Arbeitsheft Technik

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TECHNIK NUTZEN ODER RISIKO?

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Unterrichtsstunde 1: Der Mensch ein technisches Wesen? Filmanalyse mit dem G.E.I.S.T – Verfahren G

Gefühle

- Welche Gefühle, Gedanken löst das Video bei dir aus? - Spontane Eindrücke

E

Elemente

- Welche Elemente findet ihr im Video?: - Was geschieht im Video? - Welche Dinge, Farben sind zu erkennen? - Welche Rolle spielt die Musik?

IS

Interpretationen wagen Sinn versuchen zu finden

- Wie interpretierst du die Szene? - Was wollte der Filmemacher mit dem Ausschnitt zeigen?

T

Tragweite

- Wo bringt es mich zum Weiterdenken? - Welche (philosophische) Fragestellung beinhaltet das Video

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Stell dir vor du h채ttest dir fest vorgenommen einen Tag lang keine Technik zu benutzen. Wie w체rde dieser Tag aussehen?

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M1: Christian Fuchs: Technik als Organersatz bei Arnold Gehlen

Mangelhaftigkeit des Menschen entstanden. [...] Perfekte Tiere, unperfekte Menschen? Der Erfolg der Technik in der Moderne, so Gehlen, basiert auf der Kooperation der Naturwissenschaften und der Technik und auf der kapitalistischen Produktionsweise. Die Annahme, daß der Mensch ein Mängelwesen ist, erklärt noch nicht, warum es zu technischem Fortschritt kommt. Dazu meint Gehlen, daß der Mensch die "gottgegebene" Vollkommenheit der Verhaltenssicherheit der Tiere bewundere und daß er permanent versuche, sich dieser Sicherheit anzunähern. Die permanente Weiterentwicklung des technischen Organersatzes stelle das Streben des Menschen nach der von Gehlen angenommenen Perfektheit der Tiere dar. Der Mensch zeichne sich im Vergleich zu den Tieren durch Unangepaßtheit, Unspezialisiertheit der Organe und einen Mangel an Instinkten aus. Das Bedürfnis nach Annäherung an die Tierwelt sei auch der Grund für die magische Naturbeschwörung. Die Entwicklung von Magie und Technik hätten also dieselben Ursachen. Der Mensch sei fasziniert von der äußeren Natur und erkenne sich darin wieder. Das Innere des Menschen finde Resonanz in der äußeren Welt. Daher habe der Mensch eine tiefe psychische Bindung an die Technik. Die Entwicklung von Technik sei quasi ein Urtrieb des Menschen, die Sehnsucht nach Vollkommenheit, um sich an die Tiere anzunähern. Die Technik selbst rufe wiederum neue Bedürfnisse des Menschen hervor.

Der Anthropologe Arnold Gehlen geht davon aus, daß der Mensch von Natur aus unperfekt ist, ein sogenanntes "Mängelwesen", "sinnesarm, waffenlos, nackt, in seinem gesamten Habitus1 embryonisch, in seinen Instinkten verunsichert" (Gehlen, 1958, S. 8). Da der Mensch mit seinen Organen die Natur nicht bewältigen könne, benötige er die Technik, da er ansonsten nicht überleben könne. Der Mensch sei kein natürlich lebensfähiges Wesen. Die Notwendigkeit der Technik ergebe sich also aus den Organmängeln des Menschen. Technik sei Organersatz, sie ersetze dem Menschen organisch versagte Leistungen. Ein weiteres Prinzip sei das der Organverstärkung: Technik verstärke jene Organleistungen, die beim Menschen zwar ausgebildet seien, aber in einem zu schwachen Ausmaß (Muskelkraft etc.). Hinzu kommen noch die Aspekte der Organentlastung und der Organausschaltung, die, so Gehlen, dafür sorgen, daß der Mensch die Natur für sich arbeiten lasse. Entlastung müsse sich der Mensch durch Veränderung der Natur verschaffen. Dadurch entstehe die Kultur2, die eine "zweite Natur" sei. In der Kultur finde der Mensch Lebenshilfen wie die Technik und die Institutionen. Technik wird also bei Gehlen verstanden als Organverstärkung, Organentlastung und Organausschaltung, mit Hilfe derer "der Mensch sich die Natur dienstbar macht, ausnützt und gegeneinander ausspielt" (Gehlen, 1958, S. 7). Die Technik gehöre zum Wesen des Menschen und sei auf Grund der

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Ausdruck Benehmen eines Menschen, seine Gewohnheiten. 2 Hier: Alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur.

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klingt nicht nur wie ein Märchen, es ist direkt die Erfüllung aller - nein, der meisten - Märchenwünsche, was der Mensch durch seine Wissenschaft und Technik auf dieser Erde hergestellt hat, in der er zuerst als ein schwaches Tierwesen auftrat und in die jedes Individuum seiner Art wiederum als hilfloser Säugling [...] eintreten muss. All diesen Besitz darf er als Kulturerwerb ansprechen. Er hatte sich seit langen Zeiten eine Idealvorstellung von Allmacht und Allwissenheit gebildet, die er in seinen Göttern verkörperte. Ihnen schrieb er alles zu, was seinen Wünschen unerreichbar schien - oder ihm verboten war. Man darf also sagen, diese Götter waren Kulturideale. Nun hat er sich der Erreichung dieses Ideals sehr angenähert, ist beinahe selbst ein Gott

M2: Der Prothesengott Wir erkennen alle Tätigkeiten und Werte, die dem Menschen nützen als kulturell 3 an, in dem sie ihm die Erde dienstbar machen, ihn gegen die Gewalt der Naturkräfte schützen u. dgl. Über diese Seite des Kulturellen besteht ja am wenigsten Zweifel. Um weit genug zurückziehen, die ersten kulturellen Taten waren der Gebrauch von Werkzeugen, die Zähmung des Feuers, der Bau von Wohnstätten. Unter ihnen ragt die Zähmung des Feuers als eine ganz außerordentliche, vorbildlose Leistung hervor, mit den anderen schlug der Mensch Wege ein, die er seither immer weiter verfolgt hat, zu denen die Anregung leicht zu erraten ist. Mit all seinen Werkzeugen vervollkommnet der Mensch seine Organe [...] oder räumt die Schranken für ihre Leistung weg. Die Motoren stellen ihm riesige Kräfte zur Verfügung, die er wie seine Muskeln in beliebige Richtungen schicken kann; das Schiff und das Flugzeug machen, dass weder Wasser noch Luft seine Fortbewegung hindern können. Mit der Brille korrigiert er die Mängel der Linse in seinem Auge, mit dem Fernrohr schaut er in entfernte Weiten, mit dem Mikroskop überwindet er die Grenzen der Sichtbarkeit, die durch den Bau seiner Netzhaut abgesteckt werden. In der fotografischen Kamera hat er ein Instrument geschaffen, das die flüchtigen Seheindrücke festhält, was ihm die Grammophonplatte für die ebenso vergänglichen Schalleindrücke leisten muss, beides im Grunde Materialisationen des ihm gegebenen Vermögens der Erinnerung, seines Gedächtnisses. Mit Hilfe des Telefons hört er aus Entfernungen, die selbst das Märchen als unerreichbar respektieren würde; die Schrift ist ursprünglich die Sprache des Abwesenden, das Wohnhaus ein Ersatz für den Mutterleib, die erste, wahrscheinlich noch immer ersehnte Behausung, in der man sicher war und sich so wohlfühlte. Es

geworden. Freilich nur so, wie man nach allgemein menschlichem Urteil Ideale zu erreichen pflegt. Nicht vollkommen, in einigen Stücken gar nicht, in anderen nur so halbwegs. Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen. [...] Ferne Zeiten werden neue, wahrscheinlich unvorstellbar große Fortschritte auf diesem Gebiete der Kultur mit sich bringen, die Gottähnlichkeit noch weiter steigern. Im Interesse unserer Untersuchung wollen wir aber auch nicht daran vergessen, dass der heutige Mensch sich in seiner Gottähnlichkeit nicht glücklich fühlt. Sigmund Freud, 1930

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Hier: alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur.

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TEXTANALYSE NACH DEM “PLATO” – VERFAHREN P

Problemstellung

- Welche Fragestellung verfolgt der Text? - Was möchte der Autor des Textes beweisen?

M1:

M2:

L:

Lösungsvorschläge

- Welche Lösungsvorschläge gibt der Autor? - Welche These stellt der Autor auf, um sein Fragestellung zu lösen?

M1

M2

A:

Argumentation

- Mit welchen Argumenten begründet der Autor seine These?

