MISE EN PLACE
Liebe Leserinnen und Leser, irgendwo las ich neulich einen Satz, der behauptete, ein guter Koch sei ein göttliches Wesen. Einige exaltierte Vertreter der Küchenkunst mögen sich tatsächlich dafür halten, sollen sie. Christian Lohse jedenfalls gehört nicht dazu. Er ist wohltuend normal, allürenfrei und – nicht eben die Regel in Lohses Branche – er anerkennt die Leistungen vieler seiner Kollegen und lobt deren kulinarisches Können. Ein rundum würdiger Meisterkoch 2009 also – und nun hofft natürlich die Gemeinde, dass die Michelin-Inspektoren das genau so sehen. In ein paar Wochen erscheint die Ausgabe 2010 des wichtigsten Gastro-Guides, und Lohse hat zwei Sterne zu verteidigen. Das wird er wohl auch tun, alles andere wäre schreiend ungerecht. Spannend, ob sich die Tester endlich dazu durchringen, wenigstens einem weiteren Berliner Küchenchef den zweiten Stern zuzuerkennen. Michael Hoffmann wäre mein Favorit. Ob das prätentiöse und noch immer ziemlich zeitferne Wertungssystem es zulässt, eine Küche auszuzeichnen, die auf die suggestive Wirkung von Edelprodukten weitgehend verzichtet und auf Gemüse setzt, bleibt allerdings die Frage. Übrigens: kürzlich entdeckte ich, dass in Berlin schon mal drei Michelin-Sterne vergeben wurden. Im Keller fand ich einen Deutschland-Guide des Jahrgangs 1965. Hätten Sie gewusst, dass damals die Sterne noch nicht für Restaurants, sondern für Sehenswürdigkeiten vergeben wurden? Neben dem Brandenburger Tor, dem Kurfürstendamm und der Karl-Marx-Allee (sic!), die mit zwei Sternen zu Buche standen, ehrte die rote Bibel das Pergamonmuseum mit deren drei. Zum Schluss noch ein Wort in einer ganz persönlichen Angelegenheit: Danke. Das sage ich allen Freunden und Kollegen, die aus dem nichtigen Anlass meines Älterwerdens mir Glück wünschten und Mut machten, das nicht immer ganz einfache Garcon-Projekt fortzusetzen. Ich danke meinem Freund Andreas Langholz, der eine Überraschungsparty organisierte, die selbst mich sprachlos machte. Ich danke dem Riehmer’s-Team, das sie ausrichtete. Und ich danke allen, die mir schrieben oder die sich die Zeit nahmen, dabei zu sein und denen kein Weg zu weit war, nach Berlin zu kommen. Viel Freude mit dem neuen Garcon, und bleiben Sie uns gewogen. Ihr Jörg Teuscher.
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INHALT
MISE EN PLACE
TITEL Berliner Meisterköche 2009 Christian Lohse & Co.
42 Piemont
6 Meisterköche
LOKALTERMIN
Cheese 2009 Notizen aus dem Piemont
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Multikulti kulinarisch Ausländer in Berlin
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Gletscherkönig Nichts als Käse im Kopf
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Carabao Thailändisches in Kreuzberg
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Fuhrmanns Früchtekorb Pastinaken
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Tanos Libanesisches in Lichterfelde
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Faudes feine Brände Erfolgsgeschichte vom Kaiserstuhl
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IneS Chronik einer Restaurantgründung II
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Eiffel Haufes Handschrift
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KOPFSALAT
SeeLodge Kremmen im Herbst
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Peter Franke Koch als kulinarischer Chronist
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Telecafé Essen mit Aussicht
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Peter Frühsammer Der perfekte Gastgeber
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Werner Lehmann Der alte Mann und die Messer
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GESCHMACKSSACHEN Specialità locale Mozzarella aus Tempelhof
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BOUQUET GARNI 36 Telecafé
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GARÇON
Nachrichten und Neuigkeiten
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rz_triangle_0809_final:Stil & Markt
30.07.200
39 Francia-Mozzarella WEINLESE Holy Bowly Burgunder mit Holunder
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Esterházy in Berlin Ein kulinarisches Spitzentreffen
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LEBENSART Lonscher Gewogen und für gut befunden
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Mancherleigrün Drei Damen vom Blumeneck
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Die Küchenprofis Messershop bei Topf & Pfanne
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Kuchen aus Neukölln Gugelhupf in neuer Form
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RUBRIKEN Gastroquiz
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Impressum
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62 Meister Lehmann
Der Knoblauchschneider von triangle® schneidet perfekte Stifte und Würfel.
74 Lonscher-Waagen
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TITEL
Sechs Glückwünsche und ein Blick zurück Von Jörg Teuscher
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Meisterköche 2009 TITEL
Berliner Meisterkoch 2009 Christian Lohse (3. v. li.) Fischers Fritz The Regent Berlin Brandenburger Meisterkoch 2009 Torsten Voigt (2. v. li.) Windspiel Schloss Hubertushöhe Storkow Aufsteiger 2009 Daniel Achilles (5. v. li.) Restaurant Reinstoff Berliner Maître 2009 Vedad Hadziabdic ( 4. v. li.) Die Quadriga Brandenburger Hof Berlin Berliner Sommelier 2009 Billy Wagner (6. v. .li.) Weinbar Rutz Gastronomischer Innovator 2009 Roland Mary (1. v. li.) Borchardt, San Nicci, Pan Asia u.a. Garçon gratuliert!
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TITEL Meisterköche 2009
Der Fahrstuhl nach oben. Der spektakuläre Blick über die neue Mitte Berlins. Die 13. Etage des Hotels Intercontinental, ein guter Ort für die Bekanntgabe der Titelträger Berliner und Brandenburger Meisterkoch, Berliner Sommelier, Berliner Maître, Aufsteiger und Gastronomischer Innovator, das heißt, bester Gastgeber des Jahrgangs 2009. Prof. Dr. Dr.h.c. Dieter Großklaus, seit der ersten Auflage der Ehren-Runde 1997 Jurypräsident, lüftet das gut gehütete Geheimnis. Überraschungen bleiben aus. Die unabhängige Jury, zwölf renommierte Gastronomiejournalisten und Restauranttester, traf mit Christian Lohse, Torsten Voigt, Billy Wagner, Vedad Hadziabdic, Daniel Achilles und Roland Mary in allen Kategorien eine gute Wahl. René Gurka, Geschäftsführer der Berlin
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Partner GmbH, erklärt: „Unsere Arbeit, den Standort Berlin in allen Facetten zu fördern und zu vermarkten, wäre um Einiges schwieriger, hätten wir die Spitzengastronomie nicht als Partner. Erstklassige Restaurants mit exzellentem Service sind einerseits ein Wirtschaftsfaktor, andererseits prägen sie das Image unserer Stadt positiv.“ Meisterköche 2009 – eine Auszeichnung 20 Jahre nach dem Mauerfall. Die Redner bemühen an diesem Tag natürlich die Vergangenheit. Der Aufstieg Berlins von der Boulettenhauptstadt zur Gourmetmetropole hat sicher sowohl etwas mit dem Ende des Westberliner Inseldaseins als auch damit zu tun, dass für Ostberlins Köche die Mangel- und Zuteilungswirtschaft vorüber ist. Dennoch - der Weg ist lang.
Gert von Paczensky, seinerzeit Chefredakteur von Radio Bremen und Restauranttester der Hamburger Zeitschrift essen & trinken, schreibt mit dem Blick auf Berlin: „Allzu oft schwindet der Appetit mit dem Essen.“ Die nicht minder spitze Feder seines Kollegen Klaus Besser notiert: „Der Berliner, selbst der wohlhabende, liebt das Deftige, Riesenportionen und dazu die Molle.“ Und Wolfram Siebeck schließlich, der dritte im Bunde der damals tonangebenden Restaurantkritiker, bezeichnet Berlins Köche schlicht und spöttisch als „Gurkentruppe“. Michelin und Gault Millau, die beiden maßgeblichen Guides, sind sich in ihren Ausgaben von 1989 ausnahmsweise weitgehend einig, zumindest was Berlin be-
Prof. Dr. Dr. Dieter Großklaus gratuliert Christian Lohse...
... Vedad Hadziabdic...
... Roland Mary...
...und Billy Wagner
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Meisterköche 2009 TITEL
trifft. Die rote Bibel vergibt insgesamt sechs Sterne: zwei für Siegfried Rockendorf (Rockendorf´s Restaurant) sowie je einen für Peter Frühsammer (Frühsammers Restaurant An der Rehwiese), Valter Nazza (Ponte Vecchio), Franz Raneburger (Bamberger Reiter) und Karl Wannemacher (Alt Luxemburg). Diese Restaurants bilden auch im 1989er Gault Millau die Berliner Spitzengruppe. Frühsammmers und Rockendorfs Restaurants erhalten 16 Punkte, der Bamberger Reiter ist mit 15, Alt Luxemburg und Ponte Vecchio mit 14 Punkten notiert. Hinzu kommt das Avec in der Charlottenburger Mommsenstraße (14 Punkte) - ein kleines Restaurant, in dem Udo Kämper, Ende der 1970er Jahre gemeinsam mit Henry Levy Wegbereiter einer modernen, leichten Art des Kochens, mit Altberliner Menüs Furore macht. Es gibt Liebstöckelcrème, Havelzander mit Sauerrahmsauce und Lammkeule mit einer Kruste von Schafskäse und Basilikum.
Ansonsten punkten 1989 vor allem Italiener: Anselmo (12), Ars Vivendi (12), Bacco (12), Borbone (12), La Cascina (12), Cristallo (14), Da Antonio (14), Mario (13) und La Vernaccia (15). Insgesamt 49 Restaurants hält der Führer in Berlin für bemerkenswert, zehn davon übrigens im Ostteil der Stadt. Dabei bewerten die Noten für diese zehn allerdings lediglich die Kreativität der Köche und die Harmonie der Zubereitung, die Qualität der verwendeten Produkte bleibt außen vor. Der Gault Millau begründet: „Köche in der DDR können nicht marktgerecht einkaufen, sondern müssen nehmen, was sie kriegen - selten saisonale Frischprodukte, vornehmlich Konserven.“ Zu den wenigen herausragenden gastronomischen Improvisationskünstlern dieser Zeit in der DDR-Hauptstadt gehört Doris Burneleit, charmante Chefin des einzigen „Italieners“ zwischen Pankow und Treptow. Sie macht im Fioretto im Ost-Berliner Stadtteil Oberspree fehlendes Produkt mit viel Liebe wett und serviert beispielswei-
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Die Berliner Meisterköche 1997
se Involtini alla Roma - kleine, mit Kräutern gefüllte und im Römertopf gegarte Rouladen - oder Gnocchi mit Kaviar und Sahne. Kein Wunder, dass Hans-Peter Wodarz, von Verleger Hubert Burda mit der kulinarischen Ausgestaltung der Bambi-Verleihung 1990, der ersten im Osten, beauftragt, auch die Köchin aus Köpenick nach Leipzig einlädt. Gemeinsam mit den zehn besten Küchenchefs aus der alten Bundesrepublik und neun ihrer Kollegen aus der ehemaligen DDR kocht Doris Burneleit im Zeichen der Einheit. Sie genießt den Beifall der 1.200 geladenen Gäste und hat Tränen in den Augen, als die Menschen, die mit ihren friedlichen Montagsdemonstrationen das Fundament zur Wiedervereinigung Deutschlands gelegt hatten, auf dem Leipziger Opernplatz singen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute...“ Bodenständige Küche, mit Raffinesse zubereitet, ist auch heute noch Doris Burneleits Markenzeichen und ihre Trattoria Paparazzi eine der besten kulinarischen Adressen in Prenzlauer Berg. Auch Marco Müller, damals 19-jähriger Jungkoch im Potsdamer Klosterkeller, kann Lieder von der DDR-Mangelwirtschaft singen. Er erzählt, wie er am Tag des Mau-
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erfalls zum ersten Mal nach West-Berlin fährt, mit Freunden und einem geborgten Lada. Wie sie die ganze Nacht feiern und am nächsten Morgen ins KaDeWe ziehen. Auf der Feinkostetage kommt der Schock, dem die Erkenntnis folgt - nichts wie weg aus Potsdam. Bereits Anfang Februar 1990 steht Marco Müller dann im Schlosshotel Gehrhus im Grunewald am Herd. Heute gehört der inzwischen 39-jährige Küchenchef und Sternekoch in der Weinbar Rutz zur Spitzengruppe der hauptstädtischen Herdkünstler. Fast auf den Tag genau acht Jahre nach dem Mauerfall, am 5. November 1997, kommt es zu einem kulinarischen Gipfeltreffen im Hotel Intercontinental. Partner für Berlin verleiht zum ersten Mal den Ehrentitel Berliner Meisterkoch. Dessen Geschäftsführer Volker Hassemer begründet die Aktion: „Mit dem neuen Berlin entwickeln sich auch die Berliner Küchen immer besser. Sie gehören zu den attraktiven Zielen der Stadt. Es lohnt sich also, auf die besten hinzuweisen.“ Selbst jene, die noch immer Berlins fettigen Ruf beschwören, müssen erkennen, dass Spitzengastronomie an der Spree kein Fremdwort mehr ist. Den größten Anteil
daran haben ohne Zweifel die ersten Berliner Meisterköche Herbert Beltle, Manfred Heissig, Johannes King, Franz Raneburger, Rolf Schmidt und Karl Wannemacher sowie Kurt Jäger, Kolja Kleeberg und Siegfried Rockendorf, die zu den Preisträgern im folgenden Jahr gehören. Sie alle kochen nicht nur gegen ein abgestandenes Vorurteil an, sondern viele derer, die heute mit ihren Restaurants in Berlin Furore machen, haben das Einmaleins der Herdarbeit bei den Altmeistern gelernt - Sonja Frühsammer etwa bei Karl Wannemacher, Marco Müller bei Johannes King oder Tim Raue bei Franz Raneburger und Rolf Schmidt. Diese junge Garde hat inzwischen den Staffelstab übernommen und ein beeindruckendes Tempo angeschlagen. Gemeinsam mit Köchen wie Michael Hoffmann und Christian Lohse, für die die Stadt nach dem Mauerfall interessant wurde, haben Stefan Hartmann, Michael Kempf, Björn Panek, Tim Raue und Co. Berlin zur kulinarischen Hauptstadt gemacht. Ein Berliner Küchenwunder? „Eher eine kleine Revolution mit dem Ergebnis“, so Zwei-Sterne-Koch Christian Lohse, „dass wir inzwischen durchaus von einer Berliner Schule sprechen können.“
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TITEL Meisterköche 2009
„EIN RESTAURANT MUSS SEXY SEIN“ CHRISTIAN LOHSE – BERLINER MEISTERKOCH 2009 VON JÖRG TEUSCHER
„Wohin gehst Du, wenn Du die Schnauze mal richtig voll hast?“ „Nach Hause.“ „Und wenn Dir dort die Decke auf den Kopf fällt?“ „Zu Frankie.“ „????“ „Fasanensiebenundvierzig.“ Treffpunkt Frankie also. Offiziell heißt der Laden Die Bar. „Die einzige Hotelbar ohne Hotel“, sagt Frank Kettlitz, der Chef. Wohnzimmeratmosphäre. Lederne Fauteuils, Bilder, ein langer Tresen. Ein Flügel, dessen allabendliche Benutzung beweist, dass in Charlottenburg Klavierspielen zum gutbürgerlichen Bildungsgut gehört. Man kennt sich, Begrüßung mit Handschlag. Keiner, der Christian Lohse nicht zur Meisterkoch-Auszeichnung gratuliert - auch ein Zeichen dafür, dass der Titel in der Öffentlichkeit Berlins inzwischen durchaus wahrgenommen wird.
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Die Umarmung mit einem Schwergewicht in feinem Zwirn fällt besonders herzlich aus. Lionel Hutlé, genannt Leo, ist Oberkellner im Restaurant Gendarmerie, Lohses beruflicher Nachbar also. Das allerdings ist nicht der Grund für die Nähe der beiden Männer. Hutlé arbeitete schon vor Jahren als Serviceleiter in Lohses damaligem Bad Oeynhausener Restaurant Windmühle Er erlebte dessen Aufstieg zum Zwei-Sterne-Restaurant ebenso wie die Tatsache, dass selbst hohe Guide-Weihen nicht vor tiefem Fall schützen. Frankie serviert Pimm´s No.1, einen englischen Klassiker mit frischer Gurke und Minze. „Der Abschied vom Sommer“, preist er den süffigen Drink. Lohse spricht über Gastronomisches, Kulinarisches und Berlinisches, und er tut das in der ihm eigenen Art. Ohne Umschweife, mit deutlichen Worten, Kraftausdrücke inklusive. „Eine geile Gastro-
nomie für geile Gäste“, das sei sein Ziel. „Eine eigene Kochsendung, Marke laszive Unterhaltung“, ein Wunsch für die Zukunft. Wer Lohse kennt, weiß auch, dass ein Fernsehsender, der ihm die Bühne dafür bieten würde, kein Risiko einginge. Der Mann ist nicht nur ein begnadeter Koch, sondern auch ein talentierter Entertainer mit dem Hang zu verbal Merkenswertem. Ein Satz als Beispiel: „Wer glaubt, dass es in einer so absurden Branche wie der Spitzengastronomie - zumal in Berlin – einen verlässlichen Leitfaden zum Glück gibt, dem kann ich auch Roulette als solide Anlageform fürs Ersparte empfehlen.“ Frankie bringt den nächsten Cocktail. Pimm´s Nummer 2. Vor sieben Jahren kam Christian Lohse nach Berlin. „War es die Arroganz zu wissen, dass diese Stadt kulinarisch noch viel Luft nach oben hatte? Die Sucht, endlich wieder in einer richtigen Großstadt zu le-
Meisterköche 2009 TITEL
ben?“ Der Küchenchef zuckt mit den Schultern und fügt hinzu: „Das Wichtigste war wohl – Berlin hat mir eine zweite Chance geboten.“ Der dritte Cocktail, Pimms Nummer 3. Lohses Zuneigung zu dieser Stadt scheint grenzenlos. Seine Lieblingsorte sind die Philharmonie, die Neue Nationalgalerie, die Alte Försterei - „ich bin ein harter Unioner“ - und eben Frankies Bar. Pimm´s Nummer 4 kommt, und Gratulant Nummer fünfzehn folgt. Lohse lächelt: „Der Meisterkoch-Titel scheint in Berlin bekannter als der Michelin-Stern.“
Fasanen 47: Lohses Wohnzimmer
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TITEL Meisterköche 2009
Christian Lohse 1972 in Bad Oeynhausen
Christian Lohse 2009 in Berlin
Der kleine und der groSSe Koch Monika und Bernd Lohse, die Eltern des Berliner Meisterkochs 2009, leben immer noch in dessen ostwestfälischer Geburtsstadt Bad Oeynhausen. 49.000 Einwohner, Kurort mit einer der größten Thermalsolequellen der Welt, Landkreis Minden-Lübbecke. Lohses Eltern, Vater Kaufmann, Mutter Kosmetikerin, kochen leidenschaftlich gern. Der Apfel fiel also offenbar nicht weit vom Stamm. Frau Lohse, Ihr Sohn als Kind mit Kochschürze, eher die Ausnahme oder die Regel? Das war absolut die Regel. Ich glaube, Christian war gerade mal zwei als er zum ersten Mal mit der Kochschürze meines Mannes in die Küche zog. Wir haben ihm dann schnell eine eigene gekauft. In un-
serem Haus war es üblich, dass die ganze Familie das Essen gemeinsam zubereitet.
Als er zurück kam, stand fest, dass er Koch werden will. Und zwar sofort.
Was mochte Ihr Sohn besonders? Frikadellen und Klöße waren seine Lieblingsspeisen, in welcher Reihenfolge, darauf möchte ich mich heute nicht mehr festlegen. Wenn es sonntags Sauerbraten mit Klößen gab, war Christian glücklich.
Wie haben Sie darauf reagiert? Ich habe das unterstützt, musste ihm aber dennoch heftig ins Gewissen reden, damit er erstmal sein Abitur macht. Nach der Zeugnisvergabe hat es dann noch zwei, drei Tage gedauert, und weg war er – nach Frankreich.
Was mochte Ihr Sohn gar nicht? Da kann ich mich an nichts erinnern. Was das Essen betrifft, war Christian absolut pflegeleicht. Wann hat Ihr Sohn die Familie mit dem Wunsch konfrontiert, Koch zu werden? Das war genau ein Jahr vor dem Abitur. Er hat damals ein Praktikum in Dijon gemacht, in einem Zwei-Sterne-Restaurant.
Wenn Ihr Sohn heute die Familie besucht, wer kocht dann im Hause Lohse? Leider ist Christian nur noch selten in Bad Oeynhausen, ich bin da schon eher mal in Berlin. Aber wenn Christian nach Hause kommt, dann ist es wie früher – wir kochen alle gemeinsam. Am liebsten natürlich Sauerbraten mit Klößen. Tradition ist eben Tradition.
