Kannst du`s nicht messen, kannst du`s vergessen!

Page 1

Kannst du’s nicht messen, kannst du’s vergessen!

Vom Sinn und Unsinn betrieblicher Kennzahlen

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 1

07.03.2012 10:35:57


2

Š Nurith Wagner-Strauss

Autorin

Mag.a Clara Fritsch arbeitet seit 2007 in der Abteilung Arbeit & Technik der GPA-djp, vorrangig zu den Themen Datenschutz, technische Systeme sowie social media.

Impressum: Herausgeber:

Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier Alfred-Dallinger-Platz 1, 1034 Wien Inhaltliche Mitarbeit: Beirat Arbeit und Technik Redaktion: Martina Tossenberger, GPA-djp, Abteilung Arbeit und Technik Layout: Anita Schnedl, GPA-djp Marketing Fotos: Bilderbox, Nurith Wagner-Strauss, David Payr, GPA-djp DVR 0046655, ZVR 576439352 Stand: März 2012

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 2

07.03.2012 10:35:58


3

© David Payr

Vorwort

Wer kennt sie nicht, die Kennzahlen, Benchmarks und Bewertungsgrößen mit denen richtungsweisende Entscheidungen von Unternehmen begründet werden? Der Standort musste leider verlegt werden, weil die Konkurrenzstandorte bessere Performance liefern. Die Abteilungen müssen leider umstrukturiert werden, weil sich bei der letzten Unternehmensberatung gezeigt hat, dass die Core figures noch optimierungsfähig sind“. Die Erfahrung zeigt, dass diese Entscheidungen oft zu ungunsten der ArbeitnehmerInnen getroffen werden. Nun ist es schwierig gegen Zahlen zu argumentieren, deren Entstehungsgeschichte man nicht kennt. Das Wissen um den Hintergrund der Kennzahlen hingegen führt zu mehr Chance auf Durchsetzung von ArbeitnehmerInneninteressen. Die GPA-djp möchte dem undurchschaubaren und unkontrollierbaren Benchmarkwildwuchs entgegentreten und mittels dieser Broschüre hinter die Kulissen der als „objektiv“ geltenden Zahlen blicken. Es geht darum aufzuzeigen, welche Fallen bei der Jagd nach betrieblichen Kennziffern aufgestellt sind. Wir möchten darstellen, welche Instrumente bei der Ermittlung betrieblicher Kennzahlen eingesetzt werden und einzelne dieser Instrumente genauer durchleuchten. Last but not least möchte die GPA-djp Alternativen zu bestimmten Bewertungsinstrumenten vorstellen. Dadurch sollen BetriebsrätInnen und interessierte ArbeitnehmerInnen mehr Durchblick im Kennzahlendschungel erhalten und sich einen eigenen Weg abseits der ausgetretenen Managementpfade durch das Benchmarkdickicht bahnen können.  Wenn du dich im Kennzahlendschungel orientieren möchtest…  Wenn du die Strategien von Unternehmensberatungsagenturen durchschauen möchtest…  Wenn du die ersten Anzeichen von einem Benchmarkingprozess erkennen möchtest…  Wenn du bei der Konzeption von Benchmarks mitreden möchtest …  Wenn du Kennzahlen im Sinne der ArbeitnehmerInnen und/oder in der betriebsrätlichen Arbeit einsetzen möchtest… … dann ist die Broschüre für dich lesenswert.

Wolfgang Katzian Vorsitzender

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 3

07.03.2012 10:35:58


Kolumnentitel

4

Arbeitssituation + Beschäftigungssituation = GUTE ARBEIT 

Sie verbindet Flexibilität und Sicherheit,

gewährleistet ein Einkommen, das einen angemessenen, planbaren Lebensstandard ermöglicht,

fördert die Entwicklung und den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit der ArbeitnehmerInnen, durch regelmäßige Weiterbildung und sinnvolle, fördernde Arbeitsaufgaben,

bietet eine menschengerechte und beteiligungsorientierte Arbeitsorganisation,

respektiert die Privatsphäre der Beschäftigten,

fördert Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz,

ermöglicht eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Privatleben und

bemüht sich um die Entwicklung einer wertschätzenden und respektvollen Unternehmenskultur, in der Vielfalt und Chancengleichheit als Wert und Ressource betrachtet werden.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 4

07.03.2012 10:35:59


Kolumnentitel

5

GUTE ARBEIT Arbeit ist eines der bedeutendsten Räder im Getriebe der Gesellschaft und hält das tägliche Leben in allen uns bekannten Formen am Laufen. Deshalb bestimmt die Art und Weise, wie wir arbeiten auch wesentlich über unsere allgemeine Zufriedenheit und Lebensqualität mit. Doch stetig wachsende Produktivitäts- und Gewinnerwartungen steigern die Anforderungen an ArbeitnehmerInnen und erhöhen den Druck am Arbeitsplatz. BetriebsrätInnen und Gewerkschaften sind daher stets bemüht, arbeitsrechtliche Standards zu bewahren und mehr als nur menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu sichern, damit die steigende Produktivität auch denjenigen zugute kommt, die diese erwirtschaften – den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Diese Aufgabe wird gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten zu einer immer schwierigeren Herausforderung. Arbeit um jeden Preis? Die schlechte Arbeitsmarktsituation und die Notwendigkeit, um Arbeitsplätze zu kämpfen, wird oft als Rechtfertigung benutzt, um Qualitätsstandards bei den Arbeitsbedingungen auszuhöhlen bzw. eine Weiterentwicklung zu verhindern. Beschäftigungssicherung geht Hand in Hand mit dem Erhalt und der Verbesserung von Arbeit. In dieser Frage kann es nicht heißen: „entweder – oder“. Wir fordern beides! Die Beschäftigten haben es sich verdient! Wir wollen GUTE ARBEIT, um gute Arbeit leisten zu können! Wir knüpfen damit an bisherige Bemühungen sowohl unserer eigenen gewerkschaftlichen Arbeit als auch an internationale Erfahrungen an. Es ist notwendig für GUTE ARBEIT einzutreten und es lohnt sich auch. Dabei geht es in erster Linie darum, die Stimmen derer zu hören, die ExpertInnen in der Beurteilung ihres Arbeitsumfeldes sind: die Beschäftigten. Die GPA-djp stellt Informationen zur Erfassung des Arbeitsklimas im Betrieb bereit und gibt Handlungshilfen für die Gestaltung von Arbeitsplätzen. In der Reihe GUTE ARBEIT berücksichtigen wir jene Bereiche, die Arbeitsprozesse wesentlich bestimmen:  Beschäftigung und Einkommen  Arbeitsorganisation  Mitbestimmung im Betrieb  Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz  Aus- und Weiterbildung  Vielfalt und Chancengleichheit

Mehr Informationen zum Thema GUTE ARBEIT unter www.gpa-djp.at/gutearbeit

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 5

07.03.2012 10:35:59


Kolumnentitel

6

Inhalt Einleitung .................................................................................................................................7 Teil 1: Allgemeine Informationen zu betrieblichen Kennzahlen ..................................................8 1.

Eine kurze Geschichte betrieblicher Kennzahlen.................................................................8

2.

Eine kurze Einführung in die Welt der Kennzahlen ...........................................................11 2.1 Welche Kennzahlen gibt es? ....................................................................................................... 11 2.2 Was können Kennzahlen aussagen – und was nicht? ..................................................................... 12 2.3 Was soll mit Kennzahlen erreicht werden?.................................................................................... 12

3.

Typischer Ablauf eines „Benchmarking-Prozesses“ ..........................................................13

4.

AkteurInnen ....................................................................................................................16 4.1 ArbeitnehmerInnen .................................................................................................................... 16 4.2 Geschäftsführung ...................................................................................................................... 16 4.3 Beratungsfirmen ........................................................................................................................ 17 4.3.1 Exkurs zu Vergangenheit und Gegenwart von Unternehmensberatung .................................... 17 4.3.2 Hilfe, die BeraterInnen kommen – zur Praxis der Unternehmensberatung ................................ 20 4.4 BetriebsrätInnen ........................................................................................................................ 22

5.

Erfahrung und Konsequenzen .........................................................................................28 5.1 Der „Benchmark-Ring“ – eine Alternative? .................................................................................... 30 5.2 „Soziales Benchmarking“ – eine Alternative? ................................................................................ 30

Teil 2: Konkrete Messzahlen und -systeme..............................................................................32 6.

Standardisierte Messinstrumente .....................................................................................32 6.1 Arbeitskräfteerhebung ................................................................................................................ 34 6.2 Arbeitsmarktdatenbank .............................................................................................................. 35 6.3 Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen............................................................................ 35 6.4 Arbeitsklimaindex ...................................................................................................................... 36 6.5 Branchenanalysen ..................................................................................................................... 36 6.6 European Working Condition Survey ........................................................................................... 37 6.7 Krankenstandsauswertungen ....................................................................................................... 38 6.8 Impuls-Test ................................................................................................................................ 38 6.9 Kriterien der sozialen Verantwortung ........................................................................................... 39 6.10 ISO-Norm 9001...................................................................................................................... 39

7.

Betriebsinterne Messinstrumente .....................................................................................40 7.1 Balanced Scorecard (BSC) ......................................................................................................... 41 7.2 Produktplanung und -steuerung (PPS)............................................................................................ 46 7.3 Betriebsinterne Umfragen ........................................................................................................... 47

8.

Werkzeuge für die betriebliche Praxis .............................................................................54

9.

Schlusswort ....................................................................................................................56

10. Zum Weiterlesen .............................................................................................................57

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 6

07.03.2012 10:35:59


Kolumnentitel

7

Einleitung ArbeitgeberInnen argumentieren gerne und in zunehmendem Maße mit Zahlen aus Auswertungen, Bewertungen oder Umfragewerten, um ihre Interessen durchzusetzen. Der Vergleich mit anderen Firmen oder Branchen wird gegen die Interessen der ArbeitnehmerInnen eingesetzt. So können vergleichsweise bessere Werte verwendet werden, um Beschwerden abzufangen oder vergleichsweise schlechtere Daten dazu eingesetzt werden, die Leistung der Beschäftigten abzuwerten. Die Herkunft der Daten ist nicht immer nachvollziehbar. Insbesondere, wenn Unternehmensberatungen die Bewertungen durchgeführt haben, deren Bewertungsgrundlagen nicht transparent sind und die weder auf gesetzlichen Vorgaben (zB zur Bilanzierung) noch auf standardisierten und getesteten Bewertungsverfahren beruhen. Bei der Bewertung von innerbetrieblichen Daten stellen sich – neben den eben genannten – zusätzliche Probleme:  Die beteiligten ArbeitnehmerInnen und ihre Interessenvertretung sind bei der Erstellung der jeweiligen BewertungsSysteme selten eingebunden. Die betroffenen ArbeitnehmerInnen, die beispielsweise an einem Arbeitsprozess mitarbeiten, werden vor vollendete Tatsachen gestellt.  Die Zielsetzung steht mitunter schon vor dem Einführen neuer Kennzahlen fest (zB Personalreduktion) und der gesamte Prozess, samt Beratung, Implementierung und Konsequenzen, dient der Rechtfertigung dieser vorab getroffenen Ziele.  Die Kosten des Beratungsprozesses werden nicht offen gelegt und können daher auch nicht mit dem erwarteten Nutzen abwogen werden. Es mangelt an Transparenz.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 7

07.03.2012 10:35:59


8

Teil 1: Allgemeine Informationen zu betrieblichen Kennzahlen 1.

Eine kurze Geschichte betrieblicher Kennzahlen

In den vorindustriellen Arbeitsbeziehungen war die Messung der Arbeitsprozesse mittels Kennzahlen kaum von Bedeutung. Die Buchhaltung von bäuerlichen Betrieben und Handwerksbetrieben beschränkte sich im Großen und Ganzen auf Ausgaben-Einnahmen-Rechnungen. Diffizile mathematische Berechnungen, warum welche Kuh unter welchen Bedingungen mehr oder weniger Milch gab und daraus gezogene Schlüsse für die zukünftige Rinderhaltung, waren vermutlich eher selten. Zu viele Unberechenbarkeiten wie Wetterlage, Natur- oder andere Katastrophen standen solchen Ideen aller Wahrscheinlichkeit im Wege. (Frederick Winslow Taylor, 20. März 1856 - 21. März 1915, Quelle: wikipedia)

Frederick Winslow Taylor war mit seinem 1911 veröffentlichten Buch „Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“ einer der Ersten, die den Arbeitsprozess wissenschaftlich analysierten. Die Publikation des gelernten Werkzeugmachers und Maschinisten, der seinen Ingenieurstitel durch ein berufsbegleitendes Studium erwarb, wurde von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und gilt als der Grundstein der Betriebswirtschaftslehre. F. W. Taylor plädierte in seinem Werk für das exakte – bisweilen übertrieben wirkende – Messen und Erfassen von Arbeitsabläufen, um eine Planung zu ermöglichen. Die Messungen zielten darauf ab, die Arbeitsvorgänge in dem Unternehmen für das er tätig war (Enterprise Hydraulic Works von William Sellers in Philadelphia) zu verbessern, indem jeder Handgriff einzeln gemessen wurde. Wie weit wird die Hand bei welchem Arbeitsschritt bewegt und wie lange dauert das? Eine solche Herangehensweise an die Betriebsführung nennt man Taylorismus. Der Arbeiter war in diesem Weltbild auf sein Funktionieren an der Maschine reduziert. Frederick W. Taylor schuf die Basis für die enge Verbindung zwischen Messzahlen1 und betrieblichen Optimierungsprozessen, die nach wie vor besteht. In den 1930-er Jahren setzte sich langsam eine entgegengesetzte Strömung in der wissenschaftlichen Betriebsführungsdebatte durch. Man erkannte in den so genannten „Hawthorne Studien“, dass die Arbeiter umso bessere Arbeitsleistungen bringen, umso bessere soziale Rahmenbedingungen sie an ihrem Arbeitsplatz vorfinden. Der Arbeiter wurde nicht mehr auf seine mechanische Funktion reduziert, sondern sein soziales und menschliches Wesen in den Vordergrund gerückt. Diese „Human Relations Schule“ ging davon aus, dass Lohnerhöhungen weniger zum Wohlfühlen und damit zur Leistungssteigerung beitragen würden, als gute soziale Rahmenbedingungen im Betrieb. Eine ebenfalls aus den USA stammende und an den Taylorismus anknüpfende Methode zur Kennzahlen-Entwicklung ist das so genannte „Du-Pont-Schema“, das in dem gleichnamigen Chemiekonzern seine Anfänge nahm. Im Gegensatz zu den Kennzahlen des Taylorismus, die die Arbeitsschritte der einzelnen Beschäftigten kontrollieren, werden bei diesem Schema ausschließlich Finanzkennzahlen herangezogen.

1 Die Begriffe „Kennzahl“ und „Messzahl“ werden in der Literatur meist synonym verwendet, weshalb diese Vorgehensweise in der Broschüre beibehalten wurde.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 8

07.03.2012 10:35:59


9

Bei dem seit 1919 in der Betriebswirtschaft gebräuchlichen Du-Pont-Schema geht es darum, das eingesetzte Kapital möglichst zu vermehren. Dabei wird mittels einer theoretischen mathematischen Berechnung ermittelt, welche Einnahmen und welche Ausgaben welche Betriebsgröße beeinflussen. Die angenommenen Einflussfaktoren sind in der Abbildung dargestellt. Hier wird eine der meistbenutzten Kennzahlen zur Definition des eigentlichen Unternehmensgewinns, der Return on Investment (ROI) dargestellt. Der ROI bezeichnet jenen Wert, was an Gewinn überbleibt, wenn man das investierte Kapitel wegrechnet.

Der Kennzahlen-Baum des Du-Pont-Schemas

(Grafik nach W. Staehle, Kennzahlen und Kennzahlensysteme als Mittel der Organisation und Führung von Unternehmen, 1973, Quelle: wikipedia).

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden immer detailliertere und ausgetüfteltere Systeme von Kennzahlen und deren Berechnung ausgearbeitet. Besonders in den 1980er Jahren wurden in Europa, USA und Japan verschiedene Modelle und Methoden entwickelt, damit Unternehmen ihre Vorgaben und Ziele in Zahlen gießen können. Entgegen dem Messen mit Zahlen haben sich auch einige Managementmethoden herausgebildet, die auf qualitativen Angaben aufbauen. Die betrieblichen Abläufe sollen dabei nicht mittels Zahlen analysiert und verbessert werden, sondern mittels qualitativer Standardisierungen. Arbeitsgruppen, institutionalisierte Feedback-Schleifen und normierte Fragestellungen sind einige der dabei angewendeten Instrumente.

(William Edwards Deming, 14.10. 1900 – 20.12. 1993, Quelle: wikipedia)

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 9

07.03.2012 10:36:00


10

Eines der ersten weltweit anerkannten Systeme sollte von William Edwards Deming, einem us-amerikanischen Physiker, entwickelt werden. Er beschäftigte sich in den 1940er Jahren mit dem Thema, wie ein Unternehmen seine Kunden am besten zufriedenstellen kann und kam zu dem Schluss, dass das nur durch permanente Qualitätskontrollen möglich sei. „Total Quality Management (TQM)“ erblickte das Licht der Welt. Zentrale Annahme des TQM ist es, dass KundInnen nur dann zufrieden sind, wenn sie es mit kompetenten und zufriedenen MitarbeiterInnen zu tun haben. Daher ist es erstes Ziel, das Potential der Angestellten möglichst zu fördern, sie weiterzubilden, ihre Vorschläge ernst zu nehmen, etc. Die erforderlichen Kriterien (zB Anzahl der Weiterbildungen) werden meist in unternehmensinterne Messzahlen gegossen. Der Prozess der zu diesem permanenten Weiterentwickeln der Qualität führt, ist im deutschsprachigen Raum als „kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)“ bekannt. In den USA vorerst wenig anerkannt, wurde das TQM von der japanischen Autoindustrie ab den 1950ern erfolgreich eingesetzt – und weiter entwickelt. Das in den 1950er Jahren in japanischen Produktionsbetrieben entwickelte „Kaizen“ (jap. Kai = Veränderung, Wandel; Zen = zum Besseren „Veränderung zum Besseren“) ist eine Weiterentwicklung der qualitativen Managementmaßnahmen des TQM. Kaizen zeichnet sich dadurch aus, dass die Teilnahme freiwillig erfolgt und die Teilnehmenden sich auf gleicher Augenhöhe über die Verbesserungsmöglichkeiten innerhalb des Produktionsprozesses austauschen. Dazu sollen verschiedenste Methoden, wie die „5S-Bewegungen“ und die „7M-Checkliste“ eingesetzt werden.2

Von dieser Maßnahme erwartet man sich neben einer besseren

Arbeitsatmosphäre und höherem persönlichem Engagement der MitarbeiterInnen eine Kostensenkung aufgrund von geringeren Fehlerquoten, geringeren Produktivitätsausfällen und eine Früherkennung von möglichen Betriebsstörungen. Im deutschsprachigen Raum ist das japanische Kaizen unter dem Begriff „Qualitätszirkel“ bekannt. „Der Qualitätszirkel sollte sich jedoch nicht nur auf Besprechungen beschränken, sondern auch Daten sammeln, Gespräche vor Ort führen, praktische Tests durchführen, u.s.w.“ beschreibt es der Taschenguide von Hilmar Vollmuth zum Thema Controllinginstrumente. Mittlerweile kommt der Qualitätszirkel nicht nur in der Produktion sondern in allen Branchen zum Einsatz (zB in Krankenhäusern). Ab den 1970er Jahren wurden us-amerikanische Firmen auf den japanischen Erfolg mit der neuen Managementmethode des Kaizens aufmerksam und so kehrte TQM in seiner weiterentwickelten Form, dem Kaizen, wieder in den USA zurück. Ab den 1980er Jahren wurde Kaizen dann zunehmend in Europa angewendet, wo die European Foundation for Quality Management (EFQM) seit 1992 jährlich einen Preis für hohe Qualität im Arbeitsprozess vergibt. Betrachtet man die Geschichte der qualitativen Managementmethoden lässt sich eine Wellenbewegung der Entwicklungen zwischen USA und Japan feststellen. Das jüngste weit verbreitete Instrument zur Ermittlung von Kennzahlen ist die Balanced Score Card (BSC). Sie versucht einen Mix aus quantitativen und qualitativen Kriterien, also auch nicht-monetäre Kennzahlen in die Analyse mit einzubeziehen (vgl. Kapitel 8.1). Die BSC geht auf Arbeiten von Robert S. Kaplan und David P. Norton Anfang der 1990er Jahre an der us-amerikanischen Harvard-Universität zurück. Die in diesem Kapitel kurz angerissenen Managementmethoden bauen sämtlich auf Forschungsergebnissen aus den Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften auf (zB der Betriebswirtschaft). Aufgrund ihrer Forschungsergebnisse, die durchaus der betrieblichen Praxis entstammen, entwickelten und entwickeln Wissenschafter Konzepte, wie die betrieblichen Abläufe verbessert werden könnten. 2 Die einzelnen Begriffe sollen hier nur deshalb angeführt werden, damit die LeserInnen sie wiedererkennen und zuordnen können, falls diese Methoden in der betrieblichen Praxis eingesetzt werden sollten. Nähere Beschreibungen sind der einschlägigen Betriebswirtschafts-Literatur zu entnehmen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 10

07.03.2012 10:36:00


11

2.

2.1.

Eine kurze Einführung in die Welt der Kennzahlen

Welche Kennzahlen gibt es?

