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Aus der Praxis

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Spuren im Schnee

Spuren im Schnee

EDY RIESEN (73) war als Hausarzt in Ziefen (BL) tätig. Er führte bis vor Kurzem eine Praxis mit seinem Schwiegersohn und ist mehrfacher Grossvater.

Es lebten einmal zwei Schwestern zusammen in unserem Dorf. Die eine hatte noch einen funktionierenden Kopf, aber sie konnte kaum mehr gehen. Die andere war noch flink auf den Beinen, aber die Steuerung war durch die Demenz verloren gegangen. Hätte man das Gute von beiden in einer Person zusammenbringen können, wäre eine aktive und selbstständige alte Frau daraus geworden. Wenn ich an dieses gloriose Paar zurückdenke, wird mir bewusst, wie viele funktionierende Teile ich stückweise verliere. Gehör, Augen, Muskelkraft senden deutliche Zeichen. Aber gleichzeitig fühle ich mich an manchen Tagen so jung wie vor dreissig Jahren. Es wird Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wahrscheinlich gleich gehen? Die Morgensteifigkeit, der Vorname der Bekannten, den Sie schon wieder vergessen haben, das schmerzende Knie ... Aber daneben bekommen Sie Komplimente, erleben eine aufstellende Begegnung mit ihrer Nichte in der Stadt, versinken für eine kleine Stunde in einem wunderbaren Roman, bringen eine längere Wanderung gut hinter sich. Nein, nicht alle Teile von uns werden gleichmässig alt. Manches bleibt jung, und das sollten wir pflegen. Die beiden holländischen Altersmediziner Westendorp und van Bodegom haben dazu geforscht. Eines ihrer Bücher heisst «Gut alt werden in der Praxis» und trägt den Untertitel «Lass die Umgebung ihre Arbeit tun». Sie plädieren für Kontakte im Quartier und unter Freunden und für die gewöhnlichen Dinge wie Einkaufen, Kochen, Putzen, für Spazieren, Kino, Konzert, Museum, Gartenarbeit. Sie meinen aber auch, dass man sich nicht scheuen sollte, Verantwortung zu übernehmen in Familie, Verein, Kirche oder anderen Gemeinschaften. Natürlich gehört das Hüten der Enkel auch dazu. Die beiden stützen ihre Thesen auf vergleichende Untersuchungen in afrikanischen Dörfern, wo sie gesunde alte Menschen angetroffen haben, die ohne Luxus in ihrer traditionellen Welt leben und dort sicher eingebunden sind und respektvoll behandelt werden. Das lässt mich die Überlegung anstellen, ob bei uns manche alternde Menschen zu oft das Spektakuläre suchen, um das Alter zu verdrängen? Auf der Kreuzfahrt, der Safari oder bei der Opernpremiere in Hamburg oder Salzburg? Natürlich darf das auch sein. Aber gemäss den holländischen Autoren sind die vertraute Umgebung und die tägliche Arbeit die beste Basis für das gute Alter. Ich kann gut reden mit meinen dreiundsiebzig Jahren, weil mir die grossen Prüfungen noch bevorstehen, dann, wenn ich mit meinen Altersgenossen in die Achtziger komme. In der Medizin spricht man von der sogenannten «Frailty», der Gebrechlichkeit. Der Widerstand nimmt ab gegenüber Infektionen, Stress und sozialen Belastungen, und viele der alten Kompensationsmechanismen fallen weg. Konnte man früher schnell in die Stadt für einen Kaffee, so wird die kleine Reise zu einer gewagten Expedition. Das könnte einen entmutigen. Aber gerade hier ist der Aufruf der holländischen Kollegen wichtig: Nicht nachlassen mit den gewohnten Aktivitäten und den Kontakten! Eines meiner grossen Vorbilder blieb uns als Dozent und Leiter von Workshops bis ins hohe Alter erhalten, weil er den Kontakt mit den Jüngeren bewahren wollte. So wie er war, konnte man sich einen würdigen Stammesältesten vorstellen. Er war enorm präsent und sich selbst, gleichzeitig bescheiden und humorvoll. Wir Jungen waren seine kleinen Sonnen, seine Schmerzmittel, sein Antidepressivum und seine Aufwecker am Morgen. Es hat uns alles mehrfach zurückgegeben mit seiner Weisheit und seiner Gelassenheit. Auch er hatte Behinderungen und Krankheiten, aber er vergass sie mit uns zusammen für eine Weile. Eine chinesische Weisheit sagt dazu, dass man als junger Mensch alte weise Freunde kennen und als alter Mensch junge Freunde um sich haben sollte. Das Alter ist nichts für Feiglinge, wie ein geflügeltes Wort sagt. Dazu wünsche ich allen Leserinnen und Lesern Mut, eine Portion Frechheit und vor allem auch das nötige Glück, denn kaufen können wir das gute Alter nicht. •