Meisterköche 2009 TITEL
Geboren wurde Christian Lohse am 5. Mai 1967 in Bad Oeynhausen: kulinarisches Niemandsland zwischen Osnabrück und Hildesheim. Sonntags speisten die braven Bürger in den Wittekindstuben am Kurpark oder bestellten im Bielefelder Restaurant Löwenhof und Rauchfang das Westfälische Kalte Buffet mit Wurst, Schinken und Kartoffelsalat. Junge Leute mit Abitur und dem Berufswunsch Koch galten auch noch Ende der 1980er als Exoten oder Versager. Lohse, der sich selbst als „renitenten und pickligen Teenager auf der Suche nach Romantik“ beschreibt, landete als Lehrling in Frankreich. Bei Jean Pierre Billoux, einem Zwei-Sterne-Koch in Dijon, schuf-
tete er 300 Stunden im Monat, erduldete Demütigungen, wehrte sich gegen Vorurteile und lernte, was das Burgund, die französischste aller Provinzen des Landes, an Spezialitäten zu bieten hat und wie man sie zubereitet: Weinbergschnecken in Kräuterbutter, Hechtklößchen in Sauerampfersauce, Bœuf bourguignon, das in Rotwein geschmorte Rindfleisch und Coq au vin, das Hähnchen in Burgunder. „Ich bekam gezeigt“, schrieb Lohse vor Jahren in der Berliner Morgenpost über diese Zeit, „wie man aus stinkenden Kutteln, wabbeligen Lungen, schmierigen Därmen und öligen Fischen etwas macht, das am Ende wie eine Delikatesse riecht, aussieht und schmeckt.“
Christian Lohse 1987: Lehrling in Dijon, 1. v. re.
Der Jungkoch erfuhr, was die großen französischen Küchenmeister Charles Barrier, Guy Savoy und Marc Meneau meinten, wenn sie von der Cuisine du Marche sprachen, von der Küche des Marktes. „Die besten und frischesten Produkte auf solche Art zuzubereiten, dass der Eigengeschmack der Lebensmittel bewahrt und nicht überdeckt wird", so erklärt es Lohse heute. Das klingt so einfach und ist so schwer zu machen, weil der Schwierigkeitsgrad der Zubereitung vieler Gerichte hoch und die Komplexität der Aromen groß ist. Lohse serviert Tatar von geräuchertem Havelaal mit Granny Smith und Meerrettich. Es folgt Carpaccio vom Stör mit Gur-
Christian Lohse 1996: Küchenchef in Bad Oeynhausen
Bussi für Vossi: Christian Lohse und Fischers-Fritz-Sous-Chef Christian Voss
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TITEL Meisterköche 2009
kensalat und Saiblingskaviar. Betörende Geschmackserlebnisse auf höchstem Niveau. Über London und Hannover führte Lohses Weg 1994 zurück ins heimatliche Bad Oeynhausen, in die hundert Jahre zuvor erbaute und später zum Restaurant umgestaltete Windmühle in der Detmolder Straße. Im Jahr 2000 wurde er vom Gault Millau zum Aufsteiger des Jahres gekürt, bekam 18 Punkte und vom Guide Michelin den zweiten Stern. Der Bürgermeister des Kurstädtchens war am Tag der Bekanntgabe von Lohses Aufnahme in den Kocholymp auf einer Kaninchenzüchterversammlung und feierte den stärksten Rammler der Region. Dem Sternekoch zu gratulieren, vergaß er. „Selbständige Spitzenküche in der Pampa, die blödeste Idee meines Lebens“, nennt Lohse heute sein Oeynhausener Gastspiel, das mit einer klassischen Insolvenz endete. „Berlin hat mir eine zweite Chance gegeben“, sagt er dann. Das klingt gut, in Wirklichkeit jedoch waren es die Manager
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des damals zur Regent-Gruppe gehörenden Schlosshotels im Grunewald, eines bis dato in Berlin noch ziemlich unbekannten Hotelkonzerns. Der hochgeehrte Küchenchef hatte es in der Hauptstadt allerdings nicht leicht. „Lohse rennt hier mit seinem französischmediterranen, asiatisch akzentuierten Stil offene Küchentüren gleich in Serie ein; die Trendsetter der Stadt sind längst ein ganzes Stück weiter“, konstatierte der Gault Millau 2003. Die meisten Kritiker erkannten allerdings wohl auch Lohses Möglichkeiten bei der modernen Interpretation der klassischen französischen Küche. 2004 dann der Wechsel ins Regent am Gendarmenmarkt, das frühere Four Seasons. Fischers Fritz, so der Name des neuen Gourmetrestaurants nach dem Betreiberwechsel. Die Experten mutmaßten, dass Lohse hier unter der Oberaufsicht des Brüsseler Starkochs Yves Mattagne das Konzept des in der belgischen Hauptstadt erfolgreichen Sea Grills für Berlin passfähig machen sollte. Er jedoch entwickelte ein ei-
genes kulinarisches Konzept und begann, es umzusetzen. Teamwork. Vollgas. Lohse wie in alten Zeiten, nur besser. Auf die Teller kommen kleine Aromenwunder. Beispiele sind der knusprig gebratene Atlantikmerlan, gefüllt mit feinen Bittersalaten und getrüffelter Remouladensauce oder die Haxe vom Milchkalb, in Morchelmilch pochiert und mit gebratenem roten Mangold und Sauce Foyot serviert. Das brachte schließlich im Dezember 2007 den ersehnten zweiten Stern in die Hauptstadt, über den damals der Küchenchef mit westfälischem Understatement sagt, seine Brigade habe eigentlich die Auszeichnung verdient, er sein nur der Ideengeber und Abschmecker. Typisch Lohse. Das Hauptgericht. Ein im ganzen gerösteter St. Pierre mit Salat von Lilienblüten und Ingwer-Limetten-Korianderbutter. Ein Meisterstück und die Handschrift eines Kochs, der noch längst nicht am Ende seiner Möglichkeiten ist. Nachschlag bitte, Christian Lohse.
Meisterkรถche 2009 TITEL
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LOKALTERMINMargaux
GARÇON FRAGEBOGEN Christian Lohse
Ihr Lieblingsgericht? Keins Ihr Lieblingsgetränk? Keins Ihr Lieblingsgewürz? Keins Ihr Lieblingsfisch? Eine hübsche Meerjungfrau Ihr Küchenmotto? Nicht im Keller lachen Wen hätten Sie gern mal als Gast? Meine Großmutter Welches Gericht mögen Sie gar nicht? Ein schlechtes Welches Getränk mögen Sie gar nicht? Ein schlechtes In welchen Restaurants – außer Ihrem eigenen – essen Sie am liebsten? In guten Was halten Sie von Kochbüchern? Viel und nichts
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Christian Lohse und Uwe F. Steinbrecher
Uwe F. Steinbrecher, Kaufmann aus Wiesbaden, isst gern und liebt deutschen Riesling. Der Weinkenner und Hobbykoch war schon in vielen Restaurants zwischen Sylt und Bodensee zu Gast. „Beruflich bedingt, reise ich viel und verbinde dabei das Angenehme mit dem Nützlichen“, sagt Steinbrecher und fügt hinzu: „Gutes Essen und Trinken sind kein Luxus, sondern Ökonomie.“ Seit wann kennen Sie Christian Lohse? Aus der Distanz schon sehr lange. Ich habe in den vergangenen Jahren etliche Restaurants besucht, in denen Christian Lohse am Herd stand. Persönlich kennengelernt habe ich ihn aber erst in Berlin. Was schätzen Sie an ihm? Christian Lohse ist ein Mann mit klarem kulinarischem Verstand, ein kerzengerader Charakter, ein immer kampfbereiter Koch, ohne Allüren.
Was ist das besondere seiner Küche? Er kocht im Fischers Fritz eine kleine Karte, verzichtet auf unnütze Experimente und setzt stattdessen auf die natürlichen Dinge. Ich nenne das „reduce to the max“. Nehmen Sie beispielsweise ein Carpaccio von Atlantik-Langostinos, das mit geschlagenem Sauerrahm und Saibligskaviar serviert wird oder ein Mittelstück vom Atlantik-Steinbutt, das mit Waldpilzen aus der Schorfheide auf den Teller kommt. Irgendwo habe ich gelesen, das sei moderne Grande cuisine Allemagne. Ich sage es gern schlicht: das ist Lohses Küche. Perfekte Ware, Konzentration auf deren ursprünglichen Geschmack, kein Chi-Chi, die Zunge bleibt heil. Für bemerkenswert halte ich außerdem, dass im Fischers Fritz die Gerichte auch dann seine Handschrift tragen, wenn er mal nicht da ist. Das spricht sowohl für Lohses Qualitäten als Küchenchef als auch für das Können seiner Brigade.
Meisterköche 2009 TITEL
Grüne Erbsenschaumsuppe. Der folgt ein Lohse-Klassiker: Onsenei mit provenzalischen Stampfkartoffeln und Scampo in Hummersauce. Onsenei? Genau. Onsen bezeichnen in Japan heiße Quellen, in denen Eier gekocht werden. Christian Lohse gehört zu jenen Spitzenköchen, die das uralte japanische Verfahren entdeckt haben und für ihre Küche nutzen. Seine Brandenburger Bio-Eier werden dafür bei exakt 61 Grad gegart, 42 Minuten lang. Es gibt übrigens, lassen Sie mich das noch sagen, neben dem viergängigen Gourmet-Menü auch ein vegetarisches Vier-Gänge-Menü. Zum Onsenei und den Stampfkartoffeln wird dann beispielsweise eine Karotten-Tomatensauce serviert. Wie lange hat es denn gedauert, bis Sie Christian Lohse überzeugt hatten, mit Ihnen auf die Palazzo-Brücke zu steigen? Sie werden lachen, knapp eine Minute.
Hans-Peter Wodarz, Großmeister der Erlebnis-Gastronomie, begann seine Karriere als Page im damaligen Wiesbadener Hotel Rose. Einer Kochlehre folgten die Tätigkeit in Eckart Witzigmanns Tantris und 1975 die Eröffnung des ersten eigenen Restaurants, der Ente im Lehel in München, später in Wiesbaden. Wodarz erkochte sich einen MichelinStern und startete kurz darauf seine berühmten Dinner-Shows. Seit 2007 lädt Wodarz die Berliner und ihre Gäste ins Restaurant-Theater Palazzo ein. Man sieht Sie derzeit häufig gemeinsam mit Christian Lohse... Wenn Sie auf das neue Palazzo-Plakat anspielen, ist das richtig. Wir bilden sozusa-
gen eine kulinarische Doppelspitze. Christian Lohse hat für die am 13. November im Spiegelpalast Humboldthafen am Hauptbahnhof beginnende Spielzeit unseres Gourmet-Theaters zwei der vier Menügänge entwickelt. Zwei weitere stammen von mir. Was können die Palazzo-Gäste kulinarisch erwarten? Auf jeden Fall Hochkarätiges. Das Hauptgericht ist traditionell Ente, in diesem Jahr Brust und Keule von der Oldenburger Ente. Dazu servieren wir Granatapfel-Portweinsauce, gefüllten Kartoffelkloß, Entenleberparfait und Rahmwirsing. Als Vorspeise gibt es Rote-Bete-Carpaccio mit Jakobsmuschel und Gewürzlachs und eine
Und weshalb sollte es gerade Christian Lohse sein? Er steht auf der Beliebtheitsskala der großen Köche ganz weit oben. Er ist ein lebensfroher Mensch, hat ein Gefühl für die Künstler, er ist einfach eine sympathische Persönlichkeit. Als wir uns vor ungefähr fünf Jahren zum ersten Mal trafen, stimmte die Chemie sofort. Manchmal gibt es so was im Leben. Was schätzen Sie besonders an dem Koch Christian Lohse? Ich rechne ihn zu den Top 10 in Deutschland. Ich war häufig im Fischers Fritz zu Gast, mittags und abends, und habe immer große Kochkunst erlebt. Der Gipfel war Bretonischer Hummer aus der Hummerpresse, am Tisch zubereitet, mit saisonalen Pilzen und einer feinen Corailjus. Das hat mich an das Essen beispielsweise bei Pierre Troisgros in Roanne oder bei den Haeberlins in Illhaeusern im Elsass erinnert. Übrigens - Christian Lohses Sternzeichen müsste eigentlich Fische sein, weil ich keinen Koch kenne, der mit Meerestieren so gut umgehen kann, wie er.
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TITEL Meisterköche 2009
PRESTIG
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Froschschenkel mit Spreewälder Sau mit Emulsion von Wachold
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Leicht gelierte Essenz vo mit Rahmsalat von Schlangenboh
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Knusprig gebac mit Steinmühlen-Polenta, Pfiffe
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Kabeljau in Olivenöl konfier Jus von Langostinos und e
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Frische und gerei vom Bou Christian Lohse: volle Konzentration am Pass
Für Christian Lohse stehen drei große S – nicht säubern, säuern, salzen sondern smart, spontan und sympathisch. Josef Eder, Grand Hyatt Berlin
Klassisch gebran
Christian Lohse ist ein verdammt guter, bodenständiger Koch, ein sensationeller Entertainer und ein absoluter Fachmann für Rumcocktails. Michael Kempf, Facil im The Mandala Hotel
4 Gang € 5 Gang € 6 Gang €
Christian Lohse nimmt, immer wenn es geht, seine Kollegen mit ins Boot und läßt alle an seinem Erfolg teilhaben. Peter Frühsammer, Frühsammers Restaurant Ich schätze Christian Lohse als einen grandiosen Kollegen und sehr guten Freund, der sein Herz am rechten Fleck hat. Danijel Kresovic, 44 im Swissôtel Berlin Ein großartiger, liebenswerter Mensch, ein Freund und Kollege, auf den man bauen kann, ein begnadeter Koch mit dem richtigen Riecher. Marco Müller, Weinbar Rutz
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GARÇON
Meisterköche 2009 TITEL
GE MENÜ
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uerkraut - neue Ernte - und Bio-Linda dergrün und Wasserspinat
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on geräucherten Pimentos hnen und bretonischem Hummer
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ckenes Onsenei erlingen und jungem Parmesan
Küchenparty im The Regent Berlin Sieben Starköche, sieben herausragende Winzer sowie ein Restaurant, das den perfekten Rahmen für ein kulinarisches Erlebnis bietet. Sonntag, 1. November 2009, ab 18.30 Uhr im Restaurant Fischers Fritz, im Private Dining Room des Fischers Fritz, in der Bar sowie in der Hauptküche des Restaurants. Preis: 149,- Euro pro Person. Reservierung: Tel. 030-20 33 63 63 Email: fischersfritz.berlin@rezidorregent.com
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rt mit Knollenselleriestampf englischem Bleichsellerie
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ifte Rohmilchkäse uton d’Or
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nnte Vanillecrme
€ 110.00 € 130.00 € 150.00
Das Restaurant Fischers Fritz im The Regent Berlin
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LOKALTERMIN Ausländer in Berlin
MULTIKULTI KULINARISCH Ausländer in Berlin von Hans-Jürgen Bergs
73 Prozent der Deutschen essen gerne italienisch, 58 gerne griechisch. 54 Prozent haben einen Faible für die chinesische und 34 Prozent für die spanische Küche. In der Gunst folgen die französische mit 33 Prozent sowie die thailändische und türkische Küche mit jeweils 28 Prozent. Kein Wunder, dass einschlägige Gastroführer zunehmend mehr ausländische Restaurants verzeichnen - von armenisch und äthiopisch bis libanesisch und persisch. Die neue tip-Speisekarte Berlin 2010 beispielsweise führt unter der Rubrik
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„Abends“ rund 430 gute kulinarische Adressen auf. Darunter sind - grob geschätzt - etwa 230 Restaurants, in denen anders als deutsch gekocht wird. Das sind satt über 50 Prozent - die Kategorien „International“ und „Mediterran“ nicht mal mitgezählt. Die Frage, ob diese Vielfalt in Berlin Tradition sei, beantwortet ein Reiseführer aus dem Jahre 1927. Eugen Szatmari, Schriftsteller aus Wien, besuchte vor 82 Jahren die deutsche Hauptstadt und notierte, „was nicht im Baedeker steht“:
Nach dem Krieg folgten Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Die Gastarbeiter kamen und mit ihnen Teestuben und Pizzerien. 1952 startete in der Kantstraße die Paris Bar als fixe Idee des französischen Militärbeamten Jean Coupy, sein Heimatland kulinarisch nach Berlin zu holen. 1964 eröffnete in der Schlüterstraße Berlins erstes griechisches Lokal, die Taverna Apostolis - 1967 das Kalkutta, der erste Inder. Bei Pero in der Kantstraße wurde jugoslawisch gekocht, im Zlata Praha kam die Heimwehküche der Donaumonarchie auf die Teller. Und dann waren da die frühen Vertreter italienischer Ospitalità an der Spree, einige sogar michelinsterngeehrt: Anselmo Bufacchi (Anselmo), Salvatore Brai (La Vernaccia), Massimo Mannozzi (Bacco), Valter Nazza (Ponte Vecchio) und andere. Im Jahr 2000 übrigens wurde zum ersten und einzigen Mal ein Ausländer Berliner Meisterkoch - Bruno Pellegrini, damals noch Küchenchef im besten italienischen Restaurant der Stadt, dem Ana e Bruno in Charlottenburg. Seitdem - Fehlanzeige und die bescheidene Frage, weshalb die Jury das, was es da an gastronomischen Konstanten und kulinarischen Neuheiten gibt, nicht auch entsprechend würdigt. Wie wäre es beispielsweise mit dem ausländischen Aufsteiger des Jahres? Garcon jedenfalls wird in dieser und in den folgenden Ausgaben jeweils zwei ausländische Restaurants vorstellen, die unseren Autoren und Lesern auffielen - als Hommage an alle, die Berlin auch kulinarisch internationaler machen.
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LOKALTERMIN Carabao
CARABAO THAILÄNDISCHES IN Kreuzberg von Heiko Gralki
Küchenchefin Ed Mauersberger
Der Büffel heißt in Thailand Carabao. Das Wort steht außerdem für hart arbeiten und Geduld haben. Die älteste thailändische Rockband trägt den Namen Carabao, ebenso ein beliebter thailändischer Energy-Drink. Den gebürtigen Schöneberger und gelernten Gastronomen Tom Mauersberger zog es 1990 nach Thailand. Sechs Jahre später kehrte er zurück in seine Heimatstadt, im Arm seine Frau Ed, Köchin aus Ayutthaya, einer Stadt rund 100 Kilometer nördlich von Bangkok und im Kopf die Vision eines eigenen Restaurants in Berlin. Mit der Zeit reifte das Konzept, das Paar fand einen geeigneten Laden im Kreuzberger Kiez und eröffnete Ende April 2004 das Carabao. Schätzungsweise zwei Dutzend mehr oder weniger thailändische Bistros und Restaurants gibt es zwischen Hermann- und Mehringplatz. Die Einschränkung ist des-
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Carabao LOKALTERMIN
Tom und Ed Mauersberger
Kunst...
... Fleisch...
... und Fisch...
halb angebracht, weil bei etlichen zwar die Accessoires stimmen, das Essen jedoch ein asiatischer Mischmasch der eher üblen Sorte ist. Zu denen, die sich wohltuend davon abheben, gehört das Carabao. Dessen Motto „Home Style Cooking“ bedeutet: So, wie man bei Ed Mauersberger zu Hause in Ayutthaya kocht, bereitet sie auch das Essen hier in Deutschland zu. Serviert wird also eine authentische Thaiküche, je nach Gästewunsch von mäßig bis tränentreibend geschärft und in jedem Fall ohne das in vielen asiatischen Restaurants allgegenwärtige weiße Pulver namens Natriumglutamat. Hühnerbrust in Kokosmilch, Zitronengras, Koriander, Champignons, Galantwurzel - Gehacktes Rindfleisch, Chili, Knoblauch, Bambus, Auberginen, ThaiBasilikum - Rotbarsch, frischer Ingwer, Zwiebeln, Paprika, Thai-Sellerie - und zu allen Kombinationen Duftreis – drei Klassiker der Thai-Küche, die Küchenchefin Ed
Mauersberger häufig serviert. Mit den Jahren gibt es viele Stammgäste, die genau wissen, was sie wollen. Der buddhistischen Lehre entsprechend stehen auch ein gutes Dutzend vegetarische Gerichte auf der Karte. Die Basis ist gebratener Tofu, gewürzt etwa mit gelbem Curry und mit Kartoffeln und Duftreis serviert. Wie bei allen Gerichten gilt auch hier Frische als oberstes Gebot. Auf Vorbestellung gibt es Red Snapper mit dreierlei Saucen, ohne Zweifel das Highlight der Carabao-Küche. Mutig georderte Originalschärfe übrigens brennt auch bei diesem Gericht wie die Hölle, so dass der freundliche Service mit dem Getränkenachschub kaum nachkommt. Chang-Bier aus Thailand und das laotische Reisbier Beerlao gelten als die effektivsten Schärfekiller. Tom Mauersberger empfiehlt außerdem seinen Mai Tai: „Wenn ich im Restaurant bin, gibt’s den besten Mai Thai der Stadt.“
... das Carabao lässt grüßen
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Woher er die Sicherheit zu dieser Behauptung nimmt, bleibt offen – vermutlich sind es das Alter oder die Menge des Rums, den er für seine Interpretation der Cocktaillegende verwendet. Wie auch immer, viele Gäste ziehen sich mit ihrem Glas in den Herbst- und Wintermonaten nach dem Essen in die separate, mit einer eigenen Be- und Entlüftungsanlage ausgestattete Smokers-Lounge zurück und gehen dort ihren Geschäften und Gesprächen nach. Im Sommer ist der große Biergarten dafür prädestiniert. Geöffnet ist das Restaurant sommers täglich ab 12 Uhr. Ab Oktober empfangen Ed und Tom Mauersberger und das Carabao-Team ab 16 Uhr ihre Gäste.