Kennzahlen können grob danach unterteilt werden, ob es sich um finanzielle Einnahmen oder Ausgaben handelt (Finanz-Kennzahlen) oder ob sie direkt auf die Arbeit bezogene Faktoren (operative Kennzahlen) messen. Die Grenzen sind allerdings nicht immer eindeutig festzumachen und unterschiedliche Kennzahlen-Systeme verwenden unterschiedliche Einteilungen. So können beispielsweise auch finanzielle Betriebs-Ausgaben wie Weiterbildungskosten zu den operativen Kennzahlen gezählt werden, weil die laufende Qualifizierung der ArbeitnehmerInnen (zB für VerkäuferInnen, TrainerInnen) zum Kerngeschäft zählt. Zu den Finanz-Kennzahlen zählen jene, die in einem jährlichen Rechnungslegungsbericht veröffentlicht werden müssen (zB Gewinn-Verlust-Rechnung) ebenso wie jene, die zusätzlich aufgrund der Einnahmen und Ausgaben mittels mehr oder weniger komplexer Rechenmodelle errechnet werden (zB Anlagenintensität, Cashflow-Eigenkapitalrendite). Jedes österreichische Unternehmen muss jährlich einen Jahresabschluss nach dem Unternehmensgesetzbuch (UGB) vorlegen. Aus den darin angegebenen und gesetzlich vordefinierten Kennzahlen werden die jährlichen Steuern und Abgaben sowie allfällige Gewinnausschüttungen ermittelt. Börsenotierte Mutterkonzerne sind verpflichtet, für die Bilanzierung die internationalen Bilanzierungsvorschriften (IAS/IFRS) anzuwenden. Finanzkennzahlen werden in Aktiva (zB Sachgüter, offene Forderungen) und Passiva (zB Urlaubsrückstellungen, langfristige Verbindlichkeiten) unterteilt. Die Arbeiterkammer Wien, Abteilung Betriebswirtschaft, hat zur Erklärung dieser Bilanzkennzahlen eine aufschlussreiche und umfassende Broschüre herausgegeben: „Unternehmenskennzahlen, Werkzeuge für professionelle Betriebsratsarbeit“, deren Inhalte hier nicht wiederholt werden sollen. Zu den sogenannten „operativen Kennzahlen“ wird alles gerechnet, was den Arbeitsprozess betrifft. Innerhalb dieser Kategorie wird noch zwischen input-orientierten Faktoren (zB Rüstzeit für Maschinen) und output-orientierten Faktoren unterschieden (zB Menge der erzeugten Produkte). Auch die Auslastung, der Auftragsrückstand oder die Pünktlichkeit können in operative Kennzahlen gegossen werden. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts galt es als eher unmessbar sogenannte „soft facts“ wie Zufriedenheit, Motivation oder Gesundheit zu messen. Wissenschaftliche Forschung und ausgefeiltere statistische Berechnungsmodelle führten schließlich dazu, dass auch diese „weichen“ Faktoren (zB Teamfähigkeit, Innovationsgeist und besonders im Interesse der ArbeitgeberInnen stehend: das persönliche Engagement der ArbeitnehmerInnen) immer stärker ins Zentrum der Messungen rückte. Nun ist es aber ein Charakteristikum dieser „social skills“ wie sie auch bisweilen genannt werden, dass sie etwas komplexer aufgebaut sind als handwerkliche Fähigkeiten, die in Fertigungsprozessen von Produktionsgütern verlangt werden. Wenn diese „soft facts“ wesentlicher Inhalt des Arbeitsprozesses sind (zB in Sozialberufen, Lehrberufen, etc.), dann ergibt sich, dass ihre Messung komplexer ist, als die Messung in einem industriellen Produktionsprozess. Das Messen der Herstellung eines Paar Schuhe ist einfacher ist als das Messen des Engagements von ArbeitnehmerInnen, die diese Schuhe hergestellt haben.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 11

07.03.2012 10:36:00


12

2.2.

Was können Kennzahlen aussagen – und was nicht?

Um aussagekräftige Zahlen zu erhalten, müssen sie verglichen werden. Sieben hat zum Beispiel für sich alleine keine Bedeutung. Ist Sieben viel oder wenig oder durchschnittlich? Sieben auf einer Skala von 1 bis 10 ist ein eher hoher Wert, auf einer Skala von 1 bis 100 ein sehr kleiner. So wird man beispielsweise bei einem Personalstand von 7 in der Personalabteilung einer Firma mit 1.000 MitarbeiterInnen nicht überrascht sein, bei einer Firma mit 10 Angestellten lassen sieben MitarbeiterInnen im Personalbüro eher den Gedanken an eine Personalleasingagentur aufkommen. Es kommt also immer auf das Verhältnis an, in dem eine Zahl steht, wie sie bewertet wird. Diese Kennzahlen für Vergleiche werden in einem Anglizismus „Benchmarks“ genannt. Benchmarks können sich an innerbetrieblichen Gegenebenheiten orientieren, zB eine Entwicklung über einen bestimmten Zeitverlauf angeben; es kann ein Soll-Ist-Vergleich angestellt werden oder zwei Abteilungen werden gegenübergestellt. Vergleichszahlen können aber auch außerbetriebliche Gegebenheiten darstellen, zB wenn innerhalb einer Branche verglichen wird oder verschiedene Standorte mit einander konkurrieren. Hier ist die Gefahr Äpfel mit Birnen zu vergleichen am größten, da unterschiedliche Standorte unterschiedliche Rahmenbedingungen aufweisen. Gibt es zum Beispiel Parameter anhand derer Forschung und Vertrieb innerhalb eines Betriebes überzeugend verglichen werden können? In Anlehnung an einen berühmten Ausspruch von Winston Churchill könnte man sagen: „Traue keiner Benchmark, die du nicht selbst gestaltet hast.“

2.3

Was soll mit Kennzahlen erreicht werden?

Innerbetriebliche Kennzahlen dienen meistens einem oder mehreren der vier seitens der Betriebswirtschaft definierten Hauptziele:  Analyse des Betriebes,  Planung des Betriebsgeschehens,  Steuerung der Betriebsabläufe,  Kontrolle der Betriebsergebnisse. Die Kennzahlen sollen helfen, die unternehmensinternen Abläufe so zu gestalten, dass möglicht effizient gewirtschaftet wird. Bis zu einem gewissen Grad ist es natürlich auch sinnvoll, Zahlen zu haben mit denen man den Stand der Dinge im Überblick behält und mittels derer man rechtzeitig die Weichen stellen kann, um einen Betrieb langfristig und nachhaltig zu lenken.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 12

07.03.2012 10:36:00


13

Für die ArbeitnehmerInnen kommen die Kennzahlen in Form von konkreten Maßnahmen in vielen Fällen so an:  Vorgaben für die Zielvereinbarung und Grundlagen für die Prämienberechnung  Grundlagen für Personalreduktion  Grundlagen für Standortverschiebungen

3.

Typischer Ablauf eines „Benchmarking-Prozesses“

Der Benchmark ist per Eigendefinition „ein sachlicher und zeitlicher Vergleich innerhalb und außerhalb des Betriebs“, also ein Kennzahl, die in Vergleich zu anderen Kennzahlen gesetzt wird. Eine Kennzahl kann also zu einem Benchmark werden, wenn sie anderen – mehr oder weniger ähnlich gestalteten – Kennzahlen gegenüber gestellt wird. Benchmarks sind Kennzahlen, die erreicht beziehungsweise sogar übertroffen werden sollen. Ein Benchmark stellt meist die Leistung von MitarbeiterInnen, Abteilungen oder dem gesamten Unternehmen dar und soll einen Vergleich mit anderen MitarbeiterInnen, Abteilungen und Unternehmen ermöglichen. Die einzelnen Schritte, die bei der Erhebung von Benchmarks gesetzt werden, folgen meist aufeinander, wie das sprichwörtliche „Amen“ im Gebet. An den einzelnen Aktionen können BetriebsrätInnen erkennen, in welchem Stadion des Benchmark-Prozesses man sich gerade befindet und rechtzeitig intervenieren. Die ersten Schritte bei der Einführung neuer Benchmarks kommen erfahrungsgemäß von Seiten der Geschäftsführung, dem internen Controlling oder der Personalabteilung. Um einen Ausgangspunkt für die Benchmarks festzulegen, wird in der Regel zuerst einmal der „Ist-Stand“ erhoben. In einem Unternehmen wurden dazu zum Beispiel sogenannte „Leistungsscheine“ erstellt (vgl. Kapitel 4.4 BetriebsrätInnen). Das bedeutete, dass alle MitarbeiterInnen angehalten werden, ihre Arbeit nach einem bestimmten Schema dazustellen. Sind die Kennzahlen einmal erhoben, dienen sie als Basis für die Umsetzung von Verbesserungen. Die Kennzahlen geben an, wo es augenscheinlich noch hapert bzw. wo und welche Ziele bereits erreicht wurden. Wesentlich für die Berechnung von Benchmarks ist es, von welchen Basiszahlen ausgegangen wird. Diese können das Ergebnis wesentlich beeinflussen. Daher ist es immer unbedingt erforderlich, dass sich BetriebsrätInnen, die den Benchmarking-Prozess ernsthaft hinterfragen wollen, mit diesen Ausgangszahlen befassen, sich zeigen lassen, welches Datenmaterial als Ausgangsbasis herangezogen wurde.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 13

07.03.2012 10:36:00


14

Ein Regionalsekretär der GPA-djp aus Niederösterreich machte folgende Erfahrung: „Immer dann, wenn es um Ausgliederungen, Leiharbeiter, etc. geht, kommen die Unternehmen mit eigenen Berechnungen und vergleichen sie mit irgendetwas. Zum Beispiel werden dann die Kosten für die Leiharbeiter mit eigenen Personalkosten verglichen. Dieser Benchmark soll argumentieren, warum die Ausgliederung oder die Leiharbeiter billiger sind. Und hier wird es insofern knifflig, als das Unternehmen die Möglichkeit hat, die Basiszahlen für die Berechnung selber festzulegen. Und da bin ich im Rahmen meiner Tätigkeit mehr als einmal draufgekommen, dass man sich diese Basiszahlen sehr genau anschauen muss. Wenn bei einem der Benchmarks eine Kleinigkeit vergessen wird, schaut das Ergebnis gleich ganz anders aus. Da sollte einmal ein Call-Center ausgelagert werden - in ein eigens gegründetes Tochterunternehmen, das dann nach dem Gewerbe-Kollektivvertrag entlohnt. Die Gehaltstafel ist natürlich im Gewerbe viel niedriger; allerdings hat das Gewerbe Normalarbeitszeiten von 8 Stunden - ev. mit Gleitzeit auf 9 oder 10 Stunden ausdehnbar – aber sicher nicht auf 12 Stunden Normalarbeitszeit wie im alten KV des Stammbetriebs. Das selbe mit dem Wochenende. Der Gewerbe-KV geht nicht von Wochenendarbeit aus – sprich Sonntag wird nicht gearbeitet oder es gibt horrende Zuschläge – im Stammbetrieb wäre das Wochenende in der Schicht normal. Ein unsauberer Vergleich seitens des Unternehmens würde eindeutig ergeben, dass die Auslagerung billiger ist – ein ernsthafter Vergleich unter Anwendung des rechtlichen Rahmens, macht das zumindest fraglich.“

Innerhalb der Kennzahlen-Logik werden Zahlen als „gute“, „weniger gute“ oder „schlechte“ bewertet. Die Benchmark-Ziele wurden erfüllt, übererfüllt oder „leider nicht erreicht“. Es muss also immer bestimmt werden, was die Zahlen aussagen sollen. Die Interpretation der Benchmarks sollte dabei möglichst nachvollziehbar sein. Im Verkauf führt das beispielsweise dazu, dass MitarbeiterInnen, deren KundInnen Aufträge – aus welchen Gründen auch immer – stornieren, mit „schlechte Kundenqualität“ klassifiziert werden. Diese Klassifizierung wiederum wirkt sich in manchen Fällen unmittelbar auf die Prämie aus. Kennziffern haben offiziell den Zweck, zu innerbetrieblichen Verbesserungen beizutragen. Die Ziffer alleine führt aber noch nicht zu Verbesserungen, sie muss umgesetzt werden (in der Wissenschaft spricht man hier von der Operationalisierung). Erst mittels an bestimmte Ergebnisse gekoppelter realer Maßnahmen können Verbesserungen erreicht werden. Die Ergebnisse des Benchmarking-Prozesses werden meist so interpretiert, dass es erforderlich sei die Produktivität (und damit bei Börse notierten Unternehmen den Marktwert) zu steigern. Klassischer Weg dahin ist es, mehr Umsatz pro Beschäftigtem/r zu erzielen oder denselben Umsatz mit weniger Beschäftigten zu erzielen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 14

07.03.2012 10:36:00


15

In einem Versicherungsunternehmen wurde vor der Einführung neuer Benchmarks nur gemessen, wie viele Produkte pro MitarbeiterIn im Jahr verkauft wurden und wie hoch die vom Kunden/von der Kundin bezahlte Prämie war. Am Jahresende stand fest, dass jene MitarbeiterInnen mit 1.000 KundInnen und einem Prämienvolumen von 3 Mio. Euro eine Prämie ausbezahlt bekommt. Viele Mitarbeiter haben jahrelang kaum Lebensversicherungsprodukte verkauft, weil deren Beratung intensiv ist und davor sehr viele steuerrechtliche Schulungen absolviert werden mussten. Durch die Wirtschaftskrise ist der Verkauf von Lebensversicherungsprodukten eingebrochen, also hat man den MitarbeiterInnen besondern im Bereich Lebensversicherungsprodukte viele Ziele verordnet, indem man sie als Benchmarks definiert hat. Die Schulungen waren plötzlich voll, viele haben es dennoch nicht geschafft, diese komplizierten Produkte an die Kunden zu bringen und haben keine Prämien ausbezahlt bekommen, obwohl sie gutes Geld für die Versicherung ingebracht hatten mit ihren Kundenstöcken die insgesamt mehr als 3 Mio. Euro an Prämien zahlten.

Bei der Umsetzung der Ergebnisse legen Vorgesetzte oft eine falsch verstandene Transparenz an den Tag. Die Bewertungen der einzelnen ArbeitnehmerInnen werden mitunter in aller Öffentlichkeit dargestellt. Diese Vorgehensweise ist aus datenschutzrechtlichen Gründen völlig unzulässig.

Führungskräfte in einem multinationalen Konzern hofften, einen Motivationsschub unter ihren MitarbeiterInnen auslösen zu können, indem sie firmeninterne Benchmarks bezogen auf die einzelnen Personen ausdruckten, sodass alle ihnen unterstellten MitarbeiterInnen namentlich und mit einem Punkt darauf abgebildet waren. Diese Blätter haben sie dann in den Pausenräumen und Teeküchen aufgehängt und gehofft, dass die erfolgreichen Mitarbeiter Druck auf die Erfolglosen ausüben würden. So war für alle einsichtig, wer in diesem Jahr wie viele Versicherungen verkauft hatte. Plötzlich war aber ein Großteil der Mitarbeiter im roten Bereich (Wirtschaftskrise) und hat demotiviert aufgeben. Auf Einspruch der Betriebsrätin wurden die Bögen wieder entfernt. Es wurde mit der Geschäftsleitung vereinbart, dass die Benchmarks nicht weiter zur öffentlichen Bloßstellung von KollegInnen missbraucht werden durften.

Wenn Verbesserungen tatsächlich in der Unternehmenskultur und -struktur bleibend ankommen sollen muss nachgesehen werden, welche Wirkung damit erzielt wurde. Es fehlt aber oft an genau dieser Evaluierung der Maßnahmen, die mit den Benchmarks begründet werden. Es kann also nicht gesichert behauptet werden, ob die gelungenen oder misslungenen Versuche von Verbesserungen tatsächlich auf die durchgeführten Maßnahmen zurückzuführen sind. Sind die Krankenstände tatsächlich wegen der neu eingeführten Gesundheitsprojektes zurückgegangen oder wagt niemand mehr in Krankenstand zu gehen, weil dann Kündigungen befürchtet werden? Wurde das Arbeitsklima in der Abteilung XY tatsächlich verbessert durch die Versetzung eines Kollegen/einer Kollegin? Oder war die Versetzung am Ende gar unnötig und hat außer einem Verlust an Zeit und Nerven nichts gebracht? Dann müsste man sich nächstes Mal wohl besser eine andere Maßnahme überlegen. Fehlt die Evaluierung der aus den Benchmarks abgeleiteten Maßnahmen, dann wird dieser Unsinn nicht gestoppt. Die Erfassung von Kennzahlen braucht Zeit. Die Entwicklung von Konsequenzen aus den Kennzahlen ebenfalls. Oft fehlt aber die Zeit – insbesondere beim letzten Schritt, der eingehenden Evaluierung der Maßnahmen, die aus den Kennzahlen abgeleitet wurden.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 15

07.03.2012 10:36:00


16

4.

4.1.

AkteurInnen

ArbeitnehmerInnen

Diejenigen, die die Zahlen zu liefern haben, diejenigen, über die die Zahlen etwas aussagen, das sind die Beschäftigten. Ihre „Leistung“, ihr „Engagement“, ihr „Beitrag zum Unternehmenserfolg“ sollen nach für alle gültigen, also scheinbar „objektiven“ Kriterien gemessen werden. Dass die Festlegung der Kriterien für die Benchmarks und ihre Gewichtung nicht zwangsläufig objektiv ist – so es sich bei der Objektivität nicht generell um einen Mythos handelt – wurde bereits in dieser Broschüre bezweifelt. Jedenfalls sind die Beschäftigten diejenigen, die am meisten von der Einführung neuer Kennzahlen betroffen sind. Die KollegInnen geraten bei der „Jagd nach der besten Benchmark“ unter Druck, gerade jene Aufgaben in den Vordergrund zu stellen, die in der Benchmark gewertet werden. Wird in der Benchmark das Verhalten gegenüber KundInnen gemessen (zB Freundlichkeit, Entgegenkommen) werden die Beschäftigten eben diese Verhaltensweisen in den Vordergrund ihrer Tätigkeit stellen, um „gute Ergebnisse“ zu erzielen. Ist die vordergründige Zahl eine Verkaufsziffer, müssen möglichst viele Produkte oder Dienstleistungen verkauft werden. In einer Bank führte diese Praxis zu folgendem Ausspruch einer Betriebsrätin: „Die Mitarbeiterinnen verkaufen Produkte, die sie nicht verstehen und die sie selbst nicht gut finden an Kunden, die diese Produkte eigentlich gar nicht wollen.“ Rolf Bühner, der sich mit dem Thema Mitarbeiterführung durch Kennzahlen in seinem Buch auseinandergesetzt hat, kommt zu dem Schluss, dass Kennzahlen die für die MitarbeiterInnen unverständlich und daher nicht umsetzbar sind, wenig wert sind. Daher empfiehlt er: „Ein (…) Konflikt zwischen Genauigkeit und Verständlichkeit [von Kennzahlen] sollte stets zugunsten der Verständlichkeit gelöst werden, denn nur wenn der Mitarbeiter die Kennzahl versteht, kann er sein Handeln und Verhalten danach ausrichten. (…) Kennzahlen sind keine Wunderwaffe, um unternehmerisches Handeln zu leiten. Vielmehr kommt es auf den richtigen Umgang mit Kennzahlen an. Sie sind stets verdichtete Informationen, um relativ rasch die interessierenden Sachverhalte auf den Punkt zu bringen. Dadurch kann es zu Informationsverlust kommen.“ (Rolf Bühner 2000, S. 36)

4.2.

Geschäftsführung

Viele Führungskräfte haben Merksätze wie „Veränderung erfordert messen“ (Zitat aus dem bereits erwähnten Buch von Rolf Bühner zur Mitarbeiterführung) oder „Führen heißt Zahlen entwickeln.“ (Zitat einer Personalentwicklerin) internalisiert. Man kann es sich nicht mehr anders vorstellen, als dass Messzahlen die Grundlage jeglicher Objektivität, Vergleichbarkeit und Transparenz sind. Den Zahlen wird „immerwährende Neutralität“ zugesprochen. Diese Denkweise führt dazu, dass die Geschäftsführung nicht mehr die Verantwortung für ihr Handeln direkt übernimmt. Es wird aufgrund der – möglicher Weise von externen Beratungsunternehmen (vgl. Kapitel 4.3) – ermittelten Benchmarks gehandelt und nicht aufgrund einer selbst getroffenen Entscheidung oder aufgrund einer auf sorgfältigem Überlegen basierenden Überzeugung. Letztere wäre diskutierbar, der Betriebsrat/die Betriebsrätin könnten sich mit ihrer Meinung dazu äußern und die Entscheidung gut oder weniger gut heißen. Mit Zahlen lässt es sich schlecht diskutieren.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 16

07.03.2012 10:36:00


17

Damit bei der Interpretation der Zahlen die ArbeitnehmerInnen nicht im Nachhinein durch diesprichwörtlichen Finger schauen, wäre es gut, vorher die Konsequenzen der Messungen festzulegen. Ab welchem Wert, ab welcher Zahl werden welche Maßnahmen gesetzt? Das wäre eine sehr wesentliche Frage im Zusammenhang mit Benchmarks. Benchmarking, also die Messung von Arbeitsergebnissen mittels Zahlen, soll das Unternehmen zu mehr Erfolg führen. Das Benchmarking ist dabei oft nur ein erster Schritt, um spezielle Managementmethoden einzuführen. Häufig folgt dem Benchmark-Verfahren die Einführung von Steuerungssysteme (zB das sogenannte Risk-Management oder das Ampelsystem, bei denen MitarbeiterInnen aufgrund ihres hohen „Risikos“, das elektronisch berechnet wurde, der Ausstieg aus der Firma inklusive Vorwarnsystem geboten wird).