Tragfähigkeit der Argumente

-Ist die Argumentation des Autors tragfähig?

M1

M2

T

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- Womit bis du einverstanden/ nicht einverstanden? Begründe! M1

M2

O

Orientierung

- Wie schätzt du die Argumentation der Autors ein? Bringen sie dich zum Weiterdenken?

M1

M2

Arbeitsauftrag: 1) Informiert euch in den Medien über die Berichterstattung über „Steve Jobs“! Wie wird er dargestellt? Welche Parallelen seht ihr zu Freuds Darstellung vom Prothesengott?

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2) Informiert euch 체ber die Geschichte des Sportlers Oscar Pistorius! -

Welche Diskussion gab es 체ber seine Person?

-

Inwiefern sind wir alle M채ngelwesen und wie Oscar Pistorius auf Prothesen angewiesen?

Unterrichtsstunde 2: Technik und Verantwortung: Wer kontrolliert hier wen? I)

Wiederholung:

1 ) Notiere in maximal 2 S채tze was du in der letzten Stunde gelernt hast!

2) Formuliere die These von Sigmund Freud in einem Satz: 36


3) Formuliere die These von Arnold Gehlen in einem Satz:

II)

Karikatur

täglich, wo du die Nebenfolgen nicht gutheißt?

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1- Welche technischen Geräte benutzt du


Technik prägt das Leben Das Bild der Technik als bloßes Mittel wird jedoch erst recht fraglich, wenn der Systemcharakter der modernen Technik bedacht wird. Die technischen Systeme (der Energiebereitstellung, der Datenkommunikation, der Müllentsorgung, der Fertigung, des Verkehrs etc.) sind nicht mehr bloß maschinelle Handlungsschemata, sondern machen grundlegende Bedingungen unserer Lebenswelt aus, innerhalb derer dann Werkzeugeinsatz oder Maschinennutzung stattfinden. Der »Sachzwangcharakter« (Helmut Schelsky) dieser Technik wird z. B. daran deutlich, dass Gegner dieser Systemtechniken deren Leistungen dennoch in Anspruch nehmen müssen. Christoph Hubig, 1995

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Hausaufgabe: Welche technischen Entwicklungen findest du bedenklich? Suche einen Zeitungsartikel zu einer technischen Entwicklung die du moralisch bedenklich findest.

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Freiwillige Zusatzaufgabe. Der Physiker Werner Heisenberg" (1901-1976) erzählte in einem Vortrag, der sich mit dieser Frage beschäftigte, folgende Geschichte; Als Dsi Gung durch die Gegend nördlich des Han-Flusses kam, sah er einen alten Mann, der in seinem Gemüsegarten beschäftigt war. Er hatte Gräben gezogen zur Bewässerung. Er stieg selbst in den Brunnen hinunter und brachte in seinen Armen ein Gefäß voll Wasser herauf, das er ausgoss. Er mühte sich aufs Äußerste ab und brachte doch wenig zustande. Dsi Gung sprach: "Da gibt es eine Einrichtung, mit der man an einem Tag hundert Gräben bewässern kann. Mit wenig Mühe wird viel erreicht. Möchtet ihr die nicht anwenden?" Der Gärtner richtete sich auf, sah ihn an und sprach: "Und was wäre das?" Dsi Gung sprach: "Man nimmt einen hölzernen Hebelarm, der hinten beschwert und vorne leicht ist. Auf diese Weise kann man das Wasser schöpfen, dass es nur so sprudelt. Man nennt das Ziehbrunnen." Da stieg dem Alten der Ärger ins Gesicht und er sagte lachend: "lch habe meinen Lehrer sagen hören: ,Wenn einer Maschinen benutzt, so betreibt er alle seine Geschäfte maschinenmäßig; wer seine Geschäfte maschinenmäßig betreibt, der bekommt ein Maschinenherz. Wenn aber einer ein Maschinenherz in der Brust hat, dem geht die reine Einfalt verloren. Bei wem die reine Einfalt hin ist, der wird ungewiss in den Regungen des Geistes. Ungewissheit in den Regungen des Geistes ist etwas, das sich mit dem wahren Sinn nicht verträgt. Nicht, dass ich solche Dinge nicht kenne, ich schäme mich sie anzuwenden." 1) Formuliert mit euren eigenen Worten: Was will die Geschichte verdeutlichen?

2) Was meint der Alte, wenn er sagt "Ungewissheit in den Regungen des Geistes ist etwas, das sich mit dem wahren Sinn nicht verträgt"?

3) Kannst du der Ansicht des Alten zustimmen? Begründe deine Meinung

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Unterrichtsstunde 3: Wohin führt uns die Technik? I) Gedankenexperiment Stell dir vor du wärst in eine Kühlkammer gefallen, die dich für rund 40 Jahre schockgefroren hätte. Du wachst im Jahre 2050 wieder auf und musst dich jetzt an diese neue Zeit gewöhnen. Nach ein paar Wochen gehst du wieder normal zur Schule, allerdings hat sich in Zwischenweit einiges verändert. Beschreibe deinen Alltag in einem kurzen Tagebucheintrag:

II)

Welche Wünsche oder Ängste lassen sich bei den Visionen identifizieren?

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III)

Filmauschnitt Surrogates - Mein zweites Ich (2009) In naher Zukunft ist eine friedliche Welt entstanden, die kaum noch Verbrechen kennt. Der Grund liegt in den Surrogates - nach individuellem Wunsch geformte Roboter mit menschlichem Antlitz -, die der Arbeit und Freizeit nachgehen, während der reale Mensch zu Hause in Sicherheit ist, aber alles nachempfinden kann, was "sein zweites Ich" erlebt. Mit allen vorstellbaren Vorteilen - ewige Jugend und Schönheit, Unverletztlichkeit und dem freien Ausleben von Bedürfnissen.

Auslöser für diese menschliche Revolution war Dr.Canter (James Cromwell), der damit seine eigene Behinderung überwinden wollte, die ihn an den Rollstuhl fesselte. Doch er wurde schon vor Jahren aus seiner eigenen Firma geschmissen und lebt seither in Abgeschiedenheit. Bis plötzlich ein Anschlag auf ein junges Paar ausgeübt wird, dass sich auf der Straße küsste. Dabei wurden nicht nur die Surrogates zerstört, sondern auch die realen Menschen, die zu Hause am Netz angeschlossen waren. Tom Greer (Bruce Willis) vom FBI übernimmt den Fall, der ihn direkt zu dem geheimnisvollen Dr.Canter führt...

Trailer Surrogates: http://www.youtube.com/watch?v=J6yBk_r9Bgo Aufgabe : Gruppe 1: Welcher potentielle Nutzen erwächst der Menschheit, aus den im Film gezeigten technischen Errungenschaften?  Nennt weitere Beispiele für den Nutzen der Technik für den Menschen. Gruppe 2: Welcher potentielle Schaden erwächst der Menschheit, aus den im Film gezeigten technischen Errungenschaften?  Nennt weitere Beispiele für die Schädlichkeit von Technik für den Menschen. Potentieller Nutzen

Potentieller Schaden

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Mit Gedanken einen Roboter steuern Japanische Wissenschaftler haben eine Gehirn-Maschinen-Schnittstelle entwickelt Bislang konnte man mit der Abnahme von Gehirnwellen einen Cursor auf dem Bildschirm steuern. Honda ist nun einen Schritt weiter gekommen und hat eine Gehirn-Maschinen-Schnittstelle (BMI) entwickelt, um mit Gedanken einen Roboter im Raum zu steuern. Zusammen mit dem Advanced Telecommunications Research Institute International (ATR) and Shimadzu Corporation hat Honda einen Helm gebaut, dessen Sensoren wie ein EEG, aber berührungslos die elektrischen Signale abnehmen. Zudem wird über NahInfrarotspektroskopie (NIRS) optisch Veränderung der Blutzirkulation im Gehirn gemessen. Der Träger des Helms muss sich nur vorstellen, die Arme oder Beine zu bewegen, um diese motorischen Impulse, die von beiden Sensortypen aufgenommen und durch ein neu entwickeltes Programm verarbeitet werden, auf den Roboter zu übertragen, der nach einigen Sekunden entsprechend reagiert. Vorgeführt haben die japanischen Wissenschaftler ihr System mit einem Humanoiden des Typs Asimo. Angeblich kann mit der neuen Methode, gleichzeitig die elektrische Aktivität und den Blutfluss auszuwerten, eine Genauigkeit bei der Erkennung der motorischen neuronalen Impulse von 90 Prozent erzielt werden. Allerdings kann der Benutzer des Helms den Roboter noch nicht frei steuern, sondern nur vier vorprogrammierte Bewegungsprogramme starten, allerdings auch Bein- und Armbewegungen gleichzeitig (Video). Der Roboter wird durch eine solche Gehirnsteuerung zu einem erweiterten Körper, zumindest zu einem neuen Körperteil, der Mensch zu einem Cyborg. Denkbar wären, wenn die Technik schrumpft und mobil wird, viele Anwendungen, gerade weil keine Elektroden mehr auf die Haut angebracht oder gar implantiert werden müssen. Prothesen, Rollstühle, Fahrzeuge, alle Maschinen und Geräte ließen sich so steuern oder bedienen, ohne noch die Hände gebrauchen zu müssen – natürlich auch Avatare. Und wenn man noch durch die "Augen" eines Humanoiden sehen und mit dessen "Augen" hören würde, dann würde auch die Telepräsenz über einen entfernten Körper noch ein Stuck näher rücken, als dies bislang der Fall ist, wenn beispielsweise Drohnen im Telekrieg an Bildschirmen und mit Joysticks geflogen werden. Von Florian Rötzer 01.04.2009 in: http://www.heise.de/tp/artikel/30/30053/1.html