CARABAO Hornstraße 4 10963 Berlin-Kreuzberg Tel. 030-21 75 30 82 www.carabao-bar.net
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Tanos LOKALTERMIN
TANOS
LIBANESISCHES IN LICHTERFELDE VON JÖRG TEUSCHER
Maske-Optik 1989-2009: Der Elefant im Brillenladen
Diese Geschichte beginnt 1970 in Berlin – und sie hat erst einmal nichts mit Gastronomie zu tun. Wer etwas will, sucht Wege, wer etwas nicht will, sucht Gründe. Tanos Haddad will etwas, er wollte schon immer etwas. Der Libanese, 1953 in Beirut geboren, kam mit 17 Jahren nach Berlin, ließ sich zum Flugzeugmechaniker ausbilden und begann an der Technischen Universität ein Maschinenbaustudium. Abbruch, Optikerlehre, Meisterprüfung, Selbstständigkeit. Dem ersten eigenen Laden in Spandau folgte 1989 ein Fachgeschäft am Kreuzberger Mehringdamm. Spätestens da hätte Haddad eine ruhige Kugel schieben können. Augen prüfen, Gläser schleifen, Gestelle reparieren, so wird man alt. Tanos Haddad jedoch ist ein unruhiger Geist und ein kreativer dazu – und – er liebt seinen Beruf. Als der Meister Anfang der 1990er Jahre seine erste eigene Kollektion Acetatbrillenfassungen auf deutschen Optikermessen vorstellte, staunten die Apolloniker und Fielmänner nicht schlecht. Ein kleiner Krauter aus Kreuzberg stahl ihnen
die Schau. Maske-Brillen, so Haddads Label, wurden zum Messeschlager, blieben aber dennoch ein Nischenprodukt. Die Industrie hatte nachgezogen und produzierte in Asien Acetatbrillen am Fließband. Tanos Haddad begann, über neue Materialien und deren noch bessere Verarbeitung
nachzudenken. „Ich bin immer auf der Suche nach dem Besonderen“, sagt er. Er fand es in Form massiven Silbers und einer uralten japanischen Schmiedetechnik – Mokume Gane. Deren Ziel ist es, durch das Verschweißen dünner Metallplatten ein möglichst kontrastreiches, einmaliges Muster zu erzeugen. Gemeinsam mit Gustav, einem pensionierten Feinmechanikermeister, der beim Werkzeugbau half, einer arbeitslosen
Goldschmiedin und seiner Partnerin Claudia Theil, Psychologin und Quereinsteigerin ins Brillengeschäft, die das Marketing und den Vertrieb übernahm, schuf Tanos Haddad eine Brillenkollektion, die schnell von sich reden machte. Auf einer Messe im Sommer 2008 in Tokio verneigten sich selbst die kritischen Japaner vor den kleinen Kunstwerken und ihren Schöpfern. Im High-Tech-Land Japan gilt Handwerk noch was. Computer können eben nicht alles „Meine Brillen müssen auch dann stimmige, kleine Kunst-Stücke sein, wenn sie mit geschlossenen Bügeln auf dem Tisch oder im Etui liegen“, kommentiert der Optikermeister das Ergebnis der Arbeit seines Teams und feiert das 20-jährige Bestehen seiner Optikerwerkstatt am Mehringdamm.
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LOKALTERMIN Tanos
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Tanos LOKALTERMIN
Tanos Haddad und Claudia Theil
Im zweiten Teil der Geschichte geht es um den Gastronomen Tanos Haddad, der aus Freude am Kochen und, weil er gerne Gastgeber ist, die Beletage seiner Lichterfelder Stadtvilla zum Restaurant machte. Jahrelang galt das Tanos in der Drakestraße als Refugium für Freunde einer authentischen libanesischen Küche. Im vorigen Jahr, als Haddad tage- und nächtelang an seiner neuen Brillenkollektion tüftelte, musste er es schließen. Der Kreuzberger Gastronom Volker Hauptvogel übernahm, nannte das Lokal „Kuckuck“, scheiterte aber. Nun heißt es wieder Tanos. Kitschfreie
Räume, nahöstliche Eleganz, Geschäftigkeit, aber keine Hektik – das Tanos verbreitet eine wohltuend ausgeglichene Atmosphäre. Dazu trägt sicher der Umstand bei, dass ein Gast, der das Restaurant zum ersten Mal betritt, mit so freundlichem Understatement begrüßt wird, als sei er nur eine Woche nicht hier gewesen. Kein Wunder, Tanos Haddad und seine Partnerin Claudia Theil haben es in ihren angestammten Berufen mit Menschen in besonderen Situationen zu tun und wissen viel um Körper, Seele und deren Zustände. Hier servieren sie, was das Morgenland kulinarisch zu bieten hat. Arnabit, Hommos, Kibbe Kraas, Labne, M´tabbal und Tabbouli beispielsweise sind Bestandteile einer Mahlzeit, die Mesa heißt. Zu deutsch bedeutet das Naschwerk. Die Übersetzung, die verdächtig nach Süßkram klingt, beschreibt nur unzureichend, was sich hinter Mesa verbirgt: ein Tisch voller kalter und warmer Vorspeisen, pfiffig gewürzt und nicht eben knoblaucharm, für deren Genuss man auf keinen Fall unter Zeitdruck stehen sollte. Aromenreich ist dieses kulinarische
Abenteuer und gesund. Nicht umsonst gilt die libanesische Küche als eine der vielseitigsten und schmackhaftesten des Orients. Experten stellen sie sogar auf eine Stufe mit der französischen. Dass das Tanos seine Speisenvielfalt auch ausgesprochen geldbeutelschonend anbietet, ist der Tatsache geschuldet, dass sich die Drakestraße abseits der Touristenpfade befindet und selbst Berliner ihr Navigationsgerät bemühen müssen, um nach Lichterfelde zu finden. Übrigens: Nationalgetränk des Libanon ist Arrak, ein destillierter Traubensaft mit Anisgeschmack. Tanos Haddad empfiehlt allerdings eher einen der libanesischen Weine, die auch etwas von der kulinarischen Tradition seines Heimatlandes erzählen, die uns weit weniger bekannt ist, als die Chinas oder Japans etwa.
TANOS Drakestraße 63 12205 Berlin-Lichterfelde Tel. 030 - 84 31 85 95 www.maske-berlin.de
Der Club für Schokoladen- und Pralinenliebhaber
Schokozeit – das steht für höchste Qualität und Vielfalt. Die besten Produkte internationaler Spitzen-Hersteller werden hier intensiv verkostet und bewertet. Nur die erlesenste Kreationen haben Platz in einer Schokozeit-Kollektion. Feinste Schokoladen und andere Köstlichkeiten hält die Schokozeit bereit.
Schokozeit AG Wilhelminenhofstraße 83 – 86 12459 Berlin
Fon: 030 / 53 02 48 99-0 Fax: 030 / 53 02 48 99-1 www.schokozeit.de
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LOKALTERMIN IneS
INES+SEBASTIAN= CHRONIK EINER RESTAURANTGRÜNDUNG II VON JÖRG TEUSCHER
... mit Raucherlounge
IneS: Aus einer dunklen Bude...
... wurde ein freundliches Restaurant...
Beinahe täglich werden in Berlin neue Restaurants eröffnet. Inhaber, die es sich leisten können, verpflichten zu solchen Anlässen PR-Profis und die wiederum trommeln mittels Mails und superlativer Formulierungen, was das Zeug hält. Meist reagieren die Medien entsprechend. Ziel erreicht. Wer nicht wirbt, stirbt.
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Das wünschen wir Ines Thomas und Sebastian Kraatz natürlich nicht. Doch der Wunsch ist das eine, die Wirklichkeit das andere. Am 19. September 2009 eröffneten die beiden, sie Köchin, er Koch, ihr eigenes Restaurant in der Charlottenburger Grolmannstraße. Zuvor hatten sie wochenlang
saniert, renoviert, gestaltet. Es entstand IneS, ein gemütliches Stadtrestaurant, dem man ansieht, mit wieviel Liebe es eingerichtet wurde. Tische und Stühle stammen aus Italien, die hölzernen Speisekarten fertigte ein befreundeter Tischler. Schönes Porzellan, eigenwilliges Designerbesteck, Stoffservietten. „Nächtelang haben wir uns den Kopf zerbrochen, wie wir es kostengünstiger hinkriegen“, sagt Sebastian Kraatz. Und seine Partnerin Ines Thomas fügt hinzu: „Unsere Vorstellungen waren das eine, die Kosten das andere.“ So blieben Tresen und Rückbuffet vom Vorgänger erhalten und wurden lediglich umgebaut. Dafür investierten die beiden Existenzgründer in nagelneue Toiletten, moderne Küchengeräte, eine kleine Raucherlounge und das größte Schild der Straße. IneS, überdimensional, nachts beleuchtet, sichtbar fast bis zum Savignyplatz. Viel geholfen hat das noch nicht. Bei unserem Besuch zehn Tage nach der Eröffnung waren wir die einzigen Gäste. „Es ist nicht das erste Mal, dass wir alleine im Restaurant sind“, Ines Thomas zuckt mit den Schultern. „Die Gäste, die zufällig kamen, oder weil sie irgendwie von uns gehört hatten, waren allerdings rundum zufrieden“, ergänzt Sebastian Kraatz. Kein Wunder. Der 31-Jährige, Kochlehre im Adlon, Wanderjahre in Italien, Küchenchef in der Eselin von A. und seine Partnerin, 26, Ausbildung im Dorint Hotel Neuenahr-Ahrweiler, später im Berliner InterContinental und ebenfalls in der Eselin von A. am Herd, zelebrieren eine ambitionierte Küche aus marktfrischen Produk-
IneS LOKALTERMIN
ten und zu moderaten Preisen. Ein rosa gebratenes Kalbsfilet mit Hörnchenkürbis und Kartoffelbaumkuchen beispielsweise oder ein Pulpocarpaccio mit gebratener Stubenkükenbrust und Tomatendressing zeugen von selbstbewusst vorgetragenem Qualitätsanspruch. Auch der gebratene Steinbutt auf Wildkräutersalat und Beurre blanc oder der aromatische Bio-TomatenRucola-Salat sind fein und frei von modischen Banalitäten. Am Essen kann es also nicht liegen, wenn zu wenige Gäste kommen und an den Preisen auch nicht. Die beiden FünfGänge-Menüs, aus denen man sich einzelne Gerichte auswählen kann, sind mit 61 und 64 Euro fair kalkuliert. Dazu bietet Restaurantleiter Phillip Schmelzer - auch er war zuvor in der Eselin von A. beschäftigt - deutsche Weine aus elf Anbaugebieten. Das sächsische Weingut Schloss Wackerbarth steht ganz vorn, Ines Thomas wollte das so, sie stammt aus Sachsen. „Ich bin der Chef, und Ines sagt, wie es gemacht wird“, kommentiert Sebastian Kraatz. Eigentlich alles richtig, bis auf die Werbung. Inzwischen hat das IneS-Team ein Faltblatt in den Büros der Gegend verteilt, Angebote eines täglichen Business-Lunchs. Königsberger Klopse, Senfeier oder Tafelspitz - drei Gänge für 12,90 Euro. Weiteres soll folgen - Schritt für Schritt. Statt einer reibungslos funktionierenden PR-Maschine setzen Ines Thomas und Sebastian Kraatz auf ihren Mut und die Hoffnung, dass es sich noch herumsprechen wird, was sie auf der Pfanne haben.
Große Küchenliebe: Ines Thomas und Sebastian Kraatz
RESTAURANT INES Grolmannstraße 56 10623 Berlin-Charlottenburg Tel. 030 - 31 80 76 50 www.ines-restaurant.de
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Haufes HandschrifT Zu Gast im Eiffel Von HEIKO GRalki
Es ist Mittwochmorgen kurz vor 10. Leute, die jetzt etwas von Anjou P. Haufe wollen, müssen sich gedulden. Der Inhaber des Kurfürstendamm-Restaurants ist auf dem Weg zum Mittwochs-Meeting – Störungen sind da unerwünscht. Jeden Mittwoch gibt es diese Runde der leitenden Mitarbeiter des gastronomischen Unternehmens. Besprochen wird, was wichtig ist – Kaufmännisches und Kulinarisches, Produktionstechnisches und Personalpolitisches. Anjou P. Haufe, diplomierter Architekt und Kaufmann, führt das Eiffel wie ein mittelständisches Unternehmen – und irgendwie ist es das ja auch. „Restaurants sind Betriebe und bedürfen deshalb einer strikten Betriebswirtschaft“, sagt der Gastronom. Das heißt: Nur nichts dem Zufall überlassen oder dem Zuruf, schon gar nicht in Zeiten großer Krisen. Dirk Güttes, der Küchenchef im Eiffel, ist einer aus dieser Mittwochsrunde. Vor zwei Jahren kam er aus Potsdam nach Berlin und krempelte die Küche des Restau-
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rants, die vor seiner Zeit häufig allzu altbacken mit Geschnetzeltem vom Schwein, Serviettenknödeln und Steinofenpizza daherkam, kräftig um. „Ein vielversprechender Start, den Gastrokritiker wie Gäste hoffentlich schnell bemerken, denn Güttes betreibt sein Handwerk passend zum Ambiente des Restaurants, das heißt: modern, klassisch und elegant.“ – so schrieben wir damals, im Oktober 2007. Fazit nach zwei Jahren: die Gäste bekamen Güttes kulinarische Entrümpelungsaktion schnell mit, die Kritiker kaum. Sei’s drum, sie – die Kritiker – verpassen was. Güttes, Brandenburger Meisterkoch 2004, gehört ohne jeden Zweifel auch in Berlin inzwischen zur ersten kulinarischen Liga. Gebeizter Mecklenburger Saibling mit Ercolini-Birne und Mesclunsalat — Geschmorte Rehkeule und Feigenjus, Hüttenkäse-Preiselbeer-Risotto und Spitzkohlroulade — Mousse, Sorbet und Kompott von der Pflaume: was Güttes und sein Team als Eiffel-Menü auf die Teller bringt, schmeckt erstklassig.
Der Stil ist gehoben, aber nie überkandidelt. Der Preis – 33 Euro – sagenhaft. Hinzu kommt ein charmanter Service, und alles zusammen macht das Eiffel zu einer feinen Adresse. Wer heute Güttes kreative Jahreszeiten-Küche probiert, die auch mit französischer Raffinesse beeindruckt und dann mal in dessen Ausbildungsannalen blättert, findet Erstaunliches. „Der Junge schien zwei linke Hände zu haben: Zartes Entenfleisch verschmorte ihm unter dem Grill, Saucen ließ er anbrennen und Consommé wurde unbrauchbar, weil Güttes sie mit einem Löffel Crème fraîche trübte.“ Der Kochlehrling im Ahrweiler Hotel „Hohenzollern“, über den dieses Zitat erzählt, war tatsächlich Dirk Güttes. Ob Anjou P. Haufe das wusste? Wahrscheinlich hätte er mit den Schultern gezuckt; der Küchenchef ist für den umtriebigen Eiffel-Inhaber ein Glücksfall. Auch im kürzlich eröffneten Eiffel Detail, einer Wein- und Feinkosthandlung im gleichen Haus, ist Güttes kulinarischer Sachverstand gefragt – etwa bei der Her-
Eiffel LOKALTERMIN
stellung hausgemachter Spezialitäten. Zu ausgewählten Essigen, Ölen und Schokoladen kommen beispielsweise eine von Dirk Güttes entwickelte Backmischung für einen Kuchen im Glas oder eine „Dinner-fortwo-Tüte“ mit allem, was ein Abendessen für zwei so braucht – außer den Kerzen. Eiffel Detail ist ein chicer Shop, dessen Chef Philipp Schulitz nicht nur ein kommunikativer, sondern auch ein kompetenter Partner ist, wenn es um die Weinauswahl für besagtes Dinner oder einen anderen Anlass geht. Außerdem stehen über 40 offene Gewächse zur Verkostung. Das Besondere: Alle Weine, die im Eiffel Detail gekauft werden, können gegen ein Korkgeld von 14 Euro im Restaurant genossen werden. Umgekehrt finden sich fast alle Weine aus der Weinkarte des Eiffel Restaurants auch im Eiffel Detail und können für zu Hause erworben werden. Sicher ist das Konzept Restaurant plus Wein- und Feinkosthandel nicht neu, selten jedoch wurde es so überlegt realisiert wie im Eiffel. Und das liegt offenbar auch an den Mittwoch-Meetings.
Das Eiffel-Restaurant
EIFFEL Kurfürstendamm 105 10711 Berlin-Halensee Tel. 033055 -891 13 05 www.eiffel-berlin.de
Das Eiffel Detail: Dirk Güttes und Philipp Schulitz, v. li.
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LOKALTERMIN Seelodge
KREMMEN IM HERBST EIN AUSFLUG FÜR GENIESSER VON MARC STEYER
„Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen“, schrieb Theodor Fontane 1861 im Vorwort zum ersten Band seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg, „auch die häßlichste - sagt das Sprichwort - hat immer noch sieben Schönheiten. Ganz so ist es mit dem Lande zwischen Oder und Elbe; wenige Punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben
Kremmener Scheunenviertel
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Schönheiten hätten. Man muß sie nur zu finden verstehn. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise.“ Wir wagen es. Das Ziel heißt Kremmen, Landkreis Oberhavel, knapp 40 Autominuten von Berlin entfernt. In dem durchaus respektablen Reiseführer Brandenburg/ Nord des Berliner Argon-Verlages aus dem Jahr 1991 ist die 7.000-Einwohner-Stadt
nicht mal erwähnt. Was damals noch verständlich erschien - Motto: Wanderer, was willst du in Kremmen? Langeweile erleben! - wäre heute ein unverzeihlicher Lapsus. Das Kremmener Scheunenviertel etwa, das bereits durch seine Teilnahme an der Expo 2000 als europaweit einmaliges Denkmal bekannt wurde, ist allemal eine Reise wert. Von den rund 50 Scheunen, im
Seelodge LOKALTERMIN
1938: Baracke im Wasser
17. Jahrhundert vor den Toren der Stadt errichtet, wurden die meisten restauriert und beherbergen nun Geschäfte, Restaurants, Werkstätten und ein Museum. Es gibt eine Antiquitätenscheune, eine Bikerscheune, eine Keramikscheune, eine Musikscheune, eine Galerie und ein Trauzimmer. Während sich andere Brandenburger Kommunen vom großen Geld der Supermarktketten beeindrucken ließen und dem Bau riesiger Shoppingburgen auf der grünen Wiese zustimmten, setzte Kremmen auf den ästhetischen Reiz dutzender alter Scheunen und die Möglichkeit, sie touristisch zu nutzen. Die Rechnung ging auf. Neueren Reiseführern ist das Kremmener Scheunenviertel meist mehr als nur eine Erwähnung wert. Ein paar Kilometer weiter liegt, umgeben von märkischem Wald, der Kremmener See. Still, idyllisch, ringsum eine Landschaft von einzigartiger Stimmung. Kein Wunder, dass die SeeLodge am Südufer des Sees längst kein Geheimtipp mehr ist. Das Haus am Wasser entstand Ende der 1930er Jahre und wurde in den folgenden Jahrzehnten immer wieder umgebaut. Lediglich das „Fundament“ blieb erhalten – 64 Pfähle, in den Grund des Sees gerammt, tragen das Haus. Vor ein paar Jahren entdeckten Olaf und Sven Brandenburg, Inhaber einer hauptstädtischen Werbeagentur, das leerstehende Gebäude. Bei einer Zwangsversteigerung erhielten sie den Zuschlag und steckten 400.000 Euro in die Renovierung
2009: SeeLodge
und den Umbau. Nach dem Vorbild kanadischer und afrikanischer Naturpark-Lodges entstand ein Anwesen, das zumindest in Brandenburg einmalig ist. Vor zwei Jahren als SeeLodge eröffnet, bietet es Genuss pur – optisch wie kulinarisch. Im Seerestaurant, das ein Feldsteinkamin nicht nur ziert, sondern auch wärmt, servieren Küchenchef Maik Vogt und seine Brigade eine unaufgeregte Regionalküche, passend zur urig-stilvollen Einrichtung. Frische Produkte in erstklassiger Qualität sind die Voraussetzung, das handwerkliche Können des gebürtigen Thüringers besorgt den Rest. Für den Herbst und Winter sind übrigens kulinarische Thementage geplant – jeden Donnerstag etwa gibt es einen Fondueabend, freitags Gans satt und samstags das sogenannte Lodge-Food, Gerichte aus Kanada, Afrika und Australien. Am 31. Oktober kommt ein Kürbismenü auf die Teller, am 11. November ist Martinsgans-Essen. Einziges Problem: die SeeLodge hat zwar 90 Restaurantplätze, aber nur 3 Doppelzimmer, 2 Suiten und ein Appartement...
