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Orange Network

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1 Polen Krakau

Zuwachs im Ländernetzwerk: Seit Februar ist Gebrüder Weiss auch in Polen und Malaysia mit der eigenen Marke aktiv. Die im Herbst 2020 von Ipsen Logistics übernommenen Landesgesellschaften wurden offiziell umfirmiert. In Polen sind nun insgesamt 75 Mitarbeiter*innen in sieben Büros für Gebrüder Weiss im Einsatz, unter anderem in Krakau, Warschau, Gdynia und der Hafenstadt Stettin. In Malaysia gibt es drei Niederlassungen mit 51 Mitarbeiter*innen – in Penang, Kuala Lumpur und Johor Bahru. Gebrüder Weiss beschäftigt an 82 Luftund SeefrachtStandorten weltweit rund 1.600 Mitarbeiter*innen.

Poland Krakow

International network expanding: since February 1, Gebrüder Weiss has also been operating under its own brand in Poland and Malaysia. The national subsidiaries acquired from Ipsen Logistics in autumn 2020 have been officially renamed. In Poland, a total of 75 staff are now working for Gebrüder Weiss at seven locations, including Krakow, Warsaw, Gdynia and the port city of Szczecin. In Malaysia the workforce of 51 is based at three branches – in Penang, Kuala Lumpur and Johor Bahru. Gebrüder Weiss employs some 1,600 men and women at 82 air and sea freight hubs worldwide. 2 Russland Moskau

Einen neuen wöchentlichen Sammelgutverkehr nach Russland gibt es seit November 2020: Wien–Moskau heißt die zweite Direktverbindung von Gebrüder Weiss in die russische Hauptstadt, vier Tage ist der Transport unterwegs. Von Moskau aus verteilt die Partnerspedition JDE (Zheldor Ekspeditsiya) die Waren an die Empfänger innerhalb Russlands. JDE hat mit 244 Standorten eines der größten Verteilnetzwerke zwischen Smolensk und Wladiwostok. Bereits seit 2018 unterhält Gebrüder Weiss einen Sammelgutverkehr aus dem bayerischen Memmingen nach Moskau.

Russia Moscow

A new groupage freight service has been operating once a week to Russia since November 2020. Taking four days, Vienna to Moscow is the company’s second direct connection to the Russian capital. From Moscow, its partner JDE (Zheldor Ekspeditsiya) delivers the goods to their domestic destinations. With 244 locations between Smolensk and Vladivostok, JDE offers one of the largest distribution networks in the country. Gebrüder Weiss has been transporting consolidated cargo from the Bavarian town of Memmingen to Moscow since 2018.

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3 Neuseeland Christchurch

Christchurch ist die größte Stadt auf der Südinsel von Neuseeland. Seit Oktober 2020 gibt es dort auch eine Repräsentanz für Luft und SeefrachtServices. Nach Auckland ist dies der zweite Standort, den Gebrüder Weiss in Neuseeland aufnimmt. Der Logistiker ist damit in den wichtigsten Wirtschaftsregionen des Inselstaates vertreten und kann individuelle Lösungen für Door to Door Transporte im Air & Sea Bereich sowie für Projektaufträge anbieten. Besonders im Fokus: Importe aus den USA, Europa, China und Japan.

New Zealand Christchurch

In October 2020, the group began offering air and sea freight services from Christchurch, the largest city on New Zealand’s South Island. Gebrüder Weiss was already operating one office in the country – in the northern city of Auckland. So it now maintains bases in the island state’s two leading commercial hubs, and has the capacity to provide custom solutions for project orders and door-to-door delivery of air and sea freight. Its main focuses: imports from the United States, Europe, China and Japan. 4 Österreich Wien

Gebrüder Weiss verfolgt das Ziel, bis 2030 CO2neutral zu sein. Im Zuge dieses Nachhaltigkeitsziels bietet das Unternehmen seinen Kunden u. a. die Möglichkeit zum Emissionsausgleich. Die Transporte für die Versandhandelsgruppe UNITO sind seit Anfang 2021 bereits österreichweit CO2 neutral: Pro gefahrenen Kilometer wird der verbleibende CO2Ausstoß ermittelt. Dieser wird durch finanzielle Unterstützung eines zertifizierten Klimaschutzprojekts ausgeglichen. In diesem Fall gehen die Ausgleichszahlungen an ein EnergieeffizienzProjekt in Ruanda.

