauen, Benigna Leguizamón und Damiana Hortensia Morán
2009 muss sich Silvio Berlusconi den Vorwürfen stellen, er unterhalte zu einigen der Schönheiten unter Italiens Politikerinnen sexuelle Beziehungen. Ausserdem wird bekannt, dass er die 18-jährige Tochter eines Bekannten zu ihrem Geburtstag besucht und mit teurem Goldschmuck bedacht hat, nachdem er die Geburtstage seiner eigenen Kinder jahrelang verpasst hat. Berlusconis Frau verlangt die Scheidung und lässt die Öffentlichkeit an der Schlammschlacht teilhaben. Die neuesten Vorwürfe gegen den Ministerpräsidenten beziehen sich auf mutmassliche sexuelle Kontakte mit Prostituierten während seiner Ehe.
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Belletristik
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Flotter Dreier mit dem Staat Zwecks Steuerung der Migration blickt der Staat gelegentlich sogar unter die Bettdecken binationaler Paare. Dabei gerät er leicht in einen Konlikt mit Grundrechten der Betroffenen. Von Urs Güney Viele Menschen heiraten aus lauter Liebe und einem Anlug von Romantik. Doch kein Gesetz schreibt uns vor, den Ehepartner zu lieben und zu ehren. Die Aussicht auf eine schöne Erbschaft oder soziales Prestige bilden einen ebenso legalen Zweck der Heirat wie der Wunsch, den Alltag bis ans Lebensende zu teilen. Rechtlich ist es den Ehepartnern freigestellt, ihre Beziehung so auszugestalten, wie sie es möchten. Ob sie zusammen wohnen wollen, einander treu sind oder lieber ganz auf Sex verzichten, bleibt ihnen überlassen. Wenn allerdings einer der Heiratswilligen nicht über eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung verfügt, wird diese Gestaltungsfreiheit eingeschränkt. Zivilstandsämter können vor der Eheschliessung Befragungen einberufen und das Migrationsamt stellt hinterher Nachforschungen an: Der Staat beginnt sich für den Inhalt der Beziehung zu interessieren. Heiratswillige werden etwa nach «besonderen körperlichen Merkmalen» der Partnerin gefragt. Es wird untersucht, ob sich die Partner treu waren, ob ein Kinderwunsch besteht und wo wessen Zahnbürste steht. In einer Dokumentarsendung des Schweizer Fernsehens berichten ehewillige Paare davon, dass sie Fragen nach der Nachtwäsche des Partners, der Häuigkeit des Ge-
schlechtsverkehrs oder den Verhütungsmethoden beantworten mussten. Diese Abklärungen erfolgen gestützt auf die Bestimmungen zum Eherecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB). Eine Zivilstandsbeamtin oder ein Zivilstandsbeamter soll auf ein Eheschliessungsgesuch nicht eintreten, «wenn die Braut oder der Bräutigam offensichtlich keine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Bestimmungen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern umgehen will» (ZGB Art. 97 A bis Abs. 1). Dies wirft allerdings Fragen nach dem Schutz der Privatsphäre der Brautleute auf. Befragungen wie die oben beschriebenen bezeichnet der Rechtsanwalt Marc Spescha als unzulässige Grenzüberschreitungen durch Behörden, die einseitig auf Missbrauchsbekämpfung ausgerichtet sind. «Im Ausländerrecht wird schneller als in anderen Rechtsgebieten ein Missbrauch angenommen», kritisiert der Experte für Migrationsrecht.
Literatur EIDGENÖSSISCHES AMT FÜR DAS ZIVILSTANDSWESEN. Weisungen EAZW Nr. 10.07.12.01 vom 5. Dezember 2007. Online im Internet: www.ejpd.admin.ch. GEISER, T. (2008). Scheinehe, Zwangsehe und Zwangsscheidung aus zivilrechtlicher Sicht. In: ZBJV 11/2008, S. 817-849. SPESCHA, M., THÜR, H., ZÜND, A., BOLZLI, P. (2008). Migrations-
Heiratsmigration im Visier der Behörden
recht. Kommentar.
Den Ausgangspunkt der Problematik von Scheinehen bildet der Anspruch des Nationalstaats, die Einwanderung zu kontrollieren. Die Migration über das Asylwesen ist auf politische Flüchtlinge beschränkt. Deren Rechtsstellung ist mit der jüngsten
Zürich: Orell Füssli. SPESCHA, M. (2007). Migrationsabwehr im Fokus der Menschenrechte. Zürich: Dike.
Eine Szene von staatlichem Interesse?
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Eheschein / Scheinehe. Was Paare im Kanton Thurgau erleben. Reporter. SF1 [TV], 03.06.2009, Online im Internet: www.sf.tv/ sendungen/reporter. Wenn die Polizei den Bräutigam abführt. NZZ, 07.07.09, S. 41.
Bei binationalen Paaren lüften die Behörden bisweilen die Decke.
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Diese Ansprüche gründen letztlich im Recht auf Ehe und Familie, das durch die Bundesverfassung und die Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgt ist.
Grenzen der behördlichen Kontrolle Durch den staatlichen Anspruch, die Migration zu kontrollieren, entsteht ein Zielkonlikt mit der Wahrung der grundrechtlich geschützten Privatsphäre des Brautpaares. «Das Eheleben kann von den Partnern sehr unterschiedlich ausgestaltet werden. Gerade in einer Kultur, die durch eine starke Pluralisierung der Lebensformen und Lebensstile gekennzeichnet ist, bestehen zahlreiche gleichwertige Modelle nebeneinander», betont Marc Spescha. Welche Aspekte des Alltags gemeinsam gelebt werden, liegt auch bei ausländerrechtlich relevanten Ehen in der Entscheidung der Ehegatten. Den Abklärungen der Behörden sind dadurch klare Grenzen gesetzt. Eingehende Befragungen zum Sexualleben oder gemeinsamen Zukunftsperspektiven (etwa Kinderwünsche) sind zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit des Ehewillens nicht zulässig. Beweise dafür, dass Verlobte oder Partner keine Lebensgemeinschaft zu führen beabsichtigen, gibt es in der Regel ohnehin nicht. Aus verschiedenen Leitentscheiden des Bundesgerichts hat sich ein Katalog von Indizien herauskristallisiert, die auf eine Scheinehe hinweisen. Einige dieser Indizien liegen ganz selbstverständlich auf der Hand. Wenn für die Heirat etwa eine Bezahlung vereinbart wurde, ist dies ein starkes Verdachtsmoment. Ebenso können eine kurze Bekanntschaftsdauer, Verständigungsprobleme oder Unkenntnis der Lebensumstände des Partners darauf hindeuten, dass der Ehewille nicht dem Wunsch entspringt, ernsthaft eine Partnerschaft zu leben. Andere Kriterien sind allerdings voraussetzungsreicher. Das Indiz einer drohenden Wegweisung scheint zwar ebenfalls offensichtlich, doch auch der Ehewunsch eines abgewiesenen Asylbewerbers kann durchaus berechtigt sein. Selbst wenn in einem solchen Fall tatsächlich ein ausländerrechtliches Motiv vorliegen sollte, handelt es sich dabei nicht zwangsläuig um eine Umgehungsehe. Denn letztlich ist keine Ehe zweckfrei, die Brautleute gehen sie gerade wegen der mit der Heirat verbundenen Rechtswirkungen ein. Von einer Ausländerrechtsehe oder Umgehungsehe kann deshalb nur dann gesprochen werden, wenn die Aufenthaltsbewilligung, die der ausländische Bräutigam oder die ausländische Braut erhält, den alleinigen Grund für die Heirat darstellt und darüber hinaus keine irgendwie geartete Lebensgemeinschaft angestrebt wird. Im Entscheid 2C.60/2008 deutet sich allerdings eine grundlegende Skepsis des Bundesgerichts gegenüber binationalen Ehen an. Ein aus Kosovo stammender serbischer Staatsangehöriger heiratet
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In den Medien
Teilrevision des Asylgesetzes verschlechtert worden (teilweise ab 1.1.2007, vollumfänglich ab 1.1.2008 in Kraft). Während der Zugang zum Arbeitsmarkt im Rahmen der Abkommen über die Personenfreizügigkeit für die Bürger von EU-Staaten Zug um Zug liberalisiert wurde, unterliegt die Zulassung zum Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit für Angehörige von Drittstaaten einer strengen Kontingentierung und scheitert vielfach an der Hürde des sogenannten Inländervorrangs. Die Einreise für Angehörige von Drittstaaten über Arbeitsmigration und Asylwesen ist also stark erschwert. Die Heiratsmigration wird daher zu einer potenziellen Ausweichmöglichkeit für Einreisewillige. Denn ausländische Ehegatten und ledige Kinder von Schweizerinnen und Schweizern haben gemäss Ausländergesetz Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen. Analoges gilt für Angehörige von Personen mit Niederlassungsbewilligung und mit Einschränkungen für Ehegatten und Kinder von Personen mit Aufenthaltsbewilligung.
nommen. Dies sei auch richtig: «Nach dem Willen des Gesetzgebers soll im Regelfall ein Tatbeweis erbracht werden.» Dem Brautpaar sollte also die Gelegenheit gegeben werden, die Ernsthaftigkeit seines Ehewunsches unter Beweis zu stellen. Dies soll nach der jüngsten Gesetzesänderung aber Sans-papiers und abgewiesenen Asylsuchenden verwehrt werden. In Befolgung einer parlamentarischen Initiative von SVP-Nationalrat Toni Brunner soll künftig in der Schweiz nur noch heiraten können, wer über einen rechtmässigen Aufenthalt verfügt. Dies bedeutet, dass Sans-Papiers und abgewiesenen Asylbewerbern das Eherecht faktisch verweigert oder zumindest enorm erschwert wird. Betroffene haben zwar die Möglichkeit auszureisen und von ihrem Heimatland aus ein Einreisevisum zwecks Heiratsvorbereitung zu stellen. Dies ist aber für viele eine hohe Hürde und ist auf jeden Fall mit langen Wartezeiten und hohen Kosten verbunden. Rechtsanwalt Marc Spescha kritisiert die Gesetzesänderung deshalb in der Tendenz als unverhältnismässig und schikanös. Nicht zuletzt, weil für die Ehe eine Institutsgarantie besteht, sei diese Neuerung nur schwierig mit der Verfassung zu vereinbaren. Der Staat ist nämlich verplichtet, Eheschliessungen zu erleichtern und positive Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Im Fall binationaler Heiratswilliger, die sich einem Generalverdacht ausgesetzt sehen, wird die staatliche Plicht zur Gewährleistung des Ehewillens missachtet. Daraus resultierende Menschenrechtsverletzungen sind weder im Interesse des Staates noch passen sie zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Denn in einer globalisierten Welt macht auch die Liebe nicht Halt an den Grenzen des Nationalstaats.
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zwei Tage vor Ablauf der Ausreisefrist eine Schweizer Bürgerin und lässt sich von dieser nach Erhalt der Niederlassungsbewilligung wieder scheiden. Das Bundesgericht beschreibt die Frau als «eine Schweizerin mit gänzlich anderem kulturellen und sprachlichen Hintergrund». Die Frau stammt nämlich ursprünglich von den Philippinen. Für das Bundesgericht stellt dieser kulturelle Unterschied einen Hinweis auf ein «bekanntes Verhaltensmuster zur Erschleichung fremdenpolizeilicher Bewilligungen» dar. Obwohl noch zahlreiche andere Anzeichen auf eine Scheinehe hindeuten, wird die Herkunft der Frau hervorgehoben. Ein Misstrauen des Bundesgerichts gegenüber der Verbindung zwischen einem Serben und einer Schweizerin philippinischer Abstammung legt aber auch Schlüsse über die allgemeine Einstellung zu Ehen von Schweizern und Ausländern nahe. Denn in diesen Fällen liegt ja immer ein grundlegend anderer kultureller Hintergrund vor. Andere Indizien sind ebenfalls problematisch. Auch ein grosser Altersunterschied wird als Hinweis auf eine Scheinehe gewertet. Doch dies droht Paare zu diskriminieren, die nicht nach konventionellen Rollenmustern leben. «Der soziale Status und damit auch die Attraktivität eines Mannes steigt mit zunehmendem Alter», sagt Marc Spescha. Unsere Kultur betrachte aber die Schönheit der Frau, die im Lauf der Jahre schwindet, als das beste, was sie zu bieten hat. Geht ein Mann eine Beziehung mit einer älteren Frau ein, wird ihm daher schnell ein anderes Motiv unterschoben als die Anziehung, die diese Frau auf ihn ausübt. Während also Männer ohne Weiteres jüngere Frauen heiraten können, sehen sich Frauen, die Analoges tun, Verdächtigungen ausgesetzt. Widersprüchliche Angaben des Paares während Befragungen, Abhängigkeitsverhältnisse und ein fehlender Bezug zur Schweiz gelten als weitere Anzeichen von Scheinehen. Allerdings reicht keines der Indizien für sich allein genommen aus, um einen sicheren Nachweis zu erbringen. Nur wenn sich ein Bündel von Indizien zu einem handfesten Verdacht verdichtet, ist ein Eingreifen der Behörden legitimiert.
Bilder Petra Vogel
Autor Redaktor Urs Güney (30) aus Zürich studiert im 16. Semester Germanistik, Politikwissenschaft und Geschichte des Mittelalters an der Universität Zürich.
Das Anziehen der Schrauben Wie im Asylrecht versucht der Staat auch im Bereich der Heiratsmigration seinen Kontrollanspruch verstärkt durchzusetzen. Die 2008 in Kraft getretene Revision des Ausländergesetzes ermöglicht es, Scheinehen von vornherein zu verhindern und bemächtigt Zivilstandsbeamtinnen und Zivilstandsbeamte, Auskünfte über die Brautleute einzuholen. «In der Praxis haben Zivilstandsämter allerdings in der Regel nicht die Mittel, umfassende Abklärungen zu treffen», führt Ausländerrechts-Spezialist Spescha aus. Häuig werden diese weiterhin erst nach der Eheschliessung von Migrationsämtern vorge-
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Liebe im Sonderangebot
Literatur CONSTABLE, N. (2003). Romance on a Global Stage: Pen Pals, Virtual Ethnography, and «Mail-Order» Marriages. Berkerley: University of California Press. LUEHRMANN, S. (2004). Mediated Marriage: Internet Matchmaking in provincial Russia. Europe-Asia Studies (56/6), S. 857-875. OSIPOVICH, T. (2005). Russian Mail order Brides in U.S. Public dis-
Von Yvonne Meier Die Strassen des Stadtzentrums von Odessa laden zum Flanieren ein. Unzählige Restaurants und Cafés, schicke Boutiquen und moderne Einkaufszentren reihen sich in den von alten, ehrwürdigen Bäumen gesäumten Strassen aneinander. Elena und George geniessen den Frühlingsanfang in einem schmucken Café. Sie: eine hübsche und sportliche 29-jährige Ukrainerin, er: ein 44-jähriger Amerikaner aus Chicago. Sie unterhalten sich so gut als möglich in bruchstückhaftem Englisch. Auf dem Tisch liegt ein elektronisches Übersetzungsgerät als Hilfsmittel. Elena quittiert die Anzeige auf dem Display mit einem von Kopfnicken begleitetem «Aha» und gibt sogleich in russischer Sprache einen Kommentar ein. Gelegentlich scheint es, wie an ihren Gesichtsausdrücken abzulesen ist, Missverständnisse zu geben. Vielleicht übersetzt das Gerät nicht immer zuverlässig. Sichtlich erleichtert ist Elena, als Natasha erscheint und sich zu ihnen an den Tisch setzt. Diese wendet sich an George: «Hi, I am Natasha from Unona-Agency, and I am here to translate for you. I am Ukrainian too and I speak luent English, so I can help with your conversation and translate forwards and backwards between you two.» Die Unterhaltung kommt nun dank Natasha etwas besser in Fluss. Sie ermuntert beide Parteien, sich gegenseitig aus dem eigenen Leben zu erzählen oder Fragen zu stellen. Die Begegnung von Elena und George ist keine zufällige, sondern eine mithilfe Dritter organisierte.
course: Sex, Crime and Cultural Stereotypes. In:
Organisiertes Versprechen
Stuhlhofer, A., Sandfort,
Elena und George haben sich durch die Heiratsagentur «Unona» kennen gelernt. «Unona» ist nur eine von vielen Agenturen in Odessa, welche sich um die internationale Heiratsvermittlung kümmern. 27 Agenturen seien ihr in Odessa bekannt, meint eine Agenturleiterin, wahrscheinlich gäbe es jedoch viel mehr – schliesslich brauche man, um eine Agentur zu betreiben, nur einen Computer und einen dazugehörigen Raum. Die internationale Partnervermittlung mit dem Ziel einer Heirat ist ein weltweit verbreitetes Phänomen, welches in nennenswertem Ausmass seit den 1960er Jahren existiert und seither stetig expandiert. Fanden in den 1960er und 1970er Jahren vor allem Vermittlungen zwischen nordamerikanischen oder westeuropäischen Männern einerseits und südostasiatischen Frauen andrerseits statt, entstanden nach dem Zusammenbruch der UdSSR
T. (Hrsg.). Sexuality and Gender in Postcommunist Eastern Europe and Russia. New York: The Haworth Press. TARABAN, S. (2007). Birthday Girls, Russian Dolls, and Others. Internet Bride as the Emerging Global Identity of Post-Soviet Women. In: Johnson, J. E., Robinson, J. C. (Hrsg.). Living Gender after Communism. Bloomington: Indiana University Press.
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im Laufe der 1990er Jahre auch Heirats- und Partnervermittlungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Während vor dem Computerzeitalter die Personendatenbanken in Katalogform geführt und an Interessenten geschickt wurden, geschieht dies heute auf unkomplizierterem und schnellerem Wege via Internet. Dies ermöglichte der Branche ein enormes Wachstum. Die Agenturen erstellen Proile von denjenigen Frauen, die sich (kostenlos) bei ihnen anmelden und stellen diese auf ihrer Homepage ins Internet. Die Proile bestehen aus einem kurzen Steckbrief zur Person und einigen Fotos. Der an einer Partnervermittlung interessierte Mann kann sich nun auf den frei zugänglichen Internetseiten die Proile anschauen. Will er mit einer Frau in Kontakt treten, was heutzutage in den meisten Fällen zunächst via E-Mail-Korrespondenz geschieht, muss er sich bei der entsprechenden Agentur registrieren. Er kann nun gegen ein Entgelt von fünf bis sieben US-Dollar der Ausgewählten über die Agentur eine E-Mail zukommen lassen. Die Agentur übersetzt die E-Mail wenn nötig und leitet sie an die Frau weiter. Wenn diese antwortet, wird dies wiederum von der Agentur übersetzt und weitergeleitet. Der Mann bezahlt auch für diese Leistung. Des Weiteren bieten die Agenturen Telefonate an, bei denen eine Übersetzerperson in einer Konferenzschaltung die Kommunikation zwischen den beiden Parteien ermöglicht. Verstehen sich ein Mann und eine Frau gut, ist der nächste Schritt meist ein Besuch des Mannes im Herkunftsort der Frau. Dabei kann er auch von Übersetzungsdienstleistungen während der Treffen, von Abholdiensten am Flughafen sowie Wohnungsvermittlungen Gebrauch machen. Dies alles ist natürlich nicht kostenlos: Eine Stunde Übersetzung beispielsweise kostet bei den odessitischen Agenturen zwischen acht und zehn US-Dollar, was vergleichsweise viel Geld ist. In der Ukraine sind durchschnittliche Monatslöhne von 200 bis 300 US-Dollar üblich. Manche Männer reisen individuell nach Odessa. Einige grosse Agenturen organisieren aber auch so genannte «Romance Tours», also ein- bis zweiwöchige Gruppen-Ferienaufenthalte in Odessa, eventuell kombiniert mit anderen Städten in der Ukraine oder Russland. Kernelemente dieser Reisen sind die so genannten «Socials». Die Männer, die diese Touren mitmachen, und die bei den Agenturen registrierten Frauen werden in einen Club eingeladen, wo man sich in Discoatmosphäre kennen
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In der ukrainischen Hafenstadt Odessa helfen unzählige Heiratsvermittlungsagenturen westlichen Männern und ukrainische Frauen bei ihrer Suche nach dem passenden Partner. Über Angebot und Nachfrage auf dem Heiratsmarkt.