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Lass uns darüber reden

Eine offene Kommunikation kann unterschiedliche Erwartungen zwischen werdenden Eltern und Grosseltern klären.

Als Selina vier Wochen vor dem Geburtstermin zur Schwangerschaftskontrolle kommt, lacht sie fröhlich und sagt, dass es ihr richtig gut gehe. Als wir die Liste mit Dingen durchgehen, die die Mama und das Baby nach der Geburt brauchen, wirkt Selina plötzlich traurig. «Wo bist du gerade?» frage ich. «Ich hatte einen Streit mit meiner Mutter, der mir sehr nahe geht. Und ich weiss nicht, wie ich mich verhalten soll», antwortet Selina. «Sie ist eine total liebe Mutter. Sie kümmert sich, sie ist immer für mich da, und sie freut sich riesig auf das Baby. Letzte Woche rief sie an und hat mir gesagt, dass am Abend ein Paket geliefert würde, sie hätte einen schönen Wickeltisch bestellt, den sie uns schenken wolle. Sie war ganz begeistert. Aber ich war total überrumpelt, denn Martin ist gerade daran, eine Kommode zu restaurieren, die wir auf dem Flohmarkt gekauft haben. Ich habe aus lauter Überforderung gesagt, dass ich keinen Wickeltisch wolle und habe aufgelegt. Ich war gerührt über ihre Geste und gleichzeitig wütend, hat sie mich nicht vorher gefragt.» Selina macht eine Pause. «Der Wickeltisch kam dann nicht, nur ein SMS meiner Mutter, dass sie ihn abbestellt hätte.» Selina ist aufgewühlt. «Ich habe nicht geantwortet, weil ich einfach nicht weiss, was ich sagen soll. Das geht einfach nicht, auch wenn sie es gut meint. Aber wie kann ich ihr das sagen? Ich will sie ja nicht verletzen!» Obwohl ich keine Psychologin bin, geschieht es immer wieder, dass mir werdende Eltern von Konflikten erzählen, oft sind es Generationenkonflikte. Wird ein Kind erwartet, vor allem wenn es das erste Enkelkind einer Familie ist, verändern sich die Rollen aller. Manchmal ist das Enkelkind der Grund für eine neue Zuwendung und Neuorientierung, eine Chance für eine zerrüttete Beziehung von erwachsenem Kind zu Eltern. Und manchmal kommen alte Erfahrungen und Gefühle hoch, die zu einer Abwendung führen. Können beide Seiten offen sein, ein-

CAROLE LÜSCHER (47) ist Hebamme Msc, Geschäftsführerin der Hebammenpraxis 9punkt9 in Bern, freie Dozentin und engagiert sich berufspolitisch. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. 9punkt9.ch