IV) „Für oder gegen den technischen Fortschritt?“ Aufgabe: Du bist Mitglied einer Ethikkommission, die über die Einführung der „Brainmachine“ entscheiden muss. Wie würdest du dich entscheiden und wie würdest du diese Entscheidung rechtfertigen?

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Unterrichtsstunde 4: Technik und Zukunft - Fortschritt um jeden Preis?

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1) Beschreiben Sie und interpretieren Sie das Bild. Was bedeutet der Titel "Homo sapiens ... !?" ?

2) Chancen und Risiken moderner Technologien

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"Neue Techniken" hat es in der Geschichte der Menschheit immer wieder gegeben. Ihre Auswirkungen waren stets ambivalent (doppelwertig), das heißt, sie hatten auf einzelne Bevölkerungsgruppen negative Wirkungen, während andere Bevölkerungsgruppen wiederum von diesen "Neuen Techniken" profitierten. Die neuen Technologien - Atomtechnik, Informations- und Kommunikationstechnologie und Bio-/ Gentechnik - unterscheiden sich jedoch qualitativ erheblich von diesen älteren Techniken. Sie beeinflussen nahezu alle Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens. Sie sind Chance, Risiko und Herausforderung zugleich. Aus: Richtung Leben, S.176 3) Überblick: Fortschritt und moderne Technik "Technik" ist ein weiter Begriff und beeinflusst alle menschlichen Lebensbereiche. Einige besondere Formen sind hier kurz dargestellt. Als Biotechnologie wird die Umsetzung von Erkenntnissen aus der Biologie und der Biochemie in technische und technisch nutzbare Elemente verstanden. Die Kurzform .Biotech" wird meist auf kommerzielle Betriebe angewandt, die in diesem Bereich forschen und produzieren. Die Biotechnologie nutzt Erkenntnisse aus Biochemie, Mikrobiologie und Verfahrenstechnik für die Produktion bestimmter Stoffe. Organismen werden analysiert und mitunter so modifi¬ziert, dass sie industriellen Anforderungen gerecht werden. Die Nanotechnik ist eine Teildisziplin der Verfahrenstechnik. Sie vereint Elemente der Physik, der Chemie, der Biologie und der Verfahrenstechnik und beschäftigt sich mit Stoffen und Systemen, deren Größe unter Umständen nur aus wenigen Molekülen bestehen. 46


Für die Verfahrenstechnik ist die Nanopartikeltechnik von besonderer Bedeutung. Aufgrund der kleinen geometrischen Ausdehnung von Nanopartikeln besitzen sie spezielle optische und elektronische Eigenschaften, welche besondere Messverfahren erforderlich machen, jedoch auch zu neuen Anwendungen führen können. Medizintechnik ist die Anwendung ingenieurwissenschaftlicher Prinzipien und Regeln auf dem Gebiet der Medizin. Sie kombiniert Kenntnisse aus technischen Abläufen mit der medizinischen Sachkenntnis der Ärzte, der Pflegefachleute und verwandter Berufe, um die Therapie, Krankenpflege, Rehabilitation und Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Medizintechnik erfordert einen hohen Aufwand an Forschung und Entwicklung in folgenden Bereichen: medizinische Informatik, Signalverarbeitung physiologischer Signale, Biomechanik, Biotechnologie, Systemanalyse, Erstellung von 3-D-Modellen etc. Beispiele konkreter Anwendungen sind die Herstellung biokompatibler Prothesen, medizinischer Therapie- und Diagnosegeräte (z. B. EKG-Schreiber und Ultraschallgeräte, Geräte für bildgebende Diagnostik (z. B. Magnetresonanztomografie und Elektroenzephalografie) und die Entwicklung neuer Medikamente. Kennzeichnend für diese technische Disziplin ist ein hoher Forschungs- und Entwicklungsaufwand, intensive staatliche Reglementierung und eine enge Verzahnung von Produkten und Dienstleistungen. Als Gentechnik bezeichnet man jene Methoden und Verfahren der Biotechnologie, die auf den Kenntnissen der Molekularbiologie und Genetik aufbauen und gezielte Eingriffe in das Erbgut und/oder in die biochemischen Steuerungsvorgänge von Lebewesen ermöglichen, und als deren Produkt gentechnisch veränderte Organismen (GVO) entstehen. Insbesondere erforscht Gentechnik die Methoden zur Isolierung von Genen und zur Herstel¬lung neukombinierter DNS, vor allem auch über Artgrenzen hinweg. Dies ist möglich, weil fast alle Lebewesen denselben genetischen Code benutzen. Aus: Otto Mayr, Ethik 10, S.32.

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4) Charakteristika des menschlichen Fortschritts 1. Bsp.:Globalität Risiken früherer Zeiten konnten personifiziert werden. Die

modernen Risiken stellen globale Gefährdungslagen dar, die das Überleben des Planeten Erde generell in Frage stellen (Ozonloch, Klimakatastrophe, Kernspaltung, nuklearer Winter). 2.

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5) Ambivalenz der Technik: „Wissen ist Macht", „Wissen ist Macht", dieser Wahlspruch ist technisch und moralisch zugleich zu lesen. Die wissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen sollen die Menschheit von ihren ewigen Problemen befreien, von der materiellen Not: von Hunger, Armut, Krankheit, mithilfe der Naturwissenschaften, von gesellschaftlicher und politischer Not: von Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung. [ ... ] Darüber hinaus soll die Technik nicht nur der [...] Freiheit von ... dienen, sondern auch zur positiven Freiheit verhelfen, zur Freiheit des Menschen zum eigenen Entwurf, zur Gestaltung der Zukunft. Ohne Zweifel hat die wissenschaftlich-technische Zivilisation einige Wunschträume [...] erfüllt und andere erfüllbar gemacht. Man denke nur an die Bekämpfung des Hungers durch die Steigerung der Ernteerträge mittels Kunstdüngers und der chemischen Schädlingsbekämpfung, man denke an die Erfolge im Kampf gegen Seuchen, Infektionskrankheiten, gegen Mütter- und Säuglingssterblichkeit, an den früher unvorstellbaren Lebensstandard, an die Zunahme der arbeitsfreien Zeit und an die Einführung technischer Hilfsmittel zum Ausgleich organischer Mängel. Chance und Bedrohung? Otfried Höffe (* 1943)

Alptraum Technik […]die wissenschaftlich-technische Zivilisation hat nicht nur Wunschträume erfüllt, sondern auch neue Albträume geschaffen. Die bakteriologische und die wissenschaftliche Medizin haben dazu beigetragen, das seit Jahrtausenden weitgehend stabile Gleichgewicht zwischen menschlichem Leben und Tod in wenigen Generationen zu zerstören und eine Bevölkerungsexplosion in Gang zu bringen, die im Weitmaßstab betrachtet 50 ein menschenwürdiges Leben ernsthaft gefährdet. Dazu kommt die vielfältige Krise der Umwelt, die elementare Grundstoffe wie reines Wasser, saubere Luft oder chemisch unbehandelte Nahrungsmittel zu einer Rarität werden lässt, von ruhigen Wohn- und Arbeitsplätzen ganz zu schweigen. Nicht zuletzt haben wir - dank physikalischer, chemischer und biologischer Techniker - zum ersten Mal in der Geschichte die Mittel, um unsere Feinde auszurotten - und uns selbst dazu. Kurz: Ein erheblicher Teil der mittels Technik neu gewonnenen Freiheit wird uns von eben dieser Technik wieder genommen. Chance und Bedrohung? Otfried Höffe (* 1943) Aufgabe: 1) Welche der Aussagen zum technischen Fortschritt findest du am plausibelsten? Begründe, warum!