Google arbeitet beispielsweise mit einem Algorithmus, der die Wahrscheinlichkeit berechnet, wann ein Mitarbeiter das Unternehmen verlassen möchte. Nachdem 2009 mehrere hochqualifizierte Mitarbeiter zur Konkurrenz (namentlich twitter, facebook und AOL) gewechselt waren, sah das Management Handlungsbedarf. Aufgrund der bereits vorliegenden Erfahrungen mit MitarbeiterInnen, die das Unternehmen verlassen haben, wird vorausschauend berechnet, wer wann ähnliche Ambitionen entwickelt. Aus personenbezogenen Daten, wie Alter, Ausbildung, Antworten auf Mitarbeiter-Fragebögen zur Zufriedenheit, Vorgesetzten-Beurteilungen (und böse Zungen behaupten, dass auch das Surf-Verhalten im Internet dabei ausgewertet wird) kann mit relativ hoher Vorhersagekraft die Bindung der MitarbeiterInnen zum Unternehmen berechnet werden. Den Betroffenen kann das Management dann entweder mit der Kündigung zuvorkommen oder sie mit besonderen Anreizen zum Bleiben „überreden“. Der Personalchef Lazlo Bock gab in einem Interview 2009 an: „Unser Ziel ist es, in die Köpfe unserer Mitarbeiter zu schauen – und das, noch bevor diese selbst realisiert haben, dass sie Google verlassen wollen.“ Um die eigene Investition in eine externe Beratungsfirma rechtfertigen zu können, ist mitunter die Geschäftsführung „gezwungen“ einzelne „Verbesserungs“-Vorschläge umzusetzen – auch dann, wenn er/sie nicht von den Maßnahmen überzeugt ist, sie gegenüber dem Vorstand aber begründen muss.

4.3.

Beratungsfirmen

4.3.1. Exkurs zu Vergangenheit und Gegenwart von Unternehmensberatung Erste Unternehmensberatungen finden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA, wobei es dabei vorrangig um Rationalisierung, Leistungssteigerung und Optimierung der Arbeitsabläufe in Produktionsbetrieben ging. In Einklang mit dem damals herrschenden Ethos des Taylorismus (vgl. Kapitel 1), regten die Berater an, wie die ArbeiterInnen noch besser an den Arbeitsrhythmus der Maschinen angepasst werden können. Seit sich in den 1920er Jahren die „Human-Relations-Schule“ (vgl. Kapitel 1) entwickelt hat, ist auch der Beratungsfokus in Richtung der ArbeitnehmerInnen gewandert. Effizienzsteigerung in der Produktion sollte mit sozialen Maßnahmen (zB Kantinen) erreicht werden. Sicher nicht zufällig blühte die weltweit größte Beraterfirma McKinsey in den 1930er Jahren in den USA auf. Zu dieser Zeit hatten dort die Gewerkschaften starken Einfluss.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 17

07.03.2012 10:36:00


18

Erste Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates konnten in den USA durchgesetzt werden. Um derartigen Entwicklungen entgegenzuwirken und den Kostenbeitrag von Unternehmen zu sozialen Einrichtungen möglichst gering zu halten und gleichzeitig satte Gewinne einzufahren, wurden McKinsey und Co von den Unternehmern in die Betriebe geholt. Die 1960er und 1970er Jahre wiederum waren geprägt von Beratungsthemen, die stärker auf das Umfeld der Firmen gerichtet waren (zB Marketing, Unternehmensstrategie und Kundenorientierung). Die Produktentwicklung ist ab den 1980er Jahren zusammen mit der Organisationsentwicklung ins Tätigkeitsfeld geraten. Mit dem Einzug der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in beinahe jedes Unternehmen, werden seit den 1950er Jahren vermehrt Beratungsleistungen zur automatisierten und technischen Betriebsführung angeboten, wobei dieses Thema in den 1990ern seinen Höhepunkt erlebt hat. Im europäischen Raum ist die Beratungsbranche erst in den 1970er Jahren nennenswert aktiv geworden – zu einem Zeitpunkt als sich vermehrt us-amerikanische Konzerne in Europa niederließen. Dass Unternehmensberatungen im angelsächsischen Raum wesentlich aktiver, einflussreicher und dominanter als in Kontinentaleuropa waren, liegt auch daran, dass die stark liberalisierte Wirtschaft in den USA und Großbritannien die Entwicklung von Beratungsunternehmen fördert, wohingegen die stärker reglementierte und unter sozialpartnerschaftlichem Einfluss stehende Form des Kapitalismus in Deutschland oder Österreich den Wettbewerb doch etwas weniger stark anheizt. Wo der Konkurrenzdruck höher ist, ist der von der Beratung erhoffte „Vorsprung“ wichtiger. Die weltweit bekanntesten Beratungsunternehmen, wie die anfänglich auf Wirtschaftsprüfung fokussierten „Price Waterhouse Coopers (PwC)“, die anfangs auf klassische Unternehmensberatung spezialisierten „McKinsey“ und „Deloitte“ oder die erst seit den 1990er Jahren in Europa nennenswert tätige Anwaltskanzlei „Freshfield Bruckhaus Deringer“ beschäftigen weltweit bis zu 170.000 MitarbeiterInnen, sind also selbst internationale Konzerne. In den großen Unternehmensberatungen arbeiten typischer Weise junge, männlich Beschäftigte unbefristet und auf Vollzeit, wie eine deutsche Studie 2004 feststellte.3 Es sind diese Beratungs-Konzerne, die wiederum große weltweit agierende Konzerne beraten und damit immer wieder in die – eher negativen – Schlagzeilen geraten. Am meisten Wellen erzeugte in den letzten Jahren der Fall des privatisierten us-amerikanischen Energiekonzerns „Enron“, bei dem zwar tausende Angestellte ihre Arbeit und damit auch gleich ihre Pensionsvorsorge verloren, die die Enron beratenden Unternehmen aber bis heute ungeschoren geblieben sind. Auch in Europa sind die Beratungs-Großunternehmen nicht so unabhängig, wie auf ihren Homepages zu lesen ist. Die Unabhängigkeit wird dadurch schwer beeinträchtigt, dass sie a) von den Auftraggebern – nicht zu knapp – bezahlt werden und b) dass nicht selten weitere enge finanzielle Verflechtungen jeglicher Art zwischen Prüfer und Geprüften, Berater und Beratenen bestehen (zB in Form von Aktien, Krediten, exklusiven Jagd- und Jachturlauben, etc.). Mittlerweile sind die Beratungs-Multis nicht nur mit dem ursprünglichen Geschäft der Beratung befasst, sondern haben auch Aufgaben der Wirtschaftsprüfung, Treuhandverwaltung, Rechtsberatung oder Steuerberatung übernommen. Nicht selten ergibt sich daraus für einzelne BeraterInnen die Tätigkeit als Lobbyist oder Public-Relations-Manager – Synergieeffekte sozusagen. Werner Rügemer schreibt in seinem Artikel über die „Berater-Demokratur“, dass drei Viertel aller Wirtschaftsprüfer gleichzeitig Steuer- und Vermögensberater sind.

3 Hedwig Rudolph und Jana Okech (2004): Wer andern einen Rat erteilt… Wettbewerbsstrategien und Personalpolitik von Unternehmensberatungen in Deutschland. Berlin

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 18

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

19

Der Autor beschreibt das Leitbild der großen Berater-Multis: „Das McKinsey-Konzept besagt: Mehr Gewinn mit weniger Personal.“ In der Praxis bedeutet das laut Werner Rügemer: „McKinsey hat wesentlichen Anteil an der Herausbildung des typischen US-Unternehmensmodells, das auf der möglichst weitgehenden Externalisierung (Verlagerung nach außen) der Produktionskosten auf die ‚stakeholder' beruht, also auf die Arbeiter und Angestellten, auf die Umwelt sowie auf die jeweiligen Standorte, die Kommunen und den Staat.“ In Österreich ist die Branche – wie alle anderen auch – eher klein- und mittelständisch strukturiert. Laut dem Fachverband für Unternehmensberatung und Informationstechnologie (UBIT) in der Wirtschaftskammer Österreich gab es 2011 in Österreich 38.760 Unternehmensberatungen (inklusive IT-Dienstleistungen) mit 64.515 Beschäftigten. Die Statistik Austria gibt in ihrer beruflich etwas differenzierteren Statistik 10.941 Unternehmensberatungen für 2008 in Österreich an sowie 6.694 Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsfirmen, wobei in beiden Bereichen 90% der Firmen nur ein bis neun MitarbeiterInnen beschäftigen. Aus beiden Quellen kann man schließen, dass der Anteil der Ein-Personen-Unternehmen sehr hoch ist. Dennoch ist zwischen 2009 und 2010 der Beschäftigtenstand bei Unternehmensberatungsfirmen um 7% gewachsen (UBIT 2011). Nach den Sparten „Gewerbe und Handwerk“ und „Handel“ rangiert die Unternehmensberatung bereits auf Platz drei bei den Beschäftigtenzuwächsen, was die auffällig stark zunehmende Bedeutung dieser Branche zeigt. Kleine Unternehmensberatungsfirmen arbeiten oft mit MitarbeiterInnen auf Honorarbasis um Spitzenzeiten abzudecken und beraten hauptsächlich klein- und mittelständische Unternehmen. Große Unternehmen heuern auch große Beraterfirmen für ihre Zwecke an, wobei 2008 in Österreich ganze 24 Beratungsunternehmen mehr als 50 MitarbeiterInnen beschäftigten (Statistik Austria 2011). Die Berufsbezeichnung Unternehmensberatung alleine sagt wenig über die Qualität der Beratung aus. Eine einschlägige Ausbildung ist nicht Grundvoraussetzung. Österreichische UnternehmensberaterInnen haben zu vier Fünftel ein Hochschulstudium abgeschlossen (zB Betriebswirtschaftslehre, Psychologie oder Pädagogik aber auch Studienrichtungen wie Physik, Mathematik und Medizin sind vertreten). Es gibt ferner verschiedene Ausbildungswege an Fachhochschulen, dem Berufsförderungsinstitut (BFI) oder dem Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI). Eine allgemein anerkannte Grundvoraussetzung existiert allerdings nicht. Der Gewerbeschein für eine Unternehmensberatung kann auf drei verschiedenen Wegen gelöst werden: a) Mit dreijähriger praktischen Erfahrung in dem Beruf, b) mit einer UnternehmensberaterInnen-Prüfung oder c) einem akademischen Abschluss in Rechts- oder Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften.

Die Unternehmensberatung ist nach ihrer rechtlichen Zuordnung zwar ein so genannter „reglementierter Beruf“ (§94 Z 74 GewO), unterliegt aber alles in allem keinen sehr strengen Auflagen. Unternehmensberatung ist kein gesetzlich anerkannter Beruf. Es gibt nur rudimentäre gesetzliche Regelungen dafür, was bei der Ausübung dieses Berufs zu beachten ist. Europaweit gesehen handelt es sich eher um eine stark heterogene Branche, die keine oder kaum gemeinsame Interessen vertritt. Österreich hat insofern eine Sonderstellung in der europäischen Beratungsbranche als ein Gewerbeschein erforderlich ist, um sich in der Unternehmensberatung selbständig machen zu können.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 19

07.03.2012 10:36:00


20

Kolumnentitel

4.3.2. Hilfe, die BeraterInnen kommen – zur Praxis der Unternehmensberatung

„Bei uns in der Firma wurde vor einiger Zeit ein Effizienzsteigerungeprogramm eingeführt. Dazu wurde eine Beraterfirma engagiert, die die Firma durchleuchtete. Die Berater erhoben, wie viele MitarbeiterInnen bei uns mit bestimmten Tätigkeiten befasst sind, also wie viele zB Controlling-Aufgaben erledigen, wie viele Assistenztätigkeiten, operatives Geschäft, Abwicklung etc. Dazu mussten die MitarbeiterInnen bzw. die Führungskräfte Beschreibungen ihrer Tätigkeiten abgeben („Leistungsscheine“). Das Ergebnis wurde dann mit einer Branchen-Benchmark verglichen. Dabei kam dann zB heraus, dass in der Abwicklung bei uns X MitarbeiterInnen zu viel sind, im Controlling Y MitarbeiterInnen zu viel etc. Unsere Frage, wie die Benchmarks zustande kommen, mit wem wir also verglichen wurden, wurde nur mit „Betriebsgeheimnis der BeraterInnen“ beantwortet. Als nächster Schritt wurden Projekte definiert, die Verbesserung von Abläufen, verstärkte Automatisierung und bessere technische Ausstattung bringen sollten. Nach positiver Beendigung der Projekte sollten dann Mitarbeiter-Kapazitäten „frei werden“, dh Personalabbau durchgeführt werden. Daher haben wir eine BV nach § 109 ArbVG abgeschlossen, die einerseits einen Sozialplan beinhaltet, andererseits aber auch genau festlegt, dass bestimmte Jobs erst nach positiver Evaluierung der Projekte abgebaut werden dürfen. Unsere Sorge war nämlich, dass einfach Personal abgebaut wird, ohne dass es zu Verbesserungen in den Abläufen und der Arbeitsorganisation kommt. Besonders spannend war es für mich, als ich auf einem BR-Vernetzungstreffen einen Betriebsrat aus der gleichen Branche aber von einem anderen Konzern traf und wir über die anstehenden Themen in unseren Firmen sprachen. Er erzählte mir von einem „Effizienzsteigerungsprogramm“, das bei ihnen gerade gestartet wurde. Dazu wurde eine Beraterfirma engagiert, …“

Beraterfirmen verkaufen ihre speziell entwickelten Benchmark-Systeme. In die Berechnungen der betrieblichen Kennziffern fließt gesammelte Beratungserfahrung aus anderen Betrieben ein. Würden Beraterfirmen ihre Methoden offen legen, wären sie ihren – zumindest behaupteten – Vorsprung gegenüber den Konkurrenzunternehmen los. Daher sind die Berechnungen geheim. Mit der Entstehungsgeschichte für die Benchmarks wird nicht herausgerückt. Zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Beurteilten oder deren Interessensvertretung trägt das nicht bei. UnternehmensberaterInnen werden oft als ÜberbringerInnen schlechter Nachrichten missbraucht, wenn sich die Geschäftsführung nicht selbst der Kritik der MitarbeiterInnen aussetzen möchte. Hubert Eichmann und Ines Hofbauer formulieren es in ihrer Studie über die Beratungsunternehmen in Österreich so: „Offiziell kaufen Klienten von Beratung fehlendes Know-how ein oder fragen die Analyse der aktuellen Situation nach. Inoffiziell kann es auch um die reine Legitimation von (ansonsten) schwer durchsetzbaren) Entscheidungen gehen.“ Diesen Erfahrungen ist es zu verdanken, dass die BeraterInnen bei der Belegschaft kaum Vorschusslorbeeren erhalten. Mitunter wird Unternehmen von Seiten der KundInnen vorgeschrieben, welche Beraterfirmen hinzuzuziehen sind um beispielsweise Produktionsprozesse zu durchleuchten und festzustellen, ob die gewünschte Qualität auch tatsächlich garantiert werden kann. Mitunter werden Beraterfirmen nur dann bezahlt, wenn sie tatsächliche Kosteneinsparungen lukrieren. Diese Praxis ist der Beliebtheit von externen BeraterInnen nicht gerade förderlich.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 20

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

21

Die Interpretation der von den BeraterInnen entwickelten Zahlen gehört sehr wohl zum Aufgabenbereich der Geschäftsführung. Hier sollte eine klare Aufgabentrennung vorgenommen werden. Die Unternehmensberater erstellen Kennziffern, und schlagen darauf aufbauende Maßnahmen vor. Die Auswahl der geeignetsten Maßnahmen und ihre Durchführung ist dann wiederum Angelegenheit der Geschäftsführung. In der Praxis hat es sich außerdem oftmals als problematisch erwiesen, dass speziell die großen Konzerne unter den Unternehmensberatern mit immer den selben Standardtools daherkommen und zwar unabhängig davon, ob die für das spezifische Unternehmen passen oder nicht. Thomas Leif hat in seinem Buch über UnternehmensberaterInnen eine „Road Map“ veröffentlicht, die vom deutschen Bundesrechnungshof erarbeitet wurde. Der Bundesrechnungshof gibt darin Empfehlungen ab für den Umgang der Bundesverwaltung mit Unternehmensberatungen. Einige Punkte sind durchaus auch für die Privatwirtschaft von Bedeutung. In Anlehnung an diese Liste des deutschen Bundesrechnungshofes wurde folgende Checkliste zusammengestellt:

Checkliste zum Einsatz von externen BeraterInnen Bevor die BeraterInnen vom Unternehmen beauftragt werden: Im Rahmen der Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrats (§§91f ArbVG) sollten folgende Fragen an die Geschäftsleitung oder im Aufsichtsrat (§110 ArbVG) gestellt werden:  Für welches Projekt/welche Projekte (zB Umstrukturierungsprozesse, Einführung neuer Abläufe und/oder neuer IT-Produkte, Konfliktlösung, Leitbildentwicklung, etc.) sollen BeraterInnen engagiert werden?  Was ist die genaue Zielsetzung dieser Projekte?  Kann die Leistung nicht auch firmenintern erbracht werden? „Das Know-how ist meistens vorhanden, doch es fehlt an Flexibilität und Führungsfähigkeit.“ schreibt Thomas Leif (Leif 2006: 256) und schlägt vor, MitarbeiterInnen aus anderen Bereichen für zeitlich begrenzte Projekte an jenen Stellen einzusetzen, wo ihr Know-how gebraucht wird und genutzt werden kann.  Welche Kosten würden bei interner Beauftragung entstehen? Welche bei Beauftragung einer Beraterfirma?  Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl der Beraterfirma? bitte umblättern >>

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 21

07.03.2012 10:36:00


22

Kolumnentitel

In der Phase der Gestaltung des Beratungsvertrags sollten zur Klarheit bestimmte Inhalte des Vertrags definiert werden, die der Betriebsrat hinterfragen bzw. in den Vertrag hineinreklamieren kann:  Was ist das Ziel der Beratung? Was passiert, wenn die Beratung nicht zum gewünschten Ziel führt bzw. vorzeitig abgebrochen wird?  Welche Leistung soll erbracht werden? Klare Indikatoren helfen hier um kontrollieren zu können, ob die vereinbarte Leistung tatsächlich erbracht wurde.  In welchem zeitlichen Umfang soll die Beratung erfolgen?  Wie werden die Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrats in der Projektphase gelebt (Implementierung von Feedback-Schleifen mit dem BR als Pflicht der BeraterInnen definieren)?  Bei Projekten, die Datensammlungen benötigen: Gibt es eine Erklärung der Beraterfirma zum Umgang mit Mitarbeiterdaten?  Verpflichtung zur Offenlegung der Bewertungskriterien: Die verschiedenen Alternativen und Lösungsvorschläge, die von den BeraterInnen für betriebliche Veränderungsprozesse vorgeschlagen werden, sind aufzulisten, sodass eine transparente Bewertung ermöglicht wird. Nur wenn diese Transparenz auch für den Betriebsrat/die Betriebsrätin gegeben ist, so besteht für ihn/sie die Möglichkeit, seine/ihre eigenen, eventuell abweichenden Empfehlungen zu argumentieren.  Verpflichtung, dass die Ergebnisse der Beratung firmenintern, von den eigenen MitarbeiterInnen umgesetzt werden können – ohne weitere fremde Hilfe und Folgeaufträge für die externen BeraterInnen. Wie diese Punkte am besten geregelt werden, sodass es für alle Beteiligten Sinn macht, kann in einer Betriebsvereinbarung gemeinsam mit der Geschäftsführung festgelegt werden. Das Arbeitsverfassungsgesetz (§97 Abs 1 Z 6 ArbVG) sieht nämlich vor, dass „Maßnahmen zur zweckentsprechenden Nutzung von Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln“, und als solche können Kennzahlen-Systeme interpretiert werden, in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden können. Unter Umständen kann man sich – je nach dem Ziel der Beratung bzw. des Projekts – auch auf § 109 Abs. 1 ArbVG berufen „Mitwirkung bei Betriebsänderungen“, zu denen zB auch die Einführung neuer Arbeitsmethoden oder von Automatisierungsmaßnahmen zählen. In so einer Betriebsvereinbarung kann auch geregelt werden, dass Maßnahmen, die die MitarbeiterInnen betreffen, erst nach dem erfolgreichen Abschluss des Projekts getätigt werden dürfen. Die Kriterien zur Evaluierung dieses erfolgreichen Abschlusses können in der BV gleich geregelt werden.

4.4.