WALD- UND SEEGUT KREMMEN Zum See 4a 16766 Kremmen Tel. 033055 - 22 080 www.seelodge.de
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KOPFSALATMeisterköche
Der Fernsehturm am Alexanderplatz gehört zu den Wahrzeichen des wiedervereinigten Berlin. Mit 368 Metern das höchste Bauwerk Deutschlands und das vierthöchste Europas. Und – ohne Wenn und Aber – ein architektonisches und technisches Meisterstück. Am 3. Oktober 1969 wurde der Turm eingeweiht – mit den üblichen Reden von der Überlegenheit des Sozialismus und Walter Ulbricht an der Spitze. Das Neue Deutschland startete ein Preisausschreiben um den Namen für das 207 Meter hohe Restaurant. Von Alexbolle bis Lolliball reichten die Vorschläge, die Juroren entschieden sich für das vergleichsweise schlichte Tele-Café. „In den Einstellungsgesprächen für Köche und Kellner wurde danach gefragt, ob man schwindelfrei sei“, erinnert sich Hannelore Wilfert. Die 58-jährige Berlinerin arbeitet seit der Eröffnung im Tele-Café – damals im hellblauen Kostüm und mit kessem Käppi, heute in weniger schmutzanfälliger Kellneruniform. Früher servierte sie Stralauer Cocktail und Lendenschnitte mit gespießten Früchten, heute ordern die Gäste pochiertes Jungbullenfilet, gebratene Garnelen und Bandnudeln Genovese. „Der Ostmief ist raus, das Raumschiffgefühl nicht. Früher hat man im Tele-Café die Verköstigung zähneknirschend in Kauf genommen, um den atemberaubenden Blick über Berlin zu genießen. Heute kann man hierher mit gutem Gewissen zum Essen einladen“, schrieb jüngst die tip-Gastro-Kritikerin Stefanie Dörre. Garcon besuchte zum 40. FernsehturmGeburtstag ebenfalls Berlins höchstes Restaurant, begegnete alten Bekannten und erlebte Erstaunliches.
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Hannelore Wilfert als Kellnerin 1969...
... und 40 Jahre später
Fernsehturm LOKALTERMIN
Hoch-Genuss Essen mit Aussicht Von Marc Steyer Wie funktioniert eigentlich die Fernsehturm-Gastronomie? – fragten wir Christina Aue, Geschäftsführerin der TV Turm Alexanderplatz Gestronomiegesellschaft, am Telefon. Einladung, Termin, Besuch. Ein Arbeitsplatz hoch über den Dächern Berlins? – Fehlanzeige. Christina Aue empfängt uns in einem winzigen Büro am Fuß des Turms und verweist sofort darauf, dass sie für die Dreckecken dort nicht verantwortlich sei. Ihr Job sind die öffentlichen Bereiche des Fernsehturms: Eingangshalle, Souvenirshop, Fahrstühle, Panoramaetage, Telecafé. Wäre die chic gekleidete, attraktive Blondine auch für das Drumherum zuständig – es würde dort mit Sicherheit weit weniger schmuddelig zugehen. Aber so: innen hui, außen pfui. Seit Sommer 2007 führt Christina Aue die Gastronomiegeschäfte im Fernsehturm, davor leitete die gelernte Wirtschaftskorrespondentin fünf Jahre lang das Potsdamer Schlosshotel Cecilienhof. Auf den Turm ist sie stolz wie Bolle. „Als ich 1991 zum ersten Mal oben war, hatte ich das Gefühl, etwas Besonderes zu erleben. Die Höhe, der Ausblick, das war schon gigantisch.“ Auch deshalb tritt die gebürtige (West)Berlinerin energisch jenen entgegen, die den Turm nur deshalb verunglimpfen, weil dessen Bau einst eine hochpolitische DDR-Angelegenheit war. Wir sprechen über den Architektenstreit. Wer hat den Fernsehturm gebaut? Hermann Henselmann reklamierte die Idee ebenso für sich wie der ehemalige DDR-Bauakademie-Präsident Gerhard Kosel. „Ein Glatteisthema“, sagt Christina Aue, „aber wahrscheinlich hatte der Turm viele Väter.“ Sie kennt sich aus, als hätte sie den Bau erlebt. Wir treffen ihren Stellvertreter und erleben eine zweite Überraschung. Der Operation Manager ist ein alter Bekannter, übrigens auch aus Potsdam. Stephan
Geschäftsführerin Christina Aue
Küchenchef Lothar Lamm
Operation Manager Stephan Bullerjahn
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LOKALTERMIN Fernsehturm
Berliner Rindfleischsalat – 4,85 Mark und das unvermeidliche Würzfleisch – 6,35 Mark. Wie die meisten Gerichte damals in der DDR von Mangel und Missmut diktierte Adaptionen – im letzten Fall etwa des Ragoût fin. Dennoch erinnert die Küchencrew mit ihrer Oktober-Karte an diese Zeit und serviert Toast Hawaii, Poulardenbrust Kiewer Art, Schweinesteak au four und – natürlich – Würzfleisch in Blätterteigpastete. „Gerichte aus vier Jahrzehnten Telecafé“, allerdings ohne lebloses Sehnenfleisch, pappige Einbrenne und andere Produkt- und Zubereitungssünden der Vergangenheit“, erklärt Bullerjahn das aktuelle Nostalgie-Angebot zum 40. Turmgeburtstag. Ansonsten setzen der Manager und die Küchencrew auf frische Saisonprodukte – möglichst aus der Region – die sie geschmacksintensiv und schnörkellos verarbeiten. Tadellos das Tatar vom Kalbfleisch, überzeugend der Spieß vom Schweinefilet mit zweierlei Dips und Backkartoffel, und auch der gefüllte Rücken vom Saalower Kräuterschwein ist beispielhaft gut zubereitet. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil Küchenchef Lothar Lamm und seine Leute sich täglich mit Problemen herumschlagen müssen, die dem Rest der Hauptstadtgastronomen fremd sind. „Von der Hauptküche bis zum Turmeingang sind es rund 200 Meter, dann noch mal 200 Meter mit dem Fahrstuhl in die Satellitenküche im Telecafé, in der zum Beispiel aus Sicherheitsgründen weder gegrillt noch frittiert werden darf“, so beschreibt Stephan Bullerjahn einen Teil der Besonderheiten. Dass in 207 Meter Höhe dennoch nicht nur die Aussicht bestens ist, spricht wohl eindeutig für das Team mit den höchsten Gastro-Arbeitsplätzen Deutschlands. Bullerjahn, früher Küchenchef im Cecilienhof-Schlossrestaurant, kam im Januar 2009 in den Turm, übrigens nicht durch Vermittlung seiner Ex-Chefin, sondern per Bewerbung. Der 43-jährige Norddeutsche begleitet uns in die Turmküche, auch die ist zu ebener Erde. Im Reich von Lothar Lamm, Kü-
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chenmeister und seit 1985 Tele-Café-Küchenchef, sind elf Köche und drei Lehrlinge damit beschäftigt, das vorzubereiten, was den 1.000 bis 1.500 Restaurantgästen täglich serviert wird. Lamm zeigt uns eine Speisekarte aus den Telecafé-Anfangsjahren: Echte Schildkrötensuppe aus der Dose – 2,55 Mark,
TELECAFÉ Panoramastraße 1A 10178 Berlin-Mitte Tel. 030 - 24 75 75 36 www.tv-turm.de
Mozzarella GESCHMACKSSACHEN
SPECIALITÀ LOCALE MOZZARELLA AUS berlin-Tempelhof VON HEIKO GRALKI
Die Volkmarstraße in Tempelhof führt durch eines jener typischen Berliner Gewerbegebiete, in denen vor allem mittelständische Unternehmen zu Hause sind – seit 2002 auch die Firma Francia Mozzarella GmbH. Ein ovales blaues Schild mit geschwungener weißer Schrift – wir kennen es von den Verpackungen im Bio-Supermarkt oder der Galeria Kaufhof – weist den Weg. Ein Fabrikhof, blitzsauber, Edelstahltanks, die Produktionshalle, das Verwaltungsgebäude. Was auf diesem Gelände entstand, ist ein Beispiel für moderne Käseherstellung und unternehmerische Weitsicht. „Der italienische Familienbetrieb Francia wurde in den 1950er Jahren in Pontinia, der Ort liegt in der Proninz Latina südlich von Rom, mit dem Ziel gegründet, hochwertige Milchprodukte herzustellen. Seit 1995 produziert Francia auch in Berlin, zuerst in Wittenau. Als das Werk dort zu klein wurde, war der Standort dieser ehemaligen Papierfabrik in Tempelhof eine gute Alternative.“ Ulrike Dettmann, zuständig für Marketing und Vertrieb, erklärt die Firmen-
geschichte. Die junge Frau stammt aus Brandenburg und hat, bevor sie bei Francia anheuerte, lange in Italien gelebt. Das war zwar keine notwendige, aber eine nützliche Voraussetzung für den Käsejob, denn die Geschäftssprache bei Francia ist italienisch. Das heißt, mit „buongiorno“, „buonasera“, „buonanotte“, „si“ und „no“ kommt man zwar gut durch den Urlaub, für die Tätigkeit hier allerdings reicht das
auf Dauer nicht, schon gar nicht in einer leitenden Funktion. Wir sitzen in der Kantine. Ein Fernseher liefert die Mittagsnachrichten von Rai Due, und Antonio Zito, der Koch aus Kalabrien, serviert Spaghetti mit Speck und Zucchini und Falschen Hasen. Es gibt ein Antipasti-Buffet und natürlich Mozzarella. Die Belegschaft macht gemeinsam Mittag, der Geschäftsführer sitzt neben
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GESCHMACKSSACHEN Mozzarella
Aus regionaler Rohmilch...
... wird Mozzarella...
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dem Käsemeister, die Disponentin neben der Laborleiterin. „Wir legen Wert auf ein familiäres Betriebsklima“, sagt Ulrike Dettmann, „das gehört zur Firmenphilosophie.“ Gäbe es in Berlin eine Rangliste der besten Kantinen, die von Francia hätte gute Aussichten ganz vorn zu landen. Der Stärkung folgt die Ausstattung für die Betriebsbesichtigung. Kittel, Haarnetz, Mundschutz, chic ist was anderes, aber die Hygiene nimmt darauf keine Rücksicht. Es folgt eine kleine Käsekunde. Ulrike Dettmann erläutert: „Milch als Ausgangsprodukt und das Sauerwerden der Milch mit Hilfe von Milchsäurebakterien als Grundprinzip der Herstellung haben erstmal alle unsere Käsesorten gemeinsam.“ Draußen vor der Tür hat ein Kühltanker mit Frankfurter Kennzeichen angedockt. FF für Frankfurt an der Oder. 150.000 Liter Milch liefern regionale Molkereien täglich nach Tempelhof, 25.000 Liter einmal in der Woche in Bio-Qualität. „Die frische Milch wird pasteurisiert, das heißt, 30 Sekunden lang auf 72,4 Grad Celsius erhitzt. Wieder auf 37 Grad abgekühlt, kommen dann Milchsäurebakterien und Lab hinzu. Die Mikroorganismen arbeiten rund eine Stunde lang, verwandeln
... und Ricotta
Milchzucker in Milchsäure, und die wiederum bringt das Eiweiß zum Gerinnen. Die dabei entstehende Molke wird abgepumpt und zu Ricotta verarbeitet, auf den wir später nochmal zurückkommen. Der sogenannte Käsebruch gelangt mit einem Rest von Molke in Reifungstanks.“ Ulrike Dettmann würde auch als Dozentin für Käseproduktion – falls es so was gibt – eine gute Figur machen. Käsemeister Giovanni Papparelli und Produktionsleiter Hassan Mohamed Hassan übernehmen die weiteren Erläuterungen der Mozzarella-Herstellung. Der Bruch aus den Reifetanks kommt nun unters Messer und wird zerteilt. Transportbänder liefern ihn anschließend zu den Knetmaschinen. 80 bis 85 Grad heißes Wasser wird zugegeben, das die Käsemasse gleichmäßig erhitzt und sie dabei zu einem weichen, elastischen, formbaren Teig, der Pasta, knetet. Dabei wird Salz zugegeben. „Posso chiederle qualosa? - Darf ich sie etwas fragen?“ - „Come? - Wie bitte?“ Unser Versuch, bescheidene Italienischkenntnisse an den Mann zu bringen, scheitert kläglich. Vielleicht ist es eine falsche Vokabel, vielleicht die Aussprache. Die Marketingchefin lächelt und übersetzt, was die beiden Männer erklären.
Mozzarella GESCHMACKSSACHEN
Es ist der letzte Produktionsschritt, die Formgebung sozusagen. „Von dem geschmeidigen Teig lassen sich problemlos Kugeln abschlagen – ‚mozzare‘ heißt das im Italienischen – daher der Name Mozzarella. Wir stellen aber auch Confetti her, kleine Kugeln also; Ein-Kilo-Stangen und Cacetti, von Hand geformte Säckchen sowie geriebenen Mozzarella für Pizzabäcker“, erfahren wir. „Alle Formen gibt es sowohl in konventioneller als auch in Bio-Qualität “, fügt Ulrike Dettmann noch hinzu. Übrigens: in Berlin wird ausschließlich Kuhmilch zu Mozzarella verarbeitet, in den italienischen Francia-Produktionsstätten wird Büffelmilch genutzt, weil sie dort in größeren Mengen verfügbar ist. Bleibt noch der Ricotta, ein fettarmer Frischkäse, der nicht aus Frischmilch, sondern aus der Molke gemacht wird, die bei der Mozzarella-Produktion anfällt. „Ricotta di vacca“, sagt Emilio, mit 64 einer der ältesten Francia-Mitarbeiter in Berlin und lässt uns probieren. Unsere zufriedenen Gesichter machen Emilio stolz. „Francia, was gibt es Besseres“, sagt er in lupenreinem Deutsch.
Pier Luigi Verga
FRANCIA MOZZARELLA Volkmarstraße 9-11 12099 Berlin-Tempelhof Tel. 030 - 70 17 36 76 www.franciamozzarella.com
Ulrike Dettmann
Hassan Mohamed Hassan und Giovanni Papparelli
Treffpunkt Kantine
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GESCHMACKSSACHEN Cheese 2009
Käsewelten 2009
Kulinarische Notizen aus BrA von Ulrike Piecha und Jörg Teuscher
piemont Turin Bra
Alba
Der Herbst ist die beste Jahreszeit im Piemont. Er ist die Zeit des weißen Trüffels und der Nebbiolo-Traube, aus der die großen Rotweine der Region gekeltert werden, und er ist die Zeit des Wilds und des Cardo gobbo, einer delikaten artischockenähnlichen Distelpflanze, die im Herbst „al pié dei monti“, am Fuß der Berge, gedeiht. Neben Turin und der Trüffelmetropole Alba ist es vor allen Dingen Bra, die Käsehauptstadt, die über die Grenzen der norditalienischen Provinz hinaus von sich reden macht. Die 30.000-Einwohner-Stadt liegt rund 50 Kilometer südlich von Turin. Bekannt ist Bra wegen seiner barocken Altstadt, berühmt wurde es als Zentrum der regionalen Käseindustrie, als Wiege der internationalen SlowFood-Bewegung und als Veranstaltungsort der weltgrößten Käsemesse Cheese. Vom 18. bis 21. September fand in Bra die Cheese 2009 statt - für die GarconAutoren Ulrike Piecha und Jörg Teuscher Grund genug, sich in das südliche Piemont auf den Weg zu machen.
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Cheese 2009 GESCHMACKSSACHEN
Alles Käse: Bra im Herbst 2009
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GESCHMACKSSACHEN Cheese 2009
Viele Wege führen nach Bra. Wir wählen Berlin - Mailand, preisgünstig mit Air Berlin. Weiter mit dem Mietwagen, in gut zwei Stunden von der Hauptstadt der Lombardei in die des Piemont. Von Turin nach Bra, normalerweise ein Katzensprung, dauert es allerdings nochmal eine Stunde. Staus und Umleitungen - erstes Indiz dafür, dass in der Kleinstadt südlich von Turin Außerordentliches stattfinden muss. Das zweite folgt, als wir Bra endlich erreichen. Das Zentrum, die Altstadt, ist für den Autoverkehr gesperrt. Schilder mit der Aufschrift Cheese 2009 zeigen den Grund der rigorosen Maßnahme. Annäherung zu Fuß. Bra könnte auch den Beinamen Slow-Food-City führen. Im Stadtbild allgegenwärtig - die Schnecke, das Symbol der internationalen Vereinigung, deren 85.000 Mitglieder in über 130 Ländern weltweit sich als Gegenbewegung zum Fast Food verstehen. Slow Food wurde 1986 von Carlo Petrini anlässlich der Eröffnung einer McDonaldsFiliale an der Spanischen Treppe in Rom gegründet. Aus Protest versammelte er dort italienische Köche, die Spaghetti zubereiteten - Reverenz an die regionalen kulinarischen Traditionen Italiens. Petrini, 1949 in Bra geboren, Soziologe, Buchautor und Mitherausgeber des Restaurantführers Osterie d’Italia, formulierte auch die Grundbegriffe einer, wie er es nannte, neuen Gastronomie: Buono, polito e giusto – gut, sauber und fair. Jedes Kind in Bra kennt Petrini und jeder Erwachsene weiß, wofür Slow Food steht: für regionale und saisonale Lebensmittel, die auf traditionelle Weise hergestellt werden. „Damit“, so Petrini, „werden regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt und die Konsumenten mit Auge, Ohr, Mund und Händen an ihre Region gebunden.“ In einem seiner vielen Bücher zum Thema schrieb Petrini: „Slow Food gibt den Regionen wieder ein kulinarisches Herz.“ 1989 wurde aus der italienischen Organisation eine internationale Bewegung. Genuss und Geschmack haben seitdem eine weltweite Lobby. Kein Wunder also, dass Bra im September nicht nur den Käse, sondern auch den 20. Slow-FoodGeburtstag feierte.
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Carlo Petrini: Slow-Food-Gründer
Cheese 2009 GESCHMACKSSACHEN
Slow-Food-Universität Pollenzo
Kulinarische Bibliothek
Banca del Vino
Das Handy klingelt. Ulrike Piecha, Bio-Buffet-Betreiberin in der Kreuzberger Marheinekehalle, unterbricht ihre Erklärung der Sehenswürdigkeiten von Bra. Sie wechselt ins Italienische, eine Sprache, die ihr liegt - langgezogene Vokale, gestenreiches Staccato. Che ore sono? Wie spät ist es? Wir hasten durch die Gassen Bras zum Treffpunkt mit Annette Weber, Christian Nadrowski und Peter Namianya. Annette, Schweizerin, arbeitet im Berner Oberland in einem Unternehmen, das Störe züchtet, um Alpenkaviar zu gewinnen. Christian betreibt im nordrhein-westfälischen Herten eine Weinhandlung und Peter schließlich arbeitet in seiner Heimat Kenia in einem Slow-Food-Projekt, dessen Ziel es ist, Schulgärten anzulegen, Schulspeisung zu fördern. Alle vier sprechen perfekt italienisch. Der Grund: sie sind Absolventen der Università di Scienze Gastronomiche, der Universität für gastronomische Wissenschaften in Pollenzo, einem Ort vor den Toren von Bra. Wir besuchen die weltweit einzige Ausbildungsstätte dieser Art, die vor fünf Jahren von Slow Food gegründet wurde. Eine Eliteschule, sowohl, was die Kompetenz der Lehrkräfte als auch die Ausbildungsbedingungen betrifft. Erstklassig ausgestattete Hörsäle, moderne Labore und eine Bibliothek, in der kulinarisch Interessierte feuchte Augen bekommen. „Gastronomische Wissenschaften“, definiert Slow-Food-Papst Petrini, „sind die Wissenschaften, die die Kultur der Nahrung erforschen.“ Dementsprechend wurden die Studienpläne konzipiert: Biologie und Mikrobiologie, Agrar- und Lebensmittelgeschichte, Obst-, Gemüse- und Fleischproduktion, Physiologie des Geschmacks, Nahrungshygiene, Weinkunde. Garcon-Autorin Ulrike Piecha und ihre ehemaligen Kommilitonen haben drei Jahre in Pollenzo studiert und den Abschluss als Bachelor of Gastronomic Sciences erworben. Einziger Wermutstropfen: die Studiengebühren - 19.000 Euro pro Jahr. Im Keller der Uni befindet sich übrigens die Banca del Vino - eine Weinsammlung, die ständig ergänzt wird und als Gedächtnis des italienischen Weins gilt.
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Veronica Veneziano (großes Foto S. 49, li. oben) hat in Berlin, Köln und ihrer Heimatstadt Turin Germanistik studiert. Weil sie „Lebensmittel liebt“ - sie lächelt schelmisch als sie den deutschen Werbespruch zitiert - bewarb sie sich bei Slow Food International und ist heute als Direktorin für den gemeinnützigen Verein tätig. Weshalb keine deutschen Käseproduzenten auf dem großen Käsemarkt vertreten sind, wollen wir wissen. Veronica Veneziano verweist diplomatisch darauf, dass im Käsesaal, wo für 8 Euro Eintritt hunderte Käsesorten aus aller Welt verkostet werden können, auch vier aus Deutschland angeboten würden. Na ja. Unsere Enttäuschung hat vor allem damit zu tun, dass die deutschen Verbraucher in zunehmendem Maße mit KäseImitaten traktiert werden. Sogenannter Analogkäse, bei dem das Milchfett zu einem erheblichen Teil durch Pflanzenfett ersetzt wird, drängt in den Markt. „Auch die Welt des Käses ist voller Lug und Trug“, sagt Veronica Veneziano und erläutert die Slow-Food-Forderung einer Produkt-Kennzeichnung, die dem Konsumenten alle nötigen Informationen gibt und so die vielen regionalen Käser und ihre typischen Käsesorten schützt. „Allerdings“, ergänzt die Slow-Food-Direktorin, „der Verbraucher muss auch Interesse haben, sich zu informieren. Nur so wird er zum Koproduzenten.“ Dabei sieht sie gute Chancen, den Dschungel aus bewussten Mogeleien und legalen Tricks der Käse-Großindustrie zu lichten und erinnert an den Kampf um den Erhalt des Rohmilchkäses. Dabei ging es um Käsesorten, die aus unbehandelter Milch erzeugt werden. Wird diese Rohmilch pasteurisiert, das heißt auf 73 Grad Celsius erhitzt, werden zwar unerwünschte Keime abgetötet, aber auch jene Bakterien, die für die Aromenvielfalt und den Geschmack zuständig sind. Rohmilchkäse vs. pasteurisierter Industriekäse - die Gerichte entschieden für die Rohmilchverfechter. Übrigens: bei den vielen hundert Käsesorten auf der Cheese 2009 handelte es sich natürlich ausschließlich um Rohmilchkäse.