Alles Hochzeit, oder was? Zurück zu Elena und George. Was treibt die beiden dazu, sich über die Heiratsagentur eine/n potentielle/n Ehepartner/in zu suchen? Elena gehört zu den berulich eher erfolgreichen Frauen, sie betreibt Marketing für eine Medizinalirma und verdient dabei ungefähr 600US-Dollar im Monat. Sie hat eine siebenjährige Tochter, von deren Vater sie sich jedoch schon während der Schwangerschaft getrennt hat. Zur Agentur kam sie über eine Freundin. Diese erzählte ihr von einer Bekannten, die via Agentur einen amerikanischen Ehemann gefunden hatte. In den USA ginge es ihr sehr gut. Seit drei Jahren ist Elena nun bei einer Agentur angemeldet. In dieser Zeit hat sie vier Männer persönlich getroffen – einer davon ist George. Elenas Motiv ist das Finden eines passenden Partners, sei er aus Odessa oder aus dem Ausland, das spielt für sie keine grosse Rolle. Sie kann mittels Heiratsagentur ihre Suche über nationale Grenzen hinaus ausdehnen. Gleichzeitig ist sie sich aber gar nicht mehr so sicher, ob sie überhaupt bereit wäre, ins Ausland zu ziehen; wenn, dann wirklich nur für die grosse Liebe. Für die Kontakte mit ausländischen Männern will sie keinen grossen Aufwand betreiben: Sie erfährt von ihren E-Mails meist durch einen Anruf der Agenturleiterin. Diese liest sie ihr vor, und Elena sagt darauf, was die Agenturleiterin als Antwort schreiben soll. Damals, als sie sich in der Agentur registrierte, arbeitete sie als Staatsangestellte im Büro und verdiente eher schlecht dabei. Sie hatte sich deshalb gedacht, sie hätte im Ausland vielleicht bessere beruliche Perspektiven als in Odessa. Und wenn nicht, dann wäre es immerhin eine ganz neue Erfahrung, man könnte eine Fremdsprache lernen und so weiter. Zum heutigen Zeitpunkt hat sie allerdings ihre Meinung revidiert: Odessa biete gute Perspektiven, da viele neue Firmen und Geschäfte sich gerade erst entwickeln. Wenn man clever und gewillt sei, könne man in Odessa momentan viel erreichen. Im Gegensatz dazu denkt sie, dass es im Ausland mangels Sprachkenntnissen und Anerkennung ihrer Ausbildungen und Diplome schwieriger wäre, sich gute Perspektiven zu verschaffen. Warum nimmt George diese eher aufwändige und kostspielige Form der Partnervermittlung auf sich? Warum sucht er sich nicht einfach jemanden in den USA, wo es bestimmt auch genügend Vermittlungsinstitutionen gibt? Georges grosser Wunsch ist die Gründung einer Familie. Er ist ein sehr familienorientierter Mensch und hätte äusserst gern eine Ehefrau und Kinder. Er war in den USA verlobt, aber die Beziehung ging vor einigen Jahren in Brü-
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lernen kann. Vielleicht trifft man in diesem Rahmen diejenigen Personen, mit welchen man im Vorfeld korrespondiert hat, zum ersten Mal. Gleichzeitig trifft man natürlich auf viele Personen, die einem bis anhin unbekannt waren.
che. Nun, mit 44 Jahren, indet er es schwierig, in seiner Heimat eine neue Partnerin in gebärfähigem Alter zu inden. Zudem würden viele Frauen generell keine Kinder mehr wollen. Die ukrainischen Frauen seien familienorientierter, und praktisch alle würden einen Kinderwunsch hegen. Auf die Idee eine Partnerin via Heiratsagentur zu suchen, ist er durch einen Kollegen gekommen. Jener hätte via Heiratsagentur eine russische Ehefrau gefunden und sei sehr glücklich mit ihr. Sveta (25) spaziert gerade mit dem ebenfalls aus den USA stammenden Mark (44) durch die Deribasovskaya, die Flaniermeile Odessas. Sie hat eine Ausbildung als Grundschullehrerin abgeschlossen und absolviert momentan ein Jus-Studium in Teilzeitpensum. Nebenbei arbeitet sie für die Heiratsagentur, deren Kundin sie gleichzeitig auch ist. Sie wohnt mit ihrer 60-jährigen Mutter in einer 3-Zimmer-Wohnung, der Vater ist vor circa vier Jahren
Was braucht es mehr auf der Suche nach dem Glück in Odesssa?
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verstorben. Sveta ist schon seit sechs Jahren bei einer Agentur angemeldet. Sie wollte damals zusammen mit einer Freundin aus reiner Neugier an einem «Social» teilnehmen. Nachdem sie jahrelang die Kontakte zu westlichen Männern als Unterhaltungselement gesehen hat, denkt sie nun ernsthafter über allfällige Zukunftsoptionen nach. Sie sieht für sich in der Ukraine trotz ihrer Ausbildungen keine guten Aussichten auf einen Job mit einem anständigen Salär, und um etwas Eigenes aufzubauen, fehlt das Startkapital. Aus diesem Grund würde sie gern ins Ausland migrieren und sich nach allfälligen Möglichkeiten umsehen. Sie kann sich gut vorstellen, einmal mit einem Fiancée-Visum in die USA zu gehen. Will ein amerikanischer Mann eine ukrainische Frau zu sich einladen, gelingt dies in den meisten Fällen nur mit einem solchen Visum. Unter der Bedingung, dass die beiden verlobt sind, kann die ukrainische Frau für drei Monate in die USA einreisen. Der Antrag für ein solches Visum kostet, inklusive der dazu notwendigen Konsultationen und Dokumente, ungefähr 1000 US-Dollar. Falls es ihr gar nicht gefalle in der Beziehung oder überhaupt in den USA, sagt Sveta, könne sie zurückkommen. Und wenn sie da bleiben wolle und heirate, aber die Beziehung sie auf Dauer nicht erfülle, dann könne sie sich nach dem Erhalt der Greencard scheiden lassen und einen anderen Mann suchen. Sie sei dazu schliesslich noch jung genug. Trotz dieser pragmatischen Einstellung will sie nicht einfach zu irgendeinem Mann ins Ausland ziehen, auch nicht
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für drei Monate. Sie hat schon mehrere Angebote von verschiedenen Männern bekommen, die sie mittels eines Fiancée-Visums in ihr Land einladen wollten; bisher hat sie alle ausgeschlagen. Er müsse ihr eben dennoch irgendwie gefallen und einen Lebensstandard anbieten, für den sich das Weggehen auch lohne. Ihr derzeitiges Date Mark versichert, nach seiner Rückkehr in die USA alle Hebel in Gang zu setzen, damit Sveta für drei Monate in die USA reisen kann. Er ist seit zwei Jahren geschieden und hat zwei Kinder im Teenager-Alter, die mehrheitlich bei ihm leben. Als Wärter arbeitet er in einem staatlichen Gefängnis und führt ein Leben am unteren Rand des Mittelstandes. Er registrierte sich vor sechs Monaten bei einer Agentur und wurde bald darauf von einer Frau angeschrieben. Bei einigen Agenturen besteht die Möglichkeit, dass auch die Frauen die registrierten Männer anschreiben können. Oft sind es allerdings die Agenturen selbst, die im Namen ihrer weiblichen Kunden Korrespondenzen mit Männern anzetteln. Die Frauen werden darüber nicht informiert. Die Korrespondenz sei äusserst interessant gewesen, erzählt Mark. Sie hätten ungefähr 60 E-Mails ausgetauscht. Voller Hoffnung hätte er sich deswegen zu einer «Romance Tour» angemeldet, da sie vereinbart hatten, sich am «Social» zum ersten Mal zu treffen. Aber die Angebetete erschien leider nicht, auch telefonisch oder per E-Mail war sie plötzlich nicht mehr erreichbar. Nach einer anfänglich grossen Enttäuschung habe er sich am
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Stadt der Träume und Sehnsüchte.
Liebe, Illusion und andere Güter Heiratsagenturen in Odessa vermitteln nicht nur zwischen heiratswilligen Partner/innen. Dies wird auch durch die tiefe Anzahl effektiv geschlossener Ehen bestätigt: Von hundert Frauen, so die Schätzungen verschiedener Agenturleiterinnen, heiraten jährlich im Schnitt zwei bis drei. Vielmehr handelt es sich auf dem internationalen odessitischen Heiratsmarkt um einen Tauschmarkt: Man bietet etwas an um bekommt im Gegenzug etwas. Dabei wird nicht immer Gleiches gegen Gleiches getauscht. Möglicherweise bieten beide dasselbe an, etwa Elena und George, denen der Familien- und/oder Kinderwunsch gemeinsam ist. Vielleicht aber divergieren die zum Tausch angebotenen «Güter», wie bei Sveta und Mark – sie sieht einen Zugang zu einer sonst in ihrer Lage kaum erreichbaren Aufenthaltsbewilligung, er vermeintlich einen Zugang zu einem Typ Frau, wie er ihn in seiner Heimat verloren glaubt. Vermeintlich, weil ein Grossteil der Frauen einem solchen Typ nicht entspricht. Die Agenturen tragen ihren Teil zur Konstruktion dieses Frauenbildes bei, heisst es doch beispielsweise auf einer Agenturwebseite, alle ukrainischen Frauen seien «excellent wives and terriic mothers, raisend with traditional values. Women who value their complimentary role in marriage.» Bekräftigt wird eine solche Darstellung zudem nicht selten durch die Frauen selbst. Diese stellen sich, im Wissen darum, was die westlichen Männer gern hören, in den Proilen und EMails absichtlich so dar. Viele Männer schenken solchen Darstellungen nur allzu gern Glauben, bis sie – oft auf ihrer ersten Reise in die Ukraine oder nach Osteuropa überhaupt – eine etwas andere Realität vorinden. Im Falle von Vika und Justin schliesslich werden materielle Güter gegen Zuneigung und Aufmerksamkeit getauscht. Man könnte nun Vika eine Betrügerin nennen, die mit den einsamen Herzen der Männer spielt und so Proit erzielt. Sähen sich alle Männer, die solche Erfahrungen machen, als Betrogene, und kehrten zutiefst enttäuscht in ihre Heimat zurück, würde der Heiratsmarkt wohl bald zusammenbrechen, denn Geschichten wie diejenige von Vika und Justin gibt es viele. Aaron, der bereits zum zweiten Mal an einem «Social» in Odessa teilnahm, erklärt: «Viele, vor allem junge Frauen, haben kein ernsthaftes Interesse an uns, sie wollen mit uns essen gehen, tanzen gehen, Geschenke von uns erhalten. Wir haben aber viel Spass miteinander, erhalten im Gegenzug die Aufmerksamkeit und Zuneigung dieser wunderschönen jungen Frauen, wir geniessen ihre Gesellschaft sehr. Also stimmt es für beide Seiten. Gleichzeitig sind wir clever genug, uns mit einigen Frauen zu verabreden, die auf längerfristige Beziehungen ausgerichtet sind. Das Entscheidende ist, herauszuinden, wer welche Absichten hegt.»
sex & politics
«Social» eben anderweitig umgeschaut – und dabei glücklicherweise Sveta kennen gelernt. Nie hätte er gedacht, dass er sich derart schnell mit jemandem so gut verstehe. Er sei nun, trotz des anfänglichen Pechs, sehr glücklich über den Verlauf seines Aufenthaltes. Schliesslich hätte ihn diese Reise sehr viel Geld gekostet, und auf keinen Fall wolle er nochmals eine Partnerschaft mit einer Amerikanerin eingehen. Amerikanerinnen seien zu materialistisch, sie würden alles wollen und hätten auch dann noch nicht genug. Gleichzeitig seien sie aber nicht bereit, sich liebevoll um die Kinder und den Ehemann zu kümmern. Man müsse sich zu Tode schuften, um es ihnen recht zu machen. Sie würden schauen, was die Nachbarn haben, und das Eigene müsse genau so gut oder besser sein. Diese Kompetition sei unsinnig und brauche zu viel Energie. Die Ukrainerinnen seien anders. Sie wollen zwar ein besseres Leben. Deswegen seien westliche Männer für sie attraktiv. Aber trotzdem seien sie bescheiden, gewohnt, hart zu arbeiten und würden sich mit aller Energie um die Familie bemühen. An einem «Social» trifft man auch auf die 21-jährige Wirtschaftsstudentin Vika, welche sich mit drei gleichaltrigen Freundinnen ausgelassen vergnügt. Kurz und knapp bekleidet, mit keckem Lachen im Gesicht sind diese sich ihrer Schönheit und ihrer Reize durchaus bewusst. Sie mustern die anwesenden Männer, welche sich bald darauf den jungen Frauen nähern. Nach dem «Social» wird Vika mit dem 29-jährigen Amerikaner Justin, seinerseits einer der jüngsten Kunden der Heiratsvermittlungsagenturen, das «Social» verlassen und in ein gutes Restaurant dinieren gehen. Auch die nächsten paar Tage wird sie Justin immer wieder treffen und Zeit mit ihm verbringen, sich in holperigem Englisch verständigend. Eine aufkeimende Liebe? Vika hat primär andere Absichten. Sie zieht Justin durch Einkaufszentren, wo sie sich ihre Garderobe beträchtlich erweitert, durch Handy-Shops, in feine Restaurants und Cafés. Er mag die Aufmerksamkeit, die ihm von dieser aufreizenden jungen Frau zu Teil wird, auch auf körperliche Annäherungen ihrerseits steigt er gern ein. Etwas ambivalent indet er ihre fordernde Haltung, ihr dieses und jenes zu kaufen, aber hey: «Wir kommen halt aus dem Westen und haben viel mehr Geld als die meisten hier, und das wissen die Frauen natürlich auch. Deswegen ist das schon o.k.» Als sich Vika jedoch nach ein paar Tagen gar nicht mehr meldet, und Justin sie auf keinem Wege erreichen kann, ist er ziemlich enttäuscht. Er hatte gedacht, sie verstünden sich wirklich gut. Und sie hatten beim letzten Treffen noch über den weiteren Verlauf ihrer Beziehung, sprich, über ein allfälliges Fiancée-Visum für Vika gesprochen. Jetzt sei sie wie vom Erdbeben verschwunden.
Bilder 1. Yvonne Meier 2. Adrian Sonderegger
Autorin Yvonne Meier (28) aus Zürich hat 2008 ihr Studium der Ethnologie, Politikwissenschaft und Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich abgeschlossen. Der Artikel basiert auf der sechsmonatigen Feldforschung, die für die Lizentiatsarbeit «Marriage Agencies in Odessa und ihre Teilnehmer/innen: Wahrhaftig eine Plattform zur Heirat?» gemacht wurde. Gegenwärtig ist Yvonne Meier bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache tätig.
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Es lohnt sich, die Wochenzeitung WOZ zu lesen, … weil sie ein erstklassiges Statussymbol ist. … weil zwanzig Minuten Desinformation pro Tag Ihre geistige Gesundheit gefährden können. … weil sie wie eine süsse Erdbeere im bitter-faden medialen Einheitsbrei ist. … weil man damit politisch korrekt das Cheminéefeuer anzünden kann. … weil sie ein Stachel im Fleisch des Law-and-Order-Flügels der SP ist. … weil sie schon 1994 vor den Risiken des Derivatehandels gewarnt hat (und die aktuelle Krise erstaunlich genau vorausgesagt hat). … weil die WOZ sich zu 80 % aus LeserInneneinnahmen finanziert – das garantiert ihre redaktionelle Unabhängigkeit. … weil diese Zeitung keinem Medienkonzern, keiner Partei und keinem dubiosen Investor gehört – sondern den MitarbeiterInnen. … wil d WOZ e gueti Ziitig isch! … weil bei der WOZ zudem jede Zeile ihren Preis wert ist. … weil sich die WOZ jede Woche für eine bessere Welt engagiert. … weil die WOZ die Schreibwerkstatt der Schweiz ist. … weil keine andere Zeitung mit so wenig Mitteln so differenzierte Berichte liefert. … weil die WOZ mit etwas mehr Mitteln noch besseren Journalismus machen könnte. … weil die WOZ überhaupt zu wenig wahrgenommen und zitiert wird. … weil es gut für den Humor ist. … weil es die grauen Zellen anregt … weil der WOZ das Weltblatt «Le Monde diplomatique» gratis beigelegt wird … weil WOZ-Lesen Begeisterung für Subkultur weckt … weil das politische Bewusstsein dann endgültig wach wird. … weil man endlich lesen darf! … weil es LeserInnen frecher macht. … weil die WOZ das Binnen-I erfunden hat. … weil die WOZ sich in Hintergründen auskennt. … weil die WOZ den schönsten Redaktionshund hat. … weil sie den Dingen dort auf den Grund geht, wo andere nur dranbleiben. … weil Dinge neu zu denken sexy ist. … weil die Woche erst losgeht, wenn die WOZ im Briefkasten ist. … weil la crise existe. … weil la crise existe immer noch. … weil sie im Zug nicht auf den Sitzen herumliegt. … weil die WOZ Seiten sinnvoll füllt und so Papier, Wasser und Farbe spart. … weil die WOZ für die LeserInnen schreibt und nicht für die Werbewirtschaft. … weil nicht alles in der Schweiz feige ist. … weil kritisch sein keine Haltung, sondern eine Wochenzeitung ist. … weil Sie in der WOZ lesen können, was die anderen Zeitungen vergessen haben. … damit Sie die «Weltwoche» nicht mehr lesen müssen. … weil sie die besten AuslandskorrespondentInnen hat. … weil sie die schönsten Aufschlagsseitenkarikaturen hat. … weil die Palme Olaf Wasser braucht. … weil es Mut braucht, WOZ-Thesen zu vertreten. … weil ich doch nicht blöd bin. … weil die WOZ die Zukunft mitdenkt. … weil die WOZ die UBS noch nicht übernommen hat. … weil die WOZ nur in Zürich sitzt, aber über den Rest der Welt schreibt. … weil die WOZ Aale liebt und auch Wahlen. … weil die WOZ eine Sportseite hat, die auch Nicht-SportInteressierte interessiert. … weil ich die Welt Woche für Woche besser verstehen lerne. … weil die WOZ die schönste Werbung macht. … weil Sie bei uns finden, was Sie schon immer über die Welt wissen wollten. … weil die WOZ die Wahrnehmung schärft. … weil bei uns noch recherchiert wird. … weil die WOZ Doping für Ihren Geist ist. … weil sie das Gelbe vom Ei ist. … weil es nur 235 Franken kostet, sich für ein ganzes Jahr eine eigene Meinung zu leisten.
kultur
Das Ungeschlecht Hellblau oder rosa? – Beides. Jeffrey Eugenides’ Roman «Middlesex» beschreibt ein Leben zwischen den Geschlechtern. Die Kategorien fallen zugunsten der Menschlichkeit. Von Stefanie Heine «Ein Junge!» – der Ruf schallte durch den Raum, hinaus in den Flur und über den Flur ins Wohnzimmer, wo die Männer Politik diskutierten. Diese Szene aus «Middlesex» spielt sich nicht wie zu erwarten nach der Geburt eines Kindes ab.
Der Silberlöfffel irrt Vielmehr beinden wir uns im Elternhaus des Protagonisten – bevor er überhaupt auf der Welt ist. Gerade hat die griechische Grossmutter Desdemona ein besonderes Ritual vollzogen: Mit Hilfe eines alten Silberlöffels, der an einer Schnur hängend über dem Bauch der schwangeren Mutter pendelt, sagt Desdemona das Geschlecht des ungeborenen Kindes voraus. Als die Verkündung das Wohnzimmer erreicht, reagiert Vater Milton prompt. Der Löffel, der bisher für 23 richtige Prophezeiungen verantwortlich war, muss diesmal falsch liegen. Warum? Weil die Wissenschaft es so besagt. Mittels Temperaturkontrolle, einer Methode über die Milton in einem Fachartikel erfahren hat, versuchten die Eltern, das Geschlecht des Kindes zu beeinlussen. Beide wünschten sie sich ein Mädchen. Wie sich herausstellen soll, haben sowohl Wissenschaft und Aberglauben gleichermassen Recht und Unrecht. Denn das Kind, genannt Calliope oder Cal, ist zugleich Mann und Frau und doch keines von beiden. Cal ist intersexuell: umgangssprachlich ein Zwitter, medizinisch gesehen ein Pseudohermaphrodit mit XY Karyotyp. Sich allzu sehr auf diese Bezeichnungen zu konzentrieren, birgt allerdings eine Gefahr, in die Cal selbst läuft: Um die medizinischen Terme zu verstehen, die der Arzt auf sie anwendet, durchkämmt Cal das Webster Wörterbuch, immer in der Hoffnung, herauszuinden, wer oder was sie ist. Dabei gelangt Cal von «Hypospadie» über «Eunuch» zu «Hermaphrodit» und endet schliesslich bei «Monster». Um sich ein Bild von Cal zu machen, das über solch limitierte und irreführende Kategorien hinausgeht, ist es nötig, mehr über die Familiengeschichte zu erfahren.
demona sind sich sehr nahe, sie teilen ihr Leben miteinander und in ihrer jugendlichen Naivität verlieben sich die beiden. Ob es sich dabei um das schicksalhafte Werk von Eros, oder um Hirnchemie handelt, können weder das Paar noch die Leser entscheiden. Es bleibt keine Zeit, das zu entscheiden, denn der Krieg macht keinen Halt vor dem persönlichen Dilemma. Die griechische Armee, die das Gebiet besetzt, wird von den Türken angegriffen und die griechischen Anwohner müssen liehen. In den Wirren der Flucht, die Desdemona und Lefty auf ein Boot nach Amerika führt, inszenieren die Geschwister ein Rollenspiel, an das sie bald selbst glauben und auf dem sie eine neue Identität aufbauen. Desdemona und Lefty haben das Boot in Kleinasien als Bruder und Schwester betreten und
Literatur Verlag: rororo Taschenbuch, 736 Seiten, € 9.95
Bild www.rowohlt.de
Griechischer Sündenfall Cals Genkombination hat einen weiten Weg hinter sich und reicht über eine Kette von Zufälligkeiten und unberechenbaren Ereignissen zurück nach Kleinasien ins Jahr 1922. Dort leben Cals Grossmutter Desdemona und ihr Bruder Lefty zufrieden auf einer Seidenfarm, bis die unvorhergesehenen Geschehnisse ihren Lauf nehmen. Lefty und Des-
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Wer nicht passt, wird angepasst
Autorin Redaktorin Stefanie Heine (26) aus Zürich studierte Englisch, Philosophie und Komparatistik. Sie ist nun Doktorandin in englischer Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Zürich.