BetriebsrätInnen

Ein alt bewährtes Instrument, um sich in betriebliche Abläufe einzumischen, ist die Betriebsvereinbarung. Generell kann sich die betriebliche Interessensvertretung in fast jedem Fall der Kennzahlenermittlung einmischen, da die Mitbestimmungsrechte im Arbeitsverfassungsgesetz bei „Systemen zur Ermittlung, Verarbeitung und Übermittlung von personenbezogenen Daten der Arbeitnehmer“ gegeben sind (§96a ArbVG). Sofern also Daten der ArbeitnehmerInnen mit in die Kennzahlen-Ermittlung einfließen und sofern das auf Basis einer gewissen Systematik – und nicht völlig willkürlich – der Fall ist, kommen die Mitbestimmungsrechte der BetriebsrätInnen zum Tragen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 22

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

23

In der Betriebsvereinbarung können folgende Inhalte geregelt werden: Die Kennzahlen-Systeme müssen gemeinsam erarbeitet werden. Egal, ob bereits vorhandene standardisierte Mess-Methoden zur Anwendung kommen oder innerbetriebliche neue Messzahlen erarbeitet werden, wäre es – auch für die Akzeptanz des Systems unter den ArbeitnehmerInnen und damit dessen Umsetzung in den Arbeitsprozess – vorteilhaft, die Betroffenen in die Entscheidungen mit einzubeziehen. Die Kennzahlen müssen transparent für die Beschäftigten sein, ihre Erhebung muss nachvollziehbar sein und die Auswertung darf nicht auf kryptischen Formeln beruhen. Die Privatsphäre der ArbeitnehmerInnen muss geschützt werden. Das kann über mehrere Wege bewerkstelligt werden:  anonyme Datenerfassung  sparsame Datenerfassung, das „kleinste Übel“ kommt zum Einsatz  technische Sicherheit für die erfassten personenbezogenen Daten

Das Befüllen der Kennzahlen-Systeme, das Eintragen von erbrachten Leistungen, die Eingabe von Qualifikationen oder das Beschreiben von Ereignissen die für das Reporting „benötigt“ werden, sollte so weit als möglich den Beschäftigten selbst überlassen sein. Positiv ist, wenn in der BV festgehalten wird, dass sich die Betroffenen selbst einschätzen können und beispielsweise ihre „skills“, ihre Qualifikationen und Fähigkeiten, bewerten können. Regelmäßige Schulungen zur Handhabung der Systeme müssen vereinbart werden. Der Einsatz der Mess-Systeme darf keine Auswirkung auf das Einkommen haben – vorausgesetzt sie dienen nicht dezidiert dazu beispielsweise ein variables Leistungsentgelt zu regeln, was dann in einer eigenen BV geregelt werden muss. Die ermittelten und gespeicherten Daten müssen zu gegebenem Zeitpunkt wieder gelöscht werden. Üblicher Weise erfassen Kennzahlen Systeme die Zahlen der vergangenen Geschäftsperiode und ermitteln daraus Zukunftspläne für die nächste Geschäftsperiode. Länger als ein bis zwei Perioden müssten die Daten daher nicht aufgehoben werden – außer in anonymisierter Form für statistische Zwecke. Wird trotz gesetzlicher Verpflichtung dazu keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, bleibt immer noch der Gang vor das Arbeits- und Sozialgericht, von dem die Anwendung eines Messsystems untersagt werden kann. Der Betriebsrat kann also durchaus ein System, das personenbezogene Daten der MitarbeiterInnen erfasst, verhindern. Bei besonders haarsträubenden Kennzahlen-Ermittlungen, hat es sich auch schon bewährt, eine Befragung zu boykottieren. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber ein Weisungsrecht gegenüber den ArbeitnehmerInnen hat – soweit die Befragung das Arbeitsverhältnis betrifft. Sollte die Befragung allerdings über den Arbeitszusammenhang hinausgehen und zum Beispiel die Beurteilung von gleichgestellten KollegInnen oder persönliche politische Einschätzungen abfragen, wäre das vermutlich sittenwidrig und würde jedenfalls gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 23

07.03.2012 10:36:00


24

Kolumnentitel

Der Betriebsrat/Die Betriebsrätin kann also das Befüllen von Fragebögen nicht generell unterbinden, sondern muss diese Vorgehensweise begründen. Zum Beispiel mit dem Argument, dass kein unmittelbarer Bezug zum Arbeitsverhältnis vorliegt oder dass die Befragung zu sehr den Privatbereich der Belegschaft betrifft. In einer Betriebsversammlung kann der Betriebsrat/die Betriebsrätin die Gründe für die Nicht-Befüllung des Fragebogens den Beschäftigten auseinandersetzen; beispielsweise dass die ausgegebene Umfragen wenig hilfreich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist, dass die Anonymität nicht gewährleistet ist, dass die Mitspracherechte der Belegschaftsvertretung nicht gewahrt wurden, etc. und die Belegschaft dazu auffordern, die Befragung zu ignorieren. Bevor Veränderungen mit Hilfe von Kennzahlen in Angriff genommen werden, wird in der Regel einmal der gegenwärtige Zustand des Betriebs erfasst – irgendwo muss schließlich die Basis für die ganzen Messungen angesetzt werden. Der Ist-Stand wird häufig mittels Umfragen erfasst. Ist einmal beispielsweise von „Leistungsscheinen“ die Rede, ist der Benchmark meist nicht mehr weit. Wird im Betrieb der „Leistungsschein“ verteilt, sollten die Alarmglocken läuten – Handeln ist die Devise. Der Betriebsrat sollte sich rasch einen Termin mit der Geschäftsführung ausmachen, bei dem er Informationen zu den geplanten Maßnahmen fordert. Was genau ist geplant? In welchem Bereich soll der Leistungsschein ausgefüllt werden? Erfahrungsgemäß soll nämlich in dem Bereich Personal gespart werden, in dem der Leistungsschein eingesetzt wird. Sensibilisierte MitarbeiterInnen können den/die Betriebsrat/Betriebsrätin darauf aufmerksam machen, wenn mit neuen Umfragen, Tests und Ähnlichem Zahlen im Betrieb erfasst werden. Um diese Informationsquelle ausschöpfen zu können, kann der Betriebsrat den Beschäftigten folgenden Fragen zur Verfügung stellen (zB in einer Betriebsversammlung, einer schriftlichen Info, der BR-Zeitung,…).

Fragen eines/r mitdenkenden ArbeitnehmerIn  Weiß ich wozu diese Umfrage dient? Fragen Sie in der Geschäftsführung/der Personalabteilung, wozu die Umfrage dienen soll.  Sind die Antworten tatsächlich anonym? Wenn nicht, ist das schleunigst von dem/der Betriebsrat/Betriebsrätin zu veranlassen.  Geben Sie keine Antworten, die Rückschlüsse auf ihre Person zulassen.  Tritt so etwas häufiger auf, regen Sie beim Betriebsrat eine Betriebsversammlung an, um die Belegschaft für diese „Datenschnüffelei“ zu sensibilisieren

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 24

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

25

Ein Betriebsrat berichtet: „Wir dachten, betriebliche Kennzahlen und im Besonderen Zielvereinbarungen seien für MitarbeiterInnen von Sozialversicherungsträgern kein vorrangiges Thema. Sozialversicherungsträger sind keine Unternehmen, die primär auf Gewinnerwirtschaftung ausgerichtet sind. Im Vordergrund steht der Gedanke der Erbringung von Dienstleistungen an die Versichertengemeinschaft und eben nicht wie hoch am Ende des Jahres die Gewinnausschüttung an Aktionäre ausfällt. Wir Betriebsräte hatten keine Informationen von der Geschäftsleitung über die Absicht, einzelnen MitarbeiterInnen Zielvereinbarungen vorzugeben. Hellhörig wurden wir erst als einige KollegInnen berichteten, dass sie von ihren Vorgesetzten Schritt für Schritt mit neuen Vorgaben, eben mit Zielvereinbarungen konfrontiert wurden. So zB wurden nach Beförderungen oder bei jährlich stattfindenden Mitarbeitergesprächen Ziele, losgelöst vom jeweiligen Aufgabengebiet, vorgegeben. Dabei wird suggestiv vorgegangen: Mit den MitarbeiterInnen wird nicht verhandelt (bzw. vereinbart), welche Ziele zu erreichen sind, sondern sie werden in Einzelgesprächen damit konfrontiert vorzuschlagen, welche „Goodies“ sie sich vorstellen können, wenn sie ein vom Vorgesetzten vorgegebenes Ziel erreichen. Mit dieser Verhandlungstechnik haben die Mitarbeiter gar keine Chance, das eigentliche Thema zu diskutieren, sondern wird eine Zustimmung zu einer Arbeitsvertragsänderung bereits als gegeben vorausgesetzt. Als Betriebsrat hatten wir einmal mehr die Erkenntnis, dass unsere Informationsrechte von der Geschäftsleitung nicht beachtet werden und der Betriebsrat wie so oft auf Hinweise der KollegInnen angewiesen ist. Von einer Betriebsvereinbarung zu diesem Thema sind wir derzeit weit entfernt. Um beabsichtigten Einzelarbeitsvertragsänderungen ohne Wissen des Betriebsrates entgegenzuwirken haben wir eine allgemeine Information für die Mitarbeiter geschrieben. Kurz zusammengefasst lautet der Inhalt:  Die Dienstordnung ist unser Kollektivvertrag, daran sind die ArbeitnehmerInnen aber auch der Arbeitgeber gebunden.  Vereinbarungen, die den Kollektivvertrag unterlaufen, sind unzulässig und ungültig.  Im Zweifel keiner Einzelvereinbarung zustimmen bzw. unterschreiben.  Den Betriebsrat über das Geschehen informieren.  Der Betriebrat ist für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zuständig.  Der Betriebsrat berät und unterstützt den Einzelnen auch in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber. Mit dieser Information haben wir das Thema Zielvereinbarungen beleuchtet. Sowohl die MitarbeiterInnen als auch die Geschäftsleitung sind sensibilisiert und eingeladen fair und in einem ausgewogenen Kräfteverhältnis offene Gespräche zu führen.“

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 25

07.03.2012 10:36:00


26

Kolumnentitel

Ausgehend von der Konzernzentrale eines Industriekonzerns wurde ein „Meinungsspiegel“ an alle europäischen Niederlassungen ausgeschickt. Darin sollte die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen erhoben werden. Nach langwierigen Verhandlungen konnte der Betriebsrat schließlich eine Betriebsvereinbarung durchsetzen. Darin ist unter anderem geregelt, dass die Daten anonym ausgewertet werden. Die einzelnen Standorte bekommen ihre Ergebnisse nicht direkt zu Gesicht, sondern erst nach Auswertung in der Zentrale. Die Auswertungen werden ausschließlich pro Bereich durchgeführt und bei großer Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation in einem Bereich werden Maßnahmen zur Verbesserung ergriffen (zB ein Workshop).

In Unternehmen mit Aufsichtsrat kann sich der Betriebsrat/die Betriebsrätin im Aufsichtsrat über die genaue Herkunft und den Sinn der Benchmarks informieren. Dabei kann folgendes Argument eingebracht werden; es ist die Aufgabe des Aufsichtsrates, den Vorstand bei der strategischen Ausrichtung und Leitung des Unternehmens zu überwachen und zu unterstützen. Der für an der Börse notierende Unternehmen verbindliche Österreichische Corporate Governance Kodex gilt über seinen direkten Anwendungsbereich hinaus als Maßstab für gute Unternehmensführung und sieht in den Regelungen Nr. 27 - 31 sehr restriktive Kriterien für die Zulässigkeit variabler Vergütungssysteme für Vorstand und leitende Angestellte vor und hält auch eine Veröffentlichungspflicht hinsichtlich der angewandten Grundsätze fest. Es empfiehlt sich im Einzelfall durchaus, den Corporate Governance Kodex als Grundlage und Referenz heranzuziehen, um die Entstehung einzelner Benchmark zu hinterfragen bzw. um zu verlangen, dass diese transparent gemacht werden. Schulungen und Trainings gehen bei komplexen Kennzahlen-Systemen (zB der Balanced-Scorecard) deren Einführung voraus. Kommt das System aber nicht kurz darauf zum Einsatz, vergisst man die Inhalte der Schulung schnell wieder. Der Betriebsrat/die Betriebsrätin kann verlangen, dass die ArbeitnehmerInnen immer wieder geschult werden. Jedes neue Benchmark-System bringt neue Begriffe mit sich. Um zu aussagekräftigen Angaben zu kommen ist es erforderlich, immer wieder zu schulen, wie die bestimmten Oberflächenmasken zu befüllen sind, wie Begriffe und Ausdrücke zu verstehen sind und wie allfällig angeführte Zahlen zu deuten sind.

Ein global agierendes Unternehmen hat seine Unternehmensstruktur in eine so genannte „Matrixstruktur“ geändert. Das heißt, dass die Leitungsfunktionen global vernetzt sind und immer weniger Entscheidungen auf nationaler Ebene gefällt werden können. Um festzustellen, wie es den in dieser neuen Matrix arbeitenden MitarbeiterInnen persönlich geht, wurde eine anonymisierte Onlinebefragung eingeleitet, „Quick Poll" genannt. Der globale Personalchef hatte diese Idee, weil er sehen wollte, wie sich vor allem die EuropäerInnen in dieser Organisationsform fühlen. Die BetriebsrätInnen wurden nicht informiert. Nicht einmal der österreichische Personalchef wusste davon. >>

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 26

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

>>

27

Die MitarbeiterInnen kamen am Montag in der Früh in die Arbeit, klickten ein „harmloses“ eMail an und

haben die Befragung – bis auf einige wenige – ausgefüllt. Die österreichische Rechtsabteilung besteht nun aber seit der letzten Umstrukturierung aus einer Person. Eben diesem Mitarbeiter kamen Bedenken, ob hier seine Privatsphäre ausreichend geschützt sei und seine Anonymität tatsächlich gewährleistet sei. Die meisten der abgefragten Abteilungen in Österreich bestanden lediglich aus 1-2 MitarbeiterInnen, sodass sofort eine persönliche Zuordnung möglich gewesen wäre. Damit wäre es zu Verstößen gegen das Arbeitsverfassungsgesetz, das Datenschutzgesetz und gegen interne Betriebsvereinbarungen gekommen. Der Mitarbeiter wandte sich an den Betriebsrat und dieser sandte umgehend ein eMail an den globalen HR-Chef, erinnerte an die Compliance-Verpflichtungen des Unternehmens und drohte mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung bei Gericht zur Einstellung dieser anonymen Befragung. Die österreichischen. BetriebsrätInnen konnten durch schnelles Reagieren, die KollegInnen in zwei weiteren Ländern dazu bewegen, die Befragungen einzustellen. (Anmerkung: Die KollegInnen in England und Irland haben die Befragung brav ausgefüllt. Das Ergebnis war, dass die MitarbeiterInnen angaben, sich durch die Arbeit in der neuen Organisationsform persönlich frustriert zu fühlen und Entscheidungen und ihre Strukturen nicht zu verstehen.) Ursprünglich war es geplant, global monatliche Befragungen durchzuführen. Mittlerweile werden diese „Quick Polls“ immer seltener, weil die befragten MitarbeiterInnen keinen Sinn darin sehen, ständig wiederkehrend, ähnliche Fragen an einen unbekannten, irgendwo in den USA sitzenden Personalchef zu beantworten und Zeit haben sie dafür wohl auch keine mehr.

Leider hat sich in der Praxis oft gezeigt, dass Benchmarks als Begründung für Personalabbau und Umstrukturierungen missbraucht werden. Wenn ein Betrieb unterhalb eines bestimmten Benchmarks liegt, müsse man leider „Personal einsparen“, wenn ein Standort unterhalb eines bestimmten Benchmarks liegt, müsse man leider „outsourcen“. Die Konkurrenz zwischen verschiedenen Standorten kann zur Konkurrenz zwischen den BetriebsrätInnen führen, von denen jeder verständlicher Weise seine eigenen Leute schützen möchte und es lieber sähe, wenn anderswo gekürzt wird. Auf Dauer wird dieses „Floriani-Prinzip“ allerdings wenig Aussicht auf Erfolg haben. Der Betriebsrat kann dem entgegenwirken, indem sich die Standorte verbünden und keiner sich gegen den anderen ausspielen lässt. Wenn man sich solidarisiert, sind gegenseitige Information und gemeinsame Fragestellungen das Um und Auf.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 27

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

28

Fragen eines kritischen Betriebsrates zum Benchmarken  Welche neuen Ideen entwickelt das Management bezüglich Messkriterien?  Welche Messungen werden hier wie da vorgenommen?  Sind externe Beraterfirmen im Haus und warum?  Wie könnte man die Erhebung beeinflussen? Welche Fragen sollten so zB nicht gestellt werden? Sollte man gemeinsam bestimmte Fragestellungen boykottieren?  Welche Ergebnisse sind am Standort bei den Messungen herausgekommen?  Welchen Sinn könnte es haben, den Benchmarking-Prozess zu „bestreiken“?

Der Betriebsrat könnte eine jährliche Evaluierung jener Maßnahmen fordern, die aus den Benchmarks abgeleitet wurden. Haben sie tatsächlich zu den geplanten Zielen geführt? Haben die Personaleinsparungen wirklich die Verkaufszahlen erhöht? Auch über einen längeren Zeitraum? Wenn nicht, dann war das vielleicht die falsche Herangehensweise?

5.

Erfahrung und Konsequenzen

Benchmark-Verfahren geben vor, Zeit zu sparen. Die automatisierte Auswertung von Arbeitsleistung suggeriert, man könne so schneller zum gewünschten Ziel kommen (zB indem das direkte Gespräch mit den Vorgesetzten durch standardisierte Fragen kürzer dauert). Die automatisiert vorgegebenen Möglichkeiten zur Erfassung von betrieblichen Abläufen, zur Feststellung der Leistung von MitarbeiterInnen, zur Erhebung der Meinung und Zufriedenheit von ArbeitnehmerInnen, alle diese vorgegebenen Standards scheinen Aushandlungsprozesse zu beschleunigen, die „effizientere“ Erfassung von Betriebsdaten zu ermöglichen – tun sie ja in einem ersten Schritt auch. Aber hinten nach wird die „eingesparte“ Zeit oftmals wieder „aufgefressen“. Zum einen kostet die Wartung des Systems, in dem die Benchmarks automationsunterstützt gespeichert werden, Zeit. Zum anderen geht Zeit drauf mit Erklärungen und Interpretationen warum diese oder jene Eingabe-Kategorie nicht ganz den realen Gegebenheiten entspricht, warum jemand nicht ganz die erwünschte Leistung bringen konnte, welche Außenfaktoren eine „gute“ Leistung verhindert haben, etc. Der Unternehmensberater Winfried Berner beschreibt seine Erfahrungen, dass Benchmarks oft benutzt werden, um: „… Schuldzuweisungen vorzunehmen oder Druck auf Mitarbeiter und Kollegen oder auch auf Nachbarbereiche auszuüben. (…) Dann verwenden die Angegriffenen viel Zeit und Energie darauf, zu ‚beweisen’, dass die vorgelegten Benchmarks unbrauchbar sind (...). Am Ende hauen sich dann alle ihre Benchmarks um die Ohren…“ Er plädiert dafür Benchmarks als reines Hilfeinstrument zur Weiterentwicklung der MitarbeiterInnen zu sehen, das auf gemeinsamer Basis zwischen Vorgesetzten und MitarbeiterInnen eingerichtet wird. Er empfiehlt daher „Um das zu erreichen dürfen Benchmarks nicht von Managern oder Beratern aus dem Zylinder gezaubert werden…“ Elektronische Datenverarbeitungssysteme stellen sich häufig als fehleranfällig heraus. Sowohl in der Programmierung als auch in der Befüllung der Systeme stecken Tücken. Die Schulung der NutzerInnen braucht Zeit. So gesehen können elektronisch unterstützte Benchmark-Systeme insgesamt recht kostenintensiv werden. In der Planung wird das nicht immer berücksichtigt.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 28

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

29

In einigen Betrieben zeigte die Erfahrung, dass einmal eingeführte Benchmarks bald wieder in der „Mottenkiste“ verschwinden. Zuerst wurden die Kennzahlen mit viel Aufwand, Erklärungsbedarf, Sitzungen und Versammlungen eingeführt, doch nach wenigen Jahren hat sich niemand mehr für sie interessiert. Es handelt sich bei Benchmarks mitunter um eine vorübergehende Modeerscheinung. Benchmarking führt nicht nur dazu, dass die Verantwortung von den Führungskräften weggeschoben wird, sondern es kann noch zusätzlich den Effekt haben, dass sich die MitarbeiterInnen verstärkt selbst in die Verantwortung begeben – auch für Arbeitsergebnisse, die sie vielleicht gar nicht zu verantworten haben. Gibt es einen Zugang für die Einzelnen zu den personenbezogenen Kennzahlen sowie den Vergleich mit anderen (zB dem Durchschnittswert der Abteilung), versuchen die „Gemessenen“ in der Regel sich so zu verhalten, dass sie sich den Durchschnittswerten anpassen. Das passiert nicht zwangsläufig mit Absicht, sondern entspricht einfach einem Bedürfnis nach „Dazugehören“. Kennzahlen werden also zu Werkzeugen der Selbststeuerung, dabei sollten sie vorrangig als „Berichterstatter“ dienen und erst nach ihrer Auswertung in direkte Steuerungsmaßnahmen umgesetzt werden. Die MitarbeiterInnen gewöhnen sich recht rasch an diese Arbeitsmodelle. Unter den Motto „nur kane Wöl’n“ (wienerisch: nur keine Wellen, keine Aufregung) verhalten sich die meisten binnen eines kurzen Zeitraums innerhalb der vom System gesetzten Norm um nicht aufzufallen. Benchmarks werden oft zum Leistungsvergleich zwischen verschiedenen Standorten benutzt. Der Effekt ist die Auslagerung der weniger „leistenden“ Standorte.

In einem Betrieb aus der Bankenbranche wird die Benchmark so gemessen und gelebt, dass ein Großteil der Belegschaft damit zufrieden ist. Wie das geht? Die Benchmark beruht auf einem Mittelwert, der aus der Einschätzung mehrerer Beurteilender gebildet wird, wobei die Beurteilenden unabhängig von einander agieren (zB beurteilen drei Mitarbeiterinnen den/die Vorgesetzte und dazu der/die Vorgesetzte des/der Beurteilten und aus den vier Meinungen wird dann der Mittelwert gebildet). Man misst und vergleicht sich ausschließlich innerhalb einer Abteilung. Die abgefragten Kriterien sind eher qualitativer als quantitativer Art (zB ist der/die MitarbeiterIn ordentlich? Spricht er/sie eine Fremdsprache?) Die gehaltsrelevanten Teile werden ausschließlich als Add-on zum kollektivvertraglichen Gehalt ausbezahlt und nicht stattdessen.

Ein weniger rosiges Beispiel ist das folgende:

In einem anderen großen Betrieb aus dem Finanz-Bereich wurde das Problem mit den Zufriedenheitsumfragen unter den MitarbeiterInnen auf eine „originelle“ Weise gelöst – die Umfragen wurden abgeschafft. 15 Jahre lang wurde jährlich eine Mitarbeiterinnen-Umfrage im Konzern durchgeführt. Dass den Umfragen kaum Konsequenzen folgten, war an den immer schlechteren Resultaten, dh unzufriedeneren Antworten der Befragten abzulesen. So entschloss man sich in der Konzernzentrale, keine Umfragen zum Thema Zufriedenheit mehr durchzuführen. Stattdessen wird jetzt das „Engagement“ gemessen. „Ob die Kolleginnen und Kollegen zufrieden sind, ist jetzt egal.“ beschreibt eine Betriebsrätin den derzeitigen Zustand „Die Angefressenen, die trotzdem viel hackeln, sind ja trotzdem für’s Unternehmen interessant.“

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 29

07.03.2012 10:36:00


30

5.1.

Kolumnentitel

Der „Benchmark-Ring“ – eine Alternative?

