Interview
Moderne Reproduktionsmedizin beim Hund Einblicke in den Status Quo Interview mit Dr. Konrad Blendinger, Fachtierarzt für Heim- und Kleintiere sowie für Zuchthygiene und Besamung. Betreiber der Hundesamenbank Blendivet®
Einer der Schwerpunkte der Kleintierpraxis von Dr. Blendinger in Hofheim-Wallau bei Frankfurt ist die Reproduktionsmedizin beim Hund: Seit einigen Jahren betreiben Sie eine Hundesamenbank. – Woher rührt diese Idee? ■ Dr. Konrad Blendinger: Schon immer hatte ich ein Interesse am Thema Tierzucht. Bereits als Jugendlicher habe ich meinen Vater in der Rinderpraxis begleitet und war begeistert von den Zuchterfolgen, die auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe durch gezielte Anpaarungen erreichten. Ich belegte dann selbst einen Besamungskurs und verdiente mit entsprechenden Ferienjobs mein erstes eigenes Geld. Später arbeitete ich dann in der Abteilung Reproduktionsmedizin der Uni Gießen, anfangs noch im Großtierbereich. Warum hat sich diese Methode des gezielten Zugriffs auf eine Samenbank in der Hundezucht bisher noch wenig etabliert? ■ Dr. Konrad Blendinger: In der Rinderzucht wurde bereits in den Nachkriegsjahren vor allem zum Zweck der Tierseuchenbekämpfung mit Tiefgefriersperma gearbeitet. Sehr schnell erkannte man die züchterischen Vorteile, die heute sicherlich den Hauptgrund für die künstliche Besamung darstellen. – In der Hundezucht dagegen waren noch die 1970er und 1980er Jahre von sehr vielen Misserfolgen geprägt, die sich in eher unbefriedigenden Erfolgsquoten von gerade einmal 50 bis 60 % ausdrückten. Heute liegt die Quote mit einigen rassetypischen Schwankungen, die es aber auch im Natursprung gibt, bei mindestens 70, eher gar 80% und mehr. Die anfänglichen Misserfolge begründeten sich sicherlich in der zunächst noch unausgereiften Technik der Samenübertragung beim Hund.
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Bis heute gibt es kaum nachvollziehbare Hemmungen, die beste Methode zur Ovulationsdiagnostik bei der Hündin nicht nur für die Tiefgefriersamenübertragung einzusetzen, sondern auch für die Planung eines Natursprungs zu nutzen. Stattdessen kommen vielerorts ungenauere, traditionelle Techniken zum Einsatz, die eine größere Fehlerquote aufweisen. Letztlich ist die Reproduktionsmedizin bei vielen Praktikern ein unliebsames Thema. Was sind Gründe dafür? ■ Dr. Konrad Blendinger: Grundsätzlich lässt sich wohl ein gewisses „Spannungsfeld“ zwischen Züchtern und Tierärzten beobachten. Wobei wir Tierärzte in meinen Augen manchmal etwas zu schnell von dem vermeintlichen Pseudowissen der Züchter genervt sind. Dabei stelle ich häufig fest, dass ein erfahrener Züchter allein durch seine langjährige Erfahrung über ein recht profundes Wissen verfügt und beispielsweise die Decktage oft ebenso erfolgreich bestimmt wie mit Einsatz vieler der kommerziell vertriebenen Test-Kits, die in vielen Tierarztpraxen zum Einsatz kommen. Routine ist dagegen genau das, was uns Tierärzten auf diesem Gebiet fehlt. Andererseits ist die Zyklusdiagnostik auch nicht so kompliziert, wie landläufig angenommen – wenn man es denn richtig macht. Und wie geanu erfolgt die Deckzeitbestimmung in Ihren Augen „richtig“? ■ Dr. Konrad Blendinger: Mit einer quantitativen Progesteronbestimmung, bei der die Befundergebnisse bereits am Tag der Probenentnahme vorliegen und die nach den Angaben der internationalen Literatur interpretiert werden können. Verschiedene Messmethoden und Labore liefern mitunter sehr unterschiedliche Ergebnisse. Genau an diesem Punkt setzen wir an. Wir beginnen zunächst in den ersten 3 bis 5 Tagen der Läufigkeit mit einer gynäkologischen Untersuchung (Vaginoskopie, Vaginalzytologie).