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Veronica Veneziano
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Johann Baumgartner: Südtirols einziger Affineur
Sein Stand auf der Cheese 2009 ist dicht umlagert, Dutzende Hände fordern Kostproben, Fragen prasseln wie der Regen auf das Zeltdach. Johann Baumgartner lächelt, reicht zwei Franzosen Kürbiskernkas aus der Steiermark, einem Japaner Diavoletto aus Südtirol, zeigt und erklärt, mal italienisch, mal deutsch, mal englisch. Wer ihn so sieht, begreift, weshalb auf seiner Visitenkarte steht: Hansi, Cheese Artist. Käsekünstler, Sprachkünstler, Lebenskünstler. Dass diese Interpretation zu kurz greift, merkt man, wenn Baumgartner sich Zeit nimmt, um über sich und sein Lieblingsthema Käse zu reden. Nein, der Typ fröhlicher Händler, für jeden einen passenden Spruch und ein Häppchen zum Probieren, das ist er nicht, ganz im Gegenteil.
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Johann Baumgartner, in seiner Heimat Südtirol, italienisch Alto Adige, Hansi genannt, ist Affineur. „Ich spüre Käse auf, veredle ihn und gebe ihn schließlich an meine Kunden weiter“, erklärt er. „Wo spüren Sie ihn auf und wie veredeln Sie ihn?“ Baumgartner zählt auf: „Natürlich zu Hause in Südtirol, auf den Almen, bei Sennern, die noch traditionelle Naturprodukte herstellen. Aber auch im Piemont, auf Sizilien oder in der Toskana. Deutsche Käse, die ich affiniere und vertreibe, kommen beispielsweise aus der Molkerei Wilhelm im Allgäu oder vom Hof Backensholz in Nordfriesland.“ Die Veredlung erläutert Baumgartner am Beispiel einer Südtiroler Spezialität, des Kloaznkas: „Wir kaufen einen frischen Camembert und lassen ihn drei Wochen
lang in Kloaznmehl reifen.“ - „Kloaznmehl?“ - „Kloaznmehl gewinnen wir aus einer alten Südtiroler Birnensorte, indem die Früchte gedörrt und gemahlen werden.“ Gelernt hat der 47-Jährige Koch. In den 90er Jahren stand er im eigenen Restaurant in Mühlbach am Herd, erkochte einen Michelin-Stern und galt als einer der kreativsten kulinarischen Köpfe Südtirols. Der Weg zum Käse war also nicht weit. Baumgartner stellte allerdings fest, dass lokale und regionale Produkte auf dem Käsewagen seines Restaurants fast völlig fehlten. Er wanderte auf die Almen, entdeckte Bemerkenswertes und machte sich dafür stark. Schritt für Schritt wurde aus dem Küchen- ein Käsemeister. 1994 gründete er Degust, eine Firma mit umfassendem Geschäftsmodell. Einkauf, Veredelung, Verkauf, Degustationen, Messen, Seminare - Käse komplett. Johann Baumgartner zeigt das Foto eines Reifekellers. „Unser ganzer Stolz“, sagt er, „ein ehemaliger Offiziersbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, mitten im Wald, zwei Stockwerke unter der Erde, maximal 10 Grad Raumtemperatur und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit.“ Wir probieren Sarner Blu, einen Südtiroler Blauschimmelkäse, kräftig im Geschmack mit leichter Pilznote, zwei Monate im Naturkeller gereift. Darüber reden können wir nicht mehr, Dutzende Cheese-Besucher drängen sich um Baumgartners Stand. „Kommen Sie uns in Vahrn besuchen“, sagt der Affineur noch... www.degust.com
www.frischdienst-berlin.de
… üb er 44 Käse 0 So rten im FD B So rtime Frank nt! reich , Sch Däne weiz, mark , Holl Span and, ien, I talien ja, »a ,… us al ler W Perfe elt«. kt ko nditio niert vom – FDB !
Der Foodspezialist für Großverbraucher
Gesellschaft für Milchprodukte mbH
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GESCHMACKSSACHEN Cheese 2009
Käse allein macht nicht glücklich, sagten sich einst die Metzger von Bra und erfanden die Salsiccia di Bra. Seitdem gilt die Wurst im Naturdarm als die wichtigste fleischige Spezialität der Stadt. Zu den Meistern der Salsiccia-Herstellung in Bra gehören die Gebrüder Matteo und Lorenzo Tibaldi, die in ihrer Macelleria La Rocca in der Via Alba das Traditionsprodukt täglich meterweise verkaufen. Dessen Bezeichnung ist ebenso geschützt wie das Rezept. Kalbfleisch, Schweinebauch, Koriander, Muskat, Kümmel, Macis, Muskat, Piment, Nelken und Zimt“, zählt Meister Matteo die wichtigsten Zutaten auf. „Aber erst die Mischung macht’s und die ist geheim“, ergänzt Bruder Lorenzo. Argwöhnisch wacht das „Consorzio di tutela e valorizzazione“, eine Genossenschaft zum Schutz der Salsiccia di Bra darüber, dass dies auch so bleibt. „Wenn regionale Delikatessen inflationär produziert und gehandelt werden, verlieren sie ihren Wert“, so die Tibaldi-Brüder. Ein Satz, der des Nachdenkens wert ist.
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Cheese 2009 GESCHMACKSSACHEN
Abends in Bra. Die 30.000 Einwohner der Stadt und ihre 45.000 Cheese-Gäste scheinen unterwegs zu sein. Die Osterias, Pizzerias, Trattorias und Ristorantes - auf 1.000 Einwohner kommen schätzungsweise 15 gastliche Stätten - sind hoffnungslos überfüllt. In der Osteria La Boccabuona in der Via Audisio gibt es noch einen winzigen freien Tisch. Das Wirtshaus gilt als das beste der Stadt. Silvio Berrino, der 35-jährige Küchenchef, verbrachte seine Wanderjahre in London und kehrte dann in seine Heimatstadt Bra zurück. Das, was er in dieser Osteria auf die Teller bringt, ist ein Paradebeispiel für die unaufgeregte Regionalküche eines Landgasthofes. Seine Zutaten bezieht Berrino von Fischern, Jägern und Biobauern aus der Umgebung, Kräuter stammen aus dem eigenen Garten, das Brot backt er selbst. Hinzu kommen Umsicht und Sorgfalt bei der Zubereitung seiner regionalen Spezialitäten, die in jedem Fall halten, was sie versprechen - nämlich Bodenständiges mit dem gewissen Kick zu bieten.
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GESCHMACKSSACHEN Gletscherkönig
NICHTS ALS KÄSE IM KOPF EINE GESCHÄFTSIDEE MADE IN AUSTRIA VON MARC STEYER Was ist ein Gletscherkönig? Man stelle sich vor, wie Hugo Egon Balders Gäste genial daneben tippen. Eiger-Nordwand-Bezwinger, Trickskiläufer, Tiefkühlschrank, alles weit gefehlt. Ich sag´s euch, spricht Herr Balder zu seiner Comedy-Arena, es handelt sich um einen österreichischen Bergkäse. „So schnell könnte man mit unserem Namen 500 Euro gewinnen“, grinst Michael van de Sand. Sein Geschäftspartner Hartmut Kramer, der Ruhige, nickt und lächelt. Verabredung im Brandauer, einem urgemütlichen Kaffeehaus in einem S-Bahnbogen am Monbijoupark. Gabriele Svehla und Esther Stammberger bieten Schmankerlküche aus Bayern und Österreich, hausgemachte Kuchen und guten Kaffee.
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Michael van de Sand und Hartmut Kramer kommen vor allen Dingen wegen des Kaffees und des Kuchens und natürlich, weil die Damen ihre Kundinnen sind. Van de Sand und Kramer handeln mit Käse und zwar mit einer einzigen Sorte, eben dem Gletscherkönig. „Wir haben die Marke kreiert“, sagt van de Sand, 59, gelernter Kaufmann aus Westfalen. „Die Liebe zum Käse hat uns zusammengeführt“, ergänzt Kramer. Der 52-Jährige ist gebürtiger Thüringer und war, bevor er den Käsehandel zu seinem Beruf machte, im öffentlichen Dienst beschäftigt. Es begann vor über zwei Jahren mit einer Reise in das westlichste österreichische Bundesland, das alemannisch geprägte Vorarlberg. Dort entdeckten die beiden
nicht nur die Schönheiten der Natur, sondern auch die Güte vieler regionaler Produkte – etwa des Lustenauer Senfs oder des Subirers, eines Birnenbrandes aus einer alten Vorarlberger Obstsorte. Als van de Sand und Kramer dann zum ersten Mal ein Stück Bregenzerwälder Bergkäse probiert hatten, wurde aus dem Genussurlaub eine Geschäftsreise. Der Idee, diesen Käse nach Berlin zu holen, folgte die Kooperation mit einer der besten Sennereien des Landes. Die Marke Gletscherkönig Bergkäse wurde geboren, als Warenzeichen eingetragen, und im Jahr 2007 kamen die ersten der 30 Kilogramm schweren Käselaibe in Berlin an. Dabei handelt es sich um eine Spezialität, die heute nur noch in wenigen Sen-
Gletscherkönig GESCHMACKSSACHEN
nereien Vorarlbergs produziert wird – aus Rohmilch von Tieren, die auf den Almen stehen und sich ausschließlich von den Gräsern und Kräutern dort ernähren, ohne jegliche Silage-Fütterung also. Die am Abend gemolkene Milch wird über Nacht gelagert, am Morgen, nachdem der Rahm abgeschöpft ist, mit frisch gemolkener Milch gemischt und weiter zu Käse verarbeitet. 100 Kilogramm Milch ergeben rund 8 Kilogramm gereiften Käse mit geschmeidiger, elastischer Konsistenz und erbsengroßen Löchern. Die Mindestreifezeit für den Bregenzerwälder Bergkäse beträgt drei Monate. „Wir bieten einen g´schmackig-milden, sechs Monate gereiften GletscherkönigBergkäse und einen würzig-kräftigen Käse an, der zwölf Monate im Reifekeller war und übrigens laktosefrei ist“, erklärt Michael van de Sand. Von Anfang an setzten die beiden Händler auf das Marktgeschäft. Vier festangestellte Mitarbeiter und eine Reihe sogenannter Wiederverkäufer bieten den Gletscherkönig Bergkäse und einige andere Delikatessen aus Vorarlberg auf Wochenmärkten in Charlottenburg, Kreuzberg, Lichterfelde, Neukölln, Steglitz und Wilmersdorf an. Aber auch Bistros und Restaurants kaufen inzwischen bei van de Sand und Kramer. Schritt für Schritt avancierte der Gletscherkönig zur unternehmerischen Erfolgsgeschichte. Das machte Mut, und die beiden cleveren Händler begannen, sich auch den Markt in van de Sands Heimat NordrheinWestfalen zu erschließen. Den i-Punkt jedoch planen sie für das kommende Jahr – eine mobile Schaukäserei. Den Premierentermin haben van de Sand und Kramer fest im Blick: September 2010 in der Marheinekemarkthalle. „Das ist vor allem deshalb ein guter Ort, weil Kreuzberg zu den bevorzugten KäseBezirken in Berlin gehört“, erläutert van de Sand. Er spricht von Cheese-Areas und No-Cheese-Areas in der Stadt. Die beiden Händler haben also noch viel Aufklärungsarbeit vor sich, denn Käse – allemal guter – ist ein Lebensmittel, das durchaus noch mehr Aufmerksamkeit verdient.
VAN DE SAND & KRAMER Lepsiusstraße 20 12163 BerlinTel. 030 - 31 80 76 50
Käse-Partner: Michael van de Sand und Hartmut Kramer, v. re.
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GESCHMACKSSACHEN Pastinaken
Wenn in Berlin oder Brandenburg ein weißer 7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche ein Hotel, Krankenhaus, den Knast, eine Kantine oder ein Restaurant ansteuert, heißt es dort schlicht: Fuhrmann kommt. Dieter Fuhrmann, Chef des gleichnamigen Fruchtgroßhandels und der Grand Old Man seines Berufsstandes in Berlin, gehört zu den frischeverrücktesten, qualtitätsbesessensten und kenntnisreichsten Männern seiner Branche. Lieber klein, dafür fein – mit diesem Motto startete er 1977 auf einem Charlottenburger Hinterhof ins Obst- und Gemüsegeschäft. 1980 Umzug auf den Fruchthof an der Beusselstraße, 1996 Eintritt seines Sohnes Marcus als Juniorchef in die Firma, 2007 Übernahme einer neuen Kühlhalle. Inzwischen beschäftigen
Firmenchef Dieter Fuhrmann (li.) und Juniorchef Marcus Fuhrmann
die Fuhrmänner 28 Mitarbeiter, die mit 18 Kühltransportern rund 500 Produkte ausliefern, pünktlich, zuverlässig und in hoher Qualität. Für Garcon stellen
Dieter und Marcus Fuhrmann im Wechsel ihre Früchte vor.
Heute: Die Pastinake
FUHRMANNS FRÜCHTEKORB Zurück zu den Wurzeln von Dieter Furhrmann
Es war im Herbst 1977 oder ´78. Ein niedersächsischer Landwirt hatte uns - meinem damals einzigen Mitarbeiter Christian Mölder (heute übrigens als Produktionsleiter immer noch dabei) und mir - einige Kisten Pastinaken nach Berlin geschickt.
Wir waren gerade ins Großhandelsgeschäft mit Obst und Gemüse gestartet und natürlich stolz darauf, der in diesen Jahren noch sehr übersichtlichen Berliner Spitzengastronomie etwas besonderes offerieren zu können.
Pastinaken aus England
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Das Ergebnis jedoch war ernüchternd. „Wat, Hammelmöhren?“, kommentierte der Küchenchef eines Ende der 1970er bekannten Hotels ziemlich verächtlich unser Angebot. Es war im verdösten West-Berlin die Zeit von Kalbssteak Hawaii, Seezunge Müllerin und Zürcher Geschnetzeltem. Gemüse spielte, wenn überhaupt, nur als Konserve eine Rolle, und nun erst eine grau-weiße Rübe namens Pastinaca sativa - „merci bien“, sagten auch andere Köche. Doch, wie das häufig so ist, die Zeiten ändern sich, auch kulinarisch. „Zurück zu den Wurzeln“, hieß es in den 1980ern. Junge, gut ausgebildete Köche begannen, sich mit den deutschen Regionalküchen zu beschäftigen - Motto: besser, leichter, gesünder. Verschollene Rezepte wurden wieder zum Leben erweckt, vergessene Produkte wieder hoffähig gemacht. Dazu gehörte auch die Pastinake, die jahrzehntelang aus den deutschen Küchen verbannt war. Bereits die Römer schätzten das Gemü-
Pastinaken GESCHMACKSSACHEN
se, dessen Wildform in ganz Europa und in Teilen Asiens verbreitet war. Karl der Große (742-814), der das Frankenreich zu höchster Macht führte, verordnete für die Gärten auf Krongütern und Reichshöfen den Anbau von 68 Nutzpflanzen (Capitulare de Villis) - die Pastinake gehörte dazu. Die Pflanze aus der Familie der Doldengewächse avancierte in Deutschland zum Grundnahrungsmittel, bis sie im 18. Jahrhundert von Kartoffel, Mohrrübe und Sellerie verdrängt wurde. In England, Frankreich, den Niederlanden sowie in Skandinavien und den USA wird die Pastinake heute großflächig angebaut. Im Winter gilt die Rübe, die wie eine zu groß geratene Petersilienwurzel aussieht, süßlich wie eine Mohrrübe und aromatisch wie Sellerie schmeckt, in diesen Ländern als Delikatesse. Einheimische Pastinaken werden ab September vorwiegend auf Wochenmärkten angeboten. Die Hauptsaison ist von November bis April - dann gibt es auch Exemplare von beachtlicher Größe und einem Gewicht von bis zu 1500 Gramm.
Ich rate den Verbrauchern allerdings, eher kleinere Rüben zu kaufen, weil die Riesen schon mal holzig sein können. Außerdem sollten sie an einem kühlen und trockenen Ort gelagert oder innerhalb einer überschaubaren Zeit verbraucht werden, da sie sonst austrocknen. Der wichtigste Grund meines Plädoyers für die Pastinake liegt übrigens nicht nur in ihrem intensiven, aromatischen Geschmack, sondern vor allem in ihrem ernährungsphysiologischen Wert. Ihr Nährwert übertrifft sowohl den der Möhre als auch den von Kohlrübe und Sellerie. Die wichtigsten Inhaltsstoffe sind Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett, Calcium, Kalium, Magnesium, Phosphor sowie vor allem Vitamine der B-Gruppe. Also, nichts wie ran an die Pastinaken - als Salat, Gemüse oder Püree.
NQ 14-Küchenchef: Andreas Staack
Mit kulinarischen Grüßen
www.dieter-fuhrmann.de
Andreas Staack, Küchenchef im Kreuzberger Restaurant Noi Quattro, ist ein Liebhaber des Wurzelgemüses. Er serviert Pastinaken im Herbst und Winter gern als Beilage zu bodenständigen Fleischgerichten - als Pürée oder - wie auf unseren Fotos - als Navets frites, frittierte weiße Rüben. Dazu schält Staack die Pastinaken und schneidet sie roh in grobe Streifen, in der Form ähnlich wie Pommes frites. Danach werden die Pastinakenstreifen bei 160 Grad Celsius in Pflanzenöl frittiert und nach dem Abtropfen angerichtet.
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FAUDES FEINE BRÄNDE Eine Erfolgsgeschichte vom Kaiserstuhl von Anna Weber „Dienst ist Dienst, o.k.“, sagt Florian Faude, „aber Schnaps ist nicht gleich Schnaps.“ Der 25-Jährige muss es wissen, denn er gehört im südbadischen Bötzingen - der Ort liegt knapp 20 Kilometer nordwestlich von Freiburg im Breisgau – zu den besten Brennmeistern. Längst ist er auch über die Grenzen seines Heimatortes hinaus bekannt – kein Wunder. In nicht mal drei Jahren schaffte der kleine Familienbetrieb das, wofür andere Jahrzehnte brauchen. Florian Faude und seine feinen Brände belegen mit dem Gütezeichen „Höchste Qualität“ Platz 12 in der deutschen Brenner-Gesamtwertung. Bei der „Destillata 2009“, der Meisterschaft der weltbesten Obstbrände in Salzburg, heimste er vier Silber- und zwei Bronzemedaillen ein. Die deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG verlieh seinen Bränden ebenfalls in diesem Jahr je eine Gold-, Silber- und Bronzemedaille.
Die Fachleute staunen, die Laien wundern sich. Ein so junger Mann in der Spitzengruppe der deutschen Obstbrenner? Klar ist, selbst am Kaiserstuhl wird man nicht als Brenner geboren, auch Florian Faude nicht. Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, eine normale Entwicklung. Als er 17 ist, kaufen seine Eltern in der Bötzinger Bergstraße ein Bauernhaus. Das Besondere – auf das Haus ist ein Brennrecht eingetragen. Das heißt, die Besitzer dürfen pro Jahr 300 Liter Alkohol brennen. Die Faude-Familie verspricht sich davon ein kleines Nebengeschäft und beginnt 2003 mit einem einfachen Tresterbrand. Die Neugier des Gymnasiasten wird geweckt, Florian Faude kommt auf den Geschmack. Er eignet sich viel Wissen über die Destillation von Obst an, schaut erfahrenen Brennern über die Schulter und lernt, Qualitäts- von Fuselbränden zu unterscheiden. Anfängliche Versuche,
Feine Brände GESCHMACKSSACHEN
selbst Obst zu brennen, erzeugen bei den Branchenprofis zwar ein mitleidiges Lächeln, Florian Faude jedoch lässt sich nicht beirren, das Feuer brennt. Erste Erfolge stellen sich ein, der Jubel über seine Brennkünste findet nicht mehr nur in der Familie statt. Andere hätten in dieser Situation möglicherweise die Schule geschmissen, Florian Faude jedoch macht brav sein Abitur, leistet als Naturschützer und Landschaftspfleger den Zivildienst und beginnt 2006 eine Ausbildung – badisch korrekt – als Winzer auf dem Weingut Freiherr von Gleichenstein in Oberrotweil. Im gleichen Jahr besucht er einen Kurs für Klein- und Obstbrenner an der Universität Hohenheim. Eine kleine Katastrophe beeinflusst sein weiteres Leben entscheidend. Der alte Kupferkessel der Faude-Hausbrennerei gibt seinen Geist auf. Der Familienrat tagt und beschließt eine zukunftsbestimmende Investition. Eine moderne Kolonnenbrennerei wird angeschafft. Florian Faude beendet zwar 2008 noch die Winzerlehre, sein Berufsziel jedoch ist klar – Brennmeister mit allem Drum und Dran. Das heißt, das autodidaktische An-
eignen der Geheimnisse guter Obstbrände ist passé, der junge Brenner macht auch hier Nägel mit Köpfen. Seit September 2008 besucht er deshalb die Fachschule für Obstbrenner beim Landwirtschaftsamt Offenburg, eine von zwei ihrer Art in Deutschland. Im kommenden Frühjahr darf er sich dann Staatlich geprüfte Fachkraft für Brennereiwesen nennen. Sicher ginge es auch ohne diesen Titel, denn Florian Faude hat längst bewiesen, was er brenntechnisch auf der Pfanne hat. Seine feinen Brände, ob aus Äpfeln, Birnen, Quitten oder Sauerkirschen, gehören - siehe oben - längst zum Besten, was die Branche bietet. Das hat sich inzwischen selbst bis nach Berlin herumgesprochen. Im Restaurant Hartmanns in Kreuzberg beispielsweise sind „Faude feine Brände“ der meist gefragte Digestif. Schlichte Flaschen mit einem noch schlichteren Etikett. Der Inhalt macht´s. „Die Obstbrände aus Bötzingen können sich mit den Rochelts und Zieglers dieser Welt durchaus messen“, sagen die Kenner. Chapeau, Florian Faude.