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2) Bei den beiden TextauszĂźgen handelt es sich um die Pro/Kontra Argumentation eines einzigen Textes! Wie kĂśnnte deiner Meinung nach, das Fazit von Otfried HĂśffe lauten? (Beziehe dabei auch deine eigenen Argumente mit ein)

Fukushima

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6) Fortschritt um jeden Preis? - eine Zusammenfassung Der Mensch hat im Laufe der Menschheitsgeschichte seine Umwelt verändert, um seine __________________________ erfüllen zu können. Neuerungen und deren Umsetzung waren und sind wichtige Motoren der menschlichen _____________________________________ Ohne innovative Menschen hätten wir heute keine ______________________________________ Die Frage ist natürlich, ob der Mensch - zumindest in Teilen - mit Forschung und Entwicklung übertrieben hat und ob wir den Fortschritt noch beherrschen können. Der moderne Mensch sollte sich stets kritisch hinterfragen: ___________________________________________________________________________ ______ Das wiederum führt zu der Frage: Welche ethischen Maßstäbe sollen für die Bewertung von Fortschritt gelten? Folgende Maßstäbe wären denkbar: • • • • • • •

Verantwortung für die nachfolgenden Generationen

Zur Frage 4 : Merkmale der Risikogesellschaft 1. Allbetroffenheit- Die bisherigen Risiken der Gesellschaft (Krieg, Not, Armut, Leid, Gewalt usw.) betrafen immer nur einen bestimmten Teil der Gesellschaft. Es gab immer Betroffene und Nichtbetroffene. Dies alles gibt es weiter und gibt es seit Tschernobyl nicht mehr. 2. Globalität: Risiken früherer Zeiten konnten personifiziert werden. Die modernen Risiken stellen globale Gefährdungslagen dar, die das Überleben des Planeten Erde generell in Frage stellen (Ozonloch, Klimakatastrophe, Kernspaltung, nuklearer Winter). 3. Totalität. Die technischen und biologischen, demnächst voraussichtlich auch die genetischen Vernichtungspotentiale sind inzwischen so groß, dass die totale Selbstvernichtung allen Lebens möglich geworden ist. Damit ist das Überleben der Gattung Mensch prinzipiell in Frage gestellt. 51


4. Unsichtbarkeit. Viele der heutigen Zivilisationsrisiken entziehen sich der Wahrnehmung (Gift in Nahrungsmitteln, Radioaktivität, bestimmte Formen der Luftund Wasserverschmutzung usw.). 5. Übernationalität: Industrielle Risiken unterlaufen das nationalstaatliche Kompetenzgefüge, Das Leben des Grashalms im Bayerischen Wald ist letztlich vom Schließen und Einhalten internationaler Abkommen abhängig. 6. Unberechenbarkeit: Die technischen Katastrophen der jüngsten Vergangenheit ( Bhopal, Challenger, Tschernobyl) haben deutlich gemacht, dass viele Risiken weder technisch, ökonomisch noch politisch beherrschbar sind. 7. Akzeptanz: Hinter allen Versachlichungen tritt früher oder später die Frage nach der Akzeptanz hervor und damit die alle neue Frage, wie wollen wir leben? Was ist das Menschliche am Menschen, das Natürliche an der Natur, das es zu bewahren gilt? 8. Wissensabhängigkeit: Ins Zentrum rücken mehr und mehr Gefährdungen, die für die Betroffenen oft weder sichtbar noch spürbar sind, Gefährdungen, die unter Umständen gar nicht mehr in der Lebensspanne der Betroffenen selbst wirksam werden, sondern bei ihren Nachkommen, in jedem Fall Gefährdungen, die der "Wahrnehmungsorgane" der Wissenschaft bedürfen - Theorien, Experimente, Messinstrumente -, um überhaupt als Gefährdungen ,sichtbar' interpretierbar zu werden, Nach Ulrich Beck: Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Moderne. Vereinfacht nach Peter Weil-brenner. In: Grundfragen. der Ökonomie. Hg. u. d Bundeszentrale für pol, Bildung Bonn 1989, S. 38

Unterrichtsstunde 5: Chance oder unberechenbares Risiko? 1. Gentechnisch veränderte Tiere Grüne Welle: Ein Biologe der Universität Osaka hat bereits im Jahr 1997 eine gentechnisch veränderte Maus vorgestellt, die im Dunklen grün leuchtet. Mit der Maus ist es Professor Masaru Okabe und seinem Team gelungen, weltweit erstmals ein

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Säugetier zum Leuchten zu bringen. Die Forscher injizierten dabei die DNA von leuchtenden Quallen in Mäuse-Eizellen.

Das Nagetier ist weithin als die Vacanti Maus bekannt, eine Labor-Maus, der ein menschlicher ohrförmiger Knorpel auf dem Rücken gewachsen war. Innerhalb von sechs Woche hatte der Wissenschaftler Cao Yilin erfolgreich acht Mäuse mit menschlichen Ohren auf dem Rücken gezüchtet, und der gesamte Prozess wurde gefilmt.

Biotechnologie im 21. Jahrhundert Das 21. Jahrhundert wird nach Meinung zahlreicher Experten durch die Biotechnologie geprägt sein: Technologie hat es nicht mit dem Anorganischen zu tun - das Leben selbst und seine Bestandteile werden Gegenstand technologischer Herstellung. Durch die Entwicklung gentechnologischer Verfahren wird es möglich sein, Pflanzen und Tiere mit beliebigen Eigenschaften für alle möglichen Zwecke zu konstruieren, und infolge der Funktionsaufklärung der Gene wird es gelingen zahlreiche neue Therapien und Medikamente zu entwickeln. Der neue Trend zeichnet. sich auch an den Börsen ab, als die BiotechnologieAktien mit einem Wertzuwachs von 700% erstmals den Intemet-Sektor übelflügelten. Aus: Kurshefte Ethik/Philosophie - Westliche Bundesländer: Technikphilosophie und Wirtschaftsethik: Schülerbuch von Dr. Barbara Brüning, Dr. Bernd Rolf, Dr. Brigitte Wiesen und Dr. Herbert Wiesen von Cornelsen Verlag (November 2001 )

Was ist Gentechnik? In der Gentechnik werden Gene isoliert, gelesen, kopiert, verändert, neu kombiniert und von einem Lebewesen auf ein anderes übertragen. Die Gentechnik wird in der Forschung, in der Medizin und für die Herstellung von gentechnisch veränderten Pflanzen gebraucht. Zur Erinnerung: Alle Lebewesen besitzen ein Buch (DNS) in ihren Zellen, das mit den Buchstaben A, C, G und T geschrieben ist. Ein Gen entspricht einem Satz in diesem Buch. Mit Gentechnik ist es möglich, gezielt Veränderungen in diesem Buch vorzunehmen, z.B. einen Satz einzufügen. Der ursprünglichen DNS wird ein zusätzliches Gen eingesetzt. Eine solche Gen-Übertragung funktioniert auch zwischen Lebewesen, die nicht miteinander verwandt sind. So ist es z.B. möglich, ein Gen eines Bakteriums in die DNS einer Pflanze einzufügen. 53


Wie mit jeder neuen Technik sind auch mit der Gentechnik übertriebene Hoffnungen und Ängste gleichzeitig verbunden. Die Vorstellung, mittels Gentechnik könne man alle Krankheiten und den Hunger aus der Welt schaffen, ist genau so falsch wie die Vorstellung, Gentechniker würden in ihren Labors Monster schaffen. Von: http://gene-abc.ch/de/gentechnik.html

Rolle 1: Chef/Chefin einer großen Saatgutfirma Als Chef oder Chefin einer großen Saatgutfirma bist Du zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Dein Ziel ist es, die Leute davon zu überzeugen, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Entwicklungsländern eine gute Sache ist. Folgende Argumente sind Dir wichtig: Argument 1: Wir sind eine Saatgutfirma. Unsere Aufgabe ist es, ertragreiche Pflanzen

herzustellen. Es ist unsere Verantwortung, die Bauern mit gutem Saatgut zu versorgen. Dazu ist die Gentechnologie hilfreich. 54