ander fragen: «Was brauchst du von mir als Mutter, wenn du nun selbst Mutter wirst?», oder «Mam, du wirst nun Grossmutter. Was ist dir wichtig? Welche Art von Beziehung möchtest du zu deinem Enkelkind?», dann ist man in Kontakt, Missverständnisse werden vermieden und alle dürfen in den neuen Rollen auch «Fehler» machen, üben. Die «Matches» zählen, die gelungenen Momente der Kommunikation, welche Verbundenheit und Beziehungssicherheit geben, nicht nur zwischen dem Neugeborenen und den frischgebackenen Eltern, sondern auch zwischen Eltern und frischgebackenen Grosseltern. Und bei den «Mismatches», also den nicht gelungenen Interaktionen, zählt die Korrektur. Wie bei Selina, die just jetzt ein SMS ihrer Mutter erhält, das sie mir mit Tränen in den Augen nach dem ersten Lesen vorliest: «Liebe Selina. Zuerst war ich wegen des Wickeltisches verletzt und beleidigt und habe ihn wütend abbestellt. Doch ich habe nachgedacht und möchte mich entschuldigen. Es war nicht richtig, den Wickeltisch einfach zu bestellen, ohne dich zu fragen. Können wir heute Abend telefonieren?» Selina atmet tief durch und streicht über ihren Bauch. «Ach, deine Nonna. Sie ist einfach wunderbar.» •

Grosseltern und das Nestmodell

EINE GROSSMUTTER (65) FRAGT: Unsere Tochter hat sich vor einiger Zeit von ihrem Mann scheiden lassen. Sie haben drei Kinder, die nach der Trennung im Haus blieben. Die Eltern wechseln sich mit der Betreuung ab, wochenweise und an den Wochenenden. Derjenige Elternteil, der nicht zuständig ist, wohnt in einer zusätzlich gemieteten Wohnung. Das sogenannte Nestmodell mag für die Kinder gut sein, für uns als Grosseltern ist es aber schwierig. Wollen wir etwas mit den Enkeln unternehmen, wissen wir nicht, an wen wir uns wenden sollen. Dies auch darum, weil die beiden Elternteile oft ihre Betreuungswochen oder -wochenenden abtauschen, ohne uns zu informieren. Das ärgert und stresst uns. Wie sollen wir damit umgehen?

DAGMAR SCHIFFERLI (67) ist Psychologin und Dozentin für Gerontologie und Sozialpädagogik, veröffentlicht zudem Romane und Erzählungen. Sie hat eine Tochter und drei Enkelkinder. dagmarschifferli.ch

Fragen an: beratung@grosseltern-magazin.ch Die Fragen werden anonymisiert. Ich verstehe Sie. Gerade im höheren Alter würden wir gern längerfristig voraus planen. Für die Eltern und die Kinder bringt eine Scheidung grosse emotionale und eben auch organisatorische Herausforderungen mit sich. Den Alltag einigermassen reibungslos zu gestalten, damit den Kindern grösstmögliche Stabilität gewährleistet werden kann, führt bei manchen Eltern dazu, dass sie nicht auch noch in der Lage sind, die Eltern oder Schwiegereltern auf dem Laufenden zu halten. Sicher können Sie Ihrer Tochter sagen, dass Ihnen die momentane Planungsunsicherheit Schwierigkeiten bereitet, sie jedoch zu einem anderen Verhalten zu bewegen, scheint mir momentan eher ungünstig und setzt die Tochter unter zusätzlichen Druck. So sehr ich es im Allgemeinen befürworte, Konflikte anzusprechen, so sehr bin ich bei Ihrem Problem der Auffassung, dass Sie besser daran tun, sich mit der gegenwärtigen Situation abzufinden. Akzeptieren Sie, dass bis auf Weiteres keine verlässlichen Absprachen und eindeutigen Situationen geschaffen werden können. Wenn die Kinder grösser sind – Sie erwähnen deren Alter in Ihrem Schreiben nicht –, wird es zunehmend möglich, mit ihnen direkt zu kommunizieren, sei es übers Telefon oder die elektronischen Medien. Die Kinder wissen dann auch selbst, was sie an welchem Wochenende vorhaben und ob sie Zeit und Freude daran hätten, zu Ihnen zu kommen. Vielleicht entlastet Sie die Vorstellung, die Dinge auf sich zukommen zu lassen, auch etwas davon, alles bis ins Detail schon im Voraus geregelt zu haben? Selbstverständlich kann es dann durchaus auch mal vorkommen, dass von Seiten Ihrer Tochter ein Betreuungsbedarf angemeldet wird, Sie aber zu diesem Zeitpunkt schon etwas anderes vorhaben. •

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