Florian Faude
www.faude-feine-braende.com
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KOPFSALAT Spreewaldkoch
Spreewaldkoch Peter Franke mit Kräuterlehrling
DER SPREEWALDKOCH EIN MANN, EIN BUCH, EIN WUNSCH VON YVONNE WEINLICH
Spreewald in Burg
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Spreewaldküche? - Saure Gurken, Pellkartoffeln, Leinöl und Quark. Und wenn die Fischer Glück haben und die Köche keine Tiefkühlkönige sind, Hecht mit Meerrettichsauce. Zum Schluß Butterplinsen, eine Art Eierkuchen aus Buttermilch, Mehl und Ei. Das ist nun vielleicht nicht jedermanns Sache, aber eine achtbare Regionalküche allemal. Viele Spreewaldrestaurants jedoch setzen lieber auf Cordon bleu und Co. - fix und fertig, vom ConvenienceHändler. Einer, dem das gründlich gegen den Strich geht, ist Peter Franke. Der 55-Jährige, der sich gern „Spreewaldkoch“ nennen lässt, kämpft dafür, dass sich die
Landgasthöfe der Gegend auf die Traditionen der Region besinnen. „Weshalb“, fragt Franke, „sollten wir unseren Gästen hier das vorsetzen, was in Berlin nicht mal mehr drittklassige Lokale anbieten?“ Damit die Frage nicht im Raum bleibt, machte sich Franke auf den Weg. Gemeinsam mit dem Biologielehrer Peter Becker zog er von Krausnick und Schlepzig im Unterspreewald über Lübben und Lübbenau nach Burg, Müschen und Werben im Oberspreewald. Die beiden besuchten Spreewaldbauern, die uralte Gemüsesorten anbauen und spielten Topfgucker in Küchen, in denen noch nicht die Mikrowelle das kulinarische Regiment führt. Sie ließen sich
Spreewaldkoch KOPFSALAT
Geschichten darüber erzählen, wie die Spreewälder feiern und welche Gerichte sie dann auf den Tisch bringen. Das Ergebnis kommt dieser Tage auf über zweihundert Seiten in den Buchhandel. Titel: Das Spreewald-Kochbuch. Neben vielen kulinarischen Geschichten sind es vor allem die 160 Rezepte, traditionelle, ungewöhnliche, aber auch moderne, die das Buch zu etwas Besonderem machen. „Wir wollten den 356 Reiseführern, die in den letzten Jahren über den Spreewald geschrieben wurden, nicht noch einen weiteren hinzufügen“, so Franke. „Unser Ziel war es vielmehr, den Spreewald kulinarisch zu erkunden.“ Franke hat sich mit diesem Buch einen Traum erfüllt und hofft nun, dass es auch seinen Kollegen als Anregung dient. Was ihn dabei umtreibt, formuliert er so: „Wenn wir Spreewaldköche der fortschreitenden Trennung von den kulinarischen Wurzeln unserer Heimat nicht Einhalt gebieten, erfahren die Besucher in zwanzig Jahren nicht mehr, was Spreewaldküche wirklich ist.“ Heimatverbundenheit und Traditionsbewusstsein nennt Franke als wichtigste Motive seiner Arbeit - und das, obwohl er in der einmaligen Landschaft dieses Wasserlabyrinths lediglich ein Zugereister ist. Geboren wurde er im thüringischen Weida, die Kochlehre absolvierte er im
sächsischen Bad Lausick. Danach zog es den Jungkoch in die Sowjetunion, vier Jahre lang. Am Zentralen Jugendobjekt Drushba-Trasse der Freien Deutschen Jugend kochte er für die Monteure der 550 Kilometer langen Erdgasleitung quer durch die Ukraine. Es folgten ein Studium an der Leipziger Handelshochschule und leitende Tätigkeiten in der DDR–Interhotelkette, 1989 als deren stellvertretender Direktor. Die politische Wende beendete diese Karriere. Peter Franke ging in den Spreewald. Im Familienhotel seiner Schwiegereltern, dem „Stern“ in Werben, arbeitete er wieder als Koch und begann, sich für die typischen Rezepte der Gegend zu interessieren. Weil, wie er längst gelernt hatte, Klappern zum Handwerk gehört, zog er mit seinem Wissen durch das Land und warb für seine neue Heimat und deren traditionelle Küche. In Werben gründete Franke die Spreewälder Kochakademie, in Burg eine Kräutermanufaktur. „Über 500 essbare Wildkräuter wachsen im Spreewald. Da liegt es doch auf der Hand, dass wir uns bedienen“, sagt er. Der Zulauf zu seinen sommer- und herbstlichen Kräuterseminaren in der Burger Kräuterscheune bestätigt das wachsende Interesse vor allem von Menschen, die über ihre Ernährung selbst bestimmen und sich nicht von der Lebens-
mittelindustrie verdummen lassen wollen. Dementsprechend lautet sein größter Wunsch:„...dass wir uns unsere Ernährung wieder mehr von der Natur diktieren lassen.“ Peter Franke, der umtriebige Spreewaldkoch mit dem sächsischen Akzent, will jedenfalls noch viel dafür tun.
HOTEL ZUM STERN Burger Straße 1 03096 Werben/Spreewald Tel. 03 56 03 - 660 www.hotel-stern-werben.de
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KOPFSALAT Peter Frühsammer
Peter Frühsammer
Mit 50 hat man noch Träume Von Jörg Teuscher
1968: Kindheit in Burgberg
Lehrer: Starkoch Peter Wehlauer
1973: Lehrling mit Ambitionen
1983: Selbstständig in Berlin
2007: Hochzeit mit Sonja
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2009: Frühsammers Restaurant GARÇON
Immer, wenn mich jemand auf Peter Frühsammer anspricht, kommt mir ein Bild in den Kopf, eine Szene eigentlich, die ich vor etlichen Jahren erlebte. Berlin-Mitte, Gipsstraße, ein winziges Lokal nahe der Hackeschen Höfe. Wir hatten uns verabredet, Peter Frühsammer und ich, um ein Filmchen über sein neues Restaurant zu drehen, ich glaube, es hieß Glücksstein. Der Gastraum, an dessen Ende eine Treppe, die zur Küche führte. Dort saß Frühsammer, umarmte eine junge blonde Frau in Kochklamotten und erklärte, dass er nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern auch eine Köchin gefunden habe, mit der er jetzt noch einmal durchstarten wolle… Der Filmbericht über das Restaurant
lief Ende November 1998 im Sender Freies Berlin, wie lange es das Glücksstein und sein eigenwilliges Küchenkonzept noch gab, weiß ich nicht. Wirklich durchgestartet sind Peter Frühsammer und seine Frau Sonja, damals hieß sie noch Kugel, erst Jahre später, Ende 2007, Anfang 2008. Wer Frühsammers Comeback partout an einem Datum festmachen will, der sollte ihn fragen, wann er am Tor des noblen Grunewald Tennis-Clubs am Flinsberger Platz das Schild „Frühsammers Restaurant“ angebracht hat. Im November 2007 jedenfalls rückte der Guide Michelin einen Bib Gourmand heraus, sein Zeichen für gut gemachte und preiswerte Küche. Der Gault Millau kam erst ein Jahr später auf den Geschmack,
Peter Frühsammer KOPFSALAT
der ehemalige Sternekoch in diesem Jahr zu jenen fünf hauptstädtischen Servicechefs gehörte, die für den Titel „Berliner Maître 2009“ nominiert wurden. Als Peter Frühsammer Anfang August zwei Tage lang seinen 50. Geburtstag feierte, wurde viel über die bewegte Vergangenheit des Jubilars geredet. Darüber, dass seine Mutter es gern gesehen hätte, wenn der Bub zur Post gegangen wäre. Über die Kochlehre in Stockach am Bodensee, die Flucht vor der Musterung ins Kempinski nach Berlin, über die Arbeit bei Zwei-Sterne-Koch Peter Wehlauer auf Burg Windeck, über den Start in die Selbstständigkeit 1983 an der Rehwiese in Nikolassee und den ersten Michelinstern zwei Jahre später. Frühsammer hörte zu, lächelte und winkte ab: „Sonja ist heute schon besser, als ich jemals an der Rehwiese war.“ Und es ist tatsächlich wohl nur eine Frage der Zeit, wann über der ehemaligen Villa der Sängerin Fritzi Massary ein Stern aufgehen wird. Für Peter Frühsammer jedenfalls würde sich ein Traum erfüllen.
Frühsammers 50.: Geladene Gäste...
dafür aber immerhin mit 15 Punkten, also zwei Kochmützen. Wahrscheinlich wirkte hier die Auszeichnung von Sonja Frühsammer als Berliner Aufsteigerin des Jahres als Katalysator. Dennoch argwöhnten einige Kritiker immer noch: Hat die junge Frau in der Küche wirklich das Sagen? Sie hat. Wer es nicht glaubt, muss Frühsammers Restaurant besuchen. Er wird von Peter Frühsammer begrüßt, zum Tisch geleitet, mit Speise- und Weinkarten versorgt, beraten und betreut. Der Mann ist Gastgeber im besten Sinne – Oberkellner und Chefsommelier in Personalunion, der wichtigste Mittler zwischen Erwartung und Genuss. Beleg für seine Kompetenz und Souveränität ist nicht zuletzt die Tatsache, dass
...stolze Eltern...
... große Party
Stephan Schwarz, rechts im Bild, 44, übernahm, nachdem sein Vater 1996 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, das Ruder in der GRG Service Group, einem der führenden deutschen Gebäudedienstleister. Der Historiker ist seit sechs Jahren Präsident der Berliner Handwerkskammer. Sie haben auf Peter Frühsammer 50. Geburtstag eine Rede gehalten – als Präsident eines guten Handwerkers oder als Stammgast eines hervorragenden Restaurants? Weder noch, in erster Linie als Freund und, weil ich den Anlass nutzen wollte, etwas öffentlich zu machen, was bisher nur wenige wissen. Worum geht es? Es geht um die Schlesische 27. Das ist ein Kunst- und Kultur-Zentrum für Kinder und Jugendliche in Kreuzberg. Viele Unternehmer, Politiker und Künstler engagieren sich dafür, dass jährlich über 2000 junge Leute an 130 Projekten mitarbeiten können. Peter und Sonja Frühsammer gehören seit Jahren dem Förderverein der Schlesischen 27 an. Weshalb war es Ihnen wichtig, darüber zu sprechen? Weil es in Berlin längst nicht selbstverständlich ist, dass erfolgreiche Gastronomen auch über den Tellerrand hinausschauen. Das ist keine Kritik, sondern soll nur das Besondere des Engagements von Peter und Sonja deutlich machen. Ich spreche von sozialen Prinzipien als Bestandteil unternehmerischen Denkens. Außerdem: sie haben ihre Unterstützung für dieses Projekt nie an die große Glocke gehängt. Auch das ist mir sehr sympathisch.
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DER ALTE MANN UND DIE DANKSCHREIBEN EINES KOCHS VON PETER FRÜHSAMMER
Die Zoppoter Straße in Schmargendorf ist eine stille Ecke. Wenn man vor dem kleinen Messergeschäft in der Nummer 11 steht, scheint die Zeit jedoch vollends ste-
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hen geblieben zu sein. Der Schriftzug „Solinger Schleiferei“, das Schaufenster im 60er-Jahre-Charme, das handgeschriebene Schild mit den Öffnungszeiten – nichts hat sich hier in den letzten 30 Jahren, seit ich dieses Geschäft kenne, geändert. Nach dem schrillen Klingeln der Ladenglocke, an das ich mich wohl nie gewöhnen werde, ist man einen Augenblick allein. Der Meister braucht ein bisschen Zeit, um seine Arbeit am Schleifstein im Hinterzimmer zu unterbrechen und in den Laden zu kommen. Momente, um mit den Augen zu stöbern. Uralt-Werbetafeln aus Solingen. Der Silberne Meisterbrief im Messer-
schmiedehandwerk für Werner Lehmann, geboren am 18. Januar 1928 in Berlin. Ein gerahmtes Gratulationsschreiben der Berliner Handwerkskammer zum 50. Meisterjubiläum. Dann kommt Werner Lehmann. Noch während er seine Hände an einem Lappen abtrocknet, redet er mir energisch ins Gewissen: „Herr Frühsammer, die Messer waren ja wieder so stumpf, damit können Ihre Köche doch nicht arbeiten. Die sind dann zu langsam. Wenn sie die Messer früher bringen würden, könnten Sie viel Geld sparen.“ Der Mann hat recht. Ich gelobe Besse-
MESSEr
rung und frage ihn, ob ich einen kleinen Artikel über ihn schreiben dürfe. Die Antwort kommt prompt: „Eigentlich lehne ich alle Anfragen ab. Auch vom Fernsehen und so. Ich schaffe es ja kaum noch, meine Stammkunden zu bedienen. Deshalb, bitte, keine Werbung für mich.“ Lieber Werner Lehmann, ich bin froh, dass ich Sie doch noch überreden konnte. Einfach, um mich bei Ihnen – und ich bin sicher, ich tue das auch im Namen vieler Kollegen – für die Jahrzehnte zu bedanken, die Sie mit so viel Sachverstand und Hingabe dafür gesorgt haben, dass wir mit perfekt geschärften Messern arbeiten konnten.
Werner Lehmann KOPFSALAT
1928 also ist Werner Lehmann geboren, 1949 hat er seinen Meister gemacht. Ans Aufhören will er noch nicht denken, denn es gibt keinen Nachfolger, und er weiß nicht, wer dann seinen Stammkunden die Messer so schleifen soll, wie er es tut. In Solingen hat er angerufen und seine Schleiferei für einen geeigneten Kandidaten kostenlos angeboten. Doch es gibt keinen, der die Solinger Schleiferei noch so beherrscht, wie er. Ich bekomme einen Messerschleifkurs in Werner Lehmanns „Museumswerkstatt“. Es wird von Hand am Wasserstein geschliffen. Nicht trocken und nicht mit dem Automaten. „Da verbrennt der Stahl“, erklärt Lehmann. Ich sitze mit krummem Rücken und angewinkelten Beinen vor dem Stein. Das Schmirgel-Öl-Gemisch dringt in die Poren. Knochenarbeit, denke ich. Lehmann sieht mir die Anstrengung an und lächelt: „Die Schleifer wurden in Solingen früher die ‚Schmierbottels‘ genannt. Das macht heute keiner mehr.“ Nach dem Schleifen kommt das Wichtigste. „Das Polieren, das ist die eigentliche Präzisionsarbeit“, sagt der Meister. Man hat das Gefühl, dass er jedes Messer selbst geschmiedet hat und es nun mit dem perfekten Schliff vollendet. Kaum hat er selbst wieder am Schleifstein Platz genommen, schrillt die Klingel erneut. Ein Kollege holt seine geschliffenen Messer ab. Lehmann: „Damit ich nicht dauernd aufspringen muss, kann ich meine Ladenzeiten nicht länger machen.“ Ich bin mir nicht sicher, was ich dem Meister wünschen soll, einen gemütlichen Ruhestand, den er sich redlich verdient hätte oder noch ein paar Jahre Schaffenskraft, damit er das tun kann, was er am liebsten tut: Messer für „seine“ Köche schleifen. Größten Respekt und vielen Dank für die immer scharfen Messer. Ihr Peter Frühsammer
SOLINGER SCHLEIFEREI Zoppoter Straße 11 14199 Berlin-Schmargendorf Tel. 030 - 824 49 03
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BOUQUET GARNI* Nachrichten und Neuigkeiten
KÜCHENBUCH I
Gerhard Retter, 2. v. re.: Der beste Sommelier Österreichs fliegt zur Wein-WM
WEINMEISTER Wie geht es eigentlich Gerhard Retter? fragten wir vor einigen Monaten. „Gut“, antwortete der einstige Mr. Adlon damals. Anfang 2009 hatte Retter mit seiner Frau Claudia die Hauptstadt in Richtung Schleswig-Holstein verlassen, um in Lütjensee die Fischerklause zu übernehmen. Ein Verlust für Berlin, aber auch der Gewinn einer neuen Adresse für den Zwischenstopp auf
Die Nase macht´s
dem Weg nach Hamburg, hieß es in der Stadt. Heute nach seiner Befindlichkeit befragt, müsste Gerhard Retter wenigstens mit dem Superlativ „immer besser“ antworten. Anfang Oktober gewann der Steirer in seiner Heimatstadt Graz den Titel Bester Sommelier Österreichs. In einem zweitägigen Ausscheid setzte sich Retter gegen elf weitere Kandidaten durch. Sowohl in einer schriftlichen als auch in der praktischen Prüfung bewies er exzellentes Weinwissen und hohe Service- und Fremdsprachenkompetenz. Bei einer der Aufgaben mussten die Finalisten beispielsweise einem englisch sprechenden Gästepaar eine zuvor unbekannte Speisekarte übersetzen und in dessen Muttersprache entsprechende Weinempfehlungen geben. Ein Test, dem sich mancher Berliner Sommelier ruhig mal im stillen Kämmerlein unterziehen könnte... Gerhard Retter wird nun Österreich bei der ASI-Weltmeisterschaft der Sommeliers 2010 in Chile vertreten (ASI - Association de la Sommelerie Internationale). www.sommelerie-internationale.com
Starke Brille, grimmiger Blick, in der Hand ein riesiges Kochmesser, so sitzt er vor uns und spricht: Kochen ist Krieg! Wir erschauern ob der Ankündigung blutiger Gemetzel, denn der Mann muss es ja wissen. Gregor Weber ist Koch. Was dann auf 308 Seiten seines ersten Buches folgt, ist zum Glück so wenig kriegerisch wie Pilzesammeln im Grunewald. Weber, Jahrgang 1968, geboren in Saarbrücken, absolvierte nach seinem Wehrdienst bei der Bundesmarine die Schauspielschule in Frankfurt am Main. Von 1992 bis 1997 war er „de Stefan“ in der Saarland-TV-Satire „Familie Heinz Becker", seit 2001 gehört er zum Saarbrücker Tatort-Team. Als Kriminaloberkommissar Stephan Deininger assistierte er fünf Jahre lang Max Palu. Seit 2006 ermittelt er, inzwischen zum Hauptkommissar befördert, gemeinsam mit Franz Kappl. Doch mehr als zweimal im Jahr ist der SR bei der
*BOUQUET GARNI * URSPRÜNGLICH SÜDFRANZÖSISCHE KÖCHELBEILAGE; KRÄUTERSTRÄUSSCHEN, ETWA AUS LORBEER, PETERSILIE, ROSMARIN UND THYMIAN ZUM WÜRZEN VON BRÜHEN, SUPPEN UND SAUCEN
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Nachrichten und Neuigkeiten BOUQUET GARNI*
Fallschirmspringen. 51 Prozent der Befragten halten Golfer zudem für wohlhabend, 47 Prozent für karrierebewusst, aber nur 12 Prozent für sympathisch. Selbst die Attraktivität des Golfsports nach politischer Parteineigung wurde erfragt - FDP-Anhänger liegen hier weit vorn. Welche Berufe Golfer ausüben, das allerdings enthielt uns die Studie vor. In Berlin, so vermuten wir mal forsch, sind die Gastronomen Spitzenreiter. Zum Abschluss der Saison 2009 liefert Garcon deshalb eine (sicher nicht vollständige) Handicap-Top-Ten-Rangliste der hauptstädtischen Lokalmatadoren:
Verlagsleiter Marcel Hartges, Autor Gregor Weber und Kühenchef Kolja Kleeberg, v. li.