Austria Vienna

Gebrüder Weiss is targeting CO2-neutrality by 2030. To help reach this goal, the company is also offering its customers the option of carbon-offsetting. Since January 2021, its delivery services for the UNITO mail order company have already been CO2-neutral within Austria: the remaining CO2 emissions are calculated per kilometer driven. And these are offset by financial contributions towards a certified climate protection project. In this case, the funds will go to an energy efficiency scheme in Rwanda.

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7 China Schanghai

Zu den Gebrüder WeissServices entlang der Seidenstraße gehören jetzt auch Pakettransporte. Möglich wird das durch ein Joint Venture mit dem chinesischen Logistiker Global Freight System (GFS) in Schanghai. Das Gemeinschaftsunternehmen »Gebrüder Weiss Express China«, an dem Gebrüder Weiss 65 Prozent der Anteile hält, ist auf Paketdienste zwischen China und Europa spezialisiert. Das neue Angebot richtet sich insbesondere an asiatische und europäische ECommerceUnternehmen.

China Shanghai

Gebrüder Weiss operations along the Silk Road now include parcel services, thanks to a joint venture with the logistics company Global Freight System (GFS) of Shanghai. The joint venture “Gebrüder Weiss Express China,” in which Gebrüder Weiss holds a 65 percent stake, specializes in parcel deliveries between China and Europe. The new service caters primarily to e-commerce companies in Asia and Europe.

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5 USA Los Angeles

Gebrüder Weiss USA setzt sich für mehr Diversität in der Logistikbranche ein und hat ein Stipendienprogramm für wirtschaftlich benachteiligte Studierende ins Leben gerufen. An den Business Schools von drei renommierten Universitäten in Chicago, New Jersey und Illinois können sich Studierende des Fachbereichs Supply Chain Management künftig für das GWStipendium bewerben. Die Initiative wurde von Gebrüder Weiss vor dem Hintergrund der aktuellen Rassismusdebatte in den USA gestartet und setzt ein Zeichen für Vielfalt und Gleichberechtigung und gegen ethnische, kulturelle oder soziale Ausgrenzung.

United States Los Angeles

With its commitment to increasing diversity in the logistics industry, Gebrüder Weiss USA has launched a scholarship program for students from economically disadvantaged backgrounds. Applications will be open to supply chain management students at the business schools of three renowned universities in Chicago, New Jersey and Illinois. The aim is to highlight the importance of diversity and equality – and make a statement against ethnic, cultural and social exclusion – in the context of the current racism debate in the United States.

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6 Georgien Tiflis

Von der Straße auf die Schiene: Der Standort in Tiflis ist jetzt an das georgische Schienennetz angebunden. Der Gleisanschluss wurde schon zur Eröffnung 2013 gelegt, aber damals war das regionale Bahnnetz noch nicht so weit entwickelt. Der erste multimodale Transport nach Aschgabat/Turkmenistan ist bereits abgewickelt, weitere werden folgen.

Georgia Tbilisi

From road to rail: the group’s hub in Tbilisi can now boast a direct link to Georgia’s rail network. The railway tracks were already laid by 2013 when it opened, but the local line network still needed upgrading. The first multimodal transport to Ashgabat in Turkmenistan has now been completed, with more to follow. 8 Deutschland Memmingen

Eine Zukunft in der Logistik? 71 junge Frauen und Männer entschieden sich im Lehrjahr 2020/21 für eine Ausbildung bei Gebrüder Weiss in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Serbien – fast genauso viele wie im Jahr zuvor. Die unternehmenseigene OnlineLernplattform myOrangeCollege ist während der Pandemie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Wissensvermittlung bei Gebrüder Weiss geworden. Ausbildungsinhalte können digital, individuell und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vermittelt und erlernt werden. Insgesamt bildet Gebrüder Weiss derzeit 240 Lehrlinge an 27 Standorten aus.

