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Etymologie Schon seit mehr als 500 Jahren beschäftigt die Herkunft des Namens Luzern die Historiker. Seine Bedeutung bleibt jedoch nach wie vor ungeklärt. Eine vorgeschlagene Herleitung ist die vom Lateinischen lucerna «Leuchte». Somit hiesse Luzern «die Leuchtenstadt». Andere Herleitungsvorschläge kommen vom keltischen Gott Lugus und vom männlichen Personennamen Luz oder Luzius. Diese sind alle eher unwahrscheinlich. Eine mögliche Grundlage bleibt das lateinische Wort lūcius «Hecht», verbunden mit dem eine Verbreitung ausdrückenden Suffix -āria. Somit würde der Name Luzern «Ort, wo sich Hechte in grossen Mengen aufhalten» bedeuten. Diese Annahme ist auf Grund der Hechtvorkommnisse im Vierwaldstättersee durchaus haltbar.
Mein Bauch knurrt wie ein Löwe. Das Denkmal liegt verschissen da. Auch «Brot oh Schreck macht Taubendreck» hilft nichts. Ich keuche durch die Stadt. Mein Zug wird gleich abfahren. Der Öffnungsknopf blinkt nicht, obwohl ich energisch darauf herumhämmere. Der Zug fährt. So viel Stress für nichts. Frische Luft brauche ich jetzt und quäle mich durch die Menschenströme der Bahnhofshalle wieder nach draussen. Zum KKL an den See laufen? Ne, die Zeit ist zu knapp. Ich setze mich auf die Gitterbank. Knurren. Die Luzerner Torte ist ein Geschenk für meine Mutter. Ich habe Süssem nie wiederstehen können. Meine Finger ziehen die Torte wie von selbst aus ihrer rosa Kartonschachtel mit goldenem Schriftzug. Ein exquisites Produkt, mit seinem Preis. Ich reisse die durchsichtige Plastikhülle auf, welche die Torte mindestens vier Monate haltbar macht, die Oberfläche ist weich. Ich breche ein Stück ab, ein paar Krümel fallen auf den Boden. Haselnuss, Mandeln, süss und saftig. Göttlich. «Sorry, hesch mer chli Münz?» Ich schlucke, stumm, und denke: Für was?! Für ein Sandwich, was zu wixen, was zu trinken, für Hundefutter, Drogen, Alkohol, Toilettenpapier, Bier, für Schnaps und Wärme, für die Kinder, das Ticket? Ich schüttle den Kopf. Nachschub. Mitten in das süsse Erlebnis mischt sich meine Umgebung. Neben mir sitzen eingefallene Gestalten. Waren sie zuvor schon da? Sie sitzen hier mit tiefen Falten, flackernden oder abwesenden Blicken in eingesunkenen, dick eingepackten Körpern, krümelig wie der Teig der Luzerner Torte. Der Ekel lässt mich ein wenig zur Seite rucken, stosse dabei mit dem Fuss gegen eine Tell Bierdose.
Luzern
Es scheppert. Die Spatzen, welche sich über die Krümel hergemacht haben, fliegen weg. «Ich bin keine vo dene!» Sagt er und lässt sich auf den Platz sinken, wo zuvor meine Pobacke gelegen hat. «Luzern isch dreckig, hinterhältig und verloge.» Er sagt das mit einer solchen Heftigkeit, dass mir die klebrige Kuchenmasse im Hals stecken bleibt. Ich huste gepresst. Rund um uns herum brummen die Autos, Busse halten oder fahren ihren Weg hinund zurück und Menschen rennen an uns vorbei. Für sie sind wir unsichtbar. Eine magere Frau steht plötzlich vor uns. «Du willsch sicher Geld?» Er drückt ihr einen Zweifränkler in die Hand. Die Torte wird zu einem schmierigen Nussbrei in meinem Mund. «Ich goh rasch uf d’Schissi go kacke. Und rauche.» Meint er und verschwindet auf dem Klo, vor welchem wie immer eine lange Schlange Menschen steht, sich mühsam ihr Pippi verklemmend. Sie steht vor mir. Ich versuche ihrem Blick auszuweichen. Das WC steht neben dem Torbogen mit der SBB Uhr, welcher dazu dient, die unterirdischen Einkaufsmeilen und Parkanlagen zu lüften. Sie steht vor mir. Ich schaue sie an. Ihre Knochen treten hervor, den Blick auf mich gerichtet, Augen mit grossen Geschichten, mit dunklen Schatten, mit einem nervösen Zucken, mit verschleierter Tiefe. «Bitte» Ich lächle, mühsam. Halte ihr die Schachtel hin. Sie nimmt das rosafarbene Ding in ihre langen, dünnen Finger, schaut mich währenddessen jedoch unverwandt an. Sie schürzt die Lippen. Ihre Spucke landet glänzend mitten auf der braunen Torte.
mundet Anna von Siebenthal