Argument 2: Unser gentechnisch verändertes Saatgut ist hervorragend untersucht. Dies gibt dem Bauern Sicherheit. Gut abgesichert ist der Landwirt auch, da wir dank Gentechnik Pflanzen entwickeln, die auf salzigen oder extrem trockenen Böden wachsen können. Thema Hunger: Es ist richtig, dass die Strukturen auf dem Weltmarkt ungerecht sind. Die Ungerechtigkeiten sind historisch gewachsen und es ist Aufgabe der Politik, diese zu verändern. Mit gentechnisch veränderten Pflanzen, die auf versalzten Böden wachsen oder mehr Vitamine enthalten wie der goldene Reis, leisten wir aber auch einen Beitrag an die Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung. Thema Abhängigkeiten: Es ist kein Bauer gezwungen, unser gentechnisch verändertes Saatgut zu kaufen. Der Landwirt kann sich auch für herkömmliche Sorten entscheiden. Auf der anderen Seite sind unsere 25‘000 Angestellten und ihre Familien angewiesen auf ihren Job. Das heißt, ich trage als Chef die Verantwortung dass das Geschäft gut läuft und wir die Leute weiterhin beschäftigen können. Thema Patente: Da die Entwicklung neuer Sorten und alle Sicherheitsprüfungen aufwändig und teuer sind, müssen wir Lizenzgebühren verlangen. Nur wenn wir durch Patentierungen die nötige finanzielle Sicherheit haben können wir auch in die Entwicklung von neuen, ertragsfähigen Kulturpflanzen investieren Die Kosten für das teurere Saatgut kann der Bauer wieder abdecken mit einem höheren Ertrag. Thema Nachhaltigkeit: Gentechnisch veränderte Pflanzen verhelfen zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Sie sind wirtschaftlich und dank weniger Spritzmitteln auch ökologischer. Da dies auch der menschlichen Gesundheit guttut, sind sie auch sozialverträglicher. Überlegt, wie man diese Argumente besonders überzeugend vertreten kann. (Vielleicht erfindet ihr eine kleine Geschichte oder ein Fall-Beispiel.)

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Rolle 2: Großbauer/Großbäuerin im Schwellenland Du bist Großbauer oder Großbäuerin in einem Schwellenland. Du lebst also in einem Land, das die größte Armut hinter sich gelassen hat und kein typisches Entwicklungsland mehr ist. Nun bist Du zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Dein Ziel ist es, die Leute von Deiner Sichtweise zu überzeugen. Du bist der Meinung, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen sinnvoll ist und Vorteile bringt. Folgende Argumente sind Dir wichtig: Argument 1: Früher war die Landwirtschaft hierzulande überhaupt nicht produktiv. Die Ackerflächen wurden schlecht bewirtschaftet und die Ernten waren klein oder fielen ganz aus. Dank Investitionen führe ich heute einen riesigen Landwirtschaftsbetrieb, der hohe Ernten ermöglicht. Dazu bin ich natürlich auf Saatgut in hervorragender Qualität angewiesen. Die großen Saatgut-Zuchtbetriebe bieten mir das an. Dass sie in der Erforschung neuer Sorten und teilweise auch bei der Herstellung gentechnische Methoden anwenden, entspricht dem heutigen Stand der Forschung. Ich sehe darin nichts Unethisches. Argument 2: Ich bin mit dem Anbau von transgenen Pflanzen zufrieden. Sie führen zu einem guten Ertrag und müssen in guten Jahren weniger gespritzt werden, wodurch ich Arbeit und Kosten spare. Thema Hunger: Die Leute sollen froh sein, dass ich so viel und so billig produziere, das sichert die Weltmarktproduktion. Früher wurde auf der gleichen Ackerfläche fast nichts produziert! Natürlich kann es sein, dass der Ertrag mit der Zeit zurückgeht oder die Schädlinge resistent werden, aber das ist auch bei herkömmlichen Kulturpflanzen der Fall, auch hier können die Schädlinge gegen das Spritzmittel resistent werden. Thema Abhängigkeit: Die finanziellen Ausgaben für den jährlichen Kauf von Saatgut werden durch den guten Ertrag wettgemacht. Außerdem habe ich eine große Flexibilität bei der Wahl der Fruchtfolge und muss nicht jedes Jahr das gleiche anbauen wie im Vorjahr. Thema Patente: Meine Vorfahren mussten selber verbesserte Pflanzensorten züchten. Ich bin froh, machen dies heute die Spezialisten, die dank Gentechnik gute Resultate erzielen. Da ihr Aufwand sehr groß ist, müssen sie Lizenzgebühren verlangen. Wichtig ist ein offener Markt, in dem sich unterschiedliche Firmen zum Vorteil von uns Kunden Konkurrenz machen. Thema Nachhaltigkeit: Wie Sie alle wissen, kann man nur von Nachhaltigkeit reden, wenn etwas auch wirtschaftlich ist. Unter den heutigen Bedingungen sind kleine Bauernbetriebe nicht rentabel. Es kommt daher nur der Anbau im großen Stil in Frage, und dafür sind die gentechnisch veränderten Pflanzen gut geeignet. Überlegt, wie man diese Argumente besonders überzeugend vertreten kann. (Vielleicht erfindet ihr eine kleine Geschichte oder ein Fall-Beispiel.)

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Rolle 3: Leiter/Leiterin eines Hilfswerks, das Armut und Hunger bekämpft Als Leiter oder Leiterin eines Hilfswerks bist Du zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Dein Ziel ist es, die Leute von Deiner Sichtweise zu überzeugen. Du bist gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Entwicklungsländern. Folgende Argumente sind Dir wichtig: Argument 1: Mein Hilfswerk kämpft gegen Armut und Hunger. Gentechnisch veränderte Pflanzen kommen aber nicht den Armen zu Gute. Die Erträge werden oft als Futtermittel in der Fleischproduktion für die reichen Länder verwendet. Der Einsatz der „grünen Gentechnik“ widerspricht daher dem solidarischen Eine-Welt-Gedanke, gemäß dem wir verantwortlich sind, dass alle Menschen genügend Nahrung haben. Argument 2: Um die Situation der Ärmsten zu verändern, brauchen wir Fairness in den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Die gentechnisch veränderten Pflanzen, die sich heute auf dem Markt befinden, verstärken die Globalisierung und Monopolisierung und damit die ungerechten Verhältnisse der Landwirtschaft. Thema Hunger: Der Einsatz der Gentechnik wird den Hunger nicht lösen, da die Menge der produzierten Nahrung bereits heute genügt, um die ganze Menschheit zu ernähren. Es ist nicht nur falsch, sondern verantwortungslos, wenn man mit dem Hunger der Armen für die Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft wirbt. Wer so argumentiert gaukelt den Leuten vor, dass man an der Lösung des Welthungers arbeitet und lenkt von den dringenden politischen Veränderungen ab. Thema Abhängigkeit: Wenn es so weiterläuft wie bisher, wird der Anbau von transgenen Pflanzen die Situation der Armen verschlimmern: Um die teuren Landwirtschaftsprodukte der Agrokonzerne zu kaufen, verschulden sich viele Kleinbauern und werden letztlich noch ärmer. Thema Patente: Gentechnik folgt dem Prinzip der Machbarkeit und betrachtet Lebewesen als veränderbares Material, das patentiert werden kann. Das widerspricht dem Konzept, dass Leben ein Gemeingut ist, das allen gehört. Thema Nachhaltigkeit: Die „grüne Gentechnik“ ist nicht nachhaltig, da sie die Gefahr birgt, die weltweiten ökologischen und sozialen Probleme weiter zu verschärfen anstatt einen ganz anderen Kurs einzuschlagen. Was wir brauchen, ist eine Entwicklung hin zur BioLandwirtschaft, die in jedem Land für den lokalen Markt produziert. Überlegt, wie man diese Argumente besonders überzeugend vertreten kann. (Vielleicht erfindet ihr eine kleine Geschichte oder ein Fall-Beispiel.)