Germany Memmingen

A future in logistics? In the group’s 2020/21 apprenticeship year, 71 young women and men opted to undergo training with Gebrüder Weiss in Germany, Austria, Switzerland and Serbia – almost as many as the previous year’s intake. The company’s dedicated online learning platform myOrangeCollege has become an indispensable tool for sharing knowledge during the pandemic. Training sessions can be held and attended electronically – at different speeds and tailored to individual needs. In total, Gebrüder Weiss is currently training 240 apprentices at 27 locations.

»Wir brauchen eine Übereinkunft, wann etwas stimmt und wann nicht«

Frank Haas im Gespräch mit dem Sozialpsychologen Roland Imhoff illustrationen Shiwen Sven Wang

Herr Professor Imhoff, Sie haben doch einen recht guten Überblick: Was ist denn momentan die gängigste Verschwörungstheorie? Das kommt darauf an, wonach wir sortieren. Wenn wir schauen, welche Verschwörungstheorie in den sozialen Medien am meisten Traffic bekommt, dann sind das gerade mit Sicherheit die verschiedenen auf die Pandemie bezogenen Theorien – dass Covid nur eine Erfindung sei oder im Labor gezüchtet, oder dass Impfungen der Gedankenkontrolle dienen. So etwas ist derzeit sehr populär. Aber man kann das auch anders betrachten und sich anschauen, welche Theorien die stärkste Zustimmung in Umfragen bekommen. In den USA ist das zum Beispiel die Idee, dass Lee Harvey Oswald nicht alleine gehandelt hat, um John F. Kennedy zu töten. Davon sind in den meisten Umfragen über 50 Prozent der Amerikaner überzeugt.

Das scheint ein Evergreen zu sein. Genau. Die Todesumstände von Prominenten funktionieren generell immer ganz gut.

Wie schaut es mit Elvis Presley aus? Dem wird eher unterstellt, dass er sich aus dem Staub gemacht hat, weil er den Trubel um seine Person nicht mehr ertragen konnte. Und nur ganz wenige Theorien zu Elvis Presley treffen eine Aussage darüber, ob er das mit sich selber ausgemacht hat oder ob tatsächlich eine Gruppe dahintersteckt. Wenn er ganz alleine beschlossen hat, sich einen Bart wachsen zu lassen und ein Schustergeschäft auf den Bahamas zubetreiben, dann ist es der Definition nach gar keine Verschwörung. Denn mit wem will sich Elvis da verschworen haben? Es war dann vielmehr einfach nur seine eigene Entscheidung. Deswegen taucht diese ElvisIdee nicht so häufig bei Verschwörungstheorien auf. Bei den Evergreens haben wir noch die verschiedenen Verschwörungen um die Mondlandung und um die Area 51 – von den Amerikanischen Geheimdiensten eingelagerte Außerirdische und so.

Welche Erzählung ist denn in Bezug auf die aktuelle Pandemie besonders beliebt? Ist es die Idee, dass Corona ein

Roland Imhoff forscht neben Verschwörungsmentalität auch zu Vorurteilen und Stereotypen, Repräsentation von Geschichte, sexueller Devianz und indirekten Messverfahren. Er ist Professor an der Universität Mainz.

In addition to conducting research into conspiracy mindsets, Roland Imhoff explores prejudices and stereotypes, the presentation of history, sexual deviance and indirect measurement. He is a professor at the University of Mainz.

Fake ist, den es eigentlich gar nicht gibt, oder mehr die Vorstellung, dass Corona mit Absicht verbreitet wurde? Aus Deutschland gibt es relativ gute Umfragen zu diesen beiden Verschwörungstheorien. Sie sind mit etwa 16 bis 19 Prozent Zustimmung der Befragten ungefähr gleichauf. In den verschiedenen Netzwerken wird aber eher die FakeIdee weitergetragen. Denn was viele dieser Protest und Verschwörungstheorien antreibt, ist die Unzufriedenheit mit der Politik zur Infektionseindämmung. Wenn ich behaupte, das Virus sei im Labor absichtlich gezüchtet worden, dann ist das kein gutes Argument dafür, dass ich wieder auf Konzerte gehen und meinen Laden wieder aufmachen will. Denn dann ist das Virus doch sicher gefährlich. Um meine persönliche Freiheit zurückzubekommen, ist die Behauptung, Corona gebe es gar nicht, rein instrumentell viel besser geeignet.

