4 minute read
Zauber der Kindheit - selbst im Baragan
Marliese Knöbl, Marlies Holzinger, Anna Mann u.a.
Kindheit ist die Zeit der Unbeschwertheit, der Sorglosigkeit, des Frohsinns, derWohlbehütheit durch die Familie, auch unter schwersten Bedingungen, im Baragan! Viele Baragankinder stellen rückblickend fest: Wir waren auf unsere Art glücklich, viel frei und doch auch im Schoß der Familie geborgen. In der Erinnerung waren das meine schönsten Jahre! (M. Holzinger)
Advertisement
Es war staubig und schrecklich heiß, es gab nur Mitzis Milch als Erfrischungsgetränk, dazu das freie Feld und darauf viele solcher Haufen von Möbeln, Tieren und Menschen...Unsere Mutter weinte und schluchste, so hatten wir sie noch nie gesehen und hatten Angst, sie könnte sterben.Vati redete auf sie ein: ‚Mama, net kreisch! Solang mer et Graas for onser Sopp selwer roppe kenne, geht et ons net schlecht.‘ (Erfahrung als russischer Kriegsgefangener) Daraus die Entschlossenheit, das Beste aus der misslichen Lage zu machen, vor allem die mitgebrachten Tiere versorgt zu wissen, wo die Kinder als Hüter der Familie nicht nur halfen, sondern selbst im kühlen Schatten sich wohler fühlten, Freundschaften schlossen, was den Kindern viel leichter als den Erwachsenen gelingt. Das ist glückliche Kindheit: Geborgenheit durch die Eltern, doch auch Freiraum zum Spielen mit anderen Kindern und Zeit zum Nichtstun.
Unter dem ersten Dach musste Platz für Ziege, Hühner, Schwein und Familie sein, alle brauchten Schutz vor Hitze und Wind. Das eigentliche Haus war bei den meisten vor dem Winter soweit fertig, nur feucht war es auch noch... Marliese Knöbl (Wagner) erinnert sich außerdem: Ich selbst empfinde noch heute, nach so vielen Jahren, dass es ein reiches Familienleben war. Die Enge wurde nicht als Last empfunden, sie schmolz uns zusammen. Es war eine Kindheit in einer heilen Familie. Der Unterricht war anfangs nur bis zur vierten Klasse möglich, die etwas älteren Kinder wurden schon zu leichteren Arbeiten herangezogen: hüteten Vieh, schafften Wasser herbei, was mit manchem Unerwünschten einherging. Man war stolz, auch helfen zu können, man war flink, verschüttete aber oft einen Teit des wertvollen Wassers für Familie und Tiere. Dabei versuchte man, wie Kinder schon sind, allerlei Kunststücke zu machen, wenngleich Glas zu Bruch ging. Die Eltern brachten meist Verständnis auf (A. Mann).
Ja, Ferien im heutigen Sinne, mit Reisen in die ganze Welt, gab es natürlich nicht: Wir kleinere Mädels hatten doch unsere Ziegen, für ihre vollen Panzen zu sorgen und dabei zu spielen – eigentlich eine heitere und unbeschwerte Zeit. Was ich jedoch 5 Jahre ohne Minderwertigkeitskomplex tat, war mir nach der Heimkehr nach Billed jedoch nicht mehr zumutbar, weil man sich auch als Kind dem Umfeld anpasst.
Zu Weihnachten gab es im Baragan nicht mal einen Christbaum, geschweige denn Geschenke. Nur einmal bohrte der Vater Löcher in einen Besenstiel und steckte mitgebrachte Tannenzweige hinein – unser unvergesslichster Christbaum!
An Spielzeug hatten wir von zuhause: ein Kartenspiel, ein Schachbrett, eine Puppe, paar Buntstifte, geborgtes
Foto und Text aus dem Brief von Ing. Johann Pierre am 7. Oktober 1951 an seine Enkel
„Schließlich schicke ich Euch noch eine Kindergruppe, in welcher Ihr alle Kinder kennt, die zwei Vastag-Mädels, die Steiner Schwesti, die Steiner Anna, Haberer Ilse und Marko Marie; sie stehen vor dem Eingang der Vastag-Hütte und sind recht froher Laune.“
Lesematerial, Lust zum Zeichnen. Selbstgemachte Kukruz- und Maisstängelpuppen beflügelten die Phantasie der kleinen Mädchen, die vom Frühjahr bis in den Herbst in Gottes freier Natur spielten, nur in schwarzer Sporthose und kleinem Turnhemd, ohne Schuhzeug, sodass die Füße eine dicke Haut bekamen, Schutz gegen Stoppelfeld und Akaziendornen. Jedoch wurden auch den Kindern altersgemäße Arbeiten zugeteilt und dadurch schrittweise Einblick in die Arbeitswelt, ohne die kein Dasein gesichert war.
Im Baragan waren wir alle gleich vom Schicksal betroffen. Aus meiner Sicht gab es keine Neider, kein Hass
– Schicksale waren jedoch verschieden! Auch Hartgetroffene sangen nach schwerer Tagesarbeit ihr Kind todmüde in den Schlaf, andere mussten teils vom Mitleid ihrer Mitmenschen ihr Dasein fristen.
Schulkinder hatten nur im Winter Unterricht, im Sommer gingen sie Baumwolle pflücken oder Mais bestäuben, verdienten mit Musizieren bei Gelegenheitsfeiern etwas Geld, manche auch für die Heimreise zur Firmung.
Selten liest man solch positive Bewertung eines Lehrers wie die von Franz Keller, einem wunderbaren Menschen, von dem alle seine Schüler viel gelernt haben, auch durch Privatunterricht, wodurch vielen nach der Heimkehr der Besuch des Lyzeums möglich war. Er erzog sie zu pflichtbewussten Menschen, zu Freunden, die auch auferlegten „Hausarrest“ von ihm hinnahmen, obzwar es sehr schmerzte, nicht in die „Reih“ gehen zu dürfen. Aufgefallen ist, dass einige seiner Schüler besser deutsche Balladen zitieren konnten als die meisten Daheimgebliebenen.
Auch im Baragan ließ sich die Jugend Musik und Tanz nicht nehmen, selbst wenn es im Akazienwald war, wo es so herrlich duftete, wenn die Akazien blühten und an die Heimat erinnerten. Behilflich waren Mädchen auch durch Beten und Singen bei Beerdigungen an Orten, wo es keinen Pfarrer gab.
Für die Eltern und Großeltern war es eine äußerst schwierige Zeit, Kinder nahmen das Ganze unbekümmerter auf, der Spieldrang siegte, die kindliche Lebensfreude!
Abbildung rechts
Ein Foto mit Seltenheitswert: Verordnete Ernsthaftigkeit statt kindliche Lebensfreude. Kindergarten in Insuratei-Noi. Billeder Mädchen: oben ganz links - Kathi Schiller, mittlere Reihe rechts außen - Anna Mumper, zweite links - Anna Schiller, neben ihr Anna Schwarz, unten Mitte - Helga Haupt zu Besuch im Kindergarten. (Foto aus dem Archiv von Helmut Reiter.)