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Eines davon ist Calliope, geboren im Januar 1960 in Detroit, als Mädchen. Wie der erste Satz des Romans uns verrät, wird Cal 1974 nochmals geboren werden, in einer Notfallstation in Michigan, als Junge. Doch bis dahin muss noch viel geschehen in Cals Lebensweg. Dass dem schrulligen Hausarzt der Familie die Beschaffenheit von Cals Geschlechtsorganen entgangen ist, hat mehrere Gründe. Im Moment ihrer Geburt kam der Arzt zum ersten Mal seiner späteren Ehefrau näher, was seine Aufmerksamkeit vom Baby abzog. Später machte sich sein Alter bemerkbar und überhaupt ist es einfacher, Dinge so zu sehen, wie man sie erwartet – Calliope ist ein Mädchen. Und tatsächlich, Cal entspricht in vielen Hinsichten der Tochter, die sich ihre Eltern gewünscht haben: sie ist sensibel, setzt sich für den Familienzusammenhalt ein, spielt mit Puppen und interessiert sich später für Mode und Make-up. Calliope durchlebt die Hölle vieler Teenager: Verwirrung über die Entwicklungen des eigenen Körpers und das Erwachen der Sexualität, Kampf um Anerkennung im Freundeskreis, das Gefühl, nicht verstanden zu werden und Unsicherheit. Die Heranwachsende ist darüber beunruhigt dass sie ihre Periode nicht bekommt, ihre Brüste lach bleiben und sie sich mehr für Mädchen als für Jungen interessiert. Klar ist ihr auch, dass ihr Körper nicht gleich ist wie der ihrer Freundinnen und sie ist darauf bedacht, sich nie vor anderen Mädchen umzuziehen. Allerdings soll sich Cals Intersexualität erst einiges später durch einen Zufall herausstellen. In den Ferien macht die 14-jährige Calliope ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol und Drogen, schläft mit einem Jungen und erlebt eine Romanze mit einem Mädchen. All dies führt zu einem grotesken Unfall. Im Krankenhaus dann wird festgestellt, dass das Mädchen mit den Prellungen medizinisch gesehen kein Mädchen ist. Vor den Kopf gestossen fährt Cal zusammen mit ihren Eltern nach New York zu einem Spezialisten, der nach wochenlangen Untersuchungen zum Schluss kommt, dass Cal aufgrund ihrer Erziehung als Mädchen sich wie eines verhält und auch ein solches bleiben soll. Eine kleine Operation soll der Geschlechterambiguität ein Ende setzen und Cal erlauben, ein «normales» Leben zu führen – dass dabei Cals sexueller Erregbarkeit für immer ein Ende gesetzt wird, erscheint dem Arzt nebensächlich. Als Cal jedoch einen Blick auf ihre Krankenakte erhascht und dort liest, dass sie aufgrund ihrer Genkombination «eigentlich» als Junge gelten würde, sucht sie das Weite. Die langen Haare abgeschnitten und das Kleid mit Hosen ausgetauscht, gelangt Cal schliesslich per Anhalter nach San Francisco.
Kampf der Götter gegen die Gene Allerdings trügt der Schein, nun die «wahre» Identität gefunden zu haben. Dass die Gene Cal als Mann bestimmen, bedeutet nicht, dass er sich «als Mädchen» jemals deplaziert gefühlt hätte. Mit ironischer Distanz kommentiert Cal, dass im zwanzigsten Jahrhundert die alte griechische Auffassung des Schicksals in die Gene verlegt worden ist. Gleich am Beginn des Romans, nachdem Cal die Muse anruft, über die Mutation seines fünften Chromosoms zu singen, entschuldigt sich der Erzähler für seine homerisch angehauchte Sprache – auch diese sei genetisch veranlagt. In «Middlesex» sind Gene genauso wenig zwingend wie das Schicksal. Das Augenzwinkern, mit dem Cal sowohl biologischen Determinismus als auch eine mythologische Prädestination betrachtet, bedeutet weniger, dass er ihnen keine Macht zuschreibt, als dass er sie als absolute Wahrheiten ablehnt. Auch der in den 1970er Jahren populären Auffassung, dass Menschen ausschliesslich durch Erziehung und soziales Umfeld bestimmt sind, steht Cal kritisch gegenüber. Dies müsste für ihn nämlich heissen, ein «Mädchen» zu sein. Während die IntersexuellenBewegung sich zwischen Konstruktivismus und Essentialismus spaltet, entscheidet sich Cal weder für die Meinung, dass es ein wahres, angeborenes Geschlecht gibt, das entschlüsselt werden soll, noch für die Idee einer rein gesellschaftlich konstruierten Geschlechtsidentität.
People like everybody else Zum ersten Mal auf sich allein gestellt, geniesst Cal in San Francisco nicht nur die Freiheit, sich in Restaurants zwei Nachspeisen zu bestellen, sondern lernt auch eine wichtige Lektion: «Biology gives you a brain. Life turns it into a mind.» Nachdem er sich einige Zeit in einem Strip-Schuppen als sexuelle Kuriosität zur Schau stellte und dabei seine erste intersexuelle Freundin kennen lernte, kehrt Cal nach Hause zurück. Die Familie ist nicht nur durch die Veränderung der verlorenen Tochter, sondern auch durch den tragischen Unfalltod von Milton durchrüttelt. Der Verlust seines Vaters und die Konfrontation mit seinem lange abwesenden Bruder, seiner verwirrten Grossmutter und seiner trauernden Mutter zeigen Cal, dass seine Gender-Identität zweitrangig ist. Innerhalb der Familie ist Cal derselbe Mensch wie vor seiner «Flucht» und der zweiten Geburt als Junge. Die Probleme und Herausforderungen, denen er sich im Leben zu stellen hat, gehen weit darüber hinaus, Mann, Frau oder keines von beiden zu sein. Eugenides’ Roman bemüht sich vor allem um die Darstellung von Menschen und ihren Geschichten. Ganz im Stil eines griechischen Epos verfolgt der Autor die Entwicklung einer Familie über drei Generationen. Wie Achilles oder Odysseus hadern die Protagonisten mit den Ereignissen, denen sie auf
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werden es als verheiratetes Paar verlassen. Als solches leben sie dann in Amerika, sie haben Kinder und schliesslich Enkelkinder.
ihrer langen Lebensreise ausgeliefert werden. Allerdings ist es kein von Göttern festgelegtes Schicksal, sondern die Willkür des Daseins und die unbestimmbaren Spielarten der Welt, mit denen die Charaktere in «Middlesex» zurechtkommen müssen. Wenn Cal bemerkt, dass Hermaphroditen Menschen wie alle anderen sind, so geht es dabei um diesen permanenten Kampf mit der Zufälligkeit des Lebens. Menschlichkeit ist in diesem Sinne nicht als Universalität zu verstehen, die besagt, dass alle gleich sind. Vielmehr sind es die Differenzen, welche Normalität zu einem hinfälligen Begriff verkommen lassen, die Geschichten, die Menschen prägen und individuell machen, die es nachzuvollziehen und zu erzählen gilt, um einen Raum für Verständnis und Respekt zu schaffen.
GLORY HAZEL goes Public 29. Oktober 2009 – 20.00 Uhr
ENGLAND Wer in London beim Akt auf einem abgestellten Motorrad erwischt wird, landet hinter Gittern. Auf der Insel auch verboten: One Night Stands! Wer eine fremde Frau um Sex bittet, kann mit einer Geldstrafe belegt werden oder muss für drei Monate ins Gefängnis.
Spiegelgasse 1 - 8001 Zürich
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«Ein Virus, das gesund hält» Als in Seminarsälen noch die Männer den Ton angaben, begannen Frauen ihre Stimmen zu erheben. Die Zeitschrift ROSA wurde zu ihrem Sprachrohr.
Was wolltet ihr mit der Zeitschrift erreichen, als ihr sie 1991 gegründet habt? Welches waren die Themen, die euch bewegten? Iris: Im Untertitel der ROSA, wo heute «Zeitschrift für Geschlechterforschung» steht, war am Anfang «Zeitschrift der Historikerinnen-Gruppe» zu lesen. Entstanden ist die ROSA 1991 nach einer Frauenvollversammlung am Historischen Seminar. Drei Frauen hatten diese initiiert und riefen dort dazu auf, eine Zeitschrift zu gründen: von Frauen, für Frauen und Männer. Das hatte einen starken politischen Anspruch. Wir hatten damals keine weiblichen Vorbilder an der Uni. Auch eine Institutionalisierung von Frauengeschichte oder Gender Studies war noch in weiter Ferne. Wir wollten nicht nur wissenschaftliche Themen auf die Agenda setzen, sondern unipolitisch etwas verändern. Für mich persönlich war der Frauenstreiktag im Juni 1991 ein unglaublich prägendes Erlebnis, vorher war ich uni-politisch kaum engagiert. Wir sind als grosse Uni-Gruppe an die Demo gegangen. Die Frauenvollversammlung fand dann im Herbst statt, als das Semester wieder angefangen hatte. Durch den Frauenstreik wurde an der Uni eine spürbare Politisierung ausgelöst.
Wie versteht ihr denn heute die Aufgabe der ROSA? Was sind eure Themen? Jasmine: Wir befassen uns mit Gender-Themen aller Art, das ist eine neutrale Kategorie. Wir haben jetzt auch Männer in der Redaktion, die ROSA ist keine reine Frauenzeitschrift mehr. Wir versuchen die Zusammenarbeit in der Redaktion bewusst möglichst interdisziplinär zu gestalten. Auch die Artikel wählen wir nach diesem Kriterium aus. Jede Ausgabe hat ein Schwerpunktthema. In der aktuellen Nummer ist dies das Thema «Grenze». Neben den Beiträgen zum Themenschwerpunkt ist aber immer auch Raum für Artikel, die sich auf allgemeine Weise oder mit aktuellem Bezug mit GenderFragen auseinandersetzen. Dass ich bei der ROSA
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gelandet bin, war ein Stück weit ein Zufall. Die Thematik hat mich schon länger interessiert und politisch aktiv war ich eigentlich auch schon immer. Eine Freundin war bereits Mitglied der Redaktion, sie hat mich dann überzeugt, mich ebenfalls anzuschliessen und bisher habe ich es nicht bereut.
Wie ist die Zeitschrift zu ihrem Namen gekommen? Worauf bezieht sich «ROSA»? Iris: So genau weiss ich das nicht. Für mich war es immer Rosa Luxemburg. Sie wurde, wie es ein Journalist in der «Monde Diplomatique» kürzlich ausgedrückt hat, ermordet aber ist unsterblich. Das passt zur Zeitschrift. Auf jeden Fall inde ich es schön, dass der Name über all die Jahre beibehalten wurde. Jasmine: Rosa ist ja als Farbe auch extrem stark mit dem Geschlechterthema assoziiert. Der Titel ist vielschichtig, darum inde ich ihn super. Wie lief der organisatorische Aufbauprozess der Historikerinnen-Gruppe ab? Iris: Tanja, Nadja und Saschi, die zur Versammlung aufgerufen hatten, haben die erste Nummer der ROSA gemacht. Etwa 40 Frauen sind ihrem Aufruf gefolgt und kamen in der «Oase» zusammen – mit Wein und Chips und überquellenden Aschenbechern. Dort konnten die drei Frauen uns dann zeigen, was sie sich etwa vorstellen. Den Namen hatten sie der Zeitschrift schon gegeben, auch der Schriftzug war schon entwickelt. Sie suchten dann Frauen, die sich in verschiedenen Arbeitsgruppen innerhalb der Historikerinnen-Gruppe engagieren wollten. Die Zeitschrift hat mich gleich angesprochen. Zum einen wollte ich wissen, wie man so eine Zeitung macht und zum andern habe ich mich über die Strukturen an der Uni geärgert: über das Fehlen von Professorinnen und die lächerlich additiven Methoden, mit denen neue Themen eingebracht wurden. Die Professoren waren allmählich unter Zugzwang geraten, gewisse Fragen, die im angelsächsischen Raum schon länger im Gespräch waren, auch in Zürich aufzunehmen. Im Seminar wurden dann lange Themenlisten für die schriftlichen Arbeiten verteilt und ganz unten auf diesen Listen war noch ein Schnipsel dazugeklebt: «Die Frau in der Französischen Revolution.» Oder im Altertum: «Die Frau in der römischen Geschichte.» In diesem naiven Stil wurde das abgehandelt. Als dann die Zeitschrift an der Vollversammlung präsentiert wurde, war mir klar, dass ich mich in dieser Form engagieren wollte. Jasmine: Leider ist es heute oft noch genau so bei
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Von Urs Güney Was die beiden Frauen trennt, sind zwei Jahrzehnte. Gemeinsam ist ihnen ihr Interesse an Genderfragen und ihr Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit. Iris Blum, 43, arbeitet als freischaffende Historikerin und war von der Gründung der Zeitschrift 1991 bis 1994 Redaktorin bei ROSA. Jasmine Keller ist 23, studiert an der Uni Zürich Germanistik und ist seit rund eineinhalb Jahren Redaktionsmitglied. Im Gespräch mit Zoon Politikon erzählen sie über Geschichte und Gegenwart der ROSA.
kultur Zwei «Generationen», ein Projekt: Iris Blum und Jasmine Keller.
der Themenwahl. Jetzt wird es einfach unter dem Titel «Der Gender-Aspekt» abgehakt, damit man darüber auch noch etwas gesagt hat im Seminar. Viel zu selten wird dieser Gender-Aspekt aber als eigenständige und übergreifende Perspektive verstanden. Erst seit einem Jahr ist es in Zürich überhaupt möglich, Gender Studies zu studieren. Aber auch das nur im Master als Nebenfach. Es ist noch immer nicht alles so, wie ich es gern hätte.
Mit welchen Mitteln habt ihr denn versucht, auf diese von Männern dominierten Strukturen des Historischen Seminars etwa einzuwirken? Iris: Wir haben es immer wieder zum Thema gemacht im Fachverein und im Mittelbau, bei den Assistierenden. Bei Berufungen haben wir versucht die Studierenden zu mobilisieren. Sie sollten wirklich hingehen zu den Probevorlesungen und ihre Meinung einbringen. Dann hat auch ein grosses Empowerment stattgefunden unter den Frauen. In Seminaren waren die Männer oft etwas mutiger und dominierten die Diskussionen. Wir haben gelernt, uns als Frauen gegenseitig zu unterstützen. Damit es nicht heisst: «Oh, jetzt kommt die wieder mit ihrem Fokus», wenn dann einmal eine Frau etwas sagt. Heute ist das vielleicht alles nicht mehr nötig. Auch feministische Linguistik, war zu unserer Zeit ein grosses Thema: «Wer spricht eigentlich? In wessen Namen?» Ich glaube, heute ist es selbstverständlich, dass man eine geschlechtergerechte Sprache benutzt. Jasmine: Gerade in diesem Bereich sehe ich aber ein wenig die Gefahr, dass man es beim Erreichten bewenden lässt. Dass man sagt: «Jetzt haben wir das mit der geschlechtergerechten Sprache einmal durchdiskutiert auf allen Ebenen und damit lassen wir es jetzt gut sein.» Natürlich hat sich viel ver-
ändert. Aber Männer sind im Gesprächsverhalten immer noch dominanter. Das liegt, glaube ich, in den anerzogenen Geschlechterrollen. Ich inde es wichtig, dass wir uns nach wie vor für diese Dinge einsetzen.
Die ROSA ist also nach wie vor auch von politischen Zielen geprägt? Jasmine: Es gibt Dinge, die haben wir nie abgemacht. Aber sie waren trotzdem immer allen klar. Dass wir politisch links stehen zum Beispiel. Man merkt das wohl beim Lesen des Heftes, aber wir haben kürzlich festgestellt, dass da immer ein unausgesprochenes Einverständnis herrschte. Euer Redaktionsalltag ist also geprägt durch stillschweigendes Einverständnis? Jasmine: Dass wir heftig diskutieren, kommt schon auch vor. Im Redaktionsalltag, der Layout-Woche zum Beispiel, bleibt dafür natürlich nicht mehr viel Zeit. Die Produktion der Zeitschrift erfordert dann unsere ganze Energie. Wenn aber die Wahl eines Themas für die nächste Ausgabe ansteht, geht es auch ganz schön kontrovers zu und her. Gewisse Themen bleiben umstritten. Am «Pop» zum Beispiel, dem Schwerpunkt unserer letzten Ausgabe, scheiden sich die Geister. Auch am Thema «Religion» reiben wir uns immer wieder. Vielleicht verarbeiten wir ja diese Spannung in einer unserer nächsten Nummern. Wie beurteilt ihr die thematische Entwicklung der ROSA in den letzten zwei Jahrzehnten? Gibt es Inhalte, die in den Hintergrund getreten, oder Themen, die neu dazu gekommen sind? Iris: Stärker als die Themen hat sich die äussere Aufmachung geändert. Die ist heute sehr professionell. Bei uns war vieles noch Handarbeit: aus-
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«Es gibt kaum Themen, die nicht geschlechterrelevat sind.»
Jasmine: Heute schreiben wir wirklich nur noch Weniges selbst. Das hat auch etwas mit der Breite zu tun, die wir anstreben.
Bilder Urs Güney
Autor Redaktor Urs Güney (30) aus Zürich studiert im 16. Semester Ger-
Gibt es denn wiederkehrende Themen in der ROSA, die auch nach gut 20 Jahren von ungebrochener Aktualität sind? Iris: Ein absoluter Dauerbrenner ist das Thema «Körper». In irgendeiner Form taucht dieser Begriff immer wieder auf. Jasmine: Das liegt wohl daran, dass sich das Grundthema, die Geschlechterfrage, auch nicht verändert hat. Iris: Die Kategorie Gender ist wohl ohne einen Bezug zum Körper kaum denkbar.
manistik, Politikwissenschaft und Geschichte des Mittelalters an der Universität Zürich.
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Welche Bedeutung hat die ROSA für euch persönlich? Iris: Für mich wurde die ROSA zu einem Stück Hei-
mat. Am Anfang des Studiums – ich bin aus der Innerschweiz gekommen – war ich nicht die Mutigste. In einem Seminar mit 80 Leuten eine Meinung zu äussern, braucht schon etwas Mut. Aber meinen Standpunkt zu vertreten – diesen Anspruch hatte ich immer an mich. Ich habe mir die kleine, informelle Gruppe gesucht, wo der Meinungsbildungsprozess stattinden konnte. Auch diskutieren und argumentieren lernte ich da. Das gab mir das Gefühl, endlich an der Uni angekommen zu sein – vielleicht war ich damals sogar politischer als heute. Das Engagement für die ROSA war auf jeden Fall identitätsstiftend. Jasmine: Das war bei mir ähnlich. Vorher habe ich mich nicht wirklich zu Hause gefühlt an der Uni. Der Wechsel von einer Schulklasse in den Studienbetrieb ist ja nicht einfach. Durch die ROSA habe ich eine Gruppe gefunden, in der wir oft einer Meinung sind. Das muss natürlich nicht immer sein. Aber eine Gruppe von Leuten zu inden, die grundlegende Ansichten teilen, das gibt schon Rückhalt. Iris: Es war so eine Art Lebensschule. Gewisse Sachen hat man irgendwann ganz selbstverständlich internalisiert. Als mich der Verein feministischer Wissenschaft einmal angefragt hat, warum mir die langjährige Mitgliedschaft in ihrem Verein noch immer wichtig sei, habe ich geantwortet: «Einmal Gender, immer Gender.» Das kann ich immer noch unterschreiben, auch wenn ich es politisch nicht mehr so auf der Stirn trage wie damals. Als ich zur Vorbereitung für dieses Gespräch alte ROSA-Ausgaben durchblätterte, musste ich schmunzeln, wie unbedarft ich manchmal von patriarchalen Strukturen geschrieben hatte. Wie der violette Feminismus der 68er halt. Aber ich glaube, wenn man einmal für die Kategorie Gender sensibilisiert ist, bringt man das nicht mehr los. Das ist wie ein Virus. Eines aber, das wach und gesund hält. Das hat sich beispielsweise auch in der Arbeit für mein letztes Buch niedergeschlagen. Jasmine: Ja, das stimmt. Ich kann auch kaum eine Seminararbeit schreiben, ohne automatisch irgendwann wieder den Genderaspekt zu beschreiben. Ausser bei der letzten, da bin ich etwas davon losgekommen. Iris: Über was hast du denn da geschrieben? Wasserleitungen im Altertum? Also ich meine, für mich gibt es kaum Themen, die nicht genderrelevant sind.
Gibt es intensive Erlebnisse oder schöne Erinnerungen, die ihr mit eurem Engagement für die ROSA verbindet? Jasmine: Für mich ist das eher ein Grundgefühl. Mit den anderen Redaktorinnen und Redaktoren verbindet mich mehr als nur die Zusammenarbeit in den Redaktionsräumen. Es sind tolle Leute und der Austausch mit ihnen ist mir sehr wichtig. Iris: Ich habe schöne Erinnerungen an die Zeit bei
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schneiden, aufkleben, kopieren. Und am Schluss haben wir noch alle Exemplare von Hand gebostitcht. Ausserdem ist die ROSA heute natürlich inhaltlich sehr dicht. Für mich ist die Lektüre oft eine Weiterbildung: das Futter, das ich suche, seit ich von der Uni weg bin. Wir hatten am Anfang noch sehr viele Veranstaltungshinweise drin. Die Zeitschrift war ja zunächst eher ein internes Papier. Sie wurde anfangs jedenfalls noch nicht in Buchhandlungen oder am Kiosk verkauft. Jasmine: Habt ihr eigentlich am Anfang alle Artikel selbst geschrieben oder auch schon externe Experten angefragt? Iris: Wir haben auch ausserhalb gesucht. Wir machten jeweils einen Aufruf, interessante Beiträge für das Heft einzusenden. Wenn jemand gerade an einer spannenden Seminararbeit war, die Erkenntnisse einer Lizarbeit präsentieren wollte oder einen Kongress besucht hat. Auch Assistentinnen haben wir immer wieder angefragt.