Benchmarks vergleichen, entweder mit anderen Personen, Unternehmenseinheiten, Unternehmen oder Branchen und Ländern. Wenn sich der/die Betriebsrat/-rätin auf die Benchmark-Welt einlassen möchte, ist es sinnvoll, diese Vergleiche zu hinterfragen. Die Benchmarks können zum Beispiel untereinander ausgetauscht werden. „Benchmark-Ringe“ führen diesen Gedanken weiter; sie sind Zusammenschlüsse mehrerer Unternehmen, die ihre Benchmarks aus eigenen Stücken untereinander austauschen. Es stellt dabei jedes teilnehmende Unternehmen jene Kennzahlen zur Verfügung, auf die man sich zuvor geeinigt hat, und erhält dafür Vergleichsmaßstäbe, von denen bekannt ist, woher sie stammen. Diese Idee lässt sich sicherlich auch für Betriebsratsgremien umsetzten. Verschiedene Unternehmenseinheiten, verschiedene Standorte oder auch verschiedene Unternehmen derselben Branche könnten gemeinsam ihre Benchmarks interpretieren. Der Tenor dieser Vergleiche muss es sein, die Benchmark als „Entwicklungsmotor“ zu sehen und nicht als „Konkurrenz-Katalysator“ bei dem jeder um jeden Preis der Beste sein möchte. Der Vorteil liegt darin, dass sich diese im Benchmark-Ring organisierten und dadurch besser informierten BetriebsrätInnen von ihren ArbeitgeberInnen sicher nicht so leicht ein X für ein U vormachen lassen. Sie können beurteilen, welchen Standort im Vergleich mit anderen ein Unternehmen tatsächlich hat. Auch ohne das Ganze „Benchmark-Ring“ zu nennen geschieht das bei einigen Gewerkschafts-Gremien (zB im Zuge der Vorbereitung von Kollektivvertrags-Verhandlungen) bereits.

5.2.

„Soziales Benchmarking“ – eine Alternative?

Beim „Sozialen Benchmarking“ werden statt der betriebswirtschaftlichen Kennziffern, soziale Faktoren bei der betrieblichen Befragung erhoben. Es geht darum, mit Kennzahlen zu verdeutlichen, wie die ArbeitnehmerInnen ihre Chancen auf betriebliche Mitbestimmung, Entscheidungsspielräume, Weiterentwicklungsmöglichkeiten und andere soziale Rahmenbedingungen einschätzen. Im „Arbeitsklimaindex“ (vgl. Teil 2, Kapitel 7.4) wird die Zufriedenheit der ArbeitnehmerInnen mit den sozialen Rahmenbedingungen ihres Arbeitslebens dargestellt. Die „Soziale Benchmarking-Variante“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist der „Index Gute Arbeit“. Mittels Ampelsystem wird dabei verdeutlicht, welche Bereiche des Arbeitslebens von den deutschen ArbeitnehmerInnen insgesamt positiv gesehen werden und welche weniger. Mit einem eigenen Beratungspaket, das von der Durchführung der Umfrage über die Analyse der Ergebnisse bis hin zu deren Umsetzung für alle Zwischenschritte eine Begleitung bietet, unterstützt der DGB die Betriebe bei der Einführung des „Sozialen Benchmarking“. In der folgenden Grafik ist ein Beispiel mit den Komponenten der sozialen Benchmarks im „Index gute Arbeit“ für Deutschland im Jahr 2007 abgebildet.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 30

07.03.2012 10:36:00


Kolumnentitel

31

Ergebnisse des „Index Gute Arbeit“ 2007

DGB-Index Gute Arbeit 2007

58

Qualifizierungs- & Entwicklungsmöglichkeiten

57 66

Möglichkeiten für Kreativität 45

Aufstiegsmöglichkeiten Einfluss- & Gestaltungsmöglichkeiten

60 67

Informationsfluss 63

Führungsstil

60

Betriebskultur

76

Kollegialität

77

Sinngehalt der Arbeit 66

Arbeitszeitgestaltung 57

Arbeitsintensität Gestaltung der emotionalen Anforderungen

71

Gestaltung der körperlichen Anforderungen

63

Berufliche Zukunftsaussichten/ Arbeitsplatzsicherheit

47 39

Einkommen

0 …

DGB-Index

(Arbeitsqualität aus Sicht der Beschäftigten)

50

Schlechte Arbeit

80

Mittelmäßige Arbeit

100

Gute Arbeit

Quelle: Deutscher Gewerkschaftsbund

Bei der Verwendung der sozialen Benchmarks muss man sich allerdings vor Augen halten, dass die BenutzerInnen selbst der Logik der Messbarkeit folgen und auch soziales Miteinander als messbar einstufen. Als Gegenentwurf zu betriebswirtschaftlichen Kennziffern, wo Menschen als „Humankapital“ oder „Produktionsressource“ mit ihrer „OutputRatio“ innerhalb der „Wertschöpfungskette“ gemessen werden, kann das soziale Benchmarking eine Alternative bieten – eine grundlegende Veränderung der „Alles-ist-messbar-Logik“ liefert sie nicht.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 31

07.03.2012 10:36:01


32

Kolumnentitel

Man könnte auch ein regelmäßiges „Soziales Audit“ im Betrieb einführen. Dabei werden betriebliche Veränderungen aller Art gezielt dahingehend geprüft, welche Auswirkungen sie auf die ArbeitnehmerInnen haben. Soziales Audit ist ein Sammelbegriff für verschiedenste Evaluierungsmöglichkeiten, angefangen bei der Arbeitszeit und der Arbeitszufriedenheit bis hin zur Zielvereinbarung, der Gesundheit, etc. Ziel ist es, die Betroffenen selbst zu ihren eigenen Fürsprechern zu machen, ihre persönlichen Erfahrungen einzuholen und so mehr Demokratie in den Betrieb zu bringen. Besonders bei langfristigen Auswirkungen eignet sich das Soziale Audit um feststellen zu können, welche Konsequenzen die MitarbeiterInnen bei Umstrukturierungen und anderen Veränderungen tatsächlich zu tragen haben. Die GPA-djp hat zum Themenkreis Soziales Audit in den Jahren 2002 bis 2008 eine Broschürenreihe verfasst, in der zahlreiche Audit-Instrumente und ihre Anwendung vorgestellt werden (zB Zielvereinbarungen, Mitarbeitergespräch). Zentrales Werk ist die Broschüre: „Soziales Audit, zur Gestaltung betrieblicher Veränderungen“.

Teil 2: Konkrete Messzahlen und -systeme 6.

Standardisierte Messinstrumente

Immer wieder wird in Betrieben bei der Einführung unpopulärer Maßnahmen damit argumentiert, dass die Kennzahlen „schlecht“ seien. Und daher müsste eben eine kurze Durststrecke überwunden werden… (Dann geht es sicher wieder aufwärts!) Um solche Aussagen überprüfen zu können, bieten sich die hier beschriebenen standardisierten Statistiken auf österreichischer und europäischer Ebene an. Sicherlich braucht es ein wenig Fachkenntnis und Übung um volks- und betriebswirtschaftliche Statistiken richtig lesen zu können, doch dieses Argument sollte nicht dazu herhalten, diese gebräuchlichen Messinstrumente ungenutzt außen vor zu lassen. Die Abteilung Betriebswirtschaft der Arbeiterkammer besteht aus ExpertInnen zu dem Thema, an die man sich mit diesbezüglichen Anfragen wenden kann. Außerdem können dort die betrieblichen Kennzahlen eines Unternehmens gemeinsam mit den BetriebsrätInnen hinterfragt und interpretiert werden. Die häufigsten Messzahlen sind betriebswirtschaftliche Bilanz-Kennzahlen wie Umsatz, Gewinn, Eigenkapitalquote, Personalaufwandstangente, Produktivität, Wertschöpfung, Return on Investment, Cash Flow, etc. Zum Teil müssen diese Zahlen im Zuge der jährlichen Geschäftsberichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Zu diesen betriebswirtschaftlichen Berechnungen hat die Arbeiterkammer Wien eine detaillierte Broschüre herausgegeben: „Unternehmenskennzahlen, Werkzeuge für professionelle Betriebsratsarbeit. Abteilung Betriebswirtschaft“, deren Inhalte hier nicht wiederholt werden. In diesem Teil der Broschüre werden die gebräuchlichsten Statistiken für Österreich und die EU dargestellt. Sie alle beschäftigen sich mit den Arbeitsbedingungen und sie sind mit wissenschaftlich höchst verlässlichen Methoden erfasst worden. Das heißt, sie sind repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, Zufälle sind so gut wie ausgeschlossen und sie werden in regelmäßigen Abständen wiederholt, was den Vorteil mit sich bringt, dass Daten über einen längeren Zeitraum verglichen werden können.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 32

07.03.2012 10:36:01


Kolumnentitel

33

Darüber hinaus werden auch einige betriebliche Messinstrumente vorgestellt, die dazu eingesetzt werden können, die innerbetriebliche Situation auf professionelle Weise zu erheben, ohne dabei externen Beratungsfirmen (vgl. Kapitel 4.3) zu subventionieren oder „Versuchskaninchen“ für neu erstellte Umfragen (vgl. Kapitel 8.3) spielen zu müssen.

Überblick über bestehende standardisierte Messinstrumente

Name der Erhebung

Fokus

Anbieter/Entwickler

Arbeitskräfteerhebung (AKE)

Beschäftigungsverhältnis, Arbeitszeit, Arbeitszufriedenheit, Aus- und Weiterbildung, Arbeitssuche

Statistik Austria, Eurostat

Arbeitsmarktdatenbank

Sämtliche Versicherungsdaten

Ministerium für Arbeit Soziales und Konsumentenschutz (bmask)

Statistics on Income and Living Conditions (SILC)

Sämtliche Einkommensdaten

Statistik Austria, Eurostat

national

Arbeitsklimaindex (AKI)

Institut für empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich

international European working condition survey

Berufliche Aussichten, Qualifikation, Gesundheit

Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Dublin Foundation)

Eurobarometer

Soziales, Politisches, Gesundheit

Europäische Kommission

Betriebliche Krankenstandsauswertungen

Daten zu Fehlzeiten

Gebietskrankenkassen

Verfahren zur Erhebung psychischer Belastung

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz; Gefährdungs- und Belastungspotentiale, Burnout, Mobbing, Suchtmittelmissbrauch

zusammengetragen und ausführlich beschrieben von der Arbeiterkammer Wien (Lenert et al. 2010)

Impuls-Test

Stress und gesundheitliche Belastung im Betrieb

ÖGB, WKO, AUVA, IV

NeSoVe-Kriterienkatalog

Ökonomische, ökologische und soziale Fragestellungen

NEtzwerk SOziale VErantwortung

betrieblich

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 33

07.03.2012 10:36:01


34

6.1.

Kolumnentitel

Arbeitskräfteerhebung Die Statistik Austria erhebt in der Arbeitskräfteerhebung (AKE) Angaben über das Arbeitsverhältnis und die Arbeitszeit der ÖsterreicherInnen. Bei der intensiven Befragung von allen Personen eines Haushalts werden Antworten aus der individuellen Erwerbsbiografie ebenso abgefragt, wie tatsächliche Arbeitszeit

und Arbeitszeitwünsche. Die Befragten geben direkt Antworten, was zwar einerseits zu subjektiven Verzerrungen führen kann, andererseits aber eine genaue Auskunft über die Lebensrealität der Bevölkerung gibt. Die rund 23.000 österreichischen Haushalte, die mittels einer Zufalls-Stichprobe ausgewählt wurden, werden vierteljährlich besucht. Die Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria bietet eine Gliederung nach Region, Alter, Geschlecht, Ausbildungsabschluss und Branche. Fragen zu Arbeitszufriedenheit, Arbeitsgestaltung oder gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz sind nicht in der AKE enthalten. Außerdem erstellt die Statistik Austria einmal jährlich eine Spezialumfrage, die auf derselben Erhebungsmethode beruht, sich aber mit jährlich wechselnden Themen befasst (zB 2009 den Eintritt junger Menschen in den Arbeitsmarkt, 2008 die Arbeitsmarktsituation von Migrantinnen und Migranten am österreichischen Arbeitsmarkt, 2007 arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme oder 2005 der Vereinbarkeit von Beruf und Familie). Die AKE und ihre Spezialerhebungen sind auch unter dem Namen „Mikrozensus“ bekannt. Außerdem erfasst die Statistik Austria in der Verdienststrukturerhebung jährlich die Löhne und Gehälter der unselbständig Beschäftigten in Österreich. Die allgemeinen Tabellen und Überblicksauswertungen aller Statistiken der Statistik Austria sind für alle auf der Homepage der Statistik Austria verfügbar. Für spezielle Wünsche, komplette Datensätze und spezifische Auswertungen wird von der Statistik Austria ein Kostenbeitrag eingehoben.

Mit den Zahlen der Statistik Austria können Kostenargumente und Einsparungswünsche bezüglich der Personalkosten hinterfragt werden. Stimmt es wirklich, dass unser Betrieb überdurchschnittlich hohe Gehälter auszahlt? Gibt es bei uns wirklich einen wesentlichen Unterschied in Bezug auf geleistete Überstunden als durchschnittlich in unserem Bundesland? Angaben zum Bruttostundenverdienst, dem Jahresverdienst mit und ohne Überstunden sind hier nach Branchen, Berufsposition, Bildung, Alter und Geschlecht erfasst. werden Maßnahmen zur Verbesserung ergriffen (zB ein Workshop).

Kürzlich wurden die Daten der AKE gemeinsam mit jenen der Finanzämter vom Frauenministerium dazu herangezogen, einen Gehaltsrechner zusammenzustellen, bei dem errechnet wird, wie sehr das durchschnittliche Gehalt der Männer bei gleicher Qualifikation und Betriebszugehörigkeit von dem einer Frau abweicht. Unter http://www.gehaltsrechner.gv.at/ könnte der Betriebsrat/die Betriebsrätin also feststellen, wie stark die innerbetriebliche Entlohnung sich von den Durchschnittswerten unterscheidet.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 34

07.03.2012 10:36:01


Kolumnentitel

6.2.

35

Arbeitsmarktdatenbank

Die Arbeitsmarktdatenbank liefert anonymisierte Auskünfte über sämtliche sozialversicherungsrelevante Daten. Damit ist sie für unselbständig Beschäftigte nahezu eine Vollerhebung und umfasst auch andere Beschäftigungsformen wie geringfügige oder freie Dienstverträge. Der Nachteil daran ist, dass nicht sozialversicherte Menschen nicht erfasst werden (zB Personen, die noch nie erwerbstätig waren, Werkverträge unterhalb der Sozialversicherungsgrenze). Die Datenbank ist im Internet http://www.dnet.at/elis/ frei zugänglich und benutzerfreundlich gegliedert. Die ÜberblicksTabellen können sortiert nach Geschlecht, Alter, Bundesland, Wirtschaftszweig, etc. in excel-Tabellen heruntergeladen werden. Spezifische Abfragen, die Daten selber oder detaillierte Reports sind kostenpflichtig und eher für Forschungszwecke gedacht. In die immer auf den neuesten Stand gebrachten Datenbank, fließen Datenbestände des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger, des Arbeitsmarktservice (AMS) sowie eines privaten Forschungsinstituts namens Synthesis, das individuelle Merkmale wie Ausbildung, Wohnsituation, Migrationshintergrund oder geschätztes Einkommen hinzufügt.

Das Zusatzwissen, das in dieser Datenbank enthalten ist, sind vor allem Daten zum Beschäftigtenstand, zur Arbeitslosigkeit oder zu freien Stellen. Damit können Argumente entkräftet werden, die darauf hinauslaufen, die Belegschaft mit den vielen Arbeitslosen zu erpressen, die da angeblich vor der Tür lauern und die denselben Job für weniger Gehalt machen würden.

6.3.

Statistik zu Einkommen und Lebensbedingungen

Von der Europäischen Union ausgehend werden für alle Mitgliedsländer die „Statistics on Income and Living Conditions“ (SILC) nach denselben standardisierten Methoden wie die Arbeitskräfteerhebung erfasst. Es handelt sich folglich um eine repräsentative Stichprobe, in der die Befragten persönlich zu ihrer Lebenssituation Auskunft geben. Die EU gibt vor wie groß die Stichprobe in etwa zu sein hat (in Österreich werden etwa 4.500 Haushalte befragt) und welche Themen abgehandelt werden müssen (zB 2003 lag der Schwerpunkt auf Kinderbetreuung).

SILC erfasst sämtliche Einkommensformen in Österreich (selbständig, unselbständig, Pensionen, wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen, Vermögenserträge oder freiwillige Unterhaltszahlungen) und geht damit über die Daten des Finanzministeriums hinaus. Dazu wird die Erwerbssituation (zB Position in der Firma, Firmengröße) erhoben und ermöglicht somit die Antwort auf Fragen nach dem Verdienst in ähnlich großen Unternehmen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 35

07.03.2012 10:36:01


Kolumnentitel

36

Vor- und Nachteile sind mit denen der AKE zu vergleichen; die subjektive Wahrnehmung der Befragten spiegelt gleichzeitig deren reale Finanzsituation wieder.

6.4.

Arbeitsklimaindex

Der Arbeitsklimaindex (AKI) wird vom Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich vierteljährlich durchgeführt. Der AKI umfasst die Zufriedenheit der unselbständig Beschäftigten in Österreich mit ihrer Arbeitssituation.

Der AKI erfasst die Zufriedenheit mit Vorgesetzten, KollegInnen, Einkommen, Karrierechancen oder der Gesundheit. Weiters wird die Zukunft der Arbeitssituation von den Befragten eingeschätzt. Ausgewertet werden kann der Zusammenhang mit Alter, Geschlecht, Branche, Beschäftigungsart (zB Leiharbeit) und auch der Region.

Der Vorteil dieser Erhebung liegt darin, dass für Österreich einheitliche und somit vergleichbare Bewertungen gemacht werden können. Nachdem die Daten seit 1997 erhoben werden, ist der Zeitraum für die Vergleiche relativ lange. Der Nachteil liegt darin, dass Kosten anfallen, wenn ein einzelnes Unternehmen die betriebsinterne Zufriedenheit der MitarbeiterInnen messen möchte, um sich damit im gesamtösterreichischen Spektrum vergleichen zu können. Gratis-Angebote im Zusammenhang mit dem AKI sind:  vierteljährlich ein Newsletter zu den neuesten Ergebnissen des Arbeitsklima-Index  eigene öffentlich zugängliche Datenbank für individuelle Auswertungen (zB nach Branche, Tätigkeit, Geschlecht oder Region unter http://www.db.arbeitsklima.at/ ).  eine Kurzvariante mit 10 Fragen zur Arbeitszufriedenheit findet sich im Internet unter: http://www.db.arbeitsklima.at/main.html .

6.5.

Branchenanalysen Die

Arbeiterkammer

liefert

für

fast

alle

Wirtschaftsbereiche

eigene

Branchenanalysen. Branchenanalysen gibt es beispielsweise für Banken, Versicherungen, Metallindustrie, Handel, Elektro- und Elektronikindustrie. Die Downloads der verschiedenen Branchenanalysen findet man unter http://wien.arbeiterkammer.at/online/page.php?P=1415&URL=www-2342.html. Die Datenbank der AK, aus der heraus die Branchenanalysen gemacht werden, ist die größte in Österreich.

Diesen Analysen können wertvolle Informationen über einen langen Zeitverlauf entnommen werden. Die Analysen basieren auf Daten, die qua Gesetz in den Bilanzen zu veröffentlichen sind wie zB Umsätze, Produktivität, Gewinne, Eigenkapitelrendite, Personalaufwand, etc. Sie sind ein wichtiges Instrument zur innerbetrieblichen Argumentation sowie zur Argumentation in Kollektivvertragsverhandlungen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 36

07.03.2012 10:36:02


Kolumnentitel

37

Die betriebswirtschaftliche Abteilung der Arbeiterkammer, die diese Analysen erstellt, ist auch bereit, für einzelne Unternehmen Analysen zur Verfügung zu stellen. Mit einer Terminvereinbarung kann sich jeder Betriebsrat eine Bilanzanalyse für den eigenen Betrieb erstellen lassen. BetriebsrätInnen, die die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen ihres Unternehmens hinterfragen möchten, sind also in der Abteilung willkommen. Dabei wird die Anonymität der Betriebe gewahrt. Der Vorteil für die AK liegt einerseits darin, dass sie die Kennzahlen schon vor der – mitunter hinausgezögerten – Veröffentlichung seitens der Firma erhalten und andererseits darin, dass die Kennzahlen dann in die jeweilige Branchenanalyse einfließen können.

6.6.

European Working Condition Survey Der European Working Condition Survey (EWCS) wird in Österreich seit dem EU-Beitritt durchgeführt. Die Befragung findet alle 5 Jahre in allen EU-Ländern statt. Die Befragten werden face-to-face interviewt, wobei

eu-weit ca. 44.000 Personen über 16 Jahren mit aufrechtem Arbeitsverhältnis in der Untersuchung berücksichtigt werden; in Österreich sind es 1.000 Personen. Dabei wird darauf geachtet, dass die Befragten sowohl aus ländlichen Gebieten als auch städtischen Ballungszentren kommen sowie dass alle Industriezweige und Ausbildungsniveaus vertreten sind. Die Umfrage stellt für den gesamten EU-Raum inklusive Türkei, Kroatien, Norwegen, Mazedonien, Montenegro, Albanien und Kosovo die umfangreichsten Daten zur Verfügung, die mittlerweile auch schon gut im Längsschnitt betrachtet werden können, da der Survey seit 1990 mit sehr ähnlichen Fragenbatterien durchgeführt wird. Die ersten Erkenntnisse zum aktuellen Survey von 2010 gibt es in Englisch zum Download unter: http://www.eurofound.europa.eu/pubdocs/2010/74/en/3/EF1074EN.pdf

Der EWCS gibt umfangreich Auskunft über Arbeitsbedingungen. Themen sind: physische und psychische Arbeitsbelastungen, Zufriedenheit am Arbeitsplatz, Stress, Mobbing, Work-Life-Balance sowie Möglichkeiten zur Arbeitsgestaltung (Autonomie, Teamarbeit, Arbeitsdruck, etc.).