Und doch klingt es für vernünftige Menschen angesichts der ganz realen Sterbefälle doch eher absurd. Gibt es denn im Unterschied dazu auch Theorien, die so plausibel klingen, dass Sie ins Zweifeln kommen? (lacht) Na ja, ich mach es mir ja bequem. Ich definiere Verschwörungstheorien nicht so, dass sie notwendigerweise falsch sein müssen. Denn wenn ich Verschwörungstheorie als Chiffre für »Lüge« verwende, dann kann ich mich gar nicht mehr ernsthaft drüber unterhalten. Meine Definition ist deshalb so: Eine Verschwörungstheorie ist, wenn jemand

 »Verschwörungstheorien legen nahe, dass nichts aus Zufall passiert, sondern nur weil jemand wollte, dass es passiert.«

glaubt, dass sich Menschen oder Gruppen zu etwas verschworen haben, und diese Theorie kann auch wahr sein. Eine bewiesene Verschwörung ist immer noch eine Verschwörung.

Haben Sie persönlich eine liebste Theorie? Vielleicht eine, die besonders unterhaltsam, besonders langlebig oder einfach besonders absurd ist? Es gibt schon so einige, bei denen ich mich manchmal frage, ob die tatsächlich irgendjemand ernsthaft glaubt. Oder ob diejenigen, die als Befragte in diesen Umfragen zustimmen, sich nur einen Jux machen. Zum Beispiel das mit den Nazis, die auf der inneren Seite des Mondes leben. Es fällt mir wirklich sehr schwer, mir das vorzustellen. Und dann gibt es aber Theorien, die irgendwie outrageous sind, aber immer noch interessant. Etwa diese EchsenmenschenTheorie, also dass wir beherrscht werden von einer Elite von Eidechsen in Menschengestalt, die morgens ihre Menschenhüllen überziehen. Ich finde es faszinierend, dass wirklich viele Menschen ihre Zeit damit verbringen, auf Bildern gelbe EidechsenAugen bei Politikern, aber eben auch bei Wissenschaftlern zu entdecken.

Was für ein Typ Mensch glaubt so etwas? Lässt sich das beschreiben? Man kann das versuchen, allerdings haben wir es hier nicht mit einer distinkten Sorte Mensch zu tun, sondern mit wahrscheinlichen Zusammenhängen. Dass zum Beispiel Menschen, die das Gefühl haben, nur wenig Kontrolle über ihr Leben zu haben, eher Verschwörungstheorien zustimmen. Dass Menschen, die von sich sagen, dass es ihnen sehr wichtig ist, einzigartig zu sein und aus der grauen Masse herauszustechen, eher Verschwörungstheorien zustimmen. Und einen der stärksten Zusammenhänge gibt es mit dem, was in der Psychologie der Religion »hyperactiveagency detection« heißt. Das beschreibt das Ausmaß, in dem man Absicht und Willen unterstellt, wo sie objektiv vermutlich gar nicht vorhanden sind. Und auch das kann man mit Fragebögen erfassen. Das sind dann Menschen, die Aussagen zustimmen wie »Der Wind weht da hin, wo er will« und »Wenn der Fernseher ausgeht, dann hat er keine Lust mehr«. Eine Absicht entdecken – das passt gut zu Verschwörungstheorien, die nämlich genauso operieren. Sie legen nahe, dass nichts aus Zufall passiert, sondern nur weil jemand wollte, dass es passiert.