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Rolle 4: Vertreter/Vertreterin der Organisation der Kleinbauern im Entwicklungsland Als Vertreter oder Vertreterin einer Organisation von Kleinbauern bist Du zu einem Podiumsgespräch eingeladen. Dein Ziel ist es, die Leute von Deiner Sichtweise zu überzeugen. Du bist gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, da er für die Kleinbauern viele Probleme mit sich bringt. Folgende Argumente sind Dir wichtig: Argument 1: Die Gentechnik kann Pflanzen so verändern, dass sie ertragreicher und robuster werden. Wenn diese Entwicklung weitergeht und wir konkurrenzfähig bleiben wollen, haben wir keine andere Wahl, als auch gentechnisch verändertes Saatgut zu kaufen. Diese Situation bringt viele von uns in existenzielle Schwierigkeiten, da wir keine finanziellen Reserven haben und uns für den Kauf von Saatgut und den dazu passenden Dünge- und Spritzmitteln verschulden müssen. Argument 2:Wir Kleinbauern behalten seit Jahrtausenden einen Teil unserer Ernte als Saatgut fürs nächste Jahr zurück. Jetzt dürfen wir das mit Gentech-Samen nicht mehr machen. Thema Hunger: Ich weiß, wovon ich rede. Meine Familie und viele meiner Freunde haben alle schon Monate erlebt, wo wir nur eine Mahlzeit am Tag essen konnten. Als Kleinbauer ist es enorm schwierig, mit den Preisen auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Wenn dann eine Ernte durch Dürre oder Krankheiten ausfällt, kommen viele Bauern in existenzielle Schwierigkeiten. Gentechnisch veränderte Sorten ändern an dieser Situation nichts. Thema Abhängigkeit: Auch wir Kleinbauern brauchen ein Einkommen, das zum Überleben reicht. Staatlich unterstützte Produkte aus dem Norden werden bei uns zu Billigst-Preisen verkauft. Dadurch zerstören sie unsere Existenzgrundlage. Selbst wenn wir rund um die Uhr arbeiten würden, können wir nicht so billig produzieren wie die subventionierten Landwirte. Der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut hilft auch nicht weiter. Zudem führt es zu Abhängigkeiten vom Saatguthersteller. Die Zielsetzung der Saatgutmonopole ist einseitig und nicht auf uns Kleinbauern ausgerichtet. Es gibt für uns keine Möglichkeit, mitzubestimmen, was entwickelt werden soll. Wir fordern mehr Transparenz und Fairness von Entscheidungsprozessen. Thema Patente: Unsere Erfahrung zeigt, dass die Saatgutpreise ganz allgemein steigen, wenn gentechnisch veränderte Sorten auf dem Markt sind. Saatgut von patentierten Züchtungen ist besonders teuer. Gleichzeitig wissen wir, dass wir keine höheren Preise für die Ernten verlangen können. Wegen der zunehmenden Firmen-Konzentration und den Patentmonopolen reduziert sich zudem die Angebotsauswahl. Thema Nachhaltigkeit: Der Einsatz der „grünen Gentechnik“ in Entwicklungsländern ist nicht nachhaltig, da er nicht sozialverträglich ist. Unzählige Kleinbauern und ihre Familien verarmen, weil sie nicht so billig produzieren können wie die Großbauern mit dem Anbau von Gentechpflanzen auf riesigen Feldern. Überlegt, wie man diese Argumente besonders überzeugend vertreten kann. (Vielleicht erfindet ihr eine kleine Geschichte oder ein FallBeispiel.)

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Hintergrundinformationen Umfrage: 1. Nein. Bevor gentechnisch veränderte Nahrungsmittel auf den Markt kommen, wird ihre Verträglichkeit untersucht. Die Auswertung der wissenschaftlichen Studien zur Prüfung, ob es für die menschliche Gesundheit ein Sicherheitsrisiko gibt, haben keine Hinweise auf ein neues Risiko ergeben. Inzwischen hat man in Ländern wie den USA langjährige Erfahrungen mit dem Verzehr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. 2 . Ja, das ist wahrscheinlich. Rund 90% der in den USA angebauten Soja sind gentechnisch veränderte Pflanzen. 3. Ja. Denn wahrscheinlich tragen nicht alle Personen im Raum „Bio-Textilien“ aus Gentechnik freier Produktion. Die Hälfte der Weltproduktion an Baumwolle erfolgt aus transgenen Pflanzen. Daraus hergestellte Kleider sind nicht speziell gekennzeichnet. 4. Die Frage, ob gentechnisch veränderte Pflanzen Nicht-Zielorganismen schädigen, wird wissenschaftlich sehr genau untersucht. In der Schweiz gab es im Rahmen eines nationalen Forschungsprogramms (NFP59, Link auf das NFP59) mehrere Studien über Auswirkungen von transgenem Weizen auf Insekten. Eine Arbeit bezog sich auf Blattläuse, die allgemein sehr empfindlich reagieren auf die Qualität ihrer Futterpflanzen. Die Blattläuse wurden über mehrere Generationen hinweg entweder mit vier verschiedenen Sorten transgenem Weizen gefüttert, oder mit herkömmlichen Weizensorten. Alle erhobenen Daten wie Gewicht der Läuse, Fruchtbarkeit und Überleben der Jungtiere zeigten keinen Unterschied in der Fitness der Tiere. Als Antwort ist „eher nein“ angemessen, da die durchgeführten Studien keine durch die Gentechnik bedingten Schäden an den Insekten zeigen, jedoch nicht für alle Arten unter allen möglichen Bedingungen Untersuchungen vorliegen. 5. Ja, aber. Das Bt-Gift wirkt bei vielen Insekten. Allerdings nur, wenn ihre Larven sich von Bt-Pflanzen ernähren. Dies ist der Vorteil gegenüber Insektiziden die gespritzt werden und alle Insekten beeinträchtigen. Je nach Insektenart fällt die Beurteilung daher unterschiedlich aus, ob die „Nützlinge“ langfristig besser wegkommen, wenn die Kulturpflanze unverdaulich ist und dafür weniger Insektizide gespritzt werden. (Studien zeigen allerdings, dass die Menge der Spritzmittel nicht immer zurückgeht.) 6. Ja, das Risiko besteht. Durch horizontalen Gentransfer, insbesondere durch Pollenflug kann es unter nahe verwandten Arten (zum Beispiel Raps und wildwachsende Acker-Senf-Pflanzen) zu unbeabsichtigten Auskreuzungen kommen. Die Naturwissenschaft kann aufgrund molekularbiologischer und ökologischer Untersuchungen abschätzen, wie hoch dieses Risiko ist und welche Maßnahmen getroffen werden können, um die Gefahr einzudämmen. Die Frage, ob dieses Risiko beim Anbau gentechnischer Pflanzen zumutbar ist, um damit andere Vorteile zu erreichen, bleibt dabei offen. Dazu braucht es die ethische Debatte.

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Unterrichtsstunde 6: Ethische Maßstäbe zur Beurteilung von Fortschritt? 1) Karikatur: Calvin und Hobbes

Was kritisiert Bill Watterson hier mit seinem Comic?

Stelle fünf Regeln auf die, deiner Meinung nach für den Umgang mit der Natur wichtig sind?

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2) "Das Prinzip Verantwortung" - ein wesentlicher Beitrag zur Ethik-Diskussion "Das Prinzip Verantwortung", 1979 mit dem Untertitel "Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation" erschienen, in viele Sprachen übersetzt, hat Hans Jonas seinen Kindern gewidmet, und damit der Zukunft der Welt. Es hat seinen späteren Ruhm begründet. Dabei war er schon 75 Jahre alt, als er es abschloss. Was ist nun der Inhalt dieses Buches, das weltweit für Aufsehen gesorgt und die Diskussion um die ethische Verantwortung des Menschen belebt hat wie kein zweites? Das Buch beginnt mit einer Analyse des veränderten Wesens menschlichen Handelns unter den Bedingungen der modernen Technik. Dabei vertritt Jonas die Auffassung, dass die klassischen Begriffe der Ethik den veränderten Bedingungen nicht mehr gerecht werden. Prinzip der bisherigen Ethik sei eine Konzentration auf den unmittelbaren Nahbereich menschlicher Verantwortung (z. B. in der Forderung der Nächstenliebe). Eine Verantwortung für zukünftige Generationen sei nicht Thema der Ethik gewesen, da der Mensch noch nicht über technische Möglichkeiten verfügte, diese entscheidend zu beeinflussen. Dies sei jedoch mit der modernen Technik der Fall. Deshalb muss auch ein neuer Ansatz ethischer Überlegungen gefunden werden. Hans Jonas hat als Folge daraus eine Forderung aufgestellt, die für jeden Menschen und sein Handeln von grundlegender Bedeutung sein sollte, bekannt als sogenannter "ökologischer Imperativ": „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Dauerhaftigkeit echten menschlichen Lebens auf der Erde!" Er fordert eine sachliche Einsicht in die Gefahren technologischer Entwicklungen, eine Berücksichtigung des öffentlichen Bewusstseins und Konsequenzen im privaten und öffentlichen Verhalten. Es muss im Bewusstsein eines jeden verankert werden, dass technische Ausschweifungen die Zukunft bedrohen können. Auf der anderen Seite darf die Furcht auf der Hut vor sich selbst sein. Die Angst um den Menschen darf nicht zur Feindschaft gegen Wissenschaft und Technik verleiten. Die Angst muss zur Vorsicht im Gebrauch unserer Macht raten, nicht zur Absage an sie. Denn nur im Bund mit Wissenschaft und Technik wird sich die Menschheit weiterentwickeln. Doch zu dauernder Wachsamkeit anzuhalten, ist die Pflicht des denkenden Menschen. 3) Die Technik als Gegenstand der Ethik Dass, ganz allgemein gesprochen, die Ethik in Angelegenheiten der Technik etwas zu sagen hat oder dass Technik ethischen Erwägungen unterliegt, folgt aus der einfachen Tatsache, dass die Technik eine Ausübung menschlicher Macht ist, d. h. eine Form des Handelns, und alles menschliche Handeln der moralischen Prüfung ausgesetzt ist. Es ist ebenso eine Binsenwahrheit, dass ein und dieselbe Macht sich zum Guten wie zum Bösen benutzen lässt und man bei ihrer Ausübung ethische Normen beachten und verletzen kann. Die Technik, als enorm gesteigerte menschliche Macht, fällt eindeutig unter diese generelle Wahrheit. Aber bildet sie einen besonderen Fall, der eine Bemühung des ethischen Denkens erfordert, die verschieden ist von der, die sich für jede menschliche Handlung schickt und für alle ihre Arten in der Vergangenheit ausreichte? Meine These ist, dass sie in der Tat einen neuen und besonderen Fall bildet, und von den Gründen dafür möchte ich fünf angeben, die mich besonders beeindrucken. 61