Europaweite Studien erstellt auch die sogenannte Dublin Foundation, eine EU-weite Stiftung in der Arbeitgeberorganisationen, ArbeitnehmerInnenvertretungen und Regierungen jeweils paritätisch vertreten sind. Die Ergebnisse sind online nach Jahreszahl, Branche und Ländern abrufbar. Aktuelle Berichte zur europäischen Gehaltsentwicklung, zu Arbeitszeitvereinbarungen, zu Arbeitsmarktpolitiken und Arbeitsmarktgesetzgebung finden sich dort – nach Land, Sektor und Jahr geordnet: http://www.eurofound.europa.eu/eiro/

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 37

07.03.2012 10:36:02


38

Kolumnentitel

Wer sich also beispielsweise informieren will, wie die Gehaltssituation in einem bestimmten Sektor in einem anderen EU-Land aussieht, weil dies als Argument zum Thema Standortverlegungen gebracht wird, sollte am besten in eiro-online recherchieren. Wer verifizieren möchte, ob die betrieblichen Abfertigungsregelungen in einem anderen EU-Land tatsächlich mit denen in Österreich vergleichbar sind, dem sei eiro ans Herz gelegt. Wer sich für eine internationale Studie zur (gesetzlichen) Regelung von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) am Arbeitsplatz interessiert, kann diese in eiro-online 2003 finden.

6.7.

Krankenstandsauswertungen

Zahlen rund um das Thema Krankenstand – die sich bei einigen Geschäftsführungen zunehmender Beliebtheit erfreuen – sammelt der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger.

Im „Statistischen Handbuch der österreichischen Sozialversicherung“ können neben Angaben über Löhne und Gehälter auch Zahlen zum Kranken-, Pensions- und Unfallgeschehen in Österreich nachgelesen werden. Zahlen zu Berufskrankheiten, Arbeitsunfällen etc. sind hier bei Bedarf zu finden. Wie oft in Österreich Krankenstände anfallen, wie lange sie durchschnittlich dauern und wie sie auf Altersstufen und Geschlecht verteilt sind, das lässt sich hier – leider ohne einer Differenzierung nach Branchen – nachlesen.

Außerdem bieten die neun Gebietskrankenkassen betriebsspezifische Auswertungen zu Krankenständen an, die anonymisiert erstellt werden. Dabei haben die Landeskassen allerdings unterschiedliche Bedingungen, manche verlangen Entgelt für diesen Service.

6.8.

Impuls-Test

Diese Umfrage wurde im Rahmen eines EU-geförderten Projektes von den Sozialpartnern sowie der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in Zusammenarbeit mit ArbeitspsychologInnen ausgearbeitet. Die Ergebnisse zeigen anschaulich, wo es in dem vielschichtigen Problem „Stress am Arbeitsplatz“ besonders „hapert“. Bei der Umsetzung empfiehlt es sich, externe ExpertInnen hinzuzuziehen um die Ergebnisse dann auch in tatsächlich verbessernde Maßnahmen umzuleiten und nicht im Sande versickern zu lassen. Eine Ansprechstelle findet sich im ÖGB im Referat Sozialpolitik – Gesundheitspolitik oder in der Grundlagenabteilung der GPA-djp, von wo aus weitere KooperationspartnerInnen wie beispielsweise die AUVA gewonnen werden können. Der Impuls-Test ist gratis und steht im Netz als Download zur Verfügung: http://www.impulstest.at/

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 38

07.03.2012 10:36:02


Kolumnentitel

6.9.

39

Kriterien der sozialen Verantwortung Das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe)

ist ein seit 2006 bestehender

Verein aus ArbeitnehmerInnenorganisationen und NGOs. Im Netzwerk Soziale Verantwortung haben sich kritische Stimmen aus Gewerkschaften, BR-Gremien und NGOs zusammengeschlossen. NeSoVe möchte die Kriterien für Corporate Social Responsibility (CSR, zu Deutsch: soziale Verantwortung von Unternehmen) neu definieren. Die Anspruchslosigkeit der gesteckten Ziele der im CSR-Bereich tätigen Unternehmen soll wirksam kritisiert werden und der Widerspruch zwischen behaupteten und gut vermarkteten CSR-Maßnahmen und der gar nicht so beeindruckenden Praxis soll aufgezeigt werden. NeSoVe sieht sich hier in einer „watch-dog“-Funktion. Ziel von NeSoVe ist die Festlegung verbindlicher anspruchsvoller Kriterien für freiwillige CSR-Maßnahmen gepaart mit der Überprüfung und Veränderung bereits bestehender gesetzlicher Regelungen für alle Unternehmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Zu diesem Zweck hat NeSoVe einen gemeinsamen Kriterienkatalog erarbeitet, wie soziale Verantwortung tatsächlich geprüft werden kann. Dieser Katalog umfasst sehr detaillierte Fragestellungen zur ökologischen, menschenrechtlichen und sozialen Situation im Betrieb. Sollte eine betriebliche Umfrage zu einem dieser Themen geplant sein, könnten diese NeSoVe-Kriterien Hilfestellung zur Erstellung eines betriebsinternen Fragebogens geben. Einen ähnlichen Ansatz bei dem in der Bewertung eines Unternehmens sowohl Hard-Facts als auch Soft-Facts herangezogen werden, ist die Initiative Gemeinwohlökonomie. Sie wird von 429 Unternehmen unterstützt. Ein Herzstück dieser Initiative ist die Gemeinwohlmatrix, bei der die Kriterien Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung im Mittelpunkt stehen. Über 100 Unternehmen verstehen sich als PionierInnen und veröffentlichen eine Gemeinwohlbilanz, um in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass demokratische Unternehmensführung möglich ist. Näheres findet sich unter http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/

6.10. ISO-Norm 9001 Die ISO-Norm soll hier nur stellvertretend für zahlreich angebotene Möglichkeiten der Zertifizierung dargestellt werden. Zertifizierungsprozesse werden hier deshalb erwähnt, weil bei ihrer Durchführung das Thema Benchmarks im Betrieb auftaucht. Standardisierte internationale quantitative Aussagen treffen die so genannten ISO-Normen (Normen der Internationalen Standardisierungs-Organisation). In der ISO-Norm 9001 sind Qualitätskriterien für innerbetriebliche Abläufe festgelegt. Lässt sich ein Unternehmen nach ISO 9001 zertifizieren, können KonsumentInnen davon ausgehen, dass Mindeststandards eingehalten werden. Aufbauend auf den vier Hauptkriterien Produktqualität, Prozessqualität, Lieferantenqualität und Mitarbeiterzufriedenheit werden Kennzahlen ermittelt und den PrüferInnen vorgelegt. Die Messkriterien sind eher kritisch zu betrachten. So wird beispielsweise die Lieferantenqualität anhand der gemeldeten Reklamationen, der Überseinstimmung von vereinbarter und tatsächlicher Lieferung, der langjährigen Tätigkeit für ein Unternehmen, etc. gemessen. Die Mitarbeiterzufriedenheit wiederum wird an der Anzahl der Verbesserungsvorschläge oder der Anzahl der Krankenstände ermittelt.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 39

07.03.2012 10:36:03


40

Kolumnentitel

Die Frage, die sich bei derartigen Systemen immer stellt, ist die nach der Interpretation. Sind viele Verbesserungsvorschläge nun ein Zeichen für das Engagement und die Motivation der MitarbeiterInnen oder für deren Unzufriedenheit? Sind Fehlzeiten als Unzufriedenheit zu interpretieren oder zeigen sie vielmehr, dass überhaupt die Möglichkeit besteht, in Krankenstand zu gehen? Fischgroßmarkt in Tsukiji, Japan, wirbt mit der ISO-9001-Zertifizierung; Quelle: Wikipedia

Eine weitere ISO-Richtlinie, die ISO 26000, ist ein Leitfaden, der Orientierung und Empfehlungen gibt, wie sich Organisationen jeglicher Art verhalten sollten, damit sie als gesellschaftlich verantwortlich angesehen werden können. Der Leitfaden wurde im November 2010 veröffentlicht und seine Anwendung ist freiwillig. ISO 26000 ist keine zertifizierbare Managementsystem-Norm wie ISO 9001. Das bedeutet, dass dieser Internationale Standard keiner ist, er ist für Zertifizierungszwecke oder für die Nutzung in staatlichen Regelsetzungen oder Verträgen weder vorgesehen noch geeignet. Die neue österreichische Regel "ONR 192500 Gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen (CSR)" definiert die Anforderungen an ein CSR Managementsystem in Anlehnung an die ISO 26000 und gibt Erfüllungskriterien für die Kernthemen und deren Handlungsfelder vor. Die ONR 192500 wurde im November 2011 veröffentlicht und ist im Gegensatz zur internationalen ISO-Norm zum selben Thema zertifizierbar. Wie bei den meisten freiwilligen Zertifizierungen sind auch ISO-Normen kritisch zu bewerten. Erfahrungsgemäß geht es den Unternehmen mehr um die Zertifizierung an sich und deren regelmäßige Erneuerung, als um gelebte Qualitätsvorgaben bezüglich der Arbeitsbedingungen.

7.

Betriebsinterne Messinstrumente

In diesem Kapitel werden drei in der betrieblichen Praxis häufig verwendete Methoden beschrieben, wie betriebliche Kennzahlen zustande kommen. Es gibt natürlich wesentlich mehr Methoden und jährlich denken sich findige PersonalplanerInnen, HR-ExpertInnen und Betriebswirtschaftsgurus neue aus. Die hier ausgewählten Methoden sind erstens jene, die in der gewerkschaftlichen Beratungspraxis häufig anzutreffen sind und die außerdem auf verschiedene zentrale Bezugspunkte ausgerichtet sind. Die Balanced Score Card beispielsweise misst die MitarbeiterInnen mit dem Ziel der so genannten „Prozessoptimierung“ und der Personalplanung. Die MitarbeiterInnen und ihre Leistungen stehen im Zentrum der Bewertung. Im Anschluss an jede der Beschreibungen stehen konkrete Tipps für die Betriebsratsarbeit. Sollte es in einem Betrieb nun um ähnliche Themen gehen, das „Kind“, also die angewendete Methode, aber einen anderen Namen haben, dann ist das Kapitel dennoch lesenswert.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 40

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

41

Hier eine kurze Übersicht, welche Methoden/Tools dargestellt werden und worauf diese abzielen:

Name

Fokus

Balanced Score Card (BSC)

Arbeitsquantität und –qualität der MitarbeiterInnen

Produktplanung und -steuerung (PPS)

Prozess, innerbetrieblicher Ablauf bei Produktion und Dienstleistungen

Meinungsspiegel

Meinung der MitarbeiterInnen

Die Instrumente werden hier vorgestellt und im Anschluss werden Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrates/der Betriebsrätin aufgezeigt, wie mit den jeweiligen Messverfahren umgegangen werden kann.

7.1.

Balanced Scorecard (BSC)

Bis in die 1980er Jahre waren Kennzahlen vorrangig darauf ausgerichtet, Vergangenes zu analysieren und daraus „Leistungsanreize“ zu kreieren. So sollte die vergangene Arbeitsleistung zumindest aufrecht erhalten, wenn nicht sogar verbessert werden. Die Anwerbung von NeukundInnen im vergangenen Geschäftsjahr oder verkaufte Dienstleistungen im letzten Quartal wurden beispielsweise in Prämien umgerechnet. Zwei Professoren der Harvard Business-School, David P. Norten und Robert S. Kaplan waren der Meinung, dass diese Methoden verbessert werden müssten. Ziel des kaplan-norton’schen Forschungsprojekts war es, ein zukunftsorientiertes Kennzahlensystem zu entwickeln, das stabile Prognosen ermöglicht. Weiche und harte Faktoren, kurz- und langfristige Ziele, vergangenheitsbezogene und auf die Zukunft ausgerichtete Indikatoren sowie betriebsinterne und externe Perspektiven (in dem Fall die Perspektive der KundInnen) sollten Berücksichtigung finden, es ging um die Ausgewogenheit, die Balance, die „Balanced Score Card (BSC)“ (zu Deutsch: ausgewogener Berichtsbogen) war erfunden. In ihrer Software-Ausführung heißt die BSC im deutschsprachigen Raum beispielsweise „QPR Scorecard“ oder „Delphi West Scorecard“. Zahlreiche Unternehmen bieten Software an, die auf dem BSC-Prinzip aufbaut, darunter auch SAP. Mittlerweile setzen zwei Drittel der weltweit umsatzstärksten Unternehmen die BSC für ihre Zwecke ein (1996 waren es 60%). Dieser Siegeszug hängt sicherlich mit der Vielseitigkeit der BSC zusammen. Die BSC kann je nach Bedarf gestaltet werden. Zur Entwicklung einer firmeninternen KundInnen-Strategie, zum Verkaufserfolg bei neuen Produkten oder Dienstleistungen, zum Betriebsklima oder der Arbeitsmotivation der KollegInnen. Mit Hilfe der BSC wird festgelegt, welche Messkriterien für die jeweilige Zielsetzung erforderlich sind (zB Kundenzufriedenheit, Kundentreue, Verkaufszahlen, Fehlzeiten). Die BSC ist gestaltbar, was für den Betriebsrat bedeutet, dass er/sie sich als AkteurIn einbringen kann.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 41

07.03.2012 10:36:03


42

Kolumnentitel

Zentrales Element der BSC ist, dass sie vorab definiert, welche Ursachen welche Wirkungen haben werden. Man nimmt beispielsweise an, dass die Entwicklung eines neuen Produkts vorerst den Verkauf reduzieren wird, weil Ressourcen in der Entwicklung gebunden sind. Nach der Fertigstellung werden die Umsätze steigen, weil das Produkt hoffentlich zahlreiche AbnehmerInnen findet. So könnte eine Ursache-Wirkungsdefinition aussehen. Nicht nur der gesamte Betrieb, auch einzelne Standorte, Abteilungen oder eben auch MitarbeiterInnen können in diesem Kennzahlensystem erfasst werden – je nachdem, wie es firmenintern genutzt wird. Zumeist tritt die BSC neben das klassische Mitarbeitergespräch. Im Mitarbeitergespräch werden Ziele definiert, vorgegeben, manchmal auch vereinbart. Die BSC erfasst die Arbeitsschritte des Mitarbeiters/ der Mitarbeiterin auf dem Weg zur Zielerfüllung. Die Ziele innerhalb der BSC sind fast immer gewichtet, sodass ein Ziel als besonders wichtig definiert werden kann. Das garantiert, dass MitarbeiterInnen gezwungen sind, dieses eine stark gewichtete Ziel zu erarbeiten. Geht es dem Management zum Beispiel darum, ein neues Produkt an die KundInnen zu bringen, wird der Verkauf von diesem höher bewertet, also höher gewichtet, als der Verkauf von anderen Produkten oder der Erhalt des Kundenstocks. Wenn dann die geringer bewerteten Produkte zu 100% verkauft wurden oder gar darüber, hilf das den MitarbeiterInnen wenig, solange sie nicht das am höchsten gewichtete Produkt an den Mann und die Frau bringen. Zugleich können die Ziele einer BSC – besonders die gewichteten Ziele – mit einem Leistungslohnsystem verknüpft werden. Die BSC gibt den MitarbeiterInnen vor, wie aufgrund der vorliegenden Datenlage zu handeln ist. Sie lässt wenig bis gar keinen Spielraum für Handlungen aufgrund von sozialem Erfahrungswissen, aufgrund von Intuition, aufgrund von Einschätzungen der MitarbeiterInnen. Wenn zum Beispiel vom System vorgegeben wird, dass jemand zu unproduktiv ist und daher zu kündigen ist, gibt es kaum Möglichkeiten für die Vorgesetzten andere Wege zu gehen und vielleicht noch abzuwarten oder Arbeitsaufträge zu verändern geschweige denn bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit einem Anglizismus wird diese Kündigungsmethode auch „Exit-Management“ genannt.

In einem Versicherungsunternehmen wird zum Beispiel die Leistung der MitarbeiterInnen in Verkaufszahlen von Versicherungsprodukten gemessen. Für die Beschäftigten gibt es fix vorgeschriebene Handlungsvorgaben wie mit den VersicherungsnehmerInnen im Schadensfall umzugehen ist. Für KundInnen mit außerordentlich hohen, also für die Versicherung kostenintensiven Schadensfällen werden drei Handlungsabläufe vorgeschrieben. Die Schritte werden nacheinander gesetzt, weitgehend unabhängig von den Ursachen für die Schadensfälle: beim ersten hohen Schadensfall vor Ort nachschauen und nachprüfen, beim zweiten: die Prämie erhöhen und beim dritten den Kunden/die Kundin kündigen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 42

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

43

Die BSC birgt also – wie andere Zielvereinbarungen im Übrigen auch – einige Gefahren in sich:  Die Ziele sind unrealistisch hoch gesteckt.  Die Ziele sind zu komplex.  Die Ziele sind zu vielfältig und widersprechen einander vielleicht auch noch.  Die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung sind nicht realistisch definiert.  Die Parameter werden in der laufenden Erhebungsperiode verändert und dadurch wird sowohl die Transparenz für die Beschäftigten erschwert als auch die Prognose-Kraft der BSC stark reduziert.  Außeneinflüsse werden außer Acht gelassen und die Betroffenen werden so für „schlechte“ Zahlen verantwortlich gemacht, obwohl sie sie nicht beeinflussen können. Der häufigste Missbrauch aber ist, dass die die Zahlen manipuliert werden, weil mit ihnen die Einkommen der Beschäftigten verbunden sind. Systeme, die auf dem BSC-Prinzip aufbauen sind außerdem, die „collaborative balanced scorecard“, bei der das Management gemeinsam mit ExpertInnen an der Formulierung der Ziele und der Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung sowie der Risiken arbeitet. Systeme, die Messzahlen zur Beurteilung der MitarbeiterInnen liefern, firmieren außerdem unter so klingenden Namen wie: Workforce-Management, Personalplanungs- und -steuerungssystem oder Talent-Management-System. Die Systeme fokussieren auf unterschiedliche Aspekte; mal sind es die Arbeitsergebnisse der Beschäftigten wie Verkaufszahlen oder Akquisition von neuen Projekten, Beratungsfälle (sogenannte output-orientierte Kennzahlen), mal sind es die Qualifikationen der Beschäftigten wie beim „Talent-Management“ (sogenannte input-orientierte Kennzahlen) und manchmal ist es eine Kombination aus beidem wie bei der BSC. Gemeinsam ist den Systemen, dass sie bei den Mitarbeiterinnen ansetzten. Diese sollen „optimiert“, „motiviert“ oder „strategisch eingesetzt“ werden – und wenn das nicht geht, dann werden sie eben „ausgesetzt“.

BR-Handlungsoptionen: Eine derart umfassende automationsunterstützte Datenerfassung ist mitbestimmungspflichtig (§ 96a ArbVG). Daher sollte der Betriebsrat unbedingt eine Betriebsvereinbarung zur BSC abschließen, deren Herzstück das Zielvereinbarungsgespräch darstellt. Der Betriebsrat kann bei der Festlegung der Zielsetzungen in der BSC mitbestimmen. Beispielhafte Fragestellungen dazu sind: Welche Ziele machen Sinn? Was ist tatsächlich leistbar? Welche Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden? Es muss insbesondere darum gehen, Leistungsobergrenzen festzulegen. Detailliert Informationen und Handlungsvorschläge zum Zielvereinbarungsgespräch finden sich in der Broschüre der GPA-djp: „Zielvereinbarung, Human Ressource- und Personalmanagement aus Sicht der ArbeitnehmerInnen, Soziales Audit Teil 1“.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 43

07.03.2012 10:36:03


44

Kolumnentitel

Checkliste zur Auswahl von Kennzahlen für die Prämienberechnung (Quelle: Hofmann Ines/Leitsmüller Heinz/Naderer Ruth, 2011: Unternehmenskennzahlen, Werkzeuge für die professionelle Betriebsratsarbeit, Seite 68)

 Das zu Grunde gelegte Kennzahlensystem sollte schriftlich festgehalten werden.  Die Kennzahlenberechnung sollte möglichst genau dargestellt werden.  Die Kennzahlen sollten möglichst einfach und nachvollziehbar sein.  Die Motivationswirkung ist höher, wenn der/die Betroffene selbst direkten Einfluss auf die zu Grunde liegende Kennzahl nehmen kann.  Kennzahlen sollten um außerordentliche Faktoren (Rückstellungsveränderungen, Kursverluste, außerordentliche Abschreibungen etc.) bereinigt werden.  Wenn möglich, keine Kennzahlen verwenden, bei denen ungewisse – und daher leicht manipulierbare – Zukunftswerte verwendet werden.  Kennzahlen können durch Umstrukturierungsvorgänge (zB Outsourcing, Spaltung, Fusion) erheblich beeinträchtigt werden. Für diesen Fall ist im Rahmen der Prämienvereinbarung vorzusehen.  Genau hinterfragen, durch welche Faktoren die in Frage kommende Kennzahl „bewusst“ gestaltet werden kann und versuchen, diese Gestaltungsmöglichkeiten durch entsprechende Korrekturen zu reduzieren.