Wie reagiert euer persönliches Umfeld auf euer Engagement bei der ROSA? Jasmine: Ich bin nie auf grosse Reaktionen gestossen. Mein Vater zieht mich manchmal etwas auf damit. Aber er meint das nicht böse, meine Eltern lesen die Rosa auch. Sie sagen zwar ab und zu «Da chum i jetzt nöd drus.» Aber sie versuchen es wenigstens. Es gibt Redaktionsmitglieder, die religiöse und wertkonservative Angehörige haben, bei welchen ein solches Engagement natürlich nicht so gut ankommt. Iris: Ich habe nie negative Erfahrungen gemacht, aber ich habe mich auch immer etwas im geschützten Rahmen bewegt. Meine Eltern in der Innerschweiz haben gar nicht so recht gewusst, was ich hier in Zürich eigentlich so mache. Die sagten dann nur: «Ah, jetzt hat sie da wieder irgend so ein Projekt am Laufen.»
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der ROSA. Zusammen zu sein, sich auch mal aneinander zu reiben und gemeinsam ein Projekt zu haben war sehr anregend – auch, dass aus dem Projekt dann so schnell etwas Handfestes geworden ist. Rasch ist aus dem Projekt auch ein Produkt geworden. Nur ein Erlebnis, das ich mit der ROSA verbinde, war ziemlich hart, ich werde das wohl nicht mehr vergessen. Viele der Redaktorinnen haben zusammen ein Kolloquium besucht über «Jüdische Frauen 1871-1941». Bei der Schlussdiskussion am Ende der Veranstaltung sagte dann ein Teilnehmer, dass in einzelnen Vorträgen antisemitische Vorurteile zum Ausdruck gekommen seien. Wir waren schockiert über diese Feststellung und keine von uns konnte danach unbeschwert in die Sommerferien gehen. Wir haben dann beschlossen, diesen Konlikt in einer ROSA-Sonderausgabe zu verarbeiten. Bis heute ist das, glaube ich, die einzige Sondernummer geblieben. Aber das war nötig, denn mir sind dabei die Augen aufgegangen. Auf gewisse Fragen habe ich zwar noch heute keine Antwort. Aber seit dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich für das Phänomen Antisemitismus ebenso sensibilisiert wie für Genderfragen.
«Die ROSA ist keine reine Frauenzeitschrift mehr.»
in dem wir zusammen mit anderen Interessierten Grundlagentexte der Gender Studies erarbeiteten. Mit der Bologna-Reform ist das aber weggefallen. Eine Idee ist, etwas in dieser Art neu zu lancieren. Auch ein Treffen für Leute mit Interesse an GenderFragen wäre wünschenswert. Es belegen ja nicht alle, die am Thema interessiert sind, auch das Fach Gender Studies. Deshalb braucht es ein Forum, wo der Austausch stattinden kann. Dieses Forum zu bieten war immer ein Ziel der ROSA und bleibt es auch.
ZU DEN PERSONEN
Iris Blum arbeitet als freischaffende Historikerin. Nach dem Abschluss ihres Studiums der Geschichte, Ethnologie und Volkskunde 1996 war sie als Archivarin für die Zürich Versicherung und später für den Kanton Appenzell Ausserrhoden tätig. Gerade von einem Kulturstipendium der Landis&Gyr aus Berlin zu-
Wie sieht die Zukunft der ROSA aus? Was sind aktuelle Projekte? Jasmine: Unsere nächste Ausgabe ist die Rosa 40, unsere Jubiläumsnummer. Da haben wir das Thema «Exotik». Von FemWiss, dem Verein Feministischer Wissenschaft Schweiz, haben wir kürzlich einen Preis erhalten. Dieser würdigt unsere Leistung, universitäres Wissen auf allgemein verständliche Weise zu vermitteln. Einen Teil des Preisgelds werden wir wohl investieren, damit diese Jubiläumsausgabe etwas ganz Spezielles wird. Ausserdem sind wir in Kontakt mit dem Fachbereich Gender Studies und prüfen verschiedene Formen der Kooperation. Früher haben wir ein Kolloquium angeboten,
rückgekehrt, wohnt sie nun wieder in Zürich. Zuletzt erschien im Appenzellerverlag ihr Buch «Olga und Hermann Rorschach. Ein ungewöhnliches Psychiater-Ehepaar».
Jasmine Keller ist 23 und studiert im 8. Semester Germanistik, Pädagogik und Populäre Kulturen an der Universität Zürich. Neben dem Studium und der Tätigkeit für die ROSA schreibt sie für die Aargauer Zeitung.
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«Oversexed and underfucked» Spontaner Sex, prickelnde Affären oder wahre Liebe – Ariadne von Schirach kennt sich aus. In «Der Tanz um die Lust» nimmt die junge Autorin ihre Leser mit auf die Pirsch durch allerlei Beziehungskisten. Von Sarah Schlüter Porno, Erotik, Liebe, Geilheit, Erfüllung. Ist das mittlerweile alles das Gleiche? Gibt es sie noch, die geheimnisvolle, prickelnde Erotik, die wir aus alten Liebesromanen und Rosamunde Pilcher Filmen kennen? Was kann noch als sexy bezeichnet werden, wenn sich alles um uns herum mit diesem Attribut schmückt? Von der Margarine bis zur Sonnenbrille – Hauptsache sexy, trendy und bitte noch mit ausreichend individuellem Touch. Ariadne von Schirach nimmt den Leser mit auf ihre Entdeckungstour, die sich rund um diese Fragen dreht und sich detailliert mit der «Verbunnyisierung der Welt» beschäftigt.
Pimping myself
Verlag: Goldmann 384 Seiten, CHF 27.50
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dicksten Dinger und bleiben frustriert auf der Strecke. «Oversexed and underfucked» nennt Ariadne von Schirach das treffend. Da verwundert weder die wachsende Frequentierung von Kuschelparties oder Online-Flirtcommunities noch der inlationär ansteigende Konsum von Pornoilmen oder pornograischen Videospielen. Befriedigung ist auch hier nur begrenzt möglich, ist man doch ständig mit künstlichen Schönheitsidealen und einer absurden Vorstellung des «richtig guten Sex» konfrontiert – und damit automatisch wieder mit dem vermeintlichen eigenen Versagen. Dies produziert Menschen, die so sehr mit der Selbstoptimierung, mit dem «selfpimping» beschäftigt sind, dass sie gar nicht mehr fähig sind, andere zu begehren. Masturbation vor dem Spiegel statt echter Annäherung.
Porno versus Erotik Was bietet uns der Porno, das wir sonst nicht bekommen? Antworten indet von Schirach unter anderem am ersten Pornoilmfestival in Berlin, wo künstlerische Ansätze und Weiterentwicklungen zum Thema präsentiert wurden. Einige theoretische Annäherungen und auch neuartige Trends im Pornobusiness, etwa Maschinensexpornos, werden beschrieben. Die Faszination hat verschiedene Facetten, von der grundlegenden Erregung durch das Zusehen über bestimmte Fetisch-Formen bis hin zur Tatsache, dass beim Konsumieren eines
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Literatur
Sie ist Ende zwanzig, lebt in Berlin, liebt den mysteriösen Bann der Nacht und weist eine gewisse Lebenserfahrung auf, wenn es um spontanen Sex geht. Genau wie ihre fünf besten Freunde, allesamt hippe Berliner, die mit Kunst, Journalismus und DJing ihr Geld verdienen, kostet sie ihr junges Leben aus, wie es sich gehört. Kleine Anekdoten aus dem Alltag des Freundeskreises verbinden die verschiedenen Kapitel des Buches. Von den verschiedenen Statements über Pornos und deren richtigen Gebrauch bis zur Suche nach der wahren Liebe führt der rote Faden – kleine Abstecher zu Erinnerungen an wilde Drogenerfahrungen inklusive. Auch die unterschiedlichen Taktiken und Erfolgsquoten der Freunde, wenn sie sich nachts auf die «Jagd» nach dem schnellen Vergnügen begeben, inden Erwähnung. Da ist die erfolgreiche Aufreisserin, jedoch erfolglose Künstlerin SusiPop, der coole DJ Vince, König Gunter, der gelassene Journalist und Barkeeper und nicht zu vergessen Model Flexter sowie die Eisprinzessin, eine emotional erkaltete, aber umso attraktivere Fotograin. Zu sechst ziehen sie durch die Panoramabar und den Club der Visionäre und ganz nebenbei lernt der Leser deren verschiedene Charaktere und vor allem ihren unterschiedlichen Umgang mit dem Thema Sex und Liebe kennen. Sexy und trendy sind sie natürlich alle – doch von Schirach setzt sich auch damit auseinander, was dieser ewige Druck zur Sexiness mit den Menschen macht. Überall sind wir umgeben von Titten, Ärschen und Waschbrettbäuchen, stellt sie fest, «doch die Anteilnahme ist erkaltet. Nur die Erregung ist geblieben». Wohin mit all der Erregung, die Werbeindustrie, Musikvideos und Fernsehquiz in uns auslösen? Die wenigsten können mithalten im Wettlauf um den heissesten Hintern oder die
Jagdstrategien und Beuteschemen Und doch ist der schnelle Sex unverzichtbar für die sechs Freunde. Er muss ja auch nicht immer schlecht sein – im Gegenteil, er kann das angeschlagene Ego manchmal wieder richtig aufpolieren und wer weiss, vielleicht erlebt man ihn ja doch einmal, den «LCS» – Lifechanging Sex. Nicht nur nach diesem wird gejagd, auch nach dem richtigen Style, der schicksten Frisur und dem Traumjob. Die Beute wird ins Visier genommen, eingekreist und erlegt. «Denn darauf ist alle Jagd gerichtet. Das persönliche Begehren, der perfekte Moment. Der Triumph.» Auch Flexter, Vince und Co. haben mit den Tücken der Pirsch zu kämpfen. Amüsant werden die unterschiedlichen Jagdstrategien der Freunde analysiert und die verschiedenen Kategorien der potentiellen Beutetiere dargestellt. Da gibt es diejenigen, die in der «Flauschi-Falle» sitzen, sich mit dem eigenen «nicht hot genug sein» abgefunden haben und sich mit dem Ruf des Weicheis zufrieden geben. Auf der anderen Seite stehen die «metrosexuellen Narzissten», die ihre eigene Überlegenheit bewusst einsetzen und der Damenwelt die gutgebaute kalte Schulter zeigen. Von Schirach mag beide nicht, letztere haben aber unbestritten mehr Sexappeal in ihren Augen. Denn wer will schon ein Weichei? Die Geschlechterrollen werden im Buch bewusst nicht ausführlich diskutiert, denn die Genderdebatte indet sie «langweilig». Ausserdem muss man, nur weil man mittlerweile alle Möglichkeiten zur sexuellen Verwirklichung hat, noch lange nicht alle nutzen. Ein Mann soll sich denn auch ruhig mit männlichen Attributen schmücken, etwa ein grosses Motorrad
kultur
Sexilms keine eigene Leistung erbracht werden muss. Niemand schaut zurück, alles ist anonym und ungefährlich. Doch die Befriedigung durch Pornos hat ihre Grenzen. Annie Sprinkle, Künstlerin und einzige Pornodarstellerin mit Doktortitel ist überzeugt: «Die wahre Subversion des Pornos ist die Liebe.» So geht Von Schirach dann auch über zur Erotik, die oftmals gerade durch das Verhüllte erzeugt wird, durch das Geheimnisvolle, zur eigenen Phantasie. Erotik ist im Gegensatz zur Sexiness etwas Persönliches und Vielfältiges. Besonderheiten eines Menschen, Gesten, Geruch, meist sind es genau die Abweichungen von der Schönheitsnorm, die erotische Anziehung hervorrufen. Was also passiert, wenn das Geheimnis nach und nach gelüftet wird, alle Tabus gebrochen sind und uns nichts mehr überraschen kann, weil wir alles schon mal irgendwo gesehen haben? Und wie geht man mit Generationen von Jugendlichen um, die aufgrund völlig verzerrter Vorstellungen und riesigem Leistungsdruck ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Sexualität und ihrem Körper entwickeln? Gespickt mit Lied- und Filmzitaten wird die Besonderheit des Erotischen gegen das Pornograische und das Obszöne abgegrenzt.
fahren wie der heisse Paolo. Ist die Jagd auf freiem Feld trotz ausgefeilter Strategie erfolglos, bleibt noch das Internetdating, das die Autorin im Namen der Forschung selbstverständlich ausprobiert hat. Auf den unzähligen Plattformen indet man dann sicher das richtige Angebot, ob es sich dabei nur um «was zum icken» handelt, oder um die grosse Liebe, kann man selbst entscheiden. Mithilfe von Persönlichkeitsmatches wird der perfekte Partner unter Tausenden auserkoren. Das «self-pimping» erreicht natürlich im Internet seinen Höhepunkt. Die Preisgabe persönlicher Details auf Online-Plattformen und in Fernsehshows wie «MTV Dismissed» oder «Bauer sucht Frau» wandert stets auf einem schmalen Grat zwischen angemessen und einfach nur peinlich.
«Eros ist der letze Gott und die Romantik ist sein Parfüm» Was als amüsanter Einblick in das Leben einer Berlinerin auf der Pirsch begann, verändert sich gegen Ende in ein unerwartet philosophisches und schwärmerisches Essay. Die letzten Kapitel, die sich der Liebe widmen, sind gefüllt mit den Zitaten bekannter Denker und persönlichen Stellungnahmen. Zum Beispiel indet sich hier die Einsicht, dass wir uns endlich verabschieden sollten von der Idee der «Liebe fürs Leben». Die Liebe existiert, daran bleibt kein Zweifel, jedoch kann sie zu einem kommen, einige Jahre verweilen und dann wieder verblassen. Der Sex ohne Liebe ist zwar ein «angenehmer Sport», macht jedoch auf Dauer nicht glücklich. Schicksalhafte Begegnungen braucht der Mensch, Herzklopfen und Herzschmerz sind unverzichtbar. Leider wird die Liebe oft von Massenmedien und Popkultur verhunzt und so zum Teil ins Lächerliche oder Utopische gezogen. Dem kann nur mit persönlicher Hingabe und Aufrichtigkeit begegnet werden. Die unkonventionelle Anhängerin der Nacht und verschiedenster Rauschmittel offenbart sich plötzlich als verträumte Romantikerin. In einer Welt, in der älter werden ganz klar out ist und die Jugendzeit bis zum 40. Lebensjahr ausgedehnt wird, in der ausserdem das Angebot an einfach allem stetig wächst, fällt es schwer, Entscheidungen zu treffen und Lebenswege einzuschlagen. Stattdessen laniert man von einem Lebensstil zum nächsten, testet sich sexuell aus und darf auf keinen Fall irgendwas verpassen. Foucault sagt in «Sexualität und Wahrheit», dass Selbstbeherrschung geboten ist. Selbstbeherrschung verstanden als Sorge um sich selbst, als sorgfältiger Umgang mit den eigenen Ressourcen, Energien und Bedürfnissen. Von Schirach kommt zum Schluss, dass der allgegenwärtigen Pornograisierung und der Vermarktung eine gehörige Portion Individualismus entgegenzusetzen ist – eigener Stil, Persönlichkeit, Liebe zu sich selbst und der Glaube an die Poesie.
Autorin Redaktorin Sarah Schlüter (21) aus Zürich studiert im 5. Semester Politikwissenschaft und Literaturwissenschaften an der Universität Zürich.
Bild www.randomhouse.de/ goldmann
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Sex als Grenze der Macht Was hat italienische Politik mit Kafka zu tun? Elio Petris Meisterwerk über einen machtkranken Beamten liefert uns hierzu eine unterhaltsame Erklärung.
Macht und Unterwerfung
Autor Redaktor Stefan Klauser (26) aus Schlieren studiert im 12. Semester Politikwissenschaft, Filmwissenschaften und Völkerrecht an der Universität Zürich.
Bild www.lickr.com
Zum Film INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRA DI OGNI SOSPETTO Regie: Elio Petri Italien, 1970
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Hauptprotagonisten des mit einem Oscar ausgezeichneten Werkes sind ein sadistischer, namenloser Polizist und seine masochistische Liebhaberin Augusta Terzi. Am Tag der Beförderung vom Chef des Morddezernats zum Chef der Abteilung für politische Verbrechen, bringt der Beamte seine Liebhaberin beim Liebesspiel um. Daraufhin verteilt er seelenruhig Indizien in ihrer ganzen Wohnung und verschwindet. In der Folge wird klar, dass er diese Hinweise bewusst gestreut hat, um sich selbst zu beweisen, dass er die Macht hat, zu tun und zu lassen, was er will. Die Spuren werden sehr wohl entdeckt, ein Verdacht am hochgeschätzten Beamten kommt dennoch nicht im Geringsten auf. Sogar als er die Tat schlussendlich gesteht, glaubt ihm niemand auch nur ein Wort. Stattdessen werden Unschuldige verhört, gefoltert und eingesperrt. Jeder könnte es gewesen sein, ausser dem Mann, der das Gesetz repräsentiert, ja verkörpert. Diese Idee wäre ganz interessant, doch mit zunehmender Länge des Films kommt plötzlich eine neue Erklärung hinzu. Der Polizist wurde zu dieser Tat getrieben durch eine Trias aus Eifersucht, Komplexen und Machtverlust, allesamt ihre Ursache in Augusta Terzi habend. So wird klar, dass Terzi gleichzeitig auch Affären mit anderen Männern hatte, zum Beispiel einem jungen Kommunisten, der von der politischen Abteilung gejagt wird. Weiter
scheint Terzi im Polizisten einen Komplex wachzurufen, wenn sie ihn jeweils als Kind und als sexuell unfähig bezeichnet, was er nicht leiden kann («die Anderen sind Kinder, nicht ich!»). Zudem demonstriert Augusta ihm die Grenzen seiner Macht, war doch der sadistische Polizist gewohnt, dass er Tatverdächtige mit psychischer beziehungsweise physischer Gewalt zum Reden bringen konnte. Daraus bezog er sein Machtgefühl, das aber bei der masochistisch veranlagten Augusta nicht standhalten konnte, da sie im Gegenteil bei Bestrafung eine gewisse «Jouissance» empfand, eine Art niedrige Befriedigung. Diese Jouissance stellt Petri auch als Triebfeder der Gesetzesanwendung dar – anstelle einer auf formalen Fakten beruhenden Untersuchung zum Zwecke des gesellschaftlichen Wohles. Dieser neue Erklärungsstrang relativiert die These des perversen Selbstexperiments ein wenig: Das seltsame Verhalten des Beamten wird erklärt und die äusseren Einlüsse auf sein psychisches Gleichgewicht betont. Fabio Vighi, Dozent für italienische Studien an der Universität Cardiff, geht so weit, dass er diesen Wechsel zwischen den Antriebsgründen des Polizisten als die Schwäche von «Indagine» bezeichnet. Doch tatsächlich widersprechen sich die zwei Erklärungsansätze kaum: Die Demütigungen, die der Beamte erfährt, sind allesamt solche, die ihn in seiner Macht beziehungsweise seiner Kontrolle über andere einschränken. Der Kommunist Petri bezweckt damit wohl, einen Bogen zwischen gesetzlicher Repression und Faschismus zu schaffen. Dazu werden im Film auch immer wieder historische Vergleiche bemüht: «Caporetto», «Cadorna» sowie die Vorliebe des Beamten für den Namen «Panunzio». Zudem ist der Namen des Kommunisten, «Antonio Pace», sicherlich nicht zufällig gewählt. Insgesamt dürfte also der zusätzliche Erklärungsstrang die wenigsten Zuschauer tatsächlich stören.
Jesus Christus der Politik Es liegt nahe, dieser Thematik eine gewisse Aktualität zuzuschreiben. Der heutige italienische Premier ist für viele der Mann, der über dem Gesetz steht, auch wenn er immer betont, dass die Juristen ihm das Leben schwer machen. Berlusconis eindrücklicher Leumund: Zwei Verurteilungen mit anschliessender Amnestie wegen Meineid und Bilanzfälschung; fünf Freisprüche wegen Verjährung nach Schmiergeldzahlungen, Richterbestechungen und Bilanzfälschung; vier Freisprüche aus Mangel an Beweisen für die üblichen Delikte; drei Verfahren, die aufgrund seiner Immunität ausgesetzt wurden,
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Von Stefan Klauser Kafka hat einst gesagt: «Wie er uns auch erscheinen mag, ist er doch ein Diener des Gesetzes, also zum Gesetz gehörig, also dem menschlichen Urteil entrückt.» Diese Feststellung bildet sowohl das Schlusswort, als auch Hauptthema von Elio Petris «Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto» («Gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger»). Damit lässt sich der 1970 erschienene Film leicht in eine Reihe anderer Nach-68er-Filme in Italien einreihen, die oftmals die unerbittliche Macht der Justiz und deren weitgehend diskriminierende Anwendung bemängelten. Das Thema, so alt es auch sein mag, ist in Italien und andernorts noch immer aktuell, nicht zuletzt aufgrund des engen Verhältnisses von Justiz und Politik unter der derzeitigen italienischen Regierung. So traf Berlusconi sich etwa neulich mit einem besonderen Freund zum gemütlichen Abendessen: Einem Verfassungsrichter, der ausgerechnet mit der Prüfung eines Immunitätsgesetzes betraut ist, das für Berlusconi persönlich von enormer Bedeutung ist.
kultur Aus dem Film «Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto».
auch hier aufgrund der üblichen Delikte; nicht zuletzt sagten zwischen 1992 und 1994 diverse verhaftete Maiosi aus, dass sie im Auftrag Berlusconis gehandelt hätten. Kein einziges Mal wurde Berlusconi indes zu einer Strafe verurteilt. Letztes Jahr wurde in Italien ein Gesetz verabschiedet, das den vier höchstrangigen italienischen Politikern Immunität zusichert. Dieses Gesetz wurde verabschiedet, während gegen Berlusconi ein Verfahren wegen Korruption lief. Zudem ist der Premier seit Wochen in den Schlagzeilen, weil er angeblich junge Frauen für Nacktparties bezahlt haben soll. Es sieht so aus, als sei Berlusconi ein glühender Anhänger der Hobbes‘schen Prämisse, wonach der Oberherr den bürgerlichen Gesetzen nicht unterworfen ist. Für seine Anhänger ist Berlusconi über jeden Zweifel erhaben, denn er ist das Gesetz. Für seine Gegner – und ich bin mir sicher Petri würde auch dazuzählen – ist er aber nichts anderes als ein korrupter, seine Jouissance ebenfalls aus seiner schier unbegrenzten Macht beziehender Vertreter eines kranken Systems. Doch die beeindruckendste, ja fast beängstigende Parallele zwischen dem Polizisten und Berlusconi stammt von einer Aussage des Polizisten im Film, die Berlusconi 2006 sinngemäss übernimmt. Der machtbesessene Beamte im Film sagt: «Mein Gesicht wird zum Antlitz Gottes.» Berlusconi drückte es folgendermassen aus: «Ich bin der Jesus Christus der Politik.» Da wird es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die heutige italienische Verkörperung unbegrenzter Macht eine Neurose aufgrund der permanenten Machtsausübung ent-
wickelt, ähnlich derjenigen des Protagonisten im Film. Es sei denn, das italienische Volk kommt dem zuvor und wählt Berlusconi ab. Dies wäre jedenfalls im Sinne einer Hobbes‘schen Idee, dass Macht und Ehre des «Königs» ganz vom Vermögen und der Achtung des Volkes abhängen.
