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DER UNSTILLBARE DURST NACH NATUR
from ART OF SNOW 2020
Zum Freeriden fand die zweifache Weltmeisterin nach dem ersten Unfall, zum Klettern nach dem zweiten. Neue Wege einzuschlagen entspricht dem Naturell von Nadine Wallner – nicht nur beim Skifahren.
Nadine Wallners Lieblingszustand ist das Sein im Hier und Jetzt. Der Ort, an dem sie ganz schnell dorthin findet, ins Hier und Jetzt, ist kein spezifischer. Draußen muss es auf jeden Fall sein, in der Natur. An der frischen Luft. Und am besten irgendwo in den Bergen. „Der Moment wird dann so zeitlos,“ sagt Nadine, „man hört auf zu denken.“ In Klösterle am Arlberg ist sie groß geworden, mit einem Ski- und Bergführer als Vater und ganz vielen Bergen als stille, gute Lehrer – ihnen ist sie schon im Alter von drei Jahren begegnet. Und schon damals hat sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, viel gelernt. Über die Schönheit der Natur und das große Glück, das sich einstellt, wenn man unbefahrenen Powder im Sonnenschein hinabfährt. Über die ständige süße Sehnsucht nach dem perfekten Tag mit dem perfekten Schnee.
Auch über Schnee und Wetter lernte sie viel. Und darüber, wie sich Risiken einschätzen lassen. „Mein Vater hat mir das Skifahren und die Berge auf eine andere Art gezeigt, abseits vom Stangenfressen. Wir sind viel im Gelände gefahren, viele Skitouren gegangen.“ Sie wusste bald, wie sie das Gelände anschauen musste, worauf zu achten war, wenn die Frage in der Luft hing: Ist das auch sicher? Sehr spielerisch lernte sie, was im Notfall zu tun ist. „Als Kind war das lustig, mit dem LVS-Gerät (Anm.: Lawinenverschüttetensuchgerät) im Garten die anderen vom Papa eingegrabenen Geräte zu suchen.“ Mit der Zeit schärfte sich der Hausverstand, mit der Erfahrung das Gespür. „Je mehr Erfahrung ich habe, umso bessere Entscheidungen kann ich am Berg treffen.“ Sie bezeichnet sich selber als überlegt und risikounfreudig, „auch wenn es von außen vielleicht nach Risiko aussieht, sind meine Abfahrten und Aktionen bis aufs kleinste Detail geplant und das Risiko so gut wie möglich minimiert. Ein gewisses Restrisiko gibt es am Berg aber immer.“
Nadine ist zweifache Freeride-Weltmeisterin. Und das, obwohl der Plan eigentlich ein anderer war – ursprünglich hat sie sich auf den Skirennlauf konzentriert. Aber dann, es war am ersten Tag des Jahres 2004, kam der Unfall. Und plötzlich fehlte der 15jährigen Nadine die Milz – und die Knie verweigerten die Abfahrt. „Dann halt nicht“, dachte sie. Diese „Dann halt nicht“-Haltung war keine trotzige; sie zeigt eher Nadine’s Fähigkeit, Dinge so zu sehen, wie sie sind und nicht wie sie sie gerne hätte. Dinge, die sich nicht ändern lassen, anzunehmen – und das Beste daraus zu machen. So machte Nadine die Ausbildung zur staatlich geprüften Skilehrerin- und Skiführerin – und stieg aufs Freeriden um. Es lag ihr sehr. So sehr, dass sie sich 2013 als jüngste Athletin den Weltmeistertitel bei der Freeride World Tour holte. Auch 2014 gab es wieder Gold für sie. Und, als Kontrastprogramm, einen weiteren Unfall: Bei Film-Dreharbeiten in Alaska zog sich die damals 24-Jährige offene Brüche im Schien- und Wadenbein zu.
„Auch die Unfälle waren Erfahrungen.“ Einfach war es keineswegs. „Nach dem zweiten Unfall hatte ich ein Jahr lang solche Schmerzen, dass ich gar nicht gefahren bin, und im zweiten Jahr gab es Tage, an denen ich rauf auf den Berg bin und dann gleich wieder runter, weil es einfach nicht funktioniert hat.“ Aber Nadine blieb dran. Und fing an zu klettern: „Meinem Bein hat’s gut getan, und dann bin ich relativ schnell fanatisch geworden.“ Auch das Klettern bringt sie in ihren Lieblingszustand, wenn auch auf eine andere Art und Weise: „Skifahren hat etwas Unkontrolliertes, Schnelles, bei dem du in dein Können vertrauen und es im richtigen Moment einfach laufen lassen musst. Klettern ist viel kontrollierter, langsamer, statischer, aber durch die Bewegungsabläufe kommst du auch dort in einen Flow Zustand, einem Moment in dem alles perfekt ist.“ Mit den Jahren ist es ruhiger geworden in ihr; sie hat gelernt, ihre Geduld zu kultivieren, „mehr auf die Quality zu achten als auf die Quantity.“ Aber die Sehnsucht nach dem perfekten Tag, die ist geblieben. „Die Kunst besteht darin, die Füße stillhalten zu können, bis der Tag kommt, an dem dann alles passt und diesen Zeitpunkt auch zu erkennen.“− MM
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