ARD nicht dran, und andere Rollen wurden Gregor Weber eher spärlich angeboten. „Durch die immer wiederkehrenden Berufskrisen hatte sich...die Erkenntnis durchgesetzt, dass ich einen zweiten Beruf brauchte, psychisch und finanziell.“, schreibt er. Weber wurde Koch, 2006 IHKgeprüft. Seine Ausbildung absolvierte der damals schon Enddreißiger im michelinbesternten VAU. „Was mich am meisten beeindruckt hat, ...sind die Hingabe und der ungeheure Handwerkerstolz, mit dem in der Spitzengastronomie gearbeitet wird.“ Mit diesem Satz bringt Weber seine Innenansichten deutscher Profiküchen auf den Punkt. Er hat recht, wenn er sagt, dass nur wenige Nicht-Köche eine realistische Vorstellung von gastronomischer Arbeit haben. Gregor Weber hat in zehn Kapiteln versucht, eine solche Vorstellung zu vermitteln. Er besuchte dafür das „Monstrum von Gastronomie“ in der Arena am Ostbahnhof, erlebte im Drei-Sterne-Restaurant von Christian Bau im Saarland High-End-Küche, und er schrieb eben auf, was ihm aus seiner Lehre bei Kolja Kleeberg berichtenswert erschien. Das Ergebnis nannte er „Kochen ist Krieg“. Martialisch ist allerdings – wie gesagt - bestenfalls dann und wann die Küchensprache - etwa, wenn wir erfahren, dass Vegetariern und Allergikern darin das
Synonym „Foodkrüppel“ zugedacht wird. Weber sagt die Wahrheit, und wir empfehlen das Buch zuallererst denen, die die Absicht haben, den Kochberuf zu erlernen - ebenso wie denen, die ihre Ausbildung bereits begonnen haben. Piper Verlag München 2009, 19,95 Euro
KÜCHENBUCH II Auch bei einer zweiten kulinarischen Neuerscheinung setzt der Münchner PiperVerlag auf den Tatort-Kommissar-Bonus. Schauspieler Andreas Hoppe alias Kommissar Mario Kopper unterzog sich einem risikoreichen Experiment. Ein Jahr lang probierte er, nur das zu essen und zu trinken, was in der Nähe wächst – exakt im 100-Kilometer-Umkreis. Das Ergebnis des brutalen Selbstversuchs teilt er uns nun mit: „Allein unter Gurken – Mein abenteuerlicher Versuch, mich regional zu ernähren“. Piper Verlag München 2009, 16,95 Euro
Sven Schimank Louisa`s Place Thomas Kurt e.t.a. hoffmann Jürgen Gangl Grand Hotel Esplanade Herbert Beltle Altes Zollhaus Thomas Lengfelder DEHOGA Berlin Walter Schuber Austeria Brasserie Stefan Hartmann Hartmanns Hilmar Gathof Habel Weinkultur Klaus-Peter Willhöft Hotel Riehmer`s Hofgarten Josef Eder Grand Hyatt
15,9 17,1 20,8 21,3 23,1 23,5 24,3 25,6 28,7 30,4
Übrigens, dass Golfen nicht nur was mit Prestige zu tun hat, bewies die 2. DEHOGA Berlin Golf-Trophy - powered by Berliner Pilsner Anfang Oktober. Das Turnier erbrachte einen Gewinn von 3000 Euro, der zu gleichen Teilen der Berliner Gasthausmission und der Stiftung Kinderherz zugute kommt.
GREENMASTER Im Auftrag der Clef Creative Communications, kurz CCC, rückten die Meinungsforscher von Imas international kürzlich die deutschen Golfer wieder mal ins Licht der Öffentlichkeit. Spot an also. Der Studie zufolge gilt Golf in Deutschland als prestigeträchtigste Sportart - vor Segeln, Polo und
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KEIN SOMMERMÄRCHEN
TASTE OF BERLIN - DER FLOP DES JAHRES von Hans-Jürgen Bergs
„Sie interessieren sich für die neuesten Trends beim Kochen, Essen und Servieren sowie Wohnen? Sie wollen nicht nur innovative Produkte sehen, sondern hautnah erleben wie diese kreativ in Szene gesetzt werden? Dann sind Sie bei uns genau richtig!“ - so lautete die vollmundige Werbung eines „Trend-Events für Lifestyle-Brands“ im Mai 2007. Ein Düsseldorfer Veranstalter lud in die ehemaligen Siemens-Kabel-Werke in Spandau ein, und (fast) keiner kam. Hot & cool hieß die Veranstaltung, die bereits vorab als „Deutschlands spannendste Lifestyle-Messe rund ums Kochen, Essen und Wohnen“ apostrophiert wurde. Vergangen, vergessen, vorüber. „Sie wollten schon immer mal die kulinarischen Kreationen der besten Küchenchefs und Restaurants in Berlin und Umgebung kennen lernen, mit Spitzenköchen fachsimpeln und dazu erlesene Weine verkosten? Und das alles am liebsten an einem schönen Sommertag im Freien? Dann lassen Sie sich vom 30. Juli bis zum 2. August auf dem Gourmetfest Taste of Berlin im Sommergarten der Messe Berlin von der Berliner Spitzengastronomie verwöhnen.“ So klang es 2009.
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Der Veranstalter, in diesem Fall kam er aus London, erlebte ein ähnliches Fiasko wie sein Düsseldorfer Kollege zwei Jahre zuvor. Duplizität der Ereignisse - kaum Gäste, kaum Einnahmen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten der Interpretation des Misserfolgs beider Veranstaltungen - entweder, die Berliner und ihre Gäste interessieren sich nicht für Essen und Trinken oder die Organisatoren haben etwas falsch gemacht. Ohne viel Drumherum: es gibt eine Reihe guter Gründe, die zweite Vermutung zu favorisieren. Beide Veranstaltungen fanden j.w.d. statt, für beide war die Werbung, gelinde gesagt, dilettantisch und beide versprachen mehr als sie halten konnten. Bleiben wir mal bei Taste of Berlin. Ein großes Fest sollte es werden, ähnlich wie die Taste-of-Events, die seit Jahren in den USA und England stattfinden. Doch der Londoner Veranstalter vergaß, das dort erfolgreiche Konzept den deutschen, speziell den Berliner Verhältnissen, anzupassen. Eine in gastronomischen Dingen völlig unbedarfte Agentur wurde mit der Organisation beauftragt, der zwar idyllische,
aber abgelegene Sommergarten der Messe Berlin als Platz der Plätze auserkoren, ein Termin gewählt, der parallel zum traditionellen Volksfest anlässlich des Schweizer Nationalfeiertages, zu den Harley Days, zur Hanfparade und zu einem Marathonlauf lag. Hinzu kamen Plakate, deren Aufmerksamkeitswert dem eines Gullydeckels entsprachen - man bemerkt ihn erst, wenn man darauf fällt. Mit Sven Albrecht (Zander), Andreas Geiger (Hermanns Einkehr), Andreas Klitsch (Altes Zollhaus), Willi Longin (Riehmer‘s), Michael Mittermaier (Kirk Royal), Macel Scholtun (Café Madrid), Holger Zurbrüggen (Balthazar) und ihren Teams waren durchaus Köche am Start, die für gute Küche bürgen. Die Riege ihrer besternten Kollegen jedoch fehlte völlig, denn wo Hugos und VAU drauf steht, sollten auch Thomas Kammeier und Kolja Kleeberg drin sein. Es kam, wie es einige Gastro-Experten vorausgesagt hatten: Taste of Berlin 2009 wurde der Flop des Jahres. Die Zeit deckt den Mantel darüber, vergangen, vergessen, vorbei. Schade eigentlich.
Nachrichten und Neuigkeiten BOUQUET GARNI*
Der Hotel- und Gaststättenverband Berlin e.V. hatte die Schirmherrschaft für das Gourmetfest übernommen. Garcon sprach mit dem Hauptgeschäftsführer des DEHOGA Berlin, Thomas Lengfelder. Wie lautet heute, mit einigem Abstand betrachtet, Ihr Fazit zu Taste of Berlin? Nicht anders als kurz nach der Veranstaltung. Taste of Berlin war, vom Zeltaufbau bis zur Abfallentsorgung, gut organisiert. Das Problem war der Standort fernab der Touristenströme, zumal auch für Berliner aus anderen Bezirken als Charlottenburg und Wilmerdorf der Sommergarten auf dem Messegelände nicht unbedingt ein bequem zu erreichendes Ziel ist. Heißt das, an einem anderen Standort wäre Taste of Berlin nicht gefloppt? Das gleiche Fest Unter den Linden, auf dem Bebelplatz, dem Gendarmenmarkt oder auch dem Breitscheidplatz wäre auf jeden Fall erfolgreicher gewesen. 10 15.000 Besucher hätte es gebraucht, um die Kosten des Veranstalters zu decken, in den Sommergarten des Messegeländes kamen aber lediglich 3000. Der Misserfolg war natürlich auch ein finanzieller Reinfall für die beteiligten Hotels und Restaurants... Natürlich, und das ist auch der Hauptgrund meiner Unzufriedenheit, weil im Vordergrund unserer Arbeit der wirtschaftliche Erfolg unserer Mitgliedsbetrie-
Thomas Lengfelder, li. und Willy Weiland
be steht. Immerhin haben auf Intervention der DEHOGA alle Gastronomen, die an Taste of Berlin teilgenommen haben, ihr ausstehendes Geld bekommen - bis auf einen Betrag von rund 130 Euro, der ihnen laut Vereinbarung als Anteil aus den Eintrittseinnahmen zugestanden hätte. Auf den werden sie wohl leider verzichten müssen. Ist mit diesem Versuch die Idee gescheitert, in Berlin ein zentrales Gourmetfest zu veranstalten? Nichts ist ausgeschlossen, nicht mal, dass es die Taste-of-Berlin-Organisatoren 2010 oder 2011 noch einmal versuchen. Ich kann allerdings jedem Veranstalter nur empfehlen, sich vorher mit denen zu beraten, die bisher in Berlin mit ähnlichen Veranstaltungen erfolgreich waren - also etwa mit Helmut Russ, der den Weinachtszauber auf dem Gendarmenmarkt veranstaltet oder mit Herbert Beltle, der mit „Kreuzberg kocht“ einen kulinarischen Event aus der Taufe gehoben hat, der für ganz Deutschland beispielhaft ist.
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Berlin feiert: 8. September 2009
Hoffest Die Promifotografen der Berliner Boulevardpresse schuften. Das Klick-KlackDauerfeuer der Canon und Nikon lichtet die Borchardt-Society ab. Der Starfrisör und die Starmoderatorin, kein Problem. Aber wer ist der Typ mit der taubenblauen Krawatte? Und wer die Lady im lila Blazer? Das Hoffest im Roten Rathaus ist ein hartes Pflaster für die journalistischen Szene-Gänger, denn die meisten der Gäste gehören nicht zur Berliner BussiBussi-Brigade. Klaus Wowereit hatte natürlich auch die üblichen Party-Verdächtigen eingeladen, vor allem aber Künstler, Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer. 3500 Persönlichkeiten, die das Leben in der Hauptstadt prägen, kamen ins Rote Rathaus, bei milden Temperaturen und zur besten Abendbrotzeit. Sie knabberten Brezeln von der Berliner Brezel Company, schlürften am Stand der Galeries Lafayette Austern und langten am Stand der kulinarischen KaDeWe-Offerten zu. Das Ziel vieler hungriger Hoffest-Gäste jedoch war das Zelt der Spitzenköche der Hauptstadt. Die Idee dazu hatte Hans-Peter Wodarz, Deutschlands erfolgreichster Erlebnisgastronom. Zum zweiten Mal bereits präsentierte der umtriebige PR-Stratege die Berliner Crème de la Culinaire - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Aus der Gruppe der aktuellen Sterneköche fehlten lediglich die Adlon-Collection-Cuisiniers Björn Panek und Tim Raue sowie Matthias Buchholz vom Palace im Europa-Center, dessen Hotel allerdings mit einem eigenen Stand vertreten war. Summa summarum gelang es Wodarz, die Inhaber von sieben MichelinSternen und 223 Gault-Millau-Punkten zusammen zu bringen. Die wiederum servierten über 4000 Portionen - von Entenlabskaus über Kalbstafelspitz bis Octopusgröstl.
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Burgunder mit Holunder Künstler kreieren Kultgetränk VON yVONNE wEINLICH
Holy Bowly: Kult, wenn kalt
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Immer mal wieder gibt es Getränke mit Geschichte. Die Berliner Weiße mit Schuss zum Beispiel entstand 1875 durch einen Zufall im Keller, die Bionade 120 Jahre später durch Tüftelei im Labor. Auch der Anfang der Bodden-Bowle hat in gewisser Weise etwas Mystisches – zumindest, was die Frage betrifft, wann denn nun zum ersten Mal die Ingredienzien des Kultgetränks im richtigen Verhältnis gemischt wurden. Soviel ist klar: Es geschah während eines Kunstfestivals vor neun Jahren am Bodden-Strand von Zingst auf dem Darss. Am Lagerfeuer entstand die Idee, ein sommerliches Getränk zu mixen – und irgendwie war dann die Bodden-Bowle da. Inzwischen haben ihre Erfinder ein Unternehmen gegründet, das die Mischung aus italienischem Weißburgunder, BioHolunderblüten aus der Rhön und Mineralwasser produziert und vermarktet. Selbstbewusst nannten sie es Teuflisch lecker. Hella Sinnhuber und Bernd Dietrich heißen
die Gründer, der Begriff Jungunternehmer scheint unangebracht. Sinnhuber, von Beruf Kulturwissenschaftlerin, ist 45 und Dietrich 52. Bevor er sich entschloss, gemeinsam mit seiner Partnerin den Getränkemarkt aufzumischen, arbeitete er als Dozent für Malerei an der Universität von Calgary in Kanada. Dass die beiden Westfalen ihre Karrieren in Kunst und Kultur an den Nagel gehängt haben, liegt wohl zu allererst daran, dass ihre Bodden-Bowle am hart umkämpften deutschen Markt einen Raketenstart hinlegte. Der Jahresumsatz belegt, was damit gemeint ist: 2006 – 82.000 Euro, 2008 – 260.000 Euro. „In diesem Jahr werden wir nur mit der Bowle rund eine halbe Million Euro umsetzen, für 2010 haben wir die Eine-Million-Euro-Schallmauer im Visier“, so Hella Sinnhuber. Die Einschränkung „nur“ benutzt die Unternehmerin, weil Teuflisch lecker inzwischen vier alkoholische Getränke lie-
Teuflisch lecker! WEINLESE
Bodden-Bowle-Erfinder: Hella Sinnhuber und Bernd Dietrich
fert: neben der Bodden-Bowle auch Bodden-Punsch, sowie einen Holunder-Geist und einen Holunder-Likör. Unangefochten auf Platz 1 jedoch liegt der Burgunder mit Holunder, frisch und natürlich im Geschmack, 5 Vol. % Alkohol. Abgefüllt wird der Weincocktail in eine 0,75-Liter-Flasche und, als „holy bowly Holunder“, in eine kleine 0,25-Liter-Aluflasche. Dass es Hella Sinnhubers und Bernd Dietrichs Bowle sogar bis in die Berliner Top-Bar-Szene schaffte und selbst deren kritischen Leadingman Andreas Lanninger überzeugte, hat einerseits natürlich etwas mit der Güte des Getränks zu tun, andererseits aber auch mit einem Marketingkonzept, das seinesgleichen sucht. Da war 2007 das „Projekt Mond“, in diesem Jahr folgte „Im Rausch der Möpse“ – beispielsweise mit einem virtuellen Spiel auf der Teuflisch-lecker-Homepage. Das alles allerdings wäre ohne finanzielle Unterstützung nicht so glatt gelaufen. Die Banken hatten – wie so oft, wenn Start-ups in Deutschland Geld brauchen – nur abgewinkt. Alice Schneider, eine Unternehmerin aus Oberhausen, sah zwar auch das Problem, im satten Getränkemarkt noch eine Nische zu besetzen, half aber dennoch – mit Kapital und Know-how. Dafür erhält die risikofreudige Geschäftsfrau nun 40 Prozent vom Gewinn. Außerdem – so ist es vereinbart – stehen ihr 2014 auch 40 Prozent vom Verkaufserlös der Firma zu.
In fünf Jahren nämlich, so haben es Hella Sinnhuber und Bernd Dietrich geplant, wollen sie Teuflisch lecker veräußern, um mit ihrem Teil des Erlöses eine Stiftung für ältere, aber unbekannte Künstler zu gründen. Kreativ, geschäftstüchtig und sozial – drei Attribute, die nicht allzu häufig bei deutschen Unternehmern zusammentreffen – für die beiden Getränkeproduzenten sind sie Credo allen Tuns. Bis 2014 jedoch wollen sie noch weiter international expandieren. „Was die Getränkekarten deutscher Gastronomen bereichert, sollte doch auch in anderen Ländern eine Chance haben“, ist sich Bernd Dietrich sicher. In Schweden gibt es bereits einen Vertriebspartner, in Norwegen haben sie ihr Getränk präsentiert, ebenso in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Selbst in New York fand ein erfolgreiches Test-Trinken statt. Der unaufhaltsame Aufstieg von Teuflisch lecker ist ein Beispiel dafür, dass unternehmerischer Mut dort belohnt wird, wo das Uralt-Motto gilt: Unternehmer ist der, der etwas unternimmt. „Und dabei nicht nur gierig an das eigene Konto denkt“, fügt Hella Sinnhuber hinzu.
TEUFLISCH LECKER Hoher Berg 15 46514 Schermbeck Tel. 02363- 99 62 01 www.teuflischlecker.de
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WEINLESE Esterházy
Esterházy in Berlin Ein Kulinarisches Spitzentreffen von Marc Steyer
Die Botschaft der Republik Österreich in Berlin ist ein gastfreundliches Haus, dem Wesen des Landes entsprechend. Diskussionsrunden, Musikabende, Kunstausstellungen – wer wissen will, was in Wien, Linz oder Graz angesagt ist, wird gut informiert. So gesehen ist die Botschaft auch ein Ort vielfältiger Botschaften, nicht zuletzt kulinarischer. Die wichtigste: Österreich ist ein Land des Genusses, lecker bis in den letzten Waldviertler Winkel.
Botschafter Dr. Ralph Scheide, 1. v. re...
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Dementsprechend auch das Motto eines Empfangs, zu dem Botschafter Dr. Ralph Scheide, die Esterházy Privatstiftung und das Weingut Esterházy am 21. September in die Räume der Vertretung am Tiergarten einluden. Esterházy – ein Name, der weit über Österreichs Grenzen hinaus bei Feinschmeckern einen guten Klang hat. Das Esterházy-Gulyás aus der Kalbsschulter, der Esterházy-Rostbraten mit
... und die Esterházy-Repräsentanten...