NEW YORK Wer sich auf der Straße in eindeutiger Weise nach Frauen umdreht, macht sich strafbar. Wer gegen dieses Gesetz verstösst, wird gezwungen, Scheuklappen für Pferde zu tragen, wann immer er spazieren geht. Weiterhin muss er eine Strafe von 25 Dollar entrichten. Die New Yorker Verkehrsbehörde hat entschieden, dass auch Frauen «oben ohne» U-Bahn fahren dürfen. Ein New Yorker Gesetz besagt, dass, wenn sich ein Mann mit freiem Oberkörper zeigen darf, einer Frau dasselbe Recht zugestanden werden müsse.
ILLINOIS Ein Gesetz des Staates Illinois besagt, dass alle weiblichen Singles männliche Junggesellen mit «Meister» anzureden haben.
WISCONSIN In Connorsville dürfen Männer ihr Gewehr nicht abfeuern, während ihre Partnerin einen Orgasmus hat.
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Familiäres Ambiente mitten in Zürich Keller62: 70 Klappplätze, 15 Zuschauer, 2 Kinder, 1 Schauspieler. In diesem kleinen, relativ dunklen Raum verbirgt sich einer der wohl charmantesten Theatersäle in Zürich.
Redaktorin Michèle With (23) aus Baden studiert im 5. Semester Publizistik und Kommunikation, Politikwissenschaft und Erziehungs-
Ein Lied sagt mehr als 1000 Worte
wissenschaften an der
So sitze ich nun auf der Publikumsseite des Raumes – logisch, könnte man denken, aber Sitzmöglichkeiten gibt es auch direkt auf der Bühne neben der gemütlichen Bar – und warte gespannt auf die abendliche Vorstellung. «b-seitig-T», so
Universität Zürich.
Bild Petra Vogel
Der Keller62 lädt zu abwechslungsreichem Theater ein.
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heisst das Programm. Es geht um Schallplatten, soviel ist mir bereits klar. Was mir jedoch bis zu diesem Zeitpunkt noch schleierhaft scheint, ist die Integration von Schallplatten in eine Theaterproduktion. Der Schauspieler Andrej Spednov kann mich eines anderen überzeugen. Er erzählt seine ganz persönliche Geschichte, und was wäre eine Erzählung ohne die passende Musik? Hier kommen die Schallplatten ins Spiel. Gezielt – mit einigen technischen Schwierigkeiten, die er mit Selbstironie wiederum in Szene setzt – verwendet er bestimmte Lieder, um seine Geschichte zu untermalen – ganz im Sinne von «Ein Lied sagt mehr als tausend Worte». Dazu liefert er gleichzeitig Hintergründe zu den Musikern und gräbt einiges aus, was die Zuschauer zum Staunen und Lachen bringt.
Keller62 bekommt ein neues Gesicht Nun ja, was im Keller62 geschieht, ist eine sehr alternative Art Theater zu machen, eben kein Mainstream. Hier indet man nichts, was man schon
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Autorin
Von Michèle With Als ich das Theater zum ersten Mal betrat, war ich sofort fasziniert von der lockeren Stimmung der leider nur spärlich erschienenen Zuschauer. Die kleine Kulisse, die das Theater bietet, ist auf keinen Fall negativ zu bewerten, da sie eine familiäre Stimmung schafft. Schaut man genauer hin, so ist zu beobachten, dass ein räumliches Gleichgewicht zwischen Bühne und Publikum herrscht. Im Gespräch mit Lubosch Held, dem künstlerischen Leiter, erfuhr ich, dass dies durchaus beabsichtigt ist. Um das Publikum so gut wie möglich in die Theaterstücke eintauchen zu lassen, ist diese Raumaufteilung ideal.
tausendmal gehört, gesehen oder gelesen hätte. So etwas erweitert den Horizont eines Menschen und ist nicht nur blosse Unterhaltung, die man zu einer Tüte Chips konsumieren kann. Im Keller62 wird noch Kunst produziert und vor allem auch gelebt. Dies wurde mir bewusst, als ich die Ehre hatte, mit Lubosch noch ein paar weitere Worte wechseln zu dürfen. Aus ihm spricht die Leidenschaft zum Theater. Vor gut zehn Jahren suchte der gebürtige Prager einen Ort zum Theaterspielen und stiess durch Zufall auf den Keller62. Dieser war, wie man leider sagen muss, in einem eher erbärmlichen Zustand. Damals noch ein durch und durch studentisch organisiertes Theater, lockte der Keller62 nur sehr wenig Publikum an. Lubosch wusste, dass man mehr daraus machen könnte. Er liess das Theater ausbauen und legte selbst Hand an beim Bodenlegen in der neu entstehenden Garderobe und im Büro. Der Boden des Büros, so erfuhr ich mit Erstaunen, ist jener aus dem Opernhaus. Das Theater wurde nicht nur renoviert, auch das Programm wurde neu aufgezogen, mit dem Ziel, die Attraktivität zu steigern und so ein grösseres Publikum anzusprechen. Die Produktionen heute stammen von Halbprois, wenn nicht sogar von Prois, denen es oft gelingt, grosse Massen anzuziehen. Aber nicht nur auf Professionalität kommt es an, sondern auch auf die Inhalte der Produktion selbst. So versucht Lubosch auch immer wieder aktuelle Themen in das Saisonprogramm einliessen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist das vor kurzem aufgeführte und restlos ausverkaufte Stück «Business Class» nach Martin Suter.
Alternatives Theater für alle Das früher rein von Studenten betriebene Theater etablierte sich somit langsam als ein «In-Theater» der Stadt Zürich. Dies soll auf keinen Fall heissen, dass es seinen studentischen Charakter völlig verloren hätte. Verspürt man als Studi die Lust, sich in einem Theaterstück auszudrücken und die eigene Kreativität walten zu lassen, so bietet der Keller62 einen optimalen Ausgleich zum Studium. Regelmässig inden Theaterkurse statt, die auch von blutigen Anfängern besucht werden können. Am Schluss dieser Kurse wird das Erarbeitete natürlich auch eigens im Keller62 vorgeführt. Hat man einmal einen Kurs bei Lubosch absolviert, ist die Wiederholungsrate relativ hoch. Viele kehren immer wieder in den Keller62 zurück und dies nicht zuletzt wegen dem ganz speziellen Flair des kleinen Theaters. Der Keller62 ist ein Ort wie man ihn nur selten antrifft. Es wird Wert auf das Individuum gelegt, anstatt sich nach dem Mainstream zu richten. Mitten in Zürich indet man hier eine Perle von einer Theaterbühne mit einem familiären Ambiente.
SCHWEDEN Achtung, wer in einem öffentlichen Fotoautomaten Bilder von sich macht – bloss nicht zu viel zeigen! Ganz nackt geht gar nicht, nur entweder oben ohne oder unten ohne ist erlaubt.
ESTLAND In Estlands Hauptstadt Tallin ist während des Beischlafs höchste Konzentration angesagt – daher ist das Schachspielen nebenher strengstens untersagt!
UNGARN Wer in Budapest das Licht einschaltet, macht sich strafbar! Sex ist hier nur im Dunkeln erlaubt, das gilt auch für Ehepaare und im eigenen Haus.
NORTH CAROLINA USA Paare dürfen nur dann in einem Hotelzimmer schlafen, wenn die Betten einen Mindestabstand von 60 Zentimetern haben.
OREGON USA In Willowdale dürfen Ehemänner beim Sex nicht luchen.
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Männer, ihr habt Sendepause
Literatur KIMPEL, D. (2006). How They Made It. Milwaukee: Hal Leonard Pub Co.
CD-Tipp 2001: Miss E... So Addictive 1997: Supa Dupa Fly
Von Stefan Kovac Genau genommen denkt man im Hip Hop generell kaum an eine Frau. Zumindest nicht zuerst. 50cent, Puff Daddy, P.Diddy oder wie er sich nun gerade wieder nennt, Dr.Dre, Snoop Doggy Dog, Jay-Z – die Liste würde lang werden und irgendwann, wenn einem keiner mehr einfallen will, dann, ja dann könnte es unter Umständen sein, dass man Missy Elliott nennt. Warum so spät in der Aulistung? Nun, liegt es vielleicht daran, dass sie eine Frau in einem von Testosteron triefenden Business ist? Schade, denn genau diesem Business drückt Missy ihren Stempel auf wie kaum eine andere und dies bereits seit den frühen 1990er Jahren. In fast keinen Videos wird dermassen geklotzt wie in ihren. Auch die sich leicht bekleidet räkelnden Frauen, die sich zur Musik geschmeidig einfügen, kommen nicht zu kurz und die Autos sind wahrlich nicht von der Marke des gähnenden Affen, der «Nichts ist unmöglich» zu sagen scheint. «Nichts ist unmöglich» würde eher auf Missy zutreffen und dem entsprechen, was sie bereit ist, in ihre Kunst zu stecken. Und wir staunen immer wieder. Da wundert es kaum mehr, dass ihre Videos zu den teuersten gehören. Man kann wahrlich nicht sagen, sie würde sich dezent im Hintergrund halten.
«Wie jetzt, ihr Typen wollt rappen wie ich?» Wer hat sich nicht schon die Augen auf MTV viereckig geguckt, sich gewünscht, dass man genau
Hip Hop weiblich – Missy Elliott ist das beste Beispiel.
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diesen Bentley besitzen und sich mit dem schmücken darf, was ansonsten für die Scheichs, Tycoons, Gates, Bertarellis reserviert ist? Genau dies tut Missy Elliott nicht minder als ihre männlichen Kollegen. Es wird geklotzt, es wird gebaggert es wird gebounct. Und das tatsächlich nicht sehr zurückhaltend – von den Texten sprechen wir erst gar nicht. Allerdings wäre «sich dezent im Hintergrund halten» eben doch auch eine Eigenschaft, die man Elliott zuschreiben dürfte, würde man folgendes ins Auge fassen: Unter anderem Destiny’s Child, Christina Aguillera, Janet Jackson, Mariah Carey oder Whitney Houston haben sich Elliotts Produzentenkünsten bedient, damit Hits gelandet, Millionen Alben verkauft und sind erfolgreich geworden. Die vorwiegend weiblichen Künstler verdanken der Missy, dass sich in dem männerdominierten Business ein Fenster für sie auftat und sie sich mit den Männern messen können. Man könnte fast sagen, Missys Arbeit sei ein wichtiger Impuls für die Emanzipation der Frauen im Hip Hop. Nie zuvor in der Branche sind so viele Künstlerinnen hervorgegangen wie unter Elliotts Einluss. Vielleicht ist sie nicht die erste weibliche Person, die im Hip Hop Fuss fasste, doch sicher ist sie die erfolgreichste. Begonnen hat alles mit der R&B Band «Sista», der sie bis 1995 angehörte und für die sie Texte schrieb und sang, bevor sie dann ihre Solokarriere startete. 1996 war Missy erstmals als Gast-Rapperin und BackgroundSängerin auf MC Lytes 1996er Single «Cold Rock A Party» zu hören. Dieser Song wurde von P.Diddy produziert, der hoffte, sie zur Vertragsunterschrift bei Bad Boy Records bewegen zu können. Entgegen allen Erwartungen unterzeichnete Elliott jedoch noch im selben Jahr bei Elektra Records, wo sie ihr eigenes Sub-Label Goldmind bekam, auf dem ihre bisherigen Solo-Veröffentlichungen erschienen sind. Schon ein Jahr später, mit ihrem neuen Label und mit Timbaland, einem Jugendfreund von Missy, der mit ihr und für sie sämtliche Alben produzierte, veröffentlichte sie ihr Debutalbum «Supa Dupa Fly», das überraschend einschlug und ein echter Kassenschlager wurde. Seither spielt sie in der Liga ganz oben mit. Featurings mit all denen, die weiter oben in der genannten Liste sind, waren keine Seltenheit mehr. Ihre Alben verkauften sich bisher über 20 Millionen mal. Zudem erhielt sie Grammys, MTV Awards und ist einige Male als «Best Hip Hop Act of the Year» ausgezeichnet worden. Man könnte meinen, dass ihr der Erfolg in die Wiege gelegt worden ist. Aber nein, sie hat ihn sich erkämpft!
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Fette Karren, überall Gold, Bling Bling, Designerkleider, soweit das Auge reicht. Krasse Beats, und «yo, deine Mama ist so fett, you son of a b**ch.» – 50cent? Nein, Missy Elliott!
CHINA
TENNESSEE USA
Missy hat die Schuhe an.
Kampf gegen Gewalt und für die Kunst
Ein ungeschriebenes Gesetz verbietet hier, einer Frau auf die
«Frau am Steuer, Ungeheuer» müssen sich wohl die Stadtväter
nackten Füsse zu starren – das bringt leicht Gefängnis wegen
von Memphis gedacht haben. Denn Frauen dürfen dort einem
sexueller Belästigung ein! Füsse gelten in China nämlich als
Gesetz zufolge nur Auto fahren, wenn ein Mann vor dem Auto
Objekt der Begierde.
kultur
Die als Melissa Arnette Elliot 1971 in Portsmouth, Virginia, geborene Missy hatte bei weitem keine behütete Jugend. Von ihrem Cousin und ihrem Vater misshandelt, verliess Elliot, als sie 14 Jahre alt wurde, zusammen mit ihrer Mutter, den Vater um «ein normales Leben» zu führen. «Wenn man so etwas erlebt hat, begleitet einen dies tagtäglich. Es
kann nicht einfach ausgeschaltet werden.» Umso erstaunlicher ist es, dass sie es geschafft hat, sich im harten Business der Musik zu behaupten, durchzuschlagen und berühmt zu werden. Genau diese Berühmtheit nutzt sie nun aus, um auf Missstände aufmerkam zu machen, die in so vielen Familien, hinter den Mauern des Heims, sich der Öffentlichkeit entziehen. Aus diesem Grund unterstützt Missy zahlreiche wohltätige Organisationen, die sich um misshandelte Kinder kümmern und spricht öffentlich über solche Ereignisse. Sie kämpft gegen dies und für die Kunst. Missy als Wohltätige, Missy als Künstlerin, Missy als Produzentin und als kleines Supplement noch Missy als Schauspielerin – Eine illustre Person in einer illustren Gesellschaft. Könnte man sie nicht doch weiter oben in jener anfangs genannten Liste platzieren? Ich würde es ihr gewähren. Nicht nur, weil sie es sich erkämpft hat, nein, vor allem weil all dieses Geblinge, Gebounce und Gedisse einfach integrer wirkt, wenn es von einer Frau stammt.
Autor Redaktor Stefan Kovac (29) aus Zürich studiert im 13. Semester Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Zürich.
herläuft und zur Warnung von Fussgängern und anderen Autofahrern eine rote Fahne schwenkt. In Dyersburg dürfen
ESTLAND In Estlands Hauptstadt Tallin ist während des Beischlafs
Frauen Männer nicht zu einem Rendezvous einladen.
höchste Konzentration angesagt – daher ist das Schachspie-
VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE
len nebenher strengstens untersagt!
Bereits einem öffentlichen Kuss zwischen Mann und Frau sind
UNGARN
der Kuss auf die Wange einer Frau «das Begehren einer Hand-
Wer in Budapest das Licht einschaltet, macht sich strafbar!
lung, die gefährdend für die breite Öffentlichkeit ist». Strafe:
Sex ist hier nur im Dunkeln erlaubt, das gilt auch für Ehepaare
Zehn Tage Gefängnis für beide!
hier strenge Grenzen gesetzt. In Abu Dhabi bedeutet schon
und im eigenen Haus.
OHIO USA
HAWAII
In Oxford dürfen sich Frauen nicht vor Bildern, die Männer zei-
Sex mit unter 18-Jährigen ist verboten. Wird man erwischt,
gen, ausziehen.
müssen die Eltern des Mädchens drei Jahre ins Arbeitslager, weil sie ihre Tochter zu freizügig erzogen haben.
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Menschenhandel im Halbschatten der Gesellschaft Im Bereich der Sexarbeit stehen die zuständigen Behörden noch immer vor grossen Herausforderungen. Ein Bericht aus Bern.
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schleppten in der Regel in eine langfristige Abhängigkeit von den Schleppern und ihren Verbündeten, welche oftmals über einen gefestigten Aufenthaltsstatus in der Schweiz verfügen. Schulden müssen dann meist mit Zins und Zinseszinsen über Jahre abgetragen werden. Dadurch müssen sich die Betroffenen häuig in prekäre Situationen begeben und werden zum Teil rechtlos, weil von der Gesellschaft in der Gesellschaft exkludiert. Solche Hintergründe und Zusammenhänge sind komplex. Um sie zu verstehen – und entsprechend reagieren zu können – bedarf es oftmals einer situationsgerechten, einzelfallbezogenen Reduktion dieser Komplexität. Die Motive aller beteiligten Akteure sind so vielfältig wie die Prozesse der weltweiten Migration selbst.
Prostitution und Ausländerrecht In den Herkunftsländern ist bekannt, dass die Einreise in die Schweiz immer schwieriger, aufwändiger und dadurch auch teurer wird. Hinsichtlich des Reiseweges und der zu erwartenden Schwierigkeiten muss man zwischen jenen unterscheiden, die bezüglich der Einreise in die Schweiz von der Visumsplicht befreit sind und jenen, welche mit den entsprechenden Einreiseermächtigungen einreisen. Oftmals kann man aber – und das liegt in der Natur der Sache – die eigentliche Absicht der Einreise nicht erkennen. Nebst der illegalen Einreise über die grüne beziehungsweise blaue Grenze gibt es zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten, um in der Schweiz Fuss zu fassen. Eine massive Zunahme stellen wir bei der Erschleichung gefälschter oder der Person nicht zustehender Pässe fest. Die dazu benötigten Reisedokumente können in vielen Ländern der Welt entweder selbst oder über «Verwandte» und Kollegen direkt von den Behörden bezogen werden. Indirekt lassen sich solche durch spezialisierte Reise- und Arbeitsvermittlungsagenturen und ähnliche Organisationen beschaffen. Die einschlägigen Adressen und Kontakte indet man heute leicht auf diversen hierfür spezialisierten Internetwebseiten oder durch Kontaktpersonen im Herkunfts- oder Zielland. Insbesondere bei den sogenannten Einladungsschreiben konnten in der Vergangenheit durch die Fremdenpolizeibehörden etliche Missbrauchsfälle ermittelt und aufgedeckt werden. Die notwendigen Abklärungen und Recherchen der vorgelegten Dokumente einerseits und die Abklärungen in den Herkunfts- und Ziellän-
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Von Alexander Ott Seit einigen Jahren gerät ein speziisches Gewerbe – ein Markt – wiederholt in den Fokus der Öffentlichkeit. Sein Ort ist eine «Grauzone – ein Grenzland». Was auf diesem Markt gehandelt wird, sind Menschen. Menschen zur Ausbeutung in Privathaushalten, im Gastgewerbe, auf dem Bau und in anderen Branchen – aber vor allem auch im Sexgewerbe. Die signiikanten Einkommens- und Lebensunterschiede zwischen den verschiedenen Welten begünstigen offenbar den Sextourismus und die Prostitution, was die Problemfelder vervielfältigt. Das Sexgewerbe boomt auch in der Schweiz. Die Sexindustrie ist in ihrer Entwicklung, Professionalisierung und Internationalisierung sehr dynamisch. Der hauptsächlich ökonomisch bedingte Migrationsdruck aus osteuropäischen Staaten und dem Trikont wächst weiterhin. Und damit auch der oft irreguläre, teils durch international koordinierte Banden organisierte Aufenthalt von sich prostituierenden Menschen in Schweizer Städten und deren Agglomerationen. Die Dienstleistung Sex als gesellschaftliche Realität lässt sich nicht leugnen. Die Akzeptanz dieses Gewerbes darf jedoch nicht zur Verleugnung oder Verdrängung der mit ihm einhergehenden Probleme wie gesundheitlichen Gefahren oder Gewalt führen, denen sich Prostituierte ausgesetzt sehen. Gerade im Umfeld der Sexarbeit kommt es zu Fällen von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Ausbeutung. Dies gilt es im Rahmen der staatlichen Perzeption umfassend wahrzunehmen und zu verfolgen. Eine «menschenwürdige» Form der Prostitution ist aber nur dann möglich, wenn sich der Staat selbst mehr Macht im Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution zugesteht. Grundsätzlich müssen alle Formen von Menschenhandel über die allgemeinen Strafbestimmungen geahndet werden. Es braucht jedoch von verschiedenen Akteuren Vorbereitungshandlungen und -massnahmen. Und gerade bei der Bekämpfung von Menschenhandel kommt besonders den Fremdenpolizeibehörden in mehrfacher Weise eine zentrale Bedeutung zu. Die irreguläre Migration über Kontinente und Länder hinweg brachte internationale Schlepperorganisationen mit ihren Netzwerken ins Geschäft und machte den Handel mit Menschen zu einem lukrativen Element der grenzüberschreitenden Kriminalität. Dabei begeben sich die Ge-
meinung
dern andererseits sind sehr intensiv, zeitaufwändig und bedürfen vielfach spezialisierten Wissens und interkultureller Kompetenzen. Wir stellen fest, dass Vorbereitungshandlungen zur Erlangung der ausländerrechtlichen Einreisevoraussetzungen – sei es im In- oder Ausland – eine netzwerkartige Struktur aufweisen. Darunter fällt beispielsweise die Organisation von Schein- oder Zwangsheiraten für die Akteure. Dies ist insbesondere ein Hinweis darauf, dass es sich um kriminelle Machenschaften handelt, welche einen hohen Organisationsgrad der Akteure erfordern. Dabei gilt es zu beachten, dass die Linie zwischen Opfern von Menschenhandel, Ausbeutung und Abhängigkeitsverhältnissen auch aus ökonomischen Überlegungen nie gerade verläuft. Oft ist es für Menschen, die aus aller Welt herkommen, die einzige Strategie, um ihr Überleben zu sichern und sich eine Perspektive – sei sie noch so schlecht – zu schaffen. Es kommt hinzu, dass EU/EFTA-Angehörige praktisch uneingeschränkt Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt haben. Dies manifestiert sich insbesondere bei der selbständigen und unselbständigen Sexarbeit. Die Sexarbeitenden geben sich vordergründig als Selbständigerwerbende aus, oft unter
der Bezeichnung Hostesse, Masseuse, Dienstleistungserbringerin et cetera. Gemäss unseren Erfahrungen trägt diese angebliche Selbständigkeit jedoch oft Züge einer abhängigen Beschäftigung, einer sogenannten «Scheinselbständigkeit», die sich wiederum in klaren Vorgaben von Arbeitsmodalitäten äussert. Da jedoch bei einer abhängigen Beschäftigung bei Personen aus EU/EFTA-Staaten eine Arbeitsberechtigung vorliegen muss, machen sich die Betroffenen ausländerrechtlich strafbar. Dies führte dazu, dass das Bundesamt für Migration (BFM) in seinen Weisungen explizit ausführt, dass bei Personen im Erotikgewerbe in jedem Fall und unabhängig von der Dauer der Tätigkeit vom ersten Tag an eine Meldung zu erfolgen hat. Hinsichtlich der Prostitution ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Bundesgerichtspraxis Personen, die für die Infrastruktur für einen Massagesalon zuständig sind und entscheiden, welche Ausländerinnen im Etablissement als Prostituierte arbeiten können, als Geschäftsführende und Arbeitgebende im Sinne des Ausländergesetzes (AuG) gelten. Dies gilt auch dann, wenn diese den Prostituierten keinerlei Weisungen betreffend Arbeitszeit, Anzahl der zu bedienenden Freier, Art der Dienstleistungen et
Menschenhandel als Grauzone der Gesellschaft.