Welche Rolle spielen denn die sozialen Medien bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien? Also, in den sozialen Medien blühen Verschwörungstheorien natürlich. Aber da blühen auch Katzenvideos und koreanische Kochrezepte mehr als jemals zuvor. Das Internet hat jeglichen Informationsfluss beschleunigt und auch die Informationsmenge akkumuliert. Wenn ich die Wikipedia ausdrucken würde, dann würde die Menge gar nicht mehr in mein BrockhausRegal passen. Die interessante Frage, die eigentlich dahintersteht, ist die: Haben Verschwörungstheorien einen asymmetrischen Vorteil, mit dem sie sich in dieser Menge besser durchsetzen können? Dafür gibt es theoretisch einen guten Grund. Verschwörungstheorien erzählen nämlich zu egal welchem Ereignis die bessere Geschichte. Und die ist einfach interessanter zu lesen als irgendeine offizielle Presseerklärung.

Verschwörungstheorien sind also die spannenderen Lagerfeuergeschichten? Ja, das ist eine Option. Eine andere Option speist sich aus dem, was in der Psychologie »error management theory« heißt. Die grobe Idee dahinter: Im alltäglichen Leben, aber eben auch evolutionär, kann man bei Bedrohung immer zwei Fehler machen. Man kann erstens falschen Alarm schlagen und zum Beispiel einmal zu oft die Leute in der Höhle aufscheuchen, weil angeblich ein Mammut kommt. Oder man kann zweitens das Mammut verpassen. Die Logik bei dieser »errormanagementtheory« ist, dass der Fehler, einmal zu viel Alarm zu schlagen, immer billiger war, als eine Gefahr zu übersehen. Mit anderen Worten: Evolutionär gesehen zahlt sich Argwohn aus.

Aber erreicht dieser Argwohn nicht manchmal auch ein Ausmaß, wo er gefährlich wird? Ich glaube, Verschwörungstheorien sind potenziell immer brandgefährlich. Wenn wir uns Einzeltäter, Attentäter anschauen, egal ob religiösextremistisch oder neonazistisch, dann sind deren Pamphlete nahezu immer schon voll von Verschwörungstheorien. Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 überwiegend junge Menschen ermordet hat, spielt auf der Klaviatur der Verschwörungstheorien genauso rauf und runter wie die Hamas, der Attentäter von Hanau oder sonst irgendwer. Da koppeln sich Individuen ab von einem epistemischen Gesellschaftsvertrag, also von einer gesellschaftlichen Übereinkunft darüber, wie wir Wahrheit herstellen, wie wir Wissen generieren, wem wir vertrauen. 99,8 Prozent von dem, was wir wissen, haben wir nicht selbst erfahren. Die newtonschen Fallgesetze kann ich anhand eines Apfels noch nachvollziehen. Aber der weitaus größte

 »Wir müssen auch lernen zu vertrauen. Sonst glaubt man irgendwann gar nichts mehr.«

Teil meines Wissens über die Welt stammt aus dem Internet, aus Schulbüchern, von jemandem, der es mir erzählt hat, er stammt aus der Presse, aus dem Fernsehen, von YouTube. Das ist alles sekundäre Information, und ich muss bestimmten Instanzen vertrauen, um sie glauben zu können. Aber dieses Vertrauen ist halt notwendig, um als Gesellschaft Übereinkunft darüber zu erzielen, wie die Welt ist oder was Wissen ist. Wenn ich mich als Verschwörungstheoretiker so weit abkapsle, dass ich diesen epistemischen Gesellschaftsvertrag aufkündige, dann gebe ich sämtliches Wissen der Beliebigkeit preis. Und damit stimmt eigentlich alles, was ich glauben möchte oder auch nicht – genau darin sehe ich eine große Gefahr. Wir müssen es als Gesellschaft hinkriegen, Übereinkunft zu erzielen, wann etwas wirklich stimmt und wann nicht. Dafür braucht es eine ganz grundsätzliche Diskussion.

