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Hanf als Membran der Baukunst

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Hanf & Umami

Hanf & Umami

Text Nedim Aydogmus | Architekt & Baubiologe

Die „verbotene und mysteriöse“ Pflanze gehört zu den ältesten vom Menschen entdeckten Kulturpflanzen, die seit Jahrtausenden in verschiedenen Lebensbereichen und Kulturen Anwendung fand.

Die Zeiten in der die großen, reißfesten Segel und robusten, wasserfesten Seile der Segelschiffe aus Hanffasern angefertigt wurden, den Atlantik überquerten und Hochkulturen des Altertums, der Antike, diesen als Rohstoff in der Kleidungsherstellung schätzten, sind lange vorbei. Hanfölversetzte Salben und Tinkturen wurden bei der Heilung von Krankheiten eingesetzt und im 19. Jahrhundert wurden die ersten Jeans aus Hanffasern gewebt. Aber auch in der Küche wurde sie als wertvolle Nahrungsquelle geachtet. Unterkünfte und Behausungen dienten damals wie heute auch als Schutz- und Lebensraum des Menschen. Neben Holz, Lehm, Stroh und Ziegelsteinen wurde je nach Region auch Hanf als Baumaterial wirkungsvoll eingesetzt. Fachwerkhäuser, die einer vergleichsweise bescheidenen aber anspruchsvollen Bauweise entsprechen, belegen, dass sie mithilfe natürlicher Baumaterialien bis in die heutige Zeit überdauert haben. Von der Höhle zu den ersten primitiven Hütten, von der erwähnten Fachwerkhausbauweise bis zur postmodernen, prachtvollen Plastikarchitektur. Wenn man sich eine grobe, plakative Zuordnung der Entwicklung der Baukunst erlauben würde, wäre vermutlich diese Definition angemessen. Große ganzheitlich denkende Baumeister aus der Zeit der Antike wie Vitruv würden sich möglicherweise im Grabe umdrehen. Selbstverständlich gibt es, wie in fast allen Bereichen, auch hier Ausnahmen und so gibt es allerdings viel Potenzial.

Synthetische Produkte sind keine Alternative zu Hanf

Nachweislich wurden in vielen historischen Häusern beim Bau natürliche Pflanzenfasern wie Hanf als Stopfmaterial verwendet, welche man heute durch umweltschädigende und gesundheitsgefährdende synthetische Silikone in Form von künstlichen Schaummaterialien großflächig ersetzt hat. Die Entwicklung synthetischer Lösungen haben aus ganzheitlicher, baubiologischer Sicht für gravierende Probleme in der Baubranche gesorgt. Diese sind unter anderem problematisch, da die bauphysikalischen und chemischen Prozesse zu biologischen Problemen führen können, welche wiederum den menschlichen Organismus, den Nutzer des Gebäudes, gesundheitlich wesentlich beeinträchtigt.

Dichtheit ist nicht immer gleich Gesundheit

Bei der Wiederverwertbarkeit nach der „formellen Gebrauchszeit“ entsteht bei Nutzhanfprodukten nahezu kein Sondermüll, wohingegen künstliche Produkte unter einem enormen Energieaufwand das Vernichten oder Recyceln erfordern. Der Einfluss des Bausektors ist in Bezug auf den gesamtwirtschaftlichen Kreislauf im Verhältnis zu anderen Bereichen der Wirtschaft unter Berücksichtigung der Versorgung, Produktion und Entsorgung wesentlich höher. Der sich verschärfende Klimawandel fordert Konsumenten und Politik zum Handeln auf. Daher spielt die Energieeinsparung im Gebäudesektor eine zunehmend wichtige Rolle. Das Energiesparen erfordert das „Luft- und Wärmedichtsein“ der Gebäude. Durch die Entwicklung dichter Häuser, welche aus energetischer Sicht durchaus sinnvoll sind, werden allerdings bei sämtlichen Hausnutzern langfristige, gesundheitliche Probleme verursacht.

Durch die Dichtheit der Außenwände, inkl. der Fenster wird unter gewissen Umständen das Raumklima negativ beeinträchtigt. Viele Häusern, die mit natürlichen Materialien gebaut worden sind, weisen in der Regel unter korrekter planerischer und handwerklicher Ausführung diese Probleme nicht auf. So wird in vielen Häusern in Bereichen der undichten Stellen der Fensterelemente beispielsweise gerne Hanf als Ausgleichs- und Dichtmaterial eingesetzt.

Für ein gesundes Raumklima: Hanf

Hanfdämmung kann nicht nur durch seinen guten Wärmedämmwert punkten, sondern auch aufgrund der Hygroskopizität für ein gesundes Raumklima sorgen. Hygroskopizität ist die Eigenschaft Flüssigkeiten wie z. B. Feuchtigkeit selbstständig auf- und abzugeben. In diesem Falle reguliert das Hanfprodukt weitestgehend die Innenraumluftfeuchtigkeit und trägt so zu einem angenehmen und gesunden Raumklima bei, welches für die Behaglichkeit der BewohnerInnen entscheidend ist.

Hanf als Haut des Hauses

Die Außenwände eines Hauses bilden aus baubiologischer Sicht die Membran. Ähnlich wie jede Zelle des menschlichen Organismus hat die Membranstruktur eine Permeabilität (Durchlässigkeit), wodurch der Molekülaustausch zwischen Räumen (beispielsweise Außenraum/Innenraum) stattfindet. Wie stark der Diffusionswert, also der Austausch von Molekülen wie z. B. Gasen oder Flüssigkeiten ist, hängt von den Parametern der Permeabilität ab. Eine Vertiefung dieses Prozesses würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Jedoch ist hier zu erwähnen, dass natürliche Baumaterialien (wie Nutzhanf) nach sachgemäßer Planung und Ausführung unter Berücksichtigung bauphysikalischer und baubiologischer Kriterien diese komplexe Aufgabe der Diffusion naturgemäß bewältigen können.

Die eigenen vier Wände in Zeiten der Corona-Krise

Kumulativ verbringen wir die meiste Zeit in Innenräumen und nicht zuletzt aus aktuellem Anlass der Corona-Krise und deren Folgen der Maßnahmen, steigt die verbrachte Zeit in Innenräumen nahezu auf 100 %. Dementsprechend sollte die Beschaffenheit der Räume aus baubiologischer Sicht möglichst defizitfrei sein, um die Gesundheit nicht zusätzlich zu belasten.

Hanf wird wichtiger Baustein der zukünftigen Baukunst

Zusammenfassend ist Hanf in sämtlichen Bereichen, wie der Textil-, Lebensmittel- und Medizinbranche eine bewährte vielfältige Nutzpflanze, die seit Jahrtausenden zum Einsatz kommt. Auch wenn sie im Baubereich nachweislich erst seit einigen Hundert Jahren verwendet wurde, so ist es ausdrücklich erwünscht den Nutzhanf als Baustoff in den wohl wichtigsten Bereichen, welche sich auf unsere persönliche Gesundheit wesentlich auswirken, einfließen zu lassen.

Die Architektur, welche früher Baukunst genannt und auch so angesehen wurde, muss dringend ihren Beitrag dazu leisten, nicht nur kurzfristige ökologische Lösungen anzubieten. Alte fast vergessene Nutzpflanzen, die bis heute mit Klischees zu kämpfen haben wie der Hanf, haben es weitaus verdient ihr die Ehre zu gebühren.

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