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Fallbezogenes Handeln Gerade in diesem Umfeld kommt es zu signiikanten Missbräuchen, zu Täuschungen, zu Nötigungen, zu Ausbeutungen – kurz: zu Menschenhandel. Bei der Verfolgung dieser Delikte kommen den Aussagen der involvierten Personen oder Opfer ein entscheidender Stellenwert zu. Deshalb ist der Verbleib der Opfer in der Schweiz bis zum Abschluss des Verfahrens von grosser Bedeutung. Diesem Umstand trägt das geltende Ausländerrecht Rechnung. Bestehen begründete Hinweise, dass es sich bei einer illegal anwesenden Person um ein Opfer von Menschenhandel handelt, ist es in der Regel sinnvoll, dass dem mutmasslichen Opfer die zuständige Ausländerbehörde eine speziell hierfür eingerichtete Bedenkzeit einräumt. Hierbei ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich alle Beteiligten (Polizei, Fremdenpolizei, Justiz und NGOs) miteinander vernetzen und sich innerhalb eines fallbezogenen Case-Managements miteinander abstimmen, offen und klar kommunizieren. Die Dauer der von den Ausländerbehörden angesetzten Bedenkzeit richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Nach Ablauf der Bedenkzeit entscheiden die Ausländerbehörden in Zusammenarbeit mit den involvierten Partnern über das weitere Vorgehen. Bedarf es einer längeren Anwesenheit des Opfers, werden grundsätzlich befristete Kurzaufenthaltsbewilligungen erteilt, die Personen können auch zu einer befristeten Erwerbstätigkeit zugelassen werden. Die Erteilung einer weitergehenden Bewilligung ist nur möglich, wenn ein schwerwiegender Härtefall vorliegt. Die zuständige Ausländerbehörde prüft solche Fälle in einem Gesamtkontext, würdigt diese und unterbreitet die Fälle dem Bundesamt für Migration zum Entscheid. Bei der Beurteilung dieser Fälle ist der besonderen Situation der Opfer von Menschenhandel Rechnung zu tragen, zusätzlich sind alle Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Autor Alexander Ott (MAS
Gesetzliche Neuregelung
Philosophy und
Unter dem Titel «Sexgewerbe – Schranken, Regeln und Schutz» wurde im September 2008 im Grossen Rat des Kantons Bern ein überparteilicher Vorstoss eingereicht. Dies mit dem Ziel, ein kantonales Prostitutionsgesetz zu erarbeiten. Mit diesem Vorstoss wird der politische und gesellschaftliche Umgang mit Prostitution und deren rechtliche Regelung neu thematisiert. Aus unserer Sicht stellt sich in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage nach der
Management) ist Vorsteher Einwohnerdienste, Migration und Fremdenpolizei der Stadt Bern.
Bilder Anna Chudozilov
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Motivation zur Arbeit als Sexarbeiterin oder Sexarbeiter. Viele Menschen können sich nur schwer vorstellen, dass sich jemand freiwillig dafür entscheidet. Die Gründe sind vielfältig, häuig spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Nach unseren Erkenntnissen stehen die ökonomischen Gründe und die Perspektivenlosigkeit in den Herkunftsländern an erster Stelle. Viele Menschen – insbesondere Frauen – verfügen über keine Schul- und Berufsausbildung. Dies trifft beispielsweise häuig auf Personen aus Rumänien und Bulgarien zu. Bei dieser Gruppe kann der Schritt in die Sexarbeit als ökonomischer Zwang beurteilt und nicht wirklich als freie Entscheidung gewertet werden. Viele der Frauen, welche sich in der Sexarbeit aufgrund des ökonomischen Zwangs wiederinden, sehen sich persönlich nicht als Opfer. Zur Illustration kann der klassischen Fall einer jungen Ungarin herangezogen werden. Diese verdient monatlich bis zu 10 000 Franken – natürlich steuerfrei. Einen Teil dieses erwirtschafteten Lohnes muss sie an verschiedene Leute abgeben, welche ihr von der Wohnungsstruktur bis hin zum Natel alles zur Verfügung stellen. Auch wenn diese Frau die Hälfte ihres Ertrages abgeben muss, bleiben ihr netto jeden Monat noch immer circa 5 000 Franken. Weiterhin ist jedoch das Feld der Sexarbeit in seinen konkreten Ausprägungen der Mehrheit in unserem Land eher unbekannt. Es erscheint undurchsichtig und geheimnisumwoben. Prostitution ist entweder nahezu unsichtbar – sie «verschwindet» in Hotels und Privatwohnungen – oder ist als Rotlichtviertel abgegrenzt. Doch auch hier spielt ein Markt, der gemäss den Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktioniert. Die Kunden von Prostituierten werden ähnlich wahrgenommen wie die Prostitution selbst: Sie werden entweder schlicht ausgeblendet oder es wird der Versuch unternommen, sie zu kategorisieren oder zu kriminalisieren. Der Blick auf die Freier hat sich in den letzten Jahren trotz gesellschaftlicher Liberalisierung nicht wesentlich verändert. Offensichtlich herrscht hier ein hohes Mass an Ambivalenz. Deutlich zeigen sich diese Widersprüche auch in den Diskussionen und Entscheidungen in einigen EU-Ländern, in denen die Freierbestrafung eingeführt wurde.
Veränderung in der Arbeit Nach dem Gesagten und mit Blick auf das gesamte Feld ist die Sexarbeit in der heutigen Gesellschaft kein Fleck auf der Seele, sondern eine Tatsache, die beleuchtet und entsprechend – soweit als möglich – geregelt werden muss. Einerseits gilt es, die negativen sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen für Sexarbeitende sowie für die Opfer von Menschenhandel (ohne die Einschränkung, ob einheimische Sexarbeiterinnen oder Migrantinnen) zu minimieren. Dazu braucht es gut ausgearbeitete und mit allen beteiligten Akteuren diskutierte Rahmenbedingungen. Für eine optimale Sicht der Din-
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cetera erteilen. In diesen Fällen gilt die Aufnahme der Prostitution auch für EU/EFTA-Bürger als sofort meldeplichtiger Stellenantritt bei einem Arbeitgeber in der Schweiz. Erfolgt keine Meldung, liegt eine Zuwiderhandlung gegen die ausländerrechtlichen Vorschriften im Sinne des AuG vor. Dauert die Erwerbstätigkeit über 90 effektive Arbeitstage ist eine Aufenthaltsbewilligung erforderlich.
meinung
ge sind ausserdem vertiefte Kenntnisse des Milieus notwendig. Sexarbeit ist vor allem in den grösseren Städten, aber auch in ländlichen Regionen, eine relativ etablierte Branche, die aber gleichzeitig in der Öffentlichkeit immer noch weitgehend tabuisiert wird. Prostitution wird als anrüchig und «anormal» wahrgenommen, bildet aber gleichzeitig einen Teil dieser Räume, welcher nicht wegzudenken. Eine solche Wahrnehmung der Branche als gesellschaftliche Grauzone spiegelt sich nicht zuletzt auch darin wieder, dass trotz häuiger Kontrollen und ausgeprägten sozialen Hilfestellungen durch NGOs keine wirklich gesicherten empirischen Daten zum Umfang und zur Verteilung des Prostitutionsgeschehens vorliegen.
mit der Sexarbeit in unserer Gesellschaft zu schaffen. Dabei geht es um eine nachhaltige Steuerung des Rotlichtmilieus zur Wahrung der Lebensqualität und des Schutzes der Bevölkerung, des Gewerbes sowie der Gesundheit aller Betroffenen. Das Wissen über die Zusammenhänge des Phänomens, im Kontext mit Fragen der Migration, über sein Ausmass und seine Folgen muss weiter verbessert werden – wir arbeiten daran.
Gegenwart entscheidet über Zukunft Aufgrund verschiedener Sensibilisierungen und Kampagnen wurde das Thema Menschenhandel und Sexarbeit in der Öffentlichkeit in letzter Zeit vermehrt thematisiert. Dabei wird häuig der Eindruck erweckt, das Ausmass des Phänomens Menschenhandel sei bekannt. Gerade in den Medien scheint das Thema trotz seiner beinahen Unsichtbarkeit reges Interesse zu inden. Dabei wird über spektakuläre Fälle berichtet. Doch zu den Zahlen, die in diesen Darstellungen zuweilen genannt werden, fehlen oft die notwendigen Erläuterungen zu Zusammenhängen und Hintergründen. Gerade weil es sich um einen undurchsichtigen Bereich handelt, kennt man die exakte Zahl der Opfer von Menschenhandel im Umfeld des Prostitutionsmilieus nicht. Ein weiteres Problem lässt sich an der Unterscheidung von Hell- und Dunkelfeld festmachen. Aufgriffszahlen beinhalten naturgemäss nur die entdeckten Fälle, welche dann das sogenannte Hellfeld bilden. Dabei spielt die Kontrollintensität der Behörden eine entscheidende Rolle. Diejenigen Fälle, die unbeobachtet bleiben, werden innerhalb des so genannten Dunkelfeldes mitgeführt, wobei hier nicht von einer festen Grösse ausgegangen werden kann. Das Aufdecken von Vorbereitungshandlungen und Straftaten setzt also ein aktives Tun der Behörden voraus. Ermittlungen und Verfahren in diesem Bereich weisen eine hohe Komplexität auf und erfordern deshalb grosse Sach- und Fachkenntnisse. Dabei geht es um eine konsequente Täterermittlung, welche eine vertiefte Zusammenarbeit der involvierten Behörden – insbesondere die Einleitung von weitergehenden Ermittlungstätigkeiten im Umfeld der tatverdächtigen Personen – verlangt. Nur so wird es gelingen, wirksam die kriminellen Verbindungen zu bekämpfen, zu zerschlagen oder wenigstens nachhaltig zu stören. Es braucht unverzichtbare, umfangreiche – nationale wie internationale – auf Dauer angelegte Strukturermittlungen, die zur Enttarnung des Rhizoms führen können. Gleichzeitig wird es eine gesellschaftspolitische Aufgabe sein, die rechtlichen Grundlagen für den Umgang
Häufig treibt die Perspektivenlosigkeit im Herknftsland Frauen in die Prostitution.
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«Ich will nicht mehr schweigen» Der Islam bedarf einer humanistischen Reform! Elham Manea startet ihr Buch mit einem klaren Statement, das sich auch stark auf die Gleichstellung von Mann und Frau bezieht.
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Schweigen zu brechen. Ein solches umhüllt die vielen Muslime, die sich nicht mit den extremistischen Parolen der Islamisten identiizieren können. Sie befürworten eine Trennung von Kirche und Staat und möchten die Unterdrückung der Frau nicht mit der Begründung der Tradition oder der Scharia akzeptieren. Aus Angst, die Familie zu enttäuschen oder weil ihnen von aussen kein Verständnis entgegengebracht wird, geben sie diese Ansichten nicht preis. Deshalb gilt es für Muslime, welche ihre Religion zwar nicht aufgeben, diese aber diskutieren möchten, Verständnis aufzubringen.
Das Dilemma der grenzenlosen Toleranz Wo die Kategorie «Muslim» gefestigt wird, wie es beispielsweise in Westeuropa vermehrt der Fall ist, gibt es keinen Platz für abweichende Positionen. Das weitgehend einheitliche Bild, das der Westen vom Islam hat, existiert nur in der Vorstellung. Es ist ausschliesslich ein «Hilfsmittel, auf das wir zurückgreifen, um das ‚Andere‘ zu erfassen, das wir im Grunde nicht verstehen.» Oft wird die Abneigung gegen die terroristischen Islamisten auf alle Muslime ausgeweitet und diese werden tagtäglich mit Misstrauen konfrontiert. Folglich fühlen sich Mitglieder muslimischer Gemeinschaften von den Extremisten besser verstanden als von ihrem Staat, ihren Mitbürgern oder von anderen Kulturkreisen. So wird die Mauer des Schweigens nicht durchbrochen und jede Kommunikation verstummt. Solange die grosse unterdrückte Schicht der säkular oder zumindest humanistisch-demokratisch eingestellten Muslime sich weiterhin nicht äussert, haben die Extremisten leichtes Spiel. Damit bleibt der Islam von einer lebendigen Debatte ausgeschlossen. Auf der anderen Seite kritisiert die Autorin auch die als Toleranz betitelte Gleichgültigkeit westlicher Gesellschaften gegenüber vermeintlich muslimischen Traditionen. Die Aussage: «Wir wollen ihnen doch unsere Wertvorstellungen nicht aufzwingen», verurteilt Manea als rassistische Sichtweise. Sie bezieht sich hier auf die Debatten über Anpassungen demokratischer Rechtssysteme an religiöse Traditionen. Soll die Scharia als Rechtgrundlage für Muslime in Europa zugelassen werden? Dürfen Mädchen vom Schwimmunterricht ferngehalten werden? Ein klares «Nein» von Elham Manea. Ungerechtigkeiten dürfen nach ihr nicht aufgrund falscher Vorsicht und vorgeschobener Toleranz gegenüber anderen Kulturen erlaubt sein. Wieder folgt der Apell an den Humanismus. Die Menschenrechte sind höher zu
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Von Sarah Schlüter Als gebürtige Jemenitin muslimischen Glaubens, musste sich Manea in ihrem Leben als Diplomatentochter schon immer mit der eigenen Identität und den unterschiedlichen Lebensweisen innerhalb und ausserhalb der arabischen Welt auseinandersetzen. Abgeleitet von ihren eigenen Erfahrungen, befasst sie sich mit der veränderten Wahrnehmung des Begriffes «Muslim» seit dem 11. September 2001 und plädiert für Toleranz statt Gleichgültigkeit. Der Titel des Buches «Ich will nicht mehr schweigen» hat persönliche Hintergründe. Nachdem Manea sich jahrelang darauf beschränkt hatte, nur in der arabischen Welt und vor einem begrenzten Publikum ihre Ansichten zu aktuellen Debatten über den Islam und sein Wesen kundzutun, war es nun an der Zeit, auch in Europa und in der Schweiz das
Der Islam hat verschiedene Gesichter Gespickt mit Beispielen aus dem eigenen Leben, das sich in vielen verschiedenen Ländern abspielte, legt Manea die verschiedenen Facetten des Islams dar. In Ägypten hat er nicht die gleiche Tradition wie im Jemen oder in Kuwait und die dortigen Auslegungen oder Anwendungen der Religion unterscheiden sich wiederum vom Islam, wie er in Marokko oder im Iran praktiziert wird. Geschichtliche Faktoren, etwa die Rivalität zwischen dem persischen und dem arabischen Reich, genau so wie wirtschaftliche Faktoren, spielen eine Rolle für die Entwicklung der Religion. Wer die Religion als etwas Festes, in Stein gemeisseltes ansieht, stellt sich damit auf die Ebene der Islamisten, die einen unbeweglichen, steifen Islam propagieren. Stattdessen bietet sich die Vorstellung von der Religion als etwas Veränderliches, Organisches an. So lässt sie auch Reformen und Debatten zu. Die Erfolgsgeschichte des politischen Islams darf nicht losgelöst von historischen und ökonomischen Entwicklungen des arabischen Raumes betrachtet werden. Die meisten arabischen Staaten setzen ihre Prioritäten auf wirtschaftliche Entwicklung und nicht auf Demokratisierung. Trotzdem haben sie es nicht geschafft, den Entwicklungsstand ihrer Bevölkerung angemessen voranzutreiben. Daher ist ein Versagen auf wirtschaftlichem und politischem Terrain zu beobachten. Überall, wo der Staat den Menschen nicht helfen konnte, sprangen mit der Zeit religiöse Gruppen ein und übernahmen seine Aufgaben, indem sie Nachbarschaftshilfe und allerlei Dienstleistungen anboten. So positionierten sich zuvor kaum wahrgenommene Randgruppen als unverzichtbare politische Kräfte. Bereits nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches wurden die Weichen was die Gleichberechtigung aller Staatsbürger betrifft, in eine falsche Richtung gestellt. Die neu gegründeten Nationalstaaten verfügten zwar nun über ein einheitliches positives Recht, dieses wurde aber nur im öffentlichen Raum durchgesetzt. Im Privaten galt weiterhin das religiöse Familienrecht. Statt auf den Status moderner, demokratischer Staaten hinzuarbeiten, bauten die ersten Staatsgründer eine Basis für autoritäre Regimes. Der kalte Krieg, die islamische Revolution im Iran und der Sechstagekrieg waren ebenfalls wichtige Faktoren für den Erfolg des Islams als politisches Instrument.
Den Schleier ablegen Elham Manea verfasste ihre Doktorarbeit zu Frauenrechten und Islam. Sie untersuchte, wer ein Interesse daran hat, das religiös geprägte Familienrecht im Privatbereich aufrecht zu erhalten. Wem dient also die Unterdrückung der Frau? In «Ich will nicht
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gewichten als alle religiösen Bräuche und Gebote, denn Rechte sind keine relativen Grössen
mehr schweigen» greift sie diese Frage erneut auf und vertritt ihre Überzeugung, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein wesentlicher Punkt der Reform sein muss. Es muss Schluss gemacht werden mit den Familiengesetzen, die eine Frau ihrem männlichen Vormund unterstellen, ihr nicht das gleiche Recht in Ehe und Scheidung einräumen und sexuelle Unterwürigkeit fordern. Die symbolträchtige Rolle des Schleiers sieht Manea als bedeutendes Element der Debatte über Gleichberechtigung an. Ebenso steht es um das Verbot für Frauen, mit Männern in der gleichen Moschee zu beten. «Eine Moschee, in der man nur Männer beten sieht, ist ein Spiegel der patriarchalischen Gesellschaft, in der Männer die Kontrolle über den öffentlichen Raum haben. Eine Frau, die den Anspruch erhebt, im selben Raum zu beten wie die Männer, verlangt nichts Belangloses. Sie fordert eine Änderung innerhalb dieser sozialen Ordnung.» Frauen und Männer werden in einem humanistischen Islam als rationale, erwachsene Wesen angesehen, die eigene Entscheidungen treffen und auf natürliche Weise mit ihrer Sexualität umgehen. Manea erinnert den Leser an vergangene Errungenschaften der muslimischen Frauenbewegungen und verweist etwa auf die ägyptische Frauenrechtlerin Huda Sha’rawi, die ihren Schleier 1923 öffentlich abnahm, als sie sagte: «Frauen sollen selbst denken, selbst entscheiden, selbst handeln – und das Kopftuch endgültig ablegen!»
