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Nein, meine Suppe ess’ ich nicht! Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Drei bis vier Millionen junge Frauen und Männer leiden allein in Deutschland unter Essstörungen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Leopoldina-Krankenhauses bietet spezielle Behandlungsplätze, um mit den Patientinnen und Patienten individuelle Wege aus der Krankheit zu erarbeiten. Ca. 50 bis 60 % von ihnen schaffen es, wieder ein normales Leben zu führen.

Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!

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Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen.

Mara Helmbrecht macht sich Sorgen. Schon wieder hat ihre Tochter kaum etwas gegessen – und das, obwohl sie extra ihr Leibgericht gekocht hatte. Während alle gesellig beisammensaßen und der kleine Bruder wie üblich seine Faxen machte, hat Kim ihr Essen nur auf dem Teller hin und her geschoben und behauptet, sie hätte schon in der Schule gegessen. Ob Mara nochmal versuchen sollte, mit ihr zu sprechen? Aber beim letzten Mal hatte Kim die Mutter nur angeschrien und sich geweigert, über das Thema Essen zu reden. Drei bis vier Millionen Menschen in Deutschland betroffen

Solche und ähnliche Szenen wiederholen sich zigtausendfach. Allein in Deutschland sind drei bis vier Millionen Männer und Frauen von Essstörungen betroffen. Und die Corona-Pandemie verschärft das Problem noch. Wenig verwunderlich also, dass die Behandlungsplätze im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) sehr gefragt sind. Auch die erst vor kurzem erweiterte Klinik im Leopoldina-Krankenhaus ist gut ausgelastet, bestätigt der leitende Oberarzt, Dr. Roman Holderbach. Patienten wie Kim brauchen intensive medizinische, pflegerische und therapeutische Betreuung. „Hier erweist sich auch die Kooperation mit der Kinderklinik im Leopoldina als echter Vorteil“, erklärt Dr. Holderbach. „Wir können so auch schwer ausgeprägte Behandlungsfälle mit körperlichen Komplikationen und sehr niedrigem Gewicht (Body-Mass-Index <13) gut behandeln.“

Häufige Essstörungen

Magersucht (Anorexie oder Anorexia nervosa)

Patienten haben das krankhafte Verlangen, ihr Körpergewicht immer weiter zu reduzieren. Der Einstieg in die Krankheit ist häufig eine Diät, die nicht beendet, sondern mit der Zeit immer restriktiver wird. Unbehandelt führt sie zu starkem, bisweilen sogar lebensbedrohlichem Untergewicht. Und selbst, wenn die Patienten nur noch Haut und Knochen sind, empfinden sie sich immer noch als zu dick. Ihre Wahrnehmung des eigenen Körpers ist gestört. Mit der Zeit bestimmen die Gedanken um das eigene Körpergewicht zunehmend den gesamten Alltag, zusätzlich treiben die Patienten oft sehr viel Sport. Mädchen sind etwa zehnmal häufiger betroffen als Jungen.

Bulimie (Bulimia nervosa)

Umgangssprachlich auch Ess-Brech-Sucht genannt. Patienten werden von Heißhunger-Attacken geplagt, bei denen viel Nahrung in kürzester Zeit aufgenommen wird, begleitet von einem starken Kontrollverlust. Oft leiden die Patienten unter intensiven Spannungszuständen. Die Essattacken lindern diese vorübergehend – bis sich das schlechte Gewissen meldet. Mit Erbrechen und Medikamenteneinnahmen wird dann versucht, die Essattacke ungeschehen zu machen. Im Alltag ist die Erkrankung schwer zu erkennen, da Betroffene in der Regel versuchen, ihr Erbrechen zu verheimlichen. Ergreifen die Patienten nach der Essattacke keine Gegenmaßnahmen, spricht man von einer Binge-EatingStörung. Diese Patienten entwickeln im Gegensatz zu den bulimischen fast immer ein Übergewicht.

Achtung! Eltern sollten wachsam sein bei:

• einem auffälligen Gewichtsverlust • ungewöhnlich häufigem Wiegeverhalten • Reduzierung des Essens oder immer wählerischerer Nahrungsmittelauswahl • intensivem Bekochen der Familie oder Freunden bei gleichzeitigem Vermeiden dieser Mahlzeiten • Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht und der Figur, obwohl ihre Kinder schon auffällig dünn sind • Ausbleiben der Menstruation bei Mädchen • ausgeprägtem Sport, vor allem Ausdauersportarten • langem Verweilen in Bad/WC nach Mahlzeiten • einem oft geplünderten Kühlschrank • Essstörungen im Freundeskreis des Kindes

Der Weg zurück aus der Krankheit

Sind die Patientinnen und Patienten körperlich wieder dazu in der Lage, beginnt ihr schwerer Weg zurück ins Leben. 50 bis 60 % von ihnen gelingt dies dauerhaft. Die KJP betrachtet dabei jeden Betroffenen individuell und erarbeitet Wege aus der Krankheit. Diese sind genauso vielschichtig wie die Ursachen für Essstörungen, bei denen immer mehrere Einflüsse zusammenkommen: genetisch-biologische, psychologische, gesellschaftlich-soziale und natürlich familiäre. Deshalb ist die Einbeziehung der Familie sowie die begleitete Rückkehr in den Alltag ein zentraler Ansatzpunkt. „Es wird sichergestellt, dass das Essen nicht nur bei uns in der Klinik wieder klappt, sondern auch im häuslichen Umfeld“, so der leitende Oberarzt. Dazu seien das Erlernen einer verbesserten Kommunikation in der Familie, von Strategien im Austragen von Konflikten und der Würdigung der gegenseitigen Bedürfnisse sehr wichtige Bausteine, die oft über Erfolg und Misserfolg der Behandlung entscheiden.

Foto: vm.photodesign

Leitender Oberarzt Dr. med. Roman Holderbach Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie

Chefarzt: PD Dr. med. Wolfgang Briegel

Telefon 09721 720-3374 Fax 09721 720-2901 E-Mail kjp@leopoldina.de

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