Rechtliche Grundlage für die dem Betriebsrat/der Betriebsrätin gesetzlich zustehende Mitbestimmung in wirtschaftlichen und personellen Angelegenheiten ist der § 108 ArbVG: „Der Betriebsrat ist berufen, insbesondere im Zusammenhang mit der Erstellung von Wirtschaftsplänen (Erzeugung-, Investitions-, Absatz-, Personal- und anderen Plänen) dem Betriebsinhaber Anregungen und Vorschläge zu erstatten, mit dem Ziele, zum allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen und im Interesse des Betriebes und der Arbeitnehmer die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Betriebes zu fördern. Dem Betriebsrat sind auf Verlangen die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.“ BetriebsrätInnen können eigene Ziele festlegen (zB geringe Personalfluktuation, hohe Arbeitszufriedenheit) und eigene Messzahlen dazu definieren (zB eine Obergrenze von 10% der MitarbeiterInnen pro Abteilung pro Semester am Arbeitsplatzwechseln oder gar Austritten). BetriebsrätInnen sind außerdem dazu berechtigt, die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, die in der BSC festgelegt sind, zu hinterfragen und mit zu gestalten. Der – zumindest im Namen– festgelegte Grundgedanke der BSC, der Ausgleich, ist von den BetriebsrätInnen zu überprüfen, indem nachgesehen wird, ob die intendierten Wirkungen tatsächlich mit den definierten Ursachen zusammenhängen und ob nicht andere Ursachen auch noch eine Auswirkung haben (zB müsste für den Vertrieb neuer Produkte und Dienstleistungen nicht nur eine entsprechende MitarbeiterInnen-Schulung angeboten werden, sondern auch mittels einer entsprechenden Markt- und KundInnenanalyse geprüft werden, ob das angebotene Werk überhaupt potentielle AbnehmerInnen hat). Eine weitere Möglichkeit zur Gestaltung der BSC im Sinne der ArbeitnehmerInnen ist es, die Rolle der „Patenschaft“ einzubringen. PatInnen können ihre eigenen Ziele um etwa 10% reduzieren, indem sie sich zur Begleitung von jenen MitarbeiterInnen zur Verfügung stellen, die von einer Kündigung bedroht sind.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 44

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

45

Es gibt ferner die Option, kollektive Ziele statt individueller zu vereinbaren. Statt dass jedeR als EinzelkämpferIn seinen oder ihren Zielen nachjagt, könnte der Betriebsrat sich dafür einsetzen, dass in der BSC gemeinsame Ziele für eine Abteilung, ein Projektteam oder eine andere Gruppe mit gemeinsamen Aufgaben definiert werden. Als „Teamplayer“ kommt man in der Regel weiter als wenn jedeR nur für sich selbst ackert. Die so erreichten Prämien – zB in einer Filiale eines größeren Betriebes – könnten dann nach dem „Gießkannenprinzip“ unter allen aufgeteilt werden. In einigen Fällen könnte der Betriebsrat auf diese Weise eine tatsächliche Veränderung der Unternehmenskultur in Bewegung bringen. Der Betriebsrat/Die Betriebsrätin kann sich auch dafür einsetzen, dass sich jene Führungskräfte verpflichtend weiterbilden, bei denen sich die Ex-MitarbeiterInnen besonders häufen und bei denen es die meisten Beschwerden bezüglich der Führung der Zielvereinbarungsgespräche gibt. Inhalte der Weiterbildung wären beispielsweise Mitarbeiterführung, Motivation, Gesprächsführung, etc. Schließlich könnte das Betriebsratsgremium die BSC für seine eigene Arbeit einsetzen. In der BSC können die Ziele für eine Arbeitsperiode des Betriebsrats festgelegt werden (zB Gleichstellung von Männern und Frauen). Dazu wird besprochen, wie man diese Ziele erreichen möchte (zB Verbesserung der Einkommen weiblicher Beschäftigter) und wie man den Erfolg messen könnte (zB Anteil an Frauen bei den Diäten- und Spesenabrechnungen erhöhen).

In einem Betrieb möchte der Betriebsrat beispielsweise familiengerechtere Arbeitszeitmodelle einführen. Also werden verschiedene Arbeitszeitwünsche innerhalb der Belegschaft gesammelt und Beispiele aus anderen Betrieben zusammengetragen. Diese verschiedenen Modelle werden mit der Geschäftsführung verhandelt. Eine mögliche Messzahl wäre nun, dass mindestens eines davon umgesetzt werden sollte und in den darauf folgenden Monaten auch von 5% der Beschäftigten in Anspruch genommen wird.

Die für die BSC resultierenden Kennzahlen könnten dem Betriebsrat Aufschlüsse darüber geben, bis wohin die internen Ziele erreicht wurden. Eine ausführliche Beschreibung, wie die BSC vom Betriebsrat genutzt werden kann, liefert die Broschüre „Betriebsräte als Beteiligungsstrategen? Projektcontrolling nach BSC (Balanced Scorecard)“ der Technologieberatungsstelle Nordrhein-Westfahlen. (Es muss aber auch nicht die BSC für ein solches Vorhaben herangezogen werden; ein A4-Blatt tut’s vielleicht auch.) Ergebnisse der BSC dürfen nicht direkt in Kündigungsszenarien münden. Andere Methoden (zB Gespräch, Vorwarnung, Weiterbildungsszenarien) müssen zwischen geschalten werden. Die Daten aus der BSC dürfen nicht unmittelbar auf das Einkommen rückwirken. Missbräuchliche Verwendung wie beispielsweise das gegenseitige Ausspionieren, der Aufbau unerfüllbarer Leistungsspiralen, das Veröffentlichen personenbezogener Daten oder Ähnliches muss jedenfalls unterbunden werden. Zunächst sollten diejenigen, die hier Daten so unverantwortlich verwenden darauf angesprochen werden. Wenn es nichts nützt, dann wird das Problem eben weiter in die nächste Hierarchieebene getragen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 45

07.03.2012 10:36:03


46

Kolumnentitel

In manchen Fällen nützt es, ein Problem auf der nächsthöheren Hierarchieebene anzusprechen. So in folgendem Unternehmen, wo das mittlere Management die BSC so einsetzt, dass sie zu starker interner Konkurrenz führt. MitarbeiterInnen erhalten die Ergebnisse ihrer KollegInnen vorgehalten. Zusätzlich wird das persönliche Gespräch zugunsten der elektronischen Leistungserfassung zurückgefahren. Der Personalchef weiß von diesen Vorgängen nichts. Erst als ihn der Betriebsrat darauf aufmerksam macht, gibt es eine Nachschulung im mittleren Management. Dabei wird die eigentliche Intention der BSC verdeutlicht, die es war, die Verkaufszahlen der einzelnen MitarbeiterInnen zu steuern und nicht ein Konkurrenzsystem aufzubauen. Sollte die ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretung keine Kooperationsbereitschaft beim Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur BSC finden oder sollten ihre Mitwirkungsrechte seitens der ArbeitgeberInnen permanent beschnitten werden, könnte eine Klage vor Gericht angedacht werden.

7.2.

Produktplanung und -steuerung (PPS)

In diesem Kapitel werden jene Kennzahlen beschrieben, bei denen das Produkt bzw. die Dienstleistung im Vordergrund der Messung steht. Es wird beziffert, wie viel, in welcher Zeit, mit welchen Ressourcen erarbeitet wird und die dabei erhobenen Zahlen sollen dann bei der nächsten Messung verbessert werden. Bei dieser Erhebung kommen zwangsläufig auch ArbeitnehmerInnen ins Blickfeld, auch wenn sie nicht der zentrale Ausgangspunkt für die Messungen sind. Ähnliche Messsysteme sind zum Beispiel so genannte „Workflow-Management-Systeme“, die den gesamten Herstellungs- oder Dienstleistungsprozess abbilden. Von der Bedarfsanalyse über die Erstellung der Ware oder Dienstleistung bis hin zum Lagerung, Logistik und Vertrieb wird alles erfasst und ausgewertet. Diese Verfahren werden oft mittels der Software SAP (= Systeme Anwendungen Produkte) berechnet. SAP ist eine Software, die in mehreren Module (zB Personalwirtschaft, Rechnungswesen, Produktentwicklung, Logistik) unterteilt ist und je nach Bedarf eine Verknüpfung all dieser Abläufe anbietet. Man erwartet sich von Produktplanungs- und -steuerungssystemen, dass die innerbetrieblichen Abläufe einheitlicher gestaltet werden, transparenter und damit besser zu kommunizieren sind, dass sie einfacher in ihrer Handhabung werden oder auch simpel Kosten sparen helfen. Wird ein System zur Produktplanung und -steuerung dezent eingesetzt können diese Ziele auch erreicht werden. Allerdings darf man darüber nicht vergessen, dass (meistens) immer noch Menschen arbeiten und die lassen sich nicht (immer) in vorgefertigte Arbeits-Routinen zwängen. Um einen gesamten Produktionsablauf analysieren zu können, geht man bei diesen Systemen davon aus, dass die einzelnen Arbeitsschritte auseinandergenommen werden müssen. Jeder Schritt wird vorerst für sich gemessen und bewertet. Am Ende des Fertigungsprozesses werden dann die einzelnen Teilschritte wieder zusammengefügt. Die amerikanischen Eigentümer geben beispielsweise genauestens vor, wie ein Produktionsprozess abzulaufen hat. Da wird detailliert vorgegeben, welcher Arbeitsschritt wann und wie zu passieren hat und wie das ganze zu protokollieren (neusprech: zu reporten) ist.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 46

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

47

Diese Einteilung des Fertigungsprozesses in kleinste Einheiten stammt ursprünglich aus dem Fertigungsprozess im „Taylorismus“ (vgl. Teil 1 Kapitel 1). Diese Entwicklung lässt sich nicht nur im Produktionsbereich beobachten, sondern immer stärker auch in der Dienstleistungsbranche. Es muss etwa angegeben werden wie viel Zeit eine Leistung in Anspruch nimmt, welche Kosten dabei entstehen und wo exakt diese Kosten zu verbuchen sind. Diese Vorgehensweise könnte man unter dem Namen „Dienstleistungs-Taylorismus“ gut beschreiben. Einzelne Arbeitsschritte werden dabei auseinander genommen und separat bewertet. In der mobilen Pflege wird beispielsweise je nach Pflegestufe festgehalten, ob die PatientInnen gefüttert werden müssen oder nicht, ob sie gewickelt werden müssen oder nicht, ob sie aus dem Bett gehoben werden müssen oder nicht und je nachdem wird der Zeitaufwand und damit der Kostenfaktor einer Pflegeleistung von den Geldgebern bestimmt.

Drei Hauptkritikpunkte werden bei Workflow-Management-Systemen angeführt:  „Durch den Workflow-Plan lassen sich Fehler einem einzelnen Team und oder einem bestimmten Mitarbeiter zuordnen. Daraus folgt die Tendenz bei den Beteiligten, eher untätig zu bleiben, als einen Fehler zu machen, sich möglichst gut abzusichern und "den schwarzen Peter" anderen zuzuschieben.  Das Management betrachtet Mitarbeiter potentiell als austauschbare Ressourcen zur Erfüllung des Workflow-Plans. Das kann die wichtige Beziehung zwischen Führungskraft und MitarbeiterInnen empfindlich stören.  Kreativität und Ideen zur Verbesserung der Geschäftsprozesse werden durch den gegebenen Rahmen eher gebremst.“ Diesem Zitat aus Wikipedia ist nichts hinzuzufügen.

BR-Handlungsoptionen:  Der Betriebsrat/Die Betriebsrätin mischt sich bei der Festlegung der Kennziffern ein. Er/Sie betont, wie wichtig es ist, die Ziele so zu bemessen, dass sie tatsächlich erreichbar sind, dass sie nicht eine Aufwärts-Spirale an Leistungserfordernissen auslösen, die sich immer schneller dreht und bei der niemand mehr mitkommt.  Der Betriebsrat/Die Betriebsrätin achtet darauf, dass personenbezogene Auswertungen möglicht selten vorkommen, dass Gruppenweise ausgewertet wird und somit keine Rückschlüsse auf Einzelne ermöglicht werden.  Der Betriebsrat/Die Betriebsrätin verhindert das System.

7.3.

Betriebsinterne Umfragen

Umfragen werden auch unter den Namen „Meinungsspiegel“, „betriebsinterner Fragebogen“, „Ad-hoc-Befragung“ „Quick-Poll“ und ähnlichen Bezeichnungen unter die Leute gebracht. Firmeninterne Belange kommen in den Umfragen zur Sprache. Es handelt sich hier nicht um ein systematisch zur Anwendung gebrachte Software (wie zB bei der oben beschriebenen „Balanced Score Card“), die quer über den gesamten Arbeitsmarkt verwendet wird – noch nicht.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 47

07.03.2012 10:36:03


48

Kolumnentitel

Die Unternehmensleitungen stellen dabei Fragen, die sie für die spezielle Situation, in der sich die Firma gerade befindet, „benötigen“. Die Bandbreite der Inhalte und der Zielgruppen bei diesen Umfragen ist daher entsprechend groß. In internationalen Konzernen werden die Umfragen weltweit aufgerollt. Geht es um geplante Maßnahmen, die nur eine Gruppe von Angestellten betrifft (zB Call Center), werden nur Teile der Belegschaft befragt. Die thematischen Einsatzmöglichkeiten sind mannigfaltig. In Unternehmen mit hohen Krankenständen versucht man mittels Umfrage dahinter zu kommen, warum das so ist. In einem Technologieunternehmen möchte man zB die Produktpalette aktualisieren und fragt daher die IT-Fachleute nach ihren Vorschlägen. Nach Schulungen werden die Teilnehmenden über ihr zusätzlich gewonnenes Wissen abgefragt. Leitende Angestellten wollen gerne wissen, was ihre MitarbeiterInnen von ihnen halten und starten zu diesem Zweck eine Umfrage. Umfragen zur Zufriedenheit mit der Arbeit, dem allgemeinen Gesundheitszustand, der persönlichen Meinung, etc. kommen immer wieder über das Intranet zu den Beschäftigten. Die so gewonnnen Daten können konzernweit gesammelt und ausgewertet werden. In Abteilungen mit wenigen MitarbeiterInnen besteht allerdings Gefahr, dass die Anonymität der MitarbeiterInnen nicht ausreichend geschützt ist. Es wäre schließlich nicht weiter schwierig, die „anonymen“ Angaben zu einzelnen Personen zurückzuverfolgen. Geschlecht und Dauer der Betriebszugehörigkeit werden beispielsweise angegeben – und schon kann ausgewertet werden, wie der persönliche Zufriedenheitsgrad aussieht. Die Folgen werden nicht sofort direkt ersichtlich sein, aber vielleicht kommt jemand auf die Idee, die „Unzufriedenen“ herauszufiltern zu nehmen und sie als „Risiko“ zu beurteilen. MitarbeiterInnen-Befragungen können wertvolle Instrumente sein, wenn es darum geht, betriebliche Verbesserungen herbeizuführen. Damit die gewünschten Ziele tatsächlich erreicht werden, müssen einige Eckpunkte berücksichtigt werden. Sie wurden hier zusammengestellt. Um zusätzlich sicher zu gehen, dass der Datenschutz gewährleistet ist wenn MitarbeiterInnen offen ihre Meinung kundtun, hilft die folgende Checkliste.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 48

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

49

Merkmale einer guten Betriebsumfrage Vor Beginn der Umfrage müssen die Ziele und damit einhergehend die Themen der Befragung festgelegt werden (zB interne Kommunikation soll verbessert werden, Image nach außen soll verbessert werden, Arbeitsbedingungen sollen insgesamt verbessert werden, etc.). Es gibt entsprechende Leitfragen und Hypothesen. Die sind erforderlich, um Klarheit darüber zu schaffen, was denn nun eigentlich die Fragestellung ist und welche Zusammenhänge erfasst werden sollen (zB die Arbeitszufriedenheit ist höher, wenn auf die Arbeitsplätze ergonomisch gestaltet sind. Das Image der Firma ist besser, wenn die MitarbeiterInnen weniger Stress im Arbeitsalltag ausgesetzt sind. Die Arbeitsaufgaben sind schneller zu bewältigen, wenn es klare Kommunikationswege gibt. – Das sind klare Hypothesen). Der Interpretationsspielraum für die Ergebnisse ist erfahrungsgemäß groß und wenn vorab nicht festgelegt wurde, was denn nun „gute“ oder „schlechte“ Arbeitsbedingungen sind, steht man nach der Befragung genauso schlau da, wie zuvor. Es gilt weiters vorab zu klären, wer welche Rechte während und nach der Befragung hat: a) Rechte der Beteiligten (Freiwilligkeit, Anonymität, Nachteilsverbot, Ausschluss der Leistungs- und Verhaltenskontrolle) b) Rechte über die Verfügung an den Ergebnissen (externe Befragungsinstitute, Bereichsleitung, Geschäftsführung, Betriebsrat) c) Rechte des Betriebsrats (Mitbestimmung bei der Fragenformulierung, Beteiligung an der Auswertung, Kontrolle der danach durchgeführten Maßnahmen) Wichtig ist auch im Vorhinein festzulegen, welche Konsequenzen aus der Befragung folgen sollen. Soll es darum gehen, Personal aufzustocken (ab welchem Ergebnis?), sollen bestimmte Projekte eingereicht werden (zB ab wann wäre bei einer Umfrage zur Gesundheit im Betrieb die Schwelle erreicht, dass man eingestehen muss, es gibt einen Bedarf an betrieblicher Gesundheitsförderung?). Es ist bei der Fragestellung zu beachten, ob unterschieden wird zwischen Rahmenbedingungen, die die einzelne MitarbeiterInnen beeinflussen können, solchen, die von den Führungsebenen beeinflussbar sind und solchen, die gar nicht beeinflussbar sind (zB können MitarbeiterInnen durch eine abteilungsinterne Arbeitsaufteilung die ihnen zur Verfügung stehende Zeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben nur begrenzt ausbauen; es liegt im Einflussbereich der Führungskräfte, die Anzahl der MitarbeiterInnen anzuheben; die Führungskräfte wiederum können einen bestehenden Facharbeitermangel am Arbeitsmarkt nicht beeinflussen). Speicherzeit – Es muss festgelegt sein, wie lange welche Daten gespeichert werden (§ 6 Abs 1 Zi 5 DSG). Die Fragen müssen verständlich formuliert sein und sich nur auf eine einzige Themenstellung beziehen (zB „Würdest du gerne in der Kantine besseres Essen zu geringeren Preisen erhalten?“ ist keine gute Fragestellung, weil vielleicht besseres Essen zu höheren Preisen auch eine Option ist, die diese Fragestellung aber nicht abdeckt. Deshalb müssten hier zwei Fragen formuliert werden; 1. Bist du mit der Qualität des Essens zufrieden? 2. Wärst du bereit, mehr zu zahlen?) bitte umblättern >>

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 49

07.03.2012 10:36:03


50

Kolumnentitel

Es empfiehlt sich, „Reizwörter“ zu vermeiden, vollständige Sätze zu formulieren, aktuelle Ereignisse aufzugreifen und bei den Antworten (so welche vorgegeben sind) gleichwertige Möglichkeiten anzugeben (Die Antworten „da bin ich total dafür“ und „das gefällt mir nicht besonders“ wären ungleich. Einer extremen positiven Möglichkeit muss eine extreme negative Möglichkeit gegenüberstehen. zB „da bin ich total dafür/dagegen“. Es eignen sich gleichmäßig abgestufte Skalen auf denen die MitarbeiterInnen ihre Meinung eintragen können, wie beispielsweise eine Beurteilung nach dem Schulnotensystem.). Transparenz – Die betroffenen MitarbeiterInnen haben ein Recht darüber informiert zu werden, wer welche ihrer personenbezogenen Daten zu welchem Zweck verarbeitet und an wen allenfalls Daten übermittelt werden (§ 1 Abs 3 DSG). Die Beschäftigten sollen Bescheid wissen, über die Hintergründe für die Befragung. Warum wird die Umfrage gemacht? Wer wird aller die einzelnen Antworten sehen? Daher macht es Sinn, in regelmäßigen Abständen die Beschäftigten zu informieren (zB mittels Wandzeitung, schwarzes Brett, (Teil-)Betriebsversammlung,… Auch eine Diskussion der Ergebnisse mit allen Betroffenen/deren VertreterInnen wäre eine empfehlenswerte Möglichkeit.) Sicherheit – Technische und organisatorische Maßnahmen müssen getroffen werden (§ 14 DSG 2000). Die Datenverarbeitenden dürfen nur auf Anweisung der Verantwortlichen Daten verarbeiten. Sollten sensiblen Daten (= Gesundheit, Gewerkschaftszugehörigkeit, politische Meinung, Religion, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung) verwendet werden, müssen die ArbeitnehmerInnen persönlich der Verwendung zustimmen. Ausnahme: es wird alles völlig anonym erfasst und ausgewertet.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 50

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

51

Der gute Ablauf einer Betriebsumfrage In der Erhebungsphase:  anonym  in der Arbeitszeit  freiwillig Auch beim Rücklauf müssen diese Grundsätze beachtet werden. Eine personenbezogene Rücklaufkontrolle würde den Prinzipien zuwiderlaufen und ist daher unzulässig. (Ein Mail mit der Aufforderung, doch bitte endlich den Fragebogen auszufüllen, lässt darauf schließen, dass die Anonymität nicht vollständig gewährleistet ist.) In der Auswertung:  Ergebnisse müssen anonym vorliegen; dazu gibt es verschiedene Vorgehensweisen: a) Datenauswertungen werden nicht für Personengruppen gemacht, die weniger als 10 Personen umfassen; b) eine externe Firma wird beauftragt und gibt die Daten nur in bereits ausgewerteter Form weiter; die Firma gibt eine eigene Vertrauenserklärung ab und verpflichtet sich die Betriebsvereinbarung (so vorhanden) einzuhalten; c) die Daten werden nur verschlüsselt erfasst und es ist daher nicht möglich zu erkennen, wer welche Antwort gegeben hat.  zweckgebunden; dh die Daten dürfen nur für diese Befragung verwendet werden; der Verwendungszweck ist festgelegt und darüber hinaus ist jede Datenanwendung untersagt (vgl. § 6 Abs 1 Zi 2 Datenschutzgesetz (DSG)). Es müssen die Auswertungen mit den oben definierten Zielen übereinstimmen.  Vertraulichkeitsgebot bzw. Verschwiegenheitspflicht der direkten BearbeiterInnen, die die personenbezogenen Daten kennen (sowohl intern als auch extern) Bei der (Zwischen-) Präsentation der Ergebnisse:  zeitnah  für die Befragten (und nicht über deren Köpfe hinweg)  der Stand der Dinge wird kundgetan  erste Umsetzungsideen werden verlautbart In der Umsetzung:  zeitnahe (am besten, in klaren Worten definiert, zB innerhalb eines Quartals)  beteiligungsorientiert  evaluiert (ob Maßnahmen den gewünschten Erfolg gebracht haben, ist erst eindeutig belegt, wenn die entsprechenden Evaluierung statt gefunden hat wie beispielsweise eine Wiederholung der Befragung, eine jährliche Berichterstattung in der Steuergruppe, etc.) Die Daten dürfen nicht an Dritte weitergegeben werden, außer diese sind mittels Vertrag eindeutig verpflichtet, die Daten nur zweckdienlich zu verarbeiten und darüber hinaus keine weiteren Verknüpfungen, Auswertungen, Übermittlungen etc. durchzuführen.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 51

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

52

In einem Betrieb wurden beispielsweise folgende Grundsätze bei der Auswertung von Umfragen zur Arbeitszufriedenheit in der Betriebsvereinbarung verankert:  Die Umfrage dient ausschließlich dem Standortvergleich.  Es werden mindestens 12 Personen ausgewertet.  Die Bereichsvergleiche sind für alle zugänglich.  Die Gruppenvergleiche sind nur mehr für den/die AbteilungsleiterIn zugänglich.  Der eingebundene Arbeitspsychologe macht aufgrund der Ergebnisse vier Verbesserungsvorschläge von denen die Geschäftsführung einen umsetzen muss.  Der Betriebsrat ist bei der Erarbeitung der Fragestellungen und der Interpretation der Umfrageergebnisse eingebunden.