Religion ist keine Identität Die Identität ist ein zentraler Begriff im Buch und wird immer wieder thematisiert. Wie entsteht Identität? Wie verändert sie sich? Wie wird Identität für politische Zwecke genutzt? Eines ist für Elham Ma-
«Hier in Europa sagen mir die Leute, ich sei Muslimin. Aber das ist nicht meine Identität. Ich habe Stellung bezogen und nein gesagt. […] Und ich bin mehr als eine Angehörige einer bestimmten Religion. Religion ist keine Identität.» Elham Manea nea klar: Die Religion darf in der Identitätsbildung nicht an erster Stelle stehen. Auch nicht das Geschlecht. Zuerst ist man Mensch, dann kommen weitere Merkmale hinzu, die sich teilweise im Laufe eines Lebens verändern können und die keine Unterschiede im Umgang mit anderen Menschen rechtfertigen: die Herkunft, das Geschlecht, die Religion. Wie sieht er nun aus, dieser humanistische Islam, den Manea anstrebt? Er setzt eine Wahlfreiheit voraus. Nur wer seine Religion frei gewählt hat, kann sie mit Überzeugung ausleben und sie kritisch hinterfragen.
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Literatur Verlag: Herder 200 Seiten, CHF 31.50
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Autorin Redaktorin Sarah Schlüter (21) aus Zürich studiert im 5. Semester Politikwissenschaft und Literaturwissenschaften an der Universität Zürich.
Das kritische Hinterfragen ist eine ebenso wichtige Komponente. Ein rationaler Umgang mit dem Islam ist nötig, ebenso eine Loslösung der blinden Wiedergabe alter Schriften. Die «verbotenen Denkbereiche» müssen erschlossen werden, die modernen Menschenrechte müssen veraltete Gebote der Religion ersetzen. Die Religion und der Staat müssen endgültig getrennt werden, was auch eine Abschaffung der verschiedenen religiösen Familiengesetze im Privaten bedeutet. Frauen und Männer brauchen die gleichen Rechte – in jedem Lebensbereich. Das Aufbrechen von Tabus, etwa die Debatte über die Geschlechtergleichstellung in muslimischen Gesell-
schaften, erfordert grossen Mut und wird von vielen Intellektuellen im arabischen Raum aus Angst vor Verfolgung gemieden. Viele Reformer des Islams gehen in den Augen Maneas nicht weit genug in ihren Überlegungen. Sie lassen zu vieles unangetastet. Neben den Islamisten, die alle muslimischen Frauen dazu auffordern, sich wortlos ihrer «angeborenen Rolle» in der Gesellschaft zu unterwerfen, produzieren die allzu angepassten Intellektuellen ein Schweigen von oben. Dieses Schweigen muss aber gebrochen werden, um dem Islam eine Zukunft zu geben jenseits von religiösem Fanatismus und Abgrenzung.
USA MISSOURI
NEW JERSEY
In St. Louis darf die Feuerwehr Frauen nur dann aus bren-
Wer in Liberty Corner beim Sex im Auto versehentlich an die
nenden Häusern retten, wenn sie vollständig bekleidet sind.
Hupe gerät, kann mit Gefängnis bestraft werden.
MONTANA
NEW MEXICO
In Bozeman steht Sex im eigenen Vorgarten nach Sonnenun-
Sex im Auto ist okay – aber bitte nur heimlich hinter zugezo-
tergang unter Strafe.
genen Vorhängen!
Ein Gesetz in Helena verbietet es Frauen, in einem Saloon oder
In Carrizozo ist es Frauen streng verboten, mit einem Da-
einer Bar auf einem Tisch zu tanzen, wenn sie nicht minde-
menbart oder mit unrasierten Beinen in der Öffentlichkeit zu
stens drei Pfund und zwei Unzen an Bekleidungsstücken am
erscheinen.
Leibe tragen.
In New Mexiko dürfen die Taschen eines Mannes jederzeit von der Ehefrau durchsucht werden.
PENNSYLVANIA In Harrisburg dürfen Fernfahrer in Kassenhäuschen von Maut-
NEBRASKA
stellen keinen Sex haben.
In Hastings müssen Ehepartner beim Sex Nachthemden tra-
Aufgrund eines Gesetzes darf kein Mann ohne schriftliche Ge-
gen.
nehmigung seiner Frau Alkohol kaufen. In Eureka werden Frauenlippen vor stacheligen Wangen ge-
wiederhandelnde können mit bis zu drei Monaten Gefängnis
schützt. Für Bartträger gilt: Küssen verboten!
bestraft werden.
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NEVADA zoon politikon | sept 09 | nr. 7
Die Gemeinde Locust verbietet es ihren männlichen Einwohnern, sich in der Öffentlichkeit mit einer Erektion zu zeigen. Zu-
meinung
«Frauen, lernt zu eurer Fotze zu stehen!» Sex ist Macht und mit Macht kommt man an die Spitze der Charts. Für Männer ist das schon lange klar. Doch wie steht es um die Ladies im Musikbusiness? Von Rahel Perrot Dass Männer über ihre sexuelle Potenz auch mal gerne in Songtexten prahlen, ist in der Musikbranche nichts Neues. Mit halbnackten Frauen in Videos, Macho-Posen und eindeutig zweideutigen Songs lässt sich ja bekanntlich gut Geld verdienen. Dies scheinen nun auch die weiblichen Musikerinnen entdeckt zu haben und mimen die sexgeile Schlampe. Zu ihrem gängigen Vokabular gehören «Pussy Power», «Vagina Style Deluxe» und «Bitch». Diese Worte erweitert sie mit beliebig vielen Ausdrücken der sogenannten Fäkalsprache und fertig ist das verbale Grundgerüst der Rapperin Lady Bitch Ray aus Bremen. Mit bürgerlichem Namen heisst die 28-jährige Reyhan Sahin und sie ist gebürtige Türkin. Lady Ray möchte die erste wirklich prominente Rapperin in Deutschland werden, ein weiblicher Gegenentwurf zu Sido, Bushido und all den anderen männlichen Szenenvertretern, die durch sexistische, obszöne und aggressive Texte von sich reden machen. In ihren Worten ausgedrückt, heisst das: «Mehr Pussy-Flavour in die von Kerlen dominierte Rap-Szene bringen.» Lady Bitch Rays Name ist Programm. Sie steht offen zu ihrer Sexualität, zu ihrer Lust und rückt dabei gekonnt ihren fast unbekleideten Körper in Szene, unter anderem auf dem Internetportal MySpace. Ihren männlichen Kollegen steht sie somit in Sachen Posing in nichts nach. Und auch in ihren Texten tut sie es den Jungs gleich. Sie disst. Das heisst, sie beleidigt MusikerkollegInnen wie zum Beispiel das deutsche Pop-Sternchen Jeanette Biedermann. Diese wird im Lied «Ich hasse
«Jeanette Biedermann, du dämliche Frisöse, hör auf zu singen und frisier mir die Möse, schwer vorstellbar, dass dich jemand ickt, ohne Alditüte über deim Gesicht.» Dich» zur Zielscheibe der Lady. Hat die (Frauen-) Welt auf solche Musik gewartet? Handelt es sich hier um reines Marketingkalkül oder um einen Ausdruck feministischen Bewusstseins? Sex und Feminismus scheinen auf den ersten Blick hier nicht so recht zusammenpassen zu wollen. Schade – doch ist dem wirklich so?
Reyhan Sahin alias Lady Bitch Ray vereint Sex und Feminismus auf der Bühne.
Frau Doktor Bitch Wer genau ist aber diese Reyhan Sahin, die sich als sexgeiles Luder im Hip-Hop-Business verkauft? Sie wuchs in einer anatolischen Gastarbeiterfamilie in Bremen auf und wurde nach traditionellen türkischen Werten erzogen. Danach machte sie das Abitur und schloss ihr Studium an der Universität Bremen in Linguistik und Germanistik ab. Ihre Diplomarbeit über die «Jugendsprache im Hip-Hop» war eine der drei herausragendsten ihres Jahrganges und wurde in einem Sammelband verewigt. Zurzeit schreibt sie an ihrer Doktorarbeit zur «Semiotik der Kleidung», also zur Bekleidung als Zeichensystem. Zu diesem Thema gab sie eine Vorlesung im Wintersemester 07/08. Die Lady ist also nicht dumm wie Brot, sondern weiss sehr wohl, was sie da tut und wie sie es tun muss. Eigentlich ein weiteres Argument, um ihr reine Proitgier vorzuwerfen. Doch die Rapperin hat eine Message, die sie antreibt: «Ich will die Türkin in Deutschland sichtbar machen, und das von einer anderen Seite.» Dies liess sie in einem Interview mit der TAZ im Jahre 2006 verlauten. Ihrer Meinung nach werden nur zwei Varianten von in Deutschland lebenden Türkinnen gezeigt. Die eine ist die Kopftuch tragende Traditionalistin, die andere die völlig eingedeutschte Türkin, die ihre eigene Kultur verlo-
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«Fuck the Pain Away»
Autorin Rahel Perrot studiert an der Universität Zürich
Nicht nur die machohafte Hip-Hop-Kultur bietet sich für Frauen an, die gängigen männlichen Rollenbilder sowohl anzunehmen als auch zu subvertieren. Auch in der Electro-Musik inden sich Frauen, die sich nicht um festgefahrene Klischees kümmern. Eine davon ist die Kanadierin Merrill Nisker, besser bekannt als Peaches. Ihre ersten musikalischen Erfahrungen machte die damalige Kinderpädagogin in der vierköpigen Noise-Band «The Shit». Das Quartett brüllte bei seinen Auftritten allerlei Anzügliches in die Menge und untermalte die heftigen Lyrics mit improvisierten Noise-Sounds. Nisker besorgte sich kurz darauf eine eigene Groovebox und begann unter dem Namen «Peaches» selbst Sounds zu kreieren. Beim Berliner Label Kitty-Yo kam die heute 40-Jährige unter Vertrag und veröffentlichte im Jahr 2000 ihr erstes Album «The Teaches of Peaches». Der Song «Fuck the Pain Away» schlug ein wie eine Bombe und machte sie innerhalb weniger Monate von einer unbekannten Musikerin zur Vorzeigedame des Geschlechterkampfes. Als eine der ersten Frauen in der Musikgeschichte kreierte sie einen Song, in dem es um nichts anderes geht als icken. Nicht nur Peaches‘ Texte provozieren, auch ihre Live-Shows beeindrucken. Wenn sie in knappen, rosa Latexhöschen auf die Bühne kommt und das Publikum dazu auffordert, ihre Geschlechtsteile zum Groove zu schütteln («Shake your tits, shake your dicks»), drehen die Fans völlig durch. Das Image der Künstlerin verkaufte sich bald besser als ihre Platten und öffnete ihr Tür und Tor für weitere Projekte. So konnte sie im Vorprogramm von Björk und Queens of the Stone Age spielen. Weiters wurde sie von Karl Lagerfeld für eine Fotoserie gebucht und der Regisseur und Schauspieler John Malkovich engagierte sie für ein Filmprojekt. In jüngster Vergangenheit spielte sie auch ein Duett mit Iggy Pop ein und erweiterte somit ihren Electro-Sound mit Rock.
und ist FRAZ-Redaktorin. Der Artikel erschien
Provokation oder Feminismus?
erstmals in der FRAZ-
Wie steht Peaches nun aber zum Feminismus? Verfolgt sie mit ihrer Musik noch andere Ziele als den
Frauenzeitung 04/2008.
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möglichst guten Verkauf von Tonträgern und das Vergrössern ihres Bekanntheitsgrades? In einem Interview mit der «Intro», Deutschlands grösster Independent-Musikzeitschrift, erklärte sie 2006 ihre Sicht: «Man versteht Peaches nur, wenn man kapiert, dass es nicht einfach um Sex geht. Es ist ein Diskurs. Es geht um mehr als Sex, nämlich um Macht. Und es ist wichtig, die Macht zu teilen.» Ihre Art mit Sex zu provozieren, hat also durchaus etwas mit Feminismus zu tun – Peaches will Gleichberechtigung. Gegenüber einem «NZZ-Folio»-Redaktor sprach sie 2004 wütend davon, dass die weiblichen Künstler in der Popbranche noch immer ungerecht behandelt und auf Sexobjekte ohne Stimmrecht reduziert werden würden. «Ich mach weiter, bis es niemand mehr schockierend indet, wenn eine Frau auf der Bühne zeigt, dass sie kein Problem mit Sex hat», lässt sie sich im Folio zitieren. Peaches’ Feminismus besteht nicht darin, das Verhalten der Männer zu kritisieren oder zu verurteilen, sondern es ihnen gleich zu tun. Sie macht Männer zu Sexobjekten und sexualisiert sich dadurch selbst. Dabei behält sie als Frau die Kontrolle und die Macht über ihre Lust sowie über ihre eigene Sexualität.
Emanzipiertes Sexobjekt Es scheint, als wäre es doch möglich Sex und Feminismus gemeinsam auf der Musikbühne tanzen zu lassen. Solange Frauen wie Lady Bitch Ray und Peaches solch heftige Reaktionen mit ihrem Auftreten auslösen, liegt die sexuelle Gleichberechtigung noch in weiter Ferne. Nicht nur die Männer sind schockiert über das Verhalten der beiden Musikerinnen. Es sind auch Frauen, die sich abgeschreckt oder angeekelt fühlen von der Art und Weise, wie sie sich präsentieren. Trotzdem: Wenn eine Lady Bitch Ray im ARD-Abendprogramm bei Harald Schmidt äussert: «Frauen, ihr müsst lernen, offen zu eurer Fotze zu stehen!», dann kann man das durchaus als kleinen Erfolg verbuchen. Und es sollte dem Feminismus auch nicht schaden, wenn er mal cool, sexy und ein wenig trendy daherkommt wie bei Peaches. Beide Musikerinnen stehen auf ihre Art für die starke, selbstbewusste und selbstbestimmende Frau von heute. Ihre Motivation besteht darin, dass Frauen lernen sollen, sich selbst zu akzeptieren, sich und ihre Körper zu lieben und damit auch zu ihrer Lust zu stehen. Wenn das nicht mit Emanzipation zu tun haben soll, weiss ich auch nicht weiter. zoon politikon | sept 09 | nr. 7
ren hat. «Zwischen diesen Polen bewegt sich aber die Mehrheit und ich möchte diese zeigen: Emanzipiert, temperamentvoll, ruppig und stolz.» Dass ihre Beweggründe nicht überall gut ankommen, zeigt sich im folgenden Beispiel. Ihre vierjährige Radioarbeit beim Funkhaus Europa (ein Projekt von Radio Bremen und dem WDR zur Integration von in Deutschland lebenden AusländernInnen) musste sie beenden, da sie nicht bereit gewesen war, ihren «obszönen Scheiss» von der Internetplattform zu nehmen. Sahin fühlte sich in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt und diskriminiert. Was Radio Bremen für obszönen Scheiss hält, bedeutet für Lady Bitch ihre Identität.
polyrik
POLYRIK
Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll Von Stefan Kovac Ich weiss nicht, wie es um mich geschah, Manchmal sollte man es lassen Gewisse Ausdrücke zu verfassen, Denn irgendjemand kommt bestimmt Der einem die Worte aus dem Munde nimmt. Man darf nicht mehr das, man darf nicht mehr dies, Schon gar nicht jenes, das wäre doch mies. Und überhaupt wieso denn nicht anders wo, Das würde besser passen und klingt ebenso. Ja, die Rede ist: warum man einige Worte Nicht einfach sein lassen kann an einem Orte? Wieso darf ein Wort nicht einfach bleiben, Wenn wir unsere illustren Briefe schreiben?
Dichter Stefan Kovac (29) aus Zürich studiert im 13.
Ich versuche mal mit einem Beispiel zu erklären,
Semester Geschichte,
Was mich da bedrückt und mich anfängt zu quälen:
Philosophie und Poli-
Der, die, das, männlich, weiblich, Neutrum!
tikwissenschaft an der
Irgendwie doch bescheuert und auch saudumm.
Universität Zürich.
Im Englischen haben sie dafür nur eines
Bild
Und das genügt für Mann, Frau oder beides,
Petra Vogel
Sogar das Neutrum ist in jenem enthalten Nur wir müssen drei davon behalten. Wer hat den Worten ein Geschlecht gegeben, Um sie dann voneinander abzuheben? Nicht mal einen Anhaltspunkt kann ich inden, Warum sie sich voneinander trennen. Das Auto, aber die Karre. Der Colt, jedoch die Knarre. Der Apparat und die Maschine. Der Apfel, die Apfelsine. Manchmal gleicher Sinn, manchmal gleicher Ton, Trotzdem anderer Genus und dies obschon Man sich doch eigentlich die Frage stellt, Warum ein Geschlecht ein ganzes Wort befällt? Irgendwie beängstigend wenn man überlegt, Wie dadurch ein Wort zu leben plegt. Doch beenden möchte ich mit einem anderen Groll: Ich weiss nicht, wie ich ES sagen soll!
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Schwul - was sonst? Zart & Heftig: So nennt sich der Verein schwuler Studenten der Uni und ETH Zürich. Einmal im Monat gibt es dort ein gemeinsames Nachtessen – das Zoon Politikon war dabei.
schwule studis an uni und eth.
z&h schwule studis an uni und eth
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www.zundh.uzh.ch
Um herauszuinden, wie es an unserer Uni mit der Toleranz gegenüber schwulen Kommilitonen steht, nahm ich – quasi im Namen der Forschung – an einem dieser offenen Abendessen von Zart & Heftig teil. Meine Bedenken, als einzige Frau in der Männerrunde negativ aufzufallen, sollten sich schon bei der Begrüssung als unnötig herausstellen. Mark, eines der vier Vorstandsmitglieder, heisst mich freundlich willkommen, ebenso wie die circa zehn anderen Jungs, die sich vornehmlich in der Küche tummeln. Hier, wo heute von einem der drei anwesenden internationalen Studenten fachmännisch ein asiatisches Menü gekocht wird, lerne ich die ersten Vereinsmitglieder kennen. Man unterhält sich auf Hochdeutsch, Schweizerdeutsch und Englisch, während die einen Teigtaschen füllen und die anderen den Tisch decken. Gegen 20 Uhr wird das Drei-
Gänge-Menü serviert und 22 hungrige Mäuler verteilen sich an zwei langen Tischen. Einige kennen sich schon und nehmen regelmässig an den Z&H Veranstaltungen teil, andere sind das erste Mal hier. Wer in der Küche noch nicht den passenden Einstieg für eine Unterhaltung gefunden hat, schafft das spätestens bei der Vorspeise: Was eignet sich schon besser für den Smalltalk als eine unrwartet scharfe Nudelsuppe, die einem Schweissperlen auf die Stirn treibt? Es dauert nicht lange, bis die mitgebrachten Weinlaschen geköpft werden und die Stimmung unverkampfter wird.
Kampf gegen die Ignoranz Während des Essens erfahre ich, dass der Z&H 1989 gegründet wurde und heute zu den wenigen Vereinen der Uni/ETH gehört, die aktiv sind und regelmässig Veranstaltungen für ihre Mitglieder organisieren. Ursprünglich ging es darum, schwullesbische Anliegen an der Uni überhaupt zu thematisieren. Die Ignoranz gegenüber Homosexualität beherrschte nicht nur die Studentenschaft, sondern war auch innerhalb der wissenschaftlichen Arbeit und Forschung weit verbreitet. Dass dies heute anders ist, haben wir unter anderem dem selbstbewussten Auftreten von Vereinigungen wie Z&H zu verdanken, die sich im Unialltag ihren Platz erkämpft haben und ihre Mitmenschen auf «queere» Themen aufmerksam machen. So nahm Z&H dann sowohl im Stura als auch im VSETH Einsitz und baute über die Jahre gute Kontakte zur Universitätsleitung und anderen studentischen Vereinen auf. Die Reaktionen einzelner Studierenden auf den schwulen Verein sind aber immer noch sehr ambivalent, was sich durch unterschiedliche Wahrnehmungen der Jungs erfahre. Von absoluter Toleranz bis hin zu Mobbing und Ausgrenzung reicht der Umgang mit geouteten Studis an der Uni, also ähnlich durchmischt wie in anderen Gesellschaftsbereichen. Jedoch scheint es Unterschiede zu geben: Die Studiengänge mit einem sehr hohen Frauenanteil, meist an der philosophischen Fakultät angesiedelt, sind toleranter als andere.
PS: Ich bin schwul So ist es nicht verwunderlich, dass selbst unter den Besuchern einer Z&H-Veranstaltung Studenten sind, die ihre Homosexualität andernorts weiter unter Verschluss halten, sich zum Beispiel an der Uni (noch) nicht geoutet haben. Mein Vorhaben, von diesem lockeren Abendessen ein paar lockere Fotos
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Von Sarah Schlüter
Provokation schreckt ab Der Verein ist generell sehr zurückhaltend und stellt keinerlei Ansprüche an seine Mitglieder. Niemand muss zu so und so viel Prozent schwul sein, sich geoutet haben oder wird gezwungen, am ersten Unterrichtstag im Hauptgebäude Flyer für Z&H zu verteilen. Einzelpersonen im Verein sind auch anderweitig politisch oder gesellschaftlich aktiv, so sitzen die einen im Organisationskomitee des Christopher Street Days, die anderen nehmen regelmässig Einladungen von Sekundarschulen an, um sich dort mit Jugendlichen über das Thema Homosexualität zu unterhalten. Das Auftreten des Vereins jedoch bleibt moderat und statt um politischen Kampf geht
es heute vor allem darum, schwulen Studenten eine Anlaufstelle und Plattform für ihre Interessen zu bieten. Z&H will auf sich aufmerksam machen und schafft dies – vor allem dank der nach wie vor polarisierenden Wirkung einer offen gelebten Homosexualität – mit Plakatwerbung, Infoständen zu Semesterbeginn und regelmässigen Veranstaltungen. Die Provokation als Agitationsmittel wäre zwar auch heute noch angebracht, wie einige Stimmen beim Abendessen meinen, aber schwierig umzusetzen. Einerseits, weil um zu schockieren immer anstössigere Kampagnen nötig wären, andererseits weil von einem provokanteren Auftreten des Vereins auch potenzielle Mitglieder abgeschreckt werden könnten. Auf meine Frage hin, ob denn überhaupt noch eine gemeinsame Identiikation als schwule Gruppe an der Uni nötig sei, bekomme ich aber ein klares «Ja» zur Antwort. Solange die Existenz von Z&H trotz des harmlosen Auftretens weiterhin polarisiert und Homosexualität an der Uni noch lange nicht zur Normalität zählt, bleibt der Verein eine unverzichtbare Instanz. Das Kennenlernen anderer schwuler Studenten oder der Zürcher Gay Community, die auf den regelmässigen Szenetours besucht wird, ist wichtig, besonders für junge und internationale Studenten, aber auch für «alte Hasen», die einfach gerne gesellige Abende in einer Runde verbringen, wo schwul sein schon fast langweilig normal ist.
institut
zu machen, wird an dieser Stelle begraben, ebenso wie gewisse Vorurteile. Hier sitzt doch tatsächlich niemand in Fummel und Federboa, statt Prosecco mit Eis wird stinknormaler Wein getrunken und die Gespräche drehen sich weder um die neueste Enthaarungsmethode noch um knackige männliche Promis (von einem kurzen Exkurs zum Thema Fussballer und ihrer allzu schlabberigen Bekleidung mal abgesehen). Niemand beginnt das Gespräch mit «und, wie lange stehst du schon auf Männer?», sondern wie gewohnt fragt man sich gegenseitig über die Fächerkombination und den Wohnort aus, um diese Informationen drei Tage später vergessen zu haben und sich beim nächten Treffen wieder das gleiche zu fragen.