Kapern und die Esterházy-Torte stehen traditionell dafür. Die Esterházy-Weine, vielfach ausgezeichnet und die von Alois Gölles, einem der bekanntesten österreichischen Brennmeister, destillierten Brände sind auf dem besten Weg in die gleiche Liga. Davon konnten sich Berlins Weinkenner in Österreichs Botschaft überzeugen. www.esterhazywein.at
... luden zur Weinverkostung
GriechenlandSPEZIALGESCHMACKSSACHEN
Frederic Wianka
Frederic Wianka, 40, Gastronom, stammt aus Brandenburg/Havel und ist seit vier Jahren im Weinhandel tätig. Seit Februar 2009 arbeitet er für die Hamburger Champagner- und Wein-Distributionsgesellschaft CWD. Das Unternehmen vertritt das Schlossweingut Esterházy exklusiv in Deutschland. Wie kam es zu dem Exklusivvertrag? Eigentlich völlig unspektakulär. Das Weingut suchte in Deutschland einen bundesweit tätigen Vertriebspartner, der vor allem in der Gastronomie und Hotellerie gut vernetzt ist. Da bot sich die CWD förmlich an. Welche Esterházy-Weine haben sie gelistet? Unser aktueller Katalog bietet fünf Gewächse, dazu vier edle Brände und den QuinQuin, einen Sparklingwein mit einer überaus feinen Perlage. Ihre Favoriten? Der QuinQuin, dessen Name übrigens eine Hommage an den Grafen Franz Quinquin Esterházy ist und Schelm bedeutet. Der Pinot Blanc „Tatschler“ von einer in Österreich berühmten Reblage, der Pinot Noir „Hundertpfunder“ und die Johannisnuss, ein nicht alltäglicher Brand aus grünen Walnüssen. Wo in Berlin gibt es Esterházy-Weine? Gastronomen bestellen direkt bei CWD, Endverbraucher können bei Barrio Weine in der Dircksenstraße 42 in Berlin-Mitte kaufen. Auf der Karte stehen sie außerdem u.a. in den Restaurants 44, Riehmer’s und Noodles und Figli, ebenfalls in Kreuzberg. www.cwdwein.de
van de Sand & Kramer GbR Lepsiusstraße 20 12163 Berlin Tel. 030 - 79 78 99 04 GARÇON
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LEBENSARTWaagen
LONSCHER
GEWOGEN UND FÜR GUT BEFUNDEN VON HANS-JÜRGEN BERGS
Marlis Starck: Kaufmännische Leiterin
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Anfrage an den Sender Eriwan: Braucht die Deutsche Bundesbank eine Waage? Antwort: Im Prinzip ja, allerdings nicht für Papiergeld, das wird gezählt. Das Witzchen hat einen wahren Kern, Hartgeld wird gewogen. Ein mittelständisches Unternehmen aus Berlin entwickelte und fertigte vor einigen Jahren die Spezialgeräte, die es ermöglichen, Euro pro Kilo zu ermitteln. Für manche Firmen wäre diese Tatsache Grund genug, werbend darauf hinzuweisen. Bei Lonscher Waagen in Moabit beschränkt man sich darauf, es irgendwann im Gespräch zu erwähnen. Die Lonscher-Leute beherrschen andere Instrumente virtuoser als die Werbetrommel. Stichworte der Firmenphilosophie: Dienstleistung, Kundenzufriedenheit, Qualität. Das war schon 1965 so, als Siegfried
Lonscher den Betrieb gründete, und das blieb auch so, als 2002 sein Sohn Norbert, Waagenbauer- und Feinmechanikermeister wie der Vater, das Unternehmen übernahm. „Wir wollen mit Leistung glänzen, nicht mit chicken Flyern“, sagt Lonscher. Understatement also ist angesagt. Dennoch kommen Kunden, die zum ersten Mal Lonschers Laden an der Beusselstraße betreten, minutenlang aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein großer Raum, Regale bis unter die Decke, darin Wägetechnik aus vergangenen Jahrhunderten. Briefwaagen, Brückenwaagen, Federwaagen, Tafelwaagen, über 500 Exemplare handwerklicher Präzisionsarbeit. „Wir haben die Sammlung mal dem Deutschen Technikmuseum als Geschenk angeboten, aber die hätten sie nur ge-
Waagen LEBENSART
nommen, wenn wir die Waagen abgebaut, nach Kreuzberg transportiert und dort wieder aufgebaut hätten. Das war uns dann doch zu viel“, erklärt Marlis Starck. So empfängt die kaufmännische Leiterin immer mal wieder Schulklassen, erzählt den staunenden Computer-Kids Geschichten vom Wiegen und fördert so jedes Mal auch ein bisschen die Ehrfurcht vor einem alten Handwerk. „Lediglich ein Viertel der deutschen Haushalte hat noch eine Küchenwaage“, sagt sie, „kein Wunder im Zeitalter der Backmischungen.“ Dass allerdings Gastronomen, wenn sie eine Restauranteröffnung planen, in alles Mögliche, nur nicht in eine ordentliche Waage investieren, das hält Marlis Starck dann schon für einen gravierenden Fehler. „Zu einer vernünftigen Arbeitsweise in dieser, aber auch in anderen Branchen, gehört eine gute Waage“, bedeutet die gelernte Bankerin und fügt unmissverständlich hinzu: „Sie ist das kaufmännische Steuerungsinstrument, nicht die Kasse.“ Lonscher verkauft Waagen renommierter Hersteller, vor allem aber stattet die Firma Unternehmen mit maßgeschneiderter Wägetechnik aus. „Waagen nach Maß sind unsere Spezialität“, so der Chef. Dabei geht es um Industriewaagen etwa für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie, um Boden-, Dosier-, und Fahrzeugwaagen, um Tischwaagen für den
Norbert Lonscher: Waagenbauermeister
Versand oder – eine Lonscher-Spezialität – um Waagen für explosionsgefährdete Bereiche. So wurde nicht nur für die Bundesbank eine Geldwaage entwickelt, sondern – vielleicht technisch noch anspruchsvoller – zum Beispiel auch eine Dönerwaage. Atilla Şir, Chef der A.T.A. Döner-Produktion auf dem Beusselmarkt, forderte ein Gerät, das kurzfristige Höchstbelastung aushält, den strengen Hygienevorschriften entspricht, leicht zu reinigen und einfach zu bedienen ist. Lonscher verstand, tüftelte und baute vor fünf Jahren seine erste Dönerwaage. Doch es ist nicht nur die Tatsache, dass Lonscher die selbst für schwierige Einsatzfälle passende Technik entwickelt, vor allem ist es auch der Lonscher-Service, der in vielen Branchen von sich reden macht. Die Moabiter Waagenprofis bieten Wartung und Reparatur rund um die Uhr, stellen bei Problemfällen Leihwaagen zur Verfügung und haben einen sogenannten Eichservice am Start, der ihre Kunden schon in vielen Fällen vor bösen Überraschungen bewahrt hat. „Wir können fast alle Probleme lösen, die mit Wägetechnik zu tun haben – gleich, ob es sich um mechanische, elektromechanische oder elektronische Waagen handelt. Nur Newton, den können wir nicht neu erfinden“, bringt es Norbert Lonscher, einer der letzten Berliner Waagenbauermeister, auf den Punkt.
Gewichtig: 60 Gramm Make-up
Gewichtig: 50 Kilogramm Döner
Gewichtig: 800 Gramm Seil
LONSCHER WAAGEN Beusselstraße 44 f-g 10553 Berlin-Moabit Tel. 030 - 396 01 30 www.lonscher-waagen-online.de
Waagenbau
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LEBENSART Blumenfrauen
Blumen im Riehmer´s...
... bei Mr. Minsch...
... und im Cucinotto
MancherleiGrün Drei Damen vom Blumeneck von Marc Steyer
Silke Diener, Karin Chmieleski und Katja Wagner, v. li.: Die Damen vom Blumeneck
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Blumenfrauen LEBENSART
Da gibt es doch Leute, die lassen sich einen Blumenstrauß aus dem Ausland einfliegen – Hauptsache der Starflorist Nicolai Bergmann hat ihn erschaffen. Erschaffen und nicht etwa gebunden. So stand es kürzlich in einem Hochglanz-Magazin, dessen Leser zum Shoppen auch mal eben nach New York jetten. Die Geschichte erzählte ein Kunde in der Marheinekemarkthalle, während ihm Silke Diener einen Strauß band. „Was macht eigentlich einen Floristen zum Star?“, fragte er dann. „Blumen aus Gold?“ Silke Diener jedenfalls ist kein Star, und ihre Kolleginnen Karin Chmieleski und Katja Wagner sind es auch nicht. Die drei Damen vom Blumenstand Mancherleigrün in der Marheinekehalle sind Floristinnen, die ihr Handwerk verstehen, Freude am Gestalten haben und denen die sperrigen Wortschöpfungen ihrer Branche à la „die konsumigen Arrangements zeitgemäßer Floristik“ nie über die Lippen kämen. Wer von der Zossener Straße aus in die Markthalle abbiegt, sieht rechter Hand ihren Stand – eine blumige Werkstatt. Das, was in der Kulinarik Jahreszeitenküche heißt, ist hier Jahreszeitenfloristik. Saisonales und Regionales spielen die entscheidende Rolle. Und so entstehen aus den Schönheiten des Herbstes, etwa aus feurigen Hagebutten, nostalgischen Hortensien, getrockneten Thymianzweigen, aus Astern, Chrysanthemen, Purpur-
glöckchen und Ziergras kleine oder auch größere Kunstwerke, die so gar nichts Artifizielles haben. Silke Diener, Karin Chmieleski und Katja Wagner sind Meisterinnen des Natürlichen. Ihr Erfolg entspricht somit auch dem Bedürfnis, sich mit Natur zu umgeben, in den eigenen vier Wänden ebenso, wie etwa in Hotels und Restaurants. Silke Diener stammt aus Pforzheim, Karin Chmieleski aus Dresden, Katja Wagner ist Berlinerin. Alle drei handelten schon früher mit Blumen, Silke Diener in Schöneberg, Karin Chmieleski in Friedrichshain, Katja Wagner in Köpenick. Auf dem Berliner Blumengroßmarkt an der Friedrichstraße lernten sie sich kennen. Irgendwann entstand die Idee, der wachsenden Massenvermarktung von Blumen etwas entgegenzusetzen. Floristisches Handwerk contra Sträuße vom Fließband, Fachhandel contra Tankstelle. Gedacht, gesagt, getan. Das Individuelle florierte von Anfang an. Für viele Kreuzberger ist Mancherleigrün deshalb auch eine feste Größe, ob es nun um Gastraumdeko, Geburtstagssträuße oder Grabschmuck geht.
MANCHERLEIGRÜN Marheinekeplatz 15 10961 Berlin-Kreuzberg Tel. 030 - 74 07 39 37
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LEBENSART Küchenprofis
DIE KÜCHENPROFIS WELCHES WERKZEUG BRAUCHT DER MENSCH? VON HEIKO GRALKI
Topf & Pfanne-Dreamteam: Uli Gleichmann, Andreas Spitzack und Daniel Michalke, v. li.
„Topf und Pfanne“ heißt es über einem Eckladen am Kurfürstendamm. Nimmt man den Namen wörtlich, ist er eindeutig eine Irreführung möglicher Kunden, allerdings eine mit Aha-Effekt. Wer das Geschäft betritt und meint – nomen est omen – hier ausschließlich Töpfe und Pfannen zu finden, sieht sich x-fach eines Besseren belehrt. Rund 11.000 Kü-
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chenartikel stapeln sich in Regalen oder hängen an Gitterwänden – Nützliches und Fragwürdiges. Ein schlichter Schneebesen zu Beispiel – sicher, den gibt es auch, aber das wäre ja nun wirklich zu simpel. Die feinen Unterschiede sollten schon Beachtung finden im Land der hochgerüsteten Küchen (und der billigsten Lebensmittel). Und deshalb
präsentiert sich beispielsweise die unter ambitionierten Hobbyköchen geschätzte Firma Rösle außerdem mit Quirlbesen, Schlagbesen, Tellerbesen und sechs weiteren Drahtrührgeräten – darunter auch so ein todschickes Ding wie ein Ballonbesen. Andreas Spitzack, Inhaber des Topf- und Pfanne-Küchenartikelgeschäftes, lächelt milde: „Zur Herstellung leichter Cremes
Küchenprofis LEBENSART
wie einer Sabayon oder luftiger Eierspeisen, etwa Salzburger Nockerln, ist der Ballonbesen deshalb hervorragend geeignet, weil er besonders viel Luft zuführt.“ Spitzack, 54, gebürtiger Berliner und gelernter Kaufmann, startete bereits Anfang der 1980er seine Karriere in der Küchengeräte-Branche, zuerst auf Berliner Wochenmärkten, wo er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Daniel Michalke Solinger Stahlwaren verkaufte. „Es war eine wilde Zeit“, erinnert sich Spitzack, „mit einem klapprigen Transporter über zwei innerdeutsche Grenzen nach NRW, auswählen, einkaufen, verpacken und, wieder über zwei Grenzen, zurück nach Berlin.“ 1981 eröffneten Spitzack und Michalke dann ihr erstes Geschäft in der Wilmersdorfer Uhlandstraße, zwei Jahre später Umzug an den Kurfürstendamm. Wir kommen wieder zurück zum Thema Sinn und Unsinn von Küchenwerkzeugen. Andreas Spitzack erklärt: „Jedes Gerät für sich erfüllt spezielleAufgaben, Allzweckwaffen sind mehr oder weniger untauglich. Wichtig sind ein funktionelles Design, eine stabile Ausführung, hochwertiges Material und dessen erstklassige Verarbeitung. Küchengeräte sollten ein leichtes, ermüdungsfreies und sicheres Arbeiten ebenso ermöglichen wie eine einfache Reinigung. Sie sollten beständig gegen aggressive Speisesäuren sein und lange haltbar.“
Dementsprechend berät der Küchenprofi auch seine Kunden. Wer keine Austern isst, braucht keinen Austernbrecher, wer Spargel nicht mag, keinen Spargelschäler. Und auch bei Fruchtentkernern, Gemüseaushöhlern, Parisienneausstechern oder Ziseliermessern plädiert Spitzack eher für Zurückhaltung. Erst recht bei dem wohl sinnlosesten Küchengerät der Neuzeit – dem Weißwurstheber der Marktoberdorfer Rösle GmbH. Das als „bayerische Weltneuheit zum stilechten Heben von Weißwürsten“ gepriesene Gerät, hängt zwar auch im Topf-und-Pfanne-Laden, aber eher als Kommunikationsförderer. „Ist das ein Schuhlöffel ?“ - „Nein, ein Weißwurstheber.“ - „Aha.“ Und schon ist der Geschäftsmann in seinem Element. Er kennt die Leute, die bereits alles haben und weiß natürlich auch um deren Motto: Ohne Capreseheber, Dekantiertrichter und Grapefruitschäler ist die Aufnahme in den Biedermeier der Genusskultur undenkbar. Behutsam lenkt er das Gespräch auf das für ihn neben Topf und Pfanne wichtigste Küchengerät – das Messer. Ein gutes Dutzend Markenfirmen hat Topf und Pfanne im Angebot: Berti, Dick, Global, Güde, Haiku, Kasumi, Windmühle, WMF, Zwilling, vom preiswerten Schälmesser aus Karbonstahl bis zur sündhaft teuren handgeschmiedeten Japanklinge.
Dazu Exklusives. Beispielsweise Messer der Manufaktur Nesmuk aus Wünstorf in Niedersachsen, nahe des Steinhuder Meeres. Dort fertigt Lars Scheidler, einer der wenigen deutschen Messerschmiede, Klingen mit perfekter Geometrie – natürlich von Hand. Oder Messer aus Berlin – ebenfalls in Handarbeit hergestellt von Kevin Wilkins. Spitzack kennt den Amerikaner aus Dallas/Texas, der eigentlich Grafikdesigner von Beruf ist, seit der vor sieben Jahren seine Messermanufaktur gründete. „Der Kochboom und die neue Popularität von Wertarbeit und traditionellem Handwerk haben Scheidler oder Wilkins überleben lassen, zu Glück für uns und unsere Kunden“, so der Topf-und-PfanneChef. Andreas Spitzacks neues Projekt: ein Kochmesser-Shop – mit besonderen Konditionen für Profi-, aber auch mit Angeboten für Hobbyköche; vor allem Service, Schleifen und Abziehen eingeschlossen. Auch in seiner Branche gilt: Neue Ideen sind der Motor des Geschäfts.
TOPF & PFANNE Kurfürstendamm 97/98 10709 Berlin-Charlottenburg Tel. 030 - 327 55 80 www.topf-pfanne.de
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Kuchenformen LEBENSART
KUCHEN AUS NEUKÖLLN Wie der Gugelhupf zu neuer Form fand von Jörg Teuscher
Hugo Bräuer 1909
Die Neuköllner Hobrechtstraße ist nach James Friedrich Hobrecht benannt, einem Architekten und Ingenieur, der zwischen 1873 und 1892 den Bau der Berliner Kanalisation leitete. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die Gegend zwischen Berliner Straße, die heute Karl-Marx-Straße heißt und Maybachufer zu einem Zentrum der metallverarbeitenden Industrie. Feinblechner, Gürtler, Kupferschmiede und Metalldrücker zogen in die damals entstehenden Industriehöfe. Heute ist davon kaum noch etwas erhalten. Auch in Neukölln siegte der Zeitgeist, High Tech statt Handwerk. Lediglich eine einzige Manufaktur überlebte, weil sie so blieb, wie sie immer war. Hugo Bräuer Metallwaren steht auf dem emaillierten Schild, Hobrechtstraße 67, Quergebäude, vier Treppen. Ein winziges Büro, Lagerräume, die Werkstatt. Für die einen Filmkulisse der Gründerzeit, für die anderen ein Anachronismus aus Eisen und Stahl. Thomas Bräuer, Jahrgang 1968, ist Geschäftsführer des Unternehmens, sein Vater Horst der Inhaber. Im Büro hängt das Bild eines stattlichen Geschäftsmannes. „Hugo Bräuer“, sagt Thomas, „mein Urgroßvater, Gürtler- und Metalldrückermeister, der Firmengründer.“ Das war 1907. Bräuer und seine Metalldrücker-Gesellen
Hugo Bräuer 2009
100 Jahre Formenvielfalt
fertigten Kochtöpfe, Lampenschirme und andere Gebrauchsgegenstände. „Metalldrücken“, erklärt der Juniorchef, „ist ein spanloses Umformverfahren zur Herstellung rotationssymmetrischer Hohlkörper aus Blech. Dabei entfällt die aufwendige und teure Herstellung von Tiefziehwerkzeugen.“ Ein schönes altes Handwerk, allerdings inzwischen genauso selten wie Küchengeräte Made in Germany. Thomas Bräuer und seine beiden Gesellen André Heim und Nils Neugebauer so-
wie ein Lehrling stellen heute Kleinserien und Einzelstücke aus Aluminium-, Kupfer-, Stahl- und Zinkblech her. Komponenten für Prüfinstrumente, Teile für Straßenleuchten, auch mal ein rundes Designer-Waschbecken, eine Lampe für einen Oldtimer oder ein Stück für den Denkmalschutz. Dass der Name Bräuer vor einigen Jahren auch in London und New York bekannt wurde, hat allerdings nichts mit solchen Unikaten zu tun, sondern mit der Tatsache, dass in der Neuköllner Manufaktur
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LEBENSART Kuchenformen
Geschäftsführer Thomas Bräuer, Designer Sebastian Summa und Inhaber Horst Bräuer, v. li.
Firmengründer Hugo Bräuer I.
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nichts weggeworfen wird, mit zwei jungen Designern und schlichten Backformen. Sebastian Summa aus Erlangen und der Isländer Hrafnkell Birgisson studierten an der Potsdamer Fachhochschule Produktdesign. Ein Projekt führte die beiden vor sechs Jahren in die Hobrechtstraße. In der Werkstatt entdeckten sie Regale voller gedrechselter Holzformen, 80 bis 100 Jahre alt. Die eigentümlichen runden Gebilde wurden einst gefertigt, um Blech darüber zu drücken und so Nützliches herzustellen. Was genau, das konnten Summa und Birgisson nicht mehr ermitteln. Rätsel gaben ihnen auch die Bezeichnungen auf, die Arbeiter einst auf die hölzernen Formen schrieben: Collatz, Eltoga, Stubbak, Wiesner. Das einzige, was den Designstudenten von Anfang an klar war - die uralten Formen waren von großer Klarheit und eigentümlicher Schönheit, und so entstand
die Idee ihrer - Summa sagt - „Wiederbelebung als Kuchenformen“. Thomas Bräuer und seine Leute lächelten milde. Erst, als die neuen Formen für Gugelhupf und Co. im Londoner Nobelkaufhaus Harrods und im Museum of Modern Art New York unter ihrer alten Bezeichnung und der Marke Bräuer Furore machten, öffneten sie eine Sektflasche. Endlich ist auch der gute alte Rührkuchen im 21. Jahrhundert angekommen, zumindest, was die Form betrifft, heißt es seitdem bei Hugo Bräuer. Der Firmengründer hätte bestimmt seine Freude daran.
HUGO BRÄUER METALLWAREN Hobrechtstraße 67 12047 Berlin-Neukölln Tel. 030 - 631 42 87 www.hugo-braeuer.de
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Coledampf‘s KüchenkolumneRUBRIKEN
GASTROQUIZ
1000 Berlin 30, Rankestraße 26. Kein Feinschmecker, der in den 1970er Jahren diese Adresse nicht kannte. Die Restaurantführer der damaligen Zeit überboten sich in euphorischen Formulierungen, und die Gastrokritiker jubelten im Chor. Von einem „einzigartigen GourmetTreff“ war da beispielsweise die Rede, von „lukullischer Exklusivität“ oder gar davon, dass hier das „geschmackliche Epizentrum der westlichen Welt“ sei. Werner Fischer, Inhaber und Küchenchef des Restaurants, wurde sogar als „Escoffier unseres Jahrhunderts“ gefeiert. Auf der Speisenkarte standen Guanakokeule in Maniokbrot, Bärentatze mit Blattgemüse, Sea Food Pudding und andere exotische Spezialitäten. Wie hieß dieses Berliner Restaurant?
A Aben? B Ritz? C Schlichter?
Ihre Antwort bitte an Bild Art Media Verlag GmbH Redaktion GARÇON Alt-Biesdorf 7 12683 Berlin Fax: 030 - 51 73 84 92 E-Mail: info@bildart-verlag.de
Die Gewinne, drei Kochbücher deutscher Spitzenköche, werden unter den Teilnehmern verlost, die unsere Frage richtig beantwortet haben. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Einsendeschluss ist der 30. November 2009. Die Gewinne werden von der Redaktion per Post zugesandt.
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28.11.2009 Die Weinparty des Jahres | revolutionäre Winzer und ihre Weine | WeinPeepshow mit Stuart Pigott | DJ Gianni N. (Nassau Beach Club, Ibiza)
IMPRESSUM HERAUSGEBER Bild Art Media Verlag GmbH Alt-Biesdorf 7, 12683 Berlin Fon 0 30 / 28 86 79 70 Fax 0 30 / 28 86 79 69 www.bildart-verlag.de www.berliner-garcon.de info@bildart-verlag.de REDAKTION Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.), Jörg Teuscher, Uwe Balluschk, Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer AUTOREN DIESER AUSGABE Peter Frühsammer, Dieter Fuhrmann, Anna Weber GRAFIK Harald Oehlerking ILLUSTRATION Karin Baetz FOTOS Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Jonathan Göpfert, Karl-Heinz Kraemer, Udo Titz, Hugo Bräuer privat, Peter Frühsammer privat, Christian Lohse privat, Archiv Die Brandenburgs, Archiv Garcon, Berlin Partner GmbH ANZEIGENMARKETING Heike Link, Heiko Gralki anzeigen@bildart-verlag.de
vini culture präsentiert Champagne Billecart-Salmon | Peter Jacob Kühn, Rheingau | Fritz Becker, Pfalz | Peter Lauer, Saar | Obsthof am Steinberg, Frankfurt | Uwe Schiefer, Südburgenland | Sébastien Riffault, Loire | Nicolas Cheveau, Burgund | Château du Cèdre, Cahors | St. Antonin, Faugères | Domaine de l’Horizon, Roussillon | Château de Roquefort, Provence | Ansitz Waldgries, Südtirol | Morgante, Sizilien | Inurrieta, Navarra | Escoda-Sanahuja, Conca de Barberà
Samstag, 28. November 2009, ab 20 Uhr 600 qm-Gewölbekeller der Bockbrauerei im Bergmann-Kiez, Kreuzberg; Eingang: Schwiebusser Str. 14 inklusive aller Getränke und Snacks, 19 € Abendkasse, 15 € Vorverkauf bei Grolmanstraße 44–45, 10623 Berlin, www.viniculture.de
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