Wer muss diese Diskussion führen? Ist das Privatsache? Privat über so etwas zu diskutieren, ist natürlich eine Möglichkeit. Aber ich glaube, dass es auch eine pädagogische Aufgabe ist. Im Zusammenhang mit Schule wird immer über Medienkompetenz geredet – da geht es aber überwiegend darum, selber FactChecking zu machen, weitere Quellen zu suchen und so weiter. Das ist gut und schön und auch sinnvoll, aber es trainiert Schülerinnen und Schüler vor allem darin, skeptisch zu sein. Daran ist nichts falsch, aber wir müssen zugleich auch lernen zu vertrauen. Sonst glaubt man irgendwann gar nichts mehr. Meines Erachtens braucht man schon an Schulen das, was man bislang eigentlich erst im Studium bekommt: solide Grundlagen in Erkenntnisphilosophie oder in kritischer Diskussion darüber, was eigentlich Wissen ist.

Das heißt also, wir müssen unser Bewusstsein dafür schärfen, was wirklich wahr ist. Lässt sich denn auch das Bewusstsein für Verschwörungen schärfen? Mit anderen Worten: Gibt es typische Begriffe, die immer wieder vorkommen und an denen man eine Verschwörungstheorie erkennen kann? (lacht) Gute Frage. Ich sage mal, wenn »Rothschild« vorkommt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich um eine Verschwörungstheorie handelt. Und bei »Geheimdienste« sicherlich auch. Wo sehen Sie den Wendepunkt zwischen amüsant und gefährlich? Wenn jemand sich abkapselt und in einer Parallelrealität lebt und es nicht so scheint, als ob er oder sie da so einfach wieder rauskommt. Ich rate aber von zwei Dingen ab: Erstens davon, in Alarmismus zu verfallen, dass jetzt alles den Bach runtergeht und jeder nur noch glaubt, was er will. Wir haben bevölkerungsrepräsentative Stichproben, die nicht zeigen, dass die Zustimmung zu diesen Theorien zugenommen hat, auch in dieser Pandemie jetzt nicht. Sie werden vielleicht sichtbarer, sie werden lauter und möglicherweise organisierter – was auch eine Gefahr sein kann –, aber sie erfahren nicht grundsätzlich mehr Zustimmung in der Breite. Zweitens tun wir uns keinen Gefallen damit, jede Mutmaßung über eine Verschwörung gleich zu verteufeln. Sich einfach mal etwas vorzustellen, kann interessant sein, und manchmal ist auch tatsächlich was dran. Wenn ich dann Belege finde, heißt es nicht mehr Verschwörungstheorie, sondern investigativer Journalismus. Solange sich Menschen nur die Offenheit bewahren, im Lichte der Evidenz eine Vermutung auch wieder fallen zu lassen, ist noch kein Schaden geschehen.

Das führt mich zu einer letzten, ganz praktischen Frage: Wenn ich in meinem näheren Umfeld jemanden habe, der einer absurden Theorie anhängt – was soll ich tun? Dagegen argumentieren? Oder den Menschen lieber lassen? Die Meinung von jemandem ändern zu können, ist eine Illusion, von der man sich verabschieden sollte. Das schaffen wir nie. Wir können überzeugende Argumente bringen, aber eine Meinung ändern kann jeder nur bei sich selbst. Im Hinblick auf andere kann man entweder einen Burgfrieden schließen und sagen: Darüber reden wir jetzt nicht. Oder man geht allin, dann wird es anstrengender. Und ich würde eine Diskussion darüber, wie es denn tatsächlich war, ob jetzt Stahl bei 2.000 oder 4.000 Grad Celsius schmilzt, vermeiden. Sondern lieber darüber sprechen, wem wir eigentlich glauben können und warum. Die meisten Menschen wenden sich Verschwörungstheorien nicht aus Langeweile zu, sondern aus einem Grund, aus einem bestimmten Bedürfnis heraus, etwa, nicht irrelevant oder einsam zu sein. Und vielleicht kann ich so ein Bedürfnis einfach mal direkt adressieren und damit helfen, dass eine Verschwörungstheorie irgendwann gar nicht mehr gebraucht wird.

Frank Haas ist Leiter Markenstrategie und Kommunikation bei  Gebrüder Weiss – und als Chefredakteur verantwortlich für den ATLAS.

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