1. Ambivalenz der Wirkungen Im Allgemeinen ist jede Fähigkeit "als solche" oder "an sich" gut und wird nur durch Missbrauch schlecht. Zum Beispiel ist es unleugbar gut die Macht der Rede zu besitzen, aber schlecht, sie dafür zu benutzen andere zu täuschen oder zu ihrem Verderben zu verführen. Daher ist es völlig sinnvoll zu gebieten: Gebrauche diese Macht, vergrößere sie, aber missbrauche sie nicht. Vorausgesetzt ist dabei, dass die Ethik klar zwischen den beiden unterscheiden kann, zwischen dem richtigen und dem falschen Gebrauch ein und derselben Fähigkeit. [ ... ] Die Schwierigkeit ist die: Nicht nur wenn die Technik böswillig, d. h. für böse Zwecke, missbraucht wird, sondern selbst wenn sie gutwillig für ihre eigentlichen und höchst legitimen Zwecke eingesetzt wird, hat sie eine bedrohliche Seite an sich, die langfristig das letzte Wort haben könnte. Und Langfristigkeit ist irgendwie ins technische Tun eingebaut. [ ... ] Das Risiko des "Zuviel" ist immer gegenwärtig in dem Umstand, dass der angeborene Keim des "Schlechten", d. h. Schädlichen, gerade durch das Vorantreiben des "Guten", d. h. Nützlichen, mitgenährt und zur Reife gebracht wird. Die Gefahr liegt mehr im Erfolg als im Versagen - und doch ist der Erfolg nötig unter dem Druck der menschlichen Bedürfnisse. Eine angemessene Ethik der Technik muss sich auf diese innere Mehrdeutigkeit des technischen Tuns einlassen. 2. Zwangsläufigkeit der Anwendung Im Allgemeinen bedeutet Besitz einer Fähigkeit oder Macht (bei Individuen oder Gruppen) noch nicht ihren Gebrauch. [ ... ] Dieses so einleuchtende Verhältnis von Können und Tun, Wissen und Anwendung, Besitz und Ausübung einer Macht gilt jedoch nicht für den Fundus technischer Vermögen einer Gesellschaft, die wie die unsrige ihre ganze Lebensgestaltung in Arbeit und Muße auf die laufende Aktualisierung ihres technischen Potenzials im Zusammenspiel aller seiner Teile gegründet hat. [ ... ] Und was für den gerade vorhandenen Fundus gilt, erstreckt sich auch auf jeden Zuwachs zu ihm. Ist diese oder jene neue Möglichkeit erst einmal (meist durch die Wissenschaft) eröffnet und durch Tun im Kleinen entwickelt worden, so hat sie es an sich, ihre Anwendung im Großen und immer Größeren zu erzwingen und diese Anwendung zu einem dauernden Lebensbedürfnis zu machen. So wird der Technik, die gesteigerte menschliche Macht in permanenter Tätigkeit ist, nicht nur (wie oben gezeigt) die Freiheit ethischer Neutralität, sondern auch die wohltätige Trennung zwischen Besitz ~ und Ausübung der Macht versagt. [ ... ] 3. Globale Ausmaße in Raum und Zeit Darüber hinaus gibt es einen Aspekt schierer Größe von Handlung und Wirkung, der moralische Bedeutsamkeit gewinnt. Das Ausmaß und der Wirkungsbereich der modernen technischen Praxis als Ganzes und in jedem ihrer einzelnen Unternehmungen sind so, dass sie eine ganz neuartige Dimension in den Rahmen ethischer Rechenwerte einbringen, die allen früheren Handlungsarten unbekannt war. [..] Heute [neigt] jede Anwendung einer technischen Fähigkeit durch die Gesellschaft (der Einzelne zählt hier nicht mehr) dazu […], ins" Große" zu wachsen. Die moderne Technik ist zuinnerst auf Großgebrauch angelegt. [...] Sie und ihre Werke breiten sich über den Erdball aus, und ihre kumulativen 1 Wirkungen erstrecken sich möglicherweise über zahllose künftige Generationen. Mit dem, was wir hier und jetzt tun, und meist mit Blick auf uns selbst, beeinflussen wir massiv das Leben von Millionen andernorts und künftig, die hierbei keine Stimme hatten. Wir legen Hypotheken² auf künftiges Leben für gegenwärtige kurzfristige Vorteile und Bedürfnisse - und was das betrifft, für meist selbst erzeugte Bedürfnisse. [...] Der springende Punkt hier ist, dass das Eindringen ferner, zukünftiger und globaler Dimensionen in unsere alltäglichen, weltlich-praktischen Entscheidungen ein ethisches Novum ist, das die Technik uns aufgeladen hat; und die ethische Kategorie, die vorzüglich durch diese neue Tatsache auf den Plan gerufen wird, 62


heißt: Verantwortung. [...] Die Anforderungen an die Verantwortlichkeit wachsen proportional zu den Taten der Macht. 4. Durchbrechung der Anthropozentrik³ [...]. Immer war es das menschliche Gut, das gefördert werden sollte, die Interessen und Rechte von Mitmenschen, die zu respektieren waren, ihnen geschehenes Unrecht, das gutzumachen war, ihre Leiden, die gelindert werden sollten. Gegenstand menschlicher Pflicht waren Menschen, äußerstenfalls: die Menschheit, und sonst nichts auf dieser Erde. [...] Das Alleinrecht des Menschen auf menschliche Rücksicht und sittliche Beachtung ist genau mit seinem Gewinn einer fast monopolistischen4 Macht über alles andere Leben durchbrochen worden. Als eine planetarische Macht ersten Ranges darf er nicht mehr nur an sich selbst denken. Zwar drückt das Gebot, unseren Nachkommen kein verödetes Erbteil zu hinterlassen, diese Erweiterung des ethischen Blickfeldes immer noch im Sinne einer menschlichen Pflicht gegenüber Menschen aus. [...] Aber recht verstanden reicht die Einbeziehung der Existenz der Fülle als solcher in das menschliche Gute und damit der Einschluss ihrer Erhaltung in des Menschen Pflicht über den nutzenorientierten und jeden anthropozentrischen Standpunkt hinaus. [...] Indem die Technik seine Wirkungsgewalt bis zu dem Punkte vergrößert, wo sie fühlbar gefährlich wird für den Gesamthaushalt der Dinge, dehnt sie des Menschen Verantwortung auf die Zukunft des Lebens auf Erden aus, das nunmehr wehrlos dem Missbrauch dieser Gewalt ausgesetzt ist. Die menschliche Verantwortung wird damit geradezu kosmisch (denn wir wissen nicht, ob das Weltall sonst noch ein Gleiches hervorgebracht hat). 5. Die Aufwerfung der metaphysischen Frage Schließlich stellt das apokalyptische 6 Potenzial der Technik - ihre Fähigkeit, den Fortbestand der Menschengattung zu gefährden oder deren genetische Unversehrtheit zu verderben oder sie willkürlich zu ändern oder gar die Bedingungen höheren Lebens auf der Erde zu zerstören - die metaphysische Frage, mit der die Ethik nie zuvor konfrontiert war, nämlich, ob und warum es eine Menschheit geben soll. [...] Wenn es ein kategorischer Imperativ für die Menschheit ist zu existieren, dann ist jedes selbstmörderische Spielen mit dieser Existenz kategorisch verboten, und technische Wagnisse, bei denen auch nur im Entferntesten dies der Einsatz ist, sind von vornherein auszuschließen. 1 kumulativ: anhäufend 2 Hypothek: im Grundbuch eingetragenes Pfandrecht an einem Grundstück; hier im übertragenen Sinn gebraucht (Schulden) 3 anthropozentrisch: den Menschen in den Mittelpunkt stellend 4 monopolistisch: alleinige Macht 5 Metaphysik: philosophische Disziplin oder Lehre, die das hinter der sinnlich erfahrbaren, natürlichen Welt Liegende, die letzten Gründe und Zusammenhänge des Seins behandelt 6 apokalyptisch: a) auf das Weitende hinweisend, unheilverkündend, b) geheimnisvoll, dunkel