Ab dem 7. bis 10. Läufigkeitstag bieten wir unseren Züchtern dann die quantitative Progesteron-Bestimmung im Serum an – und das täglich an 7 Tagen der Woche. Auf diese Weise kann die Anzahl der Probenentnahmen ohne Verlust an Genauigkeit auf ein Minimum beschränkt bleiben. Denn der Serum-Progesteronspiegel liegt am Tag der Eisprünge ziemlich konstant zwischen 4 bis 10 ng/ml. Für dieses Verfahren suchen wir deutschlandweit Partnerpraxen, denen wir eine standardisierte Methode der Befundinterpretation zur Deckzeitbestimmung bieten – in einer Art Franchise-Konzept. Unsere Partner profitieren vom know how und außerdem davon, dass mit den Herstellern der notwendigen Geräte und Verbrauchsmaterialien Sonderkonditionen vereinbart sind. Welche Dienstleistungen genau bieten Sie im Bereich Reproduktionsmedezin an? ■ Dr. Konrad Blendinger: Eigentlich bedienen wir das gesamte Spektrum – von der Zyklus- und Deckzeitbestimmung über die Besamung bis hin zur Geburt und der anschließenden Betreuung der Welpen. Da immer mehr Züchter sehr gezielte Anpaarungen vornehmen, bieten wir hierfür den Einsatz von frischem, gekühlten und tiefgefrorenen Samen an. Das durch unser Haus eigens für diesen Zweck mit entwickelte Instrumentarium erleichtert die sogenannte „endoskopische transzervikale Insemination“ (TCI) – also die Besamung mit Unterstützung eines Endoskops – erheblich. Auf diese Weise haben wir eine schonende Alternative auch beim Einsatz von Tiefgefriersamen zu der in den USA vorwiegend durchgeführten chirurgischen Samenübertragung. Als zusätzlichen Service können wir dem Halter der Hündin eine Hochrechnung aller Folgetermine von der Bedeckung über die Trächtigkeits-Untersuchung bis zu den Impfungen und der Geburt der Welpen an die Hand geben. Bieten Sie auch spezielle Dienstleistungen für den Rüdenhalter an und was genau verbirgt sich hinter Ihrer Hundesamenbank?
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■ Dr. Konrad Blendinger: Den Haltern von Deckrüden liefern wir mit unterschiedlich umfangreichen Samenuntersuchungen konkrete Aussagen zur Zuchttauglichkeit. Wir frieren auf Wunsch des Besitzers den Samen von Rüden ein und lagern ihn bis zur weiteren Verwendung beliebig lange. Zwischenzeitlich lagert Samen von mehreren Hundert Rüden der verschiedensten Rassen bei uns und wartet auf seinen Einsatz. Allerdings gibt es keinen Katalog, nach dem der Züchter einen Rüden auswählen kann. Der Kontakt entwickelt sich weiterhin ganz traditionell zwischen den Haltern von Hündin und Rüde, wobei letzterer den Samen seines Hundes dann entweder bei uns anfordert, ihn an einen Wunschort verschicken lässt oder den Züchter mit der betreffenden Hündin zur Besamung an uns verweist. Unsere Praxis ist denn auch Teil eines internationalen Netzwerks aus Züchtern und Samenbanken. Wir im- und exportieren Tiefgefriersperma bis in die USA, nach Neuseeland oder Australien. Hierfür stellen wir die entsprechenden Transportbehältnisse bereit und helfen unseren Kunden mit unseren Erfahrungen bei der Berücksichtigung erforderlicher Im- und Exportbestimmungen sowie bei Vorgaben zur Abwicklung des internationalen Zahlungsverkehrs. Die strategisch günstige Lage in unmittelbarer Nähe des Flughafens FRAPORT in Frankfurt am Main, von dem nahezu alle Destinationen weltweit angeflogen werden, schafft natürlich einen nicht unerheblichen organisatorischen Vorteil. Worin liegen Ihrer Meinung nach die wichtigsten Vorteile der künstlichen Besamung? ■ Dr. Konrad Blendinger: Die Frischsamenübertragung empfiehlt sich beispielsweise bei unklarer Samenqualität des Deckrüden, einem unklaren Zyklus oder auch aus medezinischer Sicht, um den Rüden vor Deckinfektionen zu schützen. Für den kurzfristigen Transport und für eine Übertragung binnen 3 Tagen portionieren und kühlen wir jedoch auch Ejakulate.