Am besten werden diese Schritte von einer Steuerungsgruppe/Projektgruppe vereinbart, die auch einen Zeitplan erstellt. Betroffene bzw. deren VertreterInnen (zB ist das Thema Image der Firma nach außen, dann soll jemand aus der Marketingabteilung dabei sein wenn die wesentlichen Entscheidungen getroffen werden) und Betriebsrat sind mit an Bord der Projektgruppe. Die Projektgruppe legt fest, wer welche Aufgaben bis wann zu erledigen hat. Auch allfällige Kosten der Befragung werden von der Gruppe beschlossen. Die konkrete Umsetzung allfälliger Maßnahmen ist am besten von einer eigenen Arbeitsgruppe in einem Workshop zu diskutieren, wo die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Falls es bei der Befragung eher um eine Evaluierung innerbetrieblicher Maßnahmen geht oder um das Audit von bestimmten organisatorischen Strukturen (zB Zielvereinbarung, Arbeitszeit) dann enthält folgender Lesetipp konkrete Anregungen zur Fragestellung: „Soziales Audit – zur Gestaltung betrieblicher Veränderungen“.

BR-Handlungsoptionen: Meinungsumfragen liefern einen wichtigen Überblick über die Situation im Betrieb. Der Betriebsrat kann sie für seine Zwecke einsetzen.

In einem Unternehmen aus der Finanzbranche wollte der Betriebsrat eine Umfrage zur Gesundheit und Arbeitszufriedenheit nach dem Bezug eines neuen Bürogebäudes durchführen. Die Unternehmensleitung ließ durchblicken, dass dies nicht in ihrem Sinne sei und prüfte, ob sie dem Betriebsrat die Durchführung der Umfrage untersagen kann. „Das werde ich verhindern wenn es geht.“ waren seine Worte. Dies blieb letztendlich eine leere Drohung. Nach einer Beratung durch die Gewerkschaft war klar, dass das Arbeitsverfassungsgesetz einige wertvolle Anknüpfungspunkte bietet, aus denen sich im konkreten Fall die Rechtmäßigkeit der Betriebsratsumfrage ableiten lässt.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 52

07.03.2012 10:36:03


Kolumnentitel

53

Dass der Betriebsrat selbst Umfragen durchführen kann und ihm das auch nicht von Arbeitgeber verboten werden kann, ist aus einigen Gesetzestexten ersichtlich.

Gesetzliches zur Durchführung einer betrieblichen BR-Umfrage Das Recht des Betriebsrates, die Befragung durchzuführen begründet sich auf § 38 ArbVG. Dort ist normiert, dass der Betriebsrat sowie alle Organe der ArbeitnehmerInnenschaft im Rahmen ihrer Interessenvertretungsagenden die Aufgabe haben, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der ArbeitnehmerInnen im Betrieb umfassend zu wahren und zu fördern. Damit ist das Recht des Betriebsrates zur Durchführung der geplanten Befragung unzweideutig festgelegt. Diese so genannte „Interessenwahrungspflicht“ des Betriebsrates ist nach herrschender Lehre und Judikatur sehr umfassend und weit auszulegen. Der Nachweis, dass eine Arbeitszufriedenheitsumfrage in Wahrnehmung der umfassenden Interessenwahrungsaufgabe des Betriebsrates durchgeführt wird, dürfte problemlos gelingen. Das arbeitsverfassungsrechtliche Recht und die Pflicht des Betriebsrates zu Wahrung der ArbeitnehmerInneninteressen ist nur insofern eingeschränkt, als die Durchführung seiner Tätigkeit „tunlichst ohne Störung des Betriebes“ stattzufinden hat. Darauf wird dann auch bei der konkreten Durchführung einer gesundheitsbezogenen Umfrage Rücksicht zu nehmen sein. Zur der Erfüllung der durch das ArbVG übertragenen Aufgaben kann der Betriebsrat auch Gewerkschaft und Arbeiterkammer beiziehen. Das Recht der einzelnen MitarbeiterInnen an der Befragung teilzunehmen begründet sich auf § 37 ArbVG Abs 2. Dort ist dem/der einzelnen ArbeitnehmerIn zum einen das Recht eingeräumt, den Betriebsinhaber direkt mit Anfragen, Wünschen und Beschwerden und Anregungen anzusprechen. Zum anderen wird dieses Recht dem/der einzelnen ArbeitnehmerIn auch gegenüber dem Betriebsrat eingeräumt. Daraus folgt, dass ArbeitnehmerInnen, die von diesem Recht nach §37 Abs 2 ArbvG während der Arbeitszeit Gebrauch machen, nicht ihre vertragliche Arbeitspflicht verletzen. Der Betriebsinhaber darf die ArbeitnehmerInnen weder an der Ausübung dieses Rechtes hindern, noch deswegen in irgendeiner Form benachteiligen. Das Recht zur Nutzung betrieblicher Kommunikationseinrichtungen im Zuge der Befragung begründet sich auf § 72 ArbVG. Dort sind dem Betriebsrat zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben neben Räumlichkeiten, Kanzlei- und Geschäftserfordernissen auch sonstige Sacherfordernisse in einem der Größe des Betriebes und den Bedürfnissen des Betriebsrates angemessenen Ausmaß seitens des Betriebsinhabers zur Verfügung zu stellen. Ist in einem Betrieb ein elektronisches Kommunikationsnetzwerk errichtet und wird es auch vom Betriebsinhaber dazu genutzt, mit den MitarbeiterInnen zu kommunizieren, so ist auch dem Betriebsrat der Zugang zu diesem Netzwerk bzw. die elektronische Kommunikation mit der Belegschaft zum Zwecke der Erfüllung der ihm zugeordneten Aufgaben (dh auch der Förderung und Wahrung der gesundheitlichen Interessen der ArbeitnehmerInnen") zu ermöglichen. bitte umblättern >>

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 53

07.03.2012 10:36:04


54

Kolumnentitel

Handelt es sich bei den Umfragen weniger um tatsächliche Ansätze zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sondern eher um Kontrollinstrumente, wer über wen was denkt, dann gilt es, diesem Vorgehen einen Riegel vorzuschieben. Solche Umfragen können am ehesten dadurch unterbunden werden, dass der Betriebsrat/die Betriebsrätin die Belegschaft über die Hintergründe der Befragung informiert und dazu aufruft, nicht teilzunehmen. Der Betriebsrat kann als Alternative zu einer „selbst gestrickten“ Meinungsumfrage ein standardisiertes Umfrageinstrument zur Arbeitszufriedenheit anbieten. Warum sich selbst, den Kopf zerbrechen, wenn das Teams von ArbeitspsychologInnen und anderen ExpertInnen schon getan haben. Namentlich Lenert Michael und Margit Fally (2010): "Verfahren zur Erhebung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz" Arbeiterkammer Wien. Im Kapitel 7 finden sich weitere statistische standardisierte Werkzeuge zu Arbeitsbedingungen in Österreich.

8.

Werkzeuge für die betriebliche Praxis

 Checkliste zum Einsatz von externen BeraterInnen ............................................................................21  In der Betriebsvereinbarung können folgenden Inhalte geregelt werden. .............................................23  Fragen eines/r mitdenkenden ArbeiternehmerIn ...............................................................................24  Fragen eines kritischen Betriebsrates zum Benchmarken ....................................................................28  Checkliste zur Auswahl von Kennzahlen für die Prämienberechnung...................................................44  Merkmale einer guten Betriebsumfrage ...........................................................................................49  Der gute Ablauf einer Betriebsumfrage ............................................................................................51  Gesetzliches zur Durchführung einer betrieblichen BR-Umfrage ..........................................................53  Der König und seine Richtlinie .......................................................................................................55

Als Diskussionseinstieg oder als Problemabriss für eine betriebliche Arbeitsgruppe kann das nachfolgende Märchen eingesetzt werden. Im Anschluss können eigene Vorschläge erarbeitet werden, wie der König sein Reich besser regieren könnte.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 54

07.03.2012 10:36:04


Kolumnentitel

55

Der König und seine Richtlinie Es war einmal vor vielen Jahren in einem fernen Land da regierte einst ein König, der stets ein Ohr für die Anliegen seines Volkes hatte. Täglich zu einer fest gesetzten Zeit empfing er seine Untertanen einzeln oder in Gruppen im prunkvollen Audienzsaal. Die von nah und fern angereisten Menschen brachten dem König Stunden um Stunden ihre Anliegen vor, wie ihr hartes Leben schöner und gerechter werden könnte. So erfuhr der König von allen Missständen im Lande und manchmal gewährte er einen Vorschlag oder er erfüllte einen Wunsch – und manchmal schlug er die Worte seiner Untertanen in den Wind. Doch diese Tage gingen vorüber. Von dem vielen Jammern, Betteln, Schreien und Wehklagen wurden die Ohren des alte König immer schlechter und schlechter und schließlich verlor er ganz sein Gehör. Kurze Zeit später starb er. Der neue König war klug, schön und reich. Damit alle im Lande von seinen guten Seiten erfahren sollten, schickte er seine Herolde aus. Diese trommelten auf den Marktplätzen landauf und landab die Bevölkerung zusammen, um des neuen Königs Vorzüge zu verkünden. Diejenigen aber, die auf den königlichen Feldern nach dem Rechten sehen mussten, diejenigen, die das königliche Mehl mahlen mussten, diejenigen, denen es oblag, das königliche Vieh zu melken, diejenigen die die königliche Wäsche waschen, und plätten mussten, hatten jedoch keine Zeit um auf den Marktplatz zu kommen. Also erzählten ihnen die anderen des Abends, wenn sich alle rund um den Tisch versammelt hatten, von den Worten der Herolde, von der Klugheit, Schönheit und dem Reichtum des neuen Königs. Die Armen erzählten, dass der König sehr reich sei, aber offenbar nicht teilen wolle. Die Gebrechlichen erzählten, dass der König sehr schön sei und sich daher sicherlich oft in den Spiegel sehen müsse und vor Gesandten aus Könighäusern aus aller Welt auftreten müsse. Die Alten und die Kinder erzählten von seiner Klugheit, hatten aber den genauen Grund dafür schon wieder vergessen. Der König merkte alsbald, dass seine Nachrichten nicht so bei den Menschen ankamen wie er das gerne gehabt hätte. Er beschloss die Nachrichtenübermittlung zu verbessern. Ein Lehrer wurde eigens aus dem Nachbarland geholt um die Herolde in der Technik des Nachrichten Erzählens zu unterrichten. So sollten sie lernen die Vorzüge des Königs besser zu verstehen, damit davon auch ein Glanz auf sie abfiele und sie so stolz auf ihren König seien würden, dass sie den Feldern mehr Ernte, den Kühen mehr Milch und der Wäsche mehr Weiße abgewinnen würden. Die neue Art und Weise der Erzählungen sollte dadurch verbessert werden, dass ein Marktfahrer mit den Herolden mitgeschickt wurde. Der sollte seine Waren all jenen, die zuhören kamen, als kleine Geschenke vom König präsentieren. Gemeinsam zogen Herolde und Marktfahrer nun – geschult durch den Lehrer aus dem Nachbarland – durch das Königreich und verkündeten die vorzüglichen Eigenschaften des neuen Königs. Sie verkündeten auch seine Ideen, wie das Land noch reicher und noch schöner und seine Bewohner und Bewohnerinnen noch klüger gemacht werden müssten. Wegen des Geschenkes kam diesmal auch der Müller zuhören und es wurde an diesem Tag kein Mehr gemahlen, weshalb das königliche Brot nicht gebacken wurde, was dem König gar nicht gefiel. So setzte er seine gesamte Klugheit ein um sich auszudenken, wie die Nachrichten auf eine andere Art und Weise unter das Volk gebracht werden könnten. (Diesmal half ihm ein Lehrer aus einem anderen Land beim Ausdenken.)

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 55

bitte umblättern >>

07.03.2012 10:36:04


56

Kolumnentitel

Der neue König lies nun allen Leuten im Lande Lesen und Schreiben beibringen auf dass sie seine Nachrichten lesen könnten. Darauf schickte er für jeden seiner Untertanen einen Brief, in welchem er den Befehl erließ, was jeder Untertan zu tun hätte, um das Land schöner und reicher zu machen. Auf dem Brief stand der Titel „Richtlinie“. [Bei den Gebrüdern Grimm haben – im Gegensatz zu Hans-Christian Andersen oder Wilhelm Hauff – die Märchen immer ein Happy End. Für die Anhänger und Anhängerinnen dieser grimmschen Erzähltradition ist hier noch ein anderes Ende angeführt:] Nach einigen Jahren heiratete der junge König eine junge Prinzessin aus einem Land weit weg. Sie öffnete ihm die Augen, dass die Bevölkerung über die neue Art der Nachrichtenübermittlung auch nicht glücklich war und sie sagte ihm, was er sich für einen Blödsinn ausgedacht hatte und sie führte die Sitten des alten Königs wieder ein – nur der Lese- und Schreibunterricht wurden beibehalten. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann hören sie sich noch heute Vorschläge an, wie ihr Land noch gerechter und noch sozialer gestaltet werden kann und erfüllen die Wünsche ihrer Untertanen.

9.

Schlusswort

Neue Erkenntnisse über die Möglichkeiten und Methoden um das Arbeitsverhalten von Menschen in Zahlen auszudrücken sind in der Regel eine Mischung aus theoretischen Annahmen (zB dem dahinterliegenden Menschenbild, dass es positiver Motivation bedarf, um Menschen zu guten ArbeitnehmerInnen zu machen) und der empirischen Feldforschung (zB Beobachtung von FabriksarbeiterInnen). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Unternehmensführung, die Analyse von Fertigungsprozessen, die neue Erkenntnis über innerbetriebliche Abläufe wird dann von den ExpertInnen in Fachpublikationen veröffentlicht und von UnternehmerInnen bzw. den UnternehmensberaterInnen in den Unternehmen umgesetzt. In der betrieblichen Anwendung bleibt jedoch häufig der wissenschaftstheoretische Hintergrund der Methoden verborgen (zB das angenommene Menschenbild). Umgekehrt bleibt bei der wissenschaftlichen Methodenentwicklung oft die betriebliche Praxis, das Unvorhersehbare, die menschliche Reaktion außer Acht. Angesichts der zunehmenden Kennzahlen-Manie in vielen Unternehmen, gilt es, die sinnvollen Kennzahlen von den weniger sinnvollen zu unterschieden, die gesetzlich erforderlichen von denen zu unterscheiden, die getrost beiseite gelassen werden können. Dazu bedarf es sicherlich auch einer Portion Mut. Mut, zur direkten Kommunikation, die sich nicht hinter Kennzahlen und deren Interpretation versteckt. Sonst landen wir unweigerlich dort, wo vor lauter Kennzahlenermittlung, Kennzahleninterpretation und Kennzahlenevaluierung gar nicht mehr die ursprünglich geplante Maßnahme, dass wozu die Kennzahlen ursprünglich dienen sollten, umgesetzt werden kann. Der – bisweilen sicherlich erforderliche – Umweg über Kennzahlen sollte nicht dazu führen, dass der eigentliche Grund für die Kennzahlenentwicklung aus dem Blickfeld gerät. Verloren zwischen den Kennzahlenbäumen sehen wir den Wald nicht mehr.

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 56

07.03.2012 10:36:04


Kolumnentitel

57

Es wäre angebracht, die hinter den Kennzahlen stehenden Theorien festzuhalten. Kennzahlen entstehen nicht im luftleeren Raum. Es steht immer eine Annahme dahinter, wozu sie gebraucht werden könnten. Oft würde es weniger genaue Kennzahlen brauchen, weniger Energie um diesen Zwischenschritt zu machen, um eben diese Annahme durchzusetzen. Aber ohne Theorie dahinter, dass die Branche, die einzelnen ArbeitnehmerInnen oder der Betrieb eine Veränderung notwendig hätten, wäre die Zahlen nicht ermittelt worden. Also, warum nicht die hinter den Kennzahlen stehenden Annahmen in mögliche Handlungen umsetzen und für deren Ergebnisse auch gerade stehen? Die Erfassung des Betriebsgeschehens mittels Kennzahlen macht nur so lange Sinn, so lange diesen Kennzahlen nicht alles andere untergeordnet wird. Die Kennzahlen sind ein Werkzeug zur Erfassung eines Ist-Zustandes. Eine Veränderung oder Verbesserung können sie aus sich selbst nicht herbeiführen, das müssen immer noch Menschen tun. Der „Kennzahlen-Gott“ sollte dem Motto „hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ weichen. Egal ob im Schul- und Bildungsbereich (Stichwirt PISA), in der Produktion (Stichwort: Workflow-Erfassung), in der sozialen Dienstleistung (Stichwort: Leistungsdatenerfassung) oder auch im Leistungssport (Stichwort: Spieleranalyse), wer kennt sie nicht, die vielen Zahlen, die die Qualität der dort geleisteten Arbeit symbolisieren sollen. Wie der ehemalige Fußballtrainer Ernst Dokupil in einem Interview sagt: „Ich habe gar nichts gegen wissenschaftliche Untersuchungen. (…) Man darf aber die Untersuchungen und das ganze Zahlenmaterial nicht überbewerten. (…) Dazu muss man sich nur den FC Barcelona anschauen. Ich glaube, dass die mehr mit dem Ball als dem Computer arbeiten.“ In diesem Sinne: mehr mit den Menschen arbeiten als mit den Zahlen!

10. Zum Weiterlesen – Berner, Winfried (2009): Benchmarking / Best Practice: Aus Vergleichen zu lernen lernen. http://www.umsetzungsberatung.de/veraenderungsstrategie/benchmarking.php [14.9.2011] – Beutler Kai und Thomas Langhoff (2002): Betriebsräte als Beteiligungsstrategen? Projektcontrolling nach BSC (Balanced Scorecard) Handlungshilfe für Betriebsräte. Technologieberatungsstelle Nordrhein Westfalen, Heft 55 – Eichmann Hubert und Ines Hofbauer (2008): Man braucht sehr hohes Energieniveau, zum Arbeitsalltag von UnternehmensberaterInnen. Edition sigma – Eichmann Hubert, Jörg Flecker, Alfons Bauernfeind, Bernhard Saupe und Marion Vogt (2010): Überblick über Arbeitsbedingungen in Österreich, Sozialpolitische Studienreihe, Band 4. Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz – Hofmann Ines, Heinz Leitsmüller und Ruth Naderer (2006): Unternehmenskennzahlen, Werkzeuge für professionelle Betriebsratsarbeit. Arbeiterkammer Wien, Download: http://www.arbeiterkammer.at/bilder/d40/UN_Kennzahlen_2006.pdf [23.8.2011] – Leif Thomas (2006): beraten & verkauft, McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater. Bertelsmann Verlag – Lenert Michael und Margit Fally (2010): Verfahren zur Erhebung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Arbeiterkammer Wien – Rügemer Werner (2004): Die Berater-Demokratur, wie McKinsey, Price Waterhouse Coopers und die globale Beraterbranche den Staat privatisieren und die Reste der Demokratie demontieren. In: Big Business Crime Nr.2/2004 Download: http://www.rentenreform-alternative.de/beraterdemokratur_ruegemer.pdf [23.8.2010]

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 57

07.03.2012 10:36:04


58

Kolumnentitel

Notizen .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... .................................................................................................................................................................... ....................................................................................................................................................................

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 58

07.03.2012 10:36:04


Kolumnentitel

59

GPA-djp – ganz in Ihrer Nähe Ihre AnsprechpartnerInnen in ganz Österreich

Service-Hotline: 05 0301-301 GPA-djp Service-Center 1034 Wien, Alfred-Dallinger-Platz 1 Fax: 05 0301-300, eMail: service@gpa-djp.at

Regionalgeschäftsstelle Wien 1034 Wien, Alfred-Dallinger-Platz 1

Regionalgeschäftsstelle Niederösterreich 3100 St. Pölten, Gewerkschaftsplatz 1

Regionalgeschäftsstelle Burgenland 7000 Eisenstadt, Wiener Straße 7

Regionalgeschäftsstelle Steiermark 8020 Graz, Karl-Morre-Straße 32

Regionalgeschäftsstelle Kärnten 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 44/4

Regionalgeschäftsstelle Oberösterreich 4020 Linz, Volksgartenstraße 40

Regionalgeschäftsstelle Salzburg 5020 Salzburg, Markus-Sittikus-Straße 10

Regionalgeschäftsstelle Tirol 6020 Innsbruck, Südtiroler Platz 14-16

Regionalgeschäftsstelle Vorarlberg 6900 Bregenz, Reutegasse 11

www.gpa-djp.at

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 59

07.03.2012 10:36:04


F端r alle, die mehr wollen!

www.gpa-djp.at/gutearbeit

1034 Wien, Alfred-Dallinger-Platz 1, Service-Hotline: 05 0301-301, service@gpa-djp.at - www.gpa-djp.at DVR 0046655, ZVR 576439352

grundlagen_broschuereA4_kennzahlen_4-1c_scd_korr1_.indd 60

07.03.2012 10:36:04


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.