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Zusammenfassung Hans Jonas (1903-1993), Philosoph • • • • •

Ambivalenz der Wirkungen („Risiko des Zuviels“, da in allem ein „angeborener Keim des Schlechten“ steckt) Zwangsläufigkeit der Anwendung (Eigengesetzlichkeit der Technik, vom Großen zum immer Größeren) Globale Ausmaße in Raum und Zeit (zukünftige und globale Dimensionen → Aufwertung der ethischen Kategorie „Verantwortung“) Durchbrechung der Anthropozentrik (Technik verleiht dem Menschen gewaltige Macht, aber: Mensch ≠ [willkürlicher] Verwalter der Schöpfung, gesamte Biosphäre beansprucht Achtung) Die Aufwerfung der metaphysischen Frage („Wenn es einen Kategorischen Imperativ für die Menschheit ist, zu existieren, dann ist jedes selbstmörderische Spielen mit dieser Existenz kategorisch verboten, [...]“)

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4) Strukturlegecluster: Die Technik als Gegenstand der Ethik BSP erster Abschnitt:

Form des Handelns

Kann zum Guten oder Bösen gebraucht werden

Technik

Ausübung menschlicher Macht

Gegenstand der Ethik

Arbeitsauftrag: Verbinde die ungeordneten Schlüsselbegriffe und Schlüsselsätze des Textes „Die Technik als Gegenstand der Ethik“ von Hans Jonas mit Hilfe der folgenden Linienarten:

=

daraus folgt

=

daraus folgt nicht

=

mehrere Begriffe/Sätze die zusammengehören

Ergänze die Begriffe/Sätze ggf. durch eigene Symbole oder Zeichen: bsp. : oder ! 

Finde Beispiele für H.Jonas Thesen:

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1)

Jede Fähigkeit wird durch missbrauch schlecht

Ambivalenz der Wirkungen Gebot: „Missbrauche sie nicht!“ ist sinnlos

Die Schwierigkeit/ Das Problem ist:

Selbst gut gebrauchte Technik kann eine Bedrohung sein Das Schädliche wird durch das Vorantreiben des Nützlichen genährt Bsp.:

Bsp.:

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Teil des technischen Tuns Risiko des Zuviel

Mehr Gefahr durch Erfolg, als durch Versagen.


2)

Ist eine technische Möglichkeit erst einmal im Kleinen eröffnet Zwangsläufigkeit der Anwendung

Der Besitz einer Macht/Fähigkeit bedeutet noch nicht ihren Gebrauch

Lebensgestaltung gründet auf der Verbesserung ihres technischen Könnens

Hat es an sich eine Anwendung im immer Größeren zu erzwingen

Besitz und Ausübung einer Macht

Technisches Vermögen einer Gesellschaft Technisches Vermögen einer Gesellschaft

Bsp.

Bsp.

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3)

Größe von Handlung und Wirkung gewinnt an moralischer Bedeutung Globale Ausmasse in Raum und Zeit

Neuartige Dimension im Rahmen der Ethik

Jede Fähigkeit neigt dazu ins Große zu wachsen

Wirkungen erstrecken sich über Generationen Neue ethische Kategorie : Verantwortung

Beeinflusst das Leben von Millionen anderorts und künftig

Bsp.

Bsp.

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4)

Alleinrecht des Menschen auf Moral Durchbrechung der Anthropozentrik

Immer waren es die Interessen und Rechte der Menschen die gefördert werden sollte

Technik wird gefährlich für alle Dinge auf dem Planeten

Durchbrochen durch seine alleinige Macht über alles andere Leben

Verantwortlich für die Zukunft des Lebens auf Erden

Bsp.

Bsp.

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Verantwortlich für den ganze Planeten


Jedes selbstmĂśrderische Spielen mit dieser Existenz ist verboten.

5)

Die genetische Unversehrtheit

Apokalyptische Potential der Technik

Metaphysische Frage

Die Aufwerfung der metaphysischen Frage Gefährdet den Fortbestand der Menschengattung Wenn die Menschheit existieren muss

Bsp.

Bsp.

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Soll es eine Menschheit geben


Zusatzmaterial SPIEGEL• Interview Hans Jonas (Ausschnitt) .Dem bösen Ende näher Die neue Aufgabe der Philosophie SPIEGEL: Kann der Philosoph, kann die Philosophie die Welt verändern? Welche Rolle spielt der Philosoph heute? Soll er sich einmischen? Kann er Prozesse einleiten, steuern? Jonas: Nein, wahrscheinlich nicht. Die Philosophie kann dazu beitragen, dass in der Erziehung ein Sinn dafür ent-wickelt wird, wie sich menschliches Handeln auf längere Sicht auf das sehr delikate Gewichtsverhältnis zwischen menschlichen Ansprüchen und Leistungsfähigkeit der Natur auswirkt. Sie kann durch ihre Reflexion und Artikulation daran mitwirken, dass Initiativen zur Rettung und Erhaltung der Umwelt zustande kommen. Kommt es zu ihnen, dann haben die Wirtschaftler, Politiker und Einzelwissenschaftler sehr viel mehr zu sagen als der bestinformierte Philosoph. Aber dann bleibt immer noch eine Aufgabe der Philosophie, zu wachen über die Menschlichkeit der Maßnahmen, mit denen man das Unheil zu stoppen versucht. Die könnten nämlich so sein, dass dabei die Sache, die man retten will, zum Teufel geht. SPIEGEL: Was könnte zum Teufel gehen? Jonas: Die Sache wird schließlich eine Machtfrage. Wenn die Vorräte der Erde, Wasser, Rohstoffe, Luft zur Neige gehen, dann könnten doch die Stärksten die Dezimierung der menschlichen Bedürfnisse und der Menschenziffern mit Gewalt erzwingen. Dieses grausame Grundgesetz der Evolution, dass die Stärksten überleben, darf nicht zum Gesetz des Überlebens der Menschheit werden. Dann geht wirklich unsere Kultur, die Menschlichkeit des Menschen, zum Teufel. SPIEGEL: Wäre das die Aufgabe der Philosophie, eine neue Metaphysik des Menschen zu formulieren? Jonas: Meine Auffassung ist, dass die Philosophie eine neue Seinslehre erarbeiten muss. In der sollte die Stellung des Menschen im Kosmos und sein Verhältnis zur Natur im Zentrum der Meditation stehen. Hier Frieden-stifter zu sein, wäre der künftige Utopismus ... SPIEGEL: Sie halten es nicht für ganz ausgeschlossen, dass so etwas wie ein Prinzip Verantwortung zu einem modernen kategorischen Imperativ Wird? Jonas: Es geht um eine Erziehung des Menschen zu Lebenseinstellungen. die weniger gierig und gefräßig sind, dafür aber vielleicht anspruchsvoller in anderer Hinsicht. Man darf nicht fragen: \A[trd denn das helfen? Kann sich das durchsetzen gegenüber dem Vulgären, den Massenwünschen, den Gewohnheiten? Nach dem, was wir wissen, muss der Glaube daran sehr klein und schwach sein. Aber aufgeben ist das Letzte, was man sich erlauben darf. SPIEGEL• Interview (Ausschnitt) .Dem bösen Ende näher', Gespräch mit dem Technik. Philosophen Hans Jonas über den Umgang der Menschheit mit der Natur. In: Der Spiegel Nr, 20/1992. Hamburg: Spiegel•Verlag, 1992, $. 92 ff,

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