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Immer stärker an Bedeutung gewinnt auch die Konservierung von Erbgut in Form von Tiefgefriersperma. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Deckfähigkeit des Rüden wird sozusagen gegen Ausfälle durch beispielsweise Urlaubszeiten, Ausstellungstermine, Krankheit oder gar den unerwarteten Tod versichert. Auch der Wandel in der Hundezucht – weg von rein empirischen Entscheidungen hin zu mehr und mehr objektivierbaren Kriterien der Zuchtwahl – spielt eine immer größere Rolle. So werden heute immer mehr rassekorrelierte Prädispositionen für bestimmte Erkrankungen oder Wesenszüge berücksichtigt. Zudem sind die Populationen einzelner Rassen – gerade auch bei den meisten Windhunden so klein, dass ein internationaler Genaustausch zu ihrer Durchzüchtung oder gar zu ihrem Erhalt erforderlich scheint. Wer sind Ihre typischen Kunden und welchen Anteil nimmt das Ganze im Vergleich zum „normalen“ Praxisgeschehen ein? ■ Dr. Konrad Blendinger: Es gibt in Deutschland ja eigentlich kaum professionelle Züchter im großen Stil. Somit haben wir es fast ausschließlich mit Privatleuten zu tun, die normal berufstätig sind aber nebenher, manchmal auch regelmäßig, züchten. Gerade diesem Personenkreis helfen wir durch eine zuverlässige und präzise Deckzeitbestimmung, viel Zeit und Geld zu sparen. Wenn die Kunden Vertrauen in eine etablierte Technik haben, sind sie auch
gerne bereit, anfänglich etwas mehr in die Diagnostik bzw. Zyklusbestimmung zu investieren. – Dafür sparen sie später dann auch ggf. vergeudete Urlaubstage, Hotelkosten und mehr. Zwar ist der Reproduktionsanteil im Vergleich zur normalen Praxistätigkeit geringer, aber gleichzeitig ist es eine hervorragende Möglichkeit, wertvolle Kunden zu binden. Denn wenn alles gut läuft, wird man später auch mit der Betreuung der Welpen beauftragt. Und man hat in diesem Bereich eine sehr dankbare Klientel und befasst sich in aller Regel mit gesunden Tieren. Haben Sie eine Vision und sehen Sie für sich eine Mission? ■ Dr. Konrad Blendinger: Mein Ziel ist die Weiterentwicklung der Hundezucht dahingehend, dass evidenz-basierte Methoden angewendet werden können, um erstrebenswerte Zuchtziele zu erreichen. Denn nur auf der Basis einer gesunden Rassehundezucht ist die Gesundheit aller Populationen und Rassen auf Dauer zu gewährleisten und zu erhalten. Die künstliche Besamung ist in meinen Augen ein unverzichtbares Instrument der modernen Tierzucht, um räumliche und zeitliche Grenzen gezielter Anpaarungen zu überwinden. Als Tierarzt ist es mir natürlich sehr wichtig, dabei ein besonderes Augenmerk auf den Erhalt der Gesundheit, Charakterfestigkeit sowie Erhalt der Leistungsfähigkeit zu haben!
In diesem Jahr beantwortet Dr. Konrad Blendinger als Experte für Reproduktionsmedizin und Betreiber der Hundesamenbank Blendivet® wieder Fragen anlässlich des Windhund Festivals Donaueschingen. Detaillierte Beratungen und Terminierung für die Einlagerung von Gefriersamen ist auf Anfrage möglich.
❉ Zur Person: Dr. Konrad Blendinger, Jahrgang 1962, studierte von 1984 bis 1989 Tiermedizin an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. 1996 folgte die Promotion über die Antigestagen-Anwendung bei der Pyometra (Behandlung bei Gebährmutterentzündung) der Hündin, seit 1994 Fachtierarzt für Zuchthygiene und Besamung, seit 2002 auch für Klein- und Heimtiere. 1995 machte sich Dr. Blendinger mit seiner Praxiseröffnung in HofheimWallau (Rhein-Main-Gebiet) selbständig und gliederte im April 2011 die Hundesamenbank Blendivet® in ein einges Unternehmen aus; u.a. Vorsitzender der Arbeitsgruppe Reproduktionsmedizin in der Hundezucht (AGRH) und von 2007 bis 2011 Vorstandsmitglied der European Veterinary Society for Small Animal Reproduction (EVSSAR)
Weitere Informationen unter: www.hsb-blendivet.de und www.sighthound-festival.com