Autorin Redaktorin Sarah Schlüter (21) aus Zürich studiert im 5. Semester Politikwissenschaft und Literturwissenschaften an der Universität Zürich.
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Politik Literatur Psychoanalyse von > Autonomie bis > Zwangsneurose
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Get up, stand up! POLITO macht auf aktuelle Probleme am IPZ aufmerksam und ruft zur aktiven Mitarbeit im Fachverein auf.
Situation im Herbstsemester 2009 Nach dem Weggang von Simon Hug, der bis zum Sommer letzten Jahres Professor für Methoden am IPZ war, musste der Lehrstuhl neu besetzt werden. Das Berufungsverfahren verlief unter der Beteiligung von Mittelbau (das heisst der Assistierenden) und Studierendenvertretern ordnungsgemäss. Wie üblich wurde eine Liste mit drei Kandidaten erstellt. Eigentlich sollte das Verfahren längst abgeschlossen sein, doch bis heute ist weder eine Berufung bekannt gegeben worden, noch ist einer der drei Kandidaten auf der Homepage als neuer Professor eingetragen. Warum das so ist, wurde der Studierendenvertretung nicht kommuniziert. Es dringend nötig, dass das Problem in absehbarer Zeit gelöst wird. Das Betreuungsverhältnis bleibt weiterhin prekär. Bedingungen wie etwa im Fach Geschichte bleiben utopische Wunschvorstellungen Politikstudierende. Während dort manche Kurse von Professor, Assistent und Tutor gleichzeitig betreut werden, sind am IPZ die Übungen zum Teil so mässig proportioniert, dass kaum sinnvolle Lernsituationen geschaffen werden können. Ein grosses Problem – vor allem im Fach Methoden, jedoch auch in den anderen Studienbereichen. Langfristig kann eine Verbesserung des Angebots nur erreicht werden, wenn die Stellenprozente am IPZ weiter erhöht werden. Zwar wurde das Institut in den letzten Jahren aufgestockt, jedoch kann man dabei nur von einer kosmetischen Veränderung sprechen und noch nicht von einer Optimierung! Wenn nun auch Professor Adrian Vatter das Institut wieder verlässt, wird sich die Situation weiter verschärfen. Es ist zu hoffen, dass das IPZ kurzfristig Abhilfe schafft.
Der Fachverein als Sprachrohr... Autorenschaft Vorstand des POLITOFachvereins
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Der Fachverein versteht sich als Sprachrohr der Studierenden, um gegen diese Zustände etwas zu unternehmen. Er will sich engagieren und den Poli-
tikwissenschaften an der Uni Zürich von Seiten der Studierenden neuen Wind verleihen. Leider war der Widerstand der Studierenden gegen die Missstände bisher recht beschränkt. Viele nehmen die Zustände einfach als gegeben hin, nur punktuell regt sich hin und wieder etwas. Der Fachverein ist auf aktive Mitarbeit angewiesen. Nur ein Fachverein mit vielen aktiven Mitgliedern kann die Interessen der Studierenden gegenüber dem Institut aktiv vertreten. Die Einführung des BA hat im studentischen Engagement leider Spuren hinterlassen. Da durch den BA die Studierenden weniger freie Zeit zur Verfügung haben, ist es schwierig, neue Leute zu motivieren. Die Mitgliederzahlen gingen in den letzten Jahren zurück. Mittlerweile steigen diese wieder und durch die Assessment-Tutorate, welche jeweils Ende des Semesters als Prüfungsvorbereitung angeboten werden, wird auf die Bedürfnisse der BA-Studierenden eingegangen. Dazu kommen während des Semesters weitere punktuelle Veranstaltungen und Aktionen.
... und für die Geselligkeit Als Diskussionsforum wurde bereits im letzten Semester ein POLITO-Stammtisch gestartet, um zu plauschen, zu quatschen, Gerüchte und Informationen auszutauschen oder einfach nur gesellig etwas zu trinken. Der Stammtisch ist eine gute Gelegenheit, POLITO in ungezwungener Atmosphäre kennen zu lernen. Ab diesem Semester gibt es regelmäßige Termine und einen reservierten Tisch im BQM. Wir haben vor, an einigen der StammtischTermine interessante Gäste aus dem Umfeld der Politik einladen. Ende September werden wir einen gemütlichen Grillabend im Irchel veranstalten. Alle Mitglieder und Nichtmitglieder des Fachvereins sind herzlich zu all unseren POLITO-Abenden eingeladen. Zudem bietet der Fachverein denjenigen Leuten eine Plattform, die Lust haben sich in die Materie der Unipolitik (Reglemente et cetera) einzuarbeiten und am Ball zu bleiben. Vielleicht indet sich auch eine Gruppe von Studierenden, die Spass hätten, nach langer Zeit mal wieder eine POLITO-Party auszurichten. Dazu braucht es Freude an der Organisation und Verlässlichkeit. Solltet ihr eine gute Idee haben für eine Veranstaltung (Podiumsdiskussionen et cetera), seid ihr natürlich ebenfalls herzlich willkommen. Der daraus resultierende Gewinn für den Studiengang ist nicht zu unterschätzen! Gute Noten sind nicht alles und wenn in eurem CV
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Um zu merken, dass manches im Argen liegt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, muss man weder ein geübter Beobachter sein, noch sich wirklich intensiv mit der Situation auseinander gesetzt haben. Die eigenen Erfahrungen genügen, um einen Eindruck zu gewinnen. Fast jeder Mitstudent hat die eine oder andere Anekdote zu diesem Thema auf Lager. Eine Meinung aber sollte sich jeder selbst bilden, und so erhebt dieser Artikel denn auch keinen Anspruch auf Neutralität.
Euer Fachverein POLITO
institut
noch das soziale Engagement und die Praxis fehlen, dann ist die Arbeit im Fachverein eine gute und naheliegende Gelegenheit, Abhilfe zu schaffen. Falls wir euer Interesse geweckt haben, dann kommt am besten dieses Semester zum POLITOInfoabend. Natürlich sind auch neue Passivmitglieder im Fachverein jederzeit willkommen. Dabei könnt ihr von unserem Informationsangebot sowie von unseren Tutoraten Ende des Semester proitieren. Schickt einfach eine Mail an polito@ipz.uzh.ch und bekundet euer Interesse. Wir wünschen euch einen guten Semesterstart und hoffen, euch bei einigen unserer Veranstaltungen zu treffen.
USA Schon mal in Riverside Urlaub gemacht? Dann Achtung: Hier müssen Sie sich vor dem Küssen Ihres Liebsten die Lippen zuvor mit Rosenwasser abwischen. In Arizona sind mehr als zwei Dildos pro Haushalt verboten. Cleveland verbietet Frauen, Lackschuhe zu tragen: «A man might see the relection of something he oughtn‘t.» Hotels in Siuox Falls stellen selbst in Doppelzimmern nur Einzelbetten auf und müssen dabei einen Mindestabstand von zwei Fuss einhalten. Sex auf dem Boden ist natürlich ebenfalls verboten. In Halethrope darf man sich nicht länger als eine Sekunde küssen, in Iowa sind ganze fünf Minuten erlaubt. In 28 US-Staaten ist der Oralverkehr per Gesetz verboten.
IOWA VIn Aimes dürfen Ehemänner nicht mehr als drei Schlucke
POLITO
Bier trinken, bevor sie sich zu ihren Frauen ins Bett legen. In Ottumwa ist es jeder männlichen Person untersagt, innerhalb der Stadtgrenzen einer ihnen unbekannten Frau zuzuwinken.
Veranstaltungskalender
ARKANSAS In Little Rock kann Flirten in der Öffentlichkeit mit 30 Tagen
21.09.09 Stammtisch* 28.09.09 Grillabend im Irchelpark 30.09.09 Infoabend in der Rämistrasse 62 05.10.09
Stammitsch
19.10.09
Stammtisch
Gefängnis bestraft werden. In Arkansas darf ein Ehemann nach einem Gesetz seine Frau schlagen, allerdings nicht öfter als einmal im Monat.
CALIFORNIEN Nach kalifornischem Recht dürfen mit einem Hausmantel bekleidete Frauen nicht Auto fahren. In L.A. darf jeder Mann seine Frau mit einem Lederriemen
mit Tim Frey (Generalsekretär der CVP
schlagen, vorausgesetzt, der Riemen ist nicht breiter als zwei
Schweiz, ehem. Oberassistent am IPZ)
Inches. Benutzt er einen breiteren Riemen, bedarf es der vorherigen Erlaubnis seiner Ehefrau.
02.11.09
Stammtisch
16.11.09
Stammtisch
30.11.09
Stammtisch
* Stammtisch immer ab 18.15 im BQM Ende des Semesters werden Tutorate angeboten.
COLORADO Schlafende Frauen dürfen in Logan County, Colorado, nicht geküsst werden.
CONNETICUT In Hartford ist es strengstens verboten, Frauen am Sonntag zu küssen.
GEORGIA In Modehäusern ist das Entkleiden von Schaufensterpuppen ohne zugezogene Vorhänge illegal.
IDAHO In Coeur d´Alene steht Sex im Auto unter Strafe; Polizisten, die «Täter» auf frischer Tat ertappen, müssen vor der Festnahme jedoch hupen und dann drei Minuten warten.
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Die Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaft (SVPW/ASSP) informiert ihre Mitglieder elektronisch über Jobs, Praktika, neue Literatur und Veranstaltungen und sendet ihnen kostenlos 3 bis 4 mal jährlich die Swiss Political Science Review zu (www.spsr.ch). Seien Sie dabei am SVPW-Jahreskongress, nehmen Sie an Workshops zu verschiedenen Themen der politikwissenschaftlichen Forschung teil und profitieren Sie dabei von grossen Ermässigungen für studierende SVPWMitglieder. Vernetzen Sie sich mit Studierenden, WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen. Um Mitglied der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft zu werden, melden Sie sich mit untenstehendem Anmeldetalon an oder Sie gehen direkt auf unsere Webseite, www.sagw.ch/svpw und melden Sie sich elektronisch an: svpw@sagw.ch.
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Mitgliedschaftsgesuch
SVPW ASSP
Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaft Association Suisse de Science Politique Swiss Political Science Association
Der/die Unterzeichnende wünscht hiermit, Mitglied der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft zu werden. Die Mitgliederbeiträge betragen: Fr. 100.-Fr. 50.-Fr. 150.--
für ordentliche Mitglieder für Studierende für Kollektivmitglieder
Ort und Datum: Name: Adresse: Beruf: Tel. P: Email:
Unterschrift:
Tel. G:
Formular senden an: Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaft Mitgliederverwaltung Postfach 8309 3001 Bern E-Mail: svpw@sagw.ch
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Die Mitglieder der SVPW erhalten die Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft und den elektronischen Newsletter der Vereinigung gratis.
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Heiss oder Scheiss? Pornographie ist heute kein Tabu mehr, sorgt aber immer noch für viele Diskussionen und kontroverse Meinungen. Dies können Christian Seidel und Stefanie Heine bestätigen, die Studierende an der Universität Zürich nach ihrer Meinung zu Pornos fragten. Oliver, 26, Geographie Bei Pornos kommt es wahrscheinlich eher darauf an, in welcher Stimmung oder Umstandssituation man ist, als auf den Inhalt. Was einem an Pornos gefällt, ist sehr subjektiv und nicht von Normen geleitet. Pornos werden nicht in der Öffentlichkeit konsumiert und allein darum schon etwas äusserst Privates. Man kann sich dabei seinen Bedürfnissen entsprechend selbst verwirklichen. Ralf, 23, Wirtschaft Ich inde das ist ein spannendes Thema. Pornos werden nicht oft diskutiert – höchstens ab und zu unter guten Kollegen. Diese Diskussionen sind dann auch häuig nicht sehr ernst und der Inhalt der
Spiel sind, wie Sex mit Kindern oder Tieren, und das Ganze in einem gesunden Rahmen ist, ist es vollkommen okay sie zu konsumieren – wenn man das will. Meine Welt ist das es allerdings nicht unbedingt. Ich lebe meine Sexualität lieber selbst aus als anderen dabei zuzusehen. Jolanda, 24, Geschichte Pornographie ist grundsätzlich voll okay und menschlich – sofern es die Beteiligten freiwillig machen und sich bewusst sind, was sie tun. Die «Gefahren» liegen eher bei den Konsumenten, die nicht mehr einschätzen können, was real ist und was Phantasie. Im Moment wird wohl bei der Pornographie wie in vielen Bereichen, zum Beispiel dem
Autoren Redaktorin Stefanie Heine (26) aus Zürich
Pornos wird nicht angesprochen. Es ist klar, dass Pornos von vielen Leuten konsumiert werden und heute steht man da auch dazu. Geredet wird aber nicht viel darüber. Annamarie, 29, Geschichte Ab wann ist Pornographie überhaupt Pornographie? Diese Frage gälte es zuerst zu beantworten. Den Anblick von nackten Menschen, Männern und Frauen, inde ich sehr schön. Auch sexy Posen können mich stimulieren. Sobald das Ganze intimer wird und bei Szenen Details zu sehen sind, wird es für mich zu hart. Bernhard, 26, Wirtschaft
Spitzensport, vieles immer mehr übertrieben und übersteigert. Da muss man sich unbedingt abgrenzen, gerade als junge Menschen.
studierte Englisch, Philosophie und Komparatistik. Sie ist nun Doktorandin in englischer
Stephan, 25, Wirtschaft Pornographie kann sehr erregend sein. Leider ist sie durch die Kommerzialisierung zu einem riesigen Geschäft geworden, wobei häuig die Darsteller und Darstellerinnen ausgebeutet werden. Dadurch hat das Ganze einen üblen Beigeschmack bekommen. Jedes Angebot verschafft sich seine Nachfrage.
Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Zürich. Christian Seidel (26) studierte Physik an der Technischen Universität München.
Chris, 22, Wirtschaft Pornos sind in Ordnung, solange es sich nicht um Kinderpornographie handelt.
Bild Sarah Schüter
Eigentlich kann man kurz und knapp sagen: sofern bei Pornographie keine verbotenen Dinge im
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agenda
ROT ANSTREICHEN! Uni-Veranstaltungen Wie der Aufstieg Asiens die Weltgesellschaft verändert 21.09.2009, 19:30-20:15 Uhr Referent: PD Dr. Patrick Ziltener Ort: Uni Zürich, Raum: KOL-G-201 (Aula)
Human rights in an era of globalisation 24.09.2009, 18:15-19:30 Uhr Referentin: Professor Sandra Fredman, Oxford University Ort: Uni Zürich, Raum: KOL-F-118
Forza, povera Italia! Silvio Berlusconi von aussen gesehen 16.12.2009, 18:15-20:00 Uhr Referent: Prof. Dr. Carlo Moos Ort: Uni Zürich, Raum: KO2-F-150
China: Ein Vielvölkerstaat im Wandel 27.01.2010, 18:15 Uhr Referentin: Prof. Dr. Mareile Flitsch Ort: ETH Hauptgebäude, Raum: ETH D 1.2
SIAF-Veranstaltungen Rhetorische Strategien im deutschen Bundestagswahlkampf 2009 in korpuslinguistischer Perspektive 28. 09.2009, 17:00-17:45 Uhr
Die Rückkehr der Geschichte 7.10.2009, 18:15 Uhr
Referent: PD Dr. Joachim Scharloth Ort: Uni Zürich, Raum: KOL-G-201 (Aula)
Referent: Robert Kagan, Carnegie Endowment for International Peace, Washington Ort: Uni Zürich, Raum: KOL-G-201 (Aula)
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey zum 500. Geburtstag von Johannes Calvin
Marktwirtschaft und politische Intervention - ein Streitgespräch 29.10.2009, 18:15 Uhr
29.10.2009, 18:15-20:00 Uhr Ort: Uni Zürich, Raum: KOL-G-201 (Aula)
Politikwissenschaftliche Interpretationen der Transformation des Fussballs in Europa
Referenten: Heiner Flassbeck und Martin Janssen Ort: Uni Zürich, Raum: KOH-B-10
Für weitere SIAF-Veranstaltungen siehe: http://www.siaf.ch
07.12.2009, 18:15-19:00 Uhr Referent: PD Dr. Dirk Lehmkuhl Ort: Uni Zürich, Raum: KOL-G-201 (Aula)
Weiteres Blutspendeaktion 7. - 11.12.2009 Ort: Uni Zürich, Lichthof
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Lehrstuhl für Policy-Analyse Institut für Politikwissenschaft
Der Lehrstuhl für Policy-Analyse wurde 2008 mit der Berufung von Prof. Dr. Fabrizio Gilardi eingerichtet. Der Lehrstuhl befasst sich mit der vergleichenden Analyse von öffentlichen Politiken auf der internationalen Ebene und in der Schweiz. Die gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf die Gesundheitspolitik, den Steuerwettbewerb, regulative Politiken und Institutionen, die Diffusion von Politiken und auf die Verwendung von fortgeschrittenen quantitativen und qualitativen Methoden im Bereich der Policy-Analyse.
Lehrveranstaltungen 2009-2010 Kernkompetenzen Policy-Analyse: Einführung in die Grundlagen der Policy- Analyse Herbstsemester 2009, Raum: HAH-E-3, Termin: Di 16:15-18:00 Dozierende: Fabrizio Gilardi, Fabio Servalli, Fabio Wasserfallen
Vertiefung Policy-Analyse Herbstsemester 2009 – Frühlingssemester 2010, Raum: KOL-G-204, Termin: Dozierende: Fabrizio Gilardi, Fabio Servalli
Mo 14:00-15:45
Forschungsseminar Policy-Analyse: Policy Diffusion Herbstsemester 2009 – Frühlingssemester 2010, Raum: SOD-1-101, Termin: Mo 10:15-12:00 Dozierende: Fabrizio Gilardi, Fabio Wasserfallen
Spezialisierung Policy-Analyse: Comparative regulatory governance Herbstsemester 2009 – Frühlingssemester 2010, Raum: RAI-J-031, Termin: Di 14:00-15:45 Dozierende: Martino Maggetti
Kontakt Prof. Dr. Fabrizio Gilardi Seilergraben 53 8001 Zürich
Mail: gilardi@ipz.uzh.ch Web : http://www.fabriziogilardi.org/ Twitter : http://twitter.com/fgilardi
Universität Zürich Gender Studies
Quizfrage Nr. 1 Warum haben Männer keine Orangenhaut?
Auflösung: Weil es nicht schön ist.
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REDAKTIONSTEAM
Sarah Schlüter
Antonio Danuser
Stefan Klauser
Frédéric Papp Stefan Kovac
Stefanie Heine
Petra Vogel
Michèle With Urs Güney
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impressum
GRAFIK/LAYOUT Redaktionsteam
TITELBILD
HERAUSGEBER
ERSCHEINUNGSWEISE
Johanna Klaus, Matthias Müller, Tamara Malenovic.
2 x jährlich
LEITUNG PRODUKTION
Direktverkauf: CHF 5.Im Buchhandel: CHF 7.50
VERKAUFSSTELLEN
REDAKTION
Bibliothek IPZ Buchhandlung Klio Bibliothek Philosophisches Seminar Studentenladen Zentrum CIS-Bibliothek Helvetia Buchhandlung Buch&Wein BQM
KORREKTORAT Petra Vogel, Urs Güney, Stefanie Heine
FREIE MITARBEIT Christian Seidel, Vincenzo Iorio, Anna Chudozilov.
FREIE BEITRÄGE Marion Strunk, Ludger ViefhuesBailey, Kurt Imhof, Marcel Hegetschweiler, Yvonne Meier, Alexander Ott, Rahel Perrot, FV Polito.
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EINZELPREIS
Sarah Schlüter, Stefanie Heine Stefan Kovac, Antonio Danuser, Frédéric Papp, Stefan Klauser, Michèle With, Stefanie Heine, Urs Güney, Sarah Schlüter, Petra Vogel.
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AUFLAGE 1’000 Exemplare
DRUCK Studentendruckerei Rämistrasse 78 8001 Zürich zoon politikon | sept 09 | nr. 7
IMPRESSUM Zoon Politikon – Zeitschrift von Studierenden der Politikwissenschaft der Universität Zürich, Rämistrasse 62, 8006 Zürich.