Stilkolumne: Nicole Geser über den modischen Würgegriff

Stil Nicole Geser über den modischen Würgegriff

Quetsch mich!

Am Anfang fragte man sich noch, was die wohl Wertvolles in ihrer Tasche versteckt hat, dass sie sich so an sie klammert. Als jedoch immer mehr Influencerinnen und solche, die es gerne wären, mit ihrer Tasche unter dem Arm auf Instagram auftauchten, dämmerte es mir langsam. Das demonstrative Einklemmen zwischen Achsel und Rippenbogen ist gerade im Trend. Ach so! Sagt das doch gleich, ich bedauerte euch bereits um den vermeintlich abgerissenen Henkel.

Nicole Geser ist Inhaberin und Einkäuferin des Concept Stores Le Soir Le Jour in St.Gallen. Die PR-Fachfrau arbeitete zuvor unter anderem beim Prêt-à-Porter-Unternehmen Akris und in einer Kommunikationsagentur. In der Stilkolumne schreibt sie regelmässig über Mode und was sie ausmacht. lesoirlejour.ch Verheissung in der Box Dass uns Frauen die Handtasche manchmal wichtiger ist als unser eigener Mann ist ja bereits bekannt. Oder tauschen Sie Ihren Mann etwa auch alle zwei Monate aus? Eben. Die Leidenschaft mit der wir uns auf den ersten Blick in eine Tasche verlieben können, würde genügend Stoff für zehn weitere Rosa munde-Pilcher-Bände hergeben. Die Titel würden lauten: «Ich lasse meine Clutch nie mehr los», «Meine Seele ruft nach Stepptasche» oder «In meinem Leben hat nur eine Maxi Platz». Ich zähle mich ja selber zu einer absoluten Taschen-Fetischistin. Mein Verhältnis zu ih nen nimmt manchmal fast schon masochistische Züge an. Zum Beispiel spanne ich mich selber auf die Folter nach dem Kauf eines neuen Objekts. Die Errungenschaft muss zuerst in seiner Schachtel bleiben. Das sind natür lich immer sehr schöne Schachteln, und nur schon der Anblick einer solchen erzeugt eine erregende Freude auf das bevorstehende Ereignis – den Moment des Auspa ckens. Dies darf aber nur in passender Stimmung vollzogen werden. Also nicht zwischen Kloputzen und dem Ausfüllen der Steuererklärung.

Rollenspiele Jetzt folgt die Rollenverteilung. Die Tasche musste nun einige Tage in ihrer Schachtel ausharren. Jetzt bin ich dran mit leiden. Denn eines meiner Gebote lautet: Der erste Ort, an dem meine neue Tasche ausgeführt wird, soll etwas Besonderes sein. Das ist wie beim ersten Date. Es muss kein Gourmet-Tempel sein, aber mein Lieblings restaurant oder eine Galerie wären adäquat. Also heisst es warten, bis sich eine Gelegenheit ergibt. Wenn dann ein passender Abend gefunden ist, bedeutet dieser noch lange nicht die ersehnte Befreiung. Schliesslich gibt es noch einen Spielverder ber namens Wetter. Wasserschäden oder Hagelbeulen wären doch zu schmerzhaft. So können Wochen verstreichen. Als ich meine Lammfelltasche dann endlich ausführen konnte, war es bereits Frühling. Ich quetschte sie so fest es ging unter den Arm, damit der Kontrast zwischen Seidenkleid und Fellbesatz nicht so auffiel. Wenigstens lag ich